Demokratie-Lernen in der Schule. Bestandsaufnahme, Problematisierung und Lösungsansätze in der Sekundarstufe I (Gymnasium)


Examensarbeit, 2020

130 Seiten, Note: 2,0

Wiebke Möller (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Bedeutung von Demokratie in drei Formen
2.1. Uber die Relevanz von politischem Engagement
2.1.1. Der Begriff der Demokratie von Alexis de Tocqueville
2.1.2. Burgerbild und partizipatorische Demokratietheorie
2.2. Demokratie als Herrschaftsform
2.3. Demokratie als Lebensform
2.3.1. „Demokratie und Erziehung“ bei Dewey
2.3.2. „Staatsburgerliche Erziehung“ bei Kerschensteiner
2.4. Demokratie als Gesellschaftsform
2.4.1. Pluralismus
2.4.2. Offentlichkeit
2.4.3. Konflikt und Konfliktregulierung
2.4.4. Zivil- und Burgergesellschaft
2.5. Warum Demokratie-Lernen?
2.5.1. Politisches Wissen und Argumentieren der Jugendlichen „International Civic and Citizenship Education Study“
2.5.2. Politikverdrossenheit und Demokratieakzeptanz - Die 18. Shell Jugendstudie: „Jugend 2019“
2.5.3. Populismusaffinitat der Jugendlichen- Die 18. Shell Jugendstudie: „Jugend 2019“
2.5.4. Politische Handlungsbereitschaft Jugendlicher - „International Civic and Citizenship Education Study“
2.5.5. Demokratie-Lernen oder Politik-Lernen?
2.6. Zwischenfazit

3. Ziele und Aufgaben der politischen Bildung in der Schule
3.1. Der allgemeine Bildungsauftrag
3.2. Der Bildungsauftrag des Politikunterrichts
3.3. Die Burgerleitbilder das Ziel des Politikunterrichts

4. Bestandsaufnahme
4.1. Institutionelle und strukturelle Voraussetzungen
4.2. Interview-Studie mit Politikreferendaren - wie wird Demokratie-Lernen in der Schule gefordert?
4.2.1. Vorbereitungen und Datenerhebung der Befragung
4.2.2. Datenauswertung und Ergebnisse bzw. Interpretation der Ergebnisse
4.3. Partizipationsmoglichkeiten der Schuler in der Schule

5. Demokratie-Lernen im Unterricht
5.1. Grundsatzliche Aspekte des Demokratie-Lernens
5.1.1. Lernen von Beziehungen
5.1.2. Die Politiklehrkraft
5.1.3. Handlungsorientierung
5.1.4. Der Klassenrat ein Beispiel fur die Schulermitbestimmung
5.2. Ausgewahlte Ansatze des Demokratie-Lernens
5.2.1. Das Konzept von Gerhard Himmelmann
5.2.2. Das BLK-Projekt .Demokratie lernen und leben“
5.2.3. Civic Education - Burgerbildung bei Anne Sliwka
5.2.4. .Eigenverantwortliches Arbeiten und Lernen“ (EVA)

6. Ausgewahlte Projekte fur das Demokratie-Lernen
6.1. Beispiele fur den Unterricht
6.1.1. Planspiele
6.1.2. .Jugend debattiert“
6.1.3. .Achtung (+) Toleranz“
6.2. Beispiele fur die gesamte Schule
6.2.1. Das Forderprogramm Demokratisch Handeln
6.2.2. Das Projekt .Schule als Staat“
6.3. Projekte mit auBerschulischen Kooperationen
6.3.1. Die Politikwerkstatt am Beispiel .Das DEUREX-Projekt“
6.3.2. Praventionsprogramme am Beispiel „Lass und reden!“ - .Respekt Coaches“
6.3.3. Das naturwissenschaftliche Schulerforschungszentrum Nordhessen (SFN)

7. Fazit/Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Anhang

I. Fragebogen

II. Transkriptionen der Interviews

a) Transkription Interview 1

b) Transkription Interview 2

c) Transkription Interview 3

III. Zusammenfassungen der einzelnen Interviews

a) Zusammenfassung Interview 1

b) Zusammenfassung Interview 2

c) Zusammenfassung Interview 3

Gender Erklarung

1. Einleitung

Demokratie-Lernen ist essenziell fur das Leben in der Demokratie. Jedoch ist in den letzten Jahren - besonders in diesem Jahr, seitdem die Corona-Pandemie herrscht - festgestellt worden, dass rechtspopulistische Stromungen, Hetzen, Beleidigungen und „Fake-News“ im offentlichen Diskurs zunahmen. Zudem stieg auch die Gewaltbereit- schaft bei Demonstrationen, zum Beispiel von den „Querdenkern“, sichtlich an. Daher stellt sich die Frage, ob die demokratische Kultur sowie die Demokratie als Staatsform in Deutschland in Gefahr ist. Dementsprechend entwickelt sich die Forderung an Schu- len, dass diese ihren Erziehungsauftrag - Demokratie zu lehren und zu erfahren - ver- starkt auszufuhren haben. (vgl. Nickel, 2016, S. 8). Es ist jedoch Alltag, dass das Enga­gement der Schuler innerhalb der Politik niedrig ist, auch wenn diese politisch selbst betroffen sind. Nur ein kleiner Anteil der Schulerschaft in Deutschland engagiert sich in der Politik - zum Beispiel an den „Fridays for future“ Demonstrationen.

Aufgrund dieser bereits genannten Grunde bezieht sich diese Arbeit auf die Fragen, in- wieweit Demokratie in der Schule erlernt werden kann, sodass sich demokratische Le- bensformen entwickeln und welche schulpadagogischen und didaktischen Vorschlage bedeutsam fur das Demokratie-Lernen sind. Zudem ruckt auch die Beurteilung der Poli- tikreferendare - in ihrer Schule - uber das Demokratie-Lernen in den Fokus. Bevor die Thematik Demokratie-Lernen im konstitutionellen Kontext der Schule besprochen wer- den kann, muss zu Beginn geklart werden was Demokratie uberhaupt ist bzw. bedeutet. Hierfur wird das Konzept von Gerhard Himmelmann herangezogen, der Demokratie in drei Ebenen unterteilt, der Demokratie als Herrschafts-, Lebens- und als Gesellschafts- form. Dies sind auch die drei Ebenen des Demokratie-Lernens und fester Bestandteil dieser Arbeit. Nicht nur der Demokratiebegriff muss erlautert werden fur diese Arbeit, sondern auch, wieso besonders das Demokratie-Lernen in der Schule von Bedeutung ist. Hierfur werden Ergebnisse von zwei Jugendstudien herangezogen, um die aktuellen politischen Ansichten und Handlungsbereitschaften der Jugendlichen darzulegen und die Relevanz der Thematik „Demokratie-Lernen“ zu verdeutlichen.

Im dritten Kapitel dieser Arbeit wird darauf eingegangen, inwiefern das Demokratie-Ler- nen bereits im allgemeinen Bildungsauftrag der Schulen verankert ist und gefordert wird. Hierbei wird besonders der Politikunterricht genauer betrachtet und dessen Ziele, welche mit den Burgerleitbildern begrundet werden. Hierbei soll deutlich werden, dass die Zu- standigkeit der Schule ist, Demokratie den Schulern naher zu bringen und zugleich das Demokratie-Lernen zu fordern.

Im weiteren Kapitel wird eine Bestandsaufnahme vorgenommen uber den Zustand der demokratischen Bildung in den Schulen. Es wird dargelegt, was der derzeitige Stand- punkt, bezuglich des Demokratie-Lernens, in den Schulen ist und ob das Demokratie- Lernen tatsachlich stattfindet, oder ob eine groBe Diskrepanz zu dem Ideal des Demo- kratie-Lernens besteht. Hierbei flieBt eine eigens erarbeitete Interviewstudie ein, in der zu Beginn Fragebogen ausgeteilt und danach Interviews mit drei Politikreferendaren durchgefuhrt wurden. Es wurde herausgearbeitet, auf welchem Stand die Schulen bei dem Demokratie-Lernen sind und wie diese dies fordern. Zudem wird in den Fokus ge- nommen, was die Politikreferendare unter dem Demokratie-Lernen, innerhalb dem Insti- tut Schule, verstehen. Ebenfalls werden in diesem Kapitel die Partizipationsmoglichkei- ten der Schuler, die sie innerhalb der Schule besitzen, aufgezahlt sowie beleuchtet.

Das funfte Kapitel handelt von dem demokratischen Lernen im Unterricht, da mogliche Losungsansetze vorgestellt werden sollen. Dafur wird das Kapitel in zwei Abschnitte ge- teilt: Der erste befasst sich mit den Aspekten des Demokratie-Lernens, welche im Un- terricht bestand haben sollten und der zweite stellt ausgewahlte Konzepte des Demo- kratie-Lernens vor.

Das letzte Kapitel des Hauptteils bezieht sich auf Beispiele aus der Praxis, da dies Mog- lichkeiten zur Umsetzung im Unterricht sein konnten. Dafur wird das Kapitel in drei Ab- schnitte unterteilt, da es drei verschieden Herangehensweisen gibt, um Demokratie-Ler- nen in der Schule sowie im Schulleben durchzufuhren. Der erste Teil weist Projekte auf, die besonders im Politikunterricht durchgefuhrt werden konnen und von Bedeutung sind. Der zweite Teil zeigt Projekte auf, welche sich auf die ganze Schule beziehen sowie auf alle Schuler. Der dritte Teil stellt Projekte vor, die in Kooperation mit auBerschulischen Initiativen - wie Lernorte, etc. - moglich sind. Diese Projekte und Methoden werden auf ihre Durchfuhrbarkeit im Schulunterricht untersucht. Sollte in der Arbeit von dem Institut Schule gesprochen werden, so haben die gewonnenen Erkenntnisse fur alle Schularten- und stufen Gultigkeit. Trotz dessen liegt der Fokus auf der Sekundarstufe I, da diese genug Diskussionsmaterial fur eine Untersuchung bietet. Deswegen ist die hauptsachli- che Zielgruppe der dargestellten Konzepte, Methoden und Projekte die Schuler der Se- kundarstufe I.

Am Ende dieser Arbeit werden alle wichtigen Aspekte der Projekte und Methoden zu- sammengefasst und die Leitfragen erneut beantwortet. Zudem werden mogliche Hand- lungsvorschlage fur den Politikunterricht dargelegt, die das Demokratie-Lernen fordern sollen. Die Wiederholungen innerhalb der Arbeit sind beabsichtig, um die bedeutsamen Aspekte des Demokratie-Lernens zu betonen sowie zu verdeutlichen.

2. Die Bedeutung von Demokratie in drei Formen

Damit im spateren Teil der Arbeit das Demokratie-Lernen analysiert werden kann und dadurch Losungsansatze unterbreiten zu konnen, ist es von Bedeutung zunachst den Begriff der .Demokratie“ zu definieren.

Der Begriff Demokratie entstammt aus den griechischen Wortern .demos“ (Volk) und .kratein“ (herrschen, Macht ausuben) und bedeutet die .Herrschaft des Volkes“ (vgl. Marker, 2009, S. 64). Dies sagt aus, dass die Herrschaft des Landes vom Volk ausgeht und zum Wohle des Volkes angewendet wird. Die Idee der .Herrschaft des Volkes“ ent- wickelte sich bereits in der Antike. Seitdem bildeten sich unzahlige Formen der Demo­kratie heraus (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 19). Eins haben alle Formen der Demokratie gemeinsam, das Prinzip der politischen Gleichheit, welches die Durchsetzung der Staatsherrschaft fur alle Burger befurwortet und auf dem Willen der Wahler oder zumin- dest dem entscheidenden Teil der Wahler basiert. Dies erfordert, dass der .Herrscher“ gegenuber den .Regierten“ rechenschaftspflichtig ist. (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 20) Trotz dessen uberwiegen die Unterschiede, da der Begriff .Demokratie“ viel umfassen kann, wie zum Beispiel die Burgergesellschaft, das soziale Lernen, Toleranz, Regierungsformen, Pluralismus, politische Bildung und Reife. Wodurch sich vielfaltige Interpretationen entwickeln konnen. Es treten immer wieder Fragen nach dem Zweck von Demokratie (Kontrolle der politischen Herrschaft oder Garantie eines selbstbestimm- ten Lebens unter politischer Herrschaft), nach der Rolle des Einzelnen (gegensatzliche Interessen, zum Verhaltnis von Mehrheit und Minderheit) sowie nach dem Volk (wer be- stimmt, wer darf das entscheiden, welche Rechte und Pflichten gibt es) auf (vgl. Burk, 2003, S. 14f).

