Alexis de Tocqueville - verantwortungs- oder gesinnungsethisch handelnder Staatsmann?


Hausarbeit, 1999

28 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung: Die Frage nach der politischen Ethik

2. Hauptteil
2.1 Das Instrument: Max Webers dichotomes Bild des Verantwortungs- und Gesinnungsethikers
2.1.1 Die politische Ethik Webers
2.1.2 Webers Dichotomie
2.1.3 Die Problematik der Dichotomie
2.1.4 Präzisierung des Instruments
2.1.5 Die Grenzen der Ethiken
2.2 Alexis de Tocqueville - Verantwortungs- oder Gesinnungsethiker?
2.2.1 Menschenbild
2.2.2 Rationalität
2.2.3 Wissenschaft und Methode
2.2.4 Das politische Ziel Tocquevilles
2.2.5 Tocqueville als politisch handelnder Staatsmann

3. Schluß
3.1 Synthese
3.2 Weber und Tocqueville

Literaturverzeichnis

1. Einleitung: Die Frage nach der politischen Ethik

"...Wie für das Geld muß man für die Macht alles zu tun bereit sein... Wissen Sie, warum Sie so handeln müssen? Sie wollen die Welt beherrschen, nicht wahr? Fangen Sie damit an, daß sie ihr gehorchen und sie genau studieren. Der Gelehrte studiert die Bücher, der Politiker studiert die Menschen, ihre Interessen, die Gesellschaft, die Beweggründe ihrer Handlungen. Welt, Gesellschaft, Menschen zusammengenommen sind Anbeter der vollzogenen Tatsachen..."[1]

Diese Ratschläge gibt der angebliche spanische Diplomat und Ehrenkanonikus von Toledo, der geheime Botschafter seiner Majestät Ferdinand des VII, Abbé Carlos Herrera, dem jugendlichen Lucien Chardon (oder lieber: Lucien de Rubempre), als er diesen, der eigentlich schon mit seinem Leben abgeschlossen hatte, weil ihm der so sehr begehrte Erfolg nicht beschert wurde, zufällig begegnete. Der einsame Geistliche kann den verzweifelten und gescheiterten Dichter, der an seinem Ehrgeiz und den ärmlichen Verhältnissen, aus denen er stammt, zerbrach, vom Selbstmord abhalten, indem er ihm aufklärereísch einen Crashkurs in Sachen Erfolg gibt, er nennt es: "Das Gesetzbuch des Ehrgeizes". Darin sind alle moralischen und sittlichen Regeln ersetzt durch die alleinige Götze des Erfolgs. Erfolg ist die letzte Erklärung für alles, der Zweck des Erfolges heiligt alle Mittel. So der Abbé:

"Was müssen Sie sich also in ihren schönen Kopf setzen? Lediglich den folgenden Vorsatz: Man setzte sich also ein glänzendes Ziel und verberge die Mittel, mit denen man es erreicht; verberge seinen WegSeien Sie ein Mann, seien Sie ein Jäger, stellen Sie sich auf den Anstand, wählen Sie sich in der Welt von Paris einen Hinterhalt, warten Sie auf eine Beute und einen Zufall, wahren Sie weder ihre Person, noch was man Würde nennt; denn wir gehorchen alle irgendeiner Sache, einem Laster, einer Notwendigkeit; aber wahren Sie das höchste Gesetz: das Geheimnis."[2]

Als oberste Regel dient also die Verschwiegenheit, sowohl im Orden, als auch als Regel der Ehrgeizigen. Lucien, dessen Lebenswillen durch die klaren, zynischen, jedoch einleuchtenden Ratschläge des Abbé, die dieser durch historische Sarkasmen untermauert, langsam zurückkehrt, erweist sich in dieser Situation als äußerst empfänglich für die Verderblichkeit dieser Gedanken: sie bringen die dunkle Seite seines Herzens zum klingen, angestoßen durch die entartetsten Gefühle. Die Frage, dieses Welt- und Menschenbild des

Abbe zu akzeptieren und noch mehr, nach dessen Regeln ein neues, vielleicht erfolgreicheres Leben zu beginnen, wird für Lucien eine Frage um Leben und Tod. Selbstmord, denn ein zurück gibt es nicht mehr, oder der Sekretär und die Kreatur dieses ruchlosen spanischen Politikers in einem zweiten Leben?

