Auswirkung eines hohen Kohärenzgefühls auf den Krisenverlauf nach Schuchardt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen


Seminararbeit, 2018

24 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Zielsetzung
1.2 Abgrenzung und Aufbau der Arbeit

2 Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt
2.1 Das Eingangsstadium
2.2 Das Durchgangsstadium
2.3 Das Zielstadium

3 Salutogenese und das Kohärenzgefühl
3.1 Das Gefühl von Verstehbarkeit
3.2 Das Gefühl von Handhabbarkeit
3.3 Das Gefühl von Sinnhaftigkeit
3.4 Kritik und Erweiterung des Modells

4 Empirischer Forschungsstand

5 Auswirkung des Kohärenzgefühls auf den Krisenverlauf nach Schuchardt

6 Fazit

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Deutschland wird alt. Die Behauptung drängt täglich über die Medien (vgl. Mihm 2009) und in Form von gesundheitsbezogenen oder statistischen Berichten (vgl. Pötzsch/Rößger 2015). Sie sorgt für Kontroversen, Diskussionen, Zukunftssorgen, Polemik, politische und soziale Debatten.

Im Weltbericht zum Thema Altern und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2015 heißt es,

„ auf biologischer Ebene geht das Altern mit einer Vielzahl kumulativer molekularer und zellulärer Schäden einher. Im Laufe der Zeit führen diese Schäden zu einer allmählichen Minderung der physiologischen Reserven, zu einer höheren Anfälligkeit für zahlreiche Krankheiten und zu einem allgemeinen Nachlassen der intrinsischen Kapazität des Indi­viduums. ” (World Health Organisation 2016, S. 12)

Das Altern führt zu einem Anstieg von (chronischen) Krankheiten (vgl. Robert Koch-Institut 2012, S. 67-68) verknüpft mit einer Minderung der Regenerationsfähigkeit des Organismus, zu einer höheren Rate von Multimorbidität (vgl. Lippke/Renneberg 2006, S. 11) sowie ei­nem allgemeinen Zerfall der physischen und psychischen Reserven des Individuums. Alle diese Faktoren tragen eine wichtige soziale Komponente in sich: Sie führen zu höheren Kos­ten für die Sozialversicherungsträger, zu sozialer Isolierung, Singularisierung und Femini­sierung der Gesellschaft (vgl. Pötzsch/Rößger 2015, S. 11). Durch aktuelle gesundheitswis­senschaftliche Erkenntnisse konnte außerdem ein Anstieg an chronischen Erkrankungen festgestellt werden, die im direkten Zusammenhang mit der modernen Gesellschaft und ihrer Lebensweise stehen und eine zusätzliche Belastung und Anforderung für die Gesellschaft darstellen (vgl. Homfeldt/Sting 2006, S. 14).

Soziale Arbeit hat in diesem Kontext unter anderem die Aufgabe, die Menschen, die sich in diesem Zustand befinden, trotz chronischer Erkrankung, eine bestmögliche soziale Teilhabe und Wohlbefinden zu ermöglichen. Sie greift da, wo die Ressourcen einer Person nicht mehr ausreichen, um sich selbst zu helfen. Zwischen Gesundheit und Sozialer Arbeit besteht eine Wechselwirkung, da zum einen der Gesundheitszustand eines Menschen die Methoden und Möglichkeiten der Sozialen Arbeit stark beeinflussen und zum anderen die Gesundheitslage eines Menschen selbst zu sozialen Problemen führen kann. Schließlich hängen die soziale Lage und der Gesundheitszustand voneinander ab. Somit hat die Soziale Arbeit die Aufgabe, sich nicht nur mit Zusammenhängen zwischen sozialen und gesundheitlichen Problemen zu beschäftigen, sondern auch aktiv in der Prävention und Gesundheitsförderung zu agieren (vgl. Hafen 2013, S. 35).

