Sozial benachteiligte Jugendliche in der außerschulischen politischen Bildung. Anforderungen, Herausforderungen und Praxisbeispiele


Bachelorarbeit, 2019

40 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Zielsetzung
1.3 Vorgehensweise

2. Entwicklung der politischen Bildung
2.1 Historischer Uberblick
2.2 Rechtlicher Rahmen
2.3 Institutionen
2.3.1. Die Landeszentralen fur politische Bildung
2.3.2. Volkshochschulen
2.3.3. Freie Trager der auBerschulischen politischen Bildung

3. Analyse der politischen Bildung mit sozial benachteiligten Jugendlichen
3.1 Zielgruppenanalyse
3.1.1 Prekare Jugendliche
3.1.2 Materialistische Hedonisten
3.1.3 Gemeinsamkeiten
3.2 Teilnahmehindernisse durch die Bildungstrager und Politik
3.3 Evaluierung der Beteiligung an politischer Bildung

4. AuBerschulische politische Bildung mit Bildungsfernen in der Praxis
4.1 Anforderungen und Herausforderungen
4.2 Gestaltungsprinzipien
4.2.1. Subjektorientierung
4.2.2. Partizipation
4.2.3. Anerkennung
4.2.4. Handlungsorientierung
4.3 Verknupfung von Anforderungen und Gestaltungsprinzipien
4.4 Praxisbeispiele
4.4.1. Das Partizipationsmodell „laut!“
4.4.2. „Wir haben was zu sagen“

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Sinus-Lebenswelten U18.. 17

Abbildung 2 Verteilung der Beteiligung nach Bildungsstatus 23

1. Einleitung

1.1 Problemstellung

In den 70er und 80er Jahren erfuhr die politische Jugendbildung durch neue Gesetze und Fordermittel eine Zeit des Aufschwungs. In den folgenden zwei Jahrzehnten erlebte die Bundesrepublik Deutschland eine steigende Zahl an Jugendarbeitslosigkeit, womit sich die Gruppe der sozial benachteiligten Jugendlichen erheblich erhohte und die Betroffenen, aufgrund ihrer personlichen geringen Zukunftsaussichten, von der politischen Jugendbildung schwerer zu erreichen waren.1 Die Folgen waren die Errichtung neuer Kooperationen mit Tragern der Jugendhilfe und Schulen, um die politische Jugendbildung mit sozial Benachteiligten zu intensivieren.

Auf der Bundesebene manifestierte sich dieses Ziel ebenfalls weiter. Im Jahr 1999 startete das bundesweite Programm „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten“, womit die sozialen Bedingungen und Lebenswelten der Jugendlichen verbessert werden sollten. Dabei war es ebenso zentrales Anliegen der Fachorganisationen eine politische und gesellschaftliche Integration der sozial benachteiligten Jugendlichen zu fordern.2

Heutzutage ergeben sich unterschiedliche An- und Herausforderungen an die auBerschulische politische Jugendbildung, die sich auf die Zielgruppe der bildungsbenachteiligten Jugendlichen spezialisiert. Einerseits beinhalten die Begriffe „Bildungsferne“ oder „Benachteiligte“ bereits unterschiedliche Deutungsweisen und sind im wissenschaftlichen Diskurs nicht unumstritten. Andererseits haben sich diverse didaktische Methoden entwickelt, um einen Zugang zu den Jugendlichen und ihren Lebenswelten zu gewinnen. Diese sind notwendig, da es in der Jugendbildung speziell auf die Uberwindung verschiedenster Zugangsbarrieren ankommt. Zum einen ergeben sich diese fur die auBerschulische Bildung selbst, zum anderen erleben auch die Betroffenen einen erschwerten Zugang zu Bildungsangeboten, welcher von ihrer sozialen Herkunft abhangig zu sein scheint.3

