Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
1.1 Zielsetzung
1.2 Abgrenzung und Aufbau der Arbeit
2 Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt
2.1 Das Eingangsstadium
2.2 Das Durchgangsstadium
2.3 Das Zielstadium
3 Salutogenese und das Kohärenzgefühl
3.1 Das Gefühl von Verstehbarkeit
3.2 Das Gefühl von Handhabbarkeit
3.3 Das Gefühl von Sinnhaftigkeit
3.4 Kritik und Erweiterung des Modells
4 Empirischer Forschungsstand
5 Auswirkung des Kohärenzgefühls auf den Krisenverlauf nach Schuchardt
6 Fazit
7 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Deutschland wird alt. Die Behauptung drängt täglich über die Medien (vgl. Mihm 2009) und in Form von gesundheitsbezogenen oder statistischen Berichten (vgl. Pötzsch/Rößger 2015). Sie sorgt für Kontroversen, Diskussionen, Zukunftssorgen, Polemik, politische und soziale Debatten.
Im Weltbericht zum Thema Altern und Gesundheit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) von 2015 heißt es,
„ auf biologischer Ebene geht das Altern mit einer Vielzahl kumulativer molekularer und zellulärer Schäden einher. Im Laufe der Zeit führen diese Schäden zu einer allmählichen Minderung der physiologischen Reserven, zu einer höheren Anfälligkeit für zahlreiche Krankheiten und zu einem allgemeinen Nachlassen der intrinsischen Kapazität des Individuums. ” (World Health Organisation 2016, S. 12)
Das Altern führt zu einem Anstieg von (chronischen) Krankheiten (vgl. Robert Koch-Institut 2012, S. 67-68) verknüpft mit einer Minderung der Regenerationsfähigkeit des Organismus, zu einer höheren Rate von Multimorbidität (vgl. Lippke/Renneberg 2006, S. 11) sowie einem allgemeinen Zerfall der physischen und psychischen Reserven des Individuums. Alle diese Faktoren tragen eine wichtige soziale Komponente in sich: Sie führen zu höheren Kosten für die Sozialversicherungsträger, zu sozialer Isolierung, Singularisierung und Feminisierung der Gesellschaft (vgl. Pötzsch/Rößger 2015, S. 11). Durch aktuelle gesundheitswissenschaftliche Erkenntnisse konnte außerdem ein Anstieg an chronischen Erkrankungen festgestellt werden, die im direkten Zusammenhang mit der modernen Gesellschaft und ihrer Lebensweise stehen und eine zusätzliche Belastung und Anforderung für die Gesellschaft darstellen (vgl. Homfeldt/Sting 2006, S. 14).
Soziale Arbeit hat in diesem Kontext unter anderem die Aufgabe, die Menschen, die sich in diesem Zustand befinden, trotz chronischer Erkrankung, eine bestmögliche soziale Teilhabe und Wohlbefinden zu ermöglichen. Sie greift da, wo die Ressourcen einer Person nicht mehr ausreichen, um sich selbst zu helfen. Zwischen Gesundheit und Sozialer Arbeit besteht eine Wechselwirkung, da zum einen der Gesundheitszustand eines Menschen die Methoden und Möglichkeiten der Sozialen Arbeit stark beeinflussen und zum anderen die Gesundheitslage eines Menschen selbst zu sozialen Problemen führen kann. Schließlich hängen die soziale Lage und der Gesundheitszustand voneinander ab. Somit hat die Soziale Arbeit die Aufgabe, sich nicht nur mit Zusammenhängen zwischen sozialen und gesundheitlichen Problemen zu beschäftigen, sondern auch aktiv in der Prävention und Gesundheitsförderung zu agieren (vgl. Hafen 2013, S. 35).
