Das Theater des Absurden. Eine Untersuchung der Absurdität in "La Parodie" von Arthur Adamov


Seminararbeit, 2017

22 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung
1.1 Einführung
1.2 Adamovs Leben und Werk: Von der Absurdität zur Revolte
1.3 Das Theater des Absurden
1.4 Adamovs erstes Stück: La Parodie

2. Dramenanalyse
2.1 Figurenkonzeption
2.2 Figurencharakterisierung
2.3 Dialog und Sprache: Über die Unmöglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation
2.4 Handlung: La Présence de l’absence
2.5 Raum und Requisiten
2.6 Zeit: L’horloge sans aiguilles

3. Schlussbetrachtungen
3.2 La Parodie Une parodie de quoi?
3.3 Wirkungsabsicht: Rechtfertigung und Revolte
3.4 Konklusion

4. Bibliographie
4.2 Primärtexte
4.3 Sekundärtexte

1. Einleitung

1.1 Einführung

Avant-garde, théâtre de dérision, théâtre de l'absurde, anti-théâtre, théâtre métaphysique... - Vielfältig sind die Bezeichnungen, mit denen Adamovs frühes Werk betitelt wird. Der Dramatiker wird nicht nur der Avantgarde des 20. Jahrhunderts zugeordnet, sondern spätestens seit der Veröffentlichung von Martin Esslins Buch Das Theater des Absurden1 wird Adamov zudem gemeinsam mit Beckett und Ionesco als einer der wichtigsten Vertreter eines Theater des Absurden gesehen; und das obwohl weder er, noch seine Zeitgenossen, sich je mit einer solchen Bezeichnung identifizieren wollten. Zudem hat Adamov sich zu seiner späteren Schaffenszeit, als er sich dem politischen Theater zuwandte, von seinem gesamten frühen Werk stark distanziert. Dennoch scheint es schwierig, den Begriff des Absurden auszuklammern, wenn man eines seiner frühen Stücke analysieren möchte.

Adamov sah im Theater vor allem die Möglichkeit seinen inneren psychischen Zwängen Ausdruck zu verleihen. Das Gefühl, entfremdet und getrennt zu sein von der Welt, innere Zweifel und Selbsthass lagen vielen seiner Stücke zu Grunde. Adamov, welcher zeitlebens unter schweren Neurosen litt, sah im Schreiben darüber hinaus auch eine Art Selbsttherapie: Indem er seinen krankhaften Gefühlen und Gedanken Ausdruck verlieh, konnte er diese zum Teil sogar überwinden.

Auch wenn es nicht Adamovs Intention gewesen sein mag ein „Theater des Absurden“ zu kreieren, sondern wohl eher ein théâtre de cruauté, so wie es Antonin Artaud vorschlägt, so hilft es uns, sein Stück unter jenen Aspekten zu betrachten, die diese Bezeichnung mit sich bringt. Reduktion der Handlung, schemenhafte, austauschbare Figuren, gescheiterte Kommunikation, sinnfreie Dialoge, das Nicht-Vorhandensein von Zeit... All dies sind Charakteristika von Adamovs Stück(en), die wir nur richtig zu interpretieren wissen, wenn wir uns mit den zugrunde liegenden Ansichten des Autors befassen. Übersieht man nämlich seine Intention und die Entstehungsgeschichte dahinter, könnte man Adamovs Theater missverstehen und es sogar selbst als absurd empfinden.