Ebenso setzt sich der Konsens durch, dass es vorwiegend schulisch gut ausgebildete Jugendliche sind, die sich an weiterfuhrenden auBerschulischen politischen BildungsmaBnahmen beteiligen. So attestiert Benno Hafeneger vor allem Jugendlichen, die ein Gymnasium besucht haben und aus einkommensstarkeren Familien kommen, eine hohere Affinitat zu auBerschulischen Bildungsangeboten.4 Fur den Politik- und Erziehungswissenschaftler Joachim Detjen liegt das geringe Interesse bildungsferneren Schichten vor allem an dem fehlenden Wissen uber die Politik selbst. Politische Beteiligung sei langweilig fur die Jugendlichen. Dies liege daran, dass die Einflussmoglichkeiten als zu gering angesehen werden.5 Es scheint grundlegende Unterschiede im Bildungszugang fur Jugendliche, unter anderem bedingt auf deren familiares Umfeld, zu geben. Dies muss in Deutschland, vor dem Hintergrund des Grundsatzes der gleichen Bildungschancen fur alle, kritisch betrachtet werden.

Die angedeutete Mehrdeutigkeit des Begriffs der sozialen Benachteiligung versucht Friedrun Erben aufzuschlusseln. Fur sie folgt mit dem Begriff die Implikation von Jugendlichen mit geringen Bildungschancen. Die Zuschreibung als Bildungsferne bringe die Sichtweise von desinteressierten, schwer erreichbaren sowie kaum zu motivierenden Jugendlichen mit sich, wenngleich die Praxis zeige, dass eine solche Homogenisierung der Zielgruppe nicht zutreffend sei.6 Die Autorinnen und Autoren des Praxishandbuches „Wir haben was zu sagen“ teilen diesen Befund und sehen unterschiedliche Interpretationsmoglichkeiten des Begriffes „bildungsfern“. Zum einen konnen soziale Gruppen beschrieben werden, welche mit den Bildungsangeboten nicht erreicht werden. Zum anderen konnen damit Menschen gemeint sein, die durch die Struktur- und Funktionsprinzipien des Bildungssystems nicht berucksichtigt werden. SchlieBlich besteht die Moglichkeit, dass sich diese Personen bewusst den Bildungsangeboten entziehen und diesen fernbleiben, wobei dabei die Ursache in einer Diskrepanz zwischen den eigenen Lebenserwartungen und den Anforderungen sowie Angeboten des Bildungssystems bestehen konnte.7 Demnach wurden Jugendliche keinen Nutzen in der Teilnahme an auBerschulischer Bildung zur Erreichung ihrer Ziele sehen, wie es Detjen bereits feststellte.

1.2 Zielsetzung

In der nachfolgenden Arbeit soll die politische auBerschulische Jugendbildung mit der Zielgruppe der Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten oder Milieus analysiert und erlautert werden. Zentral wird dabei die Frage sein, inwieweit Jugendliche aus bildungsfernen Schichten an der politischen Bildung interessiert sind und ihre Angebote wahrnehmen. Dabei sollen ebenso die Bildungstrager, Institutionen und padagogischen Einrichtungen, mit ihren didaktischen Methoden, Zielen und Anforderungen an die auBerschulische politische Jugendbildung, vorgestellt werden.

Besonderer Fokus wird dabei auf die These einer strukturellen Interessenlosigkeit der Zielgruppe gegenuber Bildungsangeboten gelegt.

1.3 Vorgehensweise

Zunachst wird der institutionelle-, rechtliche sowie historische Rahmen der politischen auBerschulischen Bildung vorgestellt. AnschlieBend folgen eine Beschreibung und Analyse der Zielgruppe politischer Jugendarbeit. In der Auseinandersetzung mit der Zielgruppe ist es vorrangig erforderlich eine klare Deskription ebendieser, sowie der Zuschreibung als bildungsferne Jugendliche, voranzustellen.

Im dritten Kapitel folgt, neben der Zielgruppenanalyse, eine Evaluation der Beteiligung von bildungsfernen Jugendlichen sowie eine Ursachenerforschung einer moglichen fehlenden Beteiligung oder eines Desinteresses im Allgemeinen.

Im letzten Kapitel soll die praktische politische Jugendarbeit vorgestellt werden. Dabei stehen die Anforderungen, Ziele und Herausforderungen an die politischen Bildnerinnen und Bildner im Mittelpunkt. Hierbei werden ebenso Gestaltungsprinzipien und Rahmenbedingungen vorgestellt, welche sich in der Literatur und der Praxisarbeit mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen als hilfreich erwiesen haben.

