Stressbewältigung durch Achtsamkeit in der Grundschule


Bachelorarbeit, 2021

49 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitende Gedanken

2. Achtsamkeit und MBSR
2.1. Grundhaltungen der Achtsamkeit
2.2. Stress durch Achtsamkeit begegnen

3. Achtsamkeit und Schule

4. Stress bei Kindern und Jugendlichen

5. Die Haltung der Lehrenden
5.1. Entwicklung einer Achtsamkeitspraxis
5.1.1. Formelle Meditationspraxis
5.1.2. Empfehlungen für die Praxis
5.1.3. InformellePraxis
5.2. Achtsame acht Wochen

6. Achtsamunterrichten
6.1. Das achtsame Klassenzimmer
6.2. Lernatmosphäre und Beziehungsgestaltung

7. Achtsamkeit unterrichten
7.1. Eine besondere Zeit
7.2. Hilfestellungen bei der Umsetzung
7.3. Aufbau einer Achtsamkeitslektion
7.4. Ausgewählte Übungen

8. GIK- Gesundheit, Integration und Konzentration- Achtsamkeit in Solinger Grundschulen

9. Abschließende Gedanken

Literaturverzeichnis

1. Einleitende Gedanken

Die heutige Gesellschaft ist zunehmend geprägt von Reizüberflutungen, Hektik und Stress. Die virtuellen Medien nehmen in der Gesellschaft immer mehr Platz ein und die Digitalisierung schreitet täglich voran. Wir sind umgeben von unzähligen Eindrücken, zunehmender Ruhelosigkeit und die Verbindung zur Natur rückt immer weiter in die Ferne. Hinzu kommen fehlende Erholungsphasen und die zunehmende Orientierung im Außen. So oder zumindest so ähnlich sieht der Alltag vieler erwachsener Menschen aus. Im Hinblick auf diese Zustände kommt schnell die Frage nach den Kindern der heutigen Zeit auf. Sie werden in all die Hektik und den Stress hineingeboren und müssen im besten Fall Strategien entwickeln, um damit umzugehen.

Die wachsende Belastung durch Stress und die schwindende Aufmerksamkeitsspanne mit all ihren Auswirkungen ist auch im Kontext Schule angekommen. Lehrkräfte und Schülerinnen kommen an ihre Belastungsgrenzen. In der vorliegenden Arbeit soll es darum gehen, auf diese enorme Belastungssituation mit Achtsamkeit zu reagieren. Es sollen Wege aufgezeigt werden, wie Schule ein Ort des achtsamen Miteinanders werden kann.

Wenn es darum geht, das Thema Achtsamkeit in die Schule zu bringen, so beschreibt K. Hawkins drei wesentliche Ebenen, auf denen das geschehen kann. Grundlegend ist die Haltung der Lehrkräfte. Im ersten Schritt geht es darum die Fachkräfte mit dem Thema Achtsamkeit und den verschiedenen Übungen vertraut zu machen. Im nächsten Schritt kann die achtsame Präsenz der Lehrkraft auf das Unterrichtsgeschehen einwirken und es kann eine neue Lernatmosphäre für die Kinder entstehen. Nachdem diese beiden Schritte ihre Wirkung gezeigt haben, können Achtsamkeitsübungen mit den Schülerinnen durchgeführt werden.

Ziel dieser Arbeit ist es mittels einer Literaturrecherche der Frage nachzugehen, wie Achtsamkeit in die Grundschule gebracht werden und dabei für mehr Wohlergehen sorgen kann. An dieser Stelle ist anzumerken, dass diese Arbeit sehr praktisch gestaltet ist. Das heißt, dass die drei Hauptkapitel viele verschiedene Praxisbeispiele, Übungen sowie Anregungen beinhalten, um aufzuzeigen, wie die Implementierung konkret umgesetzt werden kann.

Die Arbeit begrenzt sich auf die Grundschule und die Kinder im jeweiligen Alter. Des Weiteren bezieht sich die Arbeit auf die Auswirkungen von achtsamkeitsbasierten Übungen auf die Lehrkräfte und Kinder in der Grundschule.

Ich möchte an dieser Stelle anmerken, dass Achtsamkeit im schulischen Kontext nicht als Allheilmittel für alle Probleme gesehen werden soll. Es soll auch nicht als verdeckte Strategie zur Verhaltensmodifikation der Kinder verstanden werden. Es ist wichtig, hervorzuheben, dass für die Implementierung das nötige Know-How gebraucht wird und es ein zeitlicher Prozess ist. Diese Arbeit möchte Achtsamkeit als Möglichkeit sehen, auf den stressigen Schulalltag zu reagieren.

