Der Roman von Bruno Apitz "Nackt unter Wölfen" erschien 1958 und wurde bereits fünf Jahre später von der DEFA als Kinofilm umgesetzt. Das Buch fand sofort Anklang und wurde in vielen Schulen der ehemaligen DDR bis 1990 zur Pflichtlektüre erklärt. Selbst die 1963 erschienene Verfilmung blieb den Klassenräumen nicht fern, obwohl es der erste deutsche Film über das Sterben und Leben in einem Konzentrationslager war.
Die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten: Ein Kind kommt im Konzentrationslager Buchenwald an, wird versteckt und von der SS gesucht. Politische Häftlinge werden mit der Verwaltung des Lagers betraut und es existiert eine bewaffnete Widerstandstruppe, das sogenannte Internationale Lagerkomitee, welches sich aus Kommunisten verschiedener Nationalitäten rekrutierte. Doch was machte diese antifaschistische Verfilmung – eine Adaption des Fernsehfilms – so erfolgreich, dass sie sogar im Unterricht gezeigt wurde? Exemplarisch werden auf Grundlage des Spielfilms "Nackt unter Wölfen" (1963) einige Szenen in ihrer chronologischen Abfolge in Anbetracht der Fragestellung, "Warum leistete dieser Ausschnitt einen Beitrag zum Erfolg?", näher betrachtet.
Der Roman von Bruno Apitz „Nackt unter Wölfen“ erschien 1958 und wurde bereits fünf Jahre später von der DEFA als Kinofilm umgesetzt.1 Das Buch fand sofort Anklang und wurde in vielen Schulen der ehemaligen DDR bis 1990 zur Pflichtlektüre erklärt.2 Selbst die 1963 erschienene Verfilmung blieb den Klassenräumen nicht fern, obwohl es der erste deutsche Film über das Sterben und Leben in einem Konzentrationslager war. Die Handlung basiert auf wahren Begebenheiten: Ein Kind kommt im Konzentrationslager Buchenwald an, wird versteckt und von der SS gesucht. Politische Häftlinge werden mit der Verwaltung des Lagers betraut und es existiert eine bewaffnete Widerstandstruppe, das sogenannte Internationale Lagerkomitee, welches sich aus Kommunisten verschiedener Nationalitäten rekrutierte. Doch was machte diese antifaschistische Verfilmung – eine Adaption des Fernsehfilms – so erfolgreich, dass sie sogar im Unterricht gezeigt wurde? Exemplarisch werden auf Grundlage des Spielfilms „Nackt unter Wölfen“ (1963) einige Szenen in ihrer chronologischen Abfolge in Anbetracht der Fragestellung, >Warum leistete dieser Ausschnitt einen Beitrag zum Erfolg?<, näher betrachtet.
Bruno Apitz war selbst acht Jahre im Buchenwald und erlebte das Geschehen dort mit. Nach der Befreiung des Lagers war es sein erklärtes Ziel, seine Gedanken und Erlebnisse als Autobiografie zu verschriftlichen. Es sollte seine Erzählung werden, in der er das Erlebte verarbeitete.3 Der Erfolg des Romans trat ein, weshalb Frank Beyer auf Grundlage des gleichnamigen Romans und in enger Zusammenarbeit mit dem Verfasser den Kinofilm4 produzierte.
„1945. Wenige Wochen vor der Befreiung kommt der Pole Jankowski mit einem Transport ins KZ Buchenwald. Er trägt einen Koffer bei sich, in dem er einen kleinen Jungen versteckt hat. Als die Mithäftlinge und Mitglieder der illegalen Widerstandsgruppe [ILK] den Jungen entdecken, stehen sie vor einer schweren Entscheidung“.5
In einem Koffer wird der kleine Junge in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Es gelingt den Männern, unter anderem den Häftlingen Pippig und Höfel, das Kind lange Zeit versteckt zu halten. Gemeinsam nehmen sie eine große Gefahr auf sich, um ihn vor der SS und damit dem sicheren Tod zu retten. Bereits in diesen Szenen spiegeln Humanität, Menschlichkeit und Fürsorge einen bedeutenden Stellenwert wider und erzeugen beim Zuschauer ein Gefühl der Empathie und des Mitgefühls.