Lucien entscheidet sich, in den Dienst dieses immernoch unbekannten, angeblich spanischen Diplomaten zu treten, ihn als seinen Schutzherrn zu akzeptieren und von nun an "professioneller" nach Erfolg zu streben.

In dieser Episode gegen Ende von Honoré de Balzacs "Verlorene Illusionen" wird durch die Figur des spanischen Dipomaten ein Bild des Politikers/Staatsmanns[3] gezeichnet, das zum Nachdenken anregt. Basierend auf einer Antimoral entsteht das Bild des nur sich selbst genügenden, die Macht um der Macht Willen erstrebenden, des weder Idealen noch der Verantwortung für das eigene Handeln verpflichteten Menschen. Heiligt der Zweck wirklich die Mittel, unabhängig davon, welches Ziel man verfolgt?

Es handelt sich um die Frage nach der Ethik in der Politik.

Diese Frage stellten sich im Revolutionswinter des Jahres 1918/19 auch die Angehörigen des Münchner linksliberalen "Freistudentischen Bundes", wo Max Weber am 28.01.1919 über Politik als Beruf spricht. Zuerst unwillig, aufgrund von einigen jüngst in der Politik gemachten schlechten Erfahrungen, sagt Weber dennoch zu, als ihm zu Ohren kommt, "daß an Kurt Eisener als Redner gedacht wurde. Das mochte er nicht ertragen. 'Weber sagte umgehend zu, kam und hielt einen Vortrag, dessen Text ein kleines Meisterwerk der Theorie der Politik und ein Dokument des Standes demokratischen Denkens in jenem kritischen Augenblick deutscher Geschichte wurde.'"[4] So entstand die Rede "Politik als Beruf" in einer besonderen historischen Situation, "deren Stoßrichtung gegen die pazifistischen Strömungen der Zeit unübersehbar ist", die jedoch wesentliche und bis heute gültige Aussagen über das Wesen der Politik enthält.[5]

In dieser Rede wendet sich Weber nach definitorischen Festlegungen, Betrachtungen und Voraussetzungen über den "äußeren Beruf zur Politik" ausführlich dem prinzipellen Verhältnis von Ethik und Politik zu. Dabei arbeitet er eine Grundunterscheidung zwischen zwei möglichen, jedoch grundverschiedenen und sich ausschließenden ("abgrundtiefer Gegensatz"[6]), Orientierungen politischen Handelns heraus: es kann entweder "gesinnungsethisch" oder "verantwortungsethisch" motiviert sein. Diese Dichotomie der Handlungsmotivationen soll mir in der Hausarbeit als Werkzeug dazu dienen, das Bild des Staatsmanns Alexis de Tocqueville zu erhellen und zu beschreiben: Welche grundsätzliche Handlungsmotivation hat ein Alexis de Tocqueville, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine leitende Position innerhalb des Staates auszuführen? Ist sein Handeln eher gesinnungsethisch oder verantwortungsethisch ausgerichtet?

Alexis de Tocqueville bietet sich in zweifacher Hinsicht als Untersuchungsobjekt an: Einerseits in seinem Wirken als politischer Theoretiker, das ihm erlaubt hat auch abstrakte Prinzipien zu beschreiben und zu fordern. Andererseits als aktiver Politiker, der einem Handlungszwang ausgesetzt ist und damit eben nicht abstrakte Prinzipien verwirklichen kann, sondern im politischen Tagesgeschäft Kompromisse eingehen muß. Die Spannung, die sich aus der Anwendung der Theorie in der Praxis und umgekehrt ergibt und die Erfahrungen, die er daraus zieht, machen Tocqueville in der politischen Szene seiner Zeit zu einem herausragenden politischen Akteur.