1.2 Adamovs Leben und Werk: Von der Absurdität zur Revolte

1908 wird Arthur Adamov in Kislovodsk, im kaukasischen Russland als Kind wohlhabender Eltern geboren. Seine Familie ist armenischer Herkunft. Adamov wird auf Französisch erzogen und unterrichtet, weshalb er die Sprache fließend beherrscht. 1914 begibt sich seine Familie nach Deutschland und lässt sich nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges in der Schweiz nieder, bis 1922. 1922 – 1924 wohnt sie in Deutschland, schließlich siedelt sie nach Paris über, wo Adamov, inspiriert von den Surrealisten, die er dort trifft, das Magazin Discontinuité herausgibt und beginnt, Gedichte zu schreiben.2

1933 begeht sein Vater Selbstmord. 1938 erlebt Adamov, welcher seit seiner Kindheit unter einer Neurose leidet, einen psychischen Zusammenbruch. Seine neurotische Erkrankung bildet die Inspiration zu vielen seiner Theaterstücke. In seinem autobiographischen Werk L'Aveu (1946) schildert er seine psychischen Krisen und seine Neigung zum Masochismus.

Adamov ist bereits im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Faschismus aktiv; während des Zweiten Weltkrieges wird er zwei Mal kurzzeitig im Internierungslager Argelès-sur-Mer inhaftiert. Er fühlt sich zeitlebens dem Kommunismus zugeneigt und zeigt auch anti-imperialistisches Engagement, etwa 1960 als er das "Manifest der 121" gegen den französischen Algerienkrieg unterzeichnet.

Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs beginnt Arthur Adamov Theaterstücke zu schreiben. Beeinflusst wird sein Schaffen vor allem von Strindberg und dessen Traumspiel;später auch von Brecht. Auch Kafka, welchem er sich in vieler Hinsicht verwandt fühlt, fasziniert ihn. Adamov pflegt auch Bekanntschaften mit zahlreichen Schriftstellern und Intellektuellen, darunter Artaud, Cocteau und Ionesco. Beeinflusst wurde seine dramatische Arbeit dabei vor allem von Artaud und dessen théâtre de cruauté.

In seinen frühen Theaterstücken, wie in La Parodie (1947), L'Invasion (1949), Tous contre tous (1953) oder Le Ping-Pong (1955) steht vor allem die Absurdität der menschlichen Existenz, sowie die Unmöglichkeit menschlicher Kommunikation im Vordergrund. Sein erfolgreiches Stück Le ProfesseurTaranne (1953) wird von einem seiner Alpträume inspiriert. Seine späteren Werke jedoch, wie etwa Paolo Paoli (1957), gleichen sich immer stärker einem politischen Drama nach brecht'schem Vorbild an. Neben seinem autobiographischen Werk L'Aveu schreibt er außerdem 1964 Ici et maintenant, eine Abhandlung über seine eigenen Theaterstücke, sowie L'homme et l'enfant (1968), welches sich noch einmal mit seinen Erinnerungen aus L'Aveu auseinandersetzt. 1970 erscheint sein letztes Theaterstück Si l'été revenait. Im selben Jahr stirbt Adamov in Paris an einer Überdosis Schlaftabletten.

Arthur Adamov war nicht nur Dramatiker, sondern wirkte unter anderem auch als Essayist und Übersetzer von Rilke, Büchner, Tschechow, Gogol, sowie Jung, von welchem er unter anderem Le moi et L'Inconscient übersetzte .

1.3 Das Theater des Absurden

1961 erscheint Martin Esslins Buch Das Theater des Absurden, in dem er erstmals versucht, diese neue dramatische Form zu definieren.3 Er bemerkt in seinen Erklärungen unter anderem, dass das Wort „absurd“ sehr Unterschiedliches bedeuten kann. So meint es ursprünglich „disharmonisch in einem musikalischen Kontext“, und laut Lexikon bedeutet es „in Disharmonie mit dem Vernünftigen, Angemessenen“ bzw. „ungereimt“ oder „unvernünftig“.4 Während wir es im Alltag oft im Sinne von „lächerlich“ gebrauchen, verwendet es Esslin in seiner Bezeichnung aber eher als Absurditätsbegriff in camus'schen Sinn, bzw. so wie es Ionesco gebraucht, wenn er sagt:

Absurd ist etwas, das ohne Ziel ist… Wird der Mensch losgelöst von seinen religiösen, metaphysischen oder transzendentalen Wurzeln, so ist er verloren, all sein Tun wird sinnlos, absurd, unnütz, erstickt im Keim.5