2. Achtsamkeit und MBSR

Das Wort Achtsamkeit ist heutzutage in vielen Zeitschriften oder Ratgebern vorzufmden. Wenn von Achtsamkeit die Rede ist, kommen vielleicht Assoziationen zum Yoga, zur Meditation oder zum Buddhismus auf. Es gibt verschiedene Auffassungen zur Bedeutung der Begrifflichkeit „Achtsamkeit“. Im Duden wird Achtsamkeit als eine Verhaltensweise beschrieben und es werden Synonyme genannt wie Aufmerksamkeit, Augenmerk, Genauigkeit oder Gründlichkeit (DUDEN: 2021).

Achtsamkeit als Konzept muss allerdings Weiter gesehen werden. Für den Rahmen dieser Arbeit möchte ich die Auffassung von Achtsamkeit (engl. mindfulness) des Molekularbiologen Prof. Dr. Jon Kabat- Zinn heranziehen:

„Im Grunde ist Achtsamkeit ein ziemlich einfaches Konzept. Seine Kraft liegt in der praktischen Umsetzung und Anwendung. Achtsamkeit beinhaltet, auf eine bestimmte Weise aufmerksam zu sein: bewusst, im gegenwärtigen Augenblick und ohne zu Urteilen“ (Kabat-Zinn 1994/2019: 20).

Achtsamkeit kann dabei helfen automatisch ablaufende Denkmuster leichter zu erkennen und zu verstehen. Oft passiert es, dass der automatische Funktionsmodus des Körpers, der so genannte „Autopilot- Modus“ sich einstellt, womit einher geht, dass eine wichtige Dimension des Lebens und Erlebens vernachlässigt wird, und zwar der eigene Körper (vgl. ebd.: 60).

Jon Kabat-Zinn entwickelte Ende der 1970er Jahre an der Universitätsklinik in Worchester (USA) das MBSR Programm: Mindfulness- Based Stress Reduction (auf Deutsch: Stressbewältigung durch Achtsamkeit). Es wurde ursprünglich entwickelt, um chronische Schmerzen zu behandeln, als Ergänzung zur traditionellen Behandlung. Es dauerte nicht lange, bis es auch für andere stressbedingte Krankheiten eingesetzt wurde. Inzwischen wird es als Präventionsprogramm gegen Stress von den Krankenkassen anerkannt, ist weltweit verbreitet und wird in den verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt. Die Übungen, die im achtwöchigen Kurs durchgeführt werden, sind inspiriert von der buddhistischen Vipassana- und Zen- Tradition. Verbunden werden die Meditations- und Achtsamkeitsübungen mit ausgewählten Yoga- Übungen und dem Wissen der westlichen Psychologie und der Stressforschung (vgl. Krämer 2019: 29). Die MBSR Kurse finden in einer strukturierten und säkularisierten Form statt. Das heißt, dass lediglich die Techniken der buddhistischen Achtsamkeitspraxis unterrichtet werden, ohne expliziten Bezug auf den buddhistischen Kontext zu nehmen (vgl. Schmidt 2015: 32).

Inzwischen gibt es zahlreiche Studien, die die Wirksamkeit des MBSR Programms hinsichtlich der Stressbewältigung untersucht haben. Diese zu benennen, würde das Ausmaß dieser Arbeit überschreiten. Aus diesem Grund möchte ich allgemeine Auswirkungen nennen, die durch eine kontinuierliche Achtsamkeitspraxis verbessert werden können. Basierend auf den bisherigen Studien haben Britta Hölzel et al. ein Modell entwickelt, welches die Mechanismen beschreibt, wie Achtsamkeitsmeditation wirken könnte. Die Ergebnisse legen offen, dass die Achtsamkeitsmeditation Wirkung zeigt, in dem sie Einfluss auf drei unterschiedliche, aber eng interagierende Bereiche nimmt. Zum einen stärkt sie die Aufmerksamkeitsregulation, verbessert zweitens die Emotionsregulation und bewirkt drittens Veränderungen im Selbsterleben. Die verschiedenen Bereiche bringen im Zusammenspiel eine verbesserte Selbstregulation hervor. Das bedeutet, dass die Funktion der Vorgänge, mit denen Menschen ihr Erleben und Verhalten regulieren, verbessert wird (s. Hölzel 2015: 43).