2. Entwicklung der politischen Bildung

Im folgenden Abschnitt werden die historischen Entwicklungen sowie der grundlegende rechtliche Rahmen der politischen Bildung vorgestellt. Dies dient der Orientierung, inwieweit diese im Gesetz, beziehungsweise der kulturellen Entwicklung der Bundesrepublik verankert sind und sich daran orientiert werden kann. Zur Ubersicht und Einordbarkeit werden im Kapitel 2.3 einige Institutionen der politischen Jugend- und Erwachsenenbildung vorgestellt.

2.1 Historischer Uberblick

Das Feld der politischen Bildung besitzt eine historisch ausgedehnte Vergangenheit. Dabei spielten die politischen Konstellationen und Bildungsinteressen der jeweiligen zeitlichen Epoche eine zentrale Rolle.8

Die verschiedenen Umbruche in der geschichtlichen Entwicklung Deutschlands stellten fur die politische Bildung eine besondere Herausforderung dar, da die jeweiligen politischen Bildnerinnen und Bildner eines neuen Systems oftmals durch die vorrangegangene Epoche gepragt waren. Der Historiker und Politikwissenschaftler Peter Steinbach unterscheidet hierbei verschiedene politische Systeme in der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, deren Auswirkungen bis in die Zeit nach ihrem Ende spurbar sind.9

Das erste bildende System stellt die konstitutionelle Monarchie im deutschen Kaiserreich bis 1918 dar. Mit dem dortigen Inkrafttreten der ersten preuBischen Jugendpflegeerlasse, wurden erstmalig Formulierungen einer politischen Jugendbildung festgeschrieben.10 Diese sollten vorranging dem Zweck „[.] der Erziehung von Untertanen und der Festigung der Treue zu den Dynastien, nicht der Schaffung eines staatsburgerlichen Bewusstseins [dienen]."11 Innerhalb der anschlieBenden parlamentarisch-pluralistischen Weimarer Republik war eine staatliche politische Bildung, aufgrund der verschieden Ideologiekampfe und Diskrepanzen in den Weltanschauungen zwischen den verschiedenen Gruppen kaum moglich. Eine Einigung einer politischen Grundausrichtung festzuhalten, an welcher sich eine politische Jugendbildung hatte orientieren konnen, gelang nicht. Die Herausbildung von mundigen Burgerinnen und Burgern, anstatt von Untertanen wie im Kaiserreich, galt dennoch als grundlegende Pramisse12 und wurde von verschiedenen eigenstandigen Einrichtungen geachtet.13

In der dritten Phase wurde gemaB Steinbach die politische Jugendbildung als Indoktrination der eigenen Weltanschauung von den Nationalsozialisten instrumentalisiert. Die eigene Mundigkeit sollte bei den Jugendlichen keine Rolle spielen. Die heutige Teilaufgabe von Parteien zur politischen Willensbildung anzuregen, wurde in dieser Zeit nicht praktiziert. Mittels der Vorgabe eines politischen Willens wurde der Anregungsgedanke ersetzt.14 Das Pendant dazu sollte als Herangehensweise fur heutige (auBerschulische) Bildung angesehen werden. Die gewissenhafte Auseinandersetzung mit verschiedenen politischen Parteien, das Erkennen deren Unterschiede und die eigenstandige Willensbildung, welche von Politikerinnen und Politikern sowie Tragern der politischen Bildung angeregt werden kann, hat sich als Grundverstandnis fur die politische Bildung in der Bundesrepublik ausgebreitet und gefestigt, was sich vor allem in der rechtlichen Verankerung der Jugendbildung widerspiegelt, welche im anschlieBenden Kapitel thematisiert wird.

