Der Zusammenhang zwischen Leistungsorientierung und Arbeitssucht bei der Berufsgruppe Versicherungsvermittler

Furcht vor Misserfolg und hohe Erfolgsorientierung - eine ungesunde Mischung?


Bachelorarbeit, 2020

73 Seiten, Note: 1,8


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abstract

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Situation und Problemstellung
1.2 Untersuchungsziel und Forschungsfrage
1.3 Vorgehensweise und Struktur

2 Theoretischer Hintergrund & bisherige Forschung
2.1 Unterschiede von Versicherungsvermittlern
2.2 Risiken aller Versicherungsvermittler
2.3 Sucht und Arbeit
2.3.1 Ein Kurztrip durch die Geschichte der menschlichen Arbeitskraft
2.3.2 Stoffgebundene und -ungebundene Sucht
2.4 Arbeitssucht
2.4.1 Definition & Entstehung
2.4.2 Typen, Phasen und Motive der Arbeitssucht
2.4.3 Erklärungsansätze der Ursachen für Arbeitssucht
2.4.4 Arbeitssucht und Risiken für das Unternehmen
2.4.5 Gesundheitliche Folgen für Betroffene
2.4.6 Schutz vor Arbeitssucht und Therapieansätze
2.5 Leistungs- und Erfolgsorientierung
2.6 Furcht vor Misserfolg

3 Methodik
3.1 Studiendesign und Messinstrumente
3.1.1 SEA - Skala zur Erfassung von Arbeitsbezogenheit
3.1.2 Skala zur Messung der Leistungsorientierung von Angestellten - Kurzform
3.2 Operationalisierung
3.3 Durchführung
3.4 Auswertung
3.4.1 Beschreibung der Stichprobe
3.4.2 Beschreibung der Messung des Zusammenhangs und der differentiellen Effekte

4 Ergebnisse
4.1 Deskriptive Statistik und Ergebnisanalyse
4.2 Interferenzstatistische Ergebnisangaben
4.3 Ergebnis der multiplen Regression unter Einschluss aller Variablen
4.4 Ausreißer-Analyse
4.5 Ergebnis der Regressionsanalyse und Modellgleichung mit bereinigten Daten
4.6 Schrittweise Regression

5 Diskussion

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

8. Rechtsprechung

9. Anhang

Ehrenwörtliche Erklärung

Abstract

Eine übertriebene Arbeitsbezogenheit mündet häufig in der Arbeitssucht, welche ein ungesundes Verhältnis zur Arbeit darstellt. Arbeitssucht wird durch verschiedene Faktoren ausgelöst und ist ein noch selten betrachtetes Phänomen. Jedes Mittel kann eine Sucht hervorrufen, ob substanzgebunden oder -ungebunden und bis zum Kontrollverlust führen, verbunden mit starken Beeinträchtigungen in der gesamten Lebensführung.

Versicherungsvermittler sind einerseits häufig geplagt von Existenzängsten und wollen auf der anderen Seite erfolgsorientiert arbeiten, um hohe Provisionen zu ergattern. Dies führt dazu, dass einige von ihnen Tag und Nacht an die Arbeit denken und rund um die Uhr für ihre Kunden erreichbar sind. Aus diesem Grund wird der Zusammenhang zwischen Erfolgsorientierung sowie Furcht vor Misserfolg von Versicherungsvermittlern und Arbeitssucht gemessen. Die beiden Konstrukte Furcht vor Misserfolg und Erfolgsorientierung werden mit den Subskalen „Furcht vor Misserfolg“ und „erfolgsfördernde Arbeitshaltung“ der Skala Leistungsorientierung von Angestellten untersucht. Arbeitssucht wird mit der SEA – Skala zur Erfassung von Arbeitsbezogenheit gemessen. (Schneider & Bühler, 1999)

Die Stichprobe umfasst insgesamt 339 Teilnehmer, nachdem zwei Beobachtungen aufgrund fehlender Angaben entfernt wurden. Zur Prüfung des Zusammenhangs zwischen Erfolgsorientierung sowie Furcht vor Misserfolg und Arbeitssucht wird die schrittweise multiple Regression verwendet und ein positiver Zusammenhang zwischen Furcht vor Misserfolg und Arbeitssucht gezeigt. Die Erfolgsorientierung zeigt keine signifikanten Auswirkungen auf die Arbeitssucht. Die Ergebnisse veranschaulichen, dass im Versicherungsvertrieb dringend ein Umdenken erforderlich ist und es keineswegs das Vertrauen von Mitarbeitern und Vertriebspartnern stärkt, wenn Ängste geschürt werden, welche unterbewusst zum Überarbeiten sowie Präsentismus anregen und Arbeitssucht auslösen. Eine langfristige Gesundheits- sowie Betriebsschädigung sind die Folge.

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Suchtdreieck (eigene Darstellung nach Soyka und Küfner, 2008).

Abbildung 2: Boxplot Statusunterschied (Eigene Darstellung).

Abbildung 3: Boxplot Arbeitssuchtwerte und Einkommen (eigene Darstellung).

Abbildung 4: Boxplot Einfluss von Arbeitsstunden auf Arbeitssucht.

Abbildung 5: Streudiagramme Furcht und Leistung (eigene Darstellung)

Abbildung 6:Testergebnisse Erfolgsorientierung (n=339) M und SD (Eigene Darstellung).

Abbildung 7: Testergebnisse Furcht vor Misserfolg (n=339) M und SD (Eigene Darstellung).

Abbildung 8: Skalenwerte (Eigene Darstellung)

Abbildung 9: Verteilung der Residuen (Eigene Darstellung).

Abbildung 10: Heteroskedaszität und Ausreißer (eigene Darstellung)

Abbildung 11: Streudiagramm Arbeitssucht & Furcht

Abbildung 12: Streudiagramm Arbeitssucht und Erfolg (Eigene Darstellung)

Abbildung 13: Streudiagramm Alter & Arbeitssucht

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: SEA – Skala zur Erfassung der Arbeitsbezogenheit, Mittelwerte und Standardabweichungen (Schneider & Bühler, 1999)

Tabelle 2: Korrelationsmatrix (Pearson)

Tabelle 3: Regressionsanalyse für die Vorhersage der Ausprägung für Arbeitssucht - unbereinigt

Tabelle 4: Regressionsanalyse für die Vorhersage der Auspräfung für Arbeitssucht - robust

