Lateinamerika


Facharbeit (Schule), 2001

12 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einführung in die Stadtentwicklung

1.1 Spanische und portugiesische Stadtgründung
1.2 Grundstrukturen der spanischen Kolonialstadt

2.1 Verlauf und Umfang des Verstädterungsprozesses

3.1 Städtesystem und Primatstrukturen
3.2 Natürliches Bevölkerungswachstum

4.1 Land und Stadt Wanderung

5.1 Konzepte zur Dezentralisierung des Metropolisierungsprozesses

6.1 Modell zur Funktionalen und sozialräumliche Differenzierung
Lateinamerikanische Großstädte Land und Stadt Wanderung
6.2 Grundstrukturen des Modells
6.3 Intraurbane Wanderungen
6.4 Citybildung

Einführung in die Stadtentwicklung

1.1 Spanische und portugiesische Stadtgründung

Spanier und Portugiesen waren als Eroberer in die Neue Welt gekommen. Nicht flächenhafte Kolonisierung und Besiedlung war ihr Ziel, sondern vielmehr die Ausbeutung der vorhandenen Ressourcen, wie zum Beispiel Edelmetall. Dabei dienten ihnen die Städte zur Absicherung ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen. Hinsichtlich der Standortwahl gab es allerdings viele Unterschiede zwischen Spaniern und Portugiesen. Dies ist auch Ausdruck ihrer Absichten bei der Eroberung. Somit gründeten die Spanier ihre späteren Hauptstädte als Zentren ihrer politischen, militärischen und kirchlichen Machtpositionen dort, wo sich die Mittelpunkte indianischer Hochkulturen befanden (z. B. in Mexiko-Stadt, Bogota, Quito)

Hingegen entstanden die bedeutendesten portugiesischen Städte als Handelsniederlassungen und als Plantagenzentren entlang der Atlantikküste. Die Küste spielte eine sehr wichtige Rolle für die wirtschaftsräumliche Entwicklung Brasiliens. Diese Zweiteilung führte in der Kolonialphase zur Herausbildung von stadtstrukturellen und funktionalen Unterschieden (vgl. www.wissen.de).

1.2 Grundstrukturen der spanischen Kolonialstadt

Der Schachbrettgrundriss manchmal auch ein rechteckiger Grundriss, mit dem Hauptplatz im Zentrum gelten allgemein als überall verbreitet, und daher als die dominanten räumlichen Strukturkomponenten der hispanoamerikanischen Stadt.

Das trifft nicht nur für den ursprünglichen Siedlungskern zu, sondern auch für seine phasenweise Ausdehnung, die gewissermaßen schablonenhaft erfolgte. Das Zentrum (plaza mayor) war der Ausgangspunkt jeder hispanoamerikanischen Stadt, die sich bei der Gründung schachbrettartig um das Zentrum anlegte.

Die „plaza“ umfasst ein quadratisches Straßenviereck mit einer Seitenlange von ca. 100 m.

Von ihren Ecken gehen rechtwinklig Straßen ab, die wiederum Straßenvierecke mit der gleichen Seitenlänge begrenzen, die als „manzanas“ bezeichnet werden. „Zur wichtigsten Grundlage für den kolonialspanischen Stadtbau wurden die Schriften des römischen Stadtbaumeisters Vitruvius Pollio verwendet“ (vgl. Bähr und Matins 1995, S.13). Die spanischen Eroberer übertrugen das Schachbrettschema nach Hispanoamerika, und so wurde der antike Baustil wieder lebendig.

Die Entwicklung von noch unregelmäßigen rechteckigen Mustern zum Schachbrettgrundriss war eine schnelle Entwicklung ohne Hindernissen, die 1520 einsetzte und sich ausbreitete. Dieses Grundmuster dient seit dem als Modell für fast jede Siedlungsanlage im spanischsprachigen Lateinamerika bis heute (vgl. www.wissen.de).

Verlauf und Umfang des Verstädterungsprozesses

2.1 Verstädterungsprozess

Verstädterung als „demographischer Zustand“

Lateinamerika unterscheidet sich von den anderen Großregionen der Dritten Welt nicht nur aufgrund des deutlich höheren Anteils in Städten lebender Menschen, sondern auch dadurch, dass der Verstädterungsprozess besonders früh einsetzte und mit hoher Intensität ablief.

Den gebräuchlichsten Indikator dafür bildet der prozentuale Anteil der Stadtbevölkerung an der Gesamtbevölkerung eines Landes.