Es sind bereits die ersten zwei Minuten, die beim Betrachten und vor allem beim Zuhören das Gefühl hervorrufen, dass die Welt im Lager – überspitzt betrachtet – erträglich war. Die Häftlinge sollen zum Appell antreten und werden auf ihrem Weg dorthin von freudig klingender Blasmusik begleitet. Das mehrmalige Ab- und korrekte Aufsetzen der Mütze lässt annehmen, dass der Lagerführer in heiterer Stimmung war. Im Anschluss an diese Sequenz werden die Häftlinge an ihren Dienst erinnert. Rückblickend betrachtet erweckt es den Anschein eines Lebens in einem gefängnisähnlichen Zustand. Mit dem gegenwärtigen Wissen sollte die damalige Darstellung von den eigentlichen Grausamkeiten ablenken und die Realität soweit entstellen, dass der Film vorführtauglich war. Im Verlauf des Films identifiziert sich der Zuschauer zunehmend mehr mit dem (kommunistischen) Helden, was wiederum einen Beitrag zum Erfolg leistet.
Der Spielfilm deutet die Situation der Juden im Konzentrationslager Buchenwald lediglich an und fokussiert eine „vorherrschende Harmonie der Häftlingssolidarität“6. Auch das physische Elend der Häftlinge wird vollkommen ignoriert. Das Booklet zur DVD formuliert dazu: „Die Mitglieder der Widerstandstruppe sind gutaussehende, agile Gestalten. Der Russe ist markant, der junge Pole rebellisch, der Anführer ein energischer […] Kommunist“.7 Zudem verzichten Beyer und Apitz im Vergleich zum Fernsehfilm auf „drastische, expressiv gestaltete Gewaltszenen. Folter wird zumeist indirekt inszeniert [und], die Not der Häftlinge […] ausgespielt“.8 Durch das Ausblenden der eigentlichen Schuldfrage erscheint das Grauen erträglicher.
Begleitet von der Blasmusik verlassen unzählbar viele Männer im Gleichschritt das Konzentrationslager ins Ungewisse. Der Zuschauer erfährt das Ziel nicht. Doch mit dem heutigen Wissensstand ist es offensichtlich, dass damit die sogenannten Todesmärsche9 gemeint sind. An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass der Schwerpunkt des Films auf der Zivilcourage sowie dem Zusammenhalt und dem Leben der Häftlinge und nicht auf der authentischen Wiedergabe der damaligen Zustände liegt.
Die Mitglieder des Illegalen Internationalen Lagerkomitees treffen sich heimlich. Ihr erklärtes Ziel ist der organisierte Widerstand. „Wir haben die Verantwortung für die Waffen. Für das Leben von 50000 Menschen. Das ist mehr als die Sorge um ein kleines Kind“.10 Auf menschlicher Seite verdeutlicht Apitz zwar die Sorge um den jüdischen Jungen, doch das Leben aller Gefangenen gerät in den Vordergrund. Das humane Handlungswissen soll für den Zuschauer nicht infrage gestellt werden. Auch in weiteren Szenen gerät der Zwiespalt der Häftlinge – das Abwägen ein Kind zu opfern um dafür einer sehr großen Anzahl an Menschen das Leben zu retten – in den Fokus. Als Zuschauer spürt man die grundsätzlichen Gegensätze zwischen dem politischen Verstand und dem menschlichen Mitgefühl.11 Auch in einem Gespräch zwischen dem Kapo Höfel und Kropinski erhält der Betrachter einen Einblick in die Gefühlswelt eines Gefangenen. Höfel spricht viel über die Angst und berichtete seinem Mitgefangenen von den Waffen. Der innere Konflikt, die Rettung des eigenen Lebens und damit die weitere Organisation des bewaffneten Aufstandes gegen den Verrat des Jungens, soll den Zuschauer spüren lassen, in welcher humanitären Zerrissenheit sich der Häftling befindet. Das