Da in dieser Arbeit die Prioritat auf das Demokratie-Lernen liegt, kann keine umfassende Darstellung der verschiedenen Formen der Demokratie geleistet werden.

Um nach Himmelmanns Demokratiekonzept eine Referenz fur das Demokratie-Lernen im Kontext der Schule zu schaffen, wird der Begriff der Demokratie in drei Bereiche un- terteilt: .Demokratie als Herrschaftsform“, .Demokratie als Lebensform“ und .Demokratie als Gesellschaftsform“. (siehe Himmelmann, 2001) Um das schulische Demokratie-Ler- nen zu analysieren und Losungsvorschlage anzubieten, scheint diese dreidimensionale Unterteilung am naheliegendsten, was die nachfolgenden Kapitel ebenfalls begrunden und die Einteilung aus politikwissenschaftlicher Sicht stutzen.

2.1. Uber die Relevanz von politischem Engagement

Es wird deutlich, wenn der soeben genannten Definition von Demokratie gefolgt wird, welche Verantwortung und welchen Einfluss jeder Burger im Staat tragen sollte, um zum Erfolg der Demokratie beizutragen. „Die Demokratie lebt wie keine andere politische Herrschaftsform von der Beteiligung der Burgerinnen und Burger an der politischen Mei- nungs- und Willensbildung und am politischen Entscheidungsprozess.“ (Meyer, 2003, S. 153) Wahlen, die periodisch wiederkehren, sind die sichtbarsten Beteiligungsformen, denn in ihnen liegt die Mindestanforderung an die Burger. Jedoch geht es nicht nur um das Wahlen an sich, sondern vielmehr um die politische Meinungsbildung der Burger. Verschiedene Vertreter der Theorie der partizipativen Demokratie sind der Ansicht, dass die Moglichkeiten der Burgerbeteiligung nicht durch Abstimmungen ausgeschopft wer- den, sondern dass die weitreichenderen Anforderungen an die Burgerbeteiligung als Vo- raussetzung der Demokratie angesehen werden.

2.1.1. Der Begriff der Demokratie von Alexis de Tocqueville

1835 und 1840 erschien das zweibandige Werk von Alexis de Tocquevilles „De la De- mocratie en Amerique“, das bis heute die Diskussion in verschiedenen Fachwissen- schaften mit seiner politischen, geographischen, soziologischen und historischen Ana­lyse der ersten modernen Massendemokratie pragt (vgl. Schmidt M. G., 2019, S. 102). Ein zentrales Prinzip der modernen Demokratie ist fur Tocqueville die „gegenseitige Be- dingtheit von politischer Freiheit und Gleichheit“ (Nolte, 2012, S. 180). Fur Tocqueville ist die Freiheit von existentieller Bedeutung, denn sein Freiheitsbegriff „stellt einen An- spruch an das Individuum; die Wahrnehmung der Freiheit ist eine Pflicht.“ (Freund, 1974, S. 28) Tocquevilles Auffassung von Demokratie und Freiheit kann als Gleichheit der po- litischen Rechte verstanden werden (vgl. Freund, 1974, S. 28), da sie politische Partizi- pation, das Recht auf Ko-Herrschaft oder zumindest das Recht auf Wahl der eigenen Regierung umfasst (vgl. Waschkuhn, 1998, S. 231).

Tocqueville sieht als ein entscheidendes Bindeglied zur Vermittlung zwischen den unterschiedlichen Interessen innerhalb der Gesellschaft und zwischen Staat und Gesellschaft die Vereine, denn durch diese entstehen gesellschaftliche Aktivitaten, in denen die Interessen und Konflikte der Burger gesammelt und gewaltfrei ausgehandelt werden konnen (vgl. Schmidt, 2007, S. 168). Zudem sei es wichtig, dass sich die Burger und Burgerinnen auch zwischen den Wahlen politisch engagieren sowie politisch aktiv werden, was auch durch die Vereine passieren/beeinflusst werden kann (vgl. Krause, 2017, S. 81). Das Prinzip der Demokratie ist fur Tocqueville das Interesse der Burger, da sich diese Burger fur ihre eigenen, von ihnen selbst erfahrenen Probleme und dessen Losungen am meisten interessieren (vgl. Waschkuhn, 1998, S. 232). Gefordert wird dies dadurch, dass die Burger politische Teilhaberechte genieBen und in offentlichen Ange- legenheiten direkt mitentscheiden konnen (vgl. Schmidt, 2007, S. 171f). Laut Tocqueville sollen die Burger zu einem aktiven, verantwortungsvollen Gesellschaftsmitglied erzogen werden. Dies soll durch verschiedene politische, kulturelle und gewerbliche Einrichtun­gen geschehen, die ihm bei seinen Beobachtungen in den USA aufgefallen sind. Damit tragen diese Einrichtungen dazu bei, die Demokratie am Leben zu erhalten (vgl. Hereth, 2001, S. 56).

2.1.2. Burgerbild und partizipatorische Demokratietheorie

In der politischen Bildung fungieren Burgerleitbilder als Zielmarken fur die Bildungsarbeit (vgl. Detjen, 2017, S. 286). Es werden von den Burgern ein hohes MaB an Kompetenzen verlangt, die - je nach Beteiligungsgrad - unterschiedlich ausgepragt sein mussen. Je- doch ist umstritten, in welchem AusmaB diese Kompetenzen bei den Burgern und Bur- gerinnen bereits vorhanden sind, oder erst noch erlernt werden mussen (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 257). Alle Vertreter sind sich einig, dass die politische Bildung bei ihren Burgern Einstellungen und Handlungsbereitschaft wecken soll, „die in Kongruenz zum politischen Gemeinwesen stehen.“ (Detjen, 2017, S. 286) Ebenfalls von Bedeutung ist, dass die Burger in einer Demokratie zu mundige, selbstbewusste und kritische Burger erzogen werden mussen. Hierfur gibt es eine Anzahl von Kompetenzen, die erlernt wer- den mussen wie die soziale Interaktionsfahigkeit, eigene Meinungs- und Urteilsbildung, Gesprachs- und Diskussionsfahigkeit, Interesse am Gemeinwohl sowie Fahigkeiten zur AuBerung von Interessen (vgl. Detjen, 2017, S. 286). Die Vertreter der partizipatorischen Demokratietheorie wollen, dass sich die politischen Partizipationsmoglichkeiten erwei- tern. Es gibt unterschiedliche Auffassungen wie die Erweiterung der Partizipationsmog- lichkeiten aussehen soll (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 255f).

Die partizipatorische Demokratietheorie hat viele Kritiker, da sie „zu normativ und zu wenig erfahrungswissenschaftlich abgesichert“ (Schmidt M. G., 2000, S. 261) ist. Auch, dass die Anspruche an diese gewunschte Burgergesellschaft zu hoch und unrealistisch seien, wird kritisiert, da die Kritiker meinen, dass eine zu hohe Beteiligung der Burger die vorhandene Demokratie destabilisieren konnte, weil eine Politisierung des offentli- chen Lebens weit in die Privatsphare des einzelnen Burgers vordringen konnte (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 138ff). Trotz dessen wird in dieser Arbeit die partizipatorische Demokratietheorie angesprochen, da sie den Grundgedanken dieser Arbeit wiederspie- gelt. Die Grundkonzeption der Theorie besteht darin, dass die Demokratie nicht nur als Herrschaftsform verstanden wird, sondern als ein gesellschaftliches Miteinander, indem das Leben und der Umgang mit anderen, demokratisch organisiert ist. Aus padagogi- scher Sicht kann die Verringerung des Unterschieds zwischen Idealzustand und Realitat als Chance und Zielsetzung gesehen werden.

2.2. Demokratie als Herrschaftsform

Da es sich in dieser Arbeit um die gangigen formalen Kennzeichen der Demokratie han- delt, fallt der Abschnitt uber .Demokratie“ kurz aus.

Demokratie ist eine Form der Regierungsfuhrung, bei der sichergestellt wird, dass die Burger durch freie, wettbewerbsfahige und faire Verfahren (wie Wahlen) an der Beset- zung politischer Entscheidungspositionen (und / oder an der Entscheidungsfindung selbst) teilnehmen, damit alle Burger das Recht auf Autonomie und Selbstbestimmung haben. Und um die Moglichkeit zu gewahrleisten, den politischen Prozess nachhaltig zu beeinflussen und die Kontrolle uber die politische Herrschaft im Allgemeinen zu gewahr- leisten (vgl. Lauth, 2006, S. 96). Eine Voraussetzung dafur ist die Gewahrleistung der Menschen- und Burgerrechte (vgl. Himmelmann, 2007, S. 7; vgl. Himmelmann, 2006, S. 75f). An dieser Stelle muss betont werden, dass es ohne Demokratie als Lebensform und Demokratie als Gesellschaftsform keine Demokratie als Herrschaftsform geben kann. Im Gegenteil, wenn es keine Demokratie und die Unterstutzung des Systems und der Verfassung gibt, kann eine Gesellschaft nicht demokratisch leben (vgl. Himmelmann, 2001, S. 190). Die Wichtigkeit der Kenntnisse uber die formalen Kriterien der Demokratie ist nicht zu uberschatzen und es muss beim Demokratie-Lernen vor allem auf eine Ver­bindung der drei Ebenen hingewiesen werden.

Wenn Demokratie-Lernen in der Schule gefordert wird, muss die Interaktion zwischen Institutionen, die ein rechtliches und wirksames Verantwortungssystem darstellt, voll- standig verstanden und anerkannt werden (vgl. Himmelmann, 2001, S. 191). Daher mussen neben dem Wissen uber die Institutionen die Mechanismen und Prozesse von Macht und Herrschaft erkannt und nachvollzogen werden konnen, um Demokratie als Staatsform akzeptieren zu konnen. Somit bildet die Ebene der Demokratie als Herrschaftsform den eigentlichen politischen Kern des Demokratie-Lernens.

2.3. Demokratie als Lebensform

Das Konzept der Demokratie als Lebensform geht auf die altgriechische Polis zuruck, in der es die Pflicht eines jeden Burgers war, offentliche Amter zu besetzen und an Volksversammlungen - die alle wichtigen Angelegenheiten zu entscheiden hatten - teil- zunehmen. Fur die Aristotelische Lehre ist die Demokratie in erster Linie eine Staatsform (vgl. Schmidt M. G., 2000, S. 34). Dennoch muss die Auffassung vertreten werden, dass die Demokratie mehr als das ist, da sie ebenfalls mit der Gesellschaft und mit der Le- bensart ihrer Burger und Burgerinnen in enger Verbindung steht. Eine Demokratie, die nur auf formalen Regelungen beruht, sich ausschlieBlich auf eine Verfassung stutzt und nicht den ideellen Ruckhalt ihres Volkes genieBt, konnte scheitern (und wurde dies wahr- scheinlich mussen). Das Beispiel der Weimarer Republik weist auf, dass dies zum Schei- tern fuhrt.

Die Bezeichnung „Demokratie als Lebensform“ hat sich in der Politikwissenschaft bisher nicht durchsetzen konnen, obwohl diese Erkenntnisse nicht neu sind und sie in der Nach- kriegszeit eine groBe Rolle gespielt haben (vgl. Himmelmann, 2001, S. 40). Seit Him- melmanns Arbeit erfreut sich die Fachdidaktik uber die Diskussion der Begrifflichkeit mit allergroBter Beliebtheit. Himmelmann selbst verweist darauf, dass die Bezeichnung in verwandten Wissenschaften oft gebraucht wird, wie zum Beispiel in der padagogischen Psychologie, in der neueren padagogischen Reformbewegung oder in der Philosophie (vgl. Himmelmann, 2002, S. 28).

