Seit Ende Februar 2019 überschlagen sich Medienberichte zum Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region Kaschmir. Eine spieltheoretische Analyse soll Gegenstand der Auseinandersetzung sein und unter der Frage „Wie lässt sich die Entstehung der United Nations Military Observer Group in India and Pakistan (UNMOGIP) erklären?“ betrachtet werden.
Da in den aktuellen Entwicklungen Pakistan und Indien die beteiligten Akteure sind, sollen ausschließlich diese im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Zunächst soll die Spieltheorie dargestellt werden, um ein besseres Verständnis für die anschließende empirische Betrachtung zu erzielen. Im darauffolgenden Kapitel wird dann die Spieltheorie auf den Kaschmir-Konflikt angewendet, woraus sich die Entstehung der UNMOGIP erklären lässt.
Lehrstuhl fur Internationale Beziehungen
Proseminar: Einfuhrung in die international und europaische Politik (WS 2018/19)
Eingereicht am: 15.03.2019
Indien und Pakistans Streit um das Kaschmir-Gebiet: Ein unlosbarer Konflikt?
1. Einleitung
Seit Ende Februar 2019 uberschlagen sich Medienberichte zum Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Region Kaschmir, wie beispielsweise „Pakistan meldet Abschuss von indischen Kampfflugzeugen“1, „Mehrere Tote bei Schusswechseln zwischen Indien und Pakistan“2 oder „Indien richtet neue Warnung an Pakistan“3. Wie aus ihnen ersichtlich wird, ist die Lage in der Region derzeit erneut von politischen Unruhen und Spannungen gepragt. Als Ausloser fur die aktuellen Entwicklungen gilt ein Terroranschlag von der islamistischen Gruppe Jaish-e-Mohammed, der sich am 14. Februar 2019 im indischen Teil von Kaschmir bei Awantipora ereignete und dem mehr als 40 indische Soldaten zum Opfer fielen. Daraufhin bombardierte die indische Luftwaffe am 26. Februar 2019 ein grenznahes Trainingslager der Terrorgruppe beim Ort Balakot. Unklar ist, wie viele Todesopfer es bei dieser Militaraktion gab. Pakistan reagierte seinerseits mit dem Abschuss zweier Flugzeuge der indischen Luftstreitkrafte und einer Festnahme und spateren Freilassung eines Piloten.
Doch der Konflikt beruht nicht nur auf den aktuellen Ereignissen, sondern grundet sich in einem langen Wettstreit um Machteinfluss in der Region. Das Gebiet im Himalaya, welches an die Lander Pakistan, Indien und an die Volksrepublik China angrenzt, wurde seit 1947 mit dem Ruckzug der britischen Kolonialmacht mehrfach zum Grund fur Auseinandersetzungen und Kriege. Heute teilt sich das Gebiet in den autonomen indischen Bundesstaat Kashmir und Jammu, das pakistanische Sonderterritorium Gilgit-Baltistan, einem teilautonomen pakistanischen Gebiet namens Asad Jammu und Kaschmir und einigen Gebieten, die zu China gehoren, auf.
Aufgrund der aktuellen Relevanz des Konflikts, soll im Folgenden eine spieltheoretische Analyse Gegenstand der Auseinandersetzung sein und unter der Frage „Wie lasst sich die Entstehung der United Nations Military Observer Group in India and Pakistan (UNMOGIP) aus spieltheoretischer Perspektive erklaren?“ betrachtet werden. Da in den aktuellen Entwicklungen Pakistan und Indien die beteiligten Akteure sind, sollen ausschlieftlich diese im Mittelpunkt der Betrachtung stehen. Zunachst soll die Spieltheorie dargestellt werden, um ein besseres Verstandnis fur die anschlieftende empirische Betrachtung zu erzielen. Im darauffolgenden Kapitel wird dann die Spieltheorie auf den Kaschmir-Konflikt angewendet, woraus sich die Entstehung der UNMOGIP erklaren lasst.
