"Ghettomusic": Ghettozentrismus als schwarznationalistische Strategie im Rap


Hausarbeit, 2001

32 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Analyse: Repräsentation des Ghettos im Rap
1.1 Ghettoerzählungen
1.2 Lokalitäten und Personengruppen
2.3 Ghettothematiken
1.4 Schwarzer Nationalismus und Ghettozentrismus

2. Ergebnis und Schlußbetrachtung

Einleitung

Hip Hop hat sich in den letzten zwanzig Jahren zu der bedeutendsten Form afro- amerikanischer Populärkultur, wenn nicht der Popkultur überhaupt entwickelt. Hip Hop und dessen prägnanteste und auch kontroverseste Ausformung, Rap, haben eine bemerkenswerte globale Erfolgsgeschichte von einer urbanen Subkultur ethnischer Minderheiten in den USA zum universalen Popphänomen geschrieben. Trotz aller kapitalistischen Vermarktungsstrategien und den damit einhergehenden Assimilierungs- und Verformungserscheinungen, haben sich meines Erachtens besonders im US- amerikanischen Rap wesentliche konstituierende Elemente der Subkultur erhalten. Der von Anfang an prägende lokale Bezug, und zwar die spezifische Verbundenheit mit dem afro- amerikanischen Ghetto, gehört unverändert zum Kanon des Raps und zum Selbstverständnis seiner Protagonisten. „Posse“, „gang“ oder „crew,“ die „hood,“ „area“ oder das „ghetto“ sind feste Bestandteile des Rapvokabulars; eine große Anzahl an Raptexten besteht primär in der Verteidigung, Lobpreisung und der Versicherung des eigenen sozialen und lokalen Umfelds.

Gegenstand dieser Arbeit ist die Form, in der im Rap Bezug genommen wird auf das Ghetto. Ghetto wird dabei als eine urbane, ethnisch und sozial weitestgehend homogene, d.h. afro-amerikanische und proletarische Wohngegend verstanden. Ich schließe mich damit weitestgehend der Definition von Douglas Massey und Nancy Denton an.1

Weiterhin soll nach den schwarznationalistischen Aspekten dieser Repräsentation des Ghettos im Rap gesucht werden. Die Frage lautet, ob und in welcher Weise der Ghettozentrismus im Rap eine Form von kulturellem schwarzen Nationalismus darstellt. Schwarzer Nationalismus in den USA soll dabei als eine politische und kulturelle Strömung verstanden werden, deren Bestreben dahin geht, die schwarze Bevölkerung der USA zu einer Nation auf der Basis ethnischer, historischer und kultureller Kriterien zu einen, um so zu einer größtmöglichen politischen, gesellschaftlichen und/oder kulturellen Autonomie zu gelangen.2

Aufgrund der Fülle von Veröffentlichungen an dezidiert politischer oder schwarznationalistischer Rapmusik der letzten fünfzehn Jahre beschränke ich meine Analyse auf zwei Vertreter der beiden großen Rapfraktionen: KRS-One für den klassischen New York Rap und Ice Cube als Vertreter des Westcoast-Raps.

Am Rande dieser Einleitung sei noch auf einige Probleme der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Hip Hop hingewiesen: Es handelt sich bei Hip Hop keinesfalls um eine exklusiv afro-amerikanische Kulturform. Hip Hop wurde sehr stark von lateinamerikanischen, hauptsächlich puertoricanischen, und von jamaikanischen und haitianischen Einflüssen geprägt.3 Diese Analyse beschränkt sich jedoch auf einen bestimmten Aspekt im Hip Hop, die schwarznationalistische Komponente, und vernachlässigt daher die spezifischen Problematiken anderer Ethnien, die sich ebenfalls im Hip Hop manifestieren.

Zweitens sind der latente Sexismus im Hip Hop und die aggressiv frauenfeindlichen Inhalte sehr vieler Raptexte einer der problematischsten Aspekte in der Auseinandersetzung mit Hip Hop. Diese Arbeit befaßt sich nicht mit den Implikationen und Folgen von Sexismus im Rap, ohne damit dessen Bedeutung negieren zu wollen. Auch ist es nicht meine Absicht, die maskuline Perspektive, die in der folgenden Analyse weitestgehend unkommentiert übernommen wird, als eine selbstverständliche zu postulieren. Der Rahmen dieser Hausarbeit erlaubt es jedoch nicht, auf diese Tendenzen in den von mir untersuchten Texten einzugehen.

Abschließend ist zu erwähnen, daß in der Analyse keinerlei Aussagen auf die tatsächliche Wirkung des rezipierten Materials gemacht werden können. Wie in jeder wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Popkultur, darf besonders beim Thema Rap nicht übersehen werden, daß die wissenschaftliche Rezeption sich radikal von der des Konsumenten (und vermutlich auch von der des Produzenten) unterscheiden kann. Außerdem wird sich die Analyse weitestgehend auf Raptexte (und Textsamples) beschränken, also die Musik bis auf wenige Ausnahmen außen vor lassen. Ich schließe mich Tricia Roses Kritik an einer an die Textexegese der Literaturwissenschaft angelehnte, verkürzende Rezeptionsweise von Rap durchaus an,4 sehe mich aber dennoch nicht in der Lage, in diesem Rahmen ausführlicher auf musikalische Besonderheiten und Implikationen einzugehen.

1. Analyse: Repräsentation des Ghettos im Rap

Hip Hop ist eine eindeutig urbane Kultur. Entstanden in den afro-amerikanischen und puertoricanischen Ghettos US-amerikanischer Großstädte, ist Hip Hop ein Produkt der Verbindung von urbanem schwarznationalistischen Gedankengut, dem Technik- und Computerboom der 70er und 80er Jahre5 und dem Hedonismus der Carter- und Reagan-Administrationen. Desweiteren ist Hip Hop ist vor allem ein Produkt der von der Zunahme an Arbeitslosigkeit, Gewalt und Drogen gezeichneten Verhältnisse im postindustriellen Milieu der amerikanischen Innenstädte. Tricia Rose bezeichnet Hip Hop als eine Kultur des „margin of post-industrial urban America. Hip hop is a cultural form that attempts to negotiate the experiences of marginalization, brutally truncated opportunity, and oppression within the cultural imperatives of African-American and Caribbean history, identity, and community.”6

Im Rap, dem Sprachrohr dieser urbanen schwarzen Kultur, waren entsprechend seit seiner Entstehung (etwa ab 1977) die Orientierung auf das schwarze Ghetto und der politische und sozialkritische Impetus der Musik zentrale Bestandteile. Politischer und schwarznationalistischer Rap7 stehen daher neben sehr hedonistischen und mitunter gewaltverherrlichenden und/ oder sexistischen Raptexten.

Durch die Kommerzialisierung und die sprunghafte, weltweite Verbreitung von Hip Hop in den letzten zehn Jahren ist sowohl das Ghetto als auch Rapmusik ein fester Bestandteil (nicht nur) amerikanischer Popkultur geworden. Sowohl KRS-One als auch Ice Cube sind seit Mitte der achtziger Jahre als Autoren und Interpreten im Rap tätig.8 Während KRS-One mit den ersten beiden Alben seiner damaligen Posse BDP als einer der Begründer des schwarznationalistischen Rap und als ein Veteran der New Yorker Rap Szene gilt, ist Ice Cube einer der beständigsten Vertreter des politischen „Westcoast Gangstaraps“.9 BDPs drittes Album trägt den konzeptionellen Titel „Ghettomusic: the blueprint of hip hop“. Hier wird über die Namensgebung die Verbindung von sozialem und lokalem Umfeld und Musik ausgedrückt. Die Bezeichnung „blueprint of hip hop“ erläutert dieses Verhältnis genauer: Es geht hier offensichtlich um eine ästhetische und soziokulturelle Definition der Kunstform Hip Hop auf der Basis der Erfahrung des Lebens im Ghetto. „Ghettomusic“ stellt ein bindendes ästhetisches Programm des Hip Hop dar, im gleichen Sinne, wie die Ästhetiken von Aristoteles bis Adorno das beispielsweise für Literatur oder Musik tun.

1.1 Ghettoerzählungen

zurück. Auch im Rap gilt, wie in allen Bereichen der Popkultur, daß explizit politische Kunst weniger populär ist. Aber auch bei scheinbar unpolitischem Rap sowohl der Vergangenheit wie der Gegenwart ist die schwarznationalistische Haltung unüberhörbar. Außerdem beziehen sich auch im weitesten Sinne unpolitische MCs fortwährend auf klassische politische Vertreter der Szene, die als Vorbilder angesehen werden, ohne meist vergleichbaren kommerziellen Erfolg zu haben.

