Adalbert Stifter als katholischer Autor? Katholische Literatur am Beispiel von "Bunte Steine", "Der Nachsommer" und "Witiko"


Masterarbeit, 2021

66 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1.) Einfuhrung in die Fragestellung

2.) Was ist ,Katholische Literatur‘?
2.1) Katholische Autorenschaft am Beispiel von Enrica von Handel-Mazzetti und Gertrud Fussenegger
2.2) Anthropologie und Christentum bei Adalbert Stifter

3.) Der Herbartianismus als philosophisch-padagogische Stromung in der k.-u.-k.-Monarchie und sein Einfluss auf Adalbert Stifters padagogische und literarische Werke
3.1) Zum Begriff des ,Herbartianismus‘ und seine Bedeutung fur dieb Padagogik und katholische Reformbewegung im Osterreich des 19.Jahrhunderts
3.2) Die Rolle der Herbart‘schen Reformbestrebungen in Stifters literarischem Werk

4.) Zum Kunstbegriff Adalbert Stifters und seine Beziehung zur Religion

5.) Uber die christliche Motivik in Stifters Erzahlband ,Bunte Steine‘

6.) Zur ,Achtsamkeitslehre‘ Adalbert Stifters und den Kategorien der gottlichen Vorsehung und der gottlichen Ordnung im Roman ,Der Nachsommer‘
6.1) Das teleologische Weltbild und das gottliche Ordnungsprinzip in Stifters Roman ,Der Nachsommer‘
6.2) Uber den Achtsamkeitsbegriff in Stifters ,sanftem Gesetz‘

7.) Die religiose Erzahlstruktur in Stifters Roman ,Witiko‘

8.) Fazit und Beantwortung der Fragestellung

9.) Literaturverzeichnis

„Viele Menschen, welche gewohnt sind, sich und ihre Bestrebungen als den Mittelpunkt der Welt zu betrachten, halten diese Dinge fur klein; aber bei Gott ist es nicht so; das ist nicht groft, an dem wir vielmal unsern Maftstab umlegen konnen, und das ist nicht klein, wofur wir keinen Maftstab mehr haben.“1

1) Einleitung

Adalbert Stifter wird aufgrund der inhaltlichen Thematik und Motivik seiner Werke in der Literaturwissenschaft vorwiegend als Autor katholischer (Erbauungs-) Literatur betrachtet.2 Die eingehendere Beschaftigung mit den Widerspruchen3 einer ausschlieftlich ,katholischen‘ Betrachtungsweise seiner literarischen Werke fuhrt allerdings zur Frage, inwieweit Stifter tatsachlich zur Kategorie katholischer Autoren gezahlt werden kann und ob sich ein explizit ,katholisches' Kernmotiv in seinen Romanen und Erzahlungen auffinden lasst. Um dieser Frage nachzugehen soll zunachst der Begriff der ,katholischen Literatur‘4 erlautert werden. Anhand von prototypischen Autor*Innen des Genres und ihrer Werke, sollen sich paradigmatische Beispiele fur ,katholische Autorenschaft‘ aufweisenlassen, wobei die Auswahl auf die beiden osterreichischen Autorinnen Enrica von Handel-Mazzetti und Gertrud Fussenegger beschrankt wurde. Im Anschluss an die Begriffs- und Genrebestimmung soll die Untersuchungdes christlichen Welt- und Menschenbildes Stifters erste Hinweise auf dessen philosophische und ethische Weltanschauung und Geisteshaltung liefern. Erganzt wird die Betrachtung von Adalbert Stifters moralischen sowie erzieherischen Leitvorstellungen durch die Analyse der Rolle der padagogischen Stromung des Herbartianismus und der aus dieser Stromung entstammenden Formalasthetik. Rekurrierend auf das Kernthema dieser Arbeit, der Rolle des Katholizismus in Stifters kleiner und grofter Prosa, wird im Folgenden das Verhaltnis zwischen Kunst und Religion und dessen Bedeutung fur die Padagogik beleuchtet. Danach erfolgt die Analyse der sechs Erzahlungen in Stifters Erzahlband ,Bunte Steine‘ sowie die Untersuchung der Romane ,Der Nachsommer‘ und ,Witiko‘. Die Betrachtung der einzelnen Erzahlungen aus ,Bunte Steine‘ erfolgt dabei unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der katholischen Motivik in den literarischen Werken und ihrer Rolle fur das Handlungsgeschehen. In Stifters Roman ,Der Nachsommer‘ soll insbesondere die Funktion der gottlichen Vorsehung und das teleologische Weltbild, welches fur das Romangefuge tragend ist, betrachtet und die ,Achtsamkeitslehre‘ in Stifters „sanftem Gesetz“ genauer in den Blick genommen werden, die schlieftlich die meditativ-bannende Wirkung des Erzahlstils beeinflusst. Auch in Adalbert Stifters Roman ,Witiko‘ soll die Erzahlstruktur im Hinblick auf religiose Merkmale im Zentrum der Analyse stehen. Zum Abschluss der Arbeit werden die einzelnen Themen noch einmal zusammengefasst und als Fazit zur Beantwortung der Fragestellung herangezogen.

2) Was ist ,Katholische Literatur‘?

Bevor der Frage nach der katholischen Autorenschaft Adalbert Stifters nachgegangen werden kann, muss zunachst geklart werden, worum es sich bei dem Genre der ,katholischen Literatur‘ handelt und ob dieser Begriff seine Existenzberechtigung hat. Der Terminus ,katholische Literatur‘ ist zunachst ein historisch gewachsener, konfessioneller Separationsbegriff, der eine genuin katholische von einer protestantischen Literatur abzugrenzen sucht. Betont wurde dabei stets die „Ruckstandigkeit“ der katholischen Literaturproduktion; um 1700 als Darstellung der angeblichen Uberlegenheit und Durchsetzung der protestantisch gepragten Sprache und Literatur gegenuber dem, aus polemischer Sicht der Protestanten, so bezeichneten niedrigschwelligen und „volkstumlichen“5 Literaturschaffen der Katholiken. Um 1900, im Zuge des Kampfes der katholischen Kirche gegen die sogenannten „Modernisten“, als innerkatholische Auseinandersetzung im Rahmen der Frage nach der Moglichkeit der Vereinbarung von Fortschrittlichkeit und Tradition innerhalb derkatholischen Kirche.

