Die amerikanische Dramaserie "Bridgerton" als Genderdiskurs

Die audiovisuelle Verhandlungen der soziokulturellen Geschlechterdifferenzen innerhalb des inszenierten, weiblichen Blickes


Hausarbeit, 2021

15 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Gender nach Judith Butler

3. Der weibliche Blick in Bridgerton
3.1 Zusammenfassung der Rahmenhandlung
3.2 Die audiovisuelle Verhandlung der Geschlechterdifferenzen

4. Fazit

Literatur- und Quellenverzeichnis

Videografie

1. Einleitung

Die historische Dramaserie Bridgerton gilt als die erfolgreichste Netflix- Eigenproduktion und wurde in Millionen Haushalten weltweit angeschaltet (vgl. Focus Online 2021). Dieser Erfolg mag zum einen daran liegen, dass Streaming Angebote wie Bridgerton zu Zeiten einer globalen Pandemie „emotionalen Balsam für unsere coronawunden Seelen“ (Korbik 2021) liefern und deshalb ohnehin stark nachgefragt sind. Zum anderen kann der Erfolg aber auch auf die popkulturelle Inszenierung der Londoner Adelswelt zurückgeführt werden, die aufgrund zahlreicher, zeitgenössischer Parallelen eine „Brücke in die Gegenwart“ (Focus Online 2021) schlägt. Neben modernen Popsongs, bunter Kostümpracht und ausgefallenen Kulissenhaftigkeit, versucht das Narrativ von Bridgerton dabei auch einen progressiven Debattenbeitrag zu aktuellen Themen wie Race, Class und Gender zu liefern: Der Cast ist ethnisch bunt durchgemischt, Klassengrenzen verlieren an Festigkeit und stigmatisierte Geschlechterrollen werden unter dem Blickwinkel moderner Denkweisen herausgefordert. In meiner Hausarbeit möchte ich mich auf die audiovisuelle Verhandlung der repräsentierten Geschlechterrollen fokussieren. Um meiner Ausarbeitung zunächst einen theoretischen Rahmen zu verschaffen, werde ich im ersten Kapitel auf Judith Butler's Gender-Theorie eingehen. Auf Grundlage dieses theoretischen Rahmens werde ich im nächsten Schritt schauen, wie soziokulturelle Geschlechterdifferenzen in Bridgerton über die Perspektivierungsstrategie des inszenierten, weiblichen Blickes repräsentiert und ausgestaltet werden. Die gewonnen Erkenntnisse werden abschließend in einem Resümee zusammengefasst.

2. Gender nach Judith Butler

Bevor ich zu der Untersuchung von Bridgerton als Genderdiskurs gelange, möchte ich mich zunächst mit der theoretischen Grundlage beschäftigen, auf die ich meine Arbeit stützen werde. Hierfür ziehe ich die Gender Theorie der feministischen Philosophin Judith Butler heran. Judith Butler kritisiert die strikte Zweiteilung der Geschlechter in der Gesellschaft sowie die Unterscheidung von sex, dem biologischen Geschlecht, und gender, der sozialen Geschlechtsidentität. Wurde das biologische Geschlecht lange als natürlich angesehen, so sieht Butler sowohl die soziale Geschlechtsidentität als auch das Körpergeschlecht als Produkte der Kultur an, die diskursiv entlang gesellschaftlicher Geschlechternormen entwickelt werden (vgl. Butler 1997, 22-23). Durch diese regulierenden Normen wird ein Rahmen geschaffen, der die Geschlechtsidentitäten auf Basis biologischer Determinanten in ein „Regime der Heterosexualität“ (ebd., 40) eingrenzt. In diesem Sinne kann die kulturelle Ausprägung von gender als „gesellschaftlicher Reflex“ (Gildemeister 2010, 137) verstanden werden, der die Geschlechtszugehörigkeit als „natürliche Ausdrucksform“ (Ayaß 2008, 16) des biologischen Körpers begreift. Die Kohärenz von sex und gender ist demnach ein fortwährender und aktiver Prozess, in dem sich das Subjekt nicht aus freiem Willen performativ an die kulturellen Bedingungen anpasst, sondern sich gesellschaftlichen Machtdiskursen unterlegen sieht, deren regulierende Kraft sich als eine Art produktive Macht erweist, als Macht, die von ihr kontrollierten Körper zu produzieren - sie abzugrenzen, zirkulieren zu lassen und zu differenzieren (Butler 1997, 21).

