Zukunft der Arbeit


Seminararbeit, 2000

17 Seiten


Leseprobe


Zukunft der Arbeit: Jenseits der Erwerbsgesellschaft?

Gliederung

A: Diesseits der Erwerbsgesellschaft: Krise und Wandel

1. Krise und Wandel des Staates

2. Krise und Wandel der Arbeit

3. Wandel der Werte

B: Jenseits der Erwerbsgesellschaft: Multiaktivität

I. Bedingungslose Einkommensgarantie

II. Umverteilung der Arbeit und Wiederaneignung der Zeit

III. Selbstorganisation und Kooperation

Zukunft? Utopie? Revolution?

„Ich wandle unter den Menschen als den Bruchstücken der Zukunft: jener Zukunft, die ich schaue.“ FRIEDRICH NIETZSCHE

„Vernünftigerweise ist die Geschichte aus der Perspektive ihrer denkbaren Vollendung zu sehen.“ JAQUES BIDET

„Eine Weltkarte, auf der das Land Utopia nicht verzeichnet ist, verdient keinen Blick, denn sie lässt die eine Küste aus, wo die Menschheit ewig landen wird.“ OSCAR WILDE

„[untergeordnete Reformen] beschäftigen sich mit dringend zu beseitigenden Funktionsstörungen der bestehenden Gesellschaft, [revolutionäre Reformen] haben die Überwindung der bestehenden Gesellschaft, die in jener bereits keimt, zum Ziel.“ ANDRÉ GORZ

„Nur in freiwilligen Vereinigungen ist der Mensch schön.“ OSCAR WILDE

Ende der Arbeit als Traum der Menschheit

„Wenn jedes Werkzeug seine eigene Funktion selbst erfüllen könnte, (...), dann würde der Werkmeister keine Gehilfen brauchen und der Herr keine Sklaven.“ ARISTOTELES

„Der Staat hat das Nützliche zu tun. Das Individuum hat das Schöne zu tun.“ OSCAR WILDE

„Jetzt verdrängt die Maschine den Menschen. Unter den richtigen Zuständen wird sie ihm dienen.“ OSCAR WILDE

„Faulheit - eigentliche Wahrheit des Menschen.“ KASIMIR MALEWITSCH

„...die Vollbeschäftigung von einst, deren Wiedereinführung sowieso noch unwahrscheinlicher ist als die der Dampflokomotive.“ DIE GLÜCKLICHEN ARBEITSLOSEN

„Jedoch fordern wir kein Recht auf Faulheit. Faulheit ist nur die Kehrseite vom Fleiß. Wo Arbeit nicht anerkannt wird, verliert auch Faulheit ihren Sinn. Kein Laster ohne Tugend.“ DIE

GLÜCKLICHEN ARBEITSLOSEN

A: Diesseits der Erwerbsgesellschaft: Krise und Wandel

Warum ist eine Utopie überhaupt notwendig? Warum sollte die Zukunft anders aussehen als die Gegenwart? ANDRÉ GORZ1 stellt seiner Vision (S. 102-165) eine ausführliche Gesellschaftskritik (S. 18-101) voran. Seine Interpretationen historischer und gegenwärtiger Entwicklungen der Arbeitsgesellschaft sind unabdingbar, um nachvollziehen zu können, wie und warum ein Jenseits der Erwerbsgesellschaft durchgesetzt werden soll. Zur Einordnung: Gorz ist Jude deutscher Herkunft, Marxist, nach seiner Emigration nach Frankreich Mitarbeiter der Zeitschrift „Les temps modernes“ im Dunstkreis JEAN-PAUL SARTRE´s, ...

Die Lohn- bzw. Arbeits- bzw. Erwerbsgesellschaft ist sowohl politisch als auch wirtschaftlich als auch kulturell tiefgreifenden Veränderungen unterworfen, die sich je auf das Verständnis von Arbeit auswirken.

1. Krise und Wandel des Staates

Es sind scheinbar die Staaten selbst, die sich öffentlich als unfähig deklarieren: unfähig, wirklich im Sinne ihrer Bürger zu handeln, da sie ja dem Gewitter Globalisierung unterworfen seien, den Standort sichern, Kapitalsteuern senken müssten. GORZ aber widerspricht einer Wettertheorie der Globalisierung: „sie begann als eine genuin politische Antwort“ (GORZ, 2000, S. 18) auf die:

- „Krise der Regierbarkeit“ in den 60er & 70er Jahren:

Die Revolte der Schwarzen in den USA 1964, die der Studenten in der BRD 1967, die Arbeiteraktionen in Italien bis 1980 richteten sich gegen Normalisierung und Massenkonsum. Der Wohlfahrtsstaat hatte die Klassen nicht aussöhnen können. Aber er, der sich überall einmischte, zeichnete nun verantwortlich für alles, was schief lief. Unausgesprochen zog er sich jetzt zurück: Die Macht hat danach statt des sichtbaren Staates der unsichtbare Markt. Schlagwort Liberalisierung.

Für die Spitze der gigantischen Hierarchien im fordistischen Unternehmen sah die Lage ähnlich wie für die Regierungen aus. Es wurden analoge Konsequenzen gezogen: dezentrale Selbstorganisation trat an die Stelle zentraler Verwaltung. In gewisser Weise hatten die Revolten ihr Ziel erreicht, die Standardisierung war am Ende.

- Wachstumsstagnation in den 70er Jahren:

Die Binnenmärkte waren gesättigt, die Chancen auf weiteres Wachstum lagen in flexibler Produktion und neuen Märkten. Damit war eine 30 Jahre alte Symbiose dysfunktional geworden: die fordistische Produktion in Großserien hatte gut zu einem planenden keynesianischen Staat gepasst. Jetzt sollte er sich darauf beschränken, Mobilitätshindernisse abzubauen. Die ersten Multis traten auf. Sie läuteten mit ihren Niederlassungen ein, was heute selbstverständlich ist: die Entkoppelung des ökonomischen vom politischen Raum.

Die neuen Informationstechnologien stehen hierzu in dialektischer Beziehung: sie ermöglichten die Globalisierung, diese wiederum machte die Digitalisierung erst notwendig. IT & WWW können somit nicht die Ursache sein, die selbst keine Ursache - und damit meint der Sich-Rechtfertigende stets: keinen Verantwortlichen - mehr hat. Gorz zieht andere Erklärungen heran: Konkurrenzimparativ, Kurzfristimparativ, Globalisierungsgegner.

Die uneingeschränkte Macht des globalisierten Kapitals ist vor allem dem Konkurrenzkampf der Staaten um den attraktivsten Standort für das Kapital geschuldet.(S.26)

Der Konkurrenzimparativ bestimmt die Politik. Damit haben die Nationalstaaten ihre Souveränität verloren an einen „supranationalen Kapitalstaat“. Die Standortdebatte dient als Vorwand für alle Probleme und Taten:

- Senkungen der Gewinnsteuern sollen Investitionen fördern. Steigende Gewinne aber gehen hauptsächlich an die Kapitaleigner. Zahlen für Deutschland 1979-1994: Gewinne +90%, Löhne +6%, Anteil Gewinn- an Gesamtsteuern -12%.

- Die soziale Sicherung scheint nicht mehr finanzierbar. Billiglohn und private Versicherungen erscheinen als einziger Ausweg.

Verschärft ist die Situation, seit die Finanzlogik über die Kapitallogik gesiegt hat, „Renten gegen den Profit“ (S. 30) . Die Dividende als Maß aller Dinge zwingt zu kurzfristiger Rendite und entsprechender Arbeitsgestaltung.

Aber der bekannte öffentliche Diskurs gegen die Globalisierung ist kontraproduktiv. Ein nationaler, zersplitterter Widerstand erhöht die Konkurrenz. Für eine neue Gesellschaft istdieserGlobalisierung eineandereGlobalisierung entgegenzusetzen. „...den Euro als Hebel ansetzen, um ´dem angelsächsischen Laissez-faire-Modell ein ökologisches und soziales Modell entgegenzusetzen.“ (VIVERET, zitiert nach GORZ, S. 34) Die Basis bildet eine - berechtigte -andereUmverteilung des Kapitals. Berechtigt, weil es die Ressourcen des Staates nutzt, Frieden und Umwelt z.B., und auch dafür zahlen sollte. Das ist aber nur ein Instrument, mit dem der Staat neu in den Markt eingreifen sollte. Weiterhin: Spekulation unrentabel machen, um die Finanzlogik zu kippen.