Wesentliche Inhalte der „Demokratie als Lebensform“ sind, laut Marker:

„Autonomie, Selbststandigkeit und Selbstverantwortung der Einzelnen, zwischen- menschliche Gleichberechtigung, Respekt und Achtung, Toleranz und Anerkennung des anderen (des Fremden), Kooperation zu gemeinsamen Zwecken, Aufgeschlos- senheit, Verantwortung und Engagement fur Belange der Offentlichkeit, Diskurs-, Kompromiss- und Konfliktfahigkeit, freiwilliges Eintreten fur die Werte und Prinzipien der Demokratie.“ (Marker, 2009, S. 89)

In einer Arbeit, die sich wie diese mit fachdidaktischen und schulischen Problemen be- fasst, muss immer wieder versucht werden, komplexe Sachverhalte der Fachwissen- schaft auf eine Ebene zu reduzieren, die der schulischen Realitat gerecht werden kann. Hierzu ist es auch notwendig, andere Wissenschaften in die Uberlegungen mit einzube- ziehen. Im Folgenden soll der Aspekt „Demokratie als Lebensform“ aus Sicht der politi- schen Padagogik betrachtet werden.

2.3.1. „Demokratie und Erziehung“ bei Dewey

John Dewey, ein amerikanischer Padagoge, Psychologe und Philosoph, lebte von 1858­1952 und arbeitete als Lehrer und Universitatsprofessor. Er pragte den Begriff „Demo- kratie als Lebensform“, indem er auf die Notwendigkeit eines praktischen Demokratie- Lernens hinweist (vgl. Marker, 2009, S. 69f). Er kann als einer der wichtigsten Begrunder eines radikaldemokratischen Erziehungsverstandnisses im 20. Jahrhundert gelten (vgl. Neubert, 2008, S. 221).

In seiner 1916 erschienen Arbeit „Demokratie und Erziehung“ weist Dewey darauf hin, dass Erziehung die Demokratie beeinflusst und stellt ausfuhrlich dar wie seine Vorstel- lungen zu einer Erziehung zur Demokratie aussehen (vgl. Neubert, 2008, S. 229). Denn im Unterschied zu vielen anderen Vertretern der internationalen reformpadagogischen Bewegung - zur Zeit Deweys - hat Dewey ein Konzept von Erziehung entworfen, welches konsequent am Demokratiegedanken ausgerichtet ist und „sich jedem Versuch einer Vereinnahmung durch autoritare bzw. totalitare Ideologien widersetzt“ (Neubert, 2008, S. 229). Wie keinem anderen Reformpadagogen geht es Dewey darum, eine Theorie der Erfahrung zu konzipieren, „die das Fundament fur eine Erziehung durch und fur Er- fahrung und ein entsprechendes Lehren und Lernen bilden kann.“ (Woll, 2011, S. 52) Dabei geht er von den Burgern und ihrem Handeln aus und nicht vom Staat, denn der Staat ist ein Bereich, „in dem Akteure in Interaktion treten und Probleme gemeinsam gelost werden.“ (Adloff, 2005, S. 47) Somit besteht fur Dewey die Demokratie aus einem wechselseitigen Zusammenhang aus Handeln und Erfahrung (vgl. Beutel & Fauser, 2013, S. 39).

Dewey behauptet, dass Erziehungstheorien, „die unter fruheren sozialen Verhaltnissen formuliert wurden“ (Dewey, 1964, S. 5), immer noch angewandt wurden und damit „die volle Verwirklichung des demokratischen Ideals beeintrachtigen.“ (Dewey, 1964, S. 5) Wie dieses „demokratische Ideal“ aussehen konnte, beschreibt er spater folgendermaBen: „Die Demokratie ist mehr als eine Regierungsform; sie ist in erster Linie eine Form des Zusammenlebens, der gemeinsamen und miteinander geteilten Erfah- rung.“ (Dewey, 1964, S. 121) Deweys Grundelemente und Merkmale einer demokrati- schen Gesellschaft - das „demokratische Ideal“ - zeichnen sich fur ihn durch Freiheit, Gleichheit und Uberwindung von Individualismen aus. Ebenso ist die „demokratische Idee“ durch eine Vorstellung von einer Weltdemokratie gekennzeichnet, jedoch bestimmt er den demokratischen Endzustand nicht, der vorausgestellt werden musste, um alle Handlungen danach auszurichten. (Roken, 2011, S. 62) Aus den Grundelementen und Merkmalen des „demokratischen Ideals“ zieht Dewey die Konsequenz fur die Erziehung, dass Demokratie nicht nur in der Theorie gelernt werden musse, sondern sie musse durch Handeln erfahren werden. Dabei soll den Lernenden die Moglichkeit gegeben wer- den, durch eigene Erfahrungen und Handlungen sowie durch Partizipation und Teilhabe an Aktivitaten und Projekten „zu einer umfassend selbststandigen und selbstbestimmten Entwicklung ihres Lernens zu gelangen“ (Neubert, 2008, S. 221). Dieser handlungsorientierte Ansatz liegt vielen der spater vorgestellten Projekte zugrunde. Doch bevor auf die Projekte naher eingegangen wird, werden die Erziehungsziele be- trachtet, die fur Dewey eng mit der Entwicklung zum demokratischen Burger zusammen- hangen.

Dewey sieht die Erziehung als eine soziale Notwendigkeit und Funktion, .ohne die der Fortbestand des sozialen Lebens nicht gewahrleistet ware, weil immer neue Individuen durch die Geburt in das Leben treten und existierende Individuen durch den Tod aus dem Leben scheiden.“ (Retzl, 2014, S. 54) Somit wird Erziehung zu einem Werkzeug des Fortbestands der Erfahrung, der Gesellschaft bzw. des sozialen Lebens (vgl. Retzl, 2014, S. 54). Zusatzlich sei ein weiteres Ziel demokratischer Erziehung die burgerliche Werte. .Hierher gehort eine groBe Reihe von Merkmalen - von denen, die einen Men- schen zu einem angenehmen Gesellschafter machen bis zu den Eigenschaften des gu- ten Staatsburgers im politischen Sinne.“ (Dewey, 1964, S. 163) Jedoch gibt Dewey wenig Informationen zum .guten Staatsburger im politischen Sinne“ und zum .demokratischen Ideal“. Er erwahnt lediglich die Fahigkeit, Gesetze zu schaffen, sie zu achten und sich daran zu halten (vgl. Dewey, 1964, S. 163). Ebenfalls fordert er neue Lernformen - wie zum Beispiel den Projektunterricht - aber auch neue Reformen. Er fordert, dass die Schuler die Moglichkeit erhalten sollen, auBerhalb der Schule „aktiv an der Losung sozialer Probleme mitzuwirken.“ (Adloff, 2005, S. 45) Heute ist uns diese Forderung unter dem Begriff Service Learning bekannt (vgl. Adloff, 2005, S. 45). Die Schule an sich sieht Dewey als ein soziales Organ, wo jeder die Gelegenheit findet .die Beschrankungen seiner sozialen Herkunft zu uberwinden und in Beruhrung mit einer breiten Umgebung kommen.“ (Beutel & Fauser, 2013, S. 41)

Bei .Demokratie und Erziehung“ handelt es sich in erster Linie um ein padagogisches Werk, welches nicht im Kern auf eine politikwissenschaftliche oder -didaktische Erkla- rung hinarbeitet. Deswegen kann eine weitere Vertiefung der Betrachtung des Schaffens von John Dewey an dieser Stelle ausbleiben. Die Kernaussagen und Gedanken, die fur die Arbeit bedeutsam sind, wurden herausgearbeitet und lassen erkennen, welchen gro­Ben Wert die Arbeit des Padagogen hat. Diese werden an dieser Stelle auf zwei zentrale Aspekte zusammengefasst:

- Lernen kann nicht gesteuert werden, sondern muss die Lernenden und deren Inte­ressen im Mittelpunkt haben; Lernen muss durch Erfahrungen praktiziert werden.
- Demokratie muss gelernt werden durch die Einubung demokratischer Gesell- schaftsformen, die sich durch alle sozialen Bereiche des Lebens ziehen, da diese eine Grundvoraussetzung fur das menschliche Miteinander ist.

Einen ahnlichen Ansatz - Demokratie als Lebensform zu begreifen - vertritt auch Georg Kerschensteiner. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.

2.3.2. „Staatsburgerliche Erziehung“ bei Kerschensteiner

Georg Kerschensteiner (1854-1932) - ein deutscher Padagoge - wurde bekannt durch seine Schrift „Der Begriff der staatsburgerlichen Erziehung“ und schloss sich in vielen Punkten der (politischen) Padagogik von John Dewey an (vgl. Beutel & Fauser, 2013, S. 42; Himmelmann, 2001, S. 50). Auch er pladiert auf die Notwendigkeit burgerlicher Kom- petenzen, damit eine Demokratie funktionieren kann. Fur eine staatsburgerliche Erzie- hung fordert er nach politischer Partizipation aller Staatsburger, welch er fur eine „natur- liche Voraussetzung“ halt. Somit verlangt Kerschensteiner nach einem mundigen, poli- tisch handelnden Burger (vgl. Adrian, 1998, S. 63). Kerschensteiner ist der Auffassung, dass sich das Staatsleben auf Konflikt und Konsens grundet. Dabei ist wichtig, dass die Trennung von Staat und Gesellschaft nicht im Vordergrund steht, „sondern die Integra­tion beider Spharen unter den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit“. (Adrian, 1998, S. 64) Verantwortung, moralische Tapferkeit, gegenseitige Rucksichtnahme sowie die Einfu- gung und Unterordnung in die Gesellschaft gehoren zu der staatsburgerlichen Erziehung (vgl. Kerschensteiner, 1950, S. 23, 41). Er definiert Erziehung als „Vermittlung und Inter- nalisierung von Kulturwelten, die handlungsleitende Maxime darstellen.“ (Adrian, 1998, S. 66)

Darauf aufbauend erschlieBt sich die Frage, welche Konsequenzen sich fur das Schul- wesen ergeben. Kerschensteiner hat genaue Vorstellung wie seine staatsburgerliche Erziehung in das Schulwesen eingebettet werden kann. Er fordert, dass das Schulleben als ein Modell des Staatslebens darstellt werden muss. Dabei sollen „Grundverhaltnisse, die das soziale Leben im Staat beeinflussen“ (Adrian, 1998, S. 70) auch in der Schule stattfinden. Auch auBerhalb der Schule sollte die staatsburgerliche Erziehung als Ubung in Selbstregulierung, Selbstverwaltung und in lebendiger Arbeitsgemeinschaft durchge- fuhrt werden (vgl. Beutel & Fauser, 2013, S. 43; Himmelmann, 2001, S. 51). Dies soll in Schullaboratorien und Lernwerkstatten gelernt werden, darunter zahlen auch Schulku- chen und Schulgarten. Es handelt sich darum, „mit anderen zu kooperieren und seinen Arbeitsanteil am MaBstab des Ganzen zu relativieren“ (Grammes, 2017, S. 69), denn dadurch werden die Schuler sehr gut fur die Gesellschaft vorbereitet (vgl. Beutel & Fauser, 2013, S. 43; Grammes, 2017, S. 69).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Kerschensteiner dafur pladiert den Schu­ler das Arbeiten in Arbeitsgruppen - also in der Gemeinschaft- zu lehren. Die Schuler sollen - wie bei Dewey - durch Anregungen, Forderung moralischer Urteilskraft, moralischen Handelns und Erfahrungen lernen und die Schule soll sie dabei unterstut- zen (vgl. Adrian, 1998, S. 67; Beutel & Fauser, 2013, S. 43). AuBerdem fordert Ker- schensteiner die Einrichtung von Debattierclubs und Schulversammlungen, damit die Schuler ihre Diskussionsfahigkeit ausbauen bzw. erlernen konnen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 51).