Hineinfühlen und Mitfühlen könnte einen Beitrag zum Erfolg des Films geleistet haben, denn bereits Schulkinder lernen erste Ansätze der Empathiefähigkeit. Es ist Beyer gelungen, dieses Spannungsgefühl zu verdeutlichen und dem Zuschauer etliche Situationen darzulegen, die Handlungen und Entscheiden nachzuempfinden. Dies erreicht der Produzent gemeinsam mit Apitz, indem sie die „Spannung zwischen Heroismus und Alltäglichkeit, Mut und Angst, die individuelle Not von Lagerhäftlingen in der sogenannten Häftlingsselbstverwaltung, standhafte Haltung und Schwäche künstlich verdichten“.12
Es ist nicht abzustreiten, dass „Nackt unter Wölfen ein antifaschistischer DDR – Spielfilm13 “ ist. In einer Lüge teilt der Lagerführer dem Lagerältesten den Tod der Gefangenen Höfel und Kropinski mit. Noch in derselben Szene erscheint der Hauptscharführer und spricht eine Morddrohung gegen die eben noch als tot erklärten Personen aus. Die naive Darstellung der SS – Anhänger drückt vermutlich das aus, was die Allgemeinheit über sie denken sollte. Heimann begründet das mit den Worten, dass das Material des damaligen Antifaschismus – Diskurses zur Verankerung im allgemeinen Bewusstsein beizutragen hatte.14
Ein wichtiger Ausschnitt war ein Selbstgespräch des Häftlings August Rose. Er sitzt mit dem Häftling Pippig in der Gefängniszelle der Gestapo. Während der Anhörung seines Kameraden spricht er mit sich selbst und äußert bruchstückhaft über sich: Er ist seit acht Jahren in Buchenwald, mit Buchenwald verband er früher etwas Schönes, Appelle mitten in der Nacht, im Gleichschritt marschieren, der Appellplatz ist ein Schlammsee, Regen wie aus Gießkannen und dabei stehen, schaukeln, frieren, Antreten der Arbeitskommandos, raus aus dem Lager und wieder marschieren im Gleichschritt und dabei ein Lied singen. Bei Roses Verhör gelingt es der Gestapo, das Versteck des Jungen aus ihm heraus zu quälen. In Thomas Heimanns Vergleich mit dem Fernsehfilm wurde August Rose diesmal nicht als >Verräter<, sondern als ein Mann dargestellt, der von langer und zermürbender Haft gezeichnet war.15 An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Handlungen der Inhaftierten einen heldenhaften Charakter annehmen, von der eigentlichen >unmenschlichen Tat< ablenken und damit den Fokus auf den kommunistischen Helden lenken sollen.
Auf der Suche nach dem Jungen zeigt der Film etliche Szenen, in denen nach ihm mit Druck gefahndet wird. Schnell ist klar, dass so der bewaffnete Aufstand, den die kommunistische Widerstandsgruppe plant, in Gefahr gerät. Dennoch wird der Häftling Pippig von der Gestapo verhört. Er schweigt weiterhin diszipliniert, um das Leben des Jungen und das der anderen Mithäftlinge nicht zu gefährden. Später foltert ihn aber die Gestapo und er stirbt. Es ist einer der Ausschnitte, in denen dem Zuschauer die Macht und Vorgehensweise der NS – Regierung und deren Umgang mit politischen Gegnern bewusstwird. Meiner Meinung nach soll dem damaligen Zuschauer nahegebracht werden, wie wichtig das Einhalten der Moral, des Ehrendkodex und des Widerstands ist. Es sind das standhafte Schweigen und das Beschützen der Leidensgenossen, die die kommunistischen Widerstandskämpfer glorifizieren und somit vermutlich einen Einfluss auf den Erfolg gehabt haben könnten. Auch die Angst vor „Verrat unter Folter als moralisches Problem mit politischem Hintergrund“16 wird thematisiert.