Im Rahmen der Auseinandersetzung zwischen protestantischer und katholischer Sprachpolitik im 17.Jahrhundert bildeten sich zwei unterschiedliche Formen der Literatursprache und -form aus, deren Differenz nicht nur von der regionalen und territorialen Lage abhangig war, sondern viel eher die konfessionelle Kluft anzeigte, die sich noch bis zur ersten Halfte des 18.Jahrhunderts vertiefen sollte.6 So gehorte in den katholischen Territorien Oberdeutsch zur festgesetzten Sprachnorm gegenuber der ,protestantischen Sprache‘ des Obersachsisch- Meiftnischen7 und ein ,katholisches Literaturprogramm‘, das eigene sprachliche und formalasthetische Elemente aufwies, die die religios- kulturelle Zugehorigkeit in Form des Schriftguts darstellte, stand den Ausformungen der ,protestantischen Literatursprache' gegenuber.8 Neben dem Einfluss des Lateinischen auf die oberdeutsche Satzkonstruktion9 ist es vor allem die ars praedicandi, die katholische Predigttradition, die nicht nur sprachlich in Form einer spezifischen Rhetorik, sondern auch inhaltlich Einfluss auf die Texte der ,katholischen Literatur‘ ausubte.10 Die Akzentuierung liegt hier auf den geistlichen Gehalt der Literatur, dessen Gewichtung sich von profanen, in der Regel philosophisch begrundeten Inhalten, abhebt.11 Unter ahnlichen Gesichtspunkten wiederbelebt wurde der Streit um die ,katholische Literatur‘ von den Akteuren der katholischen Kulturbewegung der Jahre 1889-1914, darunter vor allem Carl Muth und Richard Kralik,12 die der vielbeschworenen „Inferioritat“ der Katholiken, besonders auf dem Gebiet der Literatur, ein Ende bereiten wollten.13 Ziel der katholischen Kulturschaffenden war es, Anschluss an die protestantisch gepragte, deutsche Literatur- und Wissenschaftsszene zu gewinnen und die eigene, zum Teil selbstverschuldete, Ruckstandigkeit zu uberwinden.14 Aus diesem Vorhaben resultierte der „katholische Literaturstreit“, dessen Hauptproblematik darin bestand, die liberalen, jedoch von konservativer Seite als „modernistisch“ verfemten Standpunkte mit denen der integralistischen Katholiken in Einklang zu bringen.15 Schlieftlich zeichnete sich bei der Auseinandersetzung die Aufspaltung zweier Lager mit unterschiedlichen Genrebegriffen ab: auf der einen Seite jene, die den liberal gesinnten Standpunkt Karl Muths folgten, die Eingliederung der katholischen Kunst-, Literatur- und Wissenschaftstatigkeit in die etablierte nationale Kultur forderten und fur das Genre einer ,christlichen Literatur' pladierten.16 Auf der anderen Seite all jene, die, wie Richard Kralik, eine eigenstandige ,katholische Literatur' postulierten und deshalb auf die Durchsetzung dieses Gattungsbegriffs beharrten.17 Auch wenn sich die Position Muths durchgesetzt hat18 soll versucht werden, einen Definitionsansatz fur eine genuin ,katholische Literatur' zu finden, der trotz der mannigfaltigen Begriffsauslegungen und -interpretationen eine allgemeine Anwendung fur die vorliegende Forschungsfrage finden kann.19 Im Ruckgriff auf den erstgenannten Konfessionsstreit um eine Einheitssprache, die von protestantischer Seite aus eingefordert wurde,20 grenzt sich die ,katholische Literatur‘ klar durch eine eigene sprachliche und poetologische Form von einer protestantischen Literatursprache und Asthetik ab, wie bereits anhand von Beispielen genannt wurde. Folgt man dem neuerlichen Streit um die ,katholische Literatur‘, der um die Jahrhundertwende zum 20.Jahrhundert innerkonfessionell ausgetragen wurde, so muss der formalasthetische Ansatz um weitere Komponenten erweitert werden, damit eine umfassende Begriffsbestimmung erreicht werden kann. Erganzend soll hierzu der Begriffsdefinition Wolfgang Fruhwalds gefolgt werden, der den Terminus der ,katholischen Literatur‘ vor allem genrespezifisch analysiert:

Katholische Literatur bewahrt eine auf Heilsgeschichte hin durchsichtige Erzahlhaltung und berichtet daher starker uber Volker und Kollektive als uber Individuen. Ihr ist ein eminentes Interesse an menschlicher Korperlichkeit und Sinnenhaftigkeit eingeschrieben, wobei die bevorzugte Erzahlform das Epos, nicht der Roman ist. Der Roman namlich galt lange (zumindest im 19.Jahrhundert) als ein nichtchristliches Genre.21 Katholische Literatur beschreibt tatige Solidaritat als den Kern der christlichen Botschaft und versucht in Postfigurationen die Gestalt Jesu lebendig zu erhalten. Sie entsteht in Abgrenzung zum Protestantismus als bewuftt katholische Literatur erst durch das Tridentinum im jesuitisch gepragten 17. Jahrhundert.22

Aus der Verquickung dieser beiden Definitionsansatze, die sowohl die formalen Normen von Werken, die als ,katholische Literatur‘ bezeichnet werden konnen, im Blick haben als auch die inhaltlichen Bezuge aufgreifen, lasst sich somit eine allgemeine Darstellung der Wesenheit ,katholischer Literatur‘ erzielen. Unabhangig von dem Terminus technicus der ,katholischen Literatur‘ zeichnet sich die ,katholische Autorenschaft‘ durch weitere, vornehmlich religios gebundene Merkmale aus, sodass sich in vielen ,katholischen‘ literarischen Werken durchaus eine Symbiose zwischen Werk und Autorenschaft nachweisen lasst, diese jedoch nicht zwangslaufig vorhanden sein muss.