2.1. Grundhaltungen der Achtsamkeit

In seinem Werk „Gesund durch Meditation“ beschreibt Kabat- Zinn, dass die innere Einstellung besonders bedeutsam für die Übung der Achtsamkeit ist, um im Hier und Jetzt präsent zu sein. Es bedarf an Übung und kontinuierlichen Engagements für die Sache selbst, damit sich die Praxis der Achtsamkeit im Inneren entfalten kann. Dabei soll beachtet werden, dass Entspannung nicht erzwungen werden kann. Durch verkrampfte Erwartungen kann es passieren, dass die Meditation nicht funktioniert. Lernen muss aus einem anderen Blickwinkel gesehen werden, um den Zustand meditativer Aufmerksamkeit zu entwickeln (vgl. Kabat- Zinn 1990/ 2019: 21).

Kabat- Zinn beschreibt Achtsamkeit als eine Fähigkeit, die vonjedem Menschen durch Übung entwickelt werden kann. Er vergleicht Achtsamkeit mit einem Muskel, der durch Gebrauch gestärkt werden kann. Durch einen gewissen Widerstand kann ein Muskel am besten trainiert werden, damit er gefordert und gekräftigt wird. So ist es auch mit der Achtsamkeit. Stress ist zum Beispiel ein Widerstand, dem unser Körper und Geist täglich ausgesetzt ist. Durch Achtsamkeit kann das Wohlbefinden gestärkt und dem Widerstand Stress begegnet werden (vgl. ebd.: 22).

Die Einstellung, mit der an die verschiedenen Übungen herangegangen wird, bestimmt am Ende welchen Wert Achtsamkeit dauerhaft für die Praktizierenden haben wird. Eine bewusste, ganz bestimmte innere Haltung kann dazu führen, den bestmöglichen Effekt zu erzielen. Allerdings sollte versucht werden, diese über die gesamte Zeit aufrecht zu erhalten. Dabei ist die Haltung Teil der Achtsamkeitsmeditation selbst und unterstützt dabei, die Energien gezielt für das innere Wachstum und Heilung einzusetzen. Die Achtsamkeitsmeditation, die innerhalb des MBSR-Konzeptes Anwendung findet, basiert auf sieben Säulen der inneren Einstellung, die bewusst während der Meditation entwickelt werden. Zusammen bilden sie das Fundament einer eigenen Haltung für die Ausbildung einer stabilen individuellen Meditationspraxis (s. ebd.: 68).

Im Folgenden möchte ich die sieben Säulen in kurzer Form wiedergeben.

1. Nicht-Urteilen

Bei der Achtsamkeitsmeditation ist es wichtig, seinem selbst gegenüber in eine neutrale Position zu kommen. Zunächst muss aber erkannt werden, dass im alltäglichen Leben fast alle inneren und äußeren Erfahrungen automatisch einer Bewertung unterzogen werden. Zuerst muss erlernt werden, diese Urteile und Reaktionen mit Distanz zu betrachten. Dazu bedarf es einer gewissen Objektivität. Die aufkommenden Urteile während einer Meditation sollen wahrgenommen und erkannt, aber nicht verändert werden (vgl. ebd.: 69 ff.).

2. Geduld

Kabat-Zinn beschreibt Geduld als eine Form von Weisheit oder eine Art des inneren Wissens. Sie drückt aus, dass Übende verstehen und akzeptieren, wenn Dinge ihre eigene Zeit brauchen, um sich zu entfalten. Wenn man sich der Praxis der Achtsamkeit widmet, ist es wichtig, für sich selbst und sein Leben Geduld aufzubringen (vgl. ebd.: 70). Es ist wichtig, den Erfahrungen, die durch die Meditation gesammelt werden, den nötigen Raum zu geben, auch wenn keine direkten positiven Veränderungen entstehen. „Geduld zu haben bedeutet, für jeden Augenblick empfänglich zu sein und ihn in seiner Fülle anzunehmen, zu 'wissen, dass sich alles entfaltet, wenn der richtige Moment gekommen ist“ (ebd.: 71).

3. Den Geist des Anfängers bewahren

Das alltägliche Leben ist geprägt davon, dass Erlebnissen mit vorgefassten Meinungen und Denkmustem, die aus Erfahrungen resultieren, begegnet wird. Dabei liegt die Intensität des Lebens in den Erfahrungen des gegenwärtigen Augenblicks: Im Jetzt.

Um den Blick für das Außergewöhnliche im Alltäglichen zu bekommen, müssen wir den „Geist des Anfängers“ bewahren bzw. entwickeln. Es geht darum, alles so zu betrachten, als wäre es das erste Mal. Dies ist besonders wichtig für die formale Meditationspraxis. Der Anfängergeist öffnet das Gewahrsein für neue Erfahrungen und verhindert, dass festgefahrene Denkmuster weiterbestehen (vgl. ebd.: 71). „Kein Augenblick gleicht den anderen,jeder ist einzigartig und birgt einzigartigeMöglichkeiten“ (ebd.: 72).