Eine chronische Erkrankung erfordert eine ganzheitliche biografische Betrachtung der Betroffenen, deren subjektiven Gesundheits- und Krankheitsverständnisses sowie der subjektiven Ressourcen zur Krisenbewältigung. Das soziale Umfeld der Betroffenen stellt dabei eine wichtige Komponente dar. Es kann auf die Situation der Betroffenen fördernd wirken, aber auch beeinträchtigend, manchmal sogar stigmatisierend, was für die kranken Menschen zu einer erheblichen Minderung der Lebensqualität führt (vgl. Stürmer/Salewski 2009, S. 263264). Der unheilbare Aspekt der chronischen Krankheit verlangt nach „eine[r] Verzahnung der verschiedenen Stadien der Krankheitsbearbeitung und -bewältigung“ (Homfeldt/Sting 2006, S. 15), eine Aufgabe, die nur durch eine interdisziplinäre, kooperative Zusammenarbeit der verschiedenen Disziplinen des Gesundheitswesens, an dem auch die Soziale Arbeit beteiligt ist, zu erfüllen ist. Das Ziel der spezifischen Maßnahmen und Methoden der Sozialen Arbeit ist weniger die Beseitigung der Symptome einer chronischen Erkrankung als die langfristige Verbesserung der gesundheitlichen Lebensqualität. Die Lebensqualität setzt sich zusammen aus der finanziellen Komponente sowie aus dem subjektiven Erleben und Wohl- befinden1, das die Betroffenen im Zusammenhang mit ihrer Erkrankung wahrnehmen.
Wie die Soziale Arbeit ihre Methoden einsetzt, wie sie in gesundheitsbezogenen Situationen agiert, steht in einem starken Zusammenhang mit dem Verständnis von Gesundheit und Krankheit. Eine Erweiterung des heutigen allgemein akzeptierten pathogenetisch-orientier- ten Denkens ist notwendig, da Gesundheit mehr als die Abwesenheit von Krankheit ist. Sie ist ein Konstrukt aus psychischen, sozialen und ökonomischen Faktoren, die sich permanent gegenseitig beeinflussen (ebd.).
1.1 Zielsetzung
In diesem Kontext stellt sich die Forschungsfrage: Welche Auswirkungen hat ein hohes Kohärenzgefühl auf den Krisenverlauf nach Erika Schuchardt bei Menschen mit chronischen Erkrankungen?
Das Kohärenzgefühl (Sense of Coherence = SOC) wurde von dem israelischen Medizinsoziologen Aaron Antonovsky im Rahmen eines neuen Gesundheitsmodell, der Salutogenese, veröffentlicht. Im Rahmen des Modells der Salutogenese plädiert Antonovsky für eine neue Perspektive bei der Betrachtung von Gesundheit und Krankheit; es soll eine komplementäre Ansicht zur dominierenden pathogenetischen Orientierung darstellen (vgl. Antonovsky 1997, S. 29-30). Antonovsky stellt sich nicht die Frage: Was macht die Menschen krank?, wie sie in der Pathogenese üblich ist, sondern fragt: Was hält die Menschen gesund?. Gesundheit und Krankheit sind demzufolge nicht als zwei gegenüberliegende Pole zu verstehen, sondern als ein Kontinuum, wobei die beiden extremen Pole - völlige Gesundheit und völlige Krankheit - nicht zu erreichen sind. Solange ein Mensch am Leben ist, hat er sowohl gesunde als auch kranke Anteile. Salutogenese versucht mit Hilfe seines Kernstücks, des Kohärenzgefühls, ein neues Verständnis des Begriffs der chronischen Erkrankung zu schaffen und gleichzeitig eine neue Perspektive in der Betreuung von Betroffenen zu ermöglichen.
Eine chronische Erkrankung stellt fast immer eine Krise für die Patienten_innen dar, die in der Fachliteratur durch die sogenannten Trauer- und Krisen-Bewältigungsmodelle erläutert und visualisiert wird (vgl. Franke 2012, S. 260). Eines dieser theoretisch-empirischen Krisenverarbeitungsmodelle wurde von der deutschen Soziologin und Psychologin Erika Schuchardt entwickelt. Dieses Modell bietet im Vergleich zu ähnlichen Modellen eine komplexere und ausdifferenziertere Betrachtung der Krise, da die Autorin acht statt fünf Phasen der Krisenverarbeitung definiert und somit ein besseres Verständnis des Konzepts der Krisenverarbeitung schafft. Die Krise wird dabei als ein Lernprozess gesehen, welcher letztendlich dazu führen soll, dass die Betroffenen die Krise überwinden, mit der Krise leben können und sich sozial für andere Betroffene engagieren.
In der vorliegenden Arbeit wird bewusst auf eine Definition von Krise verzichtet, da die Bedeutung des Begriffes nicht von einer einzigen Definition erfasst werden kann. Eine Krise ist ein komplexer Prozess, der sowohl emotionale als auch kognitive Aspekte beinhaltet. Aus diesem Grund wird Krise anhand eines komplexen Krisenmodells dargestellt.