2.1) Katholische Autorenschaft am Beispiel von Enrica von

Handel-Mazzetti und Gertrud Fussenegger Als prototypische Autorinnen ,katholischer Literatur‘ sollen, im Rahmen dieser Arbeit in nuce, ausgewahlte Werke von Enrica von Handel-Mazzetti und Gertrud Fussenegger beleuchtet werden.23 Enrica von Handel- Mazzetti (1871-1955)24 etablierte sich sehr erfolgreich als osterreichische Heimatdichterin und Autorin von mehrheitlich katholischer Trivialliteratur, die sich im Zeitraum von 1900 bis 1940 einer groften Popularitat, nicht nur in katholischen Kreisen, erfreute.25 Besondere Aufmerksamkeit im Zuge des „katholischen Literaturstreits“ wurde ihr durch ihren Roman „Jesse und Maria“, der 1904 in der von Karl Muth herausgegebenen Zeitschrift „Hochland“ erschien, zuteil.26 Dieser Roman stand im Zentrum der Modernismuskritik27 und entfachte eine Welle der Emporung in vornehmlich konservativ-katholischen Kreisen.28 Hauptkritikpunkt an dem Roman, wie auch an dem sechs Jahre spater erschienenen Werk „Die arme Margaret" (1910)29 und zwei weiteren Romanen, deren Handlungsgeschehen Handel- Mazzetti zur Zeit der Gegenreformation ansiedelt,30 ist die Vermittlung zwischen ihren protestantischen und katholischen Figuren, diesie nicht in einer ,Gut gegen Bose'-Konstellation gegenuberstellt, sondern die gleichsam dazu tendieren, schuldig zu werden wie auch unschuldig zu sein.31 Handel-Mazzetti griff dabei in verfremdeter Form auch auf zeitgenossische Spannungen zwischen der evangelischen und der katholischen Kirche zuruck, wie etwa die Bestrebungen der ,Los-von- Rom-Bewegung' in Osterreich, die Katholiken zu einer Konversion zum protestantischen oder alt-katholischen Glauben uberzeugen wollte.32 So wird in „Jesse und Maria“ der protestantische Graf Jesse von Velderndorff als charismatischer Bekehrer beschrieben, der die katholischen Bauern zum Ubertritt zum evangelischen Glauben uberreden will.33 Dabei setzt er neben seinem kultivierten und gebildeten Auftreten auch pekuniare Mittel ein, um sein Ziel zu erreichen.34 Als der Forster Schinagl auf die diversen Lockangebote von Velderndorff eingeht und sich aufgrund des Umbaus seines Hauses hoch bei jenem verschuldet, will ihm dieser seine Schuld erlassen, wenn er dafur das einst aufgrund einer Wunderheilung gestiftete Marienbild erhalt.35 Im Folgenden beginnt Maria, die Ehefrau des Forsters Schinagel, gegen Jesse von Velderndorffs Vorhaben, ihren Mann gefugig zu machen und zu bekehren, zu opponieren.36 Nach einer Anzeige gegen Jesse von Velderndorff, die Maria bei der Religionskommission tatigt, und der darauffolgenden Verhandlung, wird dieser wegen seines Festhaltens am Protestantismus zum Tode verurteilt.37 Sowohl Maria, die ihre Anzeige und das damit verhangte Todesurteil gegen Jesse bereut, als auch von Velderndorff, der seinen Frevel bezuglich des Marienbildes einsieht, bereuen am Ende ihre Handlungen und versohnen sich durch die Anteilnahme am Schicksal des jeweils anderen.38 Noch einen Schritt weiter ging Handel-Mazzetti in ihrem Roman „Arme Margaret“.39 In diesem stellt sie die auf ihre Konfession beharrende, dabei aber stets als tugendhaft dargestellten, protestantischen Witwe Margaret, den katholischen Offizier Ernst Albrecht von Herliberg gegenuber. Der katholische Offizier soll die Kontrolle der einzuhaltenden Repressionen gegen die „uneinsichtige“ Protestantin ubernehmen und wird aus diesem Grund bei ihr einquartiert. In einer Gewitternacht versucht er Margaret zu vergewaltigen, was, nach vorheriger Lauterung des Offiziers, mit seinem Tode bestraft wird.40 Auch hier ist es die Verwischung der klaren Abgrenzung zwischen ,guten‘ Katholik und ,bosen‘ Protestant, die Handel-Mazzetti den Vorwurf des ,Modernismus‘ einbrachte und eine bruskierte Schelte hinsichtlich der pejorativen Darstellung des katholischen Protagonisten in den Rezensionen katholischer Zeitungen nach sich zog.41 Wenn auch Karl Muth seinen Genrebegriff der ,christlichen Literatur‘ in den literarischen Werken Handel- Mazzettis beispielhaft umgesetzt sah,42 so hatte die herbe Kritik auf Seiten der integralistischen Katholiken, die sich bis hin zu Papst Pius X. zog, zur Folge, dass sich Handel-Mazzetti nicht nur offentlich als Befurworterin des Antimodernismus bekannte,43 sondern dass sie im Zuge dieser Auseinandersetzung auch von Muths Zeitschrift „Hochland“ Abstand nahm.44 Eine weitere osterreichische, katholische Autorin, die exemplarisch als katholische Autorin genannt werden kann, ist Gertrud Fussenegger (1912-2009).45 Fussenegger publizierte seit den 1930er Jahren mehrheitlich christlich motivierte, epische Literatur,46 wozu neben Romanen und Novellen auch Gedichte und Kinderbucher gehoren.47 Trotz ihrer Mitgliedschaft in der NSDAP und der Ubereinstimmung mit dem politischen Kurs der Nationalsozialisten, sie befurwortete beispielsweise den Anschluss Osterreichs im Jahre 1938,48 veroffentlichte Fussenegger 1937 die Novelle „Mohrenlegende“, deren christliche Kernbotschaft der Gleichheit aller Menschen, der nationalsozialistischen Ideologie des Antisemitismus und der Diskriminierung und Verfolgung bestimmter ethnischer und sozialer Gruppen diametral gegenubersteht.49 In ihren Romanen setzte sie sich nach dem Zusammenbruch der NS-Herrschaft vorwiegend mit aktuellen Themen der Politik und des Zeitgeschehensauseinander und verfremdete diese durch die Verlegung des Romangeschehens an historische Schauplatze und den Einbezug geschichtlich bedeutender Personen.50 Dabei steht als Grundprinzip stets die christliche Ethik im Zentrum, durch die Fussenegger einen Moral- und Werteerhalt in der modernen Welt verwirklich sieht. Zudem bedient sie sich in vielen ihrer literarischen Werke der christlichen bzw. explizit katholischen Motivik51 vor dem Hintergrund des epischen Handlungsgeschehens und greift auf biblische Versatzstucke zuruck, wie es in ihrem Roman „Sie waren Zeitgenossen“ der Fall ist.52

2.2) Anthropologie und Christentum bei Adalbert Stifter

Adalbert Stifters Betrachtungsweise des Menschen, die untrennbar mit seinen padagogischen Konzeptionen verbunden ist, wurde von einer Vielzahl von philosophischen und ethischen Einflussen gepragt, wozu auch eine religiose Grundhaltung gehort.53 Fur Stifter ist der Mensch, in Anlehnung an Johann Gottfried Herder,54 von Geburt an ein „homo educandus“, ein Mangelwesen, dessen anfangliche Unvollkommenheit durch Bildung und Erziehung bewaltigt werden und der sich stets fortbilden muss.55 Durch den Schopfungsakt sind nach Auffassung Stifters der freie Wille und die Vernunft ansatzweise im menschlichen Dasein verwurzelt, allerdings bedarf es auch hier der Entwicklung dieser ontologischen Eigenschaften, damit der Mensch nicht von seinen, als uberwiegend negativ zu konnotierenden „Affecten“ beherrscht wird.56 Stifter fordert dabei jedoch keine strikte Trennung zwischen Vernunftbegabung und Sinnlichkeit, sondern erkennt das Zusammenspiel beider menschlichen Veranlagungen an.57 So ordnet er bestimmte kulturelle Bereiche, wie etwa die Kunst und die Religion, dem sinnlichen Anspruch und Bedurfnis des Menschen zu.58 Deutlich wird bei der Positionierung Stifters zur Bedeutung der Religion fur den Menschen, dass er zwar durchaus ihre besondere Relevanz, insbesondere fur die Ausformung der „Sittlichkeit“ betont und ihren Stellenwert somit fur hoch erachtet, eine Verengung auf eine konfessionell gebundene Religion nimmt er aber nicht vor.59 Stattdessen ist es die Vernunftreligion und die fortgesetzte Ausbildung der ihr innewohnenden ethischen Prinzipien und Werte, die dem Menschen die Moglichkeit der Bandigung seiner schadlichen oder gar (selbst-)zerstorerischen Leidenschaften ermoglicht.60 Hinsichtlich des „sanften Gesetzes“, das Adalbert Stifter seinem Erzahlband ,Bunte Steine‘ voranstellt bzw. der darin dargestellten Sittenlehre, ist Stifter in hohem Mafte von dem katholischen Theologen, Mathematiker und Philosoph Bernard Bolzano beeinflusst, der versuchte, Konzepte der Aufklarung mit dem Katholizismus zu vereinbaren und auch der Metaphysik einen hohen Stellenwert zusprach.61 Allerdings ware es vermessen, aufgrund dieses Faktums eine rein katholisch- christliche Tendenz und Glaubenshaltung in Stifters padagogisch-ethischer Philosophie und in seinen Werken sehen zu wollen.62 So ist es eher die Verknupfung von Wissenschaft und Religion, Logik und Ethik, die dieLehren Bolzanos fur Stifter anziehend gemacht haben.63