Mit der anschlieBenden Re-Educationspolitik in den westlichen Besatzungszonen und einer deutlichen Zunahme und Etablierung der freien Trager politischer Jugendbildung, entwickelte sich in den 1950er-Jahren eine „[.] breite und pluralistische Jugendbildung [.]."15 Ihre Aufgabe bestand, neben der Demokratisierung, zusatzlich in der Verhinderung von demokratiefeindlichen Bewegungen.16

Innerhalb der nachfolgenden Jahrzehnte des 20. Jahrhundert folgte ein Prozess der Institution- und Professionalisierung sowie der Verrechtlichung der politischen Bildung, wodurch diese in einigen Phasen den elementarsten Bestandteil auBerschulischer Jugendarbeit einnahm. Mit dem Beginn der 1970er Jahre wurden die ersten Jugendbildungsgesetze verabschiedet und stetig novelliert, welche durch die Wiedervereinigung im Jahr 1990 auch in den neuen Bundeslandern ihre Geltung fanden.17 Einen bis heute zentralen Stellenwert nimmt dabei der 1976 verfasste Beutelsbacher Konsens ein, bei dem verschiedene Grundprinzipien politischer Bildung festgehalten wurden, welche sich im Kapitel 4.1 wiederfinden.

Bis in das 21. Jahrhundert hinein entwickelten sich schlieBlich aus der praktischen Arbeit heraus verschiedenste Ansatze politischer Jugendarbeit. Hieraus entwickelt haben sich besonders die Subjektorientierung18 und Handlungsorientierung19 als zentrale didaktische Methoden, bei denen ein positiver Effekt in der politischen Jugendbildung erkennbar ist.20

2.2 Rechtlicher Rahmen

Rechtliche und finanzielle Grundlage fur die politische Jugendbildung liefert das Achte Buch Sozialgesetzbuches (SGB VIII). Fur Dr. Jens Pothmann sind dabei die §§ 11 und 12 SGB VIII fur die Kinder- und Jugendarbeit von besonderer Bedeutung.21

Im Absatz 1 des § 11 SGB VIII werden die allgemeinen Anforderungen und Ziele der Jugendarbeit formuliert. Konkret sieht das Gesetz dabei die Entwicklung und Beihilfe von Angeboten vor, welche sich an den Bedurfnissen der Betroffenen orientieren und von ihnen mitgestaltet werden. Ziel sei die Forderung von Selbstbestimmung, gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie sozialem Engagements.22 Dies korrespondiert mit den historischen Erkenntnissen und neu entwickelten Prinzipien der Jugendbildung. Im zweiten Absatz der Rechtsvorschrift werden explizit die handelnden Akteure der Kinder- und Jugendarbeit genannt, welche im folgenden Kapitel genauer beleuchtet werden.

Als entscheidend fur die rechtliche Verankerung der politischen Jugendbildung stellt sich der Absatz 3 des § 11 SGB VIII heraus. In Nummer 1 wird die politische Jugendbildung ausdrucklich genannt. Demnach gehort zu ihren Schwerpunkten unter anderem die „[...] auBerschulische Jugendbildung mit allgemeiner, politischer, sozialer, gesundheitlicher, kultureller, naturkundlicher und technischer Bildung [...]"23. Allerdings konstituiert dies allein keine direkte Aufforderung an die kommunalen und freien Trager, Bildungsangebote zur Verfugung zu stellen. In diesem Zusammenhang ist es erforderlich, den § 79 Abs. 2 SGB VIII in Verbindung mit dem § 11 SGB zu betrachten. Fixiert sind darin die Erwartungen und Aufgaben der offentlichen Trager der Jugendhilfe zur Ausstattung und Bereitstellung der erforderlichen Einrichtungen, Dienste, Personalien und Veranstaltungen, damit die beschriebenen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe praktisch umgesetzt werden konnen. Daraus ergibt sich die Erkenntnis, dass die Unterstutzung der Jugendarbeit keine freiwillige Aufgabe fur die Kommunen darstellt, bei der praktischen Umsetzung aber „[.] ein weiter kommunaler Gestaltungsspielraum, der durch die Vorgaben der Gesamtverantwortung und der darauf basierenden [Jugendhilfeplanung] strukturiert wird [.]."24

Ferner begrenzen die Rechtsvorschriften nur bedingt eine Altersspanne fur die zu erreichenden Jugendlichen. GemaB § 7 Abs. 1 SGB VIII werden alle jungen Menschen bis zur Erreichung des 27. Lebensjahres als Zielgruppe angesehen. Eine altersbedingte Untergrenze wird demnach nicht gesetzt, „[.] gleichwohl faktisch diese bei etwa sechs Jahren liegen durfte."25 Die festgelegte Obergrenze ist ebenfalls nicht unveranderlich. So wird im § 11 Abs. 4 SGB VIII auch Personen die mindestens 27 Jahre alt sind, die Moglichkeit eroffnet, in einem gewissen Umfang in die Angebote der Jugendbildung einbezogen zu werden.

