Komplementäre Positionierungen in der Realismus-Debatte

Mario De Caros These, Argumente und Begründungen


Essay, 2021

12 Seiten, Note: 1,3

Mareike Scheibel (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 De Caros These, Argumente und Begründungen

3 Partialisierung und Graduierung realistischer und antirealistischer Haltungen

4 Konkretisierungen und Problemstellungen des Common-Sense-Realismus

5 Konkretisierungen und Problemstellungen des wissenschaftlichen Realismus

6 Zusammenführung und Kritisierungen

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Der eigentlich unbefriedigende Aspekt beider Auffassungen liegt […] in ihrer respektiven Negativität begründet, die sich […] aus ihrer relativen ideologischen Einseitigkeit ergibt“ (De Caro 2015, S. 32).

Fällt der Blick auf philosophische Auseinandersetzungen im Rahmen der weiträumigen Debatten um und über den Realismus, so sticht schnell ein Quantum an Konkretisierungsansprüchen des Charakters entgegengestellter Positionen prägnant heraus. Infolgedessen beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit einer Reihe komplementärer und oppositiver Standpunkte und der ihnen innewohnenden kriterialen Attribute.

Konkret soll sich mit folgender Fragestellung auseinandergesetzt werden: Wie ergründet De Caro die partielle Kollektivierung realistischer und antirealistischer Haltungen und die doppelte Einseitigkeit der zwei Spielarten des Realismus?

Das textliche Fundament bildet dabei De Caros Zeugnis der „[z]wei Spielarten des Realismus“ (ebd., S. 19). Ziel ist es, die Fragestellung näher zu beleuchten und Argumente zu finden, welche die These verifizieren sowie die Betrachtungsweise amplifizieren.

Zu Beginn der vorliegenden Arbeit sind zunächst De Caros These, Argumente und Begründungen zu komplementären Positionierungen im Rahmen der Realismus-Debatte dargelegt. Im weiteren Verlauf sind partiellen, in einem jedem philosophisch-wirksamen Individuum inkorporierten Verflechtungen realistischer und antirealistischer Haltungen nähere Betrachtungen gewidmet. Nachfolgend sind sowohl der Common-Sense-Realismus, als auch der diesem entgegengestellte wissenschaftliche Realismus unter Inkludierung kritischer Positionierungen konkretisiert. Im Resümee erfolgt der Zusammenschluss des vorangegangenen Inputs im Lichte der Ausgangsfrage unter Einbettung kritischer Anmerkungen.

2 De Caros These, Argumente und Begründungen

Im ersten Teil des Textes formuliert De Caro die These, dass ein/e Philosoph/In „[n]iemals […] ausschließlich Realist oder […] Antirealist“ (ebd., S. 19) war und demgemäß der Realismus „nicht in der Gestalt eines Ganz-oder-gar-nicht auftritt.“ (ebd., H. i. O.) Daher ist diesbezüglich die Frage nach Graduierung und Dosierung in den Blick zu nehmen (vgl. ebd., S. 19 f.). Nach der Auffassung des Autors offenbart ein/e Realist/In lediglich Präferenzen hinsichtlich realistischer Haltungen und setzt zugleich „auch [stets] antirealistische Akzente“ (ebd., S. 22).

Im weiteren Verlauf erfahren zwei äußerst populäre Spielarten des philosophischen Realismus nähere Betrachtung, welche zum einen den Common-Sense-Realismus und zum anderen den wissenschaftlichen Realismus für sich genommen in den Fokus setzen (vgl. ebd., S. 19). Ersterer beschränkt „den Bereich existierender Entitäten auf das Gebiet des Beobachtbaren und neigt folglich dazu, naturwissenschaftliche Ontologien zu verwerfen“ (ebd., S. 25). Als „fruchtbares Beispiel der Konjunktion von Common-Sense-Realismus und einer antirealistischen Haltung gegenüber wissenschaftlichen Standpunkten“ (ebd., 23 f.) legt der Autor den von Bas van Fraassen konzipierten „ konstruktive[n] Empirismus “ (ebd., S. 24, H. i. O.) dar.