1.2 Abgrenzung und Aufbau der Arbeit
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Erfassung des SOC und dessen möglichen Auswirkungen auf das Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt. Sie basiert auf einer reinen Literaturrecherche, die im Rahmen einer Seminararbeit vorgeschrieben ist.
Das Modell der Salutogenese wird nur marginal bearbeitet, die weiteren Bestandteile des Modells konnten im Rahmen dieser Arbeit nicht berücksichtigt werden. Aus demselben Grund wird die Krise nur aus der Perspektive eines Menschen mit chronischer Erkrankung betrachtet. Schuchardts Krisenverarbeitungsmodell bezieht sich auf ein breites Spektrum von Krisensituationen, nicht nur auf die Krise, die von einer chronischen Erkrankung verursacht wurde, sondern auch auf andere kritische Lebensereignisse und -umstände, beispielsweise die Geburt eines Kindes mit Behinderung, Tod, Trauer nach einem Verlust oder auf den Übergang von Erwerbstätigkeit zur Pensionierung.
Um die Frage nach möglichen Korrelationen und Auswirkungen zwischen dem Kohärenzgefühl und Schuchardts Modell beantworten zu können, werden in den folgenden Kapiteln das Krisenbewältigungsmodell nach Schuchardt und das Kohärenzgefühl definiert, erläutert und kritisch betrachtet. Auch die Implikationen und Korrelationen zur Sozialen Arbeit werden dargestellt und diskutiert. Im Fazit wird, nach einer kurzen Zusammenfassung der wichtigsten Aspekte dieser Arbeit, die Fragestellung beantwortet.
2 Krisenverarbeitungsmodell nach Schuchardt
Von Beginn ihres Berufslebens an beschäftigte sich Schuchardt mit dem Thema Integration und Krisenverarbeitung. Aus der ausführlichen Auseinandersetzung mit über 6 000 Selbstbiographien aus den Jahren 1900 bis ca. 2000 resultierte ein das Krisenverarbeitungsmodell, die sogenannte Krisenspirale (vgl. Schuchardt 2003, S. 137). Durch ihre Recherchearbeit konnte sie in der Krisenverarbeitung ihrer Probanden_innen Kongruenzen und Gesetzmäßigkeiten feststellen (ebd.). Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass in den meisten Fällen ein wiederkehrender, spiraliger Phasenprozess in der Krisenverarbeitung auftritt und die Reihenfolge dieser Phasen meist dem gleichen Muster folgt (vgl. Schuchardt 1988, S.27). Dieses Muster wurde zur Grundlage ihres Modells der Krisenverarbeitung, das sie mit Hilfe einer achtphasigen Krisenspirale dargestellt hat. Die Spirale beschreibt einen emotional-kognitiv-dynamischen Lernprozess während der Krisenbewältigung, die letztendlich zu einer inneren Entwicklung führt, in deren Verlauf jedoch Stagnation, Regression oder Unabgeschlossenheit möglich ist (vgl. Schuchardt 2003, S. 139). Die Autorin betont, dass eine erfolgreiche Bewältigung der Krise keine autonome Selbstleistung der Betroffenen ist und allein der Glaube, dass sie eine wäre, eine Selbsttäuschung ist, die zum Misserfolg führt (vgl. Schuchardt 2003, S. 122).
Damit verdeutlicht Schuchardt, wie bedeutsam in der Krisenverarbeitung ein gesundes soziales Leben ist. Bei einem lückenlosen Verlauf der Krisenspirale wird die soziale Integration als Sollzustand erreicht (vgl. Schuchardt 2003, S. 139).
Nach der intensiven Auseinandersetzung mit diversen Krisensituationen ihrer Proban- den_innen - chronische Krankheiten, Krebs, Trennung, Behinderung oder Gewalt - fand Schuchardt heraus, dass die menschliche Seele einer Regel in der Krisenverarbeitung folgt. Diese Regel wird zur Verdeutlichung in acht Phasen geordnet und diese werden wiederum in drei Stadien aufgeteilt: Eingangs-, Durchgangs- und Zielstadium (vgl. Schuchardt 1988, S. 27).