Diese gesellschaftlichen Machtdiskurse werden vor allem durch die mediale Darstellung auf der Leinwand vorgeführt und reflektiert. Denn audiovisuelle Medien wie der Film bilden die Wirklichkeit ab und spiegeln so auch die „gesellschaftlich etablierte Interpretation des Geschlechtsunterschiedes“ (Mulvey 1994, 48) wider. Dabei werden die herrschenden, binären Geschlechtsunterschiede nicht einfach nur von den Medien aufgegriffen, sondern weiterentwickelt, verfestigt und überspitzt zur Darstellung gebracht.

Inwieweit Bridgerton stereotypische Vorstellungen von binären Geschlechterdifferenzen verhandelt, wird im folgenden Kapitel eingehend betrachtet.

3. Der weibliche Blick in BRIDGERTON

Nach der einführenden Skizze des Gender-Konzeptes von Judith Butler soll sich in diesem Kapitel mit dem weiblichen Blick und der audiovisuellen Verhandlung von Geschlechterdifferenzen innerhalb der amerikanischen Dramaserie Bridgerton befasst werden. Ich verstehe den weiblichen Blick dabei als Umkehrung zu dem von Laura Mulvey etablierten Begriff des male gaze. Nach Mulvey ist das Kino durch eine patriarchale Ordnung sowie eine Lust am Schauen gekennzeichnet, deren Objekte der visuellen Begierde die weibliche Filmfigur ist (vgl. Mulvey 1994, 51 ff.). Träger des Blickes ist somit immer der Mann, während die Frau stets die Betrachtete ist, die als Spiegelbild patriarchisch verzerrter, fetischisierter Weiblichkeitsvorstellungen fungieren soll: „Der bestimmende männliche Blick projiziert seine Phantasie auf die weibliche Gestalt, die dementsprechend geformt wird“ (ebd., 55).

Der weibliche Blick eröffnet in diesem Umkehrschluss eine neue, antipatriarchische Blickanordnungen, die von Frauen definiert, geformt und bespielt werden. So gesehen kann der weibliche Blick für die Sichtweisen der ProduzentInnen von filmischen, fotografischen und literarischen Repräsentationen, die Wahrnehmungsformen der Rezipientinnen und für eine alternative, emanzipatorische Sicht- und Interpretationsweise stehen (Muysers 1990, 101).

In meinen weiteren Ausführungen werde ich schauen, wie die Produzentin von Bridgerton Shonda Rhimes versucht, patriarchische Blickstrukturen durch die weibliche Perspektivierung zu überwinden. In diesem Sinne dient mir der weibliche Blick als ein roter Faden, um die Repräsentationen der Geschlechter innerhalb der ausgewählten Szenenbeispiele zu reflektieren. Diese Szenenbeispiele können als repräsentativ für die Auseinandersetzungen mit den besagten Genderkonstruktionen angesehen werden, wobei ich mich in meinen weiteren Ausführungen vor allem auf die Darstellung der Protagonisten Daphne Bridgerton und Simon Basset fokussieren werde. Ein Anspruch auf Vollständigkeit besteht aufgrund der Fülle an diskutablen Serienausschnitten nicht.

3.1 Zusammenfassung der Rahmenhandlung

Die von Chris Van Dusen geschriebene und Shonda Rhimes produzierte Dramaserie Bridgerton basiert auf der gleichnamigen Romanreihe von Julia Quinn und ist seit Dezember 2020 bei dem Streaming Anbieter Netflix zu sehen. BRIDGERTON ist in einer historisch fiktiven Welt angesiedelt und begleitet die Londoner Aristokratie durch die Ballsaison Anfang des 19.Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Serie steht die Familie Bridgerton und deren ältesten Tochter Daphne, die sich zum ersten Mal auf den Heiratsmarkt begibt und bei der Suche nach einem geeigneten Ehemann auf zahlreiche Intrigen, Skandale und Schwierigkeiten stößt.