GemaB Hafeneger wird die auBerschulische Jugendbildung uber alle foderalen Ebenen hinweg gefordert. Es beteiligen sich neben dem Bund, den Landern und Kommunen auch die Europaische Union. Zusatzlich findet eine Unterstutzung durch Kirchen, Parteien Gewerkschaften und Stiftungen statt.26

2.3 Institutionen

In diesem Kapitel sollen diejenigen Institutionen kurz vorgestellt werden, welche sich im Kern mit der auBerschulischen politischen Bildung auseinandersetzen und deren Erfahrungen und Erkenntnisse in diese Arbeit einflieBen. Dabei wird, aufgrund des umfangreichen Bildungstragerangebots, nur ein Ausschnitt der Institutionen der auBerschulischen Jugend- und Erwachsenenbildung vorgestellt. Diese nehmen allerdings eine zentrale Rolle in der Bildungslandschaft ein.

2.3.1. Die Landeszentralen fur politische Bildung

Neben der Bundeszentrale fur politische Bildung findet sich in jedem Bundesland eine Landeszentrale fur politische Bildung wieder. Sie arbeiten grundsatzlich uberparteilich und sollen die politische Bildung im jeweiligen Bundesland fordern, indem besonders die freiheitlich demokratische Grundordnung vermittelt wird. Der grundlegende Auftrag ist dabei in allen Landeszentralen beinah identisch, wenngleich es unterschiedliche Formulierungen dieser Anspruche gibt, die allerdings essenzielle Unterschiede offenbaren.27 Neben den in allen Landeszentralen ahnlichen Aufgabengebieten der Fragen zur Demokratie, dem Grundgesetz, Europa und globalen Problemen, lassen sich unter anderem regionale Besonderheiten im Bildungsangebot wiederfinden. So beschaftigt sich Thuringen intensiv mit der Aufarbeitung der SED-Diktatur und in Hessen wird die landes- und regionalgeschichtliche Entwicklung fokussiert. Siegfried Schiele fasst als Politikdidaktiker die allgemeinen Aufgaben in der Forderung des Politikengagements in der Bevolkerung, Kooperationsvereinbarungen zwischen den freien Tragern, Publikations- und Medienherausgabe, Seminarangeboten und Methodenentwicklung zusammen.28

Durch die Koordinierung der Kooperationen der freien Trager nehmen die Landeszentralen eine gewisse Steuerungsfunktion in ihren Bundeslandern ein. Gleichzeitig ist die Sicherung der Unabhangigkeit der Landeszentralen fur den Erhalt des Vertrauens der Burgerinnen und Burger von groBer Bedeutung. Im Bereich der finanziellen Mittel, die den Zentralen zur Verfugung gestellt werden, sieht Schiele Handlungsbedarf. In den Haushaltszahlen aus dem Jahr 2010 sieht er eine deutliche Unterfinanzierung und -besetzung, womit eine der wichtigsten Ziele der Landeszentralen, eine Arbeit mit alien Bevolkerungsschichten in einer ausgedehnten Breite durchzufuhren, nicht umsetzbar sei.29

2.3.2. Volkshochschulen

Die Volkshochschulen in Deutschland sind die zentralen Einrichtungen der (politischen) Erwachsenenbildung. Sie sind im kommunalen Bereich aktiv und gehoren der offentlichen Verantwortung an. Als grundsatzliche Aufgabe wird ihnen dabei besonders die Grundversorgung der Bevolkerung mit Bildung zugeschrieben, wenngleich die Verbindlichkeit fur Gemeinden und Kommunen zur Errichtung von Volkshochschulen, je nach Bundesland, verschieden ist.30