3.) Der Herbartianismus als philosophisch-padagogische Stromung in der k.-u.-k.-Monarchie und sein Einfluss auf Adalbert Stifters padagogische und literarische Werke

Die padagogische Bewegung des „Herbartianismus“, die im Osterreich der K.-u.-k.-Monarchie vom 19.Jahrhundert bis ins fruhe 20.Jahrhundert die vorherrschendende philosophische Stromung darstellte64 und damit einen entscheidenden Einfluss auf die Lehrerbildung sowie auf gesellschaftliche Entwicklungen ausubte,65 pragte auch Adalbert Stifter, der als Schulrat und Schulinspektor von Linz im Zeitraum von 1850 bis 186566 sowohl padagogische Konzepte fur den Unterricht als auch fur die Lehrerbildung konzipierte und, mit mehr oder minderem Erfolg, durchzusetzen versuchte.67 Doch nicht nur in seinem padagogischen Schaffen sind Einflusse der Herbartianismus zu finden, auch in seinen schriftstellerische Werken, wovon sich viele dem Bildungs- und Erziehungsideal widmen, sind Tendenzen der Herbart'schen Lehre nachzuvollziehen. Die nachfolgende Analyse soll zeigen, inwieweit sich diese padagogische Stromung in Stifters literarischem Werk widerspiegelt.

3.1) Zum Begriff des ,Herbartianismus‘ und seine

Bedeutung fur die Padagogik und katholische Reformbewegung im Osterreich des 19. Jahrhunderts Der Herbartianismus ist eine, auf den niedersachsischen Philosophen und Padagogen Johann Friedrich Herbart (1776-1841)68 zuruckgehende, philosophische Stromung, die ihren Ursprung an der Universitat Jena nahm.69 Von dort aus fand die Lehre zunachst an der Universitat Prag durch den Philosophieprofessor Franz Exner Verbreitung70 und gelang auf diesem Wege in den Fachbereich der wissenschaftlichen Padagogik an der Universitat Wien.71 Die Herbartianische Stromung, die sich ebenso auf die Bereiche der Asthetik, Philosophie und Psychologie auswirkte,72 war durch seinen ,Herkunftsort‘ gepragt und differenzierte sich in Abhangigkeit von diesem.73 So ist der Ursprung der Herbartianischen Asthetik, vor allem nach 1848,74 fast ganzlich in Osterreich zu suchen.75 Parallel dazu verlief die Etablierung der Herbartianischen Lehre, insbesondere uber die Ansatze der formalistischen Asthetik,76 im osterreichischen Schulsystem. Mit dem „Entwurf der Organisation der Gymnasien und Realschulen“ im Jahre 1849, der u.a. von Franz Exner ausgearbeitet wurde,77 begann der Einzug der Herbartianischen Lehre in den sekundaren Bildungsbereich der Schule des k.u.k-Gebietes, dem 1869 durch den Erlass des „Reichsvolksschulgesetzes (RVG)“ auch die Primarschulen folgten.78 Zentrale Merkmale des padagogischen Konzepts sind die Formalstufentheorie und die Interessentheorie.79 Bei der Formalstufentheorie, mit der auch der „Beginn des Methoden-Problems der modernen Erziehungswissenschaft“80 einhergeht, stehen die Phasen der ,Vertiefung‘ und der ,Besinnung‘ im Vordergrund.81 Der Lernprozess soll demnach symbolhaft als Ersteigung einer Treppe verstanden werden,82 bei der wahrend der Phase der ,Vertiefung‘ zunachst die Stufe der ,Klarheit des Einzelnen' erklommen werden muss, die zum Verstandnis und zur Festigung des neu erworbenen Lerninhalts auf Basis des Vorwissensfuhren soll.83 Danach erfolgt die Stufe der ,Assoziation des Vielen‘, bei der es nun zu einer Verknupfung des neu erlernten Lerninhalts mit anderen neuen Erkenntnissen kommen soil.84 1st diese Verknupfung erfolgt, schliefttsich die Phase der ,Besinnung‘ an.85 Auch hier gilt es nun zwei weitere Stufen zu erreichen, namlich die Stufe der „Zusammenordnung des Assoziierten“, auf der die nun assoziierten neuen Lerninhalte mit dem bereits vorhandenen Wissen verknupft werden sowie die letzte Stufe des ,Handelns‘, auf der nun der/die Lernende das erworbene Wissen anwenden soll.86

Auf diesem Ansatz beruht auch die sogenannte Interessentheorie, bei der die vier Lebensalter des sich entwickelnden Menschen jeweils einer Epoche zugeordnet sind, die dem Lehrplan gemaft behandelt werden mussen. So ist in der fruhkindlichen Bildung, wahrend der Kindheit, in der Pubertat und im Erwachsenenalter die Thematisierung jeweils einer Stufe des „Kulturstufenplans“ vorgesehen.87 Folgt man dem Herbart‘schen Ansatz weiter, und mit ihm auch einem Diktum der Epoche der Aufklarung, so geht mit der Aneignung des Wissens auch eine Formung des Charakters des Lernenden zur Sittlichkeit einher. Das Maft der Tugend wachst nach Herbarts Theorie demzufolge mit dem Maft der Bildung.88

3.2) Die Rolle der Herbart‘schen Reformbestrebungen in Stifters literarischem Werk