Als die wichtigsten Vertreter des Theater des Absurden nennt Esslin unter anderem Samuel Beckett, Eugène Ionesco, Arthur Adamov und Jean Genet. Zwar betont er, dass es sich bei seinen Anhängern keinesfalls um eine literarische Gruppe oder um eine programmatische Strömung handle; diese Dramatiker sehen sich im Gegenteil selbst eher als Einzelgänger und Außenseiter, dennoch bemerkt er, dass ihre Werke eine Reihe gemeinsamer Charakteristika teilen.6 Und auch wenn die jeweilige Motivation diese Art von Stücken zu schreiben, bei den einzelnen Autoren individuell sehr verschieden ist, so teilen sie doch eine gewisse gemeinsame Haltung, die ihren Werken zu Grunde liegt. Diese wurde sicherlich beeinflusst von einer existentialistischen Philosophie eines Albert Camus' oder Jean-Paul Sartres, und deren zugrunde liegende Erkenntnis, dass die Gewissheiten und Glaubenssätze vergangener Zeiten, nicht so unumstößlich sind, wie sie zu sein schienen; sowie auch von jenem Gefühl der Absurdität der menschlichen Existenz das Camus' in seinem Le Mythe de Sisyphe beschreibt.7 Zwar sind die oben genannten Dramatiker weder Philosophen, noch haben sie sich intensiv mit existentialistischer Philosophie beschäftigt, aber sie schaffen das, was Camus und Sartre missglückte: Das Gefühl der Absurdität der menschlichen Existenz in einer neuen Theaterform darzustellen, die auf jegliche Logik und Rationalität verzichtet und somit diesen Unterschied zwischen Erkenntnis und Erlebnis überwindet. Es kommt dadurch zu einer völligen Übereinstimmung zwischen Ausgesagtem und Aussage.8 Man möchte die Irrationalität des Daseins nicht mehr diskutieren, sondern lediglich als Gegebenheit darstellen -­ und was eigne sich hierfür besser als greifbare, szenische Bilder?9

Esslin definiert das Theater des Absurden jedoch nicht nur durch seine Inhalte, sondern vor allem auch durch die Form.10 Diese unterscheidet sich drastisch vom klassischen Theater: Die aristotelischen Einheiten werden bewusst zerstört; Zeit und Ort werden zu bedeutungslosen Kategorien degradiert, die Handlung, falls es überhaupt eine gibt, wird auf ein Minimum reduziert, die Figuren sind statisch und krass schematisiert, sehr oft erscheinen sie austauschbar.

Während ein Theater „der poetischen Avantgarde“ gewisse Grundzüge des Theater des Absurden teilt, unterscheidet es sich stark in Ausdrucksform und Sprache: Ersteres verzichtet auf allzu drastische und groteske Elemente und behält eine lyrische Sprache bei, während letzteres auf eine völlige Abwertung von Sprache abzielt.11 Zwar behält sie durchaus eine wichtige Funktion bei, doch das Dargestellte hat im Theater des Absurden weitaus mehr Aussagekraft. Nicht selten widersprechen sich auch Aussage und Darstellung.12 Die Sprache wird zudem als Mittel zur Kommunikation unbrauchbar. Die Sinnlosigkeit von Dialogen und das Aufzeigen der Unmöglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation sind für das Theater des Absurden charakteristisch.