Entsprechend seines komplementären Charakters erkennt der wissenschaftliche Realismus im Gegensatz zur vorangegangenen Explikation „als real allein die von wissenschaftlichen Theorien untersuchten Entitäten“ (ebd., S. 22) an. Jener bestreite also, „dass gewöhnliche Objekte, so wie diese im Alltag wahrgenommen werden, real sind“ (ebd., S. 25) und verdeutlicht darin seine fundamentalen Differenzen bezüglich des Common-Sense-Realismus. Im Zuge weiterführender Erläuterungen führt De Caro dazu Hilary Putnams Wunderargument „[g]egen antirealistische Interpretationen wissenschaftsgetreuer Standpunkte“ (ebd., S. 26) auf, welches zugleich „einen Schluss auf die beste Erklärung darstellt“ (ebd., S. 27, H. i. O.). Weiterhin legt De Caro vor, dass Philosophen wie Jack Ritchie Versuche zur Entkräftigung des Wunderarguments vorgelegt haben. Dieser nahm an, „dass sich der Schluss auf die beste Erklärung unter den akzeptierten Methoden der Wissenschaft nicht findet.“ (ebd., S. 28) De Caro bestreitet jedoch die Korrektheit dieser Aussage.

Im letzten Teil des Textes vertieft De Caro die Diskrepanz der sich gegenüberstehenden Positionen des Common-Sense- und des wissenschaftlichen Realismus, indem er letzteren unter Zuhilfenahme des Physikalismus gewissermaßen in seiner Position radikalisiert, dessen „intrinsischen Ausschließlichkeitsanspruch“ (ebd., S. 31) markiert, sowie in diesem Kontext die prägnante Gegensätzlichkeit zum Common-Sense-Realismus herausarbeitet.

De Caro schließt damit, dass die künftige Aufgabe philosophischer Debatten darin besteht „die bejahenden Komponenten des wissenschaftlichen Realismus und des Common-Sense-Realismus im Sinne einer inklusiven Realität miteinander in Einklang zu bringen“ (ebd., S. 32), indem eine Reduzierung verneinender Aspekte angestrebt wird. Denn keine der beiden Positionen ist „für sich genommen dazu in der Lage […], die Realität in ihrer Gänze zu fassen.“ (ebd.)

3 Partialisierung und Graduierung realistischer und antirealistischer Haltungen

De Caro äußert zu Beginn seiner Arbeit, dass ein/e Philosoph/In niemals ausschließlich realistische oder antirealistische Haltungen vertrete, sondern unter Anbetracht verschiedener Wichtungsverhältnisse stets beide Ausrichtungen in sich vereinige (vgl. ebd., S.19). Da der Realismus eben „nicht in der Gestalt eines Ganz-oder-gar-nicht auftritt“ (ebd., H. i. O.), zeigte sich in der Historie bereits eine Reihe von Philosophen/Innen, welche sich von Paradebeispielen des Realismus hin zu strikten Verfechtern des Antirealismus wandelten – und vice versa.

Zum einen führt De Caro den Erzrealisten Alexius Meinong an, welcher „[a]uch […] nicht an[nahm], dass es ein rundes Quadrat gibt“ (ebd.) und sich demnach in seinen Ausarbeitungen widersprechender bzw. nicht-existierender Entitäten, „‚von denen gilt, daß es dergleichen Gegenstände nicht gibt‘“ (Meinong zit. in Werle 1988, S. IX), widmete. Demgemäß vertritt dieser die Auffassung, dass auch über Gegenstände ohne ontologische Komponente wahre Urteile gefällt werden können (vgl. ebd.). In dessen Abhandlung „Über Gegenstandstheorie“ formuliert er sein Ziel darin, „der gegenstandstheoretischen ‚Betrachtungsweise durch Darlegung ihrer Eigenart zu ausdrücklicher Anerkennung zu verhelfen‘“ (Meinong zit. in Werle 1988, S. VII).