Der Phasenablauf der Formalstufentheorie von Johann Friedrich Herbart lasst an den Bildungsprozess der jungen Figuren in Stifters Roman ,Der Nachsommer‘ denken. Am Beispiel des Protagonisten Heinrich und des Ziehsohnes des Freiherrn von Risach, Gustav, wird darin beschrieben, wie der idealtypische Bildungsfortgang eines Lernenden aussehen konnte, wenn diesem Lernverlauf keine Einschrankungen, in Form von Abbruchen, Einschnitten oder Ruckschritten widerfahren wurden. Im Fokus soll hierbei nicht die Diskussion uber die Plausibilitat eines solchen Lernszenarios stehen, handelt es sich doch dabei nicht nur um die Grundidee eines perfekten formal geordneten Bildungsganges, sondern auch um die Frage nach dem Einfluss Herbarts auf Stifters Werke. Dass Adalbert Stifter vom Einfluss des Herbartianismus gepragt war, geht bereits aus der zuvor beschriebenen Dominanz des Herbart'schen System im Osterreich seiner Zeit, in allen Bereichen der padagogischen Ausbildung sowie der geisteswissenschaftlichen Gebiete hervor.89 Und nicht nur im ,Nachsommer‘ ist die Grundidee des Stufenganges das padagogischeMittel erster Wahl, sondern auch in den anderen, die Didaktik thematisierenden Erzahlungen. So vermittelt der Groftvater in ,Granit‘ seinem Enkel kindgerecht die Topographie des Dorfes, das „braune Madchen" erhalt in ,Katzensilber‘ dieselbe Ausbildung wie ihre Altersgenossen und nur in ,Turmalin‘ ist der Bildungsprozess fehl geschlagen, da er nicht an der Stufenkonzeption angesetzt hat. Dies fuhrt zu einem weiteren Punkt, der in Bezug auf die Herbart'sche Padagogik genannt werden muss, namlich der Antizipation. Auch die Vorwegnahme von Lehr- und Lerninhalten findet namlich in Stifters Werken Anwendung und unterscheidet sich dadurch vom System der Herbartianer:

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1 Benedikt JeBing (Hrsg.): Adalbert Stifter. Der Nachsommer. Eine Erzahlung. Stuttgart 2019, S. 118.

2 Thomas Meurer verweist in seinem Aufsatz uber Adalbert Stifter als ,katholischen Autor‘ auf die schnell einsetzende Festschreibung von Stifter als Paradebeispiel eines Verfassers ,katholischer Literatur‘: „Schon 1890, also nur zweiundzwanzig Jahre nach Stifters Tod, fuhrte ihn Heinrich Keiter schon unter seinen Portrats der „Katholischen Erzahler der neusten Zeit", 1906 findet er Aufnahme in Johann Jakob Hansens „Lebensbilder hervorragender Katholiken". Vgl.: Thomas Meurer: Die Revolte der Larve. Adalbert Stifter als „christlicher" Schriftsteller? In: Orientierung. . Katholische Blatter fur weltanschauliche Informationen. 69 (2005), S. 214. Auch in der Moderne reiBt die Deutung des Werkes Stifters und seiner selbst als explizit katholischen bzw. christlichen Autor nicht ab. Vgl.: Otto WeiB: Kulturkatholizismus. Katholiken auf dem Weg in die deutsche Kultur 1900-1933. Regensburg 2014. Ferner verweist Gisbert Kranz in seiner Aufzahlung christlicher Werke auf Adalbert Stifters Erzahlung ,Bunte Steine‘. Vgl.: Gisbert Kranz: Was ist christliche Dichtung? Thesen, Fakten, Daten. Munchen 1987, S. 97. Selbst die Zurechnung Stifters als Autor des Biedermeiers wird durch seine wirklichkeitsnahe Erzahlweise mit dem Verweis auf den Realismus und sogar auf die literarische Moderne von Seiten der Forschung eingeschrankt. Vgl.: Christian Begemann/Davide Giuriato [Hrsg.]: Stifter Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart 2017, S. VII.

3 Meurer verdeutlich diese anhand der Dekonstruktion dreier Punkte, die zugleich fur die katholische Leserschaft als Merkmale fur Stifters ,katholische Autorenschaft‘ gelten sollen, namlich der „asthetisierend-empfindsamen Naturwahrnehmung", der angeblich moralisch- sittlichen Christlichkeit seiner Erzahlfiguren und der Kenntnis und Bezugnahme auf die katholischen Traditionen, Brauche und die Glaubenspraxis, die in seinen literarischen Werken eine Rolle spielen. Vgl.: Thomas Meurer: Die Revolte der Larve, S. 216ff..

4 Im Kontext der Begriffsdefinition der ,katholischen Literatur' wird zudem naher auf den Terminus der ,christlichen Literatur eingegangen werden, der als Uberbegriff der konfessionell gebundenen Literaturgattungen fungiert.

5 Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565-1650. Deutsche Literaturgeschichte und Territorialgeschichte in fruhabsolutistischer Zeit. Munchen 1979, S. 4.

6 „Die Autoren der katholischen Territorien schreiben bis weit ins 18.Jahrhundert hinein auf der Basis der oberdeutschen Gemeinsprache der kaiserlichen Kanzleien bzw. in Bayern der landesfurstlichen Kanzlei. Die Geltungsbereiche der obersachsisch-meiBnischen Literatursprache: der Sprache Luthers und Opitzens (in den protestantischen Territorien), und der oberdeutschen Literatursprache (in den katholischen Territorien) sind im 17. Jahrhundert noch klar abgegrenzt und ebenso die Geltungsbereiche der auf ihnen aufbauenden Poetologien.“ Ebd., S. 7f..

7 Anzumerken ist aber, dass bei aller Bestrebung zur Sprachnormierung im 17.Jahrhundert weder auf protestantischer noch auf katholischer Seite eine Einheitlichkeit erreicht war, da auch noch weitere dialektale Varianten, wie etwa das Niederdeutsche, als Literatursprachen verwendet wurden. Vgl.: ebd., S. 51.

8 Als Beispiel kann hierfur der Streit um die „lutherische" e-Apokope angefuhrt werden, die als Indikator fur die Zugehorigkeit von Texten zur ,protestantischen Literatur‘ galten. Vgl.: ebd., S.48ff.. Demgegenuber standen die Merkmale der oberdeutschen, d.h. ,katholischen Literatur‘, wie z.B. Apokopierung des tonschwachen -e, oberdeutscher Konsonantenschwund, fehlender Umlaut in bestimmten Wortern. Vgl.: ebd.; S. 54f..

9 Ebd., S. 57.

10 Vgl.: Wolfgang Neuber: Poetica confessionis cognitio. Erkenntnisfunktionale Ansatze zu einer induktiven Poetik der Altwiener Volkskomodie. In: Jean-Marie Valentin (Hrsg.): Das osterreichische Volkstheater im europaischen Zusammenhang 1830-1880. Bern [u.a.] 1988 (Contacts, Serie 1 - Theatrica, Bd.5), S. 17.

11 Vgl.: Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565-1650, S. 64f..

12 Bernhard Doppler: Katholische Literatur und Literaturpolitik. Enrica von Handel-Mazzetti. Eine Fallstudie. Hain-Konigstein/Taunus 1980. (Literatur der Geschichte - Geschichte in der Literatur, Bd. 4), S. 1.