2. Krise und Wandel der Arbeit

Die Art der Auseinandersetzung um Autonomie hat sich gewandelt.

Und zwar keineswegs verbessert seit fordistischen Zeiten. Es droht eine Rückkehr zu feudalen Abhängigkeitsverhältnissen.

-Fordismushieß Automatisierung, die Fließbänder der Firma FORD waren die Initien. GleichzeitigTaylorismus: Hierarchie und Kontrolle. Als die Stoppuhr in der Hand des Aufsehers Bewegungsfolgen und Pausenrhythmus vorgab, wurde die Arbeitskraft ganz offensichtlich ausgebeutet. Ebenso offen war der (Klassen)Kampf um Begrenzung von Raum und Zeit der Ausbeutung. (s.o. „Krise der Regierbarkeit“)

-Postfordismus heißt Flexibilisierung. Im weitesten Sinne der Lebensgestaltung, der Normen, der Biographien, der Tagesverläufe. Aber am Anfang und Ende dieser Prozesse steht die flexible Anpassung an denMarkt. Die Japaner gewannen Blumentöpfe im Wettbewerb mit Organisationsstrukturen, die dem Unternehmen schnell auf Kundenwünsche zu reagieren erlauben, wieLeanproduction/Toyotismus/Ohnismus / Ostrakismus/Kan-ban,. Es wird jetzt in Netzwerken, flachen Hierarchien, Selbstorganisation gedacht. Stichwort:HolistischeMontage. Vor allem in intellektuellen Arbeitsbereichen istHumanRessourceManagementin: tolle Mitarbeiter braucht das Land. Der Beschäftigte trägt in allen Fällen einen beträchtlichen Teil der unternehmerischen Verantwortung. (Teil-)Autonomie bewirkt, dass das Produkt davon abhängt, wie gut ich als postfordistische Arbeitskraft funktioniere. Die Ausbeutung ist jetzt versteckt, wirdCorporate Identitygenannt. Die Auseinandersetzung ist individualisiert: jeder kämpft gegen jeden, mit den Mitteln des (Self-)Marketing. Die Gesetze des Marktes betreffen nicht mehr nur Produkte, sondern die Fähigkeiten zu ihrer Herstellung selbst. Prostitution?

Arbeit wird mit ihrer Auflösungöffentlich idealisiert.

Die Gesellschaft leidet unter dem Mangel an Arbeit wie ein Amputierter unterPhantomschmerzen. (GORZ, 2000, S.82)

Der Umfang des Arbeitsangebots nimmt kontinuierlich ab wegen Globalisierung, Rationalisierung & Digitalisierung. MCKINSEY& CO. Deutschland rechnete aus, dass von 33 Millionen vorhandenen Arbeitsplätzen 9 Millionen entfallen könnten, würde man mit den effektivsten Methoden arbeiten. (S. 71)

- Im Fordismus war der Arbeiter - in der öffentliche Debatte - nützlich, da er dasKapital schuf. Lohn und soziale Rechte wirkten als Zeichen seiner Nützlichkeit.Dass die Gesellschaft Arbeiter brauchte, bekundete sie laut durch den Ruf nach ausländischen Gastarbeitern.

- Im Postfordismus und seiner Standortkonkurrenz ist jetzt das Kapital nützlich, da - bzw. wenn - es Arbeit schafft. Zeichen seiner Nützlichkeit ist die Auflösung der Arbeit selbst und ,in deren Folge, die allgemeine Verunsicherung.

Arbeitende gelten als eine privilegierte Elite. Daher arbeiten sie mit eben der Hingabe, dem Eifer, der Identifikation, die von ihnen gefordert wird. Sie entwickeln eine ungeahnte Produktivität, welche wieder erlaubt, Arbeit abzuschaffen. Schizophrenes Ergebnis:

Je weniger Arbeit es für alle gibt, um so mehr tendiert die individuelle Arbeitszeit dazu,länger zu werden.(GORZ, 2000, S.74)

Und die Arbeitenden sind in hochzivilisierter Existenzangst bereit, sogenannteWerkverträgeanzunehmen, d.h. dem Unternehmen auf Abruf zur Seite zu stehen. Das ist das Ende der abstrakten Arbeit, der Arbeit, die sich von der Person trennen lässt. Die Bedingungen für ein Jenseits hat die Erwerbsgesellschaft selbst sich in ihrem Diesseits schon geschaffen. Nicht die Arbeit muss also abgeschafft, sondern ihre Ideologisierung, die Arbeitnehmer in neofeudale Zugeständnisse treibt und Arbeitslose zu Kastenlosen macht.

So verliert das Lohnverhältnis seine emanzipatorische Funktion, die sie um Vergleich zu der persönlichen Abhängigkeit der Leibeigenen oder Dienstboten der vormodernen Gesellschaft auszeichnete.´Die Leistungen[derLeibeigenen und Dienstboten] waren nicht als eine zu verrichtende Arbeit, sondern als dem Herren geschuldete Dienste (servicium, obsequium) gefordert`, während in´der vormodernen Gesellschaft, die wir dann als Arbeitsgesellschaft definieren (...), die Tauschhandlungen sich auf der Basis von gesellschaftlicher Beziehungen vollziehen, die grundsätzlich egalitärer und unpersönlicher Natur sind`(GORZ, 2000, S.75, er zitiert MANFREDBISCHOFF, 1995)

Arbeit wird so lang ideologisiert bleiben, wie die Hoffnung auf weltweite Vollbeschäftigung nicht stirbt. Lange nährte sie der „Traum vom chinesischen Wirtschaftswunder“ (S. 35). Aber die niedrigen Produktionskosten durch niedrigen Lohn lassen die Kaufkraft zu langsam steigen, als dass sich europäische Nachkriegsentwicklungen wiederholen könnten. Zumal das explizit durch „Zebrastrategien“ (OHMAE, MCKINSEY& CO. Japan) verhindert wird: nur in den „Sonderwirtschaftszonen“ sind Wunder zugelassen, außerhalb beträgt die Arbeitslosenrate in Spitzen 34%. Statt Europa mit Exportaufträgen Vollbeschäftigung zu bescheren, werden ca. 400 Millionen chinesische arbeitslose Migranten durch ihr Land ziehen wie Vagabunden von einst von Marktflecken zu Marktflecken, prophezeit Gorz. Nicht unerheblich für unsere Zukunft: die ökologisch vertretbaren Grenzen des Wachstums sind in China längst überschritten.2

Der herrschende Diskurs preist derweil die Erwerbsarbeit als eine knappe Ware, ein „Gut“, für dessen „Schaffung“ man dankbar und für dessen „Besitz“ opferbereit sein sollte. (vgl. „Bündnis für Arbeit“ ... wie sich die Tarifparteien und Politiker selbst und gegenseitig gelobt haben für die niedrigste Arbeitslosenquote im Dezember seit 10 Jahren)

Der Einzelne wird so der Norm einer sicheren Vollzeitstelle verstärkt ausgesetzt, er bleibt psychisch wie materiell abhängig von einer - real untergehenden - Konstruktion. Es ist für immer mehr Menschen unmöglich, der Norm „Arbeit haben“ gerecht zu werden.

Der herrschende Diskurs antwortet, indem er eine straffere Ausbildung (statt umfassender Bildung) und geringere Ansprüche an Art und Bezahlung der Arbeit fordert. Der gesellschaftliche Mangel an Arbeit wird individuellen Mängeln zugeschrieben.

Welchen Sinn macht eine Gesellschaft, die alle Kraft darauf verwendet, Individuen zu produzieren, die vollendet auf Erwerbsarbeit konditioniert sind, dafür aber weder wählen noch Holz hacken noch einschlafen können, wenn zugleich die Ökonomie derselben Gesellschaft immer weniger Arbeit braucht und immer mehr Zeit freisetzt? Zeit, in der man politischer Bürger, tätiger Mensch, gesundes Individuumseinkönnte?

Es ist unsinnig, eine Arbeit, die zu immer weniger Arbeit und Lohn für alle führt, alswesentliche Quelle von Autonomie, Identität und Entfaltung aller darzustellen.(S. 67)

Und - noch vor der Sinnfrage - wohin führt sie?

Politikverdrossenheit, Schuldzuweisungen, Ressentiment, Neofaschismus, Gewalttätigkeit... so die Liste des Soziologen GORZ (S.83). Psychologen wissen um den Teufelskreis von Passivität und gesellschaftlichem Unnutzen durch die Arbeitslosigkeit. Und können abschätzen, was ein ständig unkontrollierbarer Arbeitsplatz bedeutet, für die auf der Sonnenseite, die noch eine Arbeithabendürfen.