Besonders ihre Offenheit fur alle Burgerinnen und Burger dient als Grundlage einer Analyse der Beteiligung von bildungsfernen Jugendlichen und Erwachsenen. So schreibt der Deutsche Volkshochschul-Verband e.V. in seinem jahrlichen Selbstverstandnis der Volkshochschulen 2019: „Volkshochschulen sind offen fur alle Menschen unabhangig von Alter, Geschlecht oder Herkunft, sozialem Status oder Bildungsabschluss, Religion oder Weltanschauung.“31 Die Veranstaltungen und Kurse teilen sich dabei in sechs verschiedene Fachbereiche auf, wobei sich die politische Bildung im Bereich „Politik - Gesellschaft - Umwelt“ wiederfindet, welcher 18,1% der gesamten Angebotsvielfalt ausmacht. Die Volkshochschule bietet fur die politische Bildung dabei unter anderem Diskussionsforen, Geschichts- und Zukunftswerkstatten sowie Burgerdialoge an. Ziel ist es, die politische Urteilskraft und Handlungskompetenz, die Verstandigung untereinander und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu starken.32

Anhand der Volkshochschulstatistik aus dem Jahr 2017, lasst sich die Altersstruktur der Teilnehmenden analysieren. Demnach sind nur 13,4% aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer im jugendlichen Alter bis 24 Jahren.33 Die Beteiligung dieser Altersgruppe lasst sich daher als gering einstufen. Insgesamt „[...] besuchen [jahrlich] etwa neun Millionen Menschen rund 700.000 Veranstaltungen in der allgemeinen, beruflichen, kulturellen und politischen Bildung“34 an einer der 895 Volkshochschulen in Deutschland. Eine genaue Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern an Kursen der politischen Bildung lasst sich nach Klaus-Peter Hufer nicht ermitteln. Er macht dies an der Volkshochschulstatistik und der unklaren Definition der politischen Bildung fest. Dies bedeutet, dass es schwierig sei, einzelne Angebote konkret als Angebot zur politischen Bildung einzuordnen. Seinen Schatzungen nach, nehmen ca. 250.000 bis 300.000 Menschen entsprechende Kurse wahr.35 Dies entspricht lediglich einem Anteil rund 3% aller Teilnehmenden. Von einem hohen Interesse an der freiwilligen Teilnahme durch junge Menschen kann demnach nicht gesprochen werden.

2.3.3. Freie Trager der auBerschulischen politischen Bildung

Freie Trager der politischen Bildung haben sich vorwiegend aus historischen Erfahrungen heraus institutionalisiert. Dabei spielten zum einen die NS-Diktatur, mit einem alleinigem staatlichen Meinungsmonopol an auBerschulischer Bildung, sowie die Weimarer Republik, bei der fur Dr. Paul Ciupke die Diversitat an Einrichtungen der Erwachsenenbildung „[...] die soziale und weltanschauliche Vielfalt der gesellschaftlichen Milieus, Verbande, Initiativen und politischen Richtungen widerspiegelte und in ihrer Arbeitsweise weitgehend selbstbestimmt war“36, die zentralen Rollen. Die Freiheit, selbst uber die Themen, Angebote und Zielgruppen entscheiden zu konnen, diente demnach als grundlegender Anspruch der freien Trager sich als solche, neben den staatlichen auBerschulischen Angeboten, zu konstituieren. Reflektiert wird dies in der von Ciupke beschriebenen Verfassung der auBerschulischen Bildung und deren drei Freiheiten der Tragerschaft, der Teilnahme und der Lehre.37

Freiheit der Tragerschaft bedeutet, dass nicht der Staat die Einrichtungen politscher Bildung tragt, sondern Verbande, Initiativen oder gesellschaftliche Gruppen diese grunden und verwalten. Mit der Freiheit der Teilnahme wird beschrieben, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sich selbst fur die Kurse und Angebote interessieren und mit ihrer Beteiligung engagieren mussen. Eine zwanghafte Ansprache sowie eine Teilnehmerakquise sind nicht vorgesehen. Letztlich meint die Freiheit der Lehre eine Unverbindlichkeit gegenuber Lehrplanen. Eine freie Gestaltung der Themen und Methoden, in enger Zusammenarbeit mit der Zielgruppe und den Erfahrungen aus der praktischen Arbeit in der politischen Bildung, steht im Zentrum der Arbeit.38