1 Einleitung

1.1 Situation und Problemstellung

Menschen verfolgen persönliche sowie berufliche Ziele. Versicherungsvermittler setzen sich aufgrund ihrer beruflichen Herausforderung oft einem Arbeitsmarathon aus, denn 100 Prozent sind ihnen oft nicht genug. Auf der einen Seite greifen sie nach hohen Provisionen, auf der anderen finden sich Existenzängste. Falls Kunden ihre Verträge während der Stornohaftungszeit kündigen, muss die dafür erhaltene Provision mindestens anteilig zurückgezahlt werden. Einige Personen in der Branche stöhnen, dass es schwer sei Provisionen als verdient zu betrachten. Oft hätten sie viel gearbeitet, jedoch keinen Ertrag und das Tag für Tag. (Schmitt, 2012) Andererseits gebe es auch die Versicherungsvermittler, die sehr gut verdienen und wiederum andere, die das Provisionssystem ausnutzen wie beispielsweise Mehmet Göker. Dieser habe für einen schlechten Ruf der Branche gesorgt und das Vertrauen von Verbrauchern in die Versicherungsbranche geschmälert. Darunter hätten etliche ehrliche Versicherungsvermittler zu leiden. (Schmitt, 2012) Die Maklerhaftung, Regularien am Markt und die Weiterbildungspflicht erschweren die Verdienstmöglichkeiten. Durch täglichen Druck fühlen sie sich verpflichtet rund um die Uhr erreichbar zu sein, unabhängig davon, ob sie sich gerade im Urlaub befinden, ein Wochenende mit der Familie verbringen, Freizeitbeschäftigungen nachgehen oder schlafen. Sie möchten vermeiden, dass ein Vertrag gekündigt wird, denn dies bedeutet finanzielle Einbußen. Einige haben Angst davor, Urlaub zu machen, vor allem Selbstständige. (Fatoba, 2018) Aus diesem Grund liegt die Vermutung nahe, dass die genannte Berufsgruppe aufgrund von Furcht vor Misserfolg und einer erhöhten Erfolgsorientierung bedroht ist, arbeitssüchtig zu werden. Ständige Sorgen und Gedanken, die auch während des Einschlafens um die Arbeit kreisen (Hanraths, 2019) und dauerhafte Überlegungen, wie das beste Ergebnis erreicht werden kann sind Argumente. Da Versicherungsvermittler daher häufig ohne Pausen arbeiten, gefährden sie zunehmend ihre Gesundheit. (Rau, Blum & Mätschke, 2015) Das Büro im eigenen zu Hause sorgt möglicherweise für wenig räumlichen Abstand zur beruflichen Tätigkeit. Erkenntnisse von physiologischen Veränderungen bei psychischen Belastungen wie Existenzängste, welche vorwiegend das vegetative Nerven- sowie Hormonsystem betreffen, existieren bereits. Seit Kurzem werden auch andere Organsysteme, z. B. das Immunsystem betrachtet. (Rau et al., 2015). Niemand ist immun dagegen, süchtig zu werden. Süchte wie Alkohol-, Drogen- oder auch Spielsucht sind heute allgemein bekannt, doch von Arbeitssucht haben die wenigsten etwas gehört. Dennoch existiert sie, sie ist jedoch nicht als Krankheit anerkannt. Poppelreuter (1997) begründet das geringe Niveau der Forschung zum Thema Arbeitssucht mit einer Attacke auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Grundeinstellungen. Arbeit wirkt für den Arbeitssüchtigen wie Heroin für den Fixer, wie Koks für den Kokser, wie Alkohol für den Alkoholabhängigen und wie ein Computerspiel für den Spielsüchtigen. Arbeit ist der Stoff, der den Arbeitssüchtigen Sorgen, Schmerz, Angst und Schuld vergessen lässt, sie gibt ihm ein Gefühl der Leichtigkeit. Die Folgeerscheinungen ähneln dem Drogenkonsum von Alkohol oder Heroin stark. (Mentzel, 1979) Parallel setzt sich der Präsentismus verstärkt durch, was bedeutet, dass Berufstätige arbeiten, obwohl sie krank sind, aus Angst vor Konsequenzen bei Krankschreibung. (Schnabel & Lechmann, 2019) Es kommt nicht selten vor, dass ein selbstständiger Versicherungsvermittler noch mit über 70 Jahren arbeitet. Einerseits gibt es diejenigen, die hart arbeiten, weil sie viel erreichen wollen und andererseits die, die ständig erreichbar sind und schuften bis sie zusammenbrechen, weil sie Furcht davor haben, sich in die Insolvenz steuern zu sehen. So sind sie häufig geprägt von einer hohen bis übertriebenen Arbeitsbezogenheit, welche sich in der Arbeitssucht widerspiegelt. Sie überidentifizieren sich mit ihrem Beruf. (v. Dick & Groß, 2014)

1.2 Untersuchungsziel und Forschungsfrage

Bisher existieren viele Studien wie Messungen zu Geschlechterunterschieden im Bereich Arbeitssucht sowie zum Zusammenhang zwischen Arbeitssucht und Berufsgruppen wie Journalisten, Profisportlern, Führungskräften und Berufen im Sozial- und Gesundheitswesen. Auch Zusammenhänge mit Präsentismus und Perfektionismus konnten bestätigt werden. (Eimermacher, 2017) Japan nutzt ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung „Karoshi“ und den Freitod durch Arbeitsbelastung nennen sie „Karojisatsu“. (Obata, 2001) Ein Beispiel im Versicherungsbereich für den Freitod durch Überarbeitung ist Pierre Wauthier von der Zurich-Versicherung, welcher sich 2013 mit 53 Jahren das Leben nimmt. (Clausen, Dams, Eigendorf und Jost, 2013) Suizide aufgrund seelischer und gestresster Angespanntheit im Job häufen sich auch in Europa, belegt durch die Suizidserie von 35 Angestellten der Firma Telekom France. Gründe dafür seien Stress, kollektiver Arbeitsdruck, Angst, Entmündigung und strategisches Mobbing. (Paulus, 2018) Die Armut sowie die Angst davor habe eine ähnliche zerstörende Wirkung wie die Alkoholsucht und lasse dem Betroffenen die Wahl zwischen Verhungern, rascher Selbsttötung oder Diebstahl. (Engels & Marx, 1962) Für die Berufsgruppe Versicherungsvermittler existiert bisher keine Studie zu Korrelationen und dem Zusammenhang zwischen Angst, Erfolg und Arbeitssucht, jedoch haben auch sie täglich mit Druck, Angst und Stress zu kämpfen. Aus diesem Grund ergibt sich folgende Forschungsfrage:

Besteht ein Zusammenhang zwischen Furcht vor Misserfolg sowie Erfolgsorientierung von Versicherungsvermittlern und Arbeitssucht?

Hintergrund der Forschungsfrage ist es, die Auseinandersetzung mit der Arbeitssucht in Deutschland im Rahmen von Gesundheitsaspekten, Unternehmenspolitik und der Gesellschaft näher zu bringen. Ziel soll es sein, frühzeitig geeignete Präventionsmaßnahmen für arbeitssuchtgefährdete Mitarbeiter, Vertriebspartner und Führungskräfte im Versicherungsbereich zu ergreifen, um deren Gesundheit sowie Arbeitskraft langfristig zu erhalten. Die Klärung der Forschungsfrage erfolgt durch die quantitative Methode. Der Zusammenhang wird anhand der multiplen Regression gemessen und die Operationalisierung des Konstrukts Arbeitssucht erfolgt durch die SEA-Skala zur Erfassung von Arbeitsbezogenheit. (Schneider & Bühler, 1999). Für die Operationalisierung der Konstrukte Angst vor Misserfolg und erfolgsfördernde Arbeitshaltung werden zwei Subskalen der Kurz-Skala Leistungsorientierung von Angestellten (Hippler & Krüger, 2014) verwendet.

1.3 Vorgehensweise und Struktur

Der Beginn befasst sich mit der thematischen Einführung in die Arbeitssucht und dem Beruf des Versicherungsvermittlers. Darauffolgend werden die unterschiedlichen Versicherungsvermittler definiert und voneinander abgegrenzt sowie relevante Begriffsbestimmungen erläutert. Des Weiteren wird sowohl der aktuelle Stand der Forschung zur Arbeitssucht dargestellt als auch die historischen und medizinischen Hintergründe. Anschließend wird die Methodik zur Beantwortung der Forschungsfrage gezeigt. Dazu gehört das Untersuchungsdesign, die Operationalisierung der Konstrukte und die Gewinnung der Stichprobe. Im Anschluss werden die deskriptiven sowie interferenzstatistischen Ergebnisse dargestellt. Auffälligkeiten werden verdeutlicht, im Nachhinein diskutiert und auf die Praxis transferiert. Zum Schluss werden die Erkenntnisse aus der Empirie in einem Fazit zusammengefasst. Um die Lesbarkeit zu vereinfachen werden Mehrfachagenten, Versicherungsmakler, Ausschließlichkeitsvertreter und der Vertriebsinnendienst als Versicherungsvermittler zusammengefasst. Provisionen und Courtagen werden ebenfalls bis auf einige relevante Ausnahmen lediglich als Provision Anwendung finden.

Außerdem sind die weibliche sowie diverse Form der männlichen gleichgestellt. Dies drückt keine Benachteiligung der Geschlechter aus, sondern soll lediglich der sprachlichen Vereinfachung sowie einer angenehmeren Lesbarkeit dienen und als geschlechtsneutral verstanden werden.

2 Theoretischer Hintergrund & bisherige Forschung

2.1 Unterschiede von Versicherungsvermittlern

Es gibt verschiedene Arten von Versicherungsvermittlern, welche folgend näher definiert werden. Hierzu zählen die Ausschließlichkeitsvertreter, Mehrfachagenten, Versicherungsmakler und der Vertriebsinnendienst.