3. Wandel der Werte

Arbeit büßt beim Einzelnen bereits an Wert ein.

Liste der Dinge, die für 16-34-jährige Westeuropäer „persönlich wirklich wichtig sind“:

1. Freunde (95 %), 2. Zeit (80 %), 3. Gesundheit (77 %), 4. Familie (74 %), 5. Soziales Leben (74 %), underst 6. Arbeit.(GORZ, 2000, S. 90, nach YANKELOVICH, 1994).

28 % der Amerikaner arbeiten und konsumieren weniger, um sinnvoller zu leben. 73 % der oberen Mittelschicht wissen um die Vorzüge dieses Lebenskonzepts. (nach SCHOR, 1995)

- Freizeitgesellschaft?

Seit den 90er Jahren gibt esauchdie „Erlebnisgesellschaft“. Die alten Arbeitsideale Pflicht und Akzeptanz werden dezentralisiert und ergänzt: (neben Konsum, der ja Teil der Lohngesellschaft ist) gewinnt Selbstentfaltung Gewicht. Freilich zielt diese immer noch maßgeblich auffremdbestimmte Arbeit und Leistung ab. Aber irgendwann müsste die Selbstsuche zwangsläufig zuselbstbestimmter (Eigen- und Bürger)Arbeit führen. Andersherum heißt das: die vorgeschlagenen Alternativen zur Erwerbsarbeit treffen auf die entsprechenden Bedürfnisse, diese sind nur noch nicht hinreichend gelenkt.

Der defensive politische Umgang mit den großen Veränderungen unserer Zeit übersieht, dass der kulturelle Wechsel, der Wechsel der Denkweisen der Einzelnen bereits im Gang ist, dass die Suche nach Identität allein im Beruf längst keine allgemeine Grundüberzeugung mehr ist. Sowohl GORZ als auch BONß folgen der Spur der Vorreiter einer neuen Gesellschaft. Der Spur derer, die positiv angenommen haben, dass die einzig antizierbare Konsistenz die Konsistenz der Vorläufigkeit ist. Die in hrem Alltag Veränderlichkeit als Chance zu neuer Autonomie und neuem Gemeinsinn begreifen. Es sind die „Pioniere der Wiederaneignung

von Zeit“ (S. 86). Ihre Lebensweisen sollten in „gesellschaftlichen Experimenten im großen Umfang“ (S.147) veranschaulicht werden, um der Untergangsstimmung der Arbeitsgesellschaft i. S. HANNAH AHRENDT´s3Alternativen entgegenzusetzen.

Die Nachfolger des fordistischen Massenarbeiters sind:

- Jobber à la Generation X (DAVID COUPLAND)

Keine Arbeit und kein Geld könnten für sie so wichtig sein, als dass sie ungeteilte Aufmerksamkeit verdienten. Viel sinnvoller sind wechselnde „McJobs“, die den Kopf und den Tag frei lassen für wichtigere Akte. Und diese Akte werden nicht länger begrifflich degradiert werden als „außerberufliche“ Tätigkeiten, als „Freizeit“. Zeit ist das Merkmal von Freiheit. Der Unterschied zwischen freihabenund freisein. Diese Weigerung, sich an Beruf und Firma zu binden, kann als ein Versuch gewertet werden, die Erwerbsarbeit ihrer zentralen Rolle zu berauben.

- Die neuen Wissenseliten

Die brillanten Absolventen der Grandes Ecoles in Frankreich verweigern den full-time- Einsatz für eine herkömmliche Karriere. Sie definieren beruflichen Erfolg einfach anders: freie Einteilung von Zeit, freie Zeit. Nur selten wird das Unternehmen als große Familie anerkannt, es wird unsentimental gewechselt, wenn ein anderer „Arbeitsplatz- Dienstleister“ einen besseren „Lohnservice“ etc. anbietet. Der Anspruch des postfordistischen Unternehmens auf die ganze Person mündet bei seinem vielversprechenden Nachwuchs ins Gegenteil: in subjektive Distanz, in die Suche nach selbstbestimmten Tätigkeiten. Obwohl die Diplomanden doch auf Effizienz und Motivation explizit vorbereitet wurden... Die Intellektualisierung der Arbeit bringt also von selbst keine Identifikation mit ihr.

- Die ersten „Gemeinwohl-Unternehmer“

ULRICH BECK sieht die Potentiale für Bürgerarbeit gegeben: mit 19 Millionen Freiwilligen in Deutschland. Zunehmend. Nur müssten die Organisationen eingehen auf die Wünsche nachunregelmäßigem, biographisch passenden Engagement. In dieser Spielart des Gemeinwohldiensts geht die Bereitschaft nicht zurück wie bei regelmäßigem Ehrenamt.

Diese Tendenzen sind wohl bekannt, werden meist aber aus einer anderen Richtung besehen, der der alten Deutungsmuster. Und natürlich muss Autonomiestreben in der Schablone erwerbsgerichteten Konformismus aussehen wie Rückzug, Egoismus, Abweichung. Das nur als Anleitung, Skeptikern zu antworten.

Neue potentielle Freiheiten, eine neue Alltagskultur schlummern in den Unterbrechungen(...) können aber nur zu wirklichen Möglichkeiten werden, wenn die Gesellschaft aufhört, sich weiter mit der vorgeblichen Aussicht auf eine Wiederherstellung der vollzeitigen Vollbeschäftigung anzulügen(GORZ, 2000, S. 77)

Das Politische hinkt hinter dem Kulturellen hinterher. - Forderungen

Das Problem liegt also nicht in dem unwiderstehlichen Verlangen aller, mindestens 40 Stunden pro Woche abstrakt zu arbeiten, so resümiert GORZ. Arbeitslose sind demnach auch weniger Arbeitslose alsGeldlose, wobei Geld nur exemplarisch für den Verlust von Rechten steht. Das Problem besteht darin, dass ein Arbeitsplatz inzwischen ein Wert an sich ist, weil an ihn alle gesellschaftlichen Rechte (Aus-Bildung, Anerkennung, Mobilität) gebunden sind.

Es gilt, das Recht, Rechte zu besitzen, von der´Arbeit` abzukoppeln(GORZ, 2000, S. 78)

Als Quelle von Staatsbürgerschaft aber unterliegt der Arbeitsplatz nach Vollzeitnorm nun dem Egalitätsprinzip: er muss allen gleichermaßen zugänglich gemacht werden. Zugleich werden alle Aktivitäten außerhalb dieser Norm minderwertiggemacht. Und wahrgenommen. So wird Zeitsouveränität ebenso befürchtet wie gewünscht, schlicht weil Teilzeitarbeit weniger wert ist, ein berufliches Handicap darstellt. (S. 92) Daher „muss diskontinuierliches Arbeiten zu einem wünschenswerten, sozial abgesicherten Recht werden“ (S. 78)

Aus all diesen Gründen besteht das Problem und seine Lösung vornehmlich als politisches, nämlich in der Definition neuer Rechte und Freiheiten, neuer kollektiver Sicherheiten, neuer Gestaltungen des urbanen Raums und neuer gesellschaftlicher Normen, durch welche Zeitsouveränität und selbstbestimmte Tätigkeiten nicht mehr länger an den Rand der Gesellschaft eingeschrieben, sondern Ausdruck eines gesellschaftlichen Konzepts wären: einer´Multiaktivitätsgesellschaft´,´einer Gesellschaft der wiederangeeigneten Zeit´. Einer Gesellschaft, die die Hervorbringung des sozialen Bandes auf Kooperationsverhältnisse verschiebt, die sich nicht mehr durch den Markt und das Geld, sondern durch Gegenseitigkeit regeln. Einer Gesellschaft, in der sich durch eine Vielfalt von imöffentlichen Raum entfalteten Aktivitäten, die anders alsüber Geldmittelöffentlich anerkannt und geschätzt werden, jeder mit jedem messen kann, deren Achtung gewinnen und seinen Wert beweisen und all dies nicht mehr grundsätzlich durch seine berufliche Arbeit und durch das verdiente Geld tun muss.(GORZ, 2000, S. 92) B: Jenseits der Erwerbsgesellschaft: Multiaktivität

Das Bedürfnis zutun, zu handeln und zu wirken, hat zunächst nichts gemein mit dem Bedürfnis sicher - auf der Basis eines Einkommens - zu leben. Die Industrialisierung erst hat beide künstlich verschmolzen zur Arbeit, die manhat.