Eine chronische Erkrankung erfordert eine ganzheitliche biografische Betrachtung der Be­troffenen, deren subjektiven Gesundheits- und Krankheitsverständnisses sowie der subjekti­ven Ressourcen zur Krisenbewältigung. Das soziale Umfeld der Betroffenen stellt dabei eine wichtige Komponente dar. Es kann auf die Situation der Betroffenen fördernd wirken, aber auch beeinträchtigend, manchmal sogar stigmatisierend, was für die kranken Menschen zu einer erheblichen Minderung der Lebensqualität führt (vgl. Stürmer/Salewski 2009, S. 263­264). Der unheilbare Aspekt der chronischen Krankheit verlangt nach „eine[r] Verzahnung der verschiedenen Stadien der Krankheitsbearbeitung und -bewältigung“ (Homfeldt/Sting 2006, S. 15), eine Aufgabe, die nur durch eine interdisziplinäre, kooperative Zusammenar­beit der verschiedenen Disziplinen des Gesundheitswesens, an dem auch die Soziale Arbeit beteiligt ist, zu erfüllen ist. Das Ziel der spezifischen Maßnahmen und Methoden der Sozia­len Arbeit ist weniger die Beseitigung der Symptome einer chronischen Erkrankung als die langfristige Verbesserung der gesundheitlichen Lebensqualität. Die Lebensqualität setzt sich zusammen aus der finanziellen Komponente sowie aus dem subjektiven Erleben und Wohl- befinden1, das die Betroffenen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung wahrnehmen.

Wie die Soziale Arbeit ihre Methoden einsetzt, wie sie in gesundheitsbezogenen Situationen agiert, steht in einem starken Zusammenhang mit dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Eine Erweiterung des heutigen allgemein akzeptierten pathogenetisch-orientier- ten Denkens ist notwendig, da Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist. Sie ist ein Konstrukt aus psychischen, sozialen und ökonomischen Faktoren, die sich permanent gegenseitig beeinflussen (ebd.).

1.1 Zielsetzung

In diesem Kontext stellt sich die Forschungsfrage: Welche Auswirkungen hat ein hohes Ko­härenzgefühl auf den Krisenverlauf nach Erika Schuchardt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen?

Das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence = SOC) wurde von dem israelischen Medizinso­ziologen Aaron Antonovsky im Rahmen eines neuen Gesundheitsmodell, der Salutogenese, veröffentlicht. Im Rahmen des Modells der Salutogenese plädiert Antonovsky für eine neue Perspektive bei der Betrachtung von Gesundheit und Krankheit; es soll eine komplementäre Ansicht zur dominierenden pathogenetischen Orientierung darstellen (vgl. Antonovsky 1997, S. 29-30). Antonovsky stellt sich nicht die Frage: Was macht die Menschen krank?, wie sie in der Pathogenese üblich ist, sondern fragt: Was hält die Menschen gesund?. Ge­sundheit und Krankheit sind demzufolge nicht als zwei gegenüberliegende Pole zu verste­hen, sondern als ein Kontinuum, wobei die beiden extremen Pole - völlige Gesundheit und völlige Krankheit - nicht zu erreichen sind. Solange ein Mensch am Leben ist, hat er sowohl gesunde als auch kranke Anteile. Salutogenese versucht mit Hilfe seines Kernstücks, des Kohärenzgefühls, ein neues Verständnis des Begriffs der chronischen Erkrankung zu schaf­fen und gleichzeitig eine neue Perspektive in der Betreuung von Betroffenen zu ermöglichen.

Eine chronische Erkrankung stellt fast immer eine Krise für die Patienten_innen dar, die in der Fachliteratur durch die sogenannten Trauer- und Krisen-Bewältigungsmodelle erläutert und visualisiert wird (vgl. Franke 2012, S. 260). Eines dieser theoretisch-empirischen Kri­senverarbeitungsmodelle wurde von der deutschen Soziologin und Psychologin Erika Schuchardt entwickelt. Dieses Modell bietet im Vergleich zu ähnlichen Modellen eine kom­plexere und ausdifferenziertere Betrachtung der Krise, da die Autorin acht statt fünf Phasen der Krisenverarbeitung definiert und somit ein besseres Verständnis des Konzepts der Kri­senverarbeitung schafft. Die Krise wird dabei als ein Lernprozess gesehen, welcher letztend­lich dazu führen soll, dass die Betroffenen die Krise überwinden, mit der Krise leben können und sich sozial für andere Betroffene engagieren.

In der vorliegenden Arbeit wird bewusst auf eine Definition von Krise verzichtet, da die Bedeutung des Begriffes nicht von einer einzigen Definition erfasst werden kann. Eine Krise ist ein komplexer Prozess, der sowohl emotionale als auch kognitive Aspekte beinhaltet. Aus diesem Grund wird Krise anhand eines komplexen Krisenmodells dargestellt.

1.2 Abgrenzung und Aufbau der Arbeit

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Erfassung des SOC und dessen möglichen Auswirkungen auf das Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt. Sie basiert auf einer reinen Literaturrecherche, die im Rahmen einer Seminararbeit vorgeschrieben ist.