Darüber hinaus gibt es in jenen Stücken weder Handlungsentwicklung, noch Spannungsaufbau. Alles was bisher konstituierend für ein Theaterstück erschien, wurde verworfen. Kaum verwunderlich also, dass diese neue Form des Theaters beim Publikum anfangs Verwirrung und Unverständnis auslöste und zum Teil heftige Gegenreaktionen hervorrief. Dennoch verbreitete sich dieses nouveau théâtre, als welches es auch oft bezeichnet wird, von Paris aus über die ganze Welt.13

Auch wenn Esslins Bezeichnung des Theater des Absurden nicht ohne Probleme behaftet ist, schon weil die von ihm genannten Vertreter eines solchen Theaters diese Bezeichnung strikt ablehnten, und es nur eine mögliche Benennung unter vielen ist, so scheint sie mir dennoch angemessen; zumal sie nicht nur zutreffend, sondern auch gebräuchlich ist: Sie wird nach wie vor häufig verwendet und fand auch Verwendung in zahlreichen theaterkritischen und literaturwissenschaftlichen Schriften.

1.4 Adamovs erstes Stück: La Parodie

Adamovs erstes Stück La Parodie14 besteht aus zwei Teilen und zwölf Bildern. Zudem gibt es einen Prolog, sowie am Anfang des Buches szenische Anweisungen und genaue Angaben zum Bühnenbild.

La Parodie wurde 1952 unter der Regie von Roger Blin im Théâtre Lancry uraufgeführt. In seinem Vorwort zu dem Band Théâtre II erklärt Adamov, woher die Idee zu diesem Stück kam:

Un jour, je fus témoin d'un incident en apparence très signifiant, mais dont je me dis aussitôt : »C'est cela le théâtre, c'est cela que je veux faire. » Un aveugle demandait l'aumône ; deux jeunes filles passèrent près de lui sans le voir, le bousculèrent par mégarde ; elles chantaient : « J'ai fermé les yeux, c'était merveilleux... » L'idée me vint alors de montrer sur la scène, le plus grossièrement, le plus visiblement possible, la solitude humaine, l'absence de communication. Autrement dit, d'un phénomène vrai entre d'autres, je tirais une « métaphysique ». Après trois ans de travail et de multiples versions – dont la première mettait en scène l'aveugle lui-même ! - ce fut La Parodie.15

2. Dramenanalyse

2.1 Figurenkonzeption

Zunächst zeichnen sich Adamovs Stücke, und so auch La Parodie durch eine geringe Anzahl an Figuren aus:16 In La Parodie sind es insgesamt 13, wobei manche der Rollen von denselben SchauspielerInnen gespielt werden und es häufig zu einem fliegenden Wechsel kommt. So wird der Zeitungsdirektor etwa auf einmal zum Hotelchef und auch der Polizeibeamte und der Straßenkehrer werden von derselben Person gespielt. Diese Besonderheit ist nicht auf einen Mangel an finanziellen Ressourcen zurückzuführen, sondern vielmehr wählt Adamov diese Vorgehensweise ganz bewusst, weil er ein Konzept anhand verschiedener Aspekte betrachten wollte.17 Der abrupte Rollenwechsel verstärkt zudem die kafkaeske Traumatmosphäre, die sich durch das Stück hindurchzieht.18 Inspiriert wurde diese Idee vor allem von Strindberg, welcher ebenso bewusst mit Doppelrollen spielt.

Adamov widerstrebt auch die Vorgehensweise des klassischen Dramas, die Hauptrolle des Stückes auf einen Protagonisten zu beschränken.19 In beinahe allen seiner Stücke, finden wir keinen Helden, der im Mittelpunkt der Geschehnisse steht, sondern mehrere Personen, die sozusagen als Hauptfiguren fungieren. In La Parodie sind es etwa Lili, der Employé und der Journalist. Weitere Figuren, die im Stück vorkommen, sind: Der Zeitungsdirektor, der im Laufe des Stücks auch die Rolle des Rezeptionisten, sowie die des Hotelchefs übernimmt, die „arme Prostituierte“ - La Pauvre Prositutée, sowie zwei Kommissare und zwei Straßenarbeiter, die jeweils von demselben Schauspieler gespielt werden. Darüber hinaus kommen sowohl im Prolog, als auch im weiteren Verlauf des Stücks, Stimmen aus dem backstage vor, die keinem der auftretenden Figuren zugeordnet werden können und deren Zuordnung auch nicht weiter bedeutend erscheint.