Heute braucht aber gerade das Kapital immer weniger diese Arbeit: sie wird immer mehr zu etwas, was mannicht hat. Und wenn doch: Wirkliches Tun, Arbeit im anthropologischen Sinne vonpoiesis(schaffen), findet nur noch äußerst selten als Erwerbsarbeit gesellschaftlichen Raum. Der Glaube an die für den Menschen unabdingbare „selbsttätige Gestaltung der stofflichen Umwelt“ rechtfertigt also die Erhaltung der fremdbestimmten Lohnarbeit nicht.

Wenn die Erwerbsarbeit die Konstruktion einer Zeit ist, dann kann man sie genau deshalb in einer anderen Zeit dekonstruieren: Das passiert sowieso, wie die weltweiten Arbeitslosenzahlen nahelegen. GORZ schlägt einfach einen anderen, nicht-liberalen Weg vor:

Man verteile (um Handeln und Überleben wieder zu entkoppeln) ...

- zum einen dieArbeit(als die Gesamtheit dessen, was zu tun ist), neu und anders, ...

- und zum anderen denReichtum(als das, was wieder alle schaffen, indem sie alle tun).

Multiple (nicht unbedingt in herkömmlicher Logik ver- und aufgewertete) Aktivitäten werden über Sinn und Unsinn des Lebens entscheiden, selbsttätiges Handeln wird immer mehr Raum einnehmen, soziale Beziehungen (und Subsistenzzusammenhänge) hervorbringen, bis „die Arbeitszeit schließlich aufhört, die gesellschaftlich vorrangige Zeit zu sein“. Jede zeitfüllende Tat wird die psychosozialen Funktionen der Arbeit nach MARIE JAHODA erfüllen.

Der Kampf um die Zeit und womit man sie anfüllt, wird zum Kampf um die Macht selbst. Sein Ausgang entscheidet, ob das Unternehmen über Flexibilität entscheidet oder das Individuum, denn das souveräne Nutzen der eigenen Zeit ist nicht nur ein neues Streben der Individuen. Es ist auch eine Forderung des Managements an ihre Humane Ressources: diese sollen ihre Arbeit eigenverantwortlich, autonom steuern können.

Die Frage, die noch offen ist, der Konflikt um die Macht, ist dasZielder Zeitautonomie. Soll das Unternehmen flexibel am Markt oder der Mensch flexibel auf seine Bedürfnisse reagieren können? Wird es eineAutonomie der Autonomiegeben? Werden die Menschen Subjektesein, die wählen, wann sie arbeiten, wann sie schwimmen, wann sie erziehen, wann sie gärtnern, wann sie diskutieren? Mit der Erlaubnis zu wählenundder Fähigkeit zu wählen?

Oder werden wir immer mehr verlernen, für uns selbst zu sorgen, und so immer mehr Objekteunseres eigenen Lebensunterhalts werden, den wir immer dann verdienen können, wenn uns jemand braucht? Dann arbeiten wir eben einen Monat lang 16 Stunden täglich, gehen eben nicht schwimmen, vergessen, dass die Gesundheit eigentlich zweite Priorität genießt, in der Liste der Dinge, die uns wirklich wichtig sind. Wird es also nur eine Teilautonomiegeben, die so heißt, weil wir gerade autonom genug sind, das Beste aus uns heraus zu holen? Für ein Prinzip allerdings, das sich wiederum unserer Autonomie entzieht: der Logik des Marktes?

Diese zwei Knoten, die - aus denselben Fäden gebunden - sich erschreckend ähnlich sehen, finden ihre Entsprechung in der öffentlichen Debatte um die Konzepte Multi- und Pluriaktivität.

- Pluriaktivität ist eine Idee der Arbeitgeberseite.

Mit sogenanntenBeschäftigungsverträgensoll die Arbeit während begrenzter Zeiträume unterbrochen werden können. Zeiträume, in denen die Firma ihrer Mitarbeiter nicht bedarf. Diskontinuität soll erhöht werden bei mindestens gleichbleibender Bindung. Das geschieht, indem sich mehrere Unternehmen einen Pool von Angestellten teilen: sie leihen sie bei Bedarf aus. Oder weitergehend: man wird verborgt an gemeinnützige Akteure, wobei die pluralen Tätigkeiten den „Interessen der assoziierten Unternehmen entsprechen müssen.“ (Commissariat général du Plan, zitiert nach GORZ, S. 105)

Der Arbeitende ist multipel tätig, aber letztlich steht er auf einem weiteren Feld als zuvor im Dienst seiner Firma. So bleibt er einer instrumentellen Logik verhaftet: er bleibt Täter von Zwecken, die nicht seine eigenen sind. Auch in seiner gemeinnützigen Arbeit. Er ist perZwangdazu angewiesen.Zwangsläufig erhält sich die Erwerbsarbeit ihren zentralen Status, so dass wir alle bereit sind mitzumachen, im Strom der schwindenden Arbeitsplätze.

- Multiaktivität ist ein Ansatz, der die Zeitautonomie im Individuum sehen will.

Das Unternehmen schuldet von nun an der Gesellschaft, den Riegel der Lohnarbeit zusprengen und den einzelnen Personen freizustellen, sich allmählich, in ihrem eigenenTempo, auf die Logik der Multiaktivität einzulassen. (...) Umgekehrt aber kommt es derGesellschaft zu,(...) den entsprechenden rechtlichen und politischen Rahmen zuschaffen.(Centre des jeunes dirigeants, zitiert nach GORZ, 2000, S. 107)

Warum sollten die Unternehmen das tun, fragt man sich. Weil sie im 21. Jahrhundert angewiesen sind auf „reiche und autonome Individualitäten“, die sich Multiaktivität wirklichwünschen. Sie müssen mit der durch Produktivität gewonnenen Zeit umgehen können, damit sie gesund genug sind, in der Arbeitszeit arbeiten zu können. Die Grenzen zwischen Eignern und Dienern des Kapitals verwischen.

Indem der Mensch zum Inhaber seines eigenen Wissenskapitals wird, hat er einen Teil des Unternehmenskapitals inne. (...) Insofern (...) wird es unumgänglich werden, die tägliche Organisation, den reibungslosen Ablauf, aber auch die höchst strategischen Entscheidungen gemeinsam auszuarbeiten und auszuhandeln. Wer wird sich künftig für den Besitzer des Unternehmens halten dürfen? (KARLMARXzumGeneral intellect, nach Gorz, S. 109)

Von der Politik wird, das ist klar, einBruchgefordert, keine bloße Umgestaltung, ein Bruch.4Sie soll die Gesellschaft so vorstrukturieren, die Stadt so planen, dass es ganz normal und hochgradig erwünscht ist, dass jeder und jede montags an einem Artikel schreiben, mittwochs seine Gemeinde begrünen, freitags 20 Kinder mit dem gemeinsamen Bus der Nachbarschaft in eine Partnerschule fahren und dienstags und donnerstags gegen Bezahlung als Ingenieur arbeiten kann. Das gibt soviel Energie und Kontakte, dass Samstag Abend das lokale Theater gut und brechend voll ist.

Es dreht sich um den Unterschied zwischen einer Kulturgesellschaftnach athenischem Vorbild und den Arbeitsgesellschaften. Das Ziel einer jeden Tat, der Kunst, des Sports, der Hilfe soll nicht länger Auslese sein, sondernVortrefflichkeit eines jeden Einzelnen ohne den Anreiz, die anderen zuübertreffen.

Diese andere Gesellschaft steht im wesentlichen auf drei Säulen: einem bedingungslosen Grundeinkommen, der Wiederaneignung der Zeit und intensiver Eigenversorgung.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Grundeinkommensarten (eigene Darstellung)5

Plädoyer für eine ausreichende Absicherung

Ein Einkommen, das allen vom Staat garantiert wird, hat grundlegend unterschiedliche Hintergründe und Funktionen, je nachdem ob es

a) zu niedrig oder

b) ausreichend ist, um sicher in einer Gesellschaft überleben und leben zu können.

a) Grundeinkommen unter dem Existenzminimum

- ... soll die bisherige Arbeitslosenunterstützung ersetzen (und weitere Sozialleistungen, die durch Umverteilungen finanziert werden, wie Sozialhilfe, Wohngeld etc.).