Raptexte, sogenannte „lyrics“, lassen sich grob in Kommentare und Erzählungen unterteilen, wobei sich beide Formen häufig in einem Song ergänzen. Ice Cube macht in seinen Texten exzessiven Gebrauch von sogenannten „Gangstatales“. Diese Geschichten haben zur zentralen Figur immer den gewalttätige Gangster des urbanen Ghettos, der meist mit Drogenhandel seinen Lebensunterhalt finanziert und sich vor allem durch exzessive Gewaltanwendung und eine Haltung zynischer Coolness, mit der er sich über das Gesetz und seine Mitmenschen erhebt, auszeichnet. Sie sind angereichert mit vielen Details des Ghettolebens, Markennamen, Abkürzungen, Orts- und Tätigkeitsbeschreibungen, die als ghettotypisch verstanden werden und eine authentische Milieuschilderung unterstützen. In seinen „Gangstatales“ benutzt Ice Cube fast immer die erste Erzählperspektive.10 Selbst in Songs wie „True to the game“11 oder „Lil ass gee“,12 in denen Erzähler und Protagonist klar getrennt sind, taucht der Erzähler in der Geschichte auf und greift häufig mehr als nur kommentierend ein. Dabei ist es in der Regel nicht möglich, zwischen Autobiographie und Fiktion zu unterscheiden.

Here's another day at the stoplight

I'm lookin' in my mirror so I can see who can see me

South Central is puttin' Ice Cube to the test

With four brothas in the SS

I can't go around and can't back up

So I gotta peep game layin' in the cut

Is this a jack or a kidnap?

Since I'm never ever slippin' I fully strapped

I grab my gat out the glove

Now, do these fools got a problem with me?

Or do they got love?

So when the light turns green, I don't bone out

I wanna see what these black men are all about

Cuz if it's my time, I'm just short

If not, I'm pluggin' they Super Sport

First they get behind my ride...

Then they switch lanes to the left side

I'm scopin' out the one smokin' indo

Comin' up fast, rollin' down his window

He threw up a sign, I put away my nine

Fool, cuz I'm colorblind13

Diese Strophe aus „Colorblind“ läßt sich sowohl als authentische Reportage über den gewalttätigen Ghettoalltag lesen, wie auch als klassische „Gangstatale“, die den Mythos des harten, unerschrockenen „Gangstas“ bedient. Diese Ambivalenz findet sich in den meisten Ghettoerzählungen Ice Cubes.

In dem Titelsong seines ersten Soloalbums “AmeriKKKa’s most wanted” verbindet Ice Cube Ghettoerzählung, Gangstermythos und die Kritik am institutionalisierten Rassismus der Polizei zu einer aggressiven Mischung.

Back in the day I dip my shirt in dirt

Sometimes I got away clean, sometimes people got hurt

But if you know me, you know that I'm liable

to bust a cap cos it's all about survival of the fittest

I'm a menace crook

I did so much dirt I need to be in the Guinness Book

It's the American way

cos I'm the G-A-N-G-S-T-A

Ice Cube - a motherfuckin’ clepto

[…]

I'm not a rebel or a renegade on a quest

I'm a nigga with a 'S' on his chest

so get the Kryptonite cos I'm a rip tonight

Cos I'm scarin' ya, wanted by America14

Aus der Verbindung von männlicher Kraft, Gewalttätigkeit und Respektlosigkeit konstruiert Ice Cube einen Gangster-Superhelden, vor dem sich ganz Amerika fürchtet. Die Erzählung bezieht sich jedoch auf eine bereits vergangene Phase im Leben des Gangsters („back in the days“), in der er nur das schwarze Amerika beraubt. Erst als er auch zur Bedrohung für Weiße wird, schreitet die Polizei ein:

I think back when I was robbin' my own kind

The police didn't pay it no mind

But when I start robbin’ the white folks

Now I'm in the pen wit the soap-on-a-rope

I said it before and I still taught it

Every motherfucker with a color is most wanted15

Der Text schließt mit der Verallgemeinerung, die aus dem institutionalisierten Rassismus erfolgt: Minderheiten sind immer die Verfolgten, sie werden von der Polizei zu Verbrechern stigmatisiert, seien sie nun tatsächlich gewalttätig, wie Ice Cubes „Gangsta“ oder nicht. Mit diesem Schluß ermöglicht Ice Cube eine durchaus positive Identifikation zwischen seinen (nicht weißen) Hörern und dem Gangsterhelden, wodurch die bei Ice Cube positiv belegten zitierten Männlichkeitsattribute und damit die angsteinflößende Macht ebenfalls übertragen werden. Jeder Schwarze ist ein Gangster.

Während „AmeriKKKa’s most wanted“ deutlich die Verbindung von stilisierter Gewalt und Ghettoerzählung in der Ich-Perspektive vollzieht, ist die Kombination im Werk von Ice Cube eher selten. Ghettoerzählungen wie das musikalisch sehr suggestive, düstere „Down for whatever“16, das ähnlich getragene, fast traurige „What can I do?“17, und die Songs „Lil ass gee“ und “Doin’ dumb shit”18, die sich beide mit dem Aufwachsen in einer gewalttätigen Umwelt auseinandersetzen, spannen einen großen epischen Bogen, meist über ein ganzes Leben, und erzählen von Ursache und Wirkung einer kriminalisierten Existenz im Ghetto. Daneben finden sich Ghettoerzählungen, die konkrete Probleme des Ghettoalltags anhand der Erzählung exemplarisch zeigen, so in „Alive on arrival“ den miserablen Zustand der Gesundheitseinrichtungen oder in „Ghettobird“19 die allgegenwärtige Überwachung durch die Hubschrauber des Los Angeles Police Departments (L.A.P.D.), die allnächtlich ihre Kreise über den Ghettos von L.A. ziehen. In all diesen Erzählungen finden sich zwar Elemente der für den „Gangstarap“ typischen Stilisierungen, die Heroisierung ist jedoch dadurch gebrochen, daß die Erzählungen für den Gangsterhelden meist tragisch enden.

In „Who got the camera?“20, einer Ghettoerzählung, die sich konkret auf die auf Video mitgeschnittene Mißhandlung des Afro-Amerikaners Rodney King durch Beamte des L.A.P.D. 1992 bezieht, wird der Held der Erzählung genau wie King massiv von Polizisten mißhandelt, ohne sich wehren zu können. Die wütenden Gewaltexzesse, die in vielen Ice-Cube-Texten mit voller Wucht verbal gegen das weiße Establishment geschleudert werden, kehren sich hier um gegen den IchErzähler. Dabei bleibt die Möglichkeit zum „payback“, zur Rache des Unterdrückten, aus. Ice Cube gibt der Figur dennoch genügend Menschenwürde und läßt sie eine kämpferische Haltung bewahren:

They played rat-a-tat-tat on me head

but if I had the gatty-gat-gat they'd be dead

A victim of a big fat 187

and little devils don't go to heaven

Last night there were eleven but they were'nt scarin’ me

so they tried the flashlight therapy

I looked at the black one and called him a traitor

I don't give a fuck if you got a beta

[…]

If the crowd weren't around they would've shot me

tried to play me out like my name was Rodney

Fuckin' police gettin' badder

but if I had a camera the shit wouldn't matter21

Auch im Werk KRS-Ones finden sich diverse Ghettoerzählungen. Mit einigen Ausnahmen, wie dem epischen „Love’s gonna getcha“22 von 1989, handelt es sich dabei aber um Ghettoerzählungen, die ironisch stark gebrochen sind. Ein Beispiel ist die „Gangstatale“ „9mm goes bang“ von BDPs erstem Album. Der Song erzählt auf sehr spielerische Weise von den Abenteuern des „Supergangstas“ KRS-One.

Me knew a crack dealer by the name of Peter

Had to buck him down with my 9 millimeter

He said I had his girl, I said "Now what are you? Stupid?"

But he tried to play me out and KRS-One knew it

He reached for his pistol but it was just a waste

Cos my 9 millimeter was up against his face

He pulled his pistol anyway and I filled him full of lead

But just before he fell to the ground this is what I said...

Wa da da dang

Wa da da da dang (Ay!)

Listen to my 9 millimeter go bang Wa da da dang

Wa da da da dang (Ay!)23

Hier ist die Identifikation zwischen Figur und Autor im Text zwar sehr offensichtlich, gleichzeitig fehlt in der Art der Darbietung die Eindringlichkeit von Ice Cubes „Down for whatever“ oder die Wut bei „AmeriKKKa’s most wanted“. Der Song ist mit seinem gesungenen, lautmalerischen Refrain („Wa da da dang...“) sehr fröhlich und eher so etwas wie eine Ghetto-Partyhymne. KRS-One behält eine klare Distanz zu der Erzählung, die comichaften, verspielten Züge sind deutlich im Vordergrund.24

Ice Cubes „It was a good day”25 ist eine ungewöhnliche Ghettoerzählung insofern, als sie keine explizite Gewalt enthält. Ice Cube beschreibt einen Tag voll (ghetto-) typischer Freizeitbeschäftigungen - Autofahren, Domino und Basketball, Fernsehen und schließlich sexuelle Abenteuer - garniert mit der genretypischen Heroisierung von sexueller Potenz („She didn't hesitate, to call Ice Cube the top gun“26 ) und sportlicher Leistung („Freakin’ niggaz everyway like M.J.“27 ). Doch zwischen dem Spiel taucht immer wieder die Verwunderung darüber auf, daß die Gewalt scheinbar für einen Tag ausbleibt. Bereits am Morgen bemerkt Ice Cube, daß dieser Tag ungewöhnlich ist: „Just wakin' up in the mornin' gotta thank God./ I don't know but today seems kinda odd.”28 Immer wieder wird die Gewalt erwähnt. Sie bleibt also durch die Erzählung hindurch als Drohung virtuell vorhanden:

Today was like one of those fly dreams

Didn't even see a berry flashin' those high beams

No helicopter looking for a murder

Two in the mornin' got the Fatburger

[…]

Today I didn't even have to use my A.K.