Der Versicherungsmakler nach § 93 HGB

Der Versicherungsmakler übernimmt gewerbsmäßig die Vermittlung von Versicherungen an den Endkunden. Der Vertrag besteht zwischen dem Endkunden und ihm. Er ist verpflichtet die Interessen des Kunden zu vertreten und unterliegt der Beratungspflicht nach § 61 Abs. 1 S.1 VVG. So muss er dem Kunden ein angemessenes Produkt bezogen auf dessen Situation anbieten. Während der Laufzeit der Verträge hat er die Pflicht den Versicherungsschutz an persönliche Veränderungen des Versicherungsnehmers anzupassen sowie Marktveränderungen im Blick zu behalten und den Kunden darauf aufmerksam zu machen. Beispielsweise muss er auf die Veränderung von Risiken hinweisen wie den Einbruch durch Hacking statt mit der Brechstange. (Sellmer, 2019) Macht er den Kunden nicht darauf aufmerksam und ein Einbruch ohne sichtbare Einbruchspuren geschieht, besteht für den Kunden kein Versicherungsschutz. Der Versicherungsmakler haftet jedoch für den Schaden aufgrund der fehlenden oder falschen Beratung. (OLG Köln, Urteil vom 01.02.2011-9 U 125/10) Er ist der treuhändische Sachwalter des Kunden und unabhängig vom Versicherer tätig. Somit haftet er persönlich gegenüber den Kunden für eigenes Fehlverhalten. (BGH-VersR 85, 930) Der Versicherer haftet nicht für die Fehler des Maklers. Die Vergütung erfolgt durch die Versicherungsunternehmen, mit denen eine Courtagevereinbarung besteht. Für jedes vermittelte Produkt wird eine Courtage vom Versicherer an den Versicherungsmakler gezahlt. Die Höhe ist abhängig vom verkauften Produkt und des vereinbarten Courtagesatzes.

Ausschließlichkeitsvertreter

Ausschließlichkeitsvertreter sind entweder selbständig nach § 84 HGB für ein einziges Versicherungsunternehmen zuständig oder angestellt als dessen Erfüllungsgehilfe. Sie unterliegen einem strikten Wettbewerbsverbot. Die Haftung für etwaiges Fehlverhalten übernimmt der Versicherer. Gezahlt wird eine festgelegte Provision für den Abschluss der Verträge sowie Unterstützung in Form von Zuschüssen für Bürokosten, Personal, Fortbildungen und Software. Zur fachlichen Unterstützung stehen häufig Spezialisten zur Seite. Im Falle des Ausscheidens durch Krankheit oder Altersgründen steht ein finanzieller Ausgleich zur Verfügung. Auch bei Krankheit oder Urlaub wird zunehmend ein Ausgleich gezahlt, da in dieser Zeit keine Gelegenheit vorhanden ist, Versicherungen zu vertreiben. Die genannten Zuschuss- sowie Ausgleichsmöglichkeiten für Ausschließlichkeitsvertreter gibt es für Versicherungsmakler nicht. (Ferling, 2018)

Mehrfachagenten

Mehrfachagenten sind für mehrere Versicherungsunternehmen tätig, auch wenn diese im Wettbewerb zueinanderstehen. Sie sind zwischen Makler und Ausschließlichkeitsvertreter anzusehen und werden für die Versicherer tätig, mit denen eine vertragliche Vereinbarung besteht. Haftungstechnisch sind sie dem Ausschließlichkeitsvermittler gleichgestellt. (Reim, 2019)

Vertriebsinnendienst

Der Vertriebsinnendienst ist vergleichbar mit dem Ausschließlichkeitsvertreter. Jedoch erhalten die Mitarbeiter in der Regel ein festes Einkommen und gelegentlich eine Bonifikation für erreichte Ziele. Sie werden an ihren Umsätzen gemessen und ihre Ergebnisse werden in Rankinglisten veröffentlicht, das Einverständnis aufgrund des Datenschutzes vorausgesetzt. Das finanzielle Interesse und die Motivation eine Bonifikation zu erlangen steigt allerdings nur, wenn die in Aussicht gestellte Bonifikation ausreichend hoch ist. Dies seien mindestens sieben Prozent des jährlichen Bruttogehalts bei Angestellten. (Maaß, 2016)

2.2 Risiken aller Versicherungsvermittler

Versicherungsvermittler stehen nicht selten unter dem Druck, Ziele erreichen zu müssen. Im Angestelltenverhältnis sind diese vom Arbeitgeber vorgegeben. Der Selbstständige muss eigenverantwortlich für ausreichend Provision sorgen, um seinen Lebensstandard aufrecht zu erhalten. Laut der Studie „Provisionen und Courtagen – Was die Versicherer ihren Vermittlern zahlen“ erwirtschaften 51 Prozent der Versicherungsmakler weniger als 50.000 Euro Jahresgewinn. (Wenig, 2015) Der Vorsitzende des Bundesverbandes Deutscher Versicherungskaufleute, Michael Heinz, erwähnt in einem Interview aus 2014 für die Welt, dass es keine Seltenheit sei, Vermittler in den Konkurs steuern zu sehen. Circa ein Drittel aller Versicherungsvermittler verdiene weniger als 55.000 Euro im Jahr und dieser Betrag sei noch zu versteuern. Bliebe dann der Erfolg aus, so sei die Insolvenz meist unvermeidbar. Eine ehrliche Versicherungsberatung sei zudem nur möglich, wenn der Versicherungsverkäufer keinerlei Existenzängste habe. (Baumann, 2018) 2011 werden 263.452 registrierte Versicherungsvermittler in Deutschland gezählt. Seitdem ist ein jährlicher Abwärtstrend erkennbar. Im Januar 2020 sinkt die Zahl auf 198.452. (DIHK, 2020) Außerdem gilt für sie das Lebensversicherungsreformgesetz (LVRG). Hier werden die Regelungen zu Provisionshöhen und Haftungszeiten für Lebensversicherungen verabschiedet. Von 2015 zu 2017 sinkt hier die Höhe der Provisionen. Betroffen sind unter anderem Renten-, Berufsunfähigkeits-, Risikolebens- und klassische kapitalbildende Lebensversicherungen. Gleichzeitig werden die Stornohaftungszeiten verlängert. Für Ausschließlichkeitsvermittler sinkt der Provisionssatz um 1,5 auf 25,1 Promille. Versicherungsmakler trifft es deutlich härter mit einem Rückgang von ehemals 39,4 Promille auf 32,1. Mehrfachagenten müssen eine Senkung in Höhe von 5,5 auf 30,7 Promille in Kauf nehmen. Auch die gesetzliche Stornohaftungszeit von ehemalig fünf Jahren ist gestiegen. Alle Versicherungsvermittler benötigen nun knapp sechs Jahre, um die Provision für eine vermittelte Lebensversicherung als verdient zu betrachten. Wird ein Vertrag unter einer sechsjährigen Laufzeit durch Kündigung, Ableben oder Nichtzahlung beendet, ist der Vermittler verpflichtet die Provision laufzeitabhängig anteilig zurückzuzahlen. (Beenken & Radtke, 2017) Kundenbeschwerden belasten sie zusätzlich. Schließlich kann eine Falschberatung oder eine versäumte Veränderungsmitteilung den Kunden seinen Versicherungsschutz im Schadenfall kosten und bei falschen Angaben im Rahmen der Antragstellung sogar eine Klage drohen. Für solche Fälle wird er zur Verantwortung gezogen. (VVG § 19) Um eine korrekte Kundenberatung nachzuweisen, müssen Versicherungsvermittler eine ausführliche schriftliche Beratungsdokumentation führen, welche von den Kunden zu unterschreiben ist und vor Gericht Anwendung findet. Je detaillierter und ausführlicher diese ist, desto mehr Sicherheit bietet sie. (Gruner, 2015) Ein weiteres Risiko besteht im Versäumen der Weiterbildungspflicht für jeden Berufstätigen in der Versicherungsbranche mit beratender Tätigkeit. Seit 2018 müssen sie mindestens 15 Stunden pro Jahr belegen, die für Weiterbildung nach aktuellen Anrechnungsregeln aufgebracht werden. (GewO § 34d Abs. 9 Satz 2) Wird diese Pflicht verletzt, handelt es sich um eine Ordnungswidrigkeit, welche pro Verstoß mit bis zu 3.000 Euro verfolgt wird. Mehrfache Verstöße können zum Verlust der Gewerbe-Erlaubnis nach § 34 d GewO führen. Dies gilt auch für alle Mitarbeiter in der Vertragsverwaltung sowie der Schadenbearbeitung. (Burghardt, 2018) Mitbewerber, Onlineversicherer sowie FinTechs und InsurTechs, die ständigen Regulierungen am Markt und der schlechte Ruf der Branche erhöhen den Druck zunehmend. (Kunz & Jost, 2014) Gibt der Kunde seine Daten über die jeweilige App ein, verliert der bisherige Vermittler die gesamte Kundenverbindung und somit auch den entsprechenden Umsatz. (Toller, 2016) Die Erhöhung von Druck und Angst führt zu einer erhöhten Fluktuation sowie einem hohen Krankenstand, auch bei Selbstständigen. Fehlende Anerkennung äußert sich zudem in Hemmungen, Angst und Leistungsdefiziten. (Maaß, 2016) Andererseits führe dies wiederum zum Präsentismus und somit zu einer wirtschaftlichen Schädigung des Unternehmens, denn hohe Anforderungen, Stress und Zeitdruck erhöhen die Bereitschaft trotz Krankheit zur Arbeit zu erscheinen. (Preisendörfer, 2010) Fehler sind die Folge.