- ... hat explizit zum Ziel, Menschen zu Arbeiten gegen geringe Bezahlung zu bewegen.

- ... wurde in ultrakonservativer Form von Bill CLINTON6(1996) in den USA alsWorkfare durchgesetzt.

Der Anspruch auf eine sehr niedrige Grundsicherung wird verknüpft mit der Verpflichtung, eine kaum oder gar nicht bezahlte gemeinnützige Arbeit zu leisten. In die gleiche Richtung zielen die Drohungen deutscher Gemeinden an ihre Sozialhilfeempfänger, die Zahlungen zu streichen, wenn sie nicht für DM 2,00 putzen, graben oder Müll sammeln.7GORZ weist darauf hin, dass Arbeitslose auf diese Weise vom Staat selbst als Versager und Faulenzer stigmatisiert würden. Dieses Stigma erst berechtigt dann die Gesellschaft, sie zur Arbeit zu zwingen - im Sinne aller und zu ihrem eigenen Besten.

- ... wird als postfordistisches Konzept einesExistenzgeldesvertreten von z.B. YOLAND

BRESSON:

275 bedingungslose Euro monatlich an alle sollen die Akzeptanz flexibler Teilzeitarbeit erhöhen. Zugrunde liegt hier eine neoliberale Position zur Arbeitslosigkeit, nach der viele Arbeitsplätze unrentabel seien, solange sie normal bezahlt würden. Demnach müsse man diese subventionieren: unzureichende Niedriglöhne würden vertretbar, wenn sie durch ein unzureichendes Grundeinkommen ergänzt würden. So blieben Amerika und Europa gegenüber Billiglohnländern konkurrenzfähig.

Die Grundsicherung ginge also indirekt an die Unternehmen. Es wäre staatlich legitim, dass sie vermehrt bis ausschließlich prekäre Beschäftigungsverhältnisse anböten. Unter diesen müsste der Einzelne dann auswählen, um das Notwendige zu den 275 Euro dazu zu verdienen.

b) Ausreichendes Grundeinkommen

- ... wird nicht als Unterstützung verstanden. Es soll im Gegenteil die Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt ebenso wie jene vom Staat als Versorger durchbrechen. Jeder Bürger soll es unabhängig vom Kriterium Bedürftigkeit beziehen.8 So wird eben auch niemand als bedürftig ausgewiesen, bzw. stigmatisiert.

- ... sollte nicht in seiner Höhe diskutiert werden, da man mit dieser Debatte „zurück“ in die Logik der Lohngesellschaft verweist. In einer Multiaktivitätsgesellschaft verändert sich ja gerade der Anteil der mittels Geld befriedigten Bedürfnisse. Und damit die quantitative Definition von „ausreichend“.

- ... hat als Forderung eine ca. 100-jährige sozialistische, kommunistische (um 1900), intellektuelle (30er Jahre) und grüne (80er) Tradition, findet außerdem aktuell Diskussionforen bei Philosophen, Soziologen, Bürgerinitiativen, demokratischen Sozialisten bis hin zu Mittelständlern.

Plädoyer für Bedingungslosigkeit

GORZ (1983) selbst hat einbedingungslosesGrundeinkommen lange abgelehnt, da er hier die Gefahr der Abschaffung von Arbeit sah. Gefahr deshalb, weil sie ihm nur möglich schien, wenn andere Menschen dafür um so härter arbeiteten. Er forderte als Gegenleistung des Einzelnen ein Mindestmaß an Wertschöpfung, z.B. 20.000 Stunden, zeitlich beliebig im Laufe seines Lebens angesiedelt.

Andere Vorschläge für obligatorische Gegenleistungen sind:

1. „ehrenamtliche und gemeinnützige Tätigkeiten im Pflege- und Erziehungsbereich im Rahmen offiziell anerkannter Verbände “ (OFFE & RIFKIN, zitiert nach GORZ, S. 121)

2. „Erfüllung von Haus-, Pflege- und Fürsorgearbeit. Personen, die bereits für ein Kind, einen Kranken, eine behinderte Person sorgen, sollten von dieser Regelung ausgenommen werden.“ (ELSON, zitiert nach GORZ, 2000, S. 122)

3. BürgerlohnfürBürgerarbeit9(BECK, 1999) BECK unterscheidet sich in einigen Punkten von den anderen Autoren. Er konzipiert Bürgerarbeit als ein Konzept, das sich heute in die Gesellschaft einfügen ließe, das aber auf neue Zusammenhänge schon verweist. Bürgergeld soll gemeinnützige Arbeit ermöglichen, aber vs. OFFE & RIFKIN eben gerade nicht in offiziellen Verbänden. Stattdessen propagiert er eine Kultur des „schöpferischen Ungehorsams“, die sich mit den neuen „Gemeinwohl-Unternehmern“ entwickeln soll: diese Personen vereinen die innovative Kraft und unbürokratische Flexibilität eines Unternehmers mit der Non-Profit-Orientierung eines Freiwilligen. Die Beteiligten an dieser „organisierten Spontaneität“ (alles BECK, 1999) lernen und lehren - als Modell

-, in sozialen Gefügen jenseits der Erwerbsgesellschaft zu leben und zu arbeiten.

GORZ (2000) kritisiert diese Vorschläge, inklusive seinen eigenen, in folgenden Punkten:

a. „Wie soll man (...) verhindern, dass die obligatorische Arbeit in Konkurrenz tritt zu (...)

normal entlohnten Tätigkeiten (...) und diese möglicherweise ganz verdrängt?“ (S. 121) Diejenigen, die auf eine Wiederkehr der Vollbeschäftigung hoffen, setzen doch gerade auf den Dienstleistungsbereich! (als Klassiker FOURASTIÉ, 1954, nach BONß, 2000)

b. Die letzten Räume kooperativer Versorgung geraten in den „Sog der Erwerbsarbeit (...)

Tätigkeiten, die ihren Sinn gerade aus der Selbstlosigkeit ziehen, dienen als Mittel, sich ein Einkommen zu sichern.“ (S. 123) Die Arbeit echter Freiwilliger wird entwertet, indem ihnen pflichtmäßige Freiwillige zur Seite gestellt werden. Denn: Wer wird noch als echter Freiwilliger anerkannt, wenn viele keine andere Wahl zum Überleben haben?

c. Für die Armen einer Gesellschaft wird ein Kind oder ein Greis der einfachste Weg, Geld

zu verdienen. Beispiel New York: Das Recht auf eine Wohnung und ein Sozialeinkommen für alleinstehende Mütter hat deren Zahl sprunghaft ansteigen lassen, vor allem unter minderjährigen Frauen. Beispiel Frankreich: Ein ähnlicher Mutterlohn, auf

3 Jahre begrenzt, lässt ledige Frauen alle 3 Jahre Kinder kriegen. Affektive, spontane Beziehungen werden - in Existenzangst - regelrecht verkauft.

d. Und welchen Stellenwert werden die neuen „Freiwilligen“ selbst ihrer Tätigkeit

beimessen? Es ist zu erwarten, dass sie als Pflicht immer minderwertig gegenüber einer Erwerbsarbeit auf dem „freien“ Markt bleiben wird. OFFE & RIFKIN denken sogar vorrangig an strukturell überflüssige Arbeitskräfte. BECK sticht wieder heraus, da er Bürgerarbeit nicht als „Armenghetto“ konzipiert. Es ist eine Alternative, die jeder jederzeit zur Erwerbsarbeit wählen kann. Ein Vorgriff auf die Durchlässigkeit der Multiaktivitätsgesellschaft: zwei Jahre Lehrerin, dann ein Jahr Kinderküche ...

e. Schöpferische Tätigkeiten werden ausgeschlossen. In einer Kulturgesellschaft sollte

auch ein Tanz, ein Bild oder eine Idee über den Sinn des Lebens wertvoll sein. In der Begrenzung auf soziale Nützlichkeit muten (mir) die Konzepte eher wie die Retter der

unbezahlbaren sozialen Marktwirtschaft an. An dieser Stelle setzt vor allem die Kritik der „Neuen Freiwilligen“ als einer „Antwort auf die Krise“ von GISELSA NOTZ (1998) an. (Außerdem: Nur wenn Sinnstiftung anerkannt und ermöglicht wird, kann eine neue Gesellschaft genügend Anregungen generieren, um besser als die alte zu werden.)