4. Vertrauen

Ein äußerst bedeutsamer Teil der Achtsamkeitspraxis besteht darin, zu lernen sich selbst zu vertrauen und sich den eigenen Gefühlen bewusst zu werden. Es geht darum, der eigenen Stimme zu folgen und auf die Intuition zu vertrauen. Dabei ist es wichtig, sich nicht an anderen Menschen zu orientieren, aber dennoch eine offene Haltung zu bewahren. Je mehr Vertrauen man sich selbst entgegenbringt, umso leichter fällt es auch anderen Menschen Vertrauen zu schenken (vgl. ebd.: 72).

5. Nicht- Erzwingen

Der Alltag ist oft durch zielgerichtetes und zweckbestimmtes Handeln gekennzeichnet. Diese Neigung kann ein großes Hindernis bei der Meditation darstellen. Beim Meditieren geht es nicht darum etwas Bestimmtes zu erreichen, es geht vielmehr um ein aktives Nicht-Tun. Die Meditierenden sollen einzig und allein sie selbst sein und die „Wirklichkeit“ des Augenblicks erfahren. Es gibt bei der Meditation keine Ziele, die erreicht werden sollen. Es geht darum, die Wahrnehmung auf das zu richten was im gegenwärtigen Moment geschieht. Die Dinge sein lassen, wie sie sind. Augenblick für Augenblick (vgl.: ebd. 73 ff.).

6. Akzeptanz

Als sechste grundlegende Haltung beschreibt J. Kabat-Zinn die Akzeptanz. Es geht darum, dass die Praktizierenden die Gegenwart so annehmen, wie sie ist, ohne sie verändern zu wollen. Oft fällt es nicht leicht, die Dinge so anzunehmen, wie sie sind, da es in der menschlichen Natur liegt, nach einem besseren Soll-Zustand zu streben.

Akzeptanz beinhaltet außerdem auch offen zu sein, für alles was kommt und im gegenwärtigen Moment präsent ist. Bei der Übung der Haltung der Akzeptanz sollen alle Eindrücke und Eigenschaften so angenommen werden, wie sie sind (vgl. ebd.: 74). Nur mit Akzeptanz kann anschließend auch Veränderung eintreten. „Durch die bewusste Pflege von Akzeptanz schaffen Sie ein Klima, in dem Heilung stattfinden kann" (ebd.: 75).

7. Loslassen

Loslassen ist die letzte Grundhaltung der Achtsamkeitspraxis und gleichzusetzen mit Seinlassen. Es geht darum sich nicht an bestimmten Dingen oder Ereignissen festzuhalten, besonders dann nicht, wenn sie uns nicht guttun. So ist es auch mit den Gedanken, die während einer Achtsamkeitsmeditation aufkommen können. Die Gedanken können mit einer wertschätzenden Haltung beobachtet werden, aber anschließend wieder losgelassen werden. Durch das Loslassen kann Platz für Neues entstehen. Es ist ein Zustand des Seins, der durch Übung entwickelt wird (vgl. ebd. 77). Zu den hier genannten Grundhaltungen gibt es noch weitere, die zu einer Stabilisierung und Erweiterung der inneren Achtsamkeit beitragen. Dazu zählen zum Beispiel Rücksichtnahme, Dankbarkeit und Wohlwollen. Die innere Einstellung der Übenden hat besonderen Wert, damit die Meditationspraxis eine langanhaltende und positive Wirkung erzielen kann.

Die Entwicklung der oben genannten sieben Säulen trägt zur Vertiefung der Meditationspraxis bei. Außerdem unterstützt sie bei der Aneignung der verschiedenen Meditationstechniken (vgl. ebd.: 78). Zu einem späteren Zeitpunkt dieser Arbeit werde ich einige Übungen aufzeigen, sowohl für Erwachsene als auch für Kinder. Die Programme und Übungen, die ich in den folgenden Kapiteln beschreiben werde, finden stets Anlehnung an das MBSR Programm von Jon Kabat-Zinn. Die Übungen für Schülerinnen wurden für die Arbeit mit Kindern oder speziell für den schulischen Kontext adaptiert.

2.2. Stress durch Achtsamkeit begegnen

„Ich habe Stress“, „Ich bin gestresst“ oder „Ich bin im Stress“ sind Ausdrücke, die viele Menschen tagtäglich benutzen.