Zusammenfassend ist jeder Mensch ein Gewohnheitstier (Suttner, 1894). Versicherungsvermittler mögen generell keine Veränderungen, schon gar nicht, wenn diese Veränderungen mit Mehraufwand verbunden sind, da sie ohnehin täglich am Limit arbeiten. Neue Regularien, Provisionskürzungen, Änderungen der Haftungszeiten, neu hinzukommende Weiterbildungspflichten, neue Mitbewerber und schwarze Schafe im Versicherungsmarkt sowie die Datenschutzverordnung und die Digitalisierung erhöhen die Angst, weniger Zeit für den Vertrieb zu haben. Dies erzeugt Druck sowie Stress beim Betroffenen. (Schmidt, 2019) Ist das bereits der Weg in die Arbeitssucht?

2.3 Sucht und Arbeit

Für die meisten Menschen in Deutschland spielt Arbeit eine zentrale Rolle. Schließlich dient sie der Existenzsicherung und der Befriedigung physiologischer sowie ideeller Bedürfnisse. Parallel sind die sozialen Sicherungssysteme wie Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung an ihr ausgerichtet.

2.3.1 Ein Kurztrip durch die Geschichte der menschlichen Arbeitskraft

Die Definition des Arbeitsbegriffes verändert sich stetig und wird im geschichtlichen Zusammenhang unterschiedlich assoziiert. Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Arbeit wird beispielsweise definiert als ein menschliches Produkt, welches sich in der essenziellen Sublimation von Rohstoffen oder Zwischenerzeugnissen manifestiert und in geistige sowie körperliche Arbeit unterteilt ist. (Schettgen, 1996) Arbeit sei zudem das Ergebnis der Handlungsanstrengungen von Hirn, Gliedmaßen und weiteren Ressourcen, um dem Menschen zu ermöglichen, Sachen zu verändern und sich gleichzeitig selbst weiterzuentwickeln. Arbeit ist eine vorsätzliche Aktivität zur Veränderung von natürlichen Dingen. Ihre Ziele sind wirtschaftlich, historisch, juristisch, ethisch, psychologisch oder kulturell. (Bendassolli, 2019) Für die vorliegende Analyse wird Arbeit als gelernte sowie geplante Organisation, Handhabung und Steuerung der inneren und äußeren Umwelt verstanden, um ein vorgegebenes Ziel unter Berücksichtigung des soziokulturellen Einflusses zu erreichen und somit seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. (Berger, 2000) Arbeit erzeugt Sicherheit. Aufgrund dessen fürchten sich Menschen vor der Arbeitslosigkeit und ins soziale Abseits zu gelangen. Arbeit ist für viele nicht nur der Erhalt des Lebensstandards, sondern auch eine Existenzberechtigung. (Scholten, 2003) Der größte und in der Regel kostenintensivste Produktionsfaktor ist aktuell die menschliche Arbeitskraft. 2008 liegen die durchschnittlichen Personalkosten im Versicherungsgewerbe bei mehr als 70.000 Euro je vollbeschäftigtem Arbeitnehmer. (Schröder, 2009) Neben dem Gehalt sind Sozialversicherungsbeiträge, Steuern, Lohnzusatzleistungen sowie Personalausfälle aufgrund von Kündigung, Renteneintritt und Krankheit zu berücksichtigen. Arbeit ist heutzutage elementar wichtig, jedoch bangen viele Berufstätige aufgrund der Corona-Krise um ihre Arbeitsplätze und Unternehmer um ihre Unternehmen. Eine Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge durch Staatskassen für neu entstehende Arbeitsplätze wird verlangt, wenn die Arbeitslosigkeit unverhältnismäßig ansteige. (Müller, 2020) Lohnzusatzkosten belasten jedes Unternehmen und jeden Solo-Selbstständigen. In Marx´ (1845) Feuerbachthesen wird der Mensch als ein lohnabhängiges und machtstrebendes Subjekt betrachtet und zum Arbeitsvermögen gezählt. Er ist ein lebendiger Gebrauchswert auf dem Arbeitsmarkt und erforderlich für die Erschaffung von Erzeugnissen. Arbeit sei grundsätzlich zweckgebunden. Der Faktor Mensch wird wie Material- und Lieferkosten in den Verkaufspreis eines Produkts eingerechnet, auch in die Versicherungsprodukte. Schließlich müssen die Arbeitskräfte der Produktentwickler, des Vertriebs und der Verwaltung bezahlt werden. (Vollrath, 1969) In der Antike freue sich niemand über die Arbeit selbst. Sie sei lediglich das notwendige Übel, um den Lebensunterhalt zu bestreiten und die körperliche Arbeit gehöre zur Sklaverei. Die geistige Arbeit hingegen sei Muße. Zudem sei es wichtig, der Beste in einer gewissen Disziplin gewesen zu sein, beispielsweise im Mähen oder Pflügen. (Scholten, 2003)

Zusammenfassend wird die Arbeit heute mit den Faktoren Selbstüberbietung, Selbstüberwindung und Selbsterfüllung beschrieben. Mit dem digitalen Zeitalter und den geistigen Tätigkeiten verändert sich die Meinung zur Arbeit. Entweder wird gearbeitet, um zu leben oder gelebt, um zu arbeiten. Wer in keinem Arbeitsverhältnis steht, dem fehlt heutzutage die gesellschaftliche Anerkennung sowie ein strukturierter Tagesablauf. Die Suchtgefährdung für substanzgebundene Stoffe steigt. Diesen Zusammenhang belegt die Studie des Sunrise-Projektes. (Scherbaum, Specka, Kaspar, Mikoteit und Lieb, 2018) Einige Berufstätige erkennen keinen Sinn in ihrem Leben, ohne exzessiv zu arbeiten und ihre Gedanken kreisen rund um die Uhr um die Arbeit. (Hanraths, 2019)

2.3.2 Stoffgebundene und -ungebundene Sucht

Der Begriff Sucht stammt von dem Verb „siechen“ und dem gotischen Wort „suikum“ ab, welche „krank sein“ bedeuten. Sucht sei die generelle Bezeichnung für jede körperliche Krankheit, welche nicht aus Unfällen oder sichtbaren Verletzungen entstehe. Im 16. Jahrhundert wird „Sucht“ von Krankheit, Seuche und Siechum abgelöst und im 19. Jahrhundert als krankhafte Verformung von Vernunft und Willen sowie einer beständigen und maßlosen Verhaltensweise definiert. Sucht sei das Ergebnis moralischer Schwäche und antisozialen Lebenswandels. (Haasen, Kutzer und Schäfer, 2010) Das Bundesgesundheitsministerium (2020) bezeichnet Sucht als die Summe bedrohlicher, missbräuchlicher und abhängiger Verhaltenszüge, welche mit katastrophalen Schicksalsschlägen und komplexen anhaltenden Gesundheitsschäden einhergehen, zu exorbitanten Gesundheitsbeeinträchtigungen und zum verfrühten Tod führen. 1784 wird Alkoholsucht erstmals als Krankheit anerkannt und die Bezeichnung Sucht setzt sich für alle stoffgebundenen Abhängigkeiten durch. Ende des 19. Jahrhunderts findet die Spielsucht neben den psychotropen Süchten als stoffungebundene Sucht Anerkennung. (Haasen, et al., 2010) Im Rahmen der Diagnostik wird 2020 nicht mehr von Sucht gesprochen, sondern zwischen Abhängigkeitssyndrom, schädlichem Gebrauch und Substanzmissbrauch unterschieden. Bei allem geht es um den ungesunden sowie unverhältnismäßigen Umgang mit psychotropen und bewusstseinsverändernden Substanzen. (Haasen et al. 2010) Zu den bewusstseinsverändernden Stoffen gehören unter anderem Alkohol, Medikamente, Tabak, Heroin, Cannabis, Kokain, Extasy, Spice, Amphetamine, Ephedrin, Benzodiazepine, Opiate und Opioide sowie Narkose- und Lösungsmittel. (Bellmann & Joannidis, 2017)