2. Die spieltheoretische Veranschaulichung des Konflikts
Mit der Spieltheorie kann eine Analyse strategischer Entscheidungssituationen vorgenommen werden. Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan um das Kaschmir-Gebiet lasst sich am spieltheoretischen Modell namens Chicken Game, zu deutsch dem Feiglingsspiel, veranschaulichen und nachvollziehen. Beim Chicken Game wollen die Akteure die einseitige Durchsetzung ihrer Interessen erreichen, jedoch besteht gleichzeitig „die Gefahr des beiderseits schlechtesten Resultats fur den Fall [zu] riskieren, dass beide Seiten unnachgiebig bleiben“4. Das Chicken Game zahlt deshalb zu den sogenannten „mixed-motive-games“5, bei denen es teilweise eine Interessenubereinstimmung und einen Interessengegensatz gibt. Der Interessengegensatz besteht beim Kaschmir Konflikt darin, dass beide Lander alleinigen Anspruch auf das Gebiet erheben und es zum eigenen Land annektieren mochten und der Gegner dazu einlenkt. Denn beide Lander sind der Uberzeugung, dass sie die im Kaschmir-Gebiet lebenden Menschen am besten vertreten konnen. Indien mochte mit seinem Anspruch auf das Gebiet die Handelswege zu Rohstoffen in das Hochtal von Kaschmir beibehalten und ausbauen. Aufterdem besteht bei einem Verlust des Kaschmir-Gebiets die Gefahr, dass es zu Unruhen im Land kommt und sich andere Gebiete aus dem Staatenverbund Indiens ebenso abspalten. Fur Pakistan spielt die muslimische Religionszugehorigkeit vieler dort lebender Menschen eine grofte Rolle, die ihrer Auffassung nach, entsprechend dem Grundungskonzept des Staates Pakistan, zu ihrem Land gehoren. Eine Interessenubereinstimmung weisen die Lander darin auf, dass sie den Katastrophenfall, namlich einen Krieg verhindern mochten. Ein Krieg schwacht beide Lander und die Folgen eines Krieges, bei dem die Moglichkeit besteht Nuklearwaffen einzusetzen, sind ungewiss. Die nachfolgende Tabelle zeigt die Grundstruktur des Chicken Games, die die Interessen anhand von Payoff-Werten veranschaulicht.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Unter Kooperation wird hier das Nachgeben der Lander bei ihrem Anspruch auf das Kaschmir-Gebiet verstanden und unter Defektion das Verharren darauf, das Kaschmir- Gebiet zum eigenen Land annektieren zu wollen. Indien und Pakistan erreichen mit der beidseitigen Kooperation (3,3) das fur beide Spieler gemeinsam beste Ergebnis. Diese Losung ist ein Pareto-Optimum, da sich keiner der beiden Spieler besser stellen konnte, ohne den anderen Spieler damit schlechter zu stellen.6 Sobald der Gegenspieler kooperiert, erzielt der andere Spieler fur sich ein besseres Ergebnis, wenn er selbst defektiert (2,4 / 4,2). Dabei ist ungewiss, welches der beiden gleichwertigen Ergebnisse eintritt. Es handelt sich um sogenannte Nash-Gleichgewichte, da keiner der beiden Spieler einen Anreiz hat, einseitig von der Gleichgewichtslosung abzuweichen. Um einen Payoff-Wert von vier zu erreichen, muss durch den Spieler eine moglichst glaubhafte Bindung an die Strategie der Defektion erfolgen. Die Gefahr des Spiels besteht darin, dass beide Spieler defektieren, was fur beide Seiten das schlechteste Ergebnis bedeutet (1,1). Wenn ein Spieler Anlass fur die Vermutung hat, dass der Gegenspieler defektiert, dann ist es fur den Spieler „vorteilhafter, zu kooperieren [,] als ebenfalls zu defektieren“7. Durch Absprachen und Verhandlungen zwischen den Spielern, kann dem Eintreten der schlechtesten Losung bei beidseitiger Defektion entgegengewirkt werden. Denn sobald mindestens ein Spieler kooperieren wurde, verbessern sich beide Spieler.8 Eine dominante Strategie gibt es in diesem Spiel nicht. Beide Lander verfolgen mit den aktuellen Militaraktionen die Strategie dem anderen die eigene Starke und Macht zu zeigen und damit den Gegner einzuschuchtern, was aber nur bis zu einem gewissen Punkt vorteilhaft ist, denn „wenn diese Grenze von einer Seite erreicht wird, dann muB die andere Seite entweder nachgeben oder den Krieg beginnen, den keine Seite gewollt hat“9.