Das Modell der Salutogenese wird nur marginal bearbeitet, die weiteren Bestandteile des Modells konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Aus demselben Grund wird die Krise nur aus der Perspektive eines Menschen mit chronischer Erkrankung betrachtet. Schuchardts Krisenverarbeitungsmodell bezieht sich auf ein breites Spektrum von Krisensituationen, nicht nur auf die Krise, die von einer chronischen Erkrankung verur­sacht wurde, sondern auch auf andere kritische Lebensereignisse und -umstände, beispiels­weise die Geburt eines Kindes mit Behinderung, Tod, Trauer nach einem Verlust oder auf den Übergang von Erwerbstätigkeit zur Pensionierung.

Um die Frage nach möglichen Korrelationen und Auswirkungen zwischen dem Kohärenz­gefühl und Schuchardts Modell beantworten zu können, werden in den folgenden Kapiteln das Krisenbewältigungsmodell nach Schuchardt und das Kohärenzgefühl definiert, erläutert und kritisch betrachtet. Auch die Implikationen und Korrelationen zur Sozialen Arbeit wer­den dargestellt und diskutiert. Im Fazit wird, nach einer kurzen Zusammenfassung der wich­tigsten Aspekte dieser Arbeit, die Fragestellung beantwortet.

2 Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt

Von Beginn ihres Berufslebens an beschäftigte sich Schuchardt mit dem Thema Integration und Krisenverarbeitung. Aus der ausführlichen Auseinandersetzung mit über 6 000 Selbst­biographien aus den Jahren 1900 bis ca. 2000 resultierte ein das Krisenverarbeitungsmodell, die sogenannte Krisenspirale (vgl. Schuchardt 2003, S. 137). Durch ihre Recherchearbeit konnte sie in der Krisenverarbeitung ihrer Probanden_innen Kongruenzen und Gesetzmä­ßigkeiten feststellen (ebd.). Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass in den meisten Fällen ein wiederkehrender, spiraliger Phasenprozess in der Krisenverarbeitung auftritt und die Rei­henfolge dieser Phasen meist dem gleichen Muster folgt (vgl. Schuchardt 1988, S.27). Die­ses Muster wurde zur Grundlage ihres Modells der Krisenverarbeitung, das sie mit Hilfe einer achtphasigen Krisenspirale dargestellt hat. Die Spirale beschreibt einen emotional-kog­nitiv-dynamischen Lernprozess während der Krisenbewältigung, die letztendlich zu einer inneren Entwicklung führt, in deren Verlauf jedoch Stagnation, Regression oder Unabge­schlossenheit möglich ist (vgl. Schuchardt 2003, S. 139). Die Autorin betont, dass eine er­folgreiche Bewältigung der Krise keine autonome Selbstleistung der Betroffenen ist und al­lein der Glaube, dass sie eine wäre, eine Selbsttäuschung ist, die zum Misserfolg führt (vgl. Schuchardt 2003, S. 122).

Damit verdeutlicht Schuchardt, wie bedeutsam in der Krisenverarbeitung ein gesundes sozi­ales Leben ist. Bei einem lückenlosen Verlauf der Krisenspirale wird die soziale Integration als Sollzustand erreicht (vgl. Schuchardt 2003, S. 139).

Nach der intensiven Auseinandersetzung mit diversen Krisensituationen ihrer Proban- den_innen - chronische Krankheiten, Krebs, Trennung, Behinderung oder Gewalt - fand Schuchardt heraus, dass die menschliche Seele einer Regel in der Krisenverarbeitung folgt. Diese Regel wird zur Verdeutlichung in acht Phasen geordnet und diese werden wiederum in drei Stadien aufgeteilt: Eingangs-, Durchgangs- und Zielstadium (vgl. Schuchardt 1988, S. 27).

2.1 Das Eingangsstadium

Im Eingangsstadium erfahren die Betroffenen zunächst eine Auseinandersetzung mit der Krise und haben noch keinen Überblick über sie und kein Verständnis von ihr. Die Betroffe­nen befinden sich in einer kognitiven, fremdgesteuerten Dimension, die in zwei Phasen ge­teilt wird: Ungewissheit und Gewissheit (vgl. Schuchardt 1988, S. 31).