Trotz dessen, dass Kerschensteiners Ansichten sehr fortschrittlich fur seine Zeit sind, muss er in einigen Punkten kritisiert werden, da einige Teile seiner Schrift Merkmale erkennen lassen, die seine demokratischen Gedanken in das Gegenteil wandeln. Ein Merkmal hierfur ware zum Beispiel, dass er die Meinung vertritt, dass das Schulleben uberwacht werden sollte, sodass die Schule ihren guten Ruf bewahren kann. Damit dies eingehalten werden kann, ist er ebenfalls Befurworter von der Drohung von Sanktionen an Schuler sowie von korperlicher Gewalt. „Was immer sich diesem guten Namen als schadlich erweisen mochte, beseitigen sie mit fester Hand.“ (Kerschensteiner, 1950, S. 85)

Trotz der Schwachen der Arbeit von Kerschensteiner ist es dennoch fur diese Arbeit von Bedeutsamkeit, seine Starken herauszuarbeiten: Die Begreifung der Demokratie als Le- bensform. Zudem lieferte er auch weitere positive Ansatze wie das „Demokratie-Be- wusstsein“ und wie es innerhalb des Instituts Schule gestarkt werden kann. Des unge- achtet hat Kerschensteiner herausgestellt, dass es wichtig ist die Demokratie als Le- bensform zu begreifen. Er hat auch Ansatze geliefert, wie das Demokratie-Bewusstsein in der Schule gestarkt werden kann.

2.4. Demokratie als Gesellschaftsform

Die Demokratie als Gesellschaftsform und Demokratie als Lebensform hangen eng mit- einander zusammen. Aufgrund dessen ist es kein einfacher Vorgang zwischen diesen beiden Demokratieformen eine Grenze zu ziehen, da sie sich in vielen Punkten uber- schneiden. Die Demokratie als Gesellschaftsform dient als Vermittler zwischen der Le- benswelt und dem Herrschaftssystem (vgl. Marker, 2009, S. 88). Bei der Demokratie als Gesellschaftsform sollen Kompetenzen erlernt werden, um sich in einer Burgergesell- schaft angemessen zu verhalten. Des Weiteren soll Wissen erworben werden, damit die gesellschaftlichen Prozesse nachvollziehbar werden bzw. sind. Gesellschaft meint, laut Himmelmann „eine Vielfalt, ein Geflecht sehr unterschiedlicher Handlungsfelder. Sie wird gestutzt und untermauert durch spezifische Werte, Traditionen, gemeinsame ge- schichtliche Erfahrungen und spezifische, kulturell verankerte Lebensstile.“ (Himmelmann, 2001, S. 123)

Da eine ausgiebige soziologische Untersuchung des Gesellschaftsbegriffs den Rahmen dieser Arbeit uberschreiten wurde, wird sich auf die wesentlichen Inhalte der Demokratie als Gesellschaftsform beschrankt. Diese wesentlichen Inhalte werden in den folgenden vier Unterkapiteln naher betrachtet. Dazu zahlen der Pluralismus, die Offentlichkeit, Kon- flikt und Konfliktregulierung und zuletzt die Zivil- und Burgergesellschaft (vgl. Himmelmann, 2001, S. 269; Marker, 2009, S. 88; Himmelmann, 2007, S. 7).

2.4.1. Pluralismus

Fur die Betrachtung der Demokratie und insbesondere der Demokratie als Gesell- schaftsform, ist der Begriff des Pluralismus sehr wichtig, da der Begriff des Pluralismus von einer Existenz vieler gesellschaftlicher Interessen, Meinungen, Lebenslagen, Ziele, Einstellungen ausgeht (vgl. Frevel, 2006, S. 62). Frevel behauptet sogar, dass sich De- mokratien dadurch auszeichnen, .dass diese Pluralitat anerkannt und respektiert wird.“ (Frevel, 2006, S. 62) Im Pluralismus geht es darum, dass die Moglichkeit besteht fur seine Interessen eintreten zu konnen und diese zu bewerben und auch zu organisieren (vgl. Frevel, 2006, S. 62f). Dabei sei es von sehr groBer Bedeutung, dass diese Gruppen und Interessenverbande sich selbst organisieren, selbst vertreten und verwalten (vgl. Himmelmann, 2001, S. 129).

Laut Himmelmann bewirken die Vereine und Verbande viel mehr als ein einzelner Burger leisten konnte (vgl. Himmelmann, 2001, S. 132f), denn sie ermoglichen es den Burgern ihre .kulturellen, sportlichen, wirtschaftlichen, religiosen, weltanschaulichen oder politi- schen Interessen in Vereinen, Verbanden, Burgerinitiativen oder Parteien zu vertreten.“ (Frevel, 2006, S. 62f) Des Weiteren ubernehmen die Vereine und Verbande sehr viele und unterschiedliche Aufgaben der Gesellschaft wahr, die der Staat allein nicht bewalti- gen konnte. Durch die offentliche und politische Prasenz der unterschiedlichen Burger- interessen konnen sich die Burger einen Verein, Verband etc. - welcher fur ihre Interes­sen einsteht - anschlieBen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 132f). Der Pluralismus wird in einer modernen Gesellschaft als keine Storung wahrgenommen, er wird als notwendig und unerlasslich fur eine Demokratie angesehen, denn nur so konnen die unterschiedli- chen Interessen, Meinungen, Bedurfnisse etc. in der Gesellschaft wertgeschatzt werden und zu einer politischen Willensbildung beitragen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 129).

Warum der Pluralismus fur das Demokratie-Lernen von groBer Bedeutung ist, wird an dieser Stelle kurz beschrieben.

Neben Zeit, Muhe und Engagement mussen noch weitere Voraussetzungen vorhanden sein, um seine Interessen und Wunsche in der Gesellschaft durchsetzen zu konnen. Seine Interessen und Bedurfnisse artikulieren zu konnen und mit anderen Kompromisse 15 schlieBen zu konnen, zahlen zu den Kompetenzen, die wichtig fur das Demokratie-Ler- nen sind. AuBerdem sollten die Schuler erkennen, dass es in einer Gesellschaft unter- schiedliche Meinungen und Interessen gibt, die man mit Respekt und Toleranz gegen- ubertritt. Jedoch sollten die Schuler ebenfalls lernen mit unterschiedlichen Meinungen beziehungsweise mit Meinungsverschiedenheiten auf einer Basis von Fairness, Achtung und Akzeptanz umzugehen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 138).

2.4.2. Offentlichkeit

Offentlichkeit kann als ein Bereich unseres gesellschaftlichen Lebens verstanden wer- den, der fur alle Burger zuganglich ist und indem die Kommunikation beziehungsweise der Austausch uber Themen, Anliegen und Meinungen - die von allgemeinem Interesse sind - stattfindet (vgl. Drerup, 2020, S. 31; Meyer, 2009, S. 151). Dabei steht die Ver- sammlungs- und Meinungsfreiheit im Vordergrund (vgl. Habermas, 1964, S. 220). Von politischer Offentlichkeit wird gesprochen, wenn sich die Gegenstande der offentlichen Diskussion auf Probleme beziehen, die mit dem Handeln des Staates zusammenhangen. Eine Errungenschaft der Demokratie ist es, dass die Moglichkeit besteht, uber Angelegenheiten des Staates offen zu diskutieren. Die Akteure staatlichen Handelns sind der Offentlichkeit ausgesetzt, da sie ihre Entscheidungen offentlich zu- ganglich machen mussen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 164). Durch Artikel 5 des Grundgesetzes wird den Burgern garantiert, dass sie die Freiheit besitzen sich eine offentliche Meinung zu bilden (vgl. Juchler, 2005, S. 77f). Massenmedien - wie Fernsehen, Radio, Zeitungen und das Internet mit sozialen Medien - versprechen eine groBe/breite Offentlichkeit. Wodurch sie unterschiedliche Ansichten verbreiten und die offentliche Meinung beeinflussen konnen. Voraussetzung fur eine freie Meinungsbildung - durch die Medien - ist eine freie und vielfaltige Medienlandschaft (vgl. Juchler, 2005, S. 81f). Deswegen bringt die neu geschaffene digitale Offentlichkeit Probleme mit sich, da die Burger imstande sein mussen, enorm viele Informationen aufnehmen zu konnen sowie diese zu verarbeiten. Daher wird „eine entsprechende Urteilsfahigkeit bei den Individuen“ (Habermas, 1964, S. 166) vorausgesetzt.

Reale Moglichkeiten und Konsequenzen des Handelns bieten den Schulern die Beschaftigung mit dem Aspekt der Offentlichkeit. Hier wird erneut deutlich, dass verschiedene Meinungen und Interessen in einer Gesellschaft vorhanden sind, in der die Moglichkeit besteht, eigene Anliegen und Meinungen zu auBern. Jedoch mussen die Burger ein gewisses MaB an Artikulationsfahigkeit besitzen. Des Weiteren besitzt die Offentlichkeit eine Kontrollfunktion uber das staatliche Handeln und letztendlich benotigen die Burger einen hohen Grad an Medienkompetenz, um Informationen zu filtern und zu verarbeiten (vgl. Geibel, 2002, S. 197). Die politische Offentlichkeit bietet eine Vielzahl von Perspektiven, die der Gesellschaft zur Verfugung stehen. Somit haben die Burger das Recht auf Informationsfreiheit, was ein wichtiger Bestandteil des modernen Demokratie ist (vgl. Meyer, 2009, S. 15; Krondorfer, 2017).

Fur die Schuler bedeutet dies, dass die Offentlichkeit ein Grundwissen erfordert, um In- formationen zu filtern und zu verarbeiten (vgl. Juchler, 2005, S. 83). Kompetenzen, die dafur wichtig sind, sind unteranderem Urteilsfahigkeit und kritische Lese- und Horkom- petenz. Dabei ist es wichtig, dass die Schuler im Unterricht die Moglichkeit haben, die unterschiedlichen Sichtweisen, Meinungsbilder und Perspektiven zu behandeln, um die zuvor genannten Kompetenzen zu erlangen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 167).

2.4.3. Konflikt und Konfliktregulierung

Bevor die Thematik des Konflikts und der Konfliktregulierung voranschreitet, muss der Begriff „Konflikt“ zunachst kurz erlautert werden. Der Begriff Konflikt stammt aus dem lateinischen von den Wortnern „conflictus“ und „confligere“ ab, die „aufeinanderstoBen“ bedeuten. Das AufeinanderstoBen wir bei Konflikten als ein „fairer Interessenaustrag“ verstanden. Ein Konflikt kann durch Spannungen zwischen Burgern entstehen, die sich meist durch Angst, Frustration und Arger auBern (vgl. Bonsch, 2006, S. 54f). Da Angste sowie Arger in der Gesellschaft fest integriert sind, sind Auseinandersetzungen und Kon- flikte in einem demokratischen Staat vorprogrammiert. Dies ist nicht immer als Negativ zu bewerten, da Konflikte neue Moglichkeiten fur Veranderungen in der Gesellschaft eroffnen. Herdegen vertritt die Meinung, dass Konflikte „Mittel des Interessensausgleichs (sind), was allerdings voraussetzt, dass Konflikte durch Institutionen und Regeln gesteu- ert werden und dass gemeinsame Interessen zwischen den Konfliktparteien (z. B. Si- cherheit, Frieden) existieren.“ (Herdegen, 2017, S. 131)

Wie die Regelung von Konflikten aussehen konnte, hat Dahrendorf beschrieben. Er pla- diert auf den gegenseitigen Verzicht auf Gewalt sowie auf gesellschaftliche Verhaltens- weisen. Die Schuler mussten diese Verhaltensweisen und Regeln erlernen und in der Praxis erproben (vgl. Himmelmann, 2001, S. 142). Reinhardt meint, dass die Funktion von Konflikten durch ihre Regelung entsteht, da sie die Anwendung von Gewalt vermin- dert, beziehungsweise beseitigen kann (vgl. Reinhardt, 2012, S. 77). Zudem stellt sie vier Voraussetzungen auf, damit sich Konflikte entfalten konnen:

„1. Konflikte mussen als unvermeidlich, als berechtigt, sogar als sinnvoll anerkannt wer- den.
2. Jeder Eingriff von auBen in die Austragung von Konflikten muss sich auf die Form beschranken.
3. Auseinandersetzungen mussen in verbindlicher Weise kanalisiert sein, z. B. mussen die Konfliktgruppen organisiert und damit verhandlungsfahig sein.
4. Die Konfliktparteien mussen sich auf Spielregeln einigen, wie sie ihre Konflikte aus- tragen wollen.“ (Reinhardt S. , 2012, S. 77)

Des Weiteren sind Kompetenzen der Burger von Bedeutung, welche beim Gesell- schaftslernen wichtig sind: Die Burger mussen imstande sein ihren eigenen Standpunkt bei einem Konflikt einzunehmen, sie sollen wissen, welche Mittel es bedarf, um ihre Ziele zu erreichen und sollen Empathie sowie Toleranz gegenuber der anderen Position auf- weisen. Ebenfalls gehort zum Klaren eines Konflikts, dass ein Kompromiss mit der an- deren Partei geschlossen werden kann (vgl. Himmelmann, 2001, S. 142).