3.2 Die audiovisuelle Verhandlung der Geschlechterdifferenzen

Bridgerton beginnt mit einer Bildmontage, die Ort und Zeit skizziert. Wir befinden uns in London, Grosvenor Square 1813. Ein weibliches Voice Over, deren Stimme sich später als die der Verfasserin des Klatschblattes Lady Whistledown herausstellt, verkündet die nächste Ballsaison und führt die zwei wichtigsten Haushalte ein: Die Familie Featherington und Familie Bridgerton. Erst begleiten wir als ZuschauerIn die Featheringtons und deren drei Töchter, die „wie beklagenswerte Säue“ (E01, TC 00.00.53) in den Heiratsmarkt getrieben und in Korsagen gezwängt werden. Dann folgt ein Schnitt zu dem Haus der verwitweten Viscountess Bridgerton und derer „perfekt aussehender Söhne“ und „makellos, schöner Töchter“ (E01, TC 00.01.20). Während ein Großteil der Familie szenisch eingeführt wird, entzieht sich die diesjährige Debütantin Daphne unserem Blick, da sie sich noch zurecht macht. ,Frau-Werden’ wird hier als eine aufwendige Körperarbeit und Weiblichkeit als sichtbare Eigenschaft konstituiert. Damit spielt Bridgerton auf die Kategorisierung der Frau auf Ebene des biologischen Geschlechts an. Gleichzeitig wird der Aspekt der Weiblichkeit innerhalb der Serie gleich zu Beginn durch eine Vielzahl an Frauen verkörpert und ausdifferenziert: So sieht man beispielsweise Eloise, die sich über ihr Gewand beschwert, gegenüber ihrer Schwester Hyacinth, die sich darin wie eine Prinzessin fühlt. BRIDGERTON zeigt also bereits in der ersten Szene, dass es nicht die eine Form von Weiblichkeit gibt, sondern die Ausformungen der sozialen Geschlechtsidentität variieren können.

All diese Ausformungen von Weiblichkeit kommen in dem Palast der Queen zusammen. Denn bevor die Ballsaison und damit auch der Heiratsmarkt beginnt, müssen sich die heiratswilligen Töchter der aristokratischen Familien zunächst vor der Königin präsentieren. Aufgrund ihrer zarten und unschuldigen Ausstrahlung fällt Daphne der Queen besonders auf, so dass sie von Lady Whistledown als „Juwel“ und damit auch als die Favoritin der Ballsaison betitelt wird. Die erste Sequenz entwirft also zunächst ein vielfältiges Bild von Weiblichkeit, nur um dann in ein verkörpertes Idealbild der Frau zu münden: Daphne. Dieses weibliche Idealbild wird von dem Wert der Schönheit dominiert und degradiert Daphnes Körper zu einem Objekt der Begierde. Alle Blicke sind nun auf sie gerichtet (vgl. E04, TC 00.51.01); sie verkörpert das nach Mulvey formulierte „Angesehen-werden-Wollen“ (1994, 55). Dabei unterliegt sie jedoch nicht allein der männlichen, sondern auch der weiblichen Schaulust. Denn es ist die Queen, die die Erwartungen an die Performanz des weiblichen Körpers stellt: „Ein Funke des Missfallens genügt und schon sinkt eine junge Dame schlagartig in der Gunst der Gesellschaft“ (E01, TC 00.05.26).

Die Beurteilung der Queen sowie die kommentierenden Deutungen von Lady Whistledown lenken das soziale Meinungsbild und setzen die gesellschaftlichen Parameter an den Aspekt der Weiblichkeit. Dabei kommt vor allem der machtvollen, weiblichen Off-Stimme von Lady Whistledown eine besonders symbolische Macht in der Serie zu, da diese die konventionelle Repräsentation von Frauen als „To be seen but not heard“ in das gegenteilige „To be heard but not seen“ umkehrt (vgl. Trischak 2002). Es kommt zu einer Durchbrechung patriarchalischer Strukturen, in der Frauen als autonome Blick- und Entscheidungsträger neben den Mann treten und dabei nicht nur gesehen, sondern auch gehört werden. Trotz dieses progressiven Ansatzes entfaltet sich die Geschichte auch im weiteren Handlungsverlauf entlang binärer Geschlechtszuweisungen und dreht sich vor allem um die heterosexuelle Hochzeit als weibliches Schicksal. Daphne scheint dieses geschlechtsspezifische Schicksal ihrerseits zu akzeptieren, hegt dabei jedoch den sozial verträglichen Traum, nicht nur aus Gründen des Wohlstandes, sondern auch aus Liebe zu heiraten: „Wir alle werden eines Tages heiraten. Und wenn wir Glück haben, [...] dann heiraten wir aus Liebe“ (E01, TC 00.09.38).