Max Weber auf der anderen Seite hat mit seiner theoretischen, idealtypischen Darstellung der ethischen Handlungsmotivationen in der Politik ein ideales Werkzeug zur Durchdringung und Klassifizierung des Staatsmanns Alexis de Tocquville geliefert.

Es wird die These vertreten, dass Tocqueville im Verlauf seiner politischen Karriere zunehmnend verantwortungsethisch gehandelt hat.

Gesinnungsethisches Handeln, das bei Tocqueville in der Erkenntnis durch sein theoretisches Werk (Über die Demokratie I und II) und in den auf Reisen gemachten Erfahrungen seinen Ursprung findet, tritt mit wachsender Erfahrung in der praktischen Politik zurück. Die Wurzeln der gesinnungsethischen Hauptlinie läßt sich hauptsächlich in der Zeit vor der politischen Karriere (vor 1839) festmachen. Der Prozeß der Loslösung von den gesinnungsethischen Verankerungen beschleunigt sich während seiner politischen Karriere, und kommt zu einem Schlußpunkt während der Zeit des Innehabens des Außenministeriums.

Während Tocquevilles Rückzug von der Politik, an der Zeit des inneren Exils, lassen sich die Grenzen seiner Verantwortungsethik aufzeigen.

Wird die "Professionalisierung" Lucien, den fiktiven Zeitgenossen Tocquevilles, zum so sehr ersehnten Erfolg führen? Wohin, in welche Kreise begiebt er sich? Ist der spanische Staatsmann, sein "Schutzherr", wirklich ein Diplomat? Lucien selbst hat eine düstere Vorahnung, wie er in dem Abschiedsbrief an seine Schwester schreibt:

"Anstatt mich zu töten, habe ich mein Leben verkauft. Ich gehöre mir nicht mehr; ich bin nicht der Sekretär eines spanischen Diplomaten: Ich bin seine Kreatur. Ich gehe einem schrecklichen Leben entgegen, vielleicht wäre es besser gewesen, mich ins Wasser zu stürzen."[7]

Weber, soviel sei gesagt, wendet sich gegen den "bloßen Machtpolitiker". "Eitelkeit", "Verantwortungslosigkeit", "Unsachlichkeit"[8] sowie das Anstreben von Macht allein um ihrer selbst willen, wie es der Abbe Carlos Herrera propagiert, sind nicht im weberischen Sinne.

Es bleibt also spannend.[9]

2.1 Das Instrument: Max Webers dichotomes Bild des Verantwortungs- und

Gesinnungsethikers[10]