2.4.4. Zivil- und Burgergesellschaft

Die Modelle von Zivil- und Burgergesellschaft lassen sich historisch bis zur Antike ruck­verfolgen. Auch Tocqueville ist der Ansicht, dass eine Zivil- beziehungsweise Burgerge- sellschaft ein .Ort zur Herausforderung und Einubung von Burgertugenden darstellt und damit als Unterbau und Schule der Demokratie fungiert“. (Thiery, 2002, S. 594) Seit den 1980er Jahren ist das Thema uber die Zivilgesellschaft in der .politischen Offentlichkeit und in der Politikwissenschaft in den Mittelpunkt der Debatten uber die Neubelebung der Demokratie geruckt.“ (Meyer, 2009, S. 137) Zur Zivilgesellschaft gehort, dass sich die Burger freiwillig engagieren, ihr Handeln selbst organisieren und ihre Handlungen an das Gemeinwohl anpassen (vgl. Meyer, 2009, S. 139). Laut Himmelmann nimmt der Ansatz der Zivil- und Burgergesellschaft die .alteren Theorien der Menschenrechte, des Plura- lismus, des geregelten sozialen Konflikts [...] und der Offenheit/Offentlichkeit der demo- kratischen Gesellschaft in sich auf und erweitern sie in burgerschaftlicher Perspektive“. (Himmelmann, 2001, S. 173)

Bei dem Ansatz der Zivil- und Burgergesellschaft handelt es sich vor allem um das bur- gerliche Engagement, welches gestarkt und gefordert werden soll (vgl. Himmelmann, 2001, S. 182). Durch das gesellschaftliche Engagement soll die Zivilcourage gefordert werden, indem sich die Burger .fur die Werte und Rechtsgrundsatze der Gesellschaft aktiv und offentlich gerade dort eintreten, wo der .Arm des Gesetzes“ nicht hinreicht.“ (Himmelmann, 2001, S. 182) Laut Hildebrandt stellt das ehrenamtliche Engagement eine .Form der Selbstverwirklichung dar“ (Hildebrandt, 2011, S. 105) sowie der Selbsterhal- tung, die als Voraussetzung der Selbstverwirklichung gilt. Die Zivil- und Burgergesell- schaft zielt darauf ab, dass die Burger Verantwortung ubernehmen und in sozialen Netz- werken zusammenarbeiten, wie zum Beispiel in Vereinen, Verbanden und Schulen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 186). Auch bietet dieser Ansatz viele Partizipationsmoglichkeiten fur die Burger und starkt somit die politische Kultur der Demokratie (vgl. Meyer, 2009, S. 142).

Dennoch ist die Burger- und Zivilgesellschaft eine Idealvorstellung, die in verschiedenen Demokratien mehr oder weniger ausgepragt ist. Um dieses Ideal des Ansatzes zu errei- chen, benotigen die Burger Kompetenzen, die Buchstein in drei Kategorien einordnet (vgl. Buchstein, 2000, S. 8):

1. „Kognitive Kompetenzen“: Wissen um politische Sachverhalte, Inhalte und Pro- zesse verbunden mit der Fahigkeit, sich anhand dieses Wissens eine Meinung zu bilden.
2. „Prozedurale Kompetenzen“: Kenntnisse und Strategien, eigene Interessen und Vorstellungen im Rahmen des politischen Systems umsetzen zu konnen.
3. „Habituelle Disposition“: Umsetzung der genannten Kompetenzen in politisches Handeln, nicht nur aus Eigeninteresse, sondern aus einem Gefuhl der Verpflich- tung der Gemeinschaft gegenuber. (vgl. Buchstein, 2000, S. 11f)

In Kapitel 3.3. wird genauer betrachtet, wie dieses Ideal der Burger- und Zivilgesellschaft in der Schule umgesetzt wird.

2.5. Warum Demokratie-Lernen?

Die Demokratie ist ganz und gar nicht geschutzt in einer Zeit, in der Terrorismus, Fun- damentalismus, Antisemitismus oder Extremismus zu jedem beliebigen Zeitpunkt neu- modische Aufschwunge erleben. Zudem wird die Demokratie von Politikverdrossenheit, Politikerverdrossenheit, Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit und Angst vor Terroran- schlagen gefahrdet. Weswegen es obligatorisch ist, die Demokratie immer wieder neu zu erlernen. Aus demokratiepadagogischer Perspektive wird Demokratie-Lernen als Prinzip von demokratischer Bildung aufgefasst und „soll erfahrungs- und handlungsori- entierte Lehr- und Lernprozesse den Aufbau von demokratischer Handlungskompetenz im institutionellen Kontext begunstigen.“ (Nickel, 2016, S. 9) Zumal wird sich die Frage gestellt, ob sich der Begriff „Politische Bildung“ - wie er im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden wird - als „Erziehung zur Demokratie“ umgewandelt werden sollte (vgl. Himmelmann, 2004, S. 2).

Wozu soll Demokratie-Lernen dienen? Himmelmann verweist darauf, dass die Schuler dadurch befahigt werden die Probleme, Gefahren und Konflikte der Gesellschaft wahr- zunehmen und diese im gesellschaftlichen Sinne zu bewaltigen (vgl. Himmelmann, 2004, S. 16). Dabei sollen die Schuler bei ihrer .Willensbildung, Entscheidungsfindung, Organisation und Umsetzung von gefassten Beschlussen“ (Himmelmann, 2004, S. 16) gefordert werden. Nickel verweist darauf, dass Demokratie-Lernen in der Schule die Auf- gabe hat, die Schuler .fur das Leben in einer demokratischen Gesellschaft lebensweltlich vorzubereiten.“ (Nickel, 2016, S. 8)

Im Folgenden soll Demokratie-Lernen intensiver begrundet werden. Dabei ist es notwen- dig anhand empirischer Studien zu untersuchen, welche Einstellungen die Schuler ge- genuber der Politik und Bedrohungspotenziale der Demokratie, wie Populismus und Po- litikverdrossenheit, haben.

2.5.1. Politisches Wissen und Argumentieren der Jugendlichen .International

Civic and Citizenship Education Study“

Die International Civic and Citizenship Education Study 2016 (ICCS) ist eine internatio­nale Vergleichsstudie zur politischen Bildung von Jugendlichen im Alter von 14 Jahren. In der Studie wird untersucht .inwieweit Schuler*innen auf ihre Rolle als Burger*innen einer Demokratie vorbereitet sind“ (Abs H. J., Hahn-Laudenberg, Deimel, & Ziemes, 2017, S. 9). Diese Ergebnisse lassen sich auf zwei Arten interpretieren: Zum einen geht es um die Fahigkeiten und die Personlichkeit, die 14-jahrige Jugendliche bis zur achten Klasse erworben haben. Zum anderen, was sind die Merkmale, die die Schuler in den kommenden Schuljahren aufbauen sollten, um als Burger effektiv handeln zu konnen. (vgl. Oesterreich, 2002, S. 15).

Bei der Analyse des Schulertest werden zwei kognitive Dimensionen berucksichtigt: Das konzeptuelle Wissen mit den .Prozessen Definieren, Beschreiben und an Beispielen ver- anschaulichen sowie Argumentieren und Anwenden von konzeptuellem Wissen mit Pro- zessen wie Interpretieren, Bewerten, Begrunden und Argumentieren.“ (Abs & Hahn- Laudenberg, 2017, S. 12) Die Ergebnisse der Schulertests wurden in drei Kompetenz- stufen und einem Basislevel unterteilt, um die Schulerfahigkeiten besser einordnen zu konnen. Von den deutschen Schulern erreichten 70 Prozent die Kompetenzstufe 2, was auf den ersten Blick ein gutes Ergebnis zu sein scheint. Denn diese Kompetenzstufe weist auf, dass die Schuler in der Lage sind zielfuhrende Elemente von Burgerhandeln zu identifizieren. Jedoch wird gleichzeitig aufgewiesen, dass das politische Wissen der deutschen Schuler im internationalen Vergleich geringer ausgepragt ist (vgl. Abs & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 16).

Da, die meisten Schuler Kompetenzstufe 2 erreichen konnte, wird kurz dargestellt, was die Schuler fur Kompetenzen aufweisen, wenn sie die Kompetenzstufe erreicht haben. Schuler auf Kompetenzstufe zwei „zeigen vertiefte Kenntnisse zum Konzept der repra- sentativen Demokratie als politisches System.“ (Hahn-Laudenberg & Abs, 2017, S. 82) Schuler auf dieser Kompetenzstufe konnen unter anderem:

- „die Unabhangigkeit einer staatlichen Autoritat mit der Aufrechterhaltung des offentlichen Vertrauens in Entscheidungen, die von der Autoritat getroffen wurden, verknupfen
- erkennen, dass es informierten Burger*innen leichter fallt, Wahlentscheidungen zu treffen
- die Verantwortung wahlen zu gehen mit dem reprasentativen Charakter einer Regierung verknupfen
- die Hauptfunktion der Legislative/des Parlaments beschreiben
- die Hauptfunktion einer Verfassung definieren
- die Beziehungen zwischen der Regierung und dem Militar innerhalb einer Demokratie beschreiben
- die Gefahren durch von der Regierung kontrollierte Medien erkennen
- die Verantwortung fur Umweltschutz auf individuelle Personen beziehen.“ (Hahn- Laudenberg & Abs, 2017, S. 82f)

31 Prozent der deutschen Schuler erreichten die Kompetenzstufe 3, welche die hochste Kompetenzstufe ist. Sie konnen „Prozesse der sozial und politisch organisierten Ein- flussnahme mit deren rechtlicher und institutioneller Kontrolle in Beziehung setzen.“ (Hahn-Laudenberg & Abs, 2017, S. 81) Die Schuler auf Kompetenzstufe 3 sind diejeni- gen, die auf ihre Rolle als Burger in der demokratischen Gesellschaft vorbereitet sind.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die deutschen Schuler in der Mehrheit „grundlegende demokratische Prinzipien verstehen und kennen.“ (Hahn-Laudenberg & Abs, 2017, S. 97) Im internationalen Vergleich hangen die deutschen Schuler jedoch zuruck, da es den Vergleichslandern gelingt den „Schulern ein Verstandnis fur politische Prozesse und Zusammenhange zu eroffnen und Fahigkeiten auszubilden, die als Aus- weis eigenstandiger Urteilskompetenz gelten konnen.“ (Hahn-Laudenberg & Abs, 2017, S. 97) Die Studie weist auf, dass das Wissen um die wichtigen Merkmale einer Demo­kratie bei den Schulern uberwiegend vorhanden ist.

2.5.2. Politikverdrossenheit und Demokratieakzeptanz - Die 18. Shell Jugendstu- die: Jugend 2019“

Seit 1952 finanziert der Mineralolkonzern Shell regelmaBig die Shell-Jugendstudie. 2019, in der 18. Ausfuhrung, wurden 2572 Jugendliche im Alter zwischen 12 und 25 Jahren zu verschiedenen Themen befragt. Ein Thema soll in diesem Kapitel dargestellt werden: Das allgemeine politische Interesse und Einstellung zu Demokratie und Gesell­schaft (vgl. Wolfert, Leven, & Schneekloth, 2019, S. 325). Im Vergleich zu den vorherigen Studien hat sich das politische Interesse der Jugendlichen in den letzten Jahren weiter- hin stabilisiert, da sich inzwischen 41 Prozent der Jugendlichen als politisch interessiert oder stark interessiert bezeichnen (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 49f). Sich politisch zu engagieren, was Bestandteil des Demokratie-Lernens ist, halten aktuell 34 Prozent der Jugendlichen fur wichtig. Dies ist nicht viel, aber zum Vergleich zu 2002 (22 Prozent) eine deutliche Verbesserung (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 50f). Die Akzeptanz der Demokratie als Regierungsform ist bei den Jugendlichen hingegen deutlich hoher. Nur 5 Prozent der westdeutschen und 9 Prozent der ostdeutschen Jugendlichen halten die Demokratie nicht fur eine gute Regierungsform. Jedoch konnen selbst die meisten dieser Jugendlichen keine Alternative zur demokratischen Regierungsform nennen (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 90f).