Verstädterung als „demographischen Prozess“

Dies ist die Wachstumsgeschwindigkeit der Stadtbevölkerung eines Landes, die sich mit Hilfe der jährlichen Zuwachsrate der städtischen Bevölkerung messen lässt. Doch Städte werden in den einzelnen Ländern höchst unterschiedlich definiert. In Lateinamerika reicht die Spanne der Schwellenwerte von nur 100 bewohnten Gebäuden in Peru bis zu 2000 Einwohner wie in Argentinien oder Bolivien.

Häufig werden auch gar keine Größenangaben angegeben, sondern nur Verwaltungszentren als Städte bezeichnet, wie in Brasilien, Ecuador, Paraguay oder Costa Rica (vgl. Bähr und Matins 1995, S.18).

Nach dem zeitlichen Ablauf des Verstädterungsprozesses lassen sich vier Ländergruppen unterscheiden (vgl. Bähr und Matins 1995, S.18).

(auf zwei von den werde ich ausführlich eingehen)

Gruppe 1:

In einer ersten Gruppe, die von den Staaten des außertropischen Südamerikas gebildet wird, setzte das Wachstum der Städte schon Ende des vorigen Jahrhunderts ein. Wahrend der Verstädterungsgrad für Lateinamerika insgesamt im Jahre 1890 noch unter 10% lag, in Bolivien und Honduras sogar unter 5 %, wurden in der genannten Ländergruppe Anteile von 15% und mehr registriert, mit einem Spitzenwert von 26% in Uruguay.

Gruppe 2:

Eine zweite Gruppe, bestehend aus Mexiko, Venezuela, Panama, Nicaragua und einzelnen Landesteilen von Brasilien, die in den 20er und 30er Jahren einen ersten Verstädterungsschub registrierte.

Im Jahre 1930 belief sich der Anteil der Stadtbewohner hier zwischen 16 und 25 %. Im außertropischen Südamerika war zu diesem Zeitpunkt die Schwelle von 30 % bereits deutlich überschritten.

Nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 erreichte die Verstädterung auch in den übrigen lateinamerikanischen Staaten ein höheres Ausmaß. Der lateinamerikanische Durchschnitt

betrug im Jahre 1970 45 %. Nur in Haiti, Guatemala, El Salvador, Honduras, Bolivien und Paraguay blieb der Wert noch unter 25%. Dagegen zählten Argentinien, Uruguay, Chile und Venezuela bereits einen Anteil der Stadtbewohner von mehr als 60 %. Bis 1980 hatte sich der Durchschnitt auf 53 % erhöht. In Argentinien, Uruguay und Venezuela wurde die 70 % Schwelle überschritten. Einen Verstädterungsgrad von unter 25 % wiesen nur noch Guatemala und Haiti auf.

Das Städtewachstum beschleunigte sich durch die Einwanderung aus Übersee, vor allem aus Südeuropa, bis etwa 1970.

Anschließend schwächte sich der Zuwachs deutlich ab. Die letzten verfügbaren Werte, die sich auf das Jahr 1980 beziehen, weisen für die Staaten in Südamerika einen Verstädterungsgrad von 70 % aus.

Kombiniert man für das Jahr 1990 die beiden Indikatoren des Verstädterungsprozesses, den Verstädterungsgrad und die Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung, miteinander, so leitet sich daraus die folgende Festlegung:

1.

Länder mit hohem Verstädterungsgrad, aber nur verhältnismäßig geringen Wachstumsraten der städtischen Bevölkerung. Dazu zählen insbesondere die Staaten des außertropischen Südamerikas wie zum Beispiel Argentinien mit 86% städtischer Bevölkerung und einer Wachstumsrate von 1,6 % pro Jahr.

2.

Länder mit mittlerem Verstädterungsgrad und mäßigen Wachstumsraten. Zu dieser Gruppe gehören Brasilien, Peru, Kolumbien und Mexiko.

3.

Länder mit niedrigem Verstädterungsgrad und hohen Wachstumsraten. Dazu gehören Paraguay, Bolivien, Ecuador und die Mehrzahl der zentralamerikanischen Staaten, wie zum Beispiel Bolivien mit 51 % städtischer Bevölkerung und einer Wachstumsrate von 3,8 % pro Jahr.