Ein weiteres Kennzeichen von Adamovs Stücken ist das Vorherrschen männlicher Rollen.20 In La Parodie kommen lediglich zwei weibliche Figuren vor: Lili und La Pauvre Prostituée. Damit spiegelt Adamov nicht nur die gesellschaftliche Situation wider, in der soziale und politische Machtpositionen fast ausschließlich von Männern besetzt bleiben, sondern beleuchtet auch gleichzeitig die im Hintergrund ablaufenden Rivalitäten und Konflikte.21 Keineswegs kommt aber den Frauen in Adamovs Stücken eine weniger bedeutsame Rolle zu: In La Parodie spielt Lili etwa eine Schlüsselrolle. Sie ist im Stück auch die Einzige, die einen Namen trägt. Alle anderen Figuren werden lediglich nach ihrem sozialen Status bezeichnet: L'Employé, Le Journaliste, Le Directeur de l'Avenir… Beziehungsweise hat N. weder einen Namen noch einen sozialen Status, der näher bestimmt wird.

Die Figuren werden auf ihre sozialen Rollen reduziert und erscheinen dadurch schemenhaft und austauschbar; sie wirken wie Marionetten.22 Man hat oft das Gefühl, dass sie Opfer ihrer eigenen inneren Zwänge sind und unfähig, dieser Determiniert je zu entrinnen.

Diese Schemenhaftigkeit und Austauschbarkeit merkt man besonders deutlich an den beiden Paaren, die keine andere Funktion zu haben scheinen, als eben diesen Aspekt stark zu verdeutlichen. Sie bleiben für die Handlung des Stücks, sofern man überhaupt von einer Handlung sprechen kann, quasi bedeutungslos. Zwar sprechen sie nie, jedoch interagieren sie nonverbal untereinander bzw. mit den anderen Figuren im Stück, wenn auch nicht immer auf angemessene Weise.

Die Kommunikation aller Figuren im Stück ist aber nicht nur unangemessen, sondern schlicht nicht vorhanden. Sowohl verbale, als auch nonverbale Impulse, die an eine Person gesendet werden, werden schlichtweg ignoriert oder aber einfach nicht wahrgenommen. Umgekehrt reagiert eine Person auf einen Impuls bzw. ein Kommunikationssignal, das eigentlich einer anderen Person gilt, wie man am Beispiel des folgenden Nebentextes sieht:

Le Directeur envoie des baisers à la femme assise à la table voisine. Le Journaliste invite la femme à danser. Elle refuse d'un signe de tête. Le Journaliste va se rasseoir tandis que Lili se lève comme si c'était elle qu'il avait invitée. (24)

Zumal es kaum Handlungsentwicklung im Stück gibt, sind auch die Figuren statisch. Da wir so gut wie nichts über ihr Innenleben erfahren, wissen wir nicht, welche Einstellungen und Glaubenssätze ihrem Verhalten zu Grunde liegen. Weil ihr Verhalten sich jedoch während des Stückes in keiner Weise ändert, können wir annehmen, dass auch die zugrunde liegenden Motivationen dieselben bleiben. Darüber hinaus scheint keine der Figuren zur Reflexion fähig, sondern vorwiegend von unkontrollierbaren Affekten bestimmt. Die zugrundeliegende Figurenkonzeption ist also eine psychologische. Weder das äußere Geschehen, noch das eigene Verhalten werden reflektierend kommentiert. Darüber hinaus ist die Figurenkonzeption offen: Keine der Figuren verhält sich psychologisch nachvollziehbar. Ihre Emotionen und ihr Verhalten erscheinen völlig unangemessen und irrational: Der Employéschmiedet voller Euphorie unzählige Zukunftspläne mit Lili, nachdem er sie erst kurz zuvor kennengelernt hat; Lili macht zahlreiche Versprechungen an ihre Liebhaber, von denen sie eigentlich weiß, dass sie diese unmöglich einhalten kann etc. Dabei sind dies Verhaltensweisen, die wir durchaus auch aus unserem Alltag von unseren Mitmenschen oder uns selbst kennen; in La Parodie werden sie jedoch sehr übertrieben und überspitzt dargestellt, sodass sie absurd und unangemessen erscheinen.