Das Phänomen Stress ist ein natürlicher Teil des Lebens, es ist also unumgänglich es am eigenen Leib zu erfahren. Wie im vorherigen Absatz bereits erwähnt, wurde das MBSR Programm von J. Kabat- Zinn zur Stressbewältigung entwickelt. In diesem Abschnitt soll es um seine Auffassung zu der Thematik Stress gehen.

Er beschreibt, dass die Wirkung von Stress auf die Gesundheit des Menschen davon abhängt, wie gut es gelingt die verschiedenen Erscheinungen wahrzunehmen und wie gut es gelingt sich an die ständigen Veränderungen im Leben anzupassen. In diesem Zusammenhang geht es darum den Blick für die innere Balance zu wahren. Bei den verschiedenen Erscheinungen zieht J. Kabat-Zinn die Unterteilung Selye’s heran. Er unterteilte den „Eustress“, also den guten Stress, und den „Disstress“, welchen er als schädlichen Stress ansah (vgl. Kabat- Zinn 2019: 287). Wie Stress erlebt wird, hängt wesentlich davon ab, wie gut die Anpassung gelingt. Darüber hinaus ist die subjektive Bedeutung des Ereignisses wesentlich (vgl. ebd.: 288).

Wenn es um die Faktoren geht, die den Stress auslösen, die sogenannten Stressoren, dann kann eine Unterscheidung in die inneren und äußeren Stressoren getroffen werden. Äußere Stressoren können zum Beispiel sozial oder umweltbedingt sein. Innere Stressoren können Gedanken und Gefühle sein. Diese Gruppe von Stressoren können den menschlichen Organismus beanspruchen und belasten (vgl. ebd.: 292).

Die permanente Einwirkung von Stress kann erheblichen Einfluss auf die Gesundheit und das Wohlbefinden haben. J. Kabat- Zinn sieht Achtsamkeit als Möglichkeit, auf stressige Situationen im Alltag zu reagieren. Er schreibt dazu: „Eine achtsame Lebensführung erlaubt es, sogar in den schwierigsten Momenten vollkommen geistesgegenwärtig zu sein. Mit Achtsamkeit und Präsenz sind wir in der Lage, die ganze Katastrophe des Lebens bereitwillig anzunehmen, um sie hier und jetzt zu bestehen" (ebd.: 330).

3. Achtsamkeit und Schule

Schule ist heutzutage geprägt von Leistungsdruck und steigenden Erwartungen, sowohl an die Schülerinnen als auch an die Lehrerinnen.

Im schulischen Kontext zählt spätestens seit der PISA Studie im Jahr 2000 Quantität statt Qualität. Kurz gesagt: es geht um immer mehr Wissen in kürzester Zeit, damit die Schülerinnen beim internationalen Vergleich möglichst gut abschneiden. Es gibt zahlreiche Förderungsprogramme und Bildungsaktivitäten, die darauf abzielen, eine effektive Ausbildung zu gewährleisten. Wissen, welches abgefragt werden kann und eine zuverlässige Bewertung zulässt, hat einen großen Stellenwert. Damit einhergehend, werden Lehrpläne immer voller und mit verschiedenen Wissensinhalten gefüllt. Bildung soll möglichst so erfolgen, dass die Leistungen der Schülerinnen am Ende messbar und vergleichbar sind (vgl. Kaltwasser 2008: 15). Dabei sollte Schule doch eigentlich dazu beitragen, jede*n einzelne*n Schülerin bei der Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen und ihn oder sie zu ermutigen, zum Subjekt des eigenen Bildungsprozesses zu werden. Das erworbene Wissen sollte im späteren Leben angewendet werden können, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen und mit anderen Menschen in eine gewaltfreie und konstruktive Interaktion treten zu können. Lernen wird oft rein kognitiv verstanden und dem Körper wird wenig Beachtung geschenkt. Vera Kaltwasser stellt sich in diesem Kontext die Frage: „Um ganzheitliches Lernen zu ermöglichen, müsste dann nicht auch die körperliche Ebene außerhalb des Sportunterrichtes mit einbezogen werden" (vgl. ebd.: 17)?

In ihrem Buch: „Praxisbuch Achtsamkeit in der Schule“ spricht V. Kaltwasser von Erfahrungsorientierung, die den Körper in das Lernen mit einbezieht. Lernen, welches auch mit dem Körper und all seinen Eigenheiten und Bedürfnissen umzugehen, einschließt. Es bedarf der Schulung von Körper und Geist, damit die Selbstwahrnehmung der Schülerinnen geschärft werden kann (vgl. ebd.: 18).

Ein weiterer Punkt, der Lernen für Schülerinnen der heutigen Zeit erschwert, ist der mediale Einfluss. Schon in sehr jungen Jahren werden die Kinder und Jugendlichen mit Bildern und Tönen von diversen technischen Geräten überflutet.