I got to say it was a good day (shit!)29

Mit diesem Verfahren wird das Leben im Ghetto als ein von Gewalt überschattetes gezeigt, bei dem sich die Angst über alle Alltagsbeschäftigungen legt und die Beziehungen und Verhaltensweisen der Menschen bestimmt. Der Song ist musikalisch sehr entspannt und harmonisch gehalten, unterstützt von starken Soul-Anklängen. Die Assoziationen von Sonne, Freude und Spiel werden in die Leichtigkeit der Musik übersetzt. Die Bedrohung ist allein im Text angelegt. So ist „It was a good day“ gleichzeitig eine Hymne auf das Leben im Ghetto und subtiles Porträt einer von Gewalt geprägten Gesellschaft.

1.2 Lokalitäten und Personengruppen

Ghettoerzählungen werden im Rap häufig durch konkrete Ortsangaben ergänzt. Die Nennung der eigenen „hood“ (oder dessen, was das Publikum für das tatsächliche Umfeld halten soll) erhöht die Authentizität der Erzählung, verortet sie im wirklichen Leben. Sie erfüllen also zum Einen die selbe Funktion wie die Nennung von Personennamen, Automarken, Waffenkalibern und anderen, häufig in Abkürzungen oder Slangbegriffe verpackte Details, die den Ghettokontext illustrieren. In den Texten von KRS-One lässt sich eine weitere Bedeutung der lokalen Bezüge erkennen: „The bridge is over“ und „South Bronx“30 sind Beispiele der Lokalrivalitäten im New Yorker Hip Hop. „The bridge is over“ ist ein klassischer „dis“-Rap - also ein verbales Kräftemessen zwischen MCs.31 Die Rivalität zwischen den MCs kreist hier um die Frage des Ursprungs des Rap. KRSOne verteidigt darin die Bronx als Wiege des Rap.

What's the matter with your MC, Marley Marl?

Don't know you know that he's out of touch

What's the matter with your DJ, MC Shan?

On the wheels of steel Marlon sucks

You'd better change what comes out your speaker

You're better off talkin' bout your wack Puma sneaker

Cause Bronx created hip-hop, Queens will only get dropped32

Auch ohne die Hintergründe dieser speziellen Auseinandersetzung im New York der späten 80er Jahre kennen zu müssen, läßt sich „The bridge is over“ als typisches Beispiel einer Lokalrivalität im Rap anführen, bei der die Künstler als Vertreter ihres Stadtteils gesehen werden. „South Bronx“ ist aus der gleichen Rivalität entstanden, legt aber mehr Gewicht auf die Beschreibung der Entstehungsgeschichte des Rap:

Now way back in the days when hip-hop began With CoQue LaRock, Kool Herc, and then Bam Beat boys ran to the latest jam

[…]

Remember Bronx River rollin' thick

With Kool DJ Red Alert and Chuck Chillout on the mix

When Afrika Islam was rockin' the jams

And on the other side of town was a kid named Flash

Patterson and Millbrook projects

Casanova all over, ya couldn't stop it

The Nine Lives Crew, the Cypress Boys

The real Rock Steady takin' out these toys

As odd as it looked, as wild as it seemed

I didn't hear a peep from a place called Queens33

Der Text entwirft geradezu eine Landkarte des Hip Hop, Orts- und Personennamen gehören fest zusammen. Obwohl KRS-One nicht zu den Gründungsvätern des Rap gehört, sieht er sich doch in deren Fußstapfen und assoziiert sich über den Ort (South Bronx) mit deren Vermächtnis. Der Song benutzt das für Rapkonzerte typische Frage- und Antwortspiel zwischen MC und Publikum nach der Herkunft des Publikums als Refrain: „We’re from the/ South South Bronx. South South Bronx. (4x)”34 Die Bestimmung genauer Lokalität und von Personen aus dem Hip-Hop Kontext dient hier also der Traditionspflege im Sinne einer eigenen Verortung und Bestätigung.

In “Ya know the rules”35 benutzt KRS-One erneut Ortsnamen, um sein Verständnis von Authentizität und Qualität im Rap zu illustrieren. Er hält den „supa-dupa rap guys“,36 den Popstars des kommerzialisierten Raps, die wahren Hip Hop Traditionen entgegen:

While they sit on their throne looking I’m a walking in the streets of Brooklyn In Harlem and Queens and Bronx in I’m even out there walking in Compton Cause everywhere BDP is schooling So anywhere KRS is cooling37

Authentisches Ghettoleben („walking in the streets of Brooklyn“) wird hier erneut als Voraussetzung für authentisches und - im Sinne des ästhetischen Programms von KRS-One - qualitatives Kunstschaffen definiert.

Darüber hinaus impliziert der Text durch die Erwähnung der verschiedenen Reviere, in denen sich KRS-One frei bewegt, daß im Hip Hop Revierrivalitäten aufgehoben sind. Diese Revierzugehörigkeit im Rap ist vor dem realen Hintergrund der Gangrivalitäten im Ghetto zu sehen, bei dem die genaue lokale Zugehörigkeit des Einzelnen oft lebensrettend ist, beziehungsweise ein Übertreten der Reviergrenze auch ohne eine Gangzugehörigkeit lebensgefährlich sein kann. KRS-One demonstriert seine Überlegenheit als MC dadurch, daß der Respekt, den die Hip-Hop-„community“ ihm und der „posse“ BDP entgegenbringt, es ihm erlaubt, sich frei über Reviergrenzen hinweg zu bewegen. Hieraus lässt sich auch deutlich die Nähe der „posse“ zur Gang ablesen, nach deren Vorbild, diese Konstruktion im Rap m. E. entstanden ist.38

Wie auch in „Ya know the rules“, wird in folgenden Zeilen aus „Why is that“39 der Zusammenhang zwischen Individuum und Gruppe und zwischen Kunst (Rap) und Realität (feindliche Gangreviere) deutlich: „I can walk anywhere I choose/Cause everybody listens to the BDP crew.”40 Die „crew“ dient hier genau wie die Gang als physischer Schutz; nur daß statt Kampfstärke hier der Respekt im Rap die Sicherheit gibt.

In den Texten Ice Cubes fehlt die Komponente der über den Ort bestimmten Tradition. Die Bestimmung des Ortes hat hier die Bedeutung von Ghettoauthentizität. Die Ortsbeschreibungen erfüllen unter anderem die Funktion, den Reportagecharakter der Ghettoerzählungen zu betonen.41 Gleichzeitig wird der von der Praxis der Gangreviere abgeleitet lokale Bezug des Gangsters in Form einer Revierhoheit beschworen:

You can run but you can't hide from the westside

night stalker, shit talker, run and tell them Mr L.M.

nigga with the gat and I'm back

off the everyday prey that I slay

rolling with the fo' chase ya through South-Central42

Mit der Revierhoheit über South Central geht die Zugehörigkeit zur crew einher: L.M. steht für Da Lench Mob, der Name des mit Ice Cube affiliierten Produzententeams. Die Identifikation ist hier sehr weit fortgeschritten, da sich Ice Cube, der sich ansonsten als Künstler und als Figur in seinen eigenen Texten klar solistisch präsentiert, als Mister Lench Mob bezeichnet. In den fiktiven Gewaltexzessen vieler Ice Cube Texte, wird die crew deutlich wieder zur Gang - wie bereits der Name besagt: der Lench Mob ist das Killerkommando, als dessen Anführer sich Ice Cube inszeniert.43

Ähnlich wie bei KRS-One, wo die Beschwörung der South Bronx als Ursprungsort immer wiederkehrt, ist in Ice Cubes Texten South Central, ein Bezirk von Los Angeles, omnipräsent. South Central erhält durch die häufige Erwähnung auch ohne, daß es sich um einen explizit thematischen Bezug handelt, eine paradigmatische Qualität. Der Name South Central steht für die Verhältnisse im Ghetto schlechthin, was in den folgenden Zeilen aus „Colorblind“ deutlich wird: „South Central is puttin Ice Cube to the test/ with four brothas in the SS.”44 Nicht die Personen, noch das Verbrechen als strukturelles soziales Phänomen fordern hier den Helden heraus, sondern gewissermaßen das „Prinzip South Central“ materialisiert sich.

In dem Song “How to survive in South Central”45 identifiziert Ice Cube South Central mit all jenen Stereotypen des postindustriellen Ghettos, die sich sowohl im Gangstarap, wie auch in den meisten Fernsehnachrichten finden. South Central wird zum „concrete Vietnam“ und dem „craziest place on the planet“46 stilisiert. Der Song thematisiert auch den Blick des restlichen Amerikas auf das Ghetto, indem er in zwischen die Strophen gestellten Samples eine Stadtführung durch South Central imitiert. Er kann daher auch als ein Versuch gelesen werden, die Deutungshoheit über die eigene soziale und lokale Umgebung zurückzugewinnen. Den Kommentaren der Reiseleiterin für ihr imaginäres vermutlich weißes, mittelständisches Reisepublikum, die den Blick von Außen darstellen, wird der Bericht des MCs als Korrektiv entgegengesetzt.