Wie eben schon erwahnt sind 78 Prozent der westdeutschen Befragten mit der Demo­kratie in Deutschland eher oder sehr zufrieden, bei den ostdeutschen Jugendlichen sind es lediglich 66 Prozent. Die Grunde warum die fehlende Zufriedenheit mit der Demokra­tie in Deutschland entsteht, sind die prekaren Lebenslagen sowie die eingeschrankten gesellschaftlichen Chancen und die damit verbundene Unzufriedenheit der Jugendlichen (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 90f). Mit Demokratienormen konnen sich die Ju­gendlichen identifizieren. Da sie der mehrheitlichen Meinung sind, dass jeder der sich in einer politischen Auseinandersetzung im Rechtfuhlt, dennoch einen Kompromiss anstre- ben sollte. AuBerdem sind sie der Meinung, „dass es in einer Demokratie die Pflicht jeden Burgers ist, wahlen zu gehen.“ (Schneekloth & Albert, 2019, S. 94) Denn eine Demokratie ohne Opposition ist wichtig fur eine Demokratie, die lebensfahig sein will.

Trotz der steigenden Demokratieakzeptanz konnte bei der Studie kein Ruckgang der Politikverdrossenheit festgestellt werden. Jugendliche, die politikverdrossen sind, „sind weniger davon uberzeugt, dass ihr eigener Beitrag Veranderungen bewirken kann. Die Erwartung, selbst Einfluss nehmen zu konnen, ist eine der wichtigsten Voraussetzungen fur verantwortungsvolles Handeln im Rahmen einer modernen Zivilgesellschaft." (Schneekloth & Albert, 2019, S. 96f)

Zusammenfassend wie die Demokratie im Allgemeinen und die Demokratie in Deutsch­land wahrgenommen werden, zeigt eine deutliche Kluft. Diese Kluft kann durch die Ein- stellungen der Befragten gegenuber den politischen Akteuren beobachtet werden. Mit 71 Prozent wurde die Aussage „Ich glaube nicht, dass sich Politiker darum kummern, was Leute wie ich denken“ (Schneekloth & Albert, 2019, S. 95) mit stimme eher zu oder stimme (voll und ganz) zu beantwortet. Sie liegt ahnlich hoch wie bei den abgefragten Demokratienormen (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 95). In der Frage des Vertrauens in politische und soziale Institutionen zeigt sich auch die Politikverdrossenheit. Politisch unabhangige Institutionen (wie Gerichte, Polizei und Umweltschutzgruppen) haben eine viel groBere Anerkennung bei den Jugendlichen als die Regierung oder politische Par- teien (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 93).

Grundsatzlich lasst sich bei den befragten Jugendlichen eine Politiker- und Parteienver- drossenheit ausmachen: Das Vertrauen in die Politik ist gering, dennoch hat die Demo­kratie als Staatsform einen hohen Stellenwert.

2.5.3. Populismusaffinitat der Jugendlichen- Die 18. Shell Jugendstudie: Jugend 2019“

In den letzten Jahren - besonders in 2015 und 2016 - sind gesellschaftliche Polarisie- rungsprozesse sichtbar geworden. Dies wird vor allem besonders bei der Fluchtlings- krise deutlich. Die Fluchtlingskrise wurde in allen Medien diskutiert und es kam zu der Kontroverse, wie viele Fluchtlinge in Deutschland aufgenommen werden sollten. „Auffal- lig hierbei war der populistische Diskurs in Gestalt des Ruckgriffs auf rechts- und natio- nalpopulistische Narrative. Dieser Aufstieg des Nationalpopulismus war fast in ganz Eu­ropa beziehungsweise weltweit zu beobachten.“ (Schneekloth & Albert, 2019, S. 48)

Populismus kann als eine besondere politische Logik definiert werden. Fur den Begriff gibt es zwar unterschiedliche Definitionen, dennoch konnen typische Merkmale ausge- macht werden. Ein Merkmal ist, dass die Macht dem Volk gehort und die Politik vom Willen des Volkes ausgehen muss. Populismus idealisiert das Volk und baut Feindschaft zur Elite auf. Auch spielen Verschworungstheorien im Populismus eine groBe Rolle. In den letzten Jahren hat sich das populistische Denken in Deutschland im Kontext der Fluchtlingskrise und der Corona-Pandemie prasentiert. Es ist jedoch auch in anderen europaischen Landern ein Anstieg des Populismus zu erkennen. (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 76).

Die Shell-Studie hat den befragten Jugendlichen einige Statements vorgelegt, die popu- listische Denkweisen enthalten. Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass diese Denk- weisen auch bei den Jugendlichen etabliert sind. Wenn es um die Fluchtlingskrise geht, finden es 57 Prozent der Jugendlichen gut, dass Deutschland viele Fluchtlinge aufge- nommen hat. Jedoch sind 40 Prozent damit nicht zufrieden (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 77). Besonders hervorzuheben ist, dass mehr als jeder zweite der Aussage zustimmt: „Die Regierung verschweigt der Bevolkerung die Wahrheit“. Hierbei wird sicht- bar, dass sich die Jugendlichen nicht ernst genommen fuhlen und von der Elite denken, dass sie die Jugendlichen „bevormunden und manipulieren will“. (Schneekloth & Albert, 2019, S. 78)

Die Shell-Studie hat funf Typen von Jugendlichen im Kontext von Populismusaffinitat entwickelt. Zu dem ersten Typ, der Kosmopoliten, konnen etwa 12 Prozent der Jugend­lichen gezahlt werden. Diese Gruppe der Jugendlichen lehnen „so gut wie alle populisti- schen Statements ab.“ (Schneekloth & Albert, 2019, S. 79) Ein weiterer Typ sind die Weltoffenen, zu denen 27 Prozent der Jugendlichen zahlen. Sie finden, genauso wie die Kosmopoliten gut, dass Deutschland viele Fluchtlinge aufgenommen hat, lehnen aber nicht alle populistischen Statements ab, aber distanzieren sich dennoch von nationalpo- pulistischen Statements. Der dritte Typ sind die Nicht-eindeutig-Positionierten Jugendli­chen, darunter zahlen 28 Prozent der Befragten. Die Mehrheit findet es gut, dass Deutschland viele Fluchtlinge aufgenommen hat, trotz dessen weisen die Jugendlichen ein groBes Misstrauen gegenuber der Regierung auf und befurworten einige populisti- sche Statements. 24 Prozent der befragten Jugendlichen zahlen zu den Populismus- Geneigten (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 80). „Von ihnen findet es nur etwa jeder dritte gut, dass Deutschland viele Fluchtlinge aufgenommen hat.“ (Schneekloth & Albert, 2019, S. 80) SchlieBlich gehoren 9 Prozent der befragten Jugendlichen zu den National- populisten. Sie stimmen allen populistischen Statements zu und lehnen die Aufnahme von Fluchtlingen ab (vgl. Schneekloth & Albert, 2019, S. 80).

Da sich der Populismus erst in den letzten Jahren in Deutschland etablieren konnte und sich immer weiter ausbreitet, sollte die politische Bildung berucksichtigen, dass sich die Zahl der Populismusaffinen ausweiten konnte. Daher tragen die Schulen sowie die poli- tische Bildung die Verantwortung, Aufklarungsarbeiten zu entwickeln, sodass das Ver- trauen in die Demokratie gestarkt wird.

2.5.4. Politische Handlungsbereitschaft Jugendlicher - ..International Civic and Ci­tizenship Education Study“

Die Civic Education Studie untersucht die politische Handlungsbereitschaft der Jugend­lichen anhand von funf Themenkomplexen mit jeweils 12 Fragen. Dabei handelt es sich um die Bereitschaft der Jugendlichen zu zivilgesellschaftlichem und politischem Handeln (vgl. Abs & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 26). Die Bereitschaft der Schuler, als spaterer erwachsener Mensch das Wahlrecht wahrzunehmen, liegt bei 72 Prozent. Dabei haben 70 Prozent der Schuler angegeben, dass sie sich vor einer Wahl uber die Kandidaten informieren wollen. Dennoch liegen beide Angaben unter dem europaischen Durch- schnitt (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 210).

Ein weiterer Themenkomplex handelt von der institutionenbezogenen Partizipation. Hier- bei wird untersucht wie und mit welchen Aktivitaten sich die Schuler als Erwachsene an der Gesellschaft beteiligen wollen. Dabei handelt es sich darum, zum Beispiel einer po- litischen Partei beizutreten, oder einer Gewerkschaft, sich als Kandidat aufstellen zu las­sen bei einer Wahl, oder einen Kandidaten zu unterstutzen (vgl. Deimel & Hahn- Laudenberg, 2017, S. 213). 16 Prozent der Schuler ziehen in Betracht einer Partei bei- zutreten, 21 Prozent der Schuler wurden einer Gewerkschaft beitreten. Auch diese Werte liegen unter dem europaischen Mittelwert. Erstaunlicherweise konnen sich 42 Prozent der Schuler vorstellen einen Kandidaten oder eine Partei zu unterstutzen, ohne sich verpflichtet fuhlen zu mussen einer Partei beizutreten. Was erstaunlich ist, dass sich 42 Prozent der Schuler vorstellen konnen, einen Kandidaten oder einer Partei zu unter- stutzen, ohne dass sie sich verpflichtet fuhlen mussen einer Partei beizutreten. Somit kann zusammenfassend gesagt werden, dass fur die Mehrheit der Schulerschaft die in- stitutionsbezogene Partizipation nicht in Frage kommt (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 214ff).

Bei der beabsichtigten problembezogenen Partizipation wird untersucht wie die Schuler ihre Meinung uber gesellschaftliche Probleme im Erwachsenenalter ausdrucken konnen und wollen. 31 Prozent der Schuler konnen sich vorstellen Unterschriften zu sammeln, was den europaischen Mittelwert entspricht (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 217). Auch konnen sich 31 Prozent vorstellen an friedlichen Demonstrationen teilzuneh- men und friedlich ihre Meinung bei solchen Aktivitaten zu vertreten. 61 Prozent der Schu­ler ziehen in Betracht ihre eigene Meinung uber politische und gesellschaftliche Themen zu vertreten und mit anderen daruber zu diskutieren (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 219). Auch bei der beabsichtigen zivil ungehorsamen Partizipation wird unter- sucht, wie die Schuler ihre Meinung uber gesellschaftliche Probleme im Erwachsenen- alter ausdrucken konnen und wollen. Diese Aktivitaten sind meist illegal, deshalb konnen sich nur 9 Prozent der Schuler vorstellen, an einem Protest- wie zum Beispiel an einer Verkehrsblockade oder einer Besetzung eines offentlichen Gebaudes - teilzunehmen (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 223f). Positiv kann gewertet werden, dass die Schuler in Deutschland die geringste Bereitschaft aufzeigen bei dieser Art von Parti- zipation mitzuwirken, zugleich nehmen die Schuler allerdings auch die Moglichkeiten der legalen Partizipationsformen - im Vergleich zu den anderen europaischen Landern - weniger an (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 225).

Zusammenfassend lasst sich sagen, dass die Schuler in Deutschland weitestgehend eine passive Burgerrolle einnehmen werden. Dies wurde in der politikdidaktischen Dis- kussion um Burgerleitbilder am ehesten den reflektierten Zuschauer entsprechen (siehe Kapitel 3.3.) (vgl. Deimel & Hahn-Laudenberg, 2017, S. 228f). Grundsatzlich wird eine unterdurchschnittliche Bereitschaft zur politischen Beteiligung - im europaischen Ver- gleich - seitens der Schuler deutlich. Dies lasst sich bereits in der Studie im Jahr 2002 aufweisen, wodurch deutlich wird, dass sich in den letzten 18 Jahren nichts an dem En­gagement der Jugendlichen verandert hat. Oesterreich vertrat bereits 2002 die Meinung, dass diese unterdurchschnittliche Bereitschaft in der „geringen Mitarbeit in politischen und sozialen Gruppen, in ihrer geringen Bereitschaft, zu sozialem politischen Handeln, in ihrer geringen politischen Beteiligung in Mitbestimmungsgremien in der Schule und ihrer geringen Bereitschaft, sich fur andere zu engagieren“ (Oesterreich, 2002, S. 83) zu sehen ist.