3.1 Städtesystem und Primatstrukturen

In Lateinamerika ist das bevölkerungsmüßige Übergewicht der größten Stadt eines Landes besonders auffällig. Seit 1939 wird dieses Phänomen als „primacy“ (Vorrang) bezeichnet. Einen Indikator dafür stellt der „Index of Primacy“ dar, der gewöhnlich als Quotient aus der Einwohnerzahl der größten und der zweitgrößten Stadt definiert wird.

Das heißt, dass die Einwohnerzahl der größten Stadt geteilt durch die Einwohnerzahl der kleinsten Stadt gerechnet wird. Liegen die errechneten Werte über 2, wird von einer Primatstruktur des Städtesystems gesprochen. Spitzenwerte für den „Index of Primacy“ errechnen sich für Guatemala, Paraguay, Chile und Uruguay mit jeweils ungefähr 15, was die demographisch dominante Rolle der jeweiligen Hauptstädte nachdrücklich unterstreicht.

In Uruguay war die Vorrangstellung der Landeshauptstadt schon Mitte des vorigen Jahrhunderts sehr ausgeprägt. Die Bemühungen um eine Industrialisierung, spätestens seit den 3Oer Jahren, und die frühe Entwicklung zur Dienstleistungsgesellschaft haben diese Tendenz noch verstärkt, denn Arbeitsplätze im sekundären und vor allem im tertiären Sektor wurden überwiegend in Montevideo geschaffen. Zu Beginn der 6Oer Jahre lebten 46 % der uruguayischen Bevölkerung in der Landeshauptstadt, und der „Index of Primacy“ betrug über 20%.

In Chile setzte alles wesentlich später ein. Noch um die Jahrhundertwende war Santiago nicht sehr viel größer als der Hafen Valparaiso. Heute dagegen lebt mehr als jeder dritte Chilene in der Region Metropolitana de Santiago mit 5,2 Mio. Einwohner. Dagegen die zweitgrößte Stadt, Concepciòn mit 330000 Einwohner zählt noch nicht einmal 6 % der Einwohnerzahl von Metropolitana. Selbst wenn man den Hafen Valparaiso mit dem angrenzenden Badeort Vina del Mar zu einer Stadtregion von etwa 580000 Einwohner zusammenfasst, bleibt die Dominanz der Metropole bestehen.

Diesen Staaten mit extrem ausgeprägter primacy stehen Länder mit mehreren Metropolen gegenüber.

Das beste Beispiel dafür ist Brasilien mit den beiden Führungsstädten Sau Paulo und Rio de Janeiro. Von den bildet Sao Paulo heute das Wirtschaftszentrum des Landes, Rio de Janeiro hält weiterhin im kulturellen Bereich die Spitzenposition und ist auch eine sehr wichtige Industriestadt. Nach diesen Städten folgen die regionalen Metropolen wie Belo Horizonte oder Salvador, die sich aufgrund der Flächengröße von Brasiliens trotz der starken Bevölkerungskonzentration in Sau Paulo und Rio de Janeiro entwickeln konnten.

3.2 Natürliches Bevölkerungswachstum

Die Bevölkerungswanderung hatte in Lateinamerika viele Gründe. Zum einen war der Bevölkerungsdruck ein Grund für zunehmende Abwanderungen aus dem ländlichen Raum, zum anderen erhöhte sich dadurch auch die Wachstumsgeschwindigkeit der Stadtbevölkerung.

Der Übergang, der mit dem Absenken der Sterblichkeit eingeleitet wird, setzte in den großen Städten gewöhnlich früher als auf dem Lande ein. Dafür sind zwei Faktorengruppen verantwortlich zu machen:

§ Einerseits ließen sich viele medizinischtechnische Maßnahmen in den Städten einfacher organisieren, und die Zugänglichkeit war hier leichter zu gewährleisten. Andererseits sind Bevölkerungsgruppen mit geringerem Sterblichkeitsrisiko, wie wohlhabendere Schichten und besser Ausgebildete, in den Städten oft vertreten. § Durch die der Reduzierung der Geburtenzahlen haben die großen Städte im allgemeinen einen Vorsprung vor den am Rande liegenden Regionen. Für mehrere lateinamerikanische Beispiele konnte nachgewiesen werden, dass sich die Fortpflanzungsfähigkeit der Menschen, als soziale Erneuerung sich ausbreitete. Von den Metropolen ausgehend haben sich mehr und mehr neue Einstellungen gegenüber der Geburtenbeschränkung und neue Empfängnisverhütendentechniken durchgesetzt (vgl. Bähr und Matins 1995, S.39). Diese Ausbreitung vollzieht sich in allen Richtungen, wie zum Beispiel über regionale Zentren. Der Übergang kam im allgemeinen zuerst in den Metropolen, später in anderen Städten und zuletzt im ländlichen Raum zum Abschluss.