Nach Johann-Ridinger (2020) ist für das Entstehen einer Sucht das limbische System im Gehirn verantwortlich. Es ist ein Zusammenschluss von Hippocampus, Amygdala und Teilen des Thalamus. Weiterhin sind an der Entstehung der Abhängigkeit Teile des Großhirns sowie weitere Bereiche, die zum Striatum gehören, beteiligt. Ausschlaggebende Neurotransmitter sind das Dopamin sowie die Substanzen Glutamat und Gamma–Aminobuttersäure (GABA). In den genannten Bereichen werden die Informationen sowie extrinsische und intrinsische Reize gespeichert und verarbeitet. Die Steuerung der Planung, Entscheidungsfindung, Motivation und der Umsetzung dessen, erfolgt durch das limbische System, zusammen mit dem präfrontalen Kortex. Das emotionale System entscheidet dann folglich über die Ausschüttung des Dopamins in Form eines Belohnungsreizes, z. B. Lustgewinn. (Johann-Ridinger, 2014)

Neben den stoffgebundenen Süchten existieren stoffungebundene Süchte. Diese sind an ein Verhalten gebunden, das exzessiv, in einem überdimensionierten Ausmaß und wiederholt betrieben wird. Dieses Verhalten reicht bis zur Beherrschung und Gleichgültigkeit der gesamten Lebensführung der Betroffenen. Verpflichtungen, Aktivitäten und Interessen werden zunehmend vernachlässigt und das Verlangen nach dem Suchtmittel Arbeit wird zum Lebensmittelpunkt. (Mann, 2014) Durch die Digitalisierung und fortschreitende Technik gelangen Internet-, Computerspielsucht und die allgemeine Medienabhängigkeit in den Fokus. (Müller, Kiepe, Pitten und Dreier, 2019) Viele Verhaltenssüchte sind nicht als Krankheit anerkannt und nicht in den klinischen Klassifikationssystemen zu finden. Ein Verhalten ist erst dann medizinisch relevant, wenn Betroffene im Rahmen ihrer Lebensführung einen Leidensdruck verspüren und dadurch beeinträchtigt werden. (Bell, 2014) „Egal ob Internet, Shoppen, Alkohol oder Arbeit ­­- jede Sucht ist eine Flucht aus einer inneren Notlage.“ (Nussbaum, Backowic, Fromm, 2019, Handelsblatt, Nr. 231) Da die Bezeichnung „Sucht“ in übermäßiger Weise genutzt wird, sollte jede Verhaltenssucht psychopathologisch abzugrenzen sein, da es die Therapiemöglichkeiten verbessern würde. (Mann, 2014) Dies ist auch für die Arbeitssucht erforderlich.

2.4 Arbeitssucht

2.4.1 Definition & Entstehung

Die Droge ist kostenlos, einfach zu ergattern und wird durch die Gesellschaft sogar wertgeschätzt. (Willems, 2003) Arbeitssüchtige sind Menschen mit einem andauernden Drang und Zwang, ständig arbeiten zu müssen. Das exzessive Bedürfnis nach Arbeit nimmt bei ihnen ein so hohes Ausmaß an, dass sowohl die Gesundheit als auch private Beziehungen beeinträchtigt werden. Arbeitssucht besteht aus einem unkontrollierten, zwanghaften Bedürfnis nach Arbeit mit überdimensionierter Arbeitsbezogenheit. Die Folgen ähneln jedem süchtigen Verhalten, jedoch substanzungebunden. (Schneider & Bühler, 2001). Von Verhaltenssucht ist die Rede. Doch woher kommt dieses Phänomen? Der Begriff Arbeitssucht geht auf den Psychologen Wayne Edward Oates zurück. 1968 schimpft er sich selbst „Workaholic“, als er sich persönlich als arbeitssüchtig einstuft. Der Begriff kommt durch seine Kombination aus Work (Arbeit) und Alcoholic (Alkoholiker) zustande. (Breitsameter & Reiners-Kröncke, 1997) Seither wird der Ansatz von Oates stetig weiterentwickelt. Die Auseinandersetzung mit dem Thema steckt in Deutschland in den Kinderschuhen, obwohl es bereits zahlreiche Studien gibt, die auf Erkrankungen durch Arbeitssucht wie Herz-Kreislauf-Beschwerden, Blackouts, andauernde Erschöpfungszustände, Stimmungsschwankungen, Geschwüre, Rückenschmerzen und sogar den Tod durch Arbeitssucht zurückzuführen sind. (Meißner, 2006) Doch nicht nur der innere Zwang und Drang ständig arbeiten und an daran denken zu müssen sind Indizien für die Arbeitssucht nach Meinung der Anonymen Arbeitssüchtigen. „Auch die Arbeitsvermeidung, die Angst vor Misserfolg und der Perfektionismus gehören dazu.“ (Anonyme Arbeitssüchtige, http://www.arbeitssucht.de/allgemein-info.html) Bei der Arbeitssucht gehe es überwiegend um Kontrolle, Willkür und Dranghaftigkeit. Betroffene stehen ständig unter dem Zwang arbeiten zu müssen. (Berger, 2014) Bezogen auf den Versicherungsvermittler ist die Frucht vor Misserfolg durch ein Storno mit Provisionsrückzahlungen gegeben oder die Verfehlung von Zielvorgaben. Der Perfektionismus wird dadurch bestätigt, immer das Bestmögliche erreichen zu wollen, den Arbeitsaufwand für Bürokratie zu vermeiden und gleichzeitig das Haftungsrisiko minimal zu halten. Diagnostisch sei Arbeitssucht lediglich aus der Lebensgeschichte von Betroffenen abzuleiten. (Berger, 2014) In Japan ist das Phänomen der Arbeitssucht zugänglicher und ein bereits langandauerndes Problem. Die Japaner haben ein eigenes Wort für den Tod durch Überarbeitung: „Karoshi“ und es existieren bereits 350 klinische Zentren, welche auf Arbeitssucht und ihre Folgen spezialisiert sind. Der hohe Anspruch an sich selbst steigert die Gefährdung der eigenen Gesundheit. In Deutschland sowie Österreich sei jeder neunte Einwohner gefährdet, arbeitssüchtig zu werden. (Auer & Höller, 2015) Die Kosten pro Fall belaufen sich auf 200.000 Euro (Meissner, 2006). So schätze die Bundesanstalt für Arbeitsmedizin 2001 die Produktionsverluste jährlich auf 44 Milliarden Euro durch Arbeitssucht. Zudem gehöre die Arbeitssucht zur viertgrößten Problematik verschiedener Suchtformen, noch vor Cannabis, Extasy, Internet- und Esssucht. Sie findet sich auf der gleichen Stufe wie die Kaufsucht und Ess- und Brechsucht. Lediglich die Alkohol- und Heroinsucht sowie Mager-, Spiel-, Tabak-, Medikamenten- und Kokainsucht sind problematischer anzusehen. (Spinatsch, 2004) Eine Stepstone-Umfrage aus 2007 hat ergeben, dass ca. 25 Prozent der befragten 21.586 Fach- und Führungskräfte Erschöpfungs-Symptomatiken aufweisen und 56 Prozent der Teilnehmer das tägliche Arbeitspensum nicht schaffen. Sie führen ihre körperlichen und psychischen Belastungssymptome auf den Arbeitsstress zurück. Dies geschieht vor allem bei immensem Leistungsdruck, Überforderung durch zu viele Aufgaben und das Missverhältnis zwischen hoher Arbeitsbelastung und mangelnder Anerkennung. Durch dieses Missverhältnis wird zudem das Risiko erhöht an einem Burnout zu erkranken. (Theisen, 2007) Fast 90 Prozent der Deutschen sind durch ihre Arbeit gestresst. Ungefähr 50 Prozent der Angestellten klagen ab und zu über Rückenschmerzen, chronische Erschöpfung, innere Spannung, Unlust und Einschlafprobleme. Fast jeder Sechste in Deutschland leide unter Rückenschmerzen oder Erschöpfung, 23 Prozent von ihnen sogar oft. Knapp 54 Prozent der Teilnehmer der Stepstone-Umfrage grübeln über ihre Arbeit und leiden unter Einschlafproblemen. (Anonymus, 2018) Das japanische Arbeitsministerium bestätigt 1990, dass Arbeitssucht zum Tod führen kann. Karoshi tritt durch Herzversagen und -infarkte oder Hirnschläge ein. Pro Jahr erkennen die Behörden dort 150 Fälle vom Tod durch Überarbeitung an. Das Karoshi–Netzwerk schätzt diese jedoch auf 10.000 jährlich. In einer Studie über Arbeitsstress geben 2.300 Unternehmen an, dass ihre Mitarbeiter zum Teil mehr als 80 Überstunden pro Monat leisten. 2015 erkennt das Arbeitsministerium 93 Fälle durch „Karojisatsu“, dem Freitod durch Arbeitsstress an. Polizei- und Regierungsdaten weisen auf 2.159 Fälle hin. (Volkmann,2016) Um die Ursache prüfen zu können, wird die Belastung am Arbeitsplatz der vorhergehenden sechs Monate untersucht. Die Menge der geleisteten Überstunden, unregelmäßige und ungünstige Arbeitszeiten sowie Schichtwechsel, fehlende Pausen und die Häufigkeit von Dienstreisen spielen dabei eine übergeordnete Rolle. (Volkmann, 2016) Fast überall in Deutschland sind Gruppen der Anonymen Arbeitssüchtigen zu finden, welche den Selbsthilfegruppen der Anonymen Alkoholiker ähneln. Arbeitssucht ist bisher nicht als Krankheit anerkannt und hat keinen eigenen Diagnoseschlüssel. Unter Arbeitssucht leidende Patienten suchen die Praxis des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Michael Tischinger dennoch auf. (Rudzio, 2016) Es handele sich überwiegend um Personen mit Depressionen, Suizidgedanken oder Angststörungen. Dies seien häufig Folgeerkrankungen aufgrund einer pathologischen Fixierung auf die Arbeit. In diesem Fall schicke er sie zu den Anonymen Arbeitssüchtigen, da alle Merkmale einer Sucht wie Kontrollverlust, Entzugserscheinungen und Dosissteigerungen erfüllt seien. (Rudzio, 2016) Nach einer Forsa-Umfrage aus 2013 fällt es vielen Personen schwer, sich im Urlaub zu entspannen. Ein Grund dafür ist zunehmend das Verlangen des Arbeitgebers ständig erreichbar zu sein. Jeder Siebte hat sich kaum erholt. Unter den 33- bis 44-jährigen Teilnehmern hätten sich 18 Prozent nicht erholt. 52 Prozent haben Probleme damit abzuschalten. 13 Prozent müssen für das Unternehmen mobil erreichbar sein. Von 2012 bis 2013 steigt die Zahl der Betroffenen, die sich nicht oder schlechter erholt haben. (Hülder, 2013) Fehlende Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sowie eine schlechte Balance zwischen beruflichen Anforderungen und persönlichen Ressourcen erhöhen das Risiko arbeitssüchtig zu werden. Eine zwanghafte Persönlichkeitsstruktur steigert die Gefährdung zunehmend. (Rademacher, 2017)