Auch die Dialoge zwischen den Figuren erscheinen absurd. Etwa als der EmployéLili kennenlernt und ihr Komplimente macht für Qualitäten, die beinahe jeder Mensch besitzt:

„Que vous êtes belles! (Pause.) Vous avez une bouche, des yeux, des cheveux…“ (14) Oder aber als er ihr kurz darauf zeigen möchte, dass sie doch scheinbar dieselben Vorlieben haben, indem er einfach Dinge aufzählt, die die meisten Menschen mögen: „Comme je vous comprends. Comme j'aime ce que vous aimiez ce que j'aime: le jour, la vie, le feu, l'amour.“ (14)

Und wenig später stellt er noch voll Überzeugung fest: „Nous sommes faits l'un pour l'autre comme le ciel pour la terre et la terre pour le ciel. Vous êtes la femme et je suis l'homme, nous sommes le couple…“ (15) Auch wenn das Verhalten der Figuren oft absurd oder unpassend erscheint, so wird es teilweise durchaus durch reale gesellschaftliche Normen bestimmt und es scheint stets ihrer sozialen Position zu entsprechen. Die hierarchischen Strukturen bleiben dabei während des gesamten Stücks unverändert.

Auffallend ist auch das überaus schlechte Erinnerungsvermögen einiger Figuren. Als der Employé fälschlicherweise glaubt, mit Lili verabredet zu sein, weiß er weder wo, noch wann er sie treffen wollte. Dabei hat Lili selbst so einer Verabredung überhaupt nie zugestimmt. Auch Lili bemerkt, bzw. wird darauf hingewiesen, dass ihre Erinnerung sie manchmal im Stich lässt und dass es vorkommt, dass sie manche Erlebnisse verwechselt oder sich fälschlicherweise an Details erinnert, die so nie passiert sind (51). So bemerkt der Journalist etwa, als Lili von einer seltsamen Begebenheit erzählt, die ihr am selben Tag widerfahren ist: „Vous êtes sûre de ne pas confondre deux souvenirs différents? J'ai remarqué que cela vous arrive.“(25)

Die Undurchdringlichkeit der Figuren führt dazu, dass zwischen ihnen und den ZuseherInnen stets große Distanz gewahrt wird: Man empfindet für sie weder Mitleid noch Sympathie, noch erscheint ihr Verhalten in irgendeiner Weise nachvollziehbar.23 Artaud forderte zwar ein Theater, das die ZuseherInnen fesselt, bei Adamov wird der/die ZuseherIn durch das Bühnengeschehen jedoch in keiner Weise berührt.24

2.3 Figurencharakterisierung

LILI In den szenischen Anweisungen am Eingang des Buches schreibt Adamov, dass Lili in einem heiteren Ton spricht und ihr Gang dem eines Models ähneln soll, das gerade eine Kollektion präsentiert. Im Gespräch mit dem Angestellten gibt sie schließlich ebenfalls an, Model zu sein (Vgl. S. 14). Ihr Aussehen ist extravagant; bereits in der ersten Szene erscheint sie mit einem auffallenden Hut, der mit Federn bestückt ist.

Lili strahlt eine gewisse Leichtigkeit und Unbeschwertheit aus, auch etwas Kindliches. Im Gespräch mit dem Angestellten sagt sie von sich: „Moi, je suis restée une enfant miraculeusement préservée.“ (15) Sie sagt von sich selbst, dass sie niemandem einen Gefallen abschlagen kann, was aber dazu führt, dass sie so viele Versprechungen macht, dass es für sie unmöglich wird, diese alle zu halten und sie dadurch sehr unter Zeitdruck gerät: „De quelque manière que je m'y prenne, je suis toujours en retard, et on me gronde, ce qui me fatigue beaucoup.“ (16) Ständig ruft jemand nach ihr, sind es nicht gerade der Employé oder N., der Journalist oder der Direktor, so ertönen andere Stimmen aus dem backstage:

[...]