Die Abbildung B1 im Anhang zeigt die Geburtenrate und Sterberate von Argentinien, die diese erwähnte Punkte weiter stützen.

4.1 Land und Stadt Wanderung

In Ländern mit einem verzögerten Beginn des demographischen Übergangs sind die Wachstumsraten der Metropolen auch heute noch überwiegend durch Zuwanderungen gewährleistet.

Ein Vergleich der Zunahmeraten einzelner Städte mit den jeweiligen nationalen Wachstumsraten bestätigt diese Aussage. Unter den Städten mit sehr hohen, deutlich über dem Landeswert liegenden jährlichen Zunahmeraten finden sich Beispiele für beide der angeführten Gruppen:

Quito 4,8% oder PortauPrince 4,0% stehen für den ersten. Brasilia oder Manaus jeweils 5,7% für den zweiten Fall.

1950 war das Bild wesentlich anders. Damals zählten auch Sau Paulo 6,6%, Bogota 6,6% und Caracas 6,4% zu den schnell an Einwohnern zunehmenden Städten. Noch sehr viel früher traf das für Buenos Aires und Montevideo zu, die vor der Jahrhundertwende zeitweilig Werte zwischen 6 und 7 % im Jahr erreicht hatten.

Wenn auch im generellen ein enger Zusammenhang zwischen demographischer Entwicklung und Ausmaß der Land/Stadt gerichteten Wanderungen besteht, so ist für die Erklärung im einzelnen doch ein komplexes Faktorenbündel im Sinne eines „push pull Modells“ einzubeziehen, wobei neben demographischen auch wirtschaftliche Einflüsse zu bedenken sind. 1986 wurde man darauf aufmerksam, dass wachsender Bevölkerungsdruck im Agrarraum nicht unbedingt zu einer Verstärkung der Abwanderung führen muss, denn es sind vielfältige Reaktionen der Bevölkerung denkbar, die Migrationen einschließen. Wie zum Beispiel Neukolonisation, zunehmende Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt, soziale Konflikte, wachsende Verelendung sowie soziokulturelle und sozipolitische Veränderungen.

Die Anfänge des Ungleichgewichtes zwischen Land und Stadt reichen bis in die Kolonialzeit zurück. Die zentralistisch strukturierte Kolonialverwaltung hat von Beginn an vor allem die Hauptstadt und einige wenige Regionalzentren gefördert und nur diese in ein Verkehrs und Versorgungsnetz eingebunden. Die führenden Städte waren politisch und ökonomisch auf das überseeische Mutterland ausgerichtet und weniger in ihrer Umgebung verwurzelt (vgl. Bähr und Matins 1995, S.49).

Der scharfe Kontrast zwischen Stadt und Land hat sich nach der Unabhängigkeit weiter verstärkt. Durch eine Konzentration der neugewonnenen Funktionen auf die Hauptstadt gewann vor allem diese Hauptstadt eine herausragende Stellung. Zur Massenabwanderung vom Lande ist es damals allerdings noch nicht gekommen. Die wirtschaftlichen Umstrukturierungen waren zwar von Wanderungsbewegungen begleitet, Zielgebiete waren jedoch weniger die Städte, sondern vielmehr ländliche Räume mit einer weltmarktorientierten Produktion und Standorte des Bergbaus. Diejenigen Städte, die schon damals rasch an Bevölkerung zunahmen, wie zum Beispiel Buenos Aires oder Sau Paulo, wuchsen vor allem durch Zuwanderungen aus Übersee.

Der entscheidende Umbruch im Wanderungsgeschehen wurde sowohl durch demographische als auch wirtschaftliche Faktoren ausgelöst. In den meisten lateinamerikanischen Staaten begann er in den 3Oer Jahren. Zu den wichtigsten Stoßfaktoren gehört das Ansteigen der Bevölkerung bei gleichbleibender Landbesitzstruktur. Dadurch haben sich bestehende Probleme noch verstärkt.

Dafür gibt es mehrere Gründe, wie zum Beispiel eine verfehlte Agrar und Entwicklungspolitik für den ländlichen Raum, Verdrängung durch Expansion des Großgrundbesitzes, Verschuldung, fehlendes Eigenkapital und mangelnde Kreditmöglichkeiten, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, aber auch erschöpfte Bodenfruchtbarkeit, klimatische Nachteile und verborgene soziale Konflikte.