Anknüpfend führt De Caro als ein Beispiel für wandlungsfähige Antirealisten den Bischof George Berkeley an. Dieser war überzeugter Antirealist bezüglich der materiellen Welt, aber vehementer Realist bezüglich der geistigen Welt (vgl. De Caro 2015, S. 19). Seine bekannte These „ esse est percipi vel percipere (Sein ist Wahrgenommenwerden oder Wahrnehmen)“ (Breidert in Berkeley 1979, S. X, H. i. O.), welche sich dabei in die Form eines erkenntnistheoretischen Idealismus gießen lässt, nimmt die existierenden Objekte, Realität, sowie deren Korrelation mit bewusstseinsunterworfener Wahrnehmung in den Blick.

Seine realistische Haltung bezüglich des Geistes bzw. nach Gott offenbart sich in seiner Aussage: „Aber wir dürfen nicht uns vorstellen, dass der unerklärbar feine Mechanismus eines Thieres [sic] oder einer Pflanze dem grossen Schöpfer irgendwie mehr Mühe oder Sorge bei dem Acte [sic] des Erschaffens, als ein Kiesel, koste, da nichts einleuchtender ist, als dass ein allmächtiger Geist gleichmässig ein jegliches Ding durch ein blosses ‚Es werde‘ oder einen Act [sic] seines Willens hervorbringen kann.“ (Berkeley 2013, S. 83)

In Anbetracht dieser Beispiele wird die eigentliche These von De Caro bestätigt. Philosophisch tätige Individuen vereinigen - unter Einfluss entsprechender Wichtungen, wandlungsfähiger Neigung und variierenden Ausprägungen zu oder gegen eine gewisse Position - stets realistische und antirealistische Haltungen in sich. Die entsprechende Bestimmung „der rechten Dosierung des Realismus“ (De Caro 2015, S. 20) bzw. des „rechte[n] Maß[es]“ (ebd.) wird jedoch von einem hohen Grad an Komplexität und vielschichtigen Schwierigkeiten begleitet. Mit dieser „Unausweichlichkeit des Realismus“ (ebd., S. 19) strebt er unter seiner Auffassung eine Neuverkündung der Realismus-Debatte an. Diese begründet ihr Fundament in ihrer Relevanz als philosophische Tauglichkeitsprüfung bzw. als „äußerst nützlichen Kompetenztest für Philosophen“ (ebd., S. 21), welche in ihrer Zielstellung die graduierte Inklusion komplementärer Positionen in den Blick nimmt.

4 Konkretisierungen und Problemstellungen des Common-Sense-Realismus

De Caro differenziert in seiner Arbeit „Zwei Spielarten des philosophischen Realismus“ (ebd., S. 19), welche zugleich Ausdruck von zwei „einander ausschießenden Konzeptionen“ (ebd.) sowie „eines grundlegenden Konflikts sind“ (ebd.), dessen Lösung künftige philosophische Beschäftigungen fokussieren müssen.

Eine dieser Spielarten bildet der Common-Sense-Realismus. Dieser erkennt „als real allein die von alltäglichen Praktiken hervorgebrachten Entitäten“ (ebd., S. 22) an. Weiterhin gewährt die „Wahrnehmung direkten Kontakt mit der Außenwelt, so wie sie wirklich ist“ (ebd.), losgelöst davon, dass menschliche Individuen diese wahrnehmen. Daraus schließt De Caro, dass Anhänger des Common-Sense-Realismus die Zuverlässigkeit der Wahrnehmung in gewisser Weise deklarieren, da sie unter Zuhilfenahme dieser „auf die Natur der Dinge (der Außenwelt) und deren Eigenschaften rückschließen können.“ (ebd., S. 23)

Daraus ergibt sich jedoch eine folgenreiche Problematik: Indem die Zuverlässigkeit der Wahrnehmung verteidigt wird, ergibt sich de facto eine Einstellung antirealistischer Haltungen bezüglich wissenschaftlicher Positionen bzw. in konkretisierter Form „gegenüber jenen nicht beobachtbaren Entitäten einiger wissenschaftlicher Theorien (wie etwa Elektronen […])“ (ebd.).