2.4.2 Typen, Phasen und Motive der Arbeitssucht

Arbeitssucht ähnelt der Alkoholsucht und durchläuft dieselben drei Phasen. Dazu gehören die Einleitungsphase, in der die Kontrolle verloren wird, die kritische Phase, in der Betroffene gegenüber der Arbeit nicht abstinent sein können und zuletzt die chronische Phase, in welcher die Arbeitsdosis regelmäßig gesteigert wird. (Mentzel ,1979) Häufig identifizieren sich Arbeitssüchtige mit einem besonders ehrgeizigen Elternteil, schließlich hat dieser eine Vorbildfunktion. (Mentzel, 1979) Nach Rohrlich (1984) werden elf unterschiedliche Typen der Arbeitssucht beschrieben.

Dem wütenden, feindseligen Arbeitssüchtigen dient die Arbeit zum Abreagieren. Wut und Frustration werden nicht ausgelebt, sondern verlagert in die Arbeit und er zwingt sich Projekte möglichst schnell zu beenden. (Rohrlich, 1984)

Der Arbeitssüchtige aus Scham stärkt sein geringes Selbstwertgefühl und seine Selbstachtung durch das Erringen von Titeln sowie Gehaltserhöhungen. Er strebt nach Anerkennung. (Rohrlich, 1984)

Des wetteifernden Arbeitssüchtigen höchste Priorität ist es, zu gewinnen. Im Versicherungsvertrieb will er auf dem ersten Platz der Rankingliste stehen. Als Kind vergleicht dieser Typ häufig die Größe seinen Penis mit dem seines Vaters. Im Erwachsenenalter will er weiterhin beweisen, dass seiner der Größte ist. Rohrlich (1984) erwähnt hierzu ein Zitat eines Maklers: „Wissen Sie, was die Börse ist? Ich will es Ihnen sagen. Sie ist ein Pimmel-Wettstreit, jawohl.“ (Rohrlich, 1984, S. 153) Da Versicherungsvermittler oft den Allfinanz-Gedanken leben oder sich auf Geld- anlagen spezialisieren, passt das Zitat zu dieser Berufsgruppe.

Der abwehrende Arbeitssüchtige versucht unangenehmen Gefühlen wie Trauer, Schmerz und Qual zu entfliehen. (Rohrlich, 1984) Als Albert Einsteins Frau im Sterben liegt, schlagen die Kollegen vor, er solle eine Pause einlegen, jedoch will er gerade aus diesem Grund in die Arbeit flüchten. (Stockton, 1979) So lassen sich für ihn Emotionen wie Angst, Scham, Kummer und auch sexuelle Vernachlässigung kompensieren.

Die einsamen Arbeitssüchtigen ohne Freunde benötigen die Arbeit, um ihr Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Gruppenbildung zu befriedigen. Sie werden nicht durch die Arbeit selbst in die Sucht getrieben, sondern durch die Akzeptanz der Kollegen, die ihnen Zugehörigkeit versichert. (Rohrlich, 1984)

Die Arbeitssüchtigen aus Schuldgefühlen sind Menschen, die sich mit der Arbeit bestrafen wollen. Schuld wird kompensiert durch harte Arbeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie tatsächlich Schuld haben. Je härter und anstrengender die Arbeit ist, desto gerechter sei die Strafe. Auch sexuelle Schuldgefühle spielen für sie eine Rolle, gerade wenn die Masturbation im Jugendalter als streng verboten gilt und der Betroffene sich schuldig fühlt, weil er in den gegengeschlechtlichen Elternteil verliebt gewesen sei. (Rohrlich, 1984) Freud beschreibt dies in seiner Psychoanalyse als Ödipuskomplex, worauf Jahre später der Elektrakomplex folgt. (Joffe, 2009) Durch die sexuelle Verdrängung im Erwachsenenalter kann die Arbeit zur führenden Quelle für jegliche Befriedigung werden.