Bei all den Erschwernissen der heutigen Schulzeit: Ist es dabei nicht wichtig, den Fokus wieder auf die wesentlichen Dinge zu richten?

„Was ist wirklich wichtig?“ oder „Was wollen Sie wirklich für ihre Kinder?“ sind Fragen, die Kevin Hawkins am Anfang seines Buches über mehr Gelassenheit im Schulalltag stellt (vgl. Hawkins 2018: 21). Diese Fragen sind sehr hilfreich, um die Bedeutung von Achtsamkeit im Kontext Schule zu verdeutlichen.

In den USA hat Achtsamkeit in der Schule längst Einzug gefunden. „Mindfulness in Education“ ist in den USA inzwischen ein etabliertes Gebiet im Bildungssektor mit verschiedenen Konzepten, die teilweise mit Studien begleitet werden. Unterstützt wird diese Arbeit unter anderem von Jon Kabat-Zinn. Einen wichtigen Grundstein legte Susan Kaiser Greenland, indem sie verschiedene Programme für Kinder verschiedener Altersgruppen entwickelte, wie zum Beispiel das Inner Kids Programm (vgl. Kaltwasser 2015: 222). In Deutschland entwickelte Vera Kaltwasser das erste Achtsamkeitscurriculum für die Schule, welches den Namen AISCHU (Achtsamkeit in der Schule) trägt. Die positive Wirkung von AISCHU auf die Schülerinnen wurde in wissenschaftlichen Studien belegt und bestätigt. In der ersten Pilotstudie wurde die Wirksamkeit des Programmes im Bereich der Aufmerksamkeitssteuerung und der emotionalen Selbstregulation nachgewiesen. In einer zweiten wissenschaftlichen Studie ergaben sich besonders im Bereich der Emotionsregulation positive Effekte bei den Kindern der Achtsamkeitsklasse (s. V. Kaltwasser: 2021).

4. Stress bei Kindern und Jugendlichen

Kinder und Jugendliche leiden heute unter (Schul-)Stress! Der alltägliche Druck bei Schülerinnen ist groß, bestätigt eine bundesweite Forsa1 - Umfrage, die im Auftrag des Studienkreises im Jahr 2020 durchgeführt wurde. Im Rahmen der Studie wurden 526 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 18 Jahren zu ihrem Stressempfmden befragt. Dabei kam erstaunlicher Weise heraus, dass die Jugendlichen selbst ihr größter Stressor sind. Nicht die Eltern oder Lehrerinnen setzen die Jugendlichen unter Druck, sondern sie selbst. Besonders wenn es um die schulischen Leistungen geht, haben die Jugendlichen hohe Ansprüche. Dreiviertel der Jugendlichen gaben an, mindestens einmal pro Woche wegen der Schule gestresst zu sein. Jedei Vierte, genauer 28 Prozent, sogar an mehr als drei Tagen. Mädchen erleben ihren Schulalltag stressiger als Jungen. Primär ist es der Anspruch an sich selbst, der die Mädchen unter Stress versetzt. Dazu zählt zum Beispiel die Angst vor schlechten Noten. Stressverursacher bei Mädchen, sowie bei Jungen sind neben dem Wunsch sich zu verbessern auch das viele Lernen, so 56 Prozent der befragten Jugendlichen. Hausaufgaben, speziell die Menge der Hausaufgaben, spielen ebenfalls eine Rolle (46 Prozent).

Von großer Bedeutung für den Kontext dieser Arbeit ist, dass fast zwei Drittel der 12- bis 18-Jährigen (59 Prozent) sich Unterstützung von der Schule wünschen, um den Stress besser bewältigen zu können. Erste Anlaufstelle sind jedoch die Eltern. Wenn es um Menschen aus dem direkten Umfeld geht, die für die Jugendlichen als stressauslösend erlebt werden, nennen ein Drittel der Jugendlichen die Lehrerinnen, gefolgt von den Eltern, die aber nur von jedem Fünften benannt wurden (vgl. Pressemitteilung Studienkreis: 2020).

Eine weitere Studie bestätigt, dass Kinder und Jugendliche unter Stress leiden. Das DAK- Präventionsradar aus dem Jahr 2017 kommt zu einem ähnlichen Urteil: „Fast jeder zweite Schüler leidet unter Stress“ (DAK Gesundheit: 2017). In der Schulstudie hat die Krankenkasse DAK zusammen mit dem Institut für Therapie- und Gesundheitsforschung in sechs Bundesländern knapp 7000 Schülerinnen aus mehr als 400 Klassen repräsentativ befragt. Die Befragung findetjährlich statt und untersucht das körperliche und psychische Wohlbefinden sowie das Gesundheitsverhalten von Kindern und Jugendlichen im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren. Ziel der Gesundheitskasse ist es, mit dem gesammelten Wissen den Kindern und Jugendlichen Präventionsangebote in der Schule zur Verfügung zu stellen.