2.1 Das Eingangsstadium
Im Eingangsstadium erfahren die Betroffenen zunächst eine Auseinandersetzung mit der Krise und haben noch keinen Überblick über sie und kein Verständnis von ihr. Die Betroffenen befinden sich in einer kognitiven, fremdgesteuerten Dimension, die in zwei Phasen geteilt wird: Ungewissheit und Gewissheit (vgl. Schuchardt 1988, S. 31).
Eine chronische Erkrankung beginnt mit einem Schock, der Phase der Ungewissheit. Der Krisenauslöser, je nach Erkrankung unterschiedlich, führt dazu, dass die Betroffenen in einem halbbewussten Zustand ahnen, dass etwas mit ihnen nicht stimmt. Je nach Symptom pendeln sie zwischen Unwissenheit Was soll das schon bedeuten... ?, Unsicherheit Hat das doch etwas zu bedeuten... ? und die Unannehmbarkeit Das muss doch ein Irrtum sein... ? (vgl. Schuchardt 2003, S. 144). Das Hauptmerkmal dieser Phase ist das Umkreisen der Krise, die Tendenz, die Krise zu leugnen, zu verdrängen, als Reaktionsmuster und Abwehrmechanismus zur panischen Angst vor dem Unbekannten. Die Zweifel mehren sich und Unsicherheit kommt auf (ebd., S. 143). Schuchardt erkannte, dass bereits ab diesem Zeitpunkt eine Prozessbegleitung sinnvoll ist, um eine ungünstige Verlängerung dieser Phase und vor allem einen „akuten Abbruch der Krisenverarbeitung mit Tendenz zu sozialer Isolation zu verhindern“ (ebd., S. 145). Dabei kann ein falsch verstandenes Verschonen den Prozess der Leugnung verstärken. Nur durch Offenheit und Gesprächsbereitschaft kann ein(e) Begleiterin diesen Prozess in die richtige Richtung lenken.
Die zweite Phase gleicht der Diagnosestellung. Sie ist durch eine verneinende Bejahung gekennzeichnet, da die Betroffenen diese Phase als Ja, aber das kann doch nicht sein... ? ausdrücken. Um ihr Leben weiterführen zu können, müssen die Betroffenen als Schutzmechanismus die Krise immer wieder leugnen.
Dieser Dualismus zwischen kognitivem Ja und emotionalem Nein schafft einen Abstand zur Diagnose, eine Ressource, um den eigenen Weg fortsetzen zu können (ebd.). Eine empathi- sche Begleitung ist in der Phase der Gewissheit von großer Bedeutung. Ein Gespräch über die reale Situation soll eine Verbindung zwischen der kognitiven und der emotionalen Wahrnehmung der Krise schaffen. Ob ein solches Gespräch stattfinden kann, ist von der Bereitschaft der Betroffenen abhängig. Der Informationsgehalt ist in dieser Phase nicht entscheidend, vielmehr, ob die Information angenommen werden kann. Das stellt hohe Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit und Belastbarkeit des(r) Betreuers_in. Bei einer erfolgreichen Begleitung können die Bewältigungsressourcen der Betroffenen in Gang gesetzt werden. Die reale Situation wird dann entweder rational zur Kenntnis genommen, während die Gefühle unterdrückt werden, oder sie wird emotional aufgenommen und die Gefühle werden ausgehalten (vgl. Schuchardt 2003, S. 145-146).
2.2 Das Durchgangsstadium
Durch das Durchgangsstadiums steigen die Betroffenen in einer emotionalen, ungesteuerten Dimension, die drei Phasen beinhaltet: Aggression, Verhandlung und Depression. Die Betroffenen empfinden endlose Trauer und Wut, eine starke Emotionalität, die über den Betroffenen kommt und sie können sich nicht dagegen wehren. Nicht selten wollen die Betroffenen in diesem Stadium das Leid beenden, das Sinn des (weiter) Lebens mit der Krankheit geht bei der meisten verloren. Jetzt sind die Betroffenen stark auf fremde Hilfe angewiesen, da sie selbst die Ressourcen sich von der Krise raus zu retten, nicht mehr findig sind (vgl. Schuchardt 1988, S. 28-29).