Zu den Stoßfaktoren zählen in erster Linie der Auf- und Ausbau des sekundären Sektors, das sind die Gewerben, die Rohstoffe verarbeiten. Danach wurde der tertiäre Sektor ausgeweitert, das sind die Dienstleistungsgewerbe. Aber auch Maßnahmen zur

Verbesserung der Schulausbildung und Infrastruktur sowie die Orientierung von Wohnungsbauprogrammen und anderer Sozialleistungen wurden verbessert. Durch Berichte in den Medien ist die positive Einschätzung der Stadt selbst in abgelegene Landesteile vermittelt worden, und die Bedeutung städtischer Lebensformen in der Wertskala der ländlichen Bevölkerung hat zugenommen. Man konnte für Venezuela zeigen, dass das von den führenden Zeitungen des Landes vermittelte „lmage" einzelner Regionen Wanderungsentschluss und Wanderungsrichtung entscheidend bestimmt. Auch die Information durch vorher Abgewanderte trägt zu einer Verstärkung der Migrationmuster bei. Solche im Grunde positiven Erfahrungen begünstigen die weitere Emigration, und die Wahl des Zielgebietes wird davon beeinflusst. Kettenwanderungen sind auch deswegen die Folge, weil vorher abgewanderte Verwandte und Bekannte bei der Eingliederung in die Stadt behilflich sein können.

Von den strukturell bedingten Ursachen der Wanderungen sind die persönlichen Motive des einzelnen zu unterscheiden. In den meisten Befragungen werden an erster Stelle wirtschaftliche Gründe genannt. Dahinter können sich sowohl persönliche Vorlieben als auch externe Neigungen verbergen. Der recht hohe Anteil von anderen Menschen, die keine genauen Gründe haben erreicht 20 %. Das lässt darauf schließen, dass es häufig undurchdringliche, nicht voll geklärte Motive sind, die einem Leben in der Stadt trotz des Wissens um die möglichen Schwierigkeiten vorziehen (vgl. Bähr und Matins 1995, S.50).

5.1 Konzepte zur Dezentralisierung des Metropolisierungsprozesses

Durch die stark hervortretenden negativen infrastrukturellen, sozioökonomischen und vor allem auch ökologischen Folgeerscheinungen des Metropolisierungsprozesses wurden seit den 7Oer Jahren immer wieder Maßnahmen zur Dezentralisierung gefordert. Dezentralisierung bedeutet die Umlenkung und Abschwächung des Metropoli- sierungsprozesses.

Die Dezentralisierungsmaßnahmen sollen nicht nur zur Abschwächung des Metropolisierungsprozesses führen, sondern in Verbindung mit dem Einsatz von politischen Strategien zur Verlagerung von Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum leiten. Derartige Dezentralisierungskonzepte sind mit Unterstützung internationaler Organisationen, in den 7Oer und 8Oer Jahren in mehreren lateinamerikanischen Ländern in Angriff genommen worden.

Für Costa Rica, Panama und Belize mit noch relativ kleinen Metropolen kommt man zu dem Schluss, dass sie bisher eine wenig effektive Umsetzung da ist und nicht die erwarteten positive Ergebnisse gebracht haben. Dasselbe kann für die bisherigen Dezentralisierungsmaßnahmen im Großraum Mexiko-Stadt festgestellt werden. Noch sehr viel negativer sind die Dezentralisierungsbestrebungen in Peru und Kolumbien. Hingegen kann Brasilien mit seiner Dezentralisierungspolitik deutliche Erfolge erzielen. Ausgewählte regionale Metropolen, wie Belo Horizonte, Curitiba, Manaus, Porto Alegre und Salvador, verzeichnen aufgrund einer gezielten Industrialisierungspolitik seit den 7Oer Jahren weitaus höhere Bevölkerungswachstumsraten als die nationalen Metropolen Sao Paulo und Rio de Janeiro, deren Wachstum gebremst ist.

Allerdings ist zu beachten, dass bei Mega-Metropolen wie Sao Paulo, Mexiko-Stadt und Buenos Aires seit den 6Oer Jahren ein ungewöhnlich starker Suburbanisierungsprozess eingesetzt hat. Suburbanisierung bedeutet, dass durch Ausdehnung der Großstädte Vororte sich an diese Städte Angliedern.