Im nachsten Teil dieser Arbeit wird das eben Dargestellte erneut kritisch hinterfragt wer- den, da einige Fragen aufgetreten sind, weil einerseits eine groBe Akzeptanz der "De­mokratie als Herrschaftsform" und der "Demokratie als Lebensform" bei Jugendlichen besteht, andererseits eine groBe Ablehnung vorhanden ist gegenuber allem, was mit dem Begriff der Politik zu tun hat. Diese Fragen waren: Kann von Demokratie-Lernen gesprochen werden, oder ist es sinnvoller von Politik-Lernen zu sprechen? Diese Rela­tion soll im folgenden Kapitel erlautert werden.

2.5.5. Demokratie-Lernen oder Politik-Lernen?

Seit Himmelmanns Konzeption des Demokratie-Lernens herrscht eine rege Diskussion uber die Ziele der politischen Bildung in der Fachdidaktik. Die Frage ist, ob es Demokra- tie-Lernen heiBen sollte, oder doch besser Politik-Lernen. Was auf den ersten Blick als leidlicher Streit um Begriffe erscheinen mag, erweist sich bei naherem Hinsehen als durchaus wichtige Unterscheidung in Hinblick auf die Ziele politischer Bildung.

Um eine Unterscheidung der Begriffe „Politik“ und „Demokratie“ treffen zu konnen, be- darf es einer Definition von Politik:

„Politik ist die Gesamtheit der Aktivitaten zur Vorbereitung und zur Herstellung gesamt- gesellschaftlich verbindlicher und/oder am Gemeinwohl orientierter und der ganzen Ge­sellschaft zugute kommender Entscheidungen.“ (Meyer, 2003, S. 41)

Zu Beginn dieses Kapitels werden „Politik-Lernen“ und „Demokratie-Lernen“ vorerst ein- zeln betrachtet.

Politik-Lernen - also die politische Bildungswissenschaft - befasst sich mit dem Aufbau des politisch-gesellschaftlichen Bewusstseins der Schuler, sodass diese sich zu mundi- gen Burgern entwickeln. Politik-Lernen fordert die Reflexions-, Analyse- und Urteilkom- petenzen, die das Verstehen von Demokratie erleichtern. Die Schuler sollen fur sich die Funktionen der Demokratie erschlieBen, die Politik verstehen und diese beurteilen kon- nen sowie lernen politische Prozesse mitzugestalten (vgl. Roken, 2011, S. 190f). Roken behauptet, dass zu den wichtigsten Zielen des Politik-Lernens die „Befahigung der Bur- ger“ gehort, „zur Erhaltung und demokratischen Veranderung eines politisch-gesell- schaftlichen Systems unter den Bedingungen groBtmoglicher politischer Selbstbestim- mung und sozialer Gerechtigkeit beitragen zu konnen“. (Roken, 2011, S. 192)

Bei dem Demokratie-Lernen handelt es sich um demokratische Uberzeugungen und der Bereitschaft sich am demokratischen Leben zu beteiligen (vgl. Roken, 2011, S. 193). Demokratie-Lernen „zeichnet sich dadurch aus, dass alles hinterfragt werden darf, dass Konflikte, das Streitbare und das Erleben und Aushalten von Dissens zu ihrem Lebens- elixier gehoren, weil Demokratie das ist, was die Gemeinschaft durcheinanderbringt.“ (Roken, 2011, S. 194) Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Fokus in der Demokratiepadagogik auf Fragen der demokratischen Organisation von Bildungseinrich- tungen und der Kompetenz aller am Bildungsprozess Beteiligten demokratisch zu han- deln liegt (vgl. Fauser, 2009, S. 40). Zudem versteht der demokratiepadagogische An- satz die politische Bildung nicht als eine sozialwissenschaftliche Analyse von konkreten Fallen, sondern der Ansatz setzt „an der individuellen Erfahrung demokratischen Han- delns an.“ (Franke, 2019, S. 376) Hingegen geht die Politikdidaktik von den Zielen und Inhalten des Unterrichtsfaches aus, „das auf der Basis eines zu erwerbenden und zu festigenden konzeptuellen Deutungswissens der systematischen Forderung von politi- scher Urteils- und Handlungskompetenz sowie von Methodenkompetenz dient.“ (Goll, 2011, S. 6)

Dennoch gehoren die Demokratiepadagogik und die Politische Bildung zusammen und sollten zu einem gemeinsamen Diskurs zuruckfinden. Damit Demokratie nicht nur for­mal, sondern auch substanziell in ihrem Sinngehalt erlernt wird, ist das Erfahren und Reflektieren gesellschaftlicher Partizipation eine Voraussetzung (vgl. Franke, 2019, S. 375). In der Schule ist die Zusammenhorigkeit von Politik-Lernen und Demokratie-Ler- nen erkennbar, denn von 189 Stunden (Klasse 7 bis 10), die im Lehrplan des Gymnasi- alen Bildungsgangs fur Hessen dem Politik- und Wirtschaftsunterricht vorbehalten sind, sind 105 Stunden fur Themen vorgesehen, die eindeutig dem Demokratie-Lernen zuge- ordnet werden konnen (vgl. Hessisches Kultusministerium, 2020a, S. 6). Es ist also naheliegend, Demokratie-Lernen als Kern der politischen Bildung aufzufassen, ohne da- bei andere politische Bereiche zu vernachlassigen (vgl. Himmelmann, 2001, S. 266).

„Demokratie-Lernen“ und „Politik-Lernen“ werden in dieser Arbeit weniger trennscharf verwendet. Denn es ist nicht das Ziel, eine theoretische fachdidaktische Diskussion zu vertiefen, sondern die Vorzuge und Nachteile praxisbezogener Projekte und Konzepte zu erortern. Dass attraktive Konzepte des Demokratie-Lernens groBeres Interesse an Politik und an politischer Handlungsbereitschaft bei Jugendlichen bewirken konnen (und damit effizienter sind), soll im Laufe dieser Arbeit noch gezeigt werden.

2.6. Zwischenfazit

In den nachsten Teilen dieser Arbeit wird sich auf die bisher festgestellten Elemente gestutzt. Daher wird in diesem Kapitel ein Zwischenfazit vorgenommen, um die Merk- male und Bestandteile des Demokratie-Lernens zu verdeutlichen.

Demokratie-Lernen findet in der Schule auf drei Ebenen statt. Demokratie als Lebens-, Herrschafts- und Gesellschaftsform. Demokratie als Lebensform beinhaltet die Erfah- rung: Schuler sollen durch eigene Erfahrungen Aspekte, wie zum Beispiel Toleranz, So- lidaritat, Individualitat, Selbstbewusstsein und soziale Kompetenzen lernen (vgl. Biedermann, 2017, S. 522). Zu den sozialen Kompetenzen gehoren Selbstveranwortung, Selbstwerterfahrung, Mundigkeit, soziales Lernen und soziale Kooperation. Wichtig bei der Demokratie als Lebensform ist der Umgang mit Anderen sowie das Kennen und Akzeptieren von Rechten und Pflichten (vgl. Himmelmann, 2001, S. 268).

Demokratie als Herrschaftsform setzt sich mit den Aspekten der Macht auseinander. Um sich damit auseinanderzusetzen bedarf es kognitives Wissen uber Menschenrechte, Machtverteilung, Wahlen und Entscheidungsverfahren etc. Die Demokratie als Herr- schaftsform kann als klassisches Politik-Lernen bezeichnet werden (vgl. Biedermann, 2017, S. 522).

Demokratie als Gesellschaftsform versucht die Kompetenzen der Demokratie als Le- bensform auf gesellschaftliche und politische Prozesse zu ubertragen. Somit zahlen Konfliktfahigkeit, Zivilcourage, Kompromissbereitschaft, Toleranz, Respekt, Handlungs- kompetenz und Artikulationsfahigkeit zu den Kompetenzen der Demokratie. Zudem ist auch kognitives Wissen uber Pluralismus, Offentlichkeit, Konflikt und Zivilgesellschaft erforderlich (vgl. Biedermann, 2017, S. 522).

All diese Kompetenzen, die benotigt werden bei der Demokratie als Lebens-, Herr- schafts- und Gesellschaftsform, setzt sich das Demokratie-Lernen zum Ziel. Dennoch bleibt dies ein sehr anspruchsvolles und schwer erreichbares Ziel. Der Politikunterricht muss Demokratie-Lernen ermoglichen, aber auch alle anderen Schulfacher und die Schule an sich sollten das Demokratie-Lernen integrieren. Denn die Schuler sollen nicht nur informiert werden wie eine Demokratie funktioniert, sondern sie sollen lernen, den Prinzipien der Demokratie zuzustimmen. Sie sollen sich ebenfalls als demokratische Burger identifizieren und lernen sich an politische Prozesse zu beteiligen (vgl. Biedermann, 2017, S. 520).

In den Weiteren Kapiteln wird zunachst untersucht, welche Ziele die schulische politische Bildung hat und wie diese Ziele in der Realitat umgesetzt werden konnen. Danach folgt in den Kapiteln funf und sechs die Erorterung wie die politische Teilhabe der Schuler im Unterricht und in der Schule gelehrt werden kann.

3. Ziele und Aufgaben der politischen Bildung in der Schule

Ein wichtiger Bestandteil dieser Arbeit liegt darin, dass Demokratie-Lernen von den tat- sachlichen Verhaltnissen in der Schule ausgehen muss. In den Uberlegungen uber eine Umsetzung des Demokratie-Lernen mussen die Vorgaben, die durch den Lehrplan und den institutionellen Rahmen von Schule gegeben sind, berucksichtigt werden.

In diesem Teil der Arbeit wird deshalb der Frage nachgegangen, welche Aufgaben die Schule insgesamt und der Politikunterricht erfullen mussen und konnen. Jedoch muss zuvor die Frage gestellt werden, welchen Einfluss die Schule uberhaupt auf die Lebens- welt der Schuler hat, denn erst dann kann realistisch beurteilt werden, was mit der idea- len politischen Bildung im Idealfall zu erreichen ware.

3.1. Der allgemeine Bildungsauftrag

Die jeweilige Landesverfassung ist die Basis des allgemeinen Bildungsauftrags. Der all- gemeine Bildungsauftrag hat den gesellschaftlichen Anspruch, „dass Demokratien auf einen mundigen, selbstandigen und handlungsfahigen Burger angewiesen sind, ohne dessen burgerschaftliche Beteiligung eine Demokratie nicht handlungsfahig ist“ (Nickel, 2016, S. 60). Die Schule dient der curricularen Wissensvermittlung, bei der es darum geht, intellektuelle und soziale Fahigkeiten zu erlangen. Zusatzlich soll die Schule die Schuler dazu befahigen, Kompetenzen zur Problembewaltigung zu erlangen (vgl. Palentien & Hurrelmann, 2003, S. 9).

Zum anderen ist die Schule ein Ort der Kommunikation, da im und auBerhalb des Unter- richts Schuler miteinander und mit den Lehrkraften kommunizieren. Hier hat die Schule die Aufgabe, die sozialen Kompetenzen der Schuler zu starken. Insbesondere bei den Moglichkeiten der Mitbestimmung und Mitwirkung (vgl. Palentien & Hurrelmann, 2003, S. 9; Ilien, 2008, S. 89). Auch hat die Schule einen gesellschaftlichen Bildungsauftrag, indem die Schuler dazu befahigt werden sollen und auch ihre Bereitschaft gestarkt wer- den soll, an der Gestaltung der demokratischen Gesellschaft mitzuwirken (vgl. Nickel, 2016, S. 59).

Sander nennt vier Aufgaben der Schule, die sich aus dem Politikunterricht als Unter- richtsfach, dem demokratischen Lernen als Unterrichtsprinzip, der demokratischen Er- ziehung durch soziales Lernen und der demokratischen Erziehung durch demokratische Handlungserfahrung bilden (vgl. Sander, 1997, S. 232). Roken versteht unter dem all- gemeinen Bildungsauftrag, dass Schuler sozialmoralische Grundlagen der Demokratie erlernen. Dies durfte seiner Meinung nach in der Schule nicht vernachlassigt werden, da die Kompetenzen bei der „Demokratie als Lebensform“ eine Saule der demokratischen Ordnung seien (vgl. Roken, 2011, S. 15).