13 Vgl.: Otto WeiB: Kulturkatholizismus, S. 29f..

14 „In keinem anderen Bereich wurde um die Wende zum 20. Jahrhundert die kulturelle „Inferioritat" der deutschen Katholiken so sehr empfunden wie im Bereich der Literatur. Und dies nicht nur von den Protestanten, sondern auch von den Katholiken selbst, und hier wiederum nicht nur von Reformern und Modernisten, sondern auch von durchaus konservativen Literaturkritikern bis hin zu einem P. Wilhelm Kreiten aus dem Jesuitenorden." In: Ebd., S. 24.

15 „Der katholische Literaturstreit wurde 1898 durch eine Broschure Karl Muths, die er unter dem Pseudonym Veremundus herausgab, eingeleitet. Ihr programmatischer Titel lautet: „Steht die katholische Belletristik auf der Hohe der Zeit?" Muth verurteilt darin die Ruckstandigkeit katholischer Tendenzromane und propagiert im AnschluB an Gedanken des Theologen Schell eine katholische Kunst, die in die nationale „moderne" Hochliteratur integrierbar ist. Die Amtskirche, zumindest integralistische Katholiken, sehen hingegen den durch die Enzyklica „Pascendi" verurteilten Modernismus nicht nur auf das theologisch-philosophische Gebiet beschrankt, sondern auch auf die Literatur ausgedehnt. Sie warnen vor der Gefahr einer Zersetzung des katholischen Glaubens durch den neuen Zeitgeist. Der Wiener „Gralskreis" um Richard Kralik - das Hauptsprachrohr der integralistischen Richtung - verdachtigt Muth, dessen kulturelle Monatsschrift „Hochland" in kurzer Zeit allgemeine Anerkennung erhalt, des Modernismus." In: Bernhard Doppler: Katholische Literatur und Literaturpolitik, S. 10.

16 Ebd., S. 2.

17 Ebd., S. 1.

18 Ebd., S. 11.

19 Ziel ist es dabei, eine zeitgenossische Definition des Begriffs ,katholische Literatur‘ zu finden. Auf altere Bestimmungen der Terminologie, wie die Karl Muths, dass es sich bei ,christlicher Kunst‘ immer auch um idealrealistische Kunst handelt, die stets den ontologischen Dualismus thematisiert, soll nur am Rande hingewiesen werden. Vgl.: ebd., S. 2.

20 Dieter Breuer: Oberdeutsche Literatur 1565-1650, S. 5.

21 Als dringende Warnung gegen das Lesen und das Lesen von Romanen im Speziellen steht in einem Hirtenbrief, der um die Jahrhundertwende des letzten Jahrhunderts erschien, im Wortlaut geschrieben: „Auch wenn die Romane in den Bahnen des christlichen Sittengesetzes sich bewegen und ein Musterbild reiner, idealer Liebe uns vorfuhren, bleiben sie nicht ohne Gefahr fur den jugendlichen Leser. Diese gewohnen sich durch den standigen Verkehr mit erdichteten Helden daran, in einer ertraumten Welt zu leben, die Bedurfnisse der ernsten Wirklichkeit zu ubersehen, die Berufstatigkeit mit ihren Arbeiten und Sorgen wird vernachlaBigt, in Eitelkeit und Tandeleien wird kostbare Zeit vergeudet, die Charaktere verweichlichen und eine erschlaffende krankhafte Sentimentalitat ist die traurige Frucht der Gemutsregungen, dann nimmt der Gebeteifer ab, die Ubungen der Frommigkeit werden vernachlassigt und ein Zustand der Lauheit tritt ein, der der Seele groBen Schaden verursacht. Selbst ausgezeichnet fromme Personen entgehen diesen Folgen nicht." In: Ebd., S. 30.

22 Wolfgang Fruhwald: Das Gedachtnis der Frommigkeit. Religion, Kirche und Literatur in Deutschland vom Barock bis zur Gegenwart. Frankfurt a.M. [u.a.] 2008, S. 280.

23 Auch osterreichische Autoren wie die Dichterin Christine Lavant, Richard Kralik oder Karl Domanig konnen mit ihren Werken als Beispiele katholischer Autorenschaft angefuhrt werden, allerdings werden aufgrund des begrenzten Umfangs dieser Arbeit ihre Werke nicht naher beleuchtet.

24 Bernhard Doppler: Katholische Literatur, S. XI.

25 Michaela Klosinski: Zwischen Moderne und Antimoderne. Die katholische Literatur Wiens 1890-1918. Wurzburg 2016 (Klassische Moderne, Bd. 29), S. 171.

26 Bernhard Doppler: Katholische Literatur, S. 33.

27 Hauptanliegen der Antimodernisten war es, die Versuche, moderne wissenschaftliche Theorien und Erkenntnisse, die fortschrittliche Katholiken in Einklang mit der Botschaft des Evangeliums bringen wollten, um sie fur die Menschen ihrer Zeit wieder nachvollziehbar und verstandlich zu machen, zu beseitigen, da sie in ihnen eine „Verschworung“ gegen die katholische Kirche sahen. Dies kulminierte in mehreren papstlichen Schriften, wobei die Enzyklika „Pascendi“ die Hauptschrift im Kampf gegen modernistische Tendenzen darstellte, da sie nicht nur die „subversiven“ Methoden der Modernisten in ihrem Zusammenhang uberschaut haben will, sondern auch darlegt, welche zensorischen MaBnahmen bis hin zur Exkommunikation bei Verdacht auf Modernismus eingeleitet werden mussen. Neuner fast zusammen: „Folge war, dass man den Modernismusvorwurf gegenuber allem und jedem erheben wollte, was irgendwie als neu und ungewohnt empfunden wurde, ohne dass er argumentativ hatte belegt werden mussen." Vgl.: Peter Neuner: Der Streit um den katholischen Modernismus. Frankfurt a.M. [u.a.] 2009, S. 116.

28 Funf Jahre nach Erscheinen des Romans bezieht sich der Schweizer Theologe Caspar Decurtin in seinem Pamphlet „Die Briefe an einen jungen Freund" ausdrucklich auf Enrica von Handel- Mazzettis Werk, um an ihm zu verdeutlichen, dass Roman und Autorin den Grundprinzipien der katholischen Kirche zuwiderlaufen. Mit diesem Verriss beginnt auf Seiten der integralistischen Katholiken die kontinuierliche Schmahung des Werkes Handel-Mazzettis, die auch von Papst Pius X. begruBt wurde. Vgl.: Bernhard Doppler: Katholische Literatur, S. 33.

29 Zu den weiteren Romanen gehoren auch „Meinrad Helmpergers denkwurdiges Jahr" (1900) und „Stephana Schwertner" (1912). Vgl.: Michaela Klosinski: Zwischen Moderne und Antimoderne, S. 174.

30 Bernhard Doppler: Katholische Literatur, S. 33.

31 Die nicht erfolgte Schmahung der protestantischen Figuren, die zumeist auch ihre Hauptfiguren oder deren Antagonisten darstellen, kann auch biographisch gedeutet werden, da die Mutter Enrica von Handel-Mazzettis selbst einer okumenischen Ehe entstammte. Vgl.: Michaela Klosinski: Zwischen Moderne und Antimoderne, S. 171.