In Lateinamerika ist Kuba ein Beispiel für eine mit Erfolgen verbundene Anwendung von Dezentralisierungsmaßnahmen, wo die Dezentralisierung als gesellschaftliches Konzept aufgefasst wird. Durch Industriegründungen, die seit den 7Oer Jahren in ausgewählte Wachstumsgebiete erfolgten, kam es zu einer gezielten Umlenkung vor allem der hauptstadtgerichteten Wanderungen: Havanna ist die einzige Metropole Lateinamerikas, deren Bevölkerungswachstumsrate 1953 deutlich unter dem Landesdurchschnitt lag und deren Anteil an der Landesbevölkerung im gleichen Zeitraum sogar abgenommen hatte.

Im Rahmen der recht umfangreichen Dezentralisierungsdiskussion überrascht es insgesamt, dass den Hauptstadtverlagerungen kaum dezentralisierende Folgen zugeschrieben werden. Sicherlich steht die bedeutendste Hauptstadtneugründung in Lateinamerika, das am 21.4. 1960 eingeweihte Brasilia, in erster Linie als „Symbol der nationalen Emanzipation" (vgl. Bähr und Matins 1995, S.) für die endgültige Abkehr von der Kolonialzeit und für das gestiegene nationale Selbstbewusstsein. Gleichzeitig war Brasilia jedoch die Funktion eines regionalen Wachstumsgebietes zugewiesen, von dem wichtigen Impulse für die Entwicklung des Landesinnern ausgehen sollten.

Trotz rascher Bevölkerungszunahme blieb die Absorptionsfähigkeit von Brasilia geringer als erwartet und hatte auf das Bevölkerungswachstum von Sao Paulo und Rio de Janeiro keinen nachhaltigen Einfluss. Auch die im April 1986 begonnene, im September 1990 aus Kostengründen wieder eingestellte Planung für die Verlagerung der Hauptstadtfunktion von der Großmetropole Buenos Aires in die ca. 800 km südwestlich gelegene Kleinstadt Viedma geschah aus der Überlegung heraus, dort ein regionales Wachstumsgebiet zu schaffen.

6.1 Modell zur Funktionalen und sozialräumliche Differenzierung Lateinamerikanische Großstädte

Das Modell B2 im Anhang, bezieht sich auf die Punkte 6.1-6.4.

Die Grundstrukturen der modernen Großstadt in Lateinamerika zusammenfassend zu charakterisieren, ist nicht einfach, denn trotz aller Gemeinsamkeiten, auf die man in den Städten zwischen Mexiko und Argentinien immer wieder stößt, trägt jede Stadt natürlich auch ganz individuelle, unverwechselbare Merkmale, die sich nur schwer in ein allgemeines Bild fügen. Allein die Aufteilung Lateinamerikas in einen spanisch und einen portugiesisch geprägten Raum hat zu Unterschieden geführt, die bis heute fortwirken. An dem folgenden Modell der Lateinamerikanischegroßstadt haben mehrere Forscher gearbeitet.

6.2 Grundstrukturen des Modells

Das Strukturschema der lateinamerikanischen Stadt basiert in erster Linie auf Forschungen in Bogota, Quito, Lima und Santiago de Chile, aber auch auf Beobachtungen anderer Forscher in weiteren lateinamerikanischen Städten verschiedener Größenordnungen. Bei der Begriffsbildung sind einerseits Bezeichnungen übernommen worden, die im deutschen Sprachraum allgemein üblich sind. Man bemühte sich um möglichst neutrale Bezeichnungen.

Bei den Siedlungen mit unzureichender Bausubstanz und Infrastruktur (Marginalsiedlungen) wird zunächst nach der Lage unterschieden, und zwar in „innerstädtisch", das heißt meist in relativer Zentrumsnähe, und „randstädtisch", das heißt zur Zeit der Entstehung an das damalige Randgebiet der Stadt.

Der Begriff „Hüttenviertel" kennzeichnet alle Siedlungen, bei denen die ursprünglichen Behausungen aus Matten, Holz, Blech, Karton, Plastikresten etc. erbaut worden sind. Häufig setzt jedoch im Laufe der Zeit eine bauliche Festigung ein, und die ersten Unterkünfte wandeln sich in stabilere Holz oder Steinkonstruktionen.

Illegale Hüttenviertel entstehen aus der Besetzung öffentliches Staatseigentum oder privater Ländereien. Semilegale Hüttenviertel sind Viertel ohne der Erlaubnis von Bebauung der Flächen, wohingegen das Grundstück legal erworben wird.