Um den Kriegsfall zu verhindern, besteht der Bedarf zur Bildung einer Institution. Das Einstellen eines Nash-Gleichgewichtes ware auch ein moglicher Ausgang des Konflikts, jedoch ist dieser nicht gleichzeitig fur beide Spieler gerecht. AuBerdem bleibt dann die Frage offen, welches der beiden Nash-Gleichgewichte sich einstellt. Mit der beidseitigen Kooperation, dem Pareto-Optimum gibt es eine faire Verteilung der Payoff-Werte und ein gutes Spielergebnis fur beide Spieler. Dieses Ergebnis wird sich kaum von allein einstellen, da die Akteure rational handeln und fur sich das beste Ergebnis erzielen wollen, was auf eines der Nash-Gleichgewichte hinauslauft. Um das Ziel der beidseitigen Kooperation zu erreichen ist eine Institution notig, was im folgenden Kapitel anhand der UNMOGIP untersucht werden soll.
3. Die Entstehung der UNMOGIP aus spieltheoretischer Perspektive
Mit der UNMOGIP entstand eine mogliche kooperative Losung fur Indien und Pakistan, die bis heute aktiv ist: Im Juni des Jahres 1947 erfolgte die Teilung Britisch-Indiens in Pakistan und Indien. Der Furstenstaat Kaschmir hatte die Wahl sich Indien beziehungsweise Pakistan anzuschlieBen, oder souveran zu bleiben. Die Entscheidung fiel auf einen souveranen Staat Kaschmir, der jedoch in der Realitat nur kurzen Bestand hatte. Dem Einmarsch pakistanischer Militartruppen in das Kaschmir-Gebiet war der Furstenstaat Kaschmir wehrlos ausgeliefert und bat deshalb Indien um Unterstutzung beim Kampf gegen Pakistan. Indien ging auf die Bitte ein, jedoch wurde in diesem Zug der Furstenstatt Kaschmir von Indien annektiert. Daraus entwickelte sich der erste Krieg zwischen Indien und Pakistan um das Kaschmir-Gebiet, welcher zwei Jahre lang andauerte. Nach dem Kriegsende im Jahr 1949 wurden UN-Militarbeobachter in das Gebiet gesandt, woraus die United Nations Commission for India and Pakistan (UNCIP) entstand. Ihre Aufgabe war es unter anderem die sogenannte „Line of Control“, eine Waffenstillstandslinie zwischen den beiden entstandenen Gebieten zu uberwachen. 1951 wurde die UNCIP durch die United Nations Military Observer Group in India and Pakistan ( UNMOGIP) ersetzt, die weiterhin die Kontrolle der Einhaltung des Waffenstillstandes ubernahm. Sie untersucht Verletzungen gegen das Waffenstillstandsabkommen und unterrichtet den UN-Sicherheitsrat. Heute besteht sie aus einer Belegschaft von etwa 115 Personen.