Eine chronische Erkrankung beginnt mit einem Schock, der Phase der Ungewissheit. Der Krisenauslöser, je nach Erkrankung unterschiedlich, führt dazu, dass die Betroffenen in ei­nem halbbewussten Zustand ahnen, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Je nach Symptom pendeln sie zwischen Unwissenheit Was soll das schon bedeuten... ?, Unsicherheit Hat das doch etwas zu bedeuten... ? und die Unannehmbarkeit Das muss doch ein Irrtum sein... ? (vgl. Schuchardt 2003, S. 144). Das Hauptmerkmal dieser Phase ist das Umkreisen der Krise, die Tendenz, die Krise zu leugnen, zu verdrängen, als Reaktionsmuster und Abwehrmecha­nismus zur panischen Angst vor dem Unbekannten. Die Zweifel mehren sich und Unsicher­heit kommt auf (ebd., S. 143). Schuchardt erkannte, dass bereits ab diesem Zeitpunkt eine Prozessbegleitung sinnvoll ist, um eine ungünstige Verlängerung dieser Phase und vor allem einen „akuten Abbruch der Krisenverarbeitung mit Tendenz zu sozialer Isolation zu verhin­dern“ (ebd., S. 145). Dabei kann ein falsch verstandenes Verschonen den Prozess der Leug­nung verstärken. Nur durch Offenheit und Gesprächsbereitschaft kann ein(e) Begleiterin diesen Prozess in die richtige Richtung lenken.

Die zweite Phase gleicht der Diagnosestellung. Sie ist durch eine verneinende Bejahung ge­kennzeichnet, da die Betroffenen diese Phase als Ja, aber das kann doch nicht sein... ? aus­drücken. Um ihr Leben weiterführen zu können, müssen die Betroffenen als Schutzmecha­nismus die Krise immer wieder leugnen.

Dieser Dualismus zwischen kognitivem Ja und emotionalem Nein schafft einen Abstand zur Diagnose, eine Ressource, um den eigenen Weg fortsetzen zu können (ebd.). Eine empathi- sche Begleitung ist in der Phase der Gewissheit von großer Bedeutung. Ein Gespräch über die reale Situation soll eine Verbindung zwischen der kognitiven und der emotionalen Wahr­nehmung der Krise schaffen. Ob ein solches Gespräch stattfinden kann, ist von der Bereit­schaft der Betroffenen abhängig. Der Informationsgehalt ist in dieser Phase nicht entschei­dend, vielmehr, ob die Information angenommen werden kann. Das stellt hohe Anforderun­gen an die Kommunikationsfähigkeit und Belastbarkeit des(r) Betreuers_in. Bei einer er­folgreichen Begleitung können die Bewältigungsressourcen der Betroffenen in Gang gesetzt werden. Die reale Situation wird dann entweder rational zur Kenntnis genommen, während die Gefühle unterdrückt werden, oder sie wird emotional aufgenommen und die Gefühle werden ausgehalten (vgl. Schuchardt 2003, S. 145-146).

2.2 Das Durchgangsstadium

Durch das Durchgangsstadiums steigen die Betroffenen in einer emotionalen, ungesteuerten Dimension, die drei Phasen beinhaltet: Aggression, Verhandlung und Depression. Die Be­troffenen empfinden endlose Trauer und Wut, eine starke Emotionalität, die über den Be­troffenen kommt und sie können sich nicht dagegen wehren. Nicht selten wollen die Be­troffenen in diesem Stadium das Leid beenden, das Sinn des (weiter) Lebens mit der Krank­heit geht bei der meisten verloren. Jetzt sind die Betroffenen stark auf fremde Hilfe ange­wiesen, da sie selbst die Ressourcen sich von der Krise raus zu retten, nicht mehr findig sind (vgl. Schuchardt 1988, S. 28-29).

Erst jetzt in der Phase der Aggression vereinen sich die emotionalen und die kognitiven An­teile der Krise und führen gemeinsam zu einer Erschütterung und Verzweiflung der Betroffe­nen: Warum gerade ich... ?. Es ist ein emotionaler Ausbruch, der sich entweder gegen sie selbst oder gegen ihre Umwelt richtet. Der eigentliche Auslöser der Aggression, die Krank­heit selbst, bleibt dabei unangreifbar. Das führt dazu, dass die Betroffenen ihren Frust in eine andere Richtung lenken. Unsicherheit, Angst, Spannung und ein starkes Gefühl der Bedro­hung nehmen zu und Gefühle der Perspektivlosigkeit, Hilflosigkeit und Überforderung kom­men hinzu. Diese Phase führt oft zu falschen Interpretationen von Außenstehenden, eine unangemessene Handlung kann die Krise aber sogar noch vertiefen. Eine positive Beglei­tung verhindert die Isolierung und die Resignation der Betroffenen und versteht, dass die Aggressivität nur ein Ventil ist, um den Überdruck der Gefühle abzulassen.