Auf seine Kritik gründet Gorz sein Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Wohin wird es führen, und was ist daran wünschenswert:

- Frei vom Lohnsystem wird der Einzelne den Tätigkeiten nachgehen können, die ihn erfüllen und dabei ungeahnte Produktivität entwickeln, denn Zwang zur Arbeit wirkt nur kontraproduktiv.10Durch eine Existenzsicherung eigenbestimmtes Tätigsein ist die Basis einer - in jeder Hinsicht - reichen Multiaktivitätsgesellschaft.

- Bedingungslosigkeit kommt einer „Ökonomie des Immateriellen“ am weitesten entgegen, da sie auch frei von der Bedingung Arbeitszeit ist. Wenn der „general intellect“ Hauptproduktivkraft ist, macht Arbeitszeit keinen Sinn mehr. Man kann die Produkte von Geist und Phantasie nicht mit der Hilfskonstruktion Zeit messen. Jegliche Gegenleistung müsste aber zeitlich festgelegt werden.

Jedem Arbeitsakt gehen heute einige Jahre Ausbildung voraus. Wobei die Ausbildung selbst wenig wiegt gegenüber allen anderen bildenden Prozessen, die den postfordistischen Arbeitnehmer hervorbringen: kommunikativ, kreativ, interpretativ, innovativ... Wie will man diese „Vorbereitungs“-Zeit angemessen in eine allgemeine Gegenleistung einkalkulieren?

- Mit einem sozialen Grundeinkommen bewegen wir uns „jenseits des Wertgesetzes“:

Da das Sozialprodukt aus integrierten ´Mensch-Maschine-Organisations`-Systemen hervorgeht, in denen der´besondere Beitrag des Einzelnen nicht mehr messbar ist`, wirdes zu einem wirklichen Gemeingut.(S. 130)

Das stellt zum einen dieVerteilungsfrageneu: Die Antwort kann sich nicht mehr an Entlohnung orientieren. Lohn spiegelt den Wert der Arbeit wider: wie viel Produkt durch sie in einer bestimmten Zeit geschaffen wurde. Dies Prinzip aber ist überholt. An seine Stelle tritt eine Vergemeinschaftung des produzierten Reichtums, von dem alle ihren Lebensunterhalt bestreiten. Wenn der Lebensunterhalt das neue Maß ist, hängt von denBedürfnissenab, wie viel verteilt wird.

Zum anderen stellt sich diePreisfrageneu: Der Preis kann in einer Wissensökonomie weder die Produktionskosten noch den Tauschwert widerspiegeln. Die Preise müssen politische Preise sein, auf der Basis des gesellschaftlichen Lebenskonzepts.11Auch diese Frage wird also mit Bedürfnissen neu beantwortet.

- Ein bedingungsloses Grundeinkommen wird nun diese Bedürfnisse grundlegend neu organisieren.

Die Produktivität steigt mit Automatisierung und Wissensexplosion immer weiter und setzt immer mehr Arbeitszeit frei. Ohne Grundeinkommen führt das zu Armut und gesellschaftlichem Verfall. Mit Grundeinkommen ändert sich die Perspektive völlig: Man reagiert endlich auf die neue freie Zeit. Sie wird nutzbar als „Mußezeit für höhere Tätigkeiten“ (MARX). Seine Zeit sinnvoll nutzen zu können, das wird die neue Kardinaltugend! Um diese Autonomie werden sich die Bedürfnisse gruppieren.

In finanzieller Sicherheit können sich die Individuen in der freien Zeit entwickeln, sie können lernen, zu planen, zu entwerfen, zu schöpfen. Letztlich heißt diese „freie Entwicklung der Individualitäten“ (MARX) auch grenzenlose Produktivität. Und kommt so den Unternehmen zugute. Allerdings ist Leistungsfähigkeit jetzt die Folge, nicht mehr das erklärte Lebensziel.

Daher ist die Frage „Wie wollen Sie das finanzieren?“ aus unserer heutigen Leistungs- und Konsumgesellschaft heraus nicht zu klären..12GORZ vertraut: Die neue Gesellschaft wird ganz neue Wege zeigen. Von Einsparungen durch weniger Bürokratien, die allein der Bedarfsprüfung dienen, bis zur Selbstversorgung liegt das Spektrum vor uns.

Das bedingungslose Grundeinkommen verweist letztendlich auf eine Gesellschaft, in der die Notwendigkeit der Arbeit sich als solche nicht mehr bemerkbar macht, weil jeder von Kindheit an von einer Fülle künstlerischer, sportlicher, wissenschaftlich-technischer, kunstgewerblicher, politischer, philosophischer,ökosophischer und kooperativer Aktivitäten beansprucht und mitgerissen wird. Eine Gesellschaft, in der die Produktionsmittel und die Mittel zur Selbstversorgung allen jederzeit zugänglich sind wie heute schon die Datenbanken und die Telearbeitsmittel. Eine Gesellschaft, in der sich Tausch prinzipiell als Austausch von Wissen und nicht von Waren begibt und also keiner Vermittlung des Geldes mehr bedarf.(GORZ, 2000, S. 133)

II. Umverteilung der Arbeit und Wiederaneignung der Zeit

Diskontinuität ist der einzige Ausweg aus der Massenarbeitslosigkeit. Die vorhandene Arbeit kann und muss auf mehr Menschen verteilt werden, um Arbeitsplätze zu sichern.

Alle Arten von erlittener Diskontinuität der Erwerbsarbeit und von erlittener Flexibilitätmüssen in selbstgewählte und selbstbestimmte Möglichkeiten von Diskontinuität undFlexibilität umgewandelt werden.(S. 139)

Es finden sich derzeit beide Formen als gesellschaftliche Realitäten. Sie entwachsen je entweder der neoliberalen Idee der Pluriaktivität oder aber dem Konzept Multiaktivität (s. S.7)

a) Fremdbestimmte Diskontinuität

Beschäftigungsverträge und gemeinsame Mitarbeiterpools sollen den Unternehmen ermöglichen, auf Nachfrageschwankungen reagieren zu können ohne hohe Kosten.

- VW - das atmende Unternehmen

- Arbeit auf Abruf / zero-hour contract

Man ist hier nicht mehr im herkömmlichen Sinn beschäftigt, sondern verpflichtet, jederzeit zur Verfügung zu stehen. Gleich den Tagelöhnern zu ZOLA´s Zeiten wartet man, bis man gebraucht wird und arbeitet dann zum vereinbarten Stundenlohn.

b) Selbstbestimmte Diskontinuität

Freiraum für an der Person orientierte Flexibilität soll durch Unternehmen und Gesellschaft bereitgehalten werden, damit Individuen gemäss ihrem Tempo lernen, Zeit zu haben, Zeit zu nutzen.

- unternehmenspolitisch:

Rabot Dutilleul (französisches Tiefbauunternehmen):„Eins von Fünf“-System

Das Personal kann die Arbeitszeit alle fünf Tage um einen Tag, alle fünf Wochen um eine Woche bzw. alle fünf Monate um einen Monat verringern.

- sozialpolitisch - gewerkschaftlich:

FNV (niederländische Hauptgewerkschaft):„Wähle deine Arbeitszeit selbst“

Wählen kann der Arbeitnehmer die Tage pro Woche: zwei, drei, vier sowie die Monate pro Jahr: vier, sechs, neun.

- sozialpolitisch - gesetzlich:

Dänemark, 1993: „Eins von Vier, Sieben oder Zehn“-Systeme

Wenn ein Arbeitnehmer seine Arbeitszeit um n Stunden, Wochen, Monate oder Jahre verkürzen will, wird dementsprechend das Personal aufgestockt. Der Beurlaubte erhält

70 % der Arbeitslosenunterstützung, die ihm bei Entlassung zustehen würde (80 % des Gehalts). Das ist ein soziales Grundeinkommen! (Bedingt allerdings noch insofern, als dass man schon so und so lang gearbeitet haben muss, um in den Genuss des Rechts zu kommen.)

Dieses individuelle Recht wurde von den Gewerkschaften einfallsreich genutzt. Beispiel Müllabfuhr von °Arhus: jeder arbeitet nur noch drei von vier Wochen, dafür können an jedem Wagen statt bisher drei nun vier Personen arbeiten. Gehaltseinbuße von 11%. Beispiel öffentlicher Verkehr: jedes Jahr geht ein Zehntel der Belegschaft in Urlaub, dafür konnten 10% mehr Leute eingestellt werden. Entscheidend: der Beschluss und die Organisation ging jeweils von den Beschäftigten selbst aus!