1 Martin, Esslin, Das Theater des Absurden: Von Beckett bis Pinter. Reinbeck bei Hamburg, Rowohlt, 1985. Die Originalausgabe erschien 1961 unter dem Titel „The Theatre Of The Absurd“.

2 Die Informationen des folgenden Absatzes stammen aus: The Oxford Encyclopedia of Theatre and Performance, (Arthur Adamov) Hg. D. Kennedy, Oxford University Press, 2003. http://www.oxfordreference.com/view/10.1093/oi/authority.20110803095350774 (Stand: 15.06.2017). Julius, Wilhelm, Nouveau Roman und antithéâtre: Robbe-Grillet, Butor, Sarraute, C.Simon, Beckett, Ionesco, Adamov, Genet; eine Einführung. Stuttgart, Kohlhammer, 1972. S. 132-146.

3 Vgl. Martin, Esslin, Das Theater des Absurden. S. 10 – 18.

4 Vgl. ebd., S. 14

5 Vgl. ebd., S. 14, zitiert n.: Eugène, Ionesco, Dans les armes de la ville. In: Cahiers de la compagnie Madeleine Renaud- Jean-Louis Barrault, No. 20. Paris, Oktober 1957, p. 17.

6 Vgl. ebd ., S. 12-13.

7 Vgl. ebd., S. 13.

8 Vgl. ebd., S. 15.

9 Vgl. ebd., S. 16

10 Vgl. ebd., S. 12.

11 Vgl. ebd., S. 15-16.

12 Vgl. ebd., S. 16.

13 Vgl. ebd., S. 17.

14 Arthur, Adamov, Théâtre I: La Parodie – L'Invasion – La grande et la petite Manœuvre – Le Professeur Taranne – Tous contre tous. Paris, Gallimard, 1953. Im Folgenden zitiere ich mit einfacher Seitenzahl im Text.

15 Arthur, Adamov, „Introduction au « Théâtre II »“ in : Ici et maintenant, Paris, Gallimard, 1964. S. 17.

16 Vgl. Emmanuel, C. Jacquart., Le théâtre de dérision: Beckett, Ionesco, Adamov, Paris, Gallimard, 1974. S. 106-107.

17 Vgl. ebd., S. 107, zit. nach einem Gespräch mit Adamov vom 11. November 1969.

18 Vgl. Leonard, Cabell Pronko, Avant-Garde: The Experimental Theater in France. S. 135.

19 Vgl. Jacquart, Le Théâtre de dérision: zit. nach einem Interview mit Adamov vom 20. November 1969. S. 108.

20 Vgl.Pronko, Avant-Garde: The Experimental Theater in France, S. 107.

21 Vgl. ebd., S. 107.

22 Vgl. Adamov, Ici et maintenant, S. 18.

23 Vgl. Pronko, Avant-Garde: The Experimental Theater in France. S. 133

24 Vgl. ebd. S. 134.

Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Das Theater des Absurden. Eine Untersuchung der Absurdität in "La Parodie" von Arthur Adamov
Hochschule
Karl-Franzens-Universität Graz
Note
1
Autor
Jahr
2017
Seiten
22
Katalognummer
V1032521
ISBN (eBook)
9783346440136
ISBN (Buch)
9783346440143
Sprache
Deutsch
Schlagworte
théâtre de l'absurde, Arthur Adamov, La Parodie
Arbeit zitieren
Nicole Prosser (Autor:in), 2017, Das Theater des Absurden. Eine Untersuchung der Absurdität in "La Parodie" von Arthur Adamov, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1032521

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