1.3 Ghettothematiken

Besonders Ice Cube hat sich in seinen Songs immer wieder mit konkreten Verhältnissen im Ghetto beschäftigt. Das heißt, in diesen Songs spielt das Ghetto weder in erster Linie auf einer Metaebene als Metapher oder Mythos eine Rolle, noch gibt es lediglich den möglichst authentischen Hintergrund für einen sozialen oder politischen Kommentar ab. Konkrete Probleme, die in dieser Form nur im Ghetto beziehungsweise nur in einem bestimmten Ghetto vorkommen, werden meist anhand einer Erzählung erläutert. Die Texte dieser Erzählungen sind häufig nicht nur stark orts-, sondern auch zeitbezogen. Sie kommen m. E. dem Diktum von Chuck D. am nächsten: „[Rap] is the black CNN that we never had.“47

„Alive on arrival“ behandelt die miserablen Zustände in den öffentlichen Gesundheitseinrichtungen am Beispiel einer Notaufnahme im Martin Luther King Krankenhaus in South Central.

Woke up in the back of a tray

On my way to MLK

That the county hospital jack

Where niggaz die over a little scratch

Still sittin' in the trauma center

In my back is where the bullet entered

Yo nurse I'm gettin' kind of warm

Bitch still made me fill out the fuckin' form

Coughin' up blood on my hands and knees

[…]

I need to see a MD

And ya'll mothafuckers giving me the third degree

Look at the waiting room

Its filled to the rim like the county jail day room

Nobody gettin' help

Since we poor

The hospital move slow48

Die vielen Details (überarbeitete Ärzte, endloses Formulareausfüllen, Überbelegung) und die zwischen die Strophen gesetzten Samples, in denen Unterhaltungen von Polizei- und Krankenhauspersonal realistisch nachgestellt sind, geben dem Song eine sehr authentische Qualität und machen ihn zu einer Reportage in Rapform, die die Deutung ebenfalls gleich mitliefert („Why oh why can't I get help?/Cause I'm black, I gots to go for ’self.“49 )

1.4 Schwarzer Nationalismus und Ghettozentrismus

Unter den vielen explizit politischen und schwarznationalistischen Songs im Werk von Ice Cube und KRS-One sind hier nur jene von Interesse, deren Bezugspunkt das Ghetto bildet. Während sich KRS-One in einer großen Anzahl von Texten explizit zu gesellschaftlichen und politischen Fragen äußert, das aber nur selten im konkreten Ghettokontext, sind die politischen Botschaften in Ice Cubes Werk häufig in subtilerer Form in unterschiedlichen Zusammenhängen präsent. Dennoch gibt es auch im Werk von Ice Cube explizit politische und schwarznationalistische Texte.

In einigen Songs wie „I want to kill Sam“,50 „When I get to heaven“51, und „Enemy“52 finden sich explizit schwarznationalistische Positionen, denen man den Einfluß der Rhetorik der Nation of Islam anmerken kann. „I want to kill Sam“ ist gewissermaßen eine metaphorische „Gangstatale“, in der Ice Cube die amerikanische Nationalfigur Uncle Sam in allen Ghettos sucht,53 um ihn als Rache für die Verbrechen, die historischen und die gegenwärtigen, der weißen US- Amerikaner und der US-amerikanischen Regierung an der schwarzen Bevölkerung zu töten. Dabei benutzt Ice Cube eine erzählerische Konstruktion, in der der Ich- Erzähler zur kollektiven schwarzen Person wird, die die Mißhandlungen der Vergangenheit, wie auch der Gegenwart erleidet. Durch diesen Kunstgriff wird die nationalistische Konstruktion illustriert, in der das Individuum durch die kollektive (und historische) Erfahrung definiert wird. Gleichzeitig wird die Nation auch durch die Verzahnung von Geschichte und Gegenwart heraufbeschworen, die Ice Cube rhetorisch über den Reim vollzieht.54 Diese historisch- nationalistische Argumentation, die konsequenterweise die meisten aktuellen Probleme der schwarzen „community“ entweder auf den gegenwärtigen Rassismus des US-amerikanischen Systems oder auf die Folgen der historischen Ausbeutung und Unterdrückung auf die kollektive Psyche zurückführt, ist im politischen Rap weit verbreitet.55

In dem Song „Us“ dagegen formuliert Ice Cube eine scharfe Selbstkritik der schwarzen Community, die konkret auf das Ghetto bezogen ist.

Could you tell me who released our animal instinct?

Got the white man sittin' there tickled pink

Laughin' at us on the avenue

Bustin' caps at each other after havin' brew

We can't enjoy ourselves

Too busy jealous... Of each other's wealth

Comin' up is just in me

But the Black community is full of envy

Too much back-stabbin'

When I look out the window I see all the japs grabbin'

Every vacant lot in my neighborhood

Build a store, and sell their goods

To the county of sips

You know us po' niggas: nappy hair and big lips?56

Ice Cube nennt die Probleme Alkoholismus und materielle Gewinnsucht beim Namen. Die gewalttätigen und ärmlichen Verhältnisse werden hier nicht auf von außen einwirkende Kräfte geschoben, sondern auf das Verhalten der Ghettobewohner selbst. Besonders scharf greift Ice Cube die Drogendealer an:

And all y'all dope-dealers...

Your as bad as the police- cause ya kill us

You got rich when you started slangin' dope

But you ain't built us a supermarket

So when can spend our money with the blacks

Too busy buyin' gold an' Caddilacs

That's what ya doin' with the money that ya raisin'

Exploitin' us like the Caucasians did

For 400 years - I got 400 tears- for 400 peers

Died last year from gang-related crimes

That's why I got gang-related rhymes

[…]

Sometimes I believe the hype, man

We're messin' up ourselves and blame the white man

But don't point the finger you jiggaboo

Take a look at yourself ya dumb nigga you

In der zitierten Strophe werden wieder populäre schwarznationalistische Positionen und Formulierungen aufgegriffen. Der Verweis auf die 400 Jahre Ausbeutung durch die „kaukasische“ Rasse, seit der Landung der ersten Sklavenschiffe, ist ein solcher Topos.57 Ice Cube verwandelt den historischen Begriff „400 years“ zu „400 peers“, die in Gangauseinandersetzungen starben und verknüpft so die historische mit der aktuellen sozialen Problematik. Er arbeitet damit der nationalistischen Rhetorik entgegen, kritisiert diese als Fingerzeig nach außen, während die wahren Probleme im Ghetto selbst liegen.

Während „Us“ also ein Umdenken verlangt, das die Energien und materiellen Ressourcen für positives lokales Engagement nutzbar macht, anstatt einem egoistischen Materialismus zu frönen, wird in dem auf dem gleichen Album veröffentlichten „Black Korea“ ein völlig anderer nationalistischer Ton angeschlagen. Der Song bezieht sich auf die hohe Anzahl asiatischer Ladenbesitzer in den Ghettos von Los Angeles, was bereits in „Us“ in der Zeile anklang, „When I look out the window I see all the japs grabbin'/Every vacant lot in my neighborhood”. Der Song ist insofern hier von Bedeutung, als in ihm die Frage einer sozusagen afro-amerikanischen Hoheit über das Ghetto auftaucht.

So don't follow me, up and down your market

Or your little chop suey ass 'll be a target

of the nationwide boycott

Juice with the people, that's what the boy got

So pay respect to the black fist

or we'll burn your store, right down to a crisp

And then we'll see ya!

Cause you can't turn the ghetto - into Black Korea58

Die Gegenüberstellung von schwarznationalistischer Rhetorik (“black fist”) und rassistischer Hetze baut ein klares Feindbild auf. As iaten werden als Fremdkörper, als Eindringlinge im Ghetto denunziert. Zwar begründet Ice Cube seine aggressive Rhetorik mit dem Rassismus der Gegenseite, dennoch findet hier ganz eindeutig eine Definition der Nation über die rassistische Abgrenzung gegenüber dem Anderen statt, und das bedeutet hier eindeutig auf Kosten einer anderen Minderheit.

Ein weit fundierteres nationalistisches, ghettozentristisches Programm findet sich in „True to the game.“59 Der Text handelt von der Problematik des sozialen Aufstiegs von Afro-Amerikanern in einer rassistischen Gesellschaft. In der ersten Strophe wird der Versuch des „passing“ über die Rassenschranken hinweg in eins mit dem lokalen (und damit auch sozialen) „passing“ aus dem Ghetto gesetzt.

Moving out your neighborhood

But I walk through the ghetto and the flavor's good

Little kids jumping on me

But you, you wanna be white and corny

Living way out

"Nigger go home" spray-painted on your house

Trying to be White or a Jew

But ask yourself, who are they to be equal to?