Eine Todesliste mit 46 Namen erscheint. Den Häftlingen wird versprochen, dass sie entlassen werden sollen und ihnen nichts passiert. Beim morgendlichen Appell und dem Ausrufen der 46 bestellten Häftlinge stellt die Lagerführung das Fehlen von Personen fest. Das Gemeinschaftsgefühl und der Zusammenhalt der Kameraden sind für das erfolgreiche Verstecken der Männer verantwortlich. Heimann meint dazu, dass die Häftlingsgruppe in dem DEFA-Film in ihrem humanen Handlungswissen geschlossen wirkt.17
Diese humanen Handlungen, die den (kommunistischen) Häftling als Helden kennzeichnen sollen, werden auch im Verhalten des Lagerältesten deutlich. Dieser erhält von der Lagerführung den Auftrag, einen Transport mit 10.000 Mann zusammenzustellen und diesen Befehl an die Blockältesten weiterzugeben. Er verweigert die Aufstellung und schlägt vor, die 46 Versteckten wieder auftauchen zu lassen. Diesmal erscheint der Hinweis eines Lagerführers: Der Amerikaner kommt noch lange nicht und die Verteidigungslinie steht. Der Gebrauch der Lüge verdeutlicht eine angespitzte Lage seitens der Lagerführung. Obwohl der Abtransport der 10.000 Mann verhindert wird, treiben die Lagerwächter knapp 1.000 Menschen aus dem Lager. Der Lagerälteste, Kommunist und Kopf der illegalen Widerstandsgruppe, plant einen konkreten Aufstand. Obwohl das Kind für den Tod eines Kameraden verantwortlich ist, herrscht Zustimmung über das Verstecken des Jungen. Der Hinweis „die Front bewegt sich weiter und die Amerikaner sollen nur noch 12 km entfernt sein“ sorgt für das Weiterplanen des Widerstandes. Währenddessen bereitet die Lagerführung die Evakuierung des Konzentrationslagers Buchenwald vor: „Bis 12 Uhr muss das Lager leer sein“18. Das Antreten um 12 Uhr wird von dem Lager- und den Blockältesten wie abgesprochen verweigert. Das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie der Widerstand gegen die SS erhalten einen hohen Stellenwert in der gezeigten Szene und setzen somit ein deutliches Zeichen als antifaschistischer Spielfilm.
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1 1960 entstand eine Produktion für den Deutschen Fernsehfunk.
2 Vgl. 2 Heimann, Thomas: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S. 47.
3 Vgl. Braungart, Wolfgang: Biographie. In: Klaus Weimar (Hg.): Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 1. Berlin / New York: de Gryter 1997, S. 170.
4 Nackt unter Wölfen. Regie: Frank Beyer. DDR 1963. DVD.
5 Ebd. Einleger Rückseite.
6 Heimann, Thomas: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S. 438.
7 Booklet „Nackt unter Wölfen“, Seite 6.
8 Thomas Heimann: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S. 36.
9 Vgl. Niethammer, Lutz: Der >gesäuberte< Antifaschismus. S. 23.
10 Beyer, Frank: Nackt unter Wölfen. DVD. DDR: DEFA 1963. Ab 0:47:55
11 Vgl. Booklet „Nacht unter Wölfen“, S. 8.
12 Heimann, Thomas: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S.32.
13 https://de.wikipedia.org/wiki/Nackt_unter_Wölfen_(1963), 23.06.2019
14 Vgl. Heimann, Thomas: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S. 9.
15 Vgl. Thomas Heimann: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans., S. 36.
16 Ebd., S 27.
17 Vgl. Heimann, Thomas: Nackt unter Wölfen. Visualisierung eines Gründungsromans. S. 37.
18 Beyer, Frank: Nackt unter Wölfen. DVD. DDR: DEFA 1963, ab 1:41:40.
- Quote paper
- Christine Ploner (Author), 2019, "Nackt unter Wölfen". Essay zum Film, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033194
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