Innerhalb der Studie wurden Kinder nach ihrem Stressempfinden und den Stressursachen befragt. Es zeigte sich, dass Stress zudem Auswirkungen auf die Gesundheit hat. Ein Drittel der Kinder, die unter Stress leiden berichten von Beschwerden wie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen oder Schlafproblemen. Anzumerken ist hier ebenfalls, dass sich Mädchen häufiger gestresst fühlen als Jungen. Insbesondere die Mädchen leiden in Folge von Stress mehr unter somatischen Beschwerden: Vier von zehn Schülerinnen leiden unter Kopfschmerzen, mehr als ein Drittel haben Probleme beim Schlafen. 30 Prozent leiden unter regelmäßigen Rückenschmerzen und ein Viertel berichtet von Bauchschmerzen. Viele der befragten Kinder und Jugendlichen gaben an, die Schule als Belastung zu sehen. Grund für die schulische Belastung seien die vielen Aufgaben, die sie erledigen müssen. Ein weiteres Resultat der Studie ist, dass sowohl Stress als auch die körperlichen Beschwerden mit den Schuljahren zunehmen (vgl. DAK- Präventionsradar: 2017).

Die Studie wurde im Jahr 2017 das erste Mal durchgeführt. Zum Vergleich: 2020 haben schon mehr als 16.000 Mädchen und Jungen aus 13 Bundesländern teilgenommen. Im Hinblick auf Stress stieg im Jahr 2020 das Stressempfinden sogar minimal an. Der Anstieg konnte vor allem in den Kategorien oft und sehr oft (Häufigkeit des Stresserlebens) beobachtet werden. Ansonsten sind sehr ähnliche Ergebnisse zu beobachten (vgl. DAK- Präventionsradar: 2020).

Die beiden Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche schon in jungen Jahren unter Stress leiden. Beide Studien beziehen sich zwar auf Kinder und Jugendliche ab der Sekundarstufe, aber ich möchte mit Hilfe dieser Studien verdeutlichen, wie wichtig Stressprävention schon im Grundschulalter sein kann, um ein „Werkzeug“ sowohl für die Grundschule als auch für die weiterführende Schule zu haben.

Zum Abschluss dieses Kapitels möchte ich klären, was Kinder im schulischen Kontext als stressig erleben. Das sind zum einen, wie bereits in der Studie belegt, die Lern- und Leistungsanforderungen an die Schülerinnen. Mit inbegriffen in die Anforderungen sind Präsentationen vor der Klasse, wie beispielsweise eine mündliche Abfrage oder eine Rechenaufgabe an der Tafel zu lösen und dabei nicht den Anforderungen zu entsprechen. Hier spielt die Angst, sich vor den Mitschülerinnen zu blamieren eine wesentliche Rolle. Das Risiko, von einem Lehrer oder einer Lehrerin im Unterricht aufgerufen zu werden, wird von den Schülerinnen als bedrohlich bewertet. Nicht die geforderte Leistung zu erbringen, kann dazu führen, dass es sich die Kinder selbst abwerten und ein negatives Selbstwertgefühl entwickeln. Dies kommt besonders häufig vor, wenn die Kinder sich mit ihren Mitschülerinnen vergleichen (vgl. Domsch, Lohaus & Fridici 2016: 22). In der Regel ist es nicht die ganze Klasse, die Stress erlebt, sondern einzelne Schülerinnen oder Teilgruppen. Zu beachten ist, dass Kinder besonderem Stress ausgesetzt sind, wenn sie bereits mit Vorbelastungen in die Schule kommen. Das Zusammenspiel kann sich in massivem Schulstress äußern. Beispielsweise können Leistungsdruck und unerreichbare Anforderungen seitens der Familie zu Stress führen. Des Weiteren können Probleme im Verhaltens- oder Leistungsbereich das Stressempfmden der Schülerinnen erhöhen. Dazu zählen zum Beispiel Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, sowie Teilleistungsschwächen in den Bereichen Lesen, Schreiben oder Rechnen (vgl. ebd.: 23). Hier ist hinzuzufügen, dass die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) zu den häufigsten Störungen im Kindes- und Jugendalter zählt. ADHS wirkt sich auf Beeinträchtigungen der psychosozialen und kognitiven Funktionsfähigkeit aus. Kernsymptome sind Unaufmerksamkeit, motorische Unruhe (Hyperaktivität) und Impulsivität (vgl. Journal ofHealthMonitoring: 2018).