Get the hell out

Stop being an Uncle Tom, you little sell-out

House nigga scum

Give something back to the place where you made it from

Before you end up broke

Fuck around and get your ghetto pass revoked

I ain't saying no names, you know who

you are You little punk, be true to the game!60

Da die Integration in die weiße Gesellschaft am Rassismus der Weißen scheitern muß, ist das Ghetto die einzige Heimat der Afro-Amerikaner. Früher oder später, so läßt sich Ice Cubes Erzählung zusammenfassen, kommen sie alle wieder zurück, aber dann haben sie ihre Ghettozugehörigkeit verloren, haben sich zu „sell outs“, „oreos“ oder „Uncle Toms“ gemacht. Ice Cube setzt Gettozugehörigkeit und Schwarzsein hier in eins - ob er oder sie versucht, dem Ghetto zu entkommen oder aber versucht, sich den weißen Standards anzupassen, sogar als Weißer unter Weißen angenommen zu werden, scheint auf das Gleiche hinauszulaufen. Das „passing“ ist hier eindeutig ein Verrat an der eigenen Rasse und gleichzeitig an der Gemeinschaft des Ghettos.

Aber es geht Ice Cube um mehr als nur um die Wohnortwahl. Wer sozial aufsteigen kann, soll in die Community zurück investieren, anstatt ihr den Rücken zu kehren: „Give something back to the place where you made it from.” Am Ende des Songs erklärt eine gesamplte Frauenstimme, daß Ice Cube praktiziere, was er predige und nach wie vor in South Central, L.A. lebe und sein Geld in lokale Projekte investiere. Hier liefert der Sample ein Beispiel für die praktische Umsetzung der Theorie, verknüpft also Rap und Realität.

Tatsächlich scheint die Frage nach sozialem Aufstieg innerhalb des Ghettos prekär im Rap zu sein. Sowohl Ice Cube wie auch KRS-One thematisieren den Zusammenhang zwischen Ghetto und Armut wiederholt als ein komplexes Verhältnis. Ice Cube hat sich auf seinem jüngsten Album mit dem Song „Until we rich“61 explizit dazu geäußert. Aus seiner Position als wohlhabender, erfolgreicher Künstler heraus, ermuntert er junge Afro-Amerikaner, den Aufstieg im kapitalistischen System mit dem nötigen Pragmatismus zu wagen:

To the kids of the world that's waitin' for wealth

Waitin' for health, you better do for self

Homey that's yo' last cup

Forget about the fast buck; boy, get you ass up

People use yo' brain to gain

Do something that ain't never been done; and we can spend hun's

[…]

And homey we could do that (shit)!

Police have a fit, when yo' paper's legit

We gotta get off the phone, we gotta teach our own

Send your baby to school and she'll come back grown

We got to talk to our grandma's

And she'll help us through them dark halls, and them pitfalls

Everybody know we got the world to gain

We got to stop the pain, lord stop the rain.62

Dieser neoliberal anmutende Materialismus überrascht, weil sich hier der systemkritische schwarze Nationalismus auf einen ökonomischen Nationalismus zu verengen scheint. Der Zusammenhalt der Familie (die Hinwendung zur älteren Generation verstanden als Pflege der eigenen Ursprünge und der historischen Kontinuität), die Erziehung der Kinder und die euphorische Aufforderung des „we got the world to gain“, sind deutliche schwarznationalistische Topoi, die hier im Zusammenhang eines ökonomischen Selbsthilfeprogramms auftauchen, das mit seiner Idealisierung von Kreativität und Eigenverantwortung den ureigensten amerikanischen Pragmatismus widerspiegelt.

KRS-One vertritt diesen materiellen Pragmatismus ebenfalls auf seinem jüngsten Album, ergänzt durch die für seine Form von schwarzem Nationalismus typische psychologische Gewichtung:

What does the rich versus the poor really mean?

psychologically it means you got to pick your team

when someone says the rich get richer

visualize wealth and put yourselves in the picture

the rich get richer, cause they work towards rich

the poor get poorer, cause their minds can't switch

from the ghetto

let go,

it's not a novelty

you could love your neighborhood without loving poverty63

Hier wird Ghetto wieder zu einem Symbol für Armut: Ghetto bedeutet nicht etwa authentisches Schwarzsein, Solidarität oder gar kulturelle und politische Autonomie, sondern schlicht ein soziales Stigma. In der Verkürzung eines revolutionären schwarzen Nationalismus auf einen ökonomischen Nationalismus ist auch die Verkürzung des Ghettobegriffs auf seine ökonomische Konstituente bedingt. KRS-One weicht auf den neutralen Begriff „neighborhood“ aus. Während die letzte Zeile inhaltlich nichts anderes besagen will als Ice Cubes „True to the game“, so erfährt die begriffliche Konstruktion doch eine fundamentale Veränderung.

In dem 5 Jahre älteren „Black drug dealer“64 entwirft KRS-One ein sehr konkretes ökonomisches, nationalistisches Programm, das die Ansätze von Ice Cubes „True to the game“ radikalisiert. KRS-One spricht sich für ein Programm der Reinvestition in die eigene Community aus, das ohne Rücksicht auf moralische oder legale Aspekte allein auf die kapitalistischen Mechanismen abzielt. Der einprägsame Refrain lautet:

Black drug dealer, you have to wise up

And organize your business so that we can rise up

If your gonna sell crack then don't be a fool

Organize your money and open up a school65

Der Text gehört zu den radikalsten und pragmatischsten schwarznationalistischen Manifestationen, aber gleichzeitig zu den systemkonformsten. Die Opfer, die die Drogen fordern, nimmt KRS-One in Kauf, annehmend, daß die Existenz von Drogen einen Fakt darstelle.

One another, wake up my Hispanic brother,

my African brother America's not your mother

Or your father, so don't bother with right or wrong

Just check out the logic in the song

Organize, realize, become unhypnotized

To the lies that your livin' for the get high

See many people have forgotten the fact

That America was never ever built for Black

So when some people are gonna run and buy crack

Take the money and put it back into Black66

Geschichte taucht hier als Legitimation des Drogenhandels wieder auf - einmal in Form einer Negation („America’s not your mother“) die es ermöglicht, eine spezifische Moral abzulehnen und das andere Mal in vergleichender Form, bezogen auf die US-amerikanische Geschichte:

In the 30's and 40's a drug dealer wasn't black

They were Jewish, Italian, Irish, Polish, etc. etc.

Now in 90 their live's a lot better

They'll sell you a sweater, a pair of pants cold hearted

But first sellin' drugs and killin' people is how they started

Drug dealer, black and Hispanic, stop killin' one another

Cause in the ghetto we're all brothers

Organized economically, understand the psychology

America is the drug monopoly67

In dem Geschichtsexkurs wird die nationalistische Komponente besonders deutlich: KRS-One erzählt US-amerikanische Geschichte als Geschichte der verschiedenen Immigrantengruppen: Der „melting pot“ als Ansammlung verschiedener Nationen und Ethnien, die jede für sich in nationalistischer Exklusivität an ihrem Vorankommen arbeiten, und zwar mit illegalen Mitteln.

Ein weiterer Song KRS-Ones, „30 cops or more“,68 soll hier erwähnt werden, weil er eine gelungene Verbindung der verschiedenen schwarznationalistischen Komponenten seines Werks darstellt. KRS-One hat sich immer wieder ausführlich mit den mentalen Aspekten des Nationalismus auseinandergesetzt, zu denen sowohl eine nationalistisch idealisierte Geschichtskonstruktion, als auch eine teilweise esoterisch anmutende Idealisierung schwarzer Tugenden und Stärken gehören. In „30 cops or more“ verbindet er Kritik an der Polizeiwillkür im Ghetto mit schwarzem Selbstbewußtsein:

They [the cops] arrest us by the hour

Cause the black man in the ghetto has power

If he would wake up and unite

the police department would lose the fight69

Das Machtpotential liegt im Ghetto klar bei den schwarzen Einwohnern, nur nutzen diese es nicht. Würden die Ghettobewohner ihre Macht begreifen und revolutionäres Bewußtsein entwickeln, so KRS-One, wäre die Polizei (als institutionalisierter Gegner) klar unterlegen. Die Polizei weiß, daß sie zahlenmäßig und vermutlich auch strategisch unterlegen ist und versucht mit permanenter Verfolgung und Belästigung des Gegners diesen so weit einzuschüchtern und zu verunsichern, daß sich kein kollektives revolutionäres Bewußtsein entwickeln kann. In diesem Sinne ist auch der Refrain zu verstehen: „When they arrest a black man/they need 30 cops or more.”70 Der „black man“ ist für KRS-One jemand, der über ein revolutionäres Bewußtsein verfügt und sich dadurch von den mentalen Fesseln der Unterdrückung durch Rassismus und weißen Kapitalismus befreit hat, der schwarznationalistische Idealtypus. Aus der Angst des Systems vor diesem „black man“, dessen mentale Verfassung ihn im übertragenen Sinne auch physisch überlegen macht, erklärt sich auch die massive Polizeipräsenz im Ghetto.

Unterlegt ist der Song von einer Reihe Samples aus Melvin Van Peebles Film „Sweet Sweetback’s Baadassss Song“, in dem der schwarze Held aus dem Ghetto von einer Horde Polizisten gehetzt wird, weil er sich gewaltsam gegen willkürliche Polizeigewalt zur Wehr gesetzt hat. KRS-One bezieht sich damit klar auf einen der ersten revolutionären schwarzen Filme und stellt sich in dessen Tradition. Durch das Sample wird der populäre Held des Films zu KRS-Ones „black man“, der von „30 cops“ verfolgt wird, wodurch der Song gleich ein illustres Beispiel der vertretenen These mitliefert.