Ciupke allerdings sieht heutzutage weitreichende Eingriffe in die beschriebene Autonomie sowie Verfassung der freien Trager der auBerschulischen politischen Bildung. Zum einen werde durch (zweckgebundene) Forderprogramme die Angebotsvielfalt in bestimmten Bereichen eingeschrankt und somit politisch gelenkt. Zum anderen wurde die Einbindung der Berufs- und Abschlussqualifikation den Tragern Kompetenzen abverlangen, da der Bildungsauftrag somit lediglich durch okonomische Interessen geleitet sei.39 Letzteres Argument lasst sich allerdings nur bedingt halten. Das Nachholen von Schul- oder Berufsabschlussen liegt vorwiegend in der Aufgabe der Volkshochschulen als Kompetenzzentren der Weiterbildung. Mit 1,7 % aller Kursteilnahmen nimmt dabei der Bereich „Grundausbildung - Schulabschlusse" aber den geringsten Teil des Gesamtangebots ein.40 Von einer Uberlagerung oder Kompetenzverschiebung kann nicht gesprochen werden.

3. Analyse der politischen Bildung mit sozial benachteiligten Jugendlichen

Im Folgenden wird die Zielgruppe der Arbeit beschrieben und analysiert sowie systematisch eingeordnet. Dabei sollen vor allem die Ursachen fur eine fehlende Partizipation an auBerschulischer politischer Bildung betrachtet werden. Dafur wird eine Evaluation der politischen Jugendbildung naher untersucht.

3.1 Zielgruppenanalyse

In dem Diskurs uber bildungsferne, sozial benachteiligte Jugendliche und die Moglichkeiten diese mit der auBerschulischen politischen Bildung zu erreichen, ist es erforderlich eine

[...]


1 Vgl. Achim Schroder/Nadine Baltzer/Thomas Schroedter, Politische Bildung auf dem Prufstand. Ergebnisse einer bundesweiten Evaluation, Munchen 2004. S. 108.

2 Vgl. Hans Peter Bergner, Politische Bildung im Programm. „Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten", in: Bundesministerium fur Familie, Senioren, Frauen und Jugend, fit for politics Projekte lebensweltorientierter politischer Jugendbildung, Bonn 2000, S. 7 f.

3 Vgl. Friedrun Erben, Ressource Jugend, in: Sozial Extra 5, Wiesbaden 2014, S. 22.

4 Vgl. Benno Hafeneger, Aufklarung, Kritik und Handlungsfahigkeit, in: Sozial Extra 5, Wiesbaden 2014, S. 15.

5 Vgl. Joachim Detjen, Politische Bildung fur bildungsferne Milieus, in: Bundeszentrale fur politische Bildung (Hrsg.), Aus Politik und Zeitgeschichte 32-33, Bonn 2007, S. 3.

6 Vgl. Erben, Ressource Jugend, S. 22.

7 Vgl. Friedrun Erben/Heike Schlottau/Klaus Waldmann, „Wir haben was zu sagen!“ Politische Bildung mit sozial benachteiligten Jugendlichen, Schwalbach/Ts. 2013, S. 11 f.

8 Vgl. Hafeneger, Aufklarung, Kritik und Handlungsfahigkeit, S. 14.

9 Vgl. Peter Steinbach, Historische Grundlagen der politischen Bildung, in: Wolfgang Sander/Peter Steinbach (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014, S. 18.

10 Vgl. Hafeneger, Aufklarung, Kritik und Handlungsfahigkeit, S. 14.

11 Ebd. S. 19.

12 Vgl. Steinbach, Historische Grundlagen, S. 18 f.

13 Siehe Kapitel 2.3.3.

14 Vgl. ebd. S. 19.

15 Benno Hafeneger, Politische Bildung in der auBerschulischen Jugendbildung, in: Wolfgang Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung, Bonn 2014, S. 223.