Der latent homosexuelle Arbeitssüchtige spürt seine Befriedigung, wenn er von anderen Männern beherrscht wird, indem er sich den männlichen Vorgesetzten unterwirft. Haben sie unbewusste homosexuelle Wünsche wollen sie beweisen, wie männlich, stark und maskulin sie sind, was die Zusammenarbeit mit ihnen erschwert. Sie besitzen unhöfliche, aggressive, konkurrenzwütige und getriebene Charakterzüge. (Rohrlich, 1984)

Die zwangsneurotischen Arbeitssüchtigen brauchen Ordnung. Ist ein Gegenstand nicht an seinem für ihn vorgesehenen Platz zu finden, werden sie schnell nervös und geraten in Panik. Sie benötigen grundsätzlich Gewissheit, Ziele sowie Strukturen und einen konkreten Start mit einem klar definierten Ende. Freizeit ist für sie weder entspannend noch zufriedenstellend, da kein Ende definiert werden kann. (Rohrlich, 1984)

Die passiv-abhängigen Arbeitssüchtigen fühlen sich eher auf der Arbeit zu Hause, möchten jedoch nicht, dass ihr Name irgendwo auftaucht. Sie fügen sich lieber in Regeln und Strukturen ein, ohne aufzufallen. Sie schaffen es nicht sich selbst zu definieren oder eine eigene Identität aufzubauen und benötigen die Ziele bei der Arbeit. (Rohrlich, 1984)

Die prä- oder post-psychotischen Arbeitssüchtigen werden orientierungslos, ängstlich und verwirrt, sobald sie ihren Arbeitsplatz verlassen. Sie sind oft geplagt von Depersonalisation und Realitätsverlust, welche nur außerhalb des Arbeitsplatzes zu erkennen sind. (Rohrlich, 1984) Die genannten Symptome wie Angst, Orientierungslosigkeit und Depersonalisation erinnern stark an Borderline-Störungen, welche ohnehin therapiebedürftig sind, um Selbstverletzungen und Suizidversuchen vorzubeugen. (Vandenhoeck & Ruprecht, 2004) Die sexuell frustrierten oder impotenten Arbeitssüchtigen holen sich die sexuelle Bestätigung und Befriedigung am Arbeitsplatz. Sie versuchen somit die Frustration im Privatleben auszugleichen. Auf der Arbeit sind Grenzen gesetzt. „Die Flirts finden zwischen Rollen statt, nicht unbedingt zwischen den Menschen, die diese Rollen innehaben.“ (Rohrlich, 1984, S. 167)

Die narzisstischen Arbeitssüchtigen verbinden Erotik mit ihrer Arbeit sowie ihren erzeugten Produkten und Verkäufen. Rohrlich (1984) beschreibt einen Börsenmakler, der den Vertrag über einen gewinnbringenden Verkauf einer Aktie langfristig aufbewahrt, regelmäßig liebkost und tagelang seinen Vorschussscheck bewundert. Der Inhalt des Vertrages lässt starke sexuelle Gefühle der Erfüllung in ihm hochkochen. Diese sexuelle Ausdrucksweise wird Narzissmus genannt. Rohrlich (1984) betont, dass alle Menschen über narzisstische Züge verfügen und dies völlig normal sei, schließlich seien die selbst erschaffenen Produkte und Verkäufe das sinnbildhafte Spiegelbild der betroffenen Person. (Rohrlich, 1984, S. 171) Narzissten, die ihre Arbeit mehr lieben als sie andere Dinge oder Menschen lieben können und Arbeitsgegenstände als Sexualobjekt betrachten, sind Personen, die einfach nicht lieben können und davon beherrscht werden. Sie können lediglich den Arbeitsprodukten selbst ein Gefühl wie Liebe zuordnen, aber nur mit dem egoistischen Verlangen, Herr über die Quelle zu sein und sie zu manipulieren, ohne etwas zu geben. Versicherungspolicen, Aktienverkäufe und Verkaufsvorschüsse sind ihnen am wichtigsten. Häufig gebe es Verbindungen zu frühkindlichen, verstörenden Erlebnissen, wodurch die Betroffenen verunsichert sind. Durch das exzessive Arbeiten gleichen sie diese Schwachstelle aus. Rohrlich (1984) beschreibt einen Versicherungsmanager mittleren Alters, für den der Sex mit seiner Partnerin immer eine Leistung gewesen sei, die gemessen und bewertet werden muss. Es komme lediglich darauf an, wie der Orgasmus verlaufe, Gefühle seien fehl am Platz. Der Drang in allen Lebenslagen seine kognitive Arbeitshaltung einzunehmen verfolgt ihn in jeder Lebenslage und hat für ihn Methode mit System. „Hinter dem Arbeitszwang dieses Mannes steckte die unbewusste Furcht vor dem Verlust persönlicher Grenzen in einer liebevollen Intimität. Das greifbare Erlangen definierter Ziele erhöhte sein Identitätsgefühl. Er war seine Erfolge, und nur seine Erfolge.“ (Rohrlich, 1984, S. 175)

Die zuvor erwähnten Typen der Arbeitssucht suchen häufig von selbst nach Hilfe, die narzisstischen Arbeitssüchtigen hingegen niemals, schon gar nicht aus intrinsischen Motiven. Sie behaupten, sie seien zufrieden sowie sorgenfrei. Probleme gebe es nur aufgrund der fehlenden Anpassungsfähigkeit von Personen in ihrem Umfeld. Ein Gleichgewicht zwischen „Geben und Nehmen“ ist ein Fremdwort, sie wollen ausschließlich „Nehmen“. Auch wenn es für Außenstehende so auszusehen vermag, dass sie sich um die Familie sorgen, täuscht dies. Sie haben Furcht vor einer schlechten Wertigkeit ihrer Performanz und vor fehlender Wertschätzung. Die kleinste Kritik wird als Beleidigung aufgefasst, verärgert sie und führt zur Depressivität. Neben ihrem maßgeschneiderten Schein fühlen sie zwar, Hilfe zu benötigen, jedoch wäre dies eine Schwäche, die sie aus Angst vor Ablehnung überspielen und durch die Flucht in die Arbeit kompensieren. Sie arbeiten am liebsten allein und sind geprägt von einem starken Kontrollzwang. Entspricht jemand in ihrem Umfeld nicht ihrer Vorstellung, wird diese Person zum Arbeitsprojekt gemacht bis zur vollständigen Wiederherstellung dessen Nutzbarkeit. Narzisstische Arbeitssucht entstehe durch psychische Traumata in der Kindheit, wodurch sie im Grunde völlig unsicher geworden sind und binden sich zwanghaft an die Arbeit. (Rohrlich, 1984) James Forrestal, der erste Verteidigungsminister der USA, habe seine krankhafte Mutter-Kind-Beziehung durch die Arbeit kompensiert. Als er jedoch von Präsident Truman als Verteidigungsminister beschnitten wurde, nimmt er sich aufgrund dieser Niederlage das Leben. (L. Morton, 1964), Dass narzisstisch Arbeitssüchtige schlecht bis gar nicht mit Enttäuschungen umgehen können und diese sie zum Kollabieren bringen können, schreibt auch Rohrlich. (1984)

Die Wirtschaftspsychologin Rademacher (2017) unterteilt allein drei Profile von Arbeitssuchttypen. Sie beschreibt den nachgiebigen und selbstverleugnenden Typ, welcher sich unterordnet und die Befriedigung in der Anerkennung von anderen findet. Der aggressive und expandierende Typ will Furcht und Unsicherheit kompensieren. Er braucht das Gefühl, alles kontrollieren zu können. Zuletzt erwähnt sie den resignierten und distanzierten Typ, welcher schädliches Erleben durch sozialen Rückzug, Freiheitsliebe und Konfliktscheue ausgleicht. (Rademacher, 2017) Alle drei Typen verfolgen die Entwicklung eines Arbeitsidealismus, um sich vor selbstwertschädigenden mentalen Verletzungen zu schützen und wollen absolute Perfektion. Rademacher (2017) und Rohrlich (1984) sind sich einig, dass Arbeitssucht in vielen Fällen auf frühkindliches psychisches Erleben zurückzuführen ist. Auch Robinson (2000) beschreibt verschiedene Kategorien von Arbeitssuchttypen. Der rastlose Workaholic arbeitet täglich 24 Stunden, ohne auch nur einen Gedanken an eine Pause zu verschwenden. Die anfallskranken Workaholics seien entweder arbeitswütig oder teilnahmslos, eine Mitte kennen sie nicht. Der Workaholic mit Aufmerksamkeitsdefizit kann sich nicht lang auf eine Sache konzentrieren und benötigt ständig neue Reize. Ohne Arbeitsstress ist er nicht lebensfähig und setzt sich einem absichtlich verursachten Termindruck aus. Der genießerische Workaholic sei genau das Gegenteil zu ihm, er ist ein Perfektionist. Fürsorgliche Workaholics haben ein zwanghaftes Helfersyndrom und fühlen sich machtlos und unwohl, wenn sie nichts für andere tun können. Sich selbst stellen sie dabei völlig zurück. (Robinson, 2000) Der Ursprung des arbeitssüchtigen Verhaltens liege zudem in ungesunden Denkweisen wie perfektionistischem, Alles-oder-Nichts- und Teleskopdenken oder im Denken in unscharfen Grenzen sowie gefälligem, pessimistischem, hilflosem, vorwurfsvollem, ernstem, Wunsch-, Kampf- oder am Äußeren orientierten Denken. Auch Robinson (2000) plädiert dafür, dass die Entstehung der Arbeitssucht auf Erlebnisse in der Kindheit zurückzuführen sei, beispielsweise wenn der Betroffene mit einer sehr guten Note nach Hause kommen muss und anderweitig Konsequenzen drohen. (Robinson, 2000)