2. Ergebnis und Schlußbetrachtung

In der Analyse wurden die verschiedenen Formen deutlich, in denen das Ghetto im Rap repräsentiert wird. Dabei wurden folgende 4 Aspekte der Repräsentation getrennt voneinander untersucht: Ghettoerzählungen, verstanden als epische Schilderungen der Gewalt im Ghetto und deren Bedingungen und Implikationen; die Art der Verwendung expliziter Ortsangaben und Personengruppen aus dem Umfeld des Rapkünstlers und die Bedeutung derselben; die Behandlung von Ghettothematiken, verstanden als konkrete, gesellschaftliche oder politische Aspekte des Ghettolebens; und schließlich ghettozentristische, schwarznationalistische Kommentare. Aus der Analyse lassen sich grob folgende Ergebnisse festhalten:

a) Die Thematisierung des Ghettos im Rap hat als wesentliche Funktion eine identifikatorische. „Gangstatales“ versuchen, eine positive Identifikation der Hörer mit einem Ghettoheldentum zu schaffen. Dabei sind die hier analysierten Texte durchaus kritisch, was die Idealisierung und Mythisierung von Gewalt und Illegalität betrifft. Die Ghettodarstellung soll in diesem Zusammenhang eine möglichst authentische Milieuschilderung sein, deren Sprache durch die Verwendung ghettospezifischer Slangausdrücke oft an die Grenze zu einem exklusiven Code stößt, der wiederum über die Exklusion die Identifikation zu erhöhen im Stande ist.
b) Daß diese Identifikation positiv sein kann, ist das Ergebnis der kreativen Umdeutung eines gesellschaftlichen Stigmatas in einen positiven schwarznationalistischen Topos sowohl über den Weg des Ghettomythos, wie auch über die Behauptung einer autarken und vitalen Ghettokultur (Hip Hop) mit einer eigenen Tradition.
c) Die Thematisierung der konkreten Orts- und Gruppenzugehörigkeit im Rap funktioniert ebenfalls identitätsstiftend, jedoch eher bezogen auf den Künstler selbst, der sich durch die Namensnennung sowohl einer speziellen Tradition im Hip Hop, wie auch einer künstlerischen Gemeinschaft versichert. Die Bedeutung der Lokalitäten wie auch der Personengruppen ist darüber hinaus als eine künstlerische Umsetzung des Erlebens eines durch Gangrivalitäten segmentierten urbanen Lebensraums zu verstehen. Das kriminelle Element der Gangkultur wird ersetzt durch die künstlerische Zusammenarbeit der „crew“ oder „posse“ und der Identifikation eines Stadtteils mit seinen Künstlern und umgekehrt.
d) Die Ghettodarstellung im Rap stellt auch einen Versuch dar, die Deutungshoheit über den eigenen Lebensraum gegenüber einer fremden Medienmacht zu behaupten.
e) Der Begriff Ghetto steht im Rap gleichzeitig für kulturelle Authentizität, die es angesichts eines durchkommerzialisierten Bereiches wie der Popmusikproduktion zu behaupten gilt. Authentizität ist dabei sowohl eine ästhetische wie auch eine politische Frage.
f) Schließlich finden sich explizit schwarznationalistische ghettozentristische Positionen, die ein nationalistisches Programm vor dem Hintergrund des Ghettos oder aus dem Ghettomythos heraus zu entwickeln versuchen.

Die hier aufgezählten Funktionsweisen der Ghettorepräsentation im Rap sind nicht selbstverständlich schwarznationalistisch. Tatsächlich ergeben sich eine Reihe von Problemen, versucht man diese Repräsentationsformen im Sinne eines systemkritischen schwarzen Nationalismus fruchtbar zu machen. So stellt sich allein schon die Frage, an wen sich gesellschafts- oder systemkritischer Rap richten sollte. Der sehr komplexe sprachliche Code, zusammengesetzt aus Ghettospezifika, Abkürzungen und Slangbegriffen führt dazu, daß Rap sich in weiten Teilen als Informationsmedium nicht eignet. Damit wäre die Ghetto- Repräsentation im Rap weitestgehend auf seine identifikationsstiftende Funktion beschränkt.

Die Ghettoerzählungen im Rap greifen erkennbar die Tradition der Blaxploitationfilme und der Ghettoerzählungen Iceberg Slims und anderer Autoren der sechziger und siebziger Jahre auf, in der über die Identifikation mit dem Ghetto-Actionhelden eine positive Manifestation von Ghettoexistenz möglich wird.71 Das Ghetto wird klar als afro-amerikanischer Lebensraum definiert, wodurch die Ghettoerzählungen zu einem schwarznationalistischen Kulturgut werden. Der Ghettoheld selbst wird gerade wegen seiner sich gegen die geltenden weißen, vom revolutionären Nationalismus als verlogen enttarnten, Moralvorstellungen und Rechtsvorschriften stellenden illegalen Handlungen, zu einem schwarznationalistischen Mythos. Dabei scheint die Frage nach einer alternativen Moral, die die Maßstäbe der Unterdrücker ersetzen kann, keineswegs einfach zu beantworten, wie sowohl die bemühten Konstruktionen von Recht und Strafe im Blaxploitationkino (wie im Actionkino überhaupt), wie auch die disparat erscheinenden Haltungen gegenüber Gewalt im Rap zeigen. Es stellt sich also die Frage, wie sich auf der Konstruktion eines Ghettomythos eine emanzipatorische und normative schwarznationalistische Position aufbauen läßt?

Im Rap lassen sich scheinbar entgegengesetzte Aussagen zu Gewalt - Gewaltverherrlichung einerseits und die Ablehnung von Gewalt und Verbrechen andererseits - mit dem Spiel der Identitäten erklären, das in dieser Kunstform zentral ist. Der Actionheld Ice Cube etwa muß dabei klar unterschieden werden von dem politischen Kommentator. Gleichzeitig ist Rap nie nur politischer Kommentar und nie nur Entertainment, was seine Rezeption so schweirig macht. Die Vermischung der beiden Ebenen in fast jedem der hier rezipierten Raptexte, ergibt ein sehr komplexes Konstrukt von kulturellem Nationalismus. Daher sind die Gewaltphantasien in vielen Ice-Cube-Texten in ihrer Idealisierung von Unerschrockenheit und Respektlosigkeit des schwarzen Ghettohelden gegenüber einem repressiven weißen System, das die Unterordnung divergierender Identifikationen unter das nationale Konstrukt USA verlangt, durchaus schwarznationalistisch. Das Ghetto wird zum Freiraum für divergierende Identifikationen und Wertmaßstäbe umdefiniert, deren Attraktivität sich aber alleine auf ihre Andersartigkeit stützt. Diese im Grunde rein negativen Wertmaßstäbe gehen sodann im Ghettomythos auf, wo sie zu authentischem Schwarzsein und einem kritischen, selbstbestimmten Lebensentwurf überhöht werden. Aber gerade ein sich nur über Negation definierender Lebensentwurf ist alles andere als frei und revolutionär. Ebenso ist die Idealisierung von Gewalt als Ausdruck einer oppositionellen Haltung eine äußerst zynische und letztlich destruktive Strategie, da sich diese Form von unkontrollierter Gewalttätigkeit verselbstständigt.

Sowohl Ice Cube wie auch KRS-One sind sich dieser Problematik offensichtlich bewußt. An ihrem Werk kann insgesamt keine einseitige Mythisierung des Ghettobegriffs abgelesen werden. Stattdessen handelt es sich meist um ein kreatives Spiel mit dem Mythos, bei dem die heroisierende und idealisierende Tendenz in der Ghettodarstellung immer wieder durch drastischen Realismus, Ironie und eine bewußte Demontage der Hip Hop-Klischees gebrochen wird. Die Darstellung von Illegalität und Gewalt ist mehrfach gebrochen, wodurch sich m. E. tatsächlich eine emanzipatorische Kraft des Rap entwickeln kann. In der Festlegung von Rap auf Ghetto-Musik, wie sie KRS-One normativ formuliert, handelt es sich weit mehr um ein strategisches schwarznationalistisches Programm als um ein ästhetisches. Gerade KRS-One hat den Rap musikalisch immer wieder zu anderen Musikstilen hin geöffnet und starke Einflüsse von Reggae und Soul zugelassen. Gleichzeitig ist er wie kaum ein zweiter MC um die Aufrechterhaltung des „raw ghetto sound“72, des reinen, wahren Rapsounds bemüht. Harter und ursprünglicher Klang des Raps bedeutet für KRS-One die Verbindung zu dessen soziokulturellen Wurzeln. Eine kommerziell erfolgreiche und universalistische Kunstform soll über dieses ästhetische Programm fest an das urbane, ethnische und proletarische Milieu seines Ursprungs gebunden werden, wodurch sich erstens dieses Milieu mit dem (nicht zuletzt kommerziellen) Erfolg der Kunstform identifizieren soll, und zweitens die Kunstform als Anwalt der Unterprivilegierten verpflichtet wird. Der „raw ghetto sound“ verlangt also vor allem eine thematische Konzentration auf das Ghetto und dessen soziale und politische Implikationen.