32 Bernhard Doppler: Katholische Literatur, S. 35.

33 Ebd.

34 Ebd.

35 Ebd., S. 36.

36 Ebd.

37 Ebd.

38 Ebd., S. 37.

39 Es sei darauf verwiesen, dass sich an diesen Roman auch der Plagiatstreit mit Karl Schonherr und seinem Roman „Glaube und Heimat“ anknupft. Aufgrund der Lange dieser Arbeit und der thematischen Schwerpunktsetzung kann aber nicht naher darauf eingegangen werden. Vgl.: ebd., S. 52ff..

40 Ebd., S. 41f..

41 Ebd., S. 52.

42 Ebd., S. 33.

43 Michaela Klosinski: Zwischen Moderne und Antimoderne, S. 173.

44 Dies hatte wiederum zur Folge, dass sich der Gralbund um Richard von Kralik wieder zu ihr als vorbildlicher katholischer Autorin bekannte. Vgl.: ebd., S. 174.

45 Vgl: Traugott Bautz: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. (XLI. Bd. Erganzungen XXVIII), Nordhausen 2020 S. 416.

46 Hermann Korte: Kindler Kompakt. Osterreichische Literatur der Gegenwart. Stuttgart Metzler 2016, S. 75.

47 Ebd.

48 Ebd., S. 417. Fusseneggers Sympathien fur die NSDAP hatten nach Ende des 2.Weltkriegs zur Folge, dass sie sich in vielen ihrer Schriften mit der Aufarbeitung ihrer eigenen Vergangenheit und der osterreichischen Vergangenheit auseinandersetzte, dafur stehen Werke wie „Sie waren Zeitgenossen und sie erkannten ihn nicht" und die Autobiographie „Ein Spiegelbild mit Feuersaule". Vgl.: ebd., S. 418. Trotzdem geriet sie aufgrund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit immer wieder in die Kritik wie 1993 im Rahmen der Verleihung des Bayerischen Literaturpreises. Vgl.: ebd., S. 418f..

49 Die Novelle wurde kurz nach dem Erscheinen aufgrund ihres antifaschistischen Inhalts von den Nationalsozialisten verboten. Vgl.: ebd., S. 416f..

50 Beispielhaft sei Fusseneggers Roman „Zeit des Rabens, Zeit der Taube" herangezogen, der im Stil einer Doppelbiografie das Leben der Physikerin Marie Curie und des katholischen Schriftstellers Leon Bloy wiedergibt. In deren Kontext und vor dem Hintergrund des atomaren Wettrustens zwischen den USA und der UdSSR ab den 1950er Jahren, wird ein religioser Fundamentalismus einer naturwissenschaftlichen Forschung gegenubergestellt, die das ethische Verantwortungsgefuhl zu verlieren droht. Vgl.: Rainer Hackel: Gertrud Fussenegger. Das erzahlerische Werk. Wien [u.a.] 2009, S. 255ff..

51 In vielen ihrer Romane spiegelt sich ein Schuld-und-BuBe-Grundmotiv wider, das v.a. aus der steten Konfrontation Fusseneggers mit ihrer eigenen Schuldhaftigkeit und derer ihrer Zeitgenossen wahrend der NS-Diktatur entstammt. Vgl.: ebd., S. 11. Zudem werden in ihren Erzahlungen immer wieder die aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen zu Protagonisten, die, oftmals im Gegensatz zu den etablierten burgerlich-christlichen Figuren, die christliche Haltung und Verantwortung tatsachlich praktiziere. Vgl.: ebd., S. 17.

52 Ebd., S. 346ff..

53 Fischer verweist auf die Inanspruchnahme von katholischer Seite, Stifter aufgrund seiner Herkunft aus dem katholischen Milieu und einer sehr deutlichen religiosen Haltung in seinen Werken, auf seine katholische Pragung zu reduzieren: „Eine Antwort auf die Frage, ob Stifter fur die katholische Weltauffassung reprasentativ sei, hat Michel versucht. Mag auch der von ihm an die eigene Studie gestellte Anspruch nicht eingelost worden sein [...], so ist jedenfalls von ihm kompetent nachgewiesen, daB nur schreckliche Vereinfacher die Identitat von Stifter und Katholizismus behaupten konnen." In: Kurt Gerhard Fischer: Die Padagogik des Menschenmoglichen. Adalbert Stifter. Linz/Donau 1962. (Schriftenreihe des Adalbert Stifter- Institutes des Landes Oberosterreich, Folge 17), S. XV.

54 Ebd., S. 3.

55 „Es ist eben der Mensch, der nichts kann und vermag und alles lernen muB“. Vgl.: ebd., S. 5f..

56 Als „Affecte“ gilt Stifter vor allem der Egoismus, der, an die Lehre des Augustinus erinnernd, ebenfalls fester Bestandteil der menschlichen Existenz ist: „der Mensch braucht zu seiner Existenz eine Menge irdischer Dinge, und diese begehren die Triebe in ihm, die oft mit Ungestum hervortreten und dann Affecte heiBen. [...] [Der Mensch] „ist an sich egoistisch, er will nur seinen Gegenstand an sich allein heran reiBen.“ Vgl.: ebd., S. 7.

57 Ebd., S. 8.

58 Ebd.

59 „Stifter laBt „den Bereich des Religiosen auBerhalb seines Werkes und seiner eigenen denkerischen Bemuhungen und sucht auBerhalb der Grenzen dogmatischer Glaubensinhalte all das Menschliche und Weltliche zu erfassen, wie es sich ohne Konfession und ohne kirchliche Bindung darbietet. Die auBersten menschlichen Entscheidungen fallen nicht im kirchlich bestimmten BewuBtsein, sondern in einer freien menschlichen Religiositat, die auBerhalb einer strengen kirchlichen Glaubigkeit besteht.“ Vgl.: ebd., S. 9. Auch: „[...] wie er uberhaupt bemuht war, jeder allzu engen, ausdrucklichen Bindung an Theologie und Konfession auszuweichen. Deshalb laBt er wohl auch das Religiose in seinen Dichtungen mitspielen; aber es bleibt beim Mitspielen. Ein Anecken bei Zensur und Klerus wird dadurch ebenso vermieden wie eine eindeutige, schlussige Festlegung Stifters auf die Rolle eines „katholischen“ Schriftstellers verhindert.“ Vgl.: ebd., S. 22.

60 Kurt Gerhard Fischer weist darauf hin, dass hierbei die anthropologische und padagogische Haltung Stifters gemeint ist. Dies soll keinen Aussagewert uber Stifters eigene Beziehung zum Katholizismus beinhalten, ist jedoch fur den von ihm transferierten und intendierten Bedeutungsgehalt seiner literarischen Werke entscheidend. Vgl.: ebd.