Außerhalb der Schule gibt es ebenfalls Stressoren, die auf die Kinder einwirken können. Das können zum Beispiel problematische Lebensereignisse oder Entwicklungsprobleme bei den Kindern sein. Zu den problematischen Lebensereignissen können zum Beispiel ein Umzug und das damit verbundene neue soziale Umfeld oder eine Scheidung der Eltern zählen (vgl. Domsch, Lohaus & Fridici 2016: 17). Zu den Entwicklungsproblemen kann beispielsweise der Übergang von dem Kindergarten in die Schule oder von der Grundschule in die weiterführende Schule gezählt werden (vgl. ebd.: 18). Besonders bedeutend für diese Arbeit ist der Übergang von Kindergarten in die Grundschule, welcher durch das Erleben der Kinder als Belastung bewertet werden kann. In der Grundschule werden mehr Erwartungen an die Kinder gestellt und sie werden erstmals einer Bewertung, in Form von Beurteilungen und Noten unterzogen.

Als letzte Rubrik sollen die alltäglichen Stressoren benannt werden, denen Kinder ausgesetzt sind. Dazu zählt Stress in der Familie, zum Beispiel Rivalität zwischen Geschwistern oder zu hohe Erwartungen und Druck seitens der Eltern. Dazu sollte aber auch erwähnt werden, dass die Familie die wichtigste soziale Unterstützung für das Kind darstellt. Zu den alltäglichen Stressoren zählen außerdem Freizeitstress und Stress mit Freunden. Besonders kritisch für die Kinder wird das Zusammenspiel mehrerer Stressoren. Daraus können bei häufigem Stresserleben Erlebens- und Verhaltensänderungen resultieren. Vor allem zusätzliche, neue Anforderungen, die nicht mehr mit den bewährten Mitteln bewältigt werden können, lösen bei den Kindern Stress aus (vgl. ebd. 19 ff.).

5. Die Haltung der Lehrenden

„Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild zu sein." (Albert Einstein)

Wenn es um das Thema Achtsamkeit in der Schule geht, sind sich die Autorinnen einschlägiger Literatur einig, dass eine Etablierung von Achtsamkeit in die Schule oder in das Klassenzimmer erst möglich ist, wenn die Lehrkräfte selbst Achtsamkeit praktizieren (siehe u.a. Hawkins 2018, Rechtschaffen 2017 & Kaltwasser 2018). Daniel Rechtschaffen beschreibt in seinem Buch die achtsame Schule und richtet sich damit an Lehrerinnen: „Wenn Sie selbst Achtsamkeit und Mitgefühl entwickeln, wird sich das unausweichlich auf ihre Arbeit mit Kindern auswirken. Das ist das schönste Geschenk, das Sie ihnen machen können: sie mit mitfühlender Achtsamkeit wahrzunehmen" (Rechtschaffen 2017: 75). Auch Kevin Hawkins schreibt in seinem Buch „Achtsame Lehrer - achtsame Schule“, dass der Schlüssel für Achtsamkeit in der Schule bei den Lehrerinnen liegt. Grund dafür kann der achtsame Umgang mit Stress und herausfordernden Situationen im Schulalltag sein. Als Lehrerin gibt es zahlreiche Aufgaben, die erledigt und koordiniert werden müssen. Das fängt bei Gesprächen mit den Eltern an und hört bei dem Unterrichten der Schülerinnen auf. Der Anspruch der Lehrenden an sich selbst, ist dabei sehr hoch und sie laufen mit der Zeit Gefahr, dass sie sich selbst überlasten und möglicherweise ein Burn-out erleiden (vgl. Hawkins 2018: 75).

[...]


1 Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH

Ende der Leseprobe aus 49 Seiten

Details

Titel
Stressbewältigung durch Achtsamkeit in der Grundschule
Hochschule
Ernst-Abbe-Hochschule Jena, ehem. Fachhochschule Jena  (Soziale Arbeit)
Veranstaltung
Achtsamkeit und Bildung
Note
1,2
Autor
Jahr
2021
Seiten
49
Katalognummer
V1030271
ISBN (eBook)
9783346432278
ISBN (Buch)
9783346432285
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Achtsamkeit, Grundschule, Stressbewältigung, Kinder, Mindfullness
Arbeit zitieren
Tashina Schneider (Autor:in), 2021, Stressbewältigung durch Achtsamkeit in der Grundschule, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030271

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