Mit dem Rückenwind der Politik muss Diskontinuität also nicht mehr prekär für den Einzelnen sein. Im Gegenteil: je diskontinuierlicher die Arbeit, desto sicherer und zahlreicher werden Arbeitsplätze. Und desto souveräner sind die Erwerbstätigen in ihrer Zeiteinteilung.

Das dänische System enthält im Keim GORZ` neue Gesellschaft und Ökonomie:

a. Anstatt Erwerbsarbeit zu subventionieren, um Lohnkosten zu senken, subventioniert es Nicht-Arbeit. Damit werden Arbeit und Nicht-Arbeit rechtlich gleich wichtig. Die Arbeitsideologie wird geschwächt zugunsten einer Arbeitsumverteilung.

b. Ein kontinuierliches Einkommen ermöglicht diskontinuierliches Arbeiten. Es handelt sich nicht um eine Arbeitslosenunterstützung, denn es wird gezahlt bei freiwilligen Unterbrechungen der Erwerbsarbeit.

c. Das System ist sehr anpassungsfähig. Kleinstbetriebe tendieren auf der Basis des Gesetzes zu Job-Sharing oder Auftrags-Sharing. Großbetriebe s.o. Es liegt hier also ein Ansatz vor, der die ganze bisherige Lohngesellschaft einbezieht.

„Um die Gesellschaft zu verändern, muss man ´die Arbeit` verändern - und umgekehrt“. Neu verteilt arbeiten heißt zugleich „anders arbeiten“. Es gilt, die Arbeit von allen Zwängen zu befreien. Es gilt, sie als Fortsetzung einer Alltagskultur zu leben. Es gilt, sie sich von Kindheit an anders anzueignen, „wenn sie nicht mehr als Strafe, sondern als eine in die Lebenszeit eingelassene Aktivität gelebt wird“. (alles GORZ S. 142)

III. Selbstorganisation und Kooperation

La citésubjective

Der kulturelle Wandel, so weit er in einzelnen Köpfen fortgeschritten sein mag, bleibt dort gefangen, solange er keinen Raum hat sich auszudrücken. Die Gesellschaft kann sich nur mit den Denkweisen ändern, die Denkweisen aber nur mit der Gesellschaft. Ein Teufelskreis? Wie ihn unterbrechen?

Hier treten Architektur und Städtebau auf die Bühne. Die Stadt kann „dasgesellschaftliche Experiment im großen Umfang“ sein, das wir brauchen: „Positive Erfahrungen mit neuen Wohnformen können beträchtliche Konsequenzen haben, um den allgemeinen Willen zu Veränderungen zu stimulieren.“ (FÉLIX GUATTARI, zitiert nach GORZ, S. 147) Es gilt, menschliche Multiaktivität zum Maßstab des Entwurfs werden zu lassen. Es gilt, die Stadt der Subjekte zu konstruieren. Es gilt, Siedlungen zu planen, die dichte Beziehungsnetze beheimaten können, die Platz haben für all die Parks, Kinderküchen, Theater und Sitzungssäle, in denen wir handeln und leben werden.

Elemente dieser Visionen finden sich in der ökosophischen Modellstadt Parthenay in Kopenhagen oder Bologna. Zu vermuten sind sie auch in den Niederlanden, wo 37% der BürgerInnen (70% der Frauen, 17% der Männer) Teilzeit arbeiten. Nur 4% von ihnen wollen mehr arbeiten. Weitere 22% der Männer wollen weniger arbeiten und weniger Geld verdienen. Viele NiederländerInnen wissen also den Gebrauchswert ihrer Zeit von deren Tauschwert zu unterscheiden. Scheinbar gibt es (sub)urbane Räume, in die sie ihre freie Zeit tragen können.

Tauschringe und Zeitgeld

Mit den

- Kooperations- oder Tauschringen im Deutschland

- SELs (systémes de echange locaux) in Frankreich oder

- LETS (Local Exchange Trading Systemes) in Großbritannien und § nordamerikanischen und australischen Varianten

liegen beste Beispiele gesellschaftlicher Großexperimente vor. Sie sind Antworten auf Massenarbeitslosigkeit in den 20er und 30er Jahren und - wiedergekehrt - in den 80ern.

Die grundlegende Frage lautet: Warum muss Arbeit immer „gegeben“ werden? Warum erfolgt ihr Austausch immer vermittelt über Geld und Waren? Warum nicht „auf die rationellste und der menschlichen Natur angemessenste Weise“ (MARX)? Das grundlegende Prinzip ist die Zahlungsfähigkeit eines jeden Menschen. Jeder kann etwas tun, was andere brauchen. Dieses „immaterielle Kapital“ wird getauscht. Nicht direkt und sofort, das würde unserer Poly-Multi-Pluri-Gesellschaft nicht mehr gerecht. Der Tauschring nutzt einArbeits-oder Zeit-Geld oder grünes Geld13: jede Stunde, die ich erhalte, ist eine Schuld, die ich irgendwann begleichen muss, indem ich dann eine Stunde etwas tue, was ich kann.

Das Zeitgeld unterscheidet sich in seiner Wirkung in entscheidenden Punkten vom konventionellen Geld, da es zeitlich und örtlich nur beschränkt gültig ist:

- Ein Guthaben muss innerhalb der nächsten drei bis zwölf Monate gegen eine Leistung eingetauscht werden, sonst verfällt es. Dieses Geld kann also nicht gehortet werden. Damit kann es keine Banken, keine mächtigen Kreditgeber geben.

- Zeit-Geld kann nicht um seiner selbst willen begehrt werden. Sein schneller Verfall führt zugleich zu Konsum und zu Selbstbeschränkung. Man wird nicht mehr arbeiten, d.h. Zeit- Geld anhäufen, als man absehbar Bedürfnisse hat. Und wenn man gearbeitet hat, sollte man sich sogleich etwas dafür gönnen.

- Da es nur im Bezirk des Tauschringes gültig ist, wird die lokale Wirtschaft gestärkt. Die Bevölkerung kann Übersicht über und Einfluss auf die Waren zurückgewinnen. Das sollte Müritz-Milch in Sachsen und Sachsen-Milch an der Müritz Vergangenheit sein lassen.

Tauschringe sollten aber nicht als Rückkehr zur dörflichen Ökonomie gedacht werden. Die Erfahrungen zeigen im Gegenteil, dass das System um so stärker ist, je mehr Menschen und Kompetenzen es vereinigt. So kann man in El Paso (Neu-Mexiko) Arzthonorare, in Ithaca (New York) den Einkauf und in den Niederlanden Restaurantrechnungen mit „grünem Geld“ bezahlen. Diese Beispiele verweisen darauf, dass es sich nicht um ein Armen-Geld handelt. Auch wenn es als Notlösung aus der Arbeitslosigkeit kreiert wurde, darf es nicht als isolierte Maßnahme für Arbeitslose eingesetzt werden. Zeit-Geld würde so schnell als Abbau von Sozialleistungen entlarvt werden.

Tauschringe und Zeitgeld tragen wichtige Veränderungen in die neue Gesellschaft hinein:

a. Hier haben wir die Möglichkeit, die Digitalisierung positiv anzueignen. Das Internet kann

die Verwaltung für alle Teilnehmer transparent machen. Es erleichtert die Selbstausbildung, hin zu Fähigkeiten, die andere im Ring brauchen können. Der allmächtigen „bösen“ Globalisierung wird der Anfang einer anderen Globalisierung entgegengesetzt, die gerade im Lokalen wirkt.

b. Der Einzelne kann in seinen schwächsten Momenten Autonomie erlangen. Bestimmte Leistungen könnten von der beschränkten Gültigkeit befreit werden, wie die Pflege von alten Menschen, die keine Gegenleistung erbringen können. Im Laufe seines Lebens sammelte man Pflegeguthaben, die man aufzehrt, wenn man sie braucht. Man müsste in einer mobilen Gesellschaft nicht mehr auf Willen und Nähe von Verwandten vertrauen.

c. In der modernen Gesellschaft wurde das Prinzip Gegenseitigkeit in die Privatsphäre verbannt. In Tauschringen bekommt Kooperation wieder mehr Raum. Das Zeit-Geld liefert den Beweis, dass es neben Geld noch andere Quellen von Recht und Wohlstand gibt. Der Mensch wird wieder Vertrauen gewinnen, dass es eine Welt neben der des Konsums geben kann. Das ist Stütze für Selbstbewusstsein und Kritikfähigkeit. Hier lernt der Bürger wieder, nicht allein als bourgois sondern auch als citoyen aufzutreten.

d. Das „System“ kann nicht völlig in der „Lebenswelt“ aufgehen, sagt HABERMAS. Ein Gesellschaftsentwurf kann demzufolge nicht das Kleine konstruieren und das Große vernachlässigen. GORZ verweist hier auf die „Rückbindung“ des Systems an die Lebenswelt. Beispiel niederländische eco-teams. Der Antrieb zur Gründung war eine lokale Angst vor globalen Veränderungen. Wenn weiter fossile Brennstoffe eingesetzt werden, wird es immer wärmer, der Meeresspiegel immer höher und die Niederlande unsichtbar. Es galt zu beweisen, dass es sich mit weniger Konsum besser leben lässt. Wissenschaftler, Architekten und Bürger taten sich in zehn Städten zusammen und traten in Wettstreit um Selbstgenügsamkeit. Wegen ihrer allgemeinen Bedeutung erlangen die mikrosozialen Initiativen allgemeine Anerkennung. Sie tragen als gesellschaftliche Experimente zur Ausbreitung eines Lebensstils bei.