Erst jetzt in der Phase der Aggression vereinen sich die emotionalen und die kognitiven Anteile der Krise und führen gemeinsam zu einer Erschütterung und Verzweiflung der Betroffenen: Warum gerade ich... ?. Es ist ein emotionaler Ausbruch, der sich entweder gegen sie selbst oder gegen ihre Umwelt richtet. Der eigentliche Auslöser der Aggression, die Krankheit selbst, bleibt dabei unangreifbar. Das führt dazu, dass die Betroffenen ihren Frust in eine andere Richtung lenken. Unsicherheit, Angst, Spannung und ein starkes Gefühl der Bedrohung nehmen zu und Gefühle der Perspektivlosigkeit, Hilflosigkeit und Überforderung kommen hinzu. Diese Phase führt oft zu falschen Interpretationen von Außenstehenden, eine unangemessene Handlung kann die Krise aber sogar noch vertiefen. Eine positive Begleitung verhindert die Isolierung und die Resignation der Betroffenen und versteht, dass die Aggressivität nur ein Ventil ist, um den Überdruck der Gefühle abzulassen.
Die Aggression ist für die Betroffenen eine wichtige Phase und eine Ressource in der emotionalen Krisenbewältigung. Sie hilft ihnen, handlungsfähig zu werden, auch wenn sie nur verzweifelte Handelnde sind (vgl. Schuchardt 2003, S. 146-147).
Die Aggression drängt die Betroffenen zur Einleitung und Mobilisierung von wahllosen Maßnahmen zu, um sich aus der Machtlosigkeit zu befreien. Diese Maßnahmen bilden die vierte Phase der Krisenspirale, die Verhandlung. Sie ist gekennzeichnet durch paradoxe, antagonistische Handlungen. Auf der einen Seite werden vermehrt Ärzte_innen besucht, in der Hoffnung, dass diese der Diagnose widersprechen, auf der anderen Seite findet eine frenetische Suche nach Wunder-Wegen, die die Krankheit aufhalten oder sogar die Person heilen. Dabei werden alle Ressourcen ausgeschöpft, auch die finanziellen, was dazu führen kann, dass diese Phase die Betroffenen selbst und ihre Familien in den Ruin treibt. Eine optimale Krisenbegleitung bewahrt die Betroffenen davor und vor allem vor der großen Enttäuschung als Folge unwirksamer Maßnahmen. Sie zeigt die Richtung der verfügbaren Ressourcen und hilft den Betroffenen, die eigenen Reaktionen zu verstehen und darauf einzugehen (vgl. Schuchardt 2003, S. 147-148).
Alle Arztbesuche, Heilmittel und Wundermittel erweisen sich früher oder später als unwirksam, die Symptome der chronischen Krankheit bleiben, trotz aller Bemühungen, unverändert oder verschlechtern sich. Die Frage: Wozu, alles ist sinnlos... ? führt zu einem akuten Gefühl des Versagens, die Betroffenen sinken in die Tiefe der Resignation oder Verzweiflung, die Phase der Depression. Dieser intensive Ausbruch von Gefühlen führt allerdings paradoxerweise zu einer rationalen Auseinandersetzung mit der Krise, da endlich der Verlust der Gesundheit anerkannt wird. Es erfolgen das Loslassen falscher Hoffnungen und der endgültige Verzicht darauf, den Verlust zu leugnen. In der Phase der Depression ist es relevant, dass alle vorhandenen Bewältigungsstrategien und Ressourcen aktiviert werden, um den Weg zur Annahme der chronischen Krankheit zu gestalten (vgl. Schuchardt 2003, S. 148-149).
2.3 Das Zielstadium
Im letzten Stadium, dem Zielstadium, beginnen die Betroffenen, ihren Zustand anzunehmen, eine Wandlung findet statt und sie fangen an, mit der Krise zu leben. Es ist ein aktionales, selbstgesteuertes Stadium, in dem der Auslöser der Krise nicht länger im Vordergrund steht, sondern die Betroffenen wieder damit beginnen, am sozialen Leben aktiv teilzunehmen (vgl. Schuchardt 1988, S. 29-30). Schuchardt teilt dieses Stadium in drei Phasen: die Annahme, die Aktivität und die Solidarität.
[...]
1 Vgl. World Health Organisation (2006, S. 1) Definition der Gesundheit: „Health is a state of complete physical, social and mental well-being and not merely the absence of disease or infirmity”.