Insgesamt läßt sich im Rap ein weitestgehend positives Ghettobild feststellen. Sozialer Aufstieg, wie ihn die Rapmusiker über ihre Kunst praktizieren, soll kein „getting out of the ghetto“ mehr bedeuten, wie das im Soul und Funk der siebziger Jahre bei aller positiven Identifikation noch der Fall war. Stattdessen wird die Verantwortung für und die Förderung des Lebensraums Ghetto proklamiert. Das Verhältnis zum Ghetto ist trotz der in der Analyse aufgezeigten Ambivalenz durchaus positiv. Diese entschiedene und doch differenzierte Umdeutung eines gesellschaftlichen Stigmas in eine positive identifikatorische Komponente ist m. E. ein sehr avanciertes und komplexes Beispiel der emanzipatorischen Praxis ghettozentristischer afro-amerikanischer Kultur. Zumal sich, wie am Beispiel von KRS-Ones „30 cops or more“ gezeigt wurde, auf der identifikatorischen Kraft des Ghettobegriffs durchaus ein revolutionäres schwarznationalistisches Bewußtsein und Programm aufbauen ließen.

Bemerkenswert ist, daß es sich in den analysierten Beispielen zwar mitunter um schwarznationalistische Positionen handelt, die Ghetto-Repräsentation im Rap jedoch diesen Rahmen hin zu einem revolutionären Klassenbewusstsein nicht überschreitet. Die Ghettoidentifikation mündet an keinem Punkt in einen durchaus vorstellbaren Ghettonationalismus. Es überwiegt die identifikatorische Kraft des Ethnischen gegenüber dem Sozialen. Selbst KRS-Ones emphatisches „in the ghetto we’re all brothers“73 darf nicht als ein Ausdruck revolutionären Klassenbewußtseins mißverstanden werden. Stattdessen plädiert er für ein Nebeneinander ethnischer Nationalismen - ganz abgesehen davon, daß der Song einen gnadenlosen Raubtierkapitalismus propagiert. In seinem Bemühen, starke Identifikationsmuster zu erschaffen, tendiert schwarznationalistischer Rap offenbar dazu, rassistische Vorurteile und Herrschaftsmuster unreflektiert zu übernehmen, statt sie kreativ gegen die Herrschaft zu wenden. Wie auch Ice Cubes „Black Korea“, in dem ethnische Minderheiten den Rassismus des US- amerikanischen Systems perpetuieren und gegeneinander wenden, erschreckend deutlich zeigt, ist der kulturelle schwarznationalistische Ghettozentrismus im Rap weit davon entfernt, eine kritische Kraft im Sinne einer konsequenten System-, Rassismus- und Kapitalismuskritik darzustellen. Die sehr systemkonformen neoliberalen Anwandlungen auf den jüngsten Alben beider Künstler, bis hin zur erneuten restaurativen Umdeutung des Ghettobegriffs, zeigen m. E. deutlich die Schwächen des kulturellen schwarzen Nationalismus.

Quellenverzeichnis

Literatur in alphabetischer Reihenfolge:

Chuck D. Interview. In: Nationconscious Rap. Joseph D. Eure und James D. Spady (Hg.). New York: 1991. S. 335 - 342

Cross, Brian. It’s not about a salary… Rap, Race + Resistance in Los Angeles. New York: 1993.

Darden, Joe T. Definition of Ghetto: Concensus versus Nonconcensus. In: The Ghetto. Readings with Interpretations. Joe T. Darden (Hg.). Port Washington/London: 1981. S. 5 -14

Massey, Douglas S. und Nancy A. Denton. American Apartheid. Segregation and the Making of the Underclass. Cambridge, London: 1993.

Rose, Tricia. Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America. Hannover, N.E.: 1994

Scharenberg, Albert. Schwarzer Nationalismus in den USA. Das Malcolm X- Revival. Münster: 1998.

Wirth, Louis. The Ghetto. In: The Ghetto. Readings with Interpretations. Joe T. Darden (Hg.). Port Washington/ London: 1981 S. 15 -26

Schallplatten/ CDs in chronologischer Reihenfolge nach Interpreten geordnet:

Ice Cube:

AmeriKKKa’s most wanted. Priority Records, Hollywood: 1990

Death Certificate. Priority Records, Hollywood: 1991

The Predator. Priority Records, Hollywood: 1992

Lethal Injection. Priority Records, Hollywood: 1993

War & Peace Vol.1: The war disc. Priority Records, Hollywood: 1998

War & Peace Vol.2: the peace disc. Priority Records, Hollywood: 2000

Various Artists. “Boyz ’n’ the hood”: Music from the Motionpicture. Wea/ Warner Brothers, New York: 1992

BDP:

Criminal Minded. (Erstveröffentlichung: 1987) Neuveröffentlichung: Hits of Sugar Hill Records, New York: 1991.

By all means necessary. Zomba Recording Corporation, New York: 1988

Ghetto Music: The blueprint of hip hop. Zomba Recording Corporation, New York: 1989

Edutainment. Zomba Recording Corporation, New York:1990

Live Hardcore Worldwide. Zomba Recording Corporation, New York: 1991 Sex & Violence. Zomba Recording Corporation, New York: 1992 KRS-One:

Return of the Boom Bap. Zomba Recording Corporation, New York: 1993

KRS-One. Zomba Recording Corporation, New York: 1995

I got next. Zomba Recording Corporation, New York: 1997

[...]


1 Massey und Denton schreiben 1993: „The term ghetto means different things to different people. To some observers it simply means a black residential area; to others it connotes an area that is not only black but very poor. […] For our purposes, a ghetto is a set of neighborhoods that are exclusively inhabited by members of one group, within wich virtually all members ot that group live. By this definition, no ethnic or racial group in the history of the United States, except one has ever experienced ghettoization, even briefly. For urban blacks, the ghetto has been the paradigmatic residential for at least eighty years.” Douglas S. Massey, Nancy A. Denton, “American Apartheid. Segregation and the Making of the Underclass”, S. 18. f. Zur Entwicklung des Begriffs bis Ende der Siebziger Jahre vgl.: Louis Wirth, „The Ghetto“ und Joe T. Darden, „Definition of Ghetto: Concensus versus Nonconcensus“, In: Joe T. Darden (Hg.), “The Ghetto. Readings with Interpretations”, S. 5 -26

3

2 Vgl. zum Begriff des schwarzen Nationalismus u.a.: Albert Scharenberg, „Schwarzer Nationalismus in den USA. Das Malcolm X-Revival“, Kapitel 2 und 3.

3 Vgl. hierzu u.a. Tricia Rose, “Black Noise. Rap Music and Black Culture in Contemporary America” und Brian Cross, “It’s not about a salary… Rap, Race + Resistance in Los Angeles”.

4 Vgl. Tricia Rose, ebd., Kapitel 3

5 Bedeutend ist hierbei vor allem die billige Audiotechnik meist japanischer Herkunft, die in den achtziger Jahre in den Ghettos zugänglich wird.

6 Tricia Rose, ebd., S. 21

7 „The Message“ von Grandmaster Flash & The Furious Five von 1982 gilt als erste politische Rapveröffentlichung. Der Begriff „message rap“ für politischen oder sozialkritischen Rap geht darauf

8 Die ersten von Ice Cube verfaßten „rhymes“ sind auf „Boyz ’n’ the hood“ von 1986 zu hören, gerapt von Eazy-E. Beide zusammen mit Dr. Dre und anderen gründen kurz darauf die Gruppe NWA, die die Alben „Straight outta Compton“ und „Eazy duz it“ veröffentlicht. Dabei entsprechen sich kommerzieller Erfolg und Lob aus der Hip Hop-Gemeinschaft und öffentliche Kritik und Ablehnung seitens konservativer Medien. Die erhitzte öffentliche Debatte, unter anderem um den Titel „Fuck tha Police“ hebt den StelIenwert des Albums „Straight outta Compton“ ungemein. Ice Cube trennt sich bereits im folgenden Jahr von NWA und veröffentlicht 1990 sein erstes Soloalbum, „AmeriKKKa’s most wanted“. Bis 2000 folgen 5 weitere Alben und eine EP sowie diverse Kollaborationen. KRS-One und DJ Scott La Rock gründen 1986 in der Bronx, N.Y., die Boogie Down Productions, nachdem sie bereits seit 1984 unter verschiedenen Bandnamen Raps veröffentlichen. Während der Produktion des zweiten Albums „By all means necessary“ fällt DJ Scott La Rock einem Mord zum Opfer. KRS-One führt die posse weiter und veröffentlicht 3 weitere Studioalben und ein Livealbum, bis er sich 1992 von dem Namen BDP und seinen Mitstreitern trennt. Seitdem hat er drei Alben unter seinem eigenen Namen veröffentlicht, sowie diverse Remix- und Best-of-Alben (u.a. ein Album in memoriam Scott La Rock).

9 Weder der Begriff „Gangstarap“ noch der von mir verwandte Begriff „politischer Rap“ (in der Literatur häufig auch „message rap“) sind sehr präzise Beschreibungen. Während „Gangstarap“ meistens als spezifisches Westcoast-Phänomen verstanden wird, zitiert Brian Cross BDPs erstes Album „Criminal minded“ als eines der ersten „Gangstarap“-Alben (veröffentlicht wenige Monate vor dem legendären ersten L.A. „Gangstarap“-Album „Straight outta Compton“ von NWA). Vgl. Brian Cross, ebd., S. 24.