Umgeben von ihren jüngeren Schwestern, zeichnet sie diesen ein romantisiertes, patriarchalisch geprägtes Bild des ,Frau-Seins’ vor. Der Spiegel, den sich Daphne gegenübersteht, verdeutlicht dabei ihre Vorbildfunktion gegenüber ihren Schwestern, da ihr biologisch makelloser Körper die gesellschaftlichen Erwartungen an die Ausformung des sozialen Geschlechts vollends widerzuspiegeln scheint. Ihre Schwester Eloise hingegen will sich diesen gesellschaftlichen Erwartungen nicht beugen, sondern ihr eigenes, weibliches Idealbild kreieren. So kritisiert sie im weiteren Verlauf der Serie auch die Reduzierung der Frau auf den Schönheitsaspekt des biologischen, weiblichen Körpers: „Ein nettes Gesicht und hübsche Haare zu haben, ist kein Verdienst. Weißt du, was ein Verdienst wäre? An einer Universität zu studieren!“ (E02, TC 00.06.52)

Während Daphne die bestehenden gesellschaftlichen Vorstellungen der seriellen Zeit widerspiegelt, dient Eloise in der Serie als Spiegelung wandelnder geschlechtlicher Ideologien. Doch auch die Figur von Daphne wird innerhalb ihrer normativen Geschlechterrolle immer emanzipierter gezeichnet. Zwar bilden patriarchalische Strukturen weitgehend die Basis ihres Handelns, jedoch weitet sie ihre Handlungsräume innerhalb dieser Strukturen immer mehr aus, wodurch ihr anfänglich auferlegtes, weibliches Idealbild zu bröckeln beginnt. So versucht sie sich beispielsweise gegen die männliche Autorität ihres ältesten Bruder Anthony zu richten, der Daphne die beste Partie aushandeln möchte und deshalb alle potentiellen Anwärter abweist. Mehr als Worte kann Daphne ihrem Bruder jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht entgegenhalten. Vielmehr versucht sie sich in der Opferrolle zu präsentieren, indem sie sich ihrem biologischen Geschlecht und den gesellschaftspolitischen Kräften unterworfen erklärt: „Du weißt nicht, wie es ist eine Frau zu sein. Wie es sich anfühlt, wenn das ganze Leben auf einen einzigen Augenblick ausgerichtet ist. [...] Ich bin nichts wert ohne Ehe!“ (E01, TC 00.32.28)

Ihrer weiblichen Logik zufolge definiert sich der soziale Wert einer Frau über die Heirat und damit zwangsläufig über den Mann. Daphnes kultureller Horizont reicht damit nicht weiter als die patriarchalischen Machthierarchie erlaubt. Sie hält an gesellschaftlichen Geschlechtercodierungen fest und unterwirft sich den damit verbundenen, begrenzten Möglichkeiten ihrer Selbstwerdung fast schon wehrlos. Als ihr Bruder in Folge 1 beispielsweise verkündet, dass er sie mit dem weniger attraktiven Anwärter Lord Berbrooke zu verheiraten gedenkt, flüchtet Daphne in die Dunkelheit, um den Blicken und Anforderungen der Gesellschaft wenigstens für eine gewisse Zeit entkommen zu können (TC 00.48.57). Doch die gesellschaftliche Realität holt sie schnell wieder ein: Lord Berbrooke kommt in die Dunkelheit hinzu, wird unangenehm aufdringlich und möchte sie zu einer Hochzeit zwingen, woraufhin Daphne vor lauter Verzweiflung zuschlägt (TC 00.49.39). Die dunkle Farbgestaltung sowie das Dämmerlicht verdeutlichen dabei die zwielichtige, angespannte Situation. Denn durch den Schlag bewegt sich Daphne außerhalb der Geschlechternormen und im Schatten der Gesellschaft. Sollte dieser geschlechtsuntypische Akt ans Licht kommen, ist ihr Ruf ruiniert. Zu dieser zwielichtigen Situation stößt der alleinstehende Herzog Simon Basset hinzu. Auch dieser flüchtet vor den gesellschaftlichen Anforderungen an seine Geschlechterrolle und vor den Blicken der heiratswütigen Töchter sowie ehrgeizigen Müttern.

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Die amerikanische Dramaserie "Bridgerton" als Genderdiskurs
Untertitel
Die audiovisuelle Verhandlungen der soziokulturellen Geschlechterdifferenzen innerhalb des inszenierten, weiblichen Blickes
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Institut für Sprach-, Medien- und Musikwissenschaft)
Veranstaltung
Seminar: Ideologie: Race, Class, Gender
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
15
Katalognummer
V1030759
ISBN (eBook)
9783346431936
ISBN (Buch)
9783346431943
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Judith Butler, Gender, Genderdiskurs, Race, Netflix, Bridgerton, Serienanalyse
Arbeit zitieren
Katrin Adler (Autor:in), 2021, Die amerikanische Dramaserie "Bridgerton" als Genderdiskurs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030759

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