Selbstbeschränkung und Genügsamkeit werden, statt als Opfer und Askese zu gelten, zu befriedigenden, sozial hoch angesehenen Möglichkeiten, persönliche Autonomie zu beweisen und die Entfaltung und Souveränität von Menschen und Gemeinschaften anzustreben.

Literatur und Links:

- BECK, ULRICH. 2000.Die Seele der Demokratie: Bezahlte Bürgerarbeit. in: BECK, ULRICH (Hrsg.). Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S.416-447. Fankfurt am Main: Suhrkamp § BONß, WOLFGANG. 2000.Was wird aus der Erwerbsgesellschaft?. in: BECK, ULRICH

(Hrsg.). Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S. 327-415. Fankfurt am Main: Suhrkamp

- Die Glücklichen Arbeitslosen. 2000 und was machen sie so im Leben?. in: BECK,

ULRICH (Hrsg.). Die Zukunft von Arbeit und Demokratie. S. 108-120. Fankfurt am Main: Suhrkamp

- GARMS, HINRICH. 2000.Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen?! Modelle und

Diskussionsstränge.in: BAG SHI (Hrsg.). Existenzgeld für alle. Neu-Ulm: AG-SPAK Bücher

- GORZ, ANDRÉ. 2000.Arbeit zwischen Misere und Utopie. Fankfurt am Main:

Suhrkamp

- NOTZ, GISELA. 1998.Die neuen Freiwilligen. Das Ehrenamt - Eine Antwort auf die Krise?. Neu-Ulm: AG-SPAK Bücher

- WILDE, OSCAR. 1982. Der Sozialismus und die Seele des Menschen. Zürich: Diogenes

- www.Existenzgeld.de

[...]


1Diese Arbeit ist in weiten Teilen als ein kommentiertes Exzerpt seines in Frankreich 1997 unter dem Titel „Misère du présent. Richesse du possible“, in Deutschland 2000 als „Arbeit zwischen Misere und Utopie“ erschienenen Buches zu verstehen. Ich habe daher nicht alle Anlehnungen an ihn explizit gekennzeichnet, zumal GORZ ständig springt zwischen eigenen sowie zitierten Thesen, Forderungen und zusammengetragenen Fakten. Der Textfluss hätte zu sehr gelitten. Außerdem hatte ich die Arbeit nur als Grundlage für mein Referat gedacht, die Ansprüche an exaktes wissenschaftliches Arbeiten voll zu erfüllen waren nicht die meinen in diesem Fall. Schließlich habe ich GORZ` Gedankengut so verinnerlicht, dass Abgrenzung ohnehin schwierig ist.

2 WOLFGANG BONß entwirft in seinem Artikel „Was wird aus der Erwerbsgesellschaft?“ (2000) vier Zukunftsszenarien. Die Ökologie entscheidet in seinen Betrachtungen maßgeblich mit, ob wir - im Falle des Erhalts der Erwerbsgesellschaft eher rosige oder trübe Aussichten haben. Selbst wenn uns Dienstleistungen, Web etc. voll beschäftigen werden können, setzt uns unsere Lebenswelt die Grenzen. Umdenken?

3in der „alle Glieder der Gesellschaft, womit immer sie beschäftigt sind, ihre Tätigkeiten vornehmlich als Lebensunterhalt für sich und ihre Familie ansehen.“ (Ahrendt in “Vita activa”, 1967, S. 47)

4Allerdings, bezogen auf die politische Grundform Demokratie, einsystemimmanenter Bruch(damit zitiere ich Ronald BLASCHKE, sprechend auf einem Forum zur Existenzsicherung im Büro Dresden der Friedrich-Ebert- Stiftung am 9.5.2001). Eine Multiaktivitätsgesellschaft wird gerade einen demokratiefähigen demos hervorbringen (s.u. bourgois vs. citoyen) und so schlimmere Brüche vermeiden können.

5 Diese Darstellung lehnt an an das, was GORZ zusammengetragen hat. Ein Vergleich verschiedener Grundsicherungsmodelle, wie sie in Deutschland gefordert werden von z.B. PDS, DGB und BAG SHI (Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen) ist GARMS, 2000.

6Dass CLINTON radikaler Verteidiger der Erwerbsgesellschaft ist zeigt sich an seiner Meinung, jeder Job sei besser als keiner. Arbeit aus ethischen, ökologischen etc. Gründen zu verweigern, ist so freilich inakzeptabel.

7s.a. aktuelle bundesdeutsche Debatte um die sogenanntenArbeitsunwilligen

8KITZMÜLLER wies in seinem Vortrag beim Works hop zum Thema Zukunft der Arbeit am 10.04.2001 im Sächsischen Landtag darauf hin, dass man sich die Universalität dieses Anspruches plastisch an der Aussicht verdeutlichen könne, dass auch Millionäre ein Grundeinkommen beziehen würden. Allerdings würden sie in einer neuen Verteilungslogik einiges mehr abgeben. Der letzte Armuts- und Reichtumsbericht deckte auf, das die BRD keine Ahnung hat, was mit Einkünften von mehr als DM 35.000,- pro Monat passiert, darüber führt niemand Buch, während jeder Sozialhilfeempfänger seine Vermögensverhältnisse restlos offen zu legen hat.

9Man beachte die Richtung: Arbeit ist nicht länger Mittel zum Geldverdienen, sondern Geld ist das Mittel zur Arbeit, die damit Zweck - Selbstzweck - wird.

10Nur wer nicht daran glaubt, dass der Mensch danach strebe, sich selbst zu aktualisieren (i.S. ROGERS), nur der also, dessen Menschenbild ein nicht-humanistisches ist, wird meinen, dass man den Menschen zum Tätigsein zwingen muss. Zur genuin psychologischen Frage, wie der Mensch auf ein Grundeinkommen reagierte, verweist GORZ auf einen Aufsatz von LYNN CHANCER (1998).

11GORZ lässt die Frage offen, wer denn diese politischen Preise festlegen würde. Schon in früheren Arbeiten gibt er aber die Antwort: eine Kommission würde eingesetzt, über unser Lebenskonzept zu entscheiden. Hier regt sich Widerstand bei mir: wie nahe ist elitär zu totalitär? Ist es nicht besser, solche Entwicklungen der langsamen demokratischen Konsensfindung zu übergeben? Vgl. als Gegenpol: Karl Popper´s „offene Gesellschaft“

12Das Konzept der BGA SHI sieht ein „Take half“-Modell vor. Jeder gäbe von seinen Einkünften die Hälfte ab und bekäme dafür die Grundsicherung (GARMS, 2000)

13Insgesamt sind mehrere Arten von Geld vorstellbar: ein kapitalisierbares Geld, das konvertierbar und unbeschränkt gültig ist wie unseres heute, ein Geld für den Konsum mit beschränkter Gültigkeit, das darum nicht gehortet werden kann und lokale Geldsorten für den Tausch (GORZ, 2000, nach PASSET & ROBIN, 1996).

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Zukunft der Arbeit
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Seminar Tätigkeitsgesellschaft
Autor
Jahr
2000
Seiten
17
Katalognummer
V103054
ISBN (eBook)
9783640014347
Dateigröße
405 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Zukunft, Arbeit, Seminar, Tätigkeitsgesellschaft
Arbeit zitieren
Kristin Anacker (Autor:in), 2000, Zukunft der Arbeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103054

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