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Schule nicht nur die Aufgabe hat Wis- sen zu vermitteln. Ihr kommt auch die Aufgabe zu, die Schuler zu starken und zu ermu- tigen, sodass sie an der Demokratie mitzuwirken. Dies soll durch die Erfahrung, die die Schuler innerhalb der Schule machen, geschehen. Sie sollen demokratische Kompeten- zen erwerben: Die demokratische Kommunikation, die Findung von Problem- und Kon- fliktlosungen sowie die Findung ihrer eigenen Identitat. Diese Kompetenzen sind von hoher Bedeutsamkeit und sollen schon fruh durch Erfahrungen erlernt werden (vgl. Roken, 2011, S. 15; Ilien, 2008, S. 89). Dabei ist es wichtig, dass eine Demokratisierung in der Schule stattfindet, die Mitwirkung und Mitbestimmung, die den Rahmenbedingun- gen und politischen Entscheidungen unterliegen (vgl. Reinhardt, 2012, S. 17).

3.2. Der Bildungsauftrag des Politikunterrichts

An dieser Stelle wird der Begriff der politischen Bildung und nicht der des Demokratie- Lernens verwendet. Trotz dessen beinhaltet die politische Bildung einige Bestandteile des Demokratie-Lernen nach der Definition der Demokratieebenen in dieser Arbeit.

Das Kerncurriculum der Sekundarstufe 1 in Hessen sieht folgendes allgemeines Ziel vor: „Das Fach Politik und Wirtschaft fordert auf der Grundlage der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie der Hessischen Verfassung jene Fahigkeiten, Fertigkeiten und Bereitschaften, die es den Lernen- den ermoglichen, als mundige Person, d.h. autonom und verantwortungsvoll, an der demokratischen Offentlichkeit und dem Wirtschaftsleben teilzunehmen und sich an der Diskussion und Losung grundle- gender Fragen und Probleme aus Politik, Gesellschaft, Recht und Wirtschaft zu beteiligen.“ (Hessisches Kultusministerium, 2020b, S. 11)

In dem eben dargestellten Ziel werden Fahigkeiten wie Mitbestimmung, Selbstbestim- mung, soziale Kompetenzen, Toleranz, kritisches Urteilen sowie Wissen um gesell- schaftliche Zusammenhange und die politische Ordnung als vorrangige Lernziele ge- nannt (vgl. Hessisches Kultusministerium, 2020b, S. 11; WeiBeno, 2013, S. 39). Im „Darmstadter Appell" - einem Aufruf verschiedener Fachdidaktiker und Fachwissen- schaftler zur Reform der politischen Bildung in der Schule aus dem Jahr 1995 - werden die Zielvorgaben noch eindeutiger dargestellt. Um die Rolle eines Burgers zu erfullen, sind hier drei Grundfahigkeiten erforderlich: Das Verstandnis fur politische und soziale Systeme und politische Prozesse, Einstellungen wie Kompromissbereitschaft oder die Fahigkeit zur Losung von Konflikten sowie Fahigkeiten wie Entscheidungs- und Prob- lemlosungsfahigkeiten und Partizipationsfahigkeiten. (vgl. Darmstadter Appell, 1995, S. 6). Wie bereits erwahnt, mussen Basiskompetenzen erworben werden, die auf ein poli- tisches Leben in der Gesellschaft vorbereiten, da die Schuler „neue Anforderungen im politischen Bereich situationsadaquat unter Berucksichtigung von Werten, Zwecken und Zielen“ (WeiBeno, 2013, S. 39) interpretieren konnen sollen. Dabei bedarf es einer un- terstutzenden Lehrkraft, die den Schulern hilft, sich in der eigenen politischen Rolle zu finden und ihnen die Moglichkeit gibt, Handlungen zu testen und Erfahrungen zu machen (vgl. Kock & Lacheiner, 2017, S. 16). Kock versteht das Ziel des Bildungsauftrags der politischen Bildung in der Befahigung der politischen Partizipation: „Dabei muss die po- litische Bildung in ihren Konzeptionen berucksichtigen, dass es auch legitim ist, sich als politischer Mensch bewusst dafur zu entscheiden, sich nicht zu engagieren.“ (Kock & Lacheiner, 2017, S. 16)

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass der Bildungsauftrag des Politikunterrichts darin liegt, den Schulern zu helfen ihre eigene politische Rolle zu finden und sie zu un- terstutzen, indem sie gemeinsam Handlungsmoglichkeiten testen konnen und diese so- mit erfahrbar machen (vgl. Kock & Lacheiner, 2017, S. 16). Ebenfalls gehort zu dem Bildungsauftrag des Politikunterrichts, die Schuler zu vernunftigen Reden zu befahigen und anzuleiten. „Dazu gehort es, eine gesteigerte Wahrnehmungsfahigkeit zu entwickeln und Wahrgenommenes in Rede so zu ubersetzen, dass die Mitmenschen das Gemein- same ebenfalls erkennen.“ (Temme, 2014, S. 37)

Da der Bildungsauftrag des Politikunterrichts darauf zielt, dass die Schuler mundige Mit- glieder der Gesellschaft werden, wird im nachsten Kapitel die verschiedenen Burgerleit- bilder vorgestellt, die der Politikunterricht anstrebt.

3.3. Die Burgerleitbilder das Ziel des Politikunterrichts

Das haufig genannte Ziel der politischen Bildung ist der mundige Burger. Aber was soll der mundige Burger? Es steht fest, dass die politische Bildung die Aufgabe innehat, bei den Schulern Einstellungen sowie Handlungsbereitschaften zu entwickeln, die fur das Leben innerhalb einer Gesellschaft essenziell sind (vgl. Detjen, 2017, S. 286). Im Darmstadter Appell steht, dass die Schuler „die Befahigung [...] zur Wahrnehmung ihrer Burgerrolle in der Demokratie“ (Darmstadter Appell, 1995, S. 6) erhalten sollen. Doch was beinhaltet diese Burgerrolle?

In der Fachdidaktik werden vier verschiedene Typen des Burgers erwahnt. Dazu zahlt der politisch desinteressierte Burger, der reflektierte Zuschauer, interventionsfahige Bur­ger und der Aktivburger. Diese vier Typen werden im Folgenden genauer erlautert.

1. Der politisch desinteressierte Burger kummert sich nicht um Politik. Seine Auf- merksamt richtet er auf andere Dinge. Er zeigt keine Bereitschaft sich zu beteiligen und will in Ruhe gelassen werden. Jedoch kennen die politisch Desinteressierten die Grundrechte und konnen auf diese zu ihrer Rechtfertigung verweisen (vgl. Detjen, 2011, S. 132; Detjen, 2017, S. 290; Nickel, 2016, S. 66).
2. Der reflektierte Zuschauer versteht die Zusammenhange des politischen Lebens und kann diese Zusammenhange auch beurteilen. Jedoch weist der reflektierte Zuschauer keinerlei Handlungsbereitschaft auf, dennoch nimmt er Kenntnis vom politischen Geschehen und spricht im personlichen Umfeld uber Politik. Zudem geht er zur Wahl und beteiligt sich an Abstimmungen. Der reflektierte Zuschauer zeigt hinsichtlich der Wahlen, dass sie partizipatorisch aktiv sind und auf keinen Fall - wie der desinteressierte Burger - unpolitisch sind, er weist lediglich kein frei- williges Engagement fur politische Prozesse auf (vgl. Nickel, 2016, S. 66; Detjen, 2017, S. 291).
3. Der interventionsfahige Burger verfugt uber politisches Urteilsvermogen sowie der reflektierte Zuschauer. Der Unterschied zum reflektierten Zuschauer hier ist, dass der interventionsfahige Burger situationsbezogen in die Politik eingreift: Er enga- giert sich nicht dauerhaft, jedoch greift er situationsbezogen in die Politik ein (vgl. Detjen, 2017, S. 291; Detjen, 2011, S. 133; Reinhardt, 2012, S. 17; Nickel, 2016, S. 66) „Dies impliziert die Fahigkeit, beurteilen zu konnen, wann die Einmischung notig wird und wie sie am besten wirksam werden kann.“ (Detjen, 2017, S. 291)
4. Der Aktivburger ist an der Mitbestimmung des politischen Geschehens beteiligt, da er sich regelmaBig in Parteien, Interessensverbanden oder Burgerinitiativen en- gagiert und Verantwortung ubernimmt. Er vertritt seine Interessen und die des Ge- meinwohls. Fur den Aktivburger nimmt das politische Geschehen einen sehr ho- hen Stellenwert in seinem Leben ein, da die Gruppe der Aktivburger die Position des politischen Fuhrungspersonals der Gesellschaft einnimmt. Weswegen der Ak- tivburger eine Steigerung des interventionsfahigen Burgers darstellt (vgl. Detjen, 2011, S. 134; Detjen, 2017, S. 292; Nickel, 2016, S. 66).

Nachdem die vier Typen der Burgerrolle erklart wurden, soll nun geklart werden, welche Burgerrolle das Ziel der politischen Bildung ist. Nach der Betrachtung aller Burgerrollen ware es plausibel, dass der Aktivburger das ideale Ziel der politischen Bildung zu sein vermag. Daher ist fur viele Fachdidaktiker der politischen Bildung der Aktivburger das Maximalziel (vgl. Detjen, 2017, S. 291). „Der politisch interessierte, informierte und en- gagierte Aktivburger ist das Ideal politischer Bildung, er ist aber weder die Realitat des politischen Geschehens noch darf er den Burgern verpflichtend auferlegt werden.“ (Roken, 2011, S. 226) Jedoch sollte die politische Bildung sich zur primaren Aufgabe machen, die desinteressierten Burger zu reflektierte Zuschauer zu machen, damit alle Schuler die Grundkenntnisse des politischen Geschehens aufweisen (vgl. Detjen, 2011, S. 135). Somit ware das Minimalziel der politischen Bildung der reflektierte Burger (vgl. Detjen, 2017, S. 291; Juchler, 2005, S. 104). Detjen vertritt sogar die Meinung, „dass die Demokratie in ihrem Bestand davon abhangt, dass die meisten Burger zumindest sich auf dem Niveau des reflektierten Zuschauers befinden.“ (Detjen, 2017, S. 291) Jedoch stellt dies ein anspruchsvolles Ziel dar, da das Interesse an Politik bei den Schulern zunachst geweckt werden musste. Hingegen Juchler dafur ist, dass der interventionsfa- hige Burger das realistische Minimalziel der politischen Bildung sein sollte, da dieser in der Lage ist auf verschiedenen politischen Handlungsfeldern - bei Bedarf - zu agieren (vgl. Juchler, 2005, S. 104).

Zusammenfassend lasst sich sagen, dass das Maximalziel die Rolle des Aktivburgers ist. Doch was das Minimalziel betrifft, sind sich die Fachdidaktiker der politischen Bildung uneinig. Dennoch kann festgehalten werden, dass die Aufgabe der politischen Bildung darin besteht, den Schulern kognitive politische Kenntnisse zu vermitteln, die bei der Entwicklung der politischen Urteilsbildung und Handlungsbereitschaft von Bedeutsam- keit sind (vgl. Juchler, 2005, S. 110).

[...]

Ende der Leseprobe aus 130 Seiten

Details

Titel
Demokratie-Lernen in der Schule. Bestandsaufnahme, Problematisierung und Lösungsansätze in der Sekundarstufe I (Gymnasium)
Hochschule
Universität Kassel
Note
2,0
Autor
Jahr
2020
Seiten
130
Katalognummer
V1033233
ISBN (eBook)
9783346447456
ISBN (Buch)
9783346447463
Sprache
Deutsch
Schlagworte
demokratie-lernen, schule, bestandsaufnahme, problematisierung, lösungsansätze, sekundarstufe, gymnasium
Arbeit zitieren
Wiebke Möller (Autor:in), 2020, Demokratie-Lernen in der Schule. Bestandsaufnahme, Problematisierung und Lösungsansätze in der Sekundarstufe I (Gymnasium), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033233

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