10 Selbst in Songs wie „True to the game“ (In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991) oder „Lil ass gee“ (In: Ice Cube, “Lethal Injection“, 1993), in denen Erzähler und Protagonist klar getrennt sind, taucht der Erzähler in der Geschichte auf und greift mehr als nur kommentierend ein. In „Lil Ass Gee“ wechselt Ice Cube innerhalb einer Strophe zwischen 3. und 2. Person: “Now he's straight Crip, or Blood/Now ya sag, you use the blunt/[…] But I ain't surprised/It's 12 months later, year, I see you got a little size.”

11 In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

12 In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1993

13 “Colorblind”, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

14 “AmeriKKKa’s most wanted”, In: Ice Cube, “AmeriKKKa’s most wanted”, 1990 8

15 ders., ebd. Die Bezeichnung „with a color“ würde in anderem Kontext vermutlich auf die Farben der rivalisierenden Gangs verweisen, wie etwa in dem Ice Cube Song „Colorblind“, wo bewußt mit der Doppeldeutigkeit des Titels in diesem Zusammenhang gespielt wird. Da in dem hier zitierten Song aber Gangzugehörigkeit nicht thematisiert wird, bezieht sich die Formulierung höchst wahrscheinlich auf die nicht weiße Hautfarbe, etwa im Sinne von „all people of color“.

16 In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1993

17 In: ebd.

18 In: Ice Cube, “Death Certificat”, 1991

19 In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1993

20 In: Ice Cube, “The predator”, 1992

21 “Who got the camera?”, In: Ice Cube, “The Predator”, 1992

22 In: BDP, “Ghettomusic: the blueprint of hip hop”, 1989 10

23 „9mm goes bang“ In: BDP, “Criminal minded”, 1987

24 Gleiches gilt auch für die Ghettoerzählungen „Bo! Bo! Bo!“ (In: BDP, “Ghettomusic: The blueprint of hip hop”, 1989) und „100 guns“ (In: BDP, “Edutainment”, 1990)

25 In: Ice Cube, “The Predator”, 1992

26 “It was a good day”, ebd.

27 “It was a good day”, ebd.

28 „It was a good day“, ebd.

29 „It was a good day”, ebd.

30 Beide In: BDP, „Criminal Minded“, 1987

31 „to dis someone“ (abgeleitet von „to disrespect“) bedeutet im Hip-Hop-Slang jemanden zu erniedrigen oder ihm übel mitzuspielen. (Vgl. u.a. BDP, “Love’s gonna getcha”: “I can't believe that Rob would dis me,/ that faggot, that punk, he's soft as sissy”) Bei sogennanten „battles“ versuchen MCs sich in ihren „dissing skills“ zu messen, indem sie möglichst wortreich den Gegner beleidigen. In gewisser Weise handelt es sich bei „battle-“ oder „dis“-Songs um ein eigenes Genre innerhalb des Rap. Das kompetitive „dissing“ ist jedoch fester Bestandteil des Raps schlechthin.

32 “The bridge is over”, ebd.

33 “South Bronx”, ebd. Die South Bronx gilt inzwischen allgemein als die Geburtsstätte des Hip Hop. Vgl. dazu. Tricia Rose, ebd., Kapt. 2

34 “South Bronx”, ebd.

35 In: BDP, “Edutainment”, 1990

36 “Ya know the rules” In: BDP, “Edutainment”, 1990

37 “Ya know the rules”, ebd.

38 Sowohl an der East- wie an der Westcoast standen und stehen Rap und Gangaktivität in einem engen Zusammenhang. Während in New York sich die Gangszene etwa um den Zeitpunkt auflöste, als Graffiti und Rap aufkamen, wobei die eine Entwicklung die andere begünstigte, waren Gangs in L.A. in den neunziger Jahren sehr aktiv. Diverse Westcoast-Rapkünstler setzten sich Anfang der neunziger Jahre explizit mit der Problematik auseinander (u.a. Ice Cube in „Colorblind“). Vgl. dazu: Brian Cross, ebd., S. 29 ff.

39 In: BDP, “Ghetto Music: The blueprint of hip hop”, 1989

40 “Why is that”, In: BDP, “Ghetto Music: The blueprint of hip hop”, 1989

41 So in der folgenden Erzählung über eine Verfolgungsjagd mit der Polizei: “Saw a chopper with numbers on the bottom/"Calling all cars, I think we've got em."/I hit the gas and I mashed past Inglewood/I think I drove through every single hood/South Central, Compton and Watts/ Long Beach, bust a U, here come the cops” („Ghetto bird“, In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1993)

42 „The Predator“, In: Ice Cube, “The Predator”, 1992

43 “Ice Cube and I'm rolling with the motherfuckin L.M./It's the number one crew in the area/Make a move for your gat and I'll bury ya/Ashes to ashes, dirt to dirt/Punks roll when I put in work/cause Lench Mob niggaz are the craziest/And y'all motherfuckers can't fade my shit/South Central, that's where the Lench Mob dwell/Hittin fools up with the big ass L.” (“Wrong nigga to fuck with”, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991)

44 “Colorblind”, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

45 “How to Survive in South Central”, In: Div., “Boyz ‘n’ the hood Soundtrack”. Der Film “Boyz ‘n’ the hood“ setzte gewissermaßen filmisch das South Central Ice Cubes auf die kulturelle Landkarte und begründete das Genre des Ghettofilms der 90er Jahre.

46 Beide Zitate: “How to survive in South Central”, ebd. Der Vergleich mit Vietnam ist hier wohl nicht auf die Kolonialismustheorie der Black Power Bewegung bezogen, sondern auf das US-amerikanische Kriegstrauma in Vietnam, wie auf eine diffuse Vorstellung von Dritte Welt Verhältnissen im Allgemeinen. Mike Davis zitiert Politiker, die auf Gangs bezogen genau die selben Bilder benutzen: „The <them> - what one local major calls << the Vietcong abroad in our society>> - are the members of local Black gangs. [...] Local politicians frequently compare them to <<the murderous militia of Beirut>>.“ (Mike Davis zitiert nach Brian Cross, ebd., S. 30)

47 Chuck D. Interview, In: Joseph D. Eure, James D. Spady (Hg.), “Nationconscious Rap”, S. 336

48 „Alive on arrival“, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

49 “Alive on arrival”, ebd.

50 In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

51 In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1993

52 a.a.O.

53 “Is he in Watts, Oakland, Philly or Brooklyn?/It seems like he got the whole country behind him/so it's sort of hard to find him” (“I want to Kill Sam”, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991)

54 “Now in ninety-one, he [Uncle Sam] wanna tax me./I remember, the son of a bitch used to axe me.” (ebd.)

55 “Try to give me the H-I-V/so I can stop makin babies like me./And you're givin dope to my people, chump/Just wait til we get over that hump.” (ebd.)

56 „Us“, In: Ice Cube, “Death Certificate”, 1991

57 “400 years of gettin’ our ass kicked/by so called Christians and Catholics” (“When I get to heaven”, Ice Cube, „Lethal Injection“, 1993)

58 “Black Korea”, In: Ice Cube, “Death Certificat“, 1991

59 In: Ice Cube, „Death Certificate“, 1991

60 „True to the game“, In: Ice Cube, “Lethal Injection”, 1991 21

61 In: Ice Cube, “War & Peace Vol. 2: The Peace Disc”, 2000 22

62 a.a.O.

63 “2nd Quarter: Free Throws”, In: KRS-One, “I got next”, 1997 23

64 In: BDP, “Sex and Violence”, 1992

65 „Black drug dealer“, ebd.

66 ebd.

67 ebd.

68 In: BDP, “Edutainment“, 1990

69 “30 cops or more.” In: BDP, “Edutainment”, 1990

70 ebd.

71 Darauf deuten auch die häufigen Verweise auf diese Genres im Hip Hop hin, wie u.a. in KRS-Ones „30 cops or more.“ „Pimp“, eine Bezeichnung für schwarze Zuhälter vor allem in den siebziger Jahren, wird häufig analog zum „Gangsta“ verwendet.

72 Vgl. unter 2.

73 „Black drug dealer“, ebd. Vgl. Kapitel 3.5

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
"Ghettomusic": Ghettozentrismus als schwarznationalistische Strategie im Rap
Autor
Jahr
2001
Seiten
32
Katalognummer
V102901
ISBN (eBook)
9783640012817
Dateigröße
426 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eigentlich eine kulturwissenschaftlichs-Arbeit aber im Fach Politik eingereicht.
Schlagworte
Ghettomusic, Ghettozentrismus, Strategie
Arbeit zitieren
Jan-Philipp Possmann (Autor:in), 2001, "Ghettomusic": Ghettozentrismus als schwarznationalistische Strategie im Rap, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/102901

Kommentare

  • Gast am 17.12.2001

    ghettomusic.

    ist der beitrag rassistisch gemeint?

Blick ins Buch
Titel: "Ghettomusic": Ghettozentrismus als schwarznationalistische Strategie im Rap



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