61 Markus Pahmeier/Wolfgang Braungart: Religion und Metaphysik. In: Christian Begemann/Davide Giuriato [Hrsg.]: Stifter Handbuch. Leben-Werk-Wirkung. Stuttgart 2017, S. 279.

62 Auch Markus Pahmeier und Wolfgang Braungart erkennen in den Werken Stifters die Auseinandersetzung mit der Religion in ihrer ganzen Fulle, auch wenn haufig spezifisch katholische Motive umkreist werden: „Bei Stifter ist namlich mit der ganzen Komplexitat zu rechnen, die fur die fur die literarische Thematisierung und Reflexion von Religion und Metaphysik in der Moderne grundlegend ist. Er kennt Religion als Kirche, als Apparat und Institution, die durch ihre Amt- und Wurdentrager reprasentiert wird; er kennt kirchlich verfasste, kirchlich organisierte Religiositat und ihre Praktiken, die in den personlichen Bereich hineinreichen (etwa in individuellen Gebeten); er kennt vergleichsweise freie, subjektive Formen von Religiositat, die aber doch noch an einem personalen Gottesbegriff festhalten; er kennt religiose und metaphysische Sehnsuchte bzw. Bedurfnisse unbestimmterer Art, Sehnsuchte nach ubergreifenden Sinn- und Ordnungserfahrungen, vagere Vorstellungen vom Gottlichen, die mit einem personalen Gottesverstandnis dann nur noch wenig zu tun haben; er kennt schlieBlich eine Lebens-, Welt- und Naturfrommigkeit, die ohne einen Gottesbegriff i.e.S. auskommen kann und von der aus sich vielleicht sogar eine Nahe zu Arthur Schopenhauer und Ludwig Feuerbach ergeben konnte.“ In: Ebd., S. 280f..

63 Donatella Colantuono: Vernunftig glauben? Gemeinsamkeit von Religion, Metaphysik und Wissenschaft bei Bernard Bolzano. Wien 2016 (Philosophie, Bd. 107), S. 108.

64 „Durch Schulbildungen an den beiden fuhrenden Universitaten Prag und Wien sowie durch die leitende Stellung von Herbartianern in der Kultusburokratie und im Bildungswesen kam es jetzt geradezu zu einer Herrschaft dieser philosophischen Richtung. Der Herbartianismus wurde „in der zweiten Halfte des 19.Jahrhunderts die Philosophie Osterreichs schlechthin", wie es Winter formuliert." Vgl.: Jager, Georg: Die Herbartianische Asthetik. Ein osterreichischer Weg in die Moderne. In: Herbert Zeman: Die osterreichische Literatur. Ihr Profil im 19.Jahrhundert (1830­1880). Graz 1982, S. 196.

65 Vgl.: Johanna Hopfner/Andras Nemeth: Padagogische und kulturelle Stromungen in der k. u. k. Monarchie. In: Johanna Hopfner / Andras Nemeth (Hrsg.): Padagogische und kulturelle Stromungen in der k. u. k. Monarchie. Lebensreform, Herbartianismus und reformpadagogische Bewegungen. Frankfurt a.M. 2008, S. 7.

66 Vgl.: Kurt Gerhard Fischer [Hrsg.]: Documenta Paedagogica Austriaca. Adalbert Stifter. Documenta Paedagogica Austriaca. Adalbert Stifter. Linz 1961 (Schriftenreihe des Adalbert Stifter-Institutes des Landes Oberosterreich, Folge 15,1), S. XIV.

67 Ebd., S.LXXXVIIIff. Zu nennen sei hier der misslungene Versuch Stifters, das von ihm und dem Linzer Realschullehrer entwickelte „Lesebuch zur Forderung humaner Bildung in Realschulen und in andern zu weiterer Bildung vorbereitenden Mittelschulen" fur den Unterricht behordlich freigeben zu lassen. Vgl.: ebd., S. LXIXf..

68 Rotraud Coriand [Hrsg.]: Herbartianische Konzepte der Lehrerbildung. Geschichte oder Herausforderung? Bad Heilbrunn 2003, S. 9.

69 Erik Adam: Herbartianismus in Osterreich - seine Bedeutung fur eine transnationale LehrerInnenbildung. In: Ebd., S. 184.

70 Georg Jager: Die Herbartianische Asthetik, S. 196f..

71 Erik Adam: Herbartianismus in Osterreich - seine Bedeutung fur eine transnationale LehrerInnenbildung. In: Ebd., S. 184

72 Auch das in den 1840er Jahren eingefuhrte Schulfach Philosophie sowie die Facher Logik und ,empirische Psychologie' wurden gemaB der Herbart'schen Lehre unterrichtet. Vgl.: ebd., S. 185.; auch: Georg Jager: Die Herbartianische Asthetik, S. 198.

73 „[...] so durften sich hier so gravierende Unterschiede unter den Herbartianern herausstellen, dass von einem Wiener und einem Prager Herbartianismus gesprochen werden musste.“ In: Erik Adam: Herbartianismus in Osterreich - seine Bedeutung fur eine transnationale LehrerInnenbildung. In: Ebd., S. 184

74 Georg Jager: Die Herbartianische Asthetik, S. 195

75 Ebd., S. 196.

76 „Die Lehrbucher von [Anm. den Herbartianern] Drbal, Lindner und Zimmermann popularisierten die Psychologie Herbarts und setzten dabei die Grundlagen seiner Asthetik, die Lehre vom „asthetischen Urteil“ und den asthetischen Gefuhlen mit auseinander. [...] Aus der selbstverstandlichen engen Verbindung des gesamten Herbartianismus mit der Padagogik erklart sich auch, daB Zimmermanns Asthetik in Lehrerkreisen sogleich praktisch umgesetzt wurde.“ In: Ebd., S. 198.

77 Erik Adam: Herbartianismus in Osterreich - seine Bedeutung fur eine transnationale LehrerInnenbildung. In: Ebd., S. 184.

78 Ebd., S. 186.

79 Kurt Gerhard Fischer: Die Padagogik des Menschenmoglichen, S. 257.

80 Ebd., S. 259.

81 Ebd.

82 Ebd., S. 258.

83 Ebd., S. 259.

84 Ebd.

85 Ebd.

86 Ebd.

87 Ebd.

88 Ebd.

89 Kurt Gerhard Fischer: Die Padagogik des Menschenmoglichen, S. 255.

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Adalbert Stifter als katholischer Autor? Katholische Literatur am Beispiel von "Bunte Steine", "Der Nachsommer" und "Witiko"
Hochschule
Freie Universität Berlin  (Institut für Deutsche und Niederländische Philologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
66
Katalognummer
V1030994
ISBN (eBook)
9783346446725
ISBN (Buch)
9783346446732
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adalbert Stifter, Österreichische Literatur, Katholische Autorenschaft
Arbeit zitieren
Bianca Weihrauch (Autor:in), 2021, Adalbert Stifter als katholischer Autor? Katholische Literatur am Beispiel von "Bunte Steine", "Der Nachsommer" und "Witiko", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1030994

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