Bei den legalen Hüttenvierteln erfolgt die Übertragung von Grund und Boden rechtmäßig durch den Staat.

Zu den innerstädtischen „Marginalsiedlungen“ zählen die zurückgebliebene Wohnviertel der Ober und Mittelschicht sowie ältere Massenquartiere für Angehörige unterer Sozialschichten, in dem peruanischen Sprachgebrauch werden die Viertel oft auch als „tugurios“ oder „conventillos“ bezeichnet. Diese Viertel werden als „Slums" zusammengefasst. Die Siedlungen mit unzureichender Bausubstanz und Infrastruktur sind früher mit dem Begriff „Elendsviertel“ umschrieben worden. An diesem Begriff ist schon in den 6Oer Jahren Kritik geübt worden. Dabei bezog man sich vor allem auf die randstädtischen Hüttenviertel, die von den Bewohnern häufig nur als Durchgangsstation zu besseren Lebensverhältnissen genutzt werden und von denen viele in verhältnismäßig kurzer Zeit eine starke Weiterentwicklung durchmachen, was als Beleg für einen gewissen sozialen Aufstieg der Siedler zu werten ist.

Man führte zwei unterschiedlichen Bezeichnungen ein, da ist zu unterscheiden zwischen den „slums of hope“, wozu die Mehrzahl der randstädtischen Hüttenviertel gerechnet werden kann, und den „slums of despair“, zu denen abgewertete Wohnquartiere in innenstadtnaher Lage sowie Hüttenviertel ohne Zukunftsperspektive gehören (vgl. Bähr und Matins 1995, S.85).

Gegen diese unterschiedlichen Bezeichnungen sind jedoch in jüngster Zeit ebenfalls Bedenken geäußert worden. Trotz der abgewerteten Bausubstanz, der unzureichenden Infrastruktur und der beengten Wohnbedingungen haben viele innerstädtische Slums neuerdings mehr und mehr an Attraktivität gewonnen, vor allem, weil hier die Versorgung verhältnismäßig gut liegt (vgl. Bähr und Matins 1995, S.86). Die materielle Notlage der Bewohner war nicht größer als in anderen Wohngebieten der ärmeren Bevölkerung (vgl. Bähr und Matins 1995, S.86). Das gilt insbesondere dann, wenn die Mieten vergleichsweise niedrig sind, wie es lange Zeit in Montevideo, Rio de Janeiro, Lima oder Buenos Aires der Fall war (vgl. Bähr und Matins 1995, S.87). Dagegen sind die Perspektiven für viele Bewohner von Hüttenvierteln heute weniger günstig als ein bis zwei Jahrzehnte zuvor. Zum einen erschwert die Lage mancher Siedlungen den Zugang zum Arbeitsmarkt, zum anderen wird es immer schwerer, zu eigenem Grund und Boden zu kommen. Deshalb sind viele Menschen gezwungen, über längere Zeit oder sogar auf Dauer als Mieter oder Untermieter in Hüttenquartieren zu leben.

6.3 Intraurbane Wanderungen

Die innerstädtischen Wanderungen von den unteren Sozialschichten sind bis in die 6Oer Jahre stark unterschätzt worden. Man vermutete, dass die vom ländlichen Raum oder kleineren Provinzstädten ausgehenden Wanderungsströme in erster Linie auf den jeweiligen Stadtrand gerichtet waren und dort zur Entstehung der so auffälligen Hüttenviertel geführt haben. Auf diese These kam man wegen der Anzahl der Menschen, die in solchen Siedlungen lebten, und diese Siedlungen wuchsen auch schneller als die Stadtbevölkerung. Genauere Untersuchungen führten zu einem eindeutigen Ergebnis. Danach haben in den großen Metropolen die randstädtischen Hüttenviertel nur in geringem Umfang die Funktion als erste Auffangquartiere für Zuwanderer aus unteren Einkommensgruppen. Vielmehr sind die stärksten Wanderungsströme auf heruntergekommene Wohnquartiere im innenstadtnahen Bereich zu erkennen. Dazu zählen insbesondere ehemalige Wohnviertel der Ober und Mittelschicht sowie ältere, aus dem vorigen Jahrhundert stammende Massenunterkünfte für Arbeiter (im Modell zusammengefasst als innerstädtische Marginalviertel). Die Wanderung von dort an den Stadtrand erfolgt erst in einer späteren Lebensphase, wenn eine gewisse Vertrautheit mit der neuen städtischen Umgebung erreicht worden ist. Vielfach ist es dafür auch nötig, vorher eine gewisse Summe anzusparen, zum Beispiel für die Anzahlung eines Grundstücks in einem semilegalen Viertel oder den Kauf einiger Baumaterialien.