Die Aggression ist für die Betroffenen eine wichtige Phase und eine Ressource in der emo­tionalen Krisenbewältigung. Sie hilft ihnen, handlungsfähig zu werden, auch wenn sie nur verzweifelte Handelnde sind (vgl. Schuchardt 2003, S. 146-147).

Die Aggression drängt die Betroffenen zur Einleitung und Mobilisierung von wahllosen Maßnahmen zu, um sich aus der Machtlosigkeit zu befreien. Diese Maßnahmen bilden die vierte Phase der Krisenspirale, die Verhandlung. Sie ist gekennzeichnet durch paradoxe, an­tagonistische Handlungen. Auf der einen Seite werden vermehrt Ärzte_innen besucht, in der Hoffnung, dass diese der Diagnose widersprechen, auf der anderen Seite findet eine freneti­sche Suche nach Wunder-Wegen, die die Krankheit aufhalten oder sogar die Person heilen. Dabei werden alle Ressourcen ausgeschöpft, auch die finanziellen, was dazu führen kann, dass diese Phase die Betroffenen selbst und ihre Familien in den Ruin treibt. Eine optimale Krisenbegleitung bewahrt die Betroffenen davor und vor allem vor der großen Enttäuschung als Folge unwirksamer Maßnahmen. Sie zeigt die Richtung der verfügbaren Ressourcen und hilft den Betroffenen, die eigenen Reaktionen zu verstehen und darauf einzugehen (vgl. Schuchardt 2003, S. 147-148).

Alle Arztbesuche, Heilmittel und Wundermittel erweisen sich früher oder später als unwirk­sam, die Symptome der chronischen Krankheit bleiben, trotz aller Bemühungen, unverändert oder verschlechtern sich. Die Frage: Wozu, alles ist sinnlos... ? führt zu einem akuten Gefühl des Versagens, die Betroffenen sinken in die Tiefe der Resignation oder Verzweiflung, die Phase der Depression. Dieser intensive Ausbruch von Gefühlen führt allerdings paradoxer­weise zu einer rationalen Auseinandersetzung mit der Krise, da endlich der Verlust der Ge­sundheit anerkannt wird. Es erfolgen das Loslassen falscher Hoffnungen und der endgültige Verzicht darauf, den Verlust zu leugnen. In der Phase der Depression ist es relevant, dass alle vorhandenen Bewältigungsstrategien und Ressourcen aktiviert werden, um den Weg zur Annahme der chronischen Krankheit zu gestalten (vgl. Schuchardt 2003, S. 148-149).

2.3 Das Zielstadium

Im letzten Stadium, dem Zielstadium, beginnen die Betroffenen, ihren Zustand anzunehmen, eine Wandlung findet statt und sie fangen an, mit der Krise zu leben. Es ist ein aktionales, selbstgesteuertes Stadium, in dem der Auslöser der Krise nicht länger im Vordergrund steht, sondern die Betroffenen wieder damit beginnen, am sozialen Leben aktiv teilzunehmen (vgl. Schuchardt 1988, S. 29-30). Schuchardt teilt dieses Stadium in drei Phasen: die Annahme, die Aktivität und die Solidarität.

[...]


1 Vgl. World Health Organisation (2006, S. 1) Definition der Gesundheit: „Health is a state of complete physical, social and mental well-being and not merely the absence of disease or infir­mity”.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Auswirkung eines hohen Kohärenzgefühls auf den Krisenverlauf nach Schuchardt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen
Hochschule
Duale Hochschule Baden-Württemberg, Stuttgart, früher: Berufsakademie Stuttgart
Note
1,2
Autor
Jahr
2018
Seiten
24
Katalognummer
V1033801
ISBN (eBook)
9783346441607
ISBN (Buch)
9783346441614
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Fragestellung ist sinnvoll eingegrenzt und konkret formuliert. In der Einleitung wird die Relevanz des Themas begründet und das Vorgehen erläutert. Wesentliche Begriffe werden theoriefundiert erarbeitet und definiert. Der aktuelle empirische Forschungsstand wird dargestellt. Fachkontroversen zum den beiden Hauptmodellen, Krisenverlauf und Salutogenese werden differenziert dargestellt. Eine Argumentationslinie ist deutlich erkennbar. Die Fragestellung wird systematisch und gezielt bearbeitet. Im Fazit werden die Ergebnisse gut auf den Punkt gebracht.
Schlagworte
Salutogenese, Antonovsky, Modell, Gesundheit, Krankheit, Krisenverlauf
Arbeit zitieren
Alexandra Brunet (Autor:in), 2018, Auswirkung eines hohen Kohärenzgefühls auf den Krisenverlauf nach Schuchardt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033801

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