In der Forschung der Arbeitssuchttypologie wird Angst häufig als einflussreiches Merkmal auf Arbeitssucht erwähnt. Das Streben nach Erfolg und Leistungsdruck kommt auch nicht zu kurz. Zusammenfassend lässt sich daraus schließen, dass es nicht nur verschiedene Typen von Arbeitssüchtigen gibt, sondern zudem unterschiedliche Motive und Merkmale, welche sich bereits durch die vorangegangene Beschreibung der Arbeitssuchttypologie ableiten lassen. Häufig werden die Motive von bestimmten Erfahrungen in der frühkindlichen Beziehung zu den Eltern genannt. Alle drei Autoren stellen nachvollziehbare Vergleiche der verschiedenen Typenschema zur Arbeitssucht her, jedoch fehlen bis heute empirische Belege für die jeweiligen Typologien.

2.4.3 Erklärungsansätze der Ursachen für Arbeitssucht

Stefan Poppelreuter (2000) beschreibt einige Erklärungskonzepte und -ansätze zur Entstehung von Arbeitssucht. Auf der einen Seite erwähnt er das theoretische Erklärungskonzept, denn es gebe keine einheitliche und von der Allgemeinheit akzeptierte Ansicht zur Arbeitssuchtentwicklung. Bezüglich der Faktoren, welche für die Entstehung einer Sucht verantwortlich sind, herrscht im Gegenteil dazu Einigkeit. Folgende Abbildung beschreibt das Suchtdreieck mit den drei Faktoren, die bei jeder Suchtentstehung vorhanden sind. (Soyka & Küfner, 2008)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Suchtdreieck (eigene Darstellung nach Soyka und Küfner, 2008).

Der biochemische Erklärungsansatz

Wie bereits zuvor durch Johann-Ridinger (2014) nachgewiesen, ist das zentrale Belohnungssystem von starker Bedeutung, denn das emotionale System entscheidet über die Ausschüttung von Neurotransmittern. Die Sequenz der Desoxyribonukleinsäure ist ausschlaggebend für die Begrenzung der Entwicklung von Merkmalen. Ein Neurotransmitter muss sich entwickeln und wird währenddessen von äußeren Reizen und dem Zufall beeinflusst. Er wird beschrieben als ein Endprodukt der Gene, welches für viele Verhaltensweisen ursächlich ist. Die Möglichkeit der Genmanipulation und die Erlernbarkeit jeder Verhaltensweise widerlegt die Erblichkeit von Verhalten. (Birbaumer & Schmidt, 2010) Der Körper des Betroffenen lernt, dass Suchtstoffe direkt über das Blut in das Gehirn wandern, wo sie dann schlussendlich Dopamin ausschütten. Körpereigene Botenstoffe, welche die innere Balance verantworten, kommen dann durcheinander. Um sich wieder gut zu fühlen wird der Suchtstoff erneut benötigt und eine regelmäßige Dosissteigerung ist an der Tagesordnung. (Kestel, 2019) Neben Dopamin gehört auch Adrenalin zu den suchtfördernden Rauschmitteln – hier benötigt der Betroffene den regelmäßigen Kick, ohne von einer Substanz abhängig zu sein. Neurotransmitter wie Serotonin und Glutamat nicht zu vergessen, denn die glutamatergen Schaltkreise seien mitverantwortlich für andauernde Süchte. (Hulka et. al, 2014) Bezugnehmend auf die Arbeitssucht werden Dopamin, Serotonin und Adrenalin durch die passende Arbeitsdosis ausgeschüttet. Der biopsychologische Ansatz erklärt, wie körperliche Abhängigkeit durch chemisch hergestellte Lustgefühle erreicht wird und ohne diese Entzugserscheinungen hervorgerufen werden. Dieser Ansatz gilt eher als erfolglos. (Poppelreuter, 1997)

Der persönlichkeitspsychologische Ansatz

Im Rahmen der Onlinespielsucht, welche wie die Arbeitssucht, eine Verhaltenssucht darstellt, wird mit einer kleinen Stichprobe belegt, dass ein Zusammenhang zwischen schlecht angepasster Persönlichkeitsmerkmale wie negativer Gefühlsempfindung, Distanzierung und Hemmungslosigkeit und der Internet-Gaming-Störung besteht. (Laier, Wegmann & Brand, 2018) Kritisch zu betrachten bei den meisten Studien zur Arbeitssucht sind die sehr geringen Stichproben, welche oft nicht aussagekräftig sind. Zudem fehlen bis heute aussagekräftige vergleichende Forschungsergebnisse von Nicht-Arbeitssüchtigen. (Poppelreuter, 1997) Diese Kritik gilt auch für den soziologischen Erklärungsansatz von Sucht, daher wird dieser nicht weiter berücksichtigt.

Verhaltenstheoretischer Erklärungsansatz

Dieser Erklärungsansatz geht davon aus, dass jedes Suchtverhalten über klassische und operante Konditionierung durch die Reiz-Reaktionsketten erlernbar ist. (Poppelreuter, 2000) „Die Zwei-Prozess-Theorie erworbener Motivation eignet sich besonders zur Erklärung von süchtigem Verhalten, […]. Bei häufiger Wiederholung eines Verstärkers nach einer Reaktion in Gegenwart eines bestimmten Kontextes (Hinweisreize) kommt es zu suchtartigem Verhalten und auch zu Toleranz- und Entzugssymptomen (z. B. jeden Morgen über Jahre Kaffee).“ (Birbaumer & Schmidt, 2010, S. 693) Ausschlaggebend sei hierfür die hedonische Qualität, welche die Dimension an Wohlgefallen, die durch den Reiz auf einer Skala Werte von „extrem lustvoll“ bis zu „völliger Unlust“ ausweist. (Birbaumer & Schmidt, 2010) Hedonismus wird in der Psychologie häufig einzig als lustvolle und egoistische Lebenseinstellung definiert. Betroffene sehen kein Problem darin, Regeln zu brechen oder sich völlig würdelos und schockierend zu verhalten. Hedonismus sei am Vergnügen orientiert, nicht an der Einschränkung von Regeln. (Markgraf & Schneider, 2018) Vergleichbar ist dies mit der operanten Konditionierung, bei der es darum geht, ein bestimmtes Verhalten durch Belohnung (Arbeit) und Bestrafung (Urlaub) einer Person zu erzielen. (Decker, 2018) Dieses endet für Betroffene in einer Zwangsstörung, bei der die Einschränkung des psychosozialen Funktionsniveaus deutlich im Vordergrund steht. Sie haben ein dauerhaftes Verlangen nach einer Tätigkeit oder einer Substanz erlernt. (Zaudig, 2011)

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Ende der Leseprobe aus 73 Seiten

Details

Titel
Der Zusammenhang zwischen Leistungsorientierung und Arbeitssucht bei der Berufsgruppe Versicherungsvermittler
Untertitel
Furcht vor Misserfolg und hohe Erfolgsorientierung - eine ungesunde Mischung?
Hochschule
FOM Hochschule für Oekonomie & Management Hannover
Note
1,8
Autor
Jahr
2020
Seiten
73
Katalognummer
V1032580
ISBN (eBook)
9783346446114
ISBN (Buch)
9783346446121
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Multiple Regression, Statistik, Angst, Versicherung, Erfolg, Provision, Haftung, Versicherungsmakler, Mehrfachagenten, Ausschließlichkeit, Arbeitssucht, Burnout
Arbeit zitieren
Daniela König (Autor:in), 2020, Der Zusammenhang zwischen Leistungsorientierung und Arbeitssucht bei der Berufsgruppe Versicherungsvermittler, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1032580

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