16 Vgl. Paul Ciupke, Zwischen Abendlandmythos und Vermassungsgefahr. Diskurse der Nachkriegsjahre, den Arbeitsplanen der Volkshochschule abgelesen, in: Paul Ciupke/Franz-Josef Jelich (Hrsg.), Ein neuer Anfang, Essen 1999, S. 24. f.

17 Vgl. Hafeneger, Politische Bildung, S. 223 f.

18 Vgl. Albert Scherr, Subjektorientierte Jugendarbeit. Eine Einfuhrung in die Grundlagen emanzipatorischer Jugendpadagogik, Weinheim 1997.

19 Vgl. Sibylle Reinhardt, Handlungsorientierung, in: Wolfgang Sander (Hrsg.), Handbuch politische Bildung, Bonn 2005.

20 Siehe Kapitel 4.2.

21 Vgl. Jens Pothmann, Gesetzliche Grundlagen, Wege der Finanzierung, Spektrum der Trager, in: Benno Hafeneger (Hrsg.), Handbuch AuBerschulische Jugendbildung, Schwalbach/Ts. 2011, S. 141.

22 Vgl. § 11 Abs. 1 SGB VIII.

23 § 11 Abs. 3 SGB VIII.

24 Reinhard Wiesner/Jutta Struck, SGB VIII § 11 Rdnr. 4, in: Reinhard Wiesner (Hrsg.), SGB VIII Kinder- und Jugendhilfe, Munchen 2006, S. 205.

25 Pothmann, Gesetzliche Grundlagen, S. 143.

26 Vgl. Benno Hafeneger, Handbuch AuBerschulische Jugendbildung - Grundlagen - Handlungsfelder - Akteure, Schwalbach/Ts. 2011, S. 9.

27 Vgl. Siegfried Schiele, Die Landeszentralen fur politische Bildung, in: Wolfgang Sander/Peter Steinbach (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014, S. 157.

28 Vgl. Siegfried Schiele, AuBerschulische politische Bildung in staatlicher Verantwortung - das Beispiel der Bundeszentrale und der Landeszentralen, in: Bernhard ClauBen/Rainer GeiBler (Hrsg.), Die Politisierung des Menschen, Opladen 1996. S. 239.

29 Vgl. Schiele, Die Landeszentralen, S. 159.

30 Vgl. Klaus-Peter Hufer, Volkshochschulen, in: Wolfgang Sander/Peter Steinbach (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014, S. 175.

31 Deutscher Volkshochschul-Verband e.V., Volkshochschule - Bildung in offentlicher Verantwortung, Bonn 2019, S. 5.

32 Vgl. ebd. S. 6 ff.

33 Vgl. ebd. S. 11.

34 Ebd. S. 3.

35 Vgl. Hufer, Volkshochschulen, S. 176.

36 Paul Ciupke, Die freien Trager der auBerschulischen politischen Bildung und der Arbeitskreis deutscher Bildungsstatten, in: Wolfgang Sander/Peter Steinbach (Hrsg.), Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014, S. 189.

37 Vgl. ebd. S. 190.

38 Vgl. ebd. S. 190.

39 Vgl. ebd.

40 Vgl. Deutscher Volkshochschul - Verband e.V., Volkshochschulen, S. 6.

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Details

Titel
Sozial benachteiligte Jugendliche in der außerschulischen politischen Bildung. Anforderungen, Herausforderungen und Praxisbeispiele
Hochschule
Universität Erfurt  (Staatswissenschaftliche Fakultät)
Note
1,7
Autor
Jahr
2019
Seiten
40
Katalognummer
V1030573
ISBN (eBook)
9783346439628
ISBN (Buch)
9783346439635
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Politische Bildung, Außerschulisch, Milieu, Bildung, Politik, soziale Benachteiligung, Volkshochschule, Landeszentrale Politische Bildung, Bildungsträger, Bildungsferne, SINUS Lebenswelten, Jugendliche, Jugendbildung
Arbeit zitieren
Felix Ehrich (Autor:in), 2019, Sozial benachteiligte Jugendliche in der außerschulischen politischen Bildung. Anforderungen, Herausforderungen und Praxisbeispiele, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030573

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