Die Beobachtermission erzielte einerseits einen Erfolg, da sie die Einhaltung von Vereinbarungen, also den geografischen Verlauf der Line of Control uberwachen konnte und diese sich nicht groftartig verschoben hat, sondern uber langere Zeit Bestand hat. Andererseits zeigt sich, dass der Konflikt zwischen den beiden Landern um das Kaschmir- Gebiet trotz der Grundung der UNMOGIP nicht beigelegt werden konnte und die Line of Control nicht als endgultige Grenze zwischen den beiden Landern anerkannt wird. Denn trotz der Arbeit der Beobachtermission kam es im Jahr 1965, 1971 und 1999 zu weiteren Kriegen zwischen Indien und Pakistan um das Kaschmir-Gebiet und der Waffenstillstand wurde somit nicht eingehalten. Ein wichtiges Kriterium fur einen Beitrag der UNMOGIP zur Losung des Konflikts ist ebenfalls nicht mehr gegeben: Nach 1971 wurde sie von Pakistan weiterhin anerkannt, von Indien wurde sie jedoch abgelehnt.
Eine Losung ohne das Eingreifen einer Institution „requires a level of rationality on the side of all participants”10. Doch das Hoffen auf Rationalitat von Indien und Pakistan in Bezug auf den Kaschmir-Konflikt tragt nicht aktiv zur Losungsfindung bei und ist angesichts des langen Bestehens des Konflikts, verbunden mit dem erneuten Aufkommen von gegenseitigen Abschreckungsmanovern, in Frage zu stellen. Ohne eine erfolgreich vermittelnde Institution ist es fur die Lander schwer das Verhalten des anderen richtig einzuschatzen, zu interpretieren und darauf angemessen mit Kooperation oder Defektion zu reagieren. Eine kooperative Losung muss im Interesse beider Akteure sein und ist nur erreichbar, wenn beide fur verbindliche Vereinbarungen und zu einer Delegation an eine Institution bereit sind.11 Das Ziel einer institutionellen Losung ist es, den Defektionsanreiz zu minimieren und Koordination zu garantieren. Es muss zu einer Koordination der Interessen kommen, was beispielsweise durch eine Paketlosung erreicht werden kann. Abschlieftend kann festgehalten werden, dass es derzeit keine erfolgreich vermittelnde institutionelle Losung im Konflikt zwischen Indien und Pakistan gibt, um den Kriegsfall aus spieltheoretischer Perspektive zu verhindern und das Einstellen des Pareto-Optimum zu erzielen.
[...]
1 Zeit Online (2019): Pakistan meldet Abschuss von indischen Kampfflugzeugen. Elektronisch abrufbar unter: https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-02/kaschmir-pakistan-indien-abschuss-kampfflugzeuge [27.02.2019].
2 Spiegel Online (2019): Mehrere Tote bei Schusswechseln zwischen Indien und Pakistan. Elektronisch abrufbar unter: http://www.spiegel.de/politik/ausland/kaschmir-vier-tote-bei-schusswechseln-zwischen- indien-und-pakistan-a-1255974.html [02.03.2019].
3 Der Tagesspiegel (2019): Kaschmir Konflikt: Indien richtet neue Warnung an Pakistan. Elektronisch abrufbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/kaschmir-konflikt-indien-richtet-neue-warnung-an- pakistan/24083684.html [09.03.2019].
4 Prosch, Bernhard (2007): Vom Kosovo bis zum Irak: internationale Konflikte in spieltheoretischen Experimenten, S. 152.
5 Scharpf, Fritz Wilhelm (2000): Interaktionsformen: Akteurszentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, S. 137.
6 Vgl. Prosch, Bernhard (2007): Vom Kosovo bis zum Irak: internationale Konflikte in spieltheoretischen Experimenten, S. 152.
7 Ebd., S. 152.
8 Vgl. Riechmann, Thomas (2014): Spieltheorie, S. 45.
9 Scharpf, Fritz Wilhelm (2000): Interaktionsformen: Akteurszentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, S. 138.
10 Zurn, Michael (1993): Problematic Social Situations and International Institutions: On the Use of Game Theory in International Politics, S. 66.
11 Vgl. Scharpf, Fritz Wilhelm (2000): Interaktionsformen: Akteurszentrierter Institutionalismus in der Politikforschung, S. 139.
- Arbeit zitieren
- Anonym,, 2019, Indien und Pakistans Streit um das Kaschmir-Gebiet. Ein unlösbarer Konflikt?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033310
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