Als „fruchtbares Beispiel der Konjunktion von Common-Sense-Realismus und einer antirealistischen Haltung gegenüber wissenschaftlichen Standpunkten“ (ebd., S. 23 f.) nennt De Caro den von Bas van Fraassen konzipierten „ konstruktive[n] Empirismus “ (ebd., S. 24, H. i. O.). Dieser determiniert „den Bereich des generell Erkennbaren auf das direkt Beobachtbare“ (ebd.). Demgegenüber sind Theorien, welche sich der Untersuchung des Unbeobachteten widmen „bestenfalls empirisch adäquat, keinesfalls aber wahr.“ (ebd., H. i. O.) Van Frassen äußert diesbezüglich:

„Science aims to give us theories which are empirically adequate; and acceptance of a theory involves as belief only that it is empirically adequate. This is the statement of the anti-realist position I advocate; I shall call it constructive empiricism.“ (Van Fraassen 1980, S. 12, H. i. O.)

An dieser Stelle halte ich es für relevant einen kritischen Blick auf Van Fraasen Ansicht der Determinierung im „Bereich[s] des generell Erkennbaren auf das direkt Beobachtbare“ (De Caro 2015, S. 24) zu werfen. In Van Fraassens Werk „The Scientific Image“ plädiert dieser, dass visuelle Wahrnehmungen unter Zuhilfenahme eines Teleskopes gerechtfertigt sind, wohingegen Elektronen-Mikroskope diese nicht gewähren, da das zu mikroskopierende Objekte dem bloßen Auge keine entsprechende Zugänglichkeit generiert. Seine Begründung stützt sich auf die Erklärung, dass die im Teleskop sichtbaren Dinge prinzipiell und in gewisser hinreichender Nähe auch mit Hilfe der Augen erkennbar sind:

„the moons of Jupiter can be seen through a telescope; but they can also be seen without a telescope if you are close enough. […] [S]ince astronauts will no doubt be able to see them as well from close up.“ (Van Fraassen 1980, S. 16)

Diesbezüglich stellt sich mir die Frage nach einer konkreten Abgrenzung. Welche Gradwanderung in optischen Mitteln kann ausgereizt werden, um sich noch im Bereich der okulären Wahrnehmbaren zu bewegen? Welches Maß an theoretischer Konstruktion kennzeichnet ein Überhandnehmen diesbezüglich genutzter Apparaturen?

5 Konkretisierungen und Problemstellungen des wissenschaftlichen Realismus

Neben dem Common-Sense-Realismus nimmt De Caro zudem den wissenschaftlichen Realismus in den Blick. Dieser bestreitet im prägnanten Unterschied zum Erstgenannten die Realität „gewöhnliche[r] Objekte, so wie diese im Alltag wahrgenommen werden“ (De Caro 2015, S. 25). Diese Variante des Realismus vertritt den Standpunkt, „dass die einzig real existierenden Entitäten jene sind, die von wissenschaftlichen Standpunkten aus erfasst werden“ (ebd.). Das von Hilary Putnam konzipierte „Wunderargument“ (ebd., S. 27) richtet sich „[g]egen antirealistische Interpretationen wissenschaftsgetreuer Standpunkte“ (ebd., S. 26). Putnam äußert in „What is Mathematical Truth“:

[...]

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Komplementäre Positionierungen in der Realismus-Debatte
Untertitel
Mario De Caros These, Argumente und Begründungen
Hochschule
Technische Universität Dresden  (Philosophie)
Veranstaltung
Realismus, Antirealismus
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
12
Katalognummer
V1032449
ISBN (eBook)
9783346440297
ISBN (Buch)
9783346440303
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Realismus Antirealismus
Arbeit zitieren
Mareike Scheibel (Autor:in), 2021, Komplementäre Positionierungen in der Realismus-Debatte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1032449

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