Erst wenn ein einigermaßen sicherer Arbeitsplatz mit regelmäßigen, obwohl noch immer niedrigen Einkünften gefunden ist, kann der Wunsch nach einer eigenen Wohnung eine Wanderungsentscheidung auslösen. Diese Entscheidung verstärkt sich vor allem nach der Familiengründung und der Geburt von Kindern. Um dieses Ziel verwirklichen zu können, wird sogar in Kauf genommen, nach der Wanderung an den Stadtrand zunächst in einer notdürftigen Hütte zu leben, die in Selbsthilfe allmählich in ein stabileres Haus umgestaltet wird. Die Umzüge in die Hüttenviertel am Stadtrand sind daher in auffälliger Weise an eine Phase im Lebenszyklus gebunden, in der die Familie zu expandieren beginnt.

6.4 Citybildung

Die City, das ist der „zentralstgelegene Teilraum einer großen Stadt mit räumlicher Konzentration hochrangiger zentraler Funktionen" (vgl. Bähr und Matins 1995, S.100). Die City entstand in Großstädten Lateinamerikas im Altstadtkern, meist in Anlehnung an die „plaza“. Bis heute findet sich hier und in den „plaza“ nahen Bereichen noch eine gewisse Konzentration von Büros von der Stadtverwaltung und andere Einrichtungen. Man kann hier von einer, über mehrere Jahrhunderte anhaltenden Lage- und Funktionskonstanz hochrangiger öffentlicher Dienststellen im jeweiligen Altstadtkern sprechen. Das gleiche findet man auch für kirchliche Einrichtungen, wie Kathedrale, Bischofssitz sowie bedeutende Klöster.

Der Prozess der Citybildung, der Wandel von Wohnvierteln überwiegend der oberen Mittelschicht zum Standort hochrangiger privater Einrichtungen des tertiären Sektors (Dienstleistungen), setzte in einigen Großstädten, wie Buenos Aires, Montevideo, Rio de Janeiro, Säo Paulo und Mexiko-Stadt, bereits Ende des 19. Jahrhunderts ein. Die Phase begann mit der baulichen Umformung der Altstadt, und der Errichtung von vier- bis fünfgeschossigen Gebäuden mit repräsentativen Fassaden.

Den Endpunkt dieser Phase bildete die Errichtung der ersten Hochhäuser. der Palacio Salvo in Montevideo und das Martinelli-Hochhaus in Säo Paulo, die beide jeweils 26 Geschosse zählend und bis 1938 die höchsten Gebäude Lateinamerikas waren (vgl. Bähr und Matins 1995, S.101).

Die zweite Phase der Cityentwicklung begann Ende der 2Oer Jahre. Sie führte in den Großstädten, wie auch in Bogota, Caracas und Lima, zur baulichen und funktionalen Transformation der bisherigen City. Es folgte die Verdichtung des Finanzsektors, wie Banken oder Versicherungen, aber auch die Verdrängung der citytypischen Funktionen, wie die des Einzelhandels durch Büroeinrichtungen.

Gleichzeitig kam es zur weiteren Cityexpansion, die fast überall entlang einer oder mehrerer wichtiger Straßenachsen in Richtung der Oberschichtviertel stattfand (vgl. Bähr und Matins 1995, S.100).

Literaturverzeichnis

Bähr, j., und G. Mertins: Die lateinamerikanische Großstadt. Verstädterungsprozesses und Stadtstrukturen. Darmstadt 1995

Heinz Heineberg Stadtgeographie. Paderborn 1986, S.98

www.wissen.de

http://195.71.98.227/servlets/de.wissen.frameset.BaseServlet/NSID-195.71.98.227- 9ae:3aab4613:a5968e3e84d7cddf?todo=showTopic&tid=01002934

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Weltatlas

Microsoft Weltatlas 1999

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Lateinamerika
Autor
Jahr
2001
Seiten
12
Katalognummer
V103526
ISBN (eBook)
9783640019045
Dateigröße
376 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Facharbeit über Lateinamerika
Schlagworte
Lateinamerika
Arbeit zitieren
Vahid (Autor:in), 2001, Lateinamerika, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103526

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