2.1.1 Die politische Ethik Webers

Max Weber definiert Politik als Streben nach Machtanteil oder nach Beeinflussung der Machtverteilung. Der Staatsmann läßt sich demzufolge, wenn er der Leitung oder der Beeinflussung der Leitung eines Staates nachgeht, also Politik betreibt, auf einen Pakt mit der Macht ein. Und nicht nur das. Er muß einen Pakt mit der Gewaltsamkeit schließen; denn: Das spezifische Mittel und einzigartige Merkmal des souveränen Territorialstaats ist die Gewaltsamkeit.[11] Dem Staat obliegt das Gewaltmonopol. Legitime Gewaltsamkeit in der Hand menschlicher Verbände. Dahinter verbirgt sich die Besonderheit und Brisanz der ethischen Probleme der Politik. Weber sieht die Problematik der politischen Ethik tief in der Religion verwurzelt: "Die Erfahrung von der Irrationalität der Welt war ja die treibende Kraft aller Religionsentwicklung...Auch die alten Christen wußten sehr genau, daß die Welt von Dämonen regiert sei, und daß, wer mit der Politik, das heißt: mit Macht und Gewaltsamkeit sich einläßt, mit diabolischen Mächten einen Pakt schließt, und daß für sein Handeln es nicht wahr ist: daß aus Gutem nur Gutes, aus Bösem nur Böses kommen könne, sondern oft das Gegenteil."[12] So muß derjenige, der Politik treiben will, den Boden der religiösen Absolutheitsethik verlassen. Denn die Frage nach den Folgen stellt die absolute Ethik (z.B.der Bergpredigt) nicht. So fand auch in außerchristlichen Religionen, Weber zitiert hier das Bhagavadgita, eine Einordnung des Krieges in die Gesamtheit der Lebensordnungen statt. "Tue das Notwndige", nämlich Krieg führen, und das religiöse Heil bleibt nach diesem Glauben unbeschädigt. "Diese Spezialisierung der Ethik ermöglichte der indischen Ethik eine gänzlich ungebrochene, nur den Eigengesetzen der Politik folgende, ja diese radikal steigernde Behandlung dieser königlichen Kunst."[13] Diese "spezialisierte Ethik" ist nahe an Macchiavellis Florentiner Bürgern, "denen die Vaterstadt höher stand als das Heil ihrer Seele".[14] Verantwortung übernehmen für das Heil der Vaterstadt, politisches Handeln also, ggf.mit gewaltsamen Mitteln. Es handelt sich um reines verantwortungsethisches Handeln. Es gefährdet das Heil der Seele und ist unerträglich für den Gesinnungsethiker, der die ethische Irrationalität der Welt nicht erträgt. Es tut sich ein abgrundtiefer Gegensatz auf.

2.1.2 Webers Dichotomie

Die Wurzeln des abgrundtiefen Gegensatzes sind kurz beleuchtet worden. Welche Merkmale zeichnen jedoch die beiden Idealtypen des verantwortungsethischen und gesinnungsethischen Handelns nach Weber aus?

Der verantwortungsethisch handelnde Politiker rechnet mit den durchschnittlichen Defekten der Menschen. Er hat, nach Fichte, gar kein Recht ihre Güte und Vollkommenheit vorauszusetzen. Dabei will er die voraussehbaren Folgen seines Tuns nicht auf andere abwälzen, er fühlt sich für sein Handeln verantwortlich.

Für den nach der gesinnungsethischen Maxime Handelnden spielen die Folgen seines Tuns keine Rolle. Nicht er selbst, sondern die Welt ist für die Folgen verantwortlich. Die Verantwortlichkeit des Gesinnungsethikers beschränkt sich lediglich darauf, die Flamme der reinen Gesinnung hell und klar leuchten zu lassen. In diesem Sinne haben all seine Taten exemplarischen Wert für die Gesinnung. Die Irrationalität wird solange toleriert, solange es der als Wahr erkannten Gesinnung dient. Nach Weber sucht er das Heil seiner Seele und die Rettung anderer Seelen in der Politik. Dabei kann das Ziel Schaden leiden, weil die Verantwortung fehlt für die Folgen und diese und ggf.weitere Nebenfolgen ungesehen bleiben und dadurch Konsequenzen geschaffen werden, denen der Gesinnungsethiker hilflos ausgeliefert ist. So gibt es, so Weber, nur eine Möglichkeit für Gesinnungsethiker: Jedes Handeln, welches sittlich gefährliche Mittel anwendet, muß verworfen werden. Denn keine Ethik kann grundsätzlich ergeben, wann und in welchem Umfang der ethisch gute Zweck die ethisch gefährlichen Mittel und Nebenfolgen heiligt. Nach der oben aufgeführten Politikdefinition ist somit die Gesinnungsethik politisch nicht brauchbar und zum Scheitern verurteilt.

2.1.3 Die Problematik der Dichotomie

Einerseits spricht Weber vom "abgrundtiefen Gegensatz", nämlich davon, "daß alles ethisch orientierte Handeln unter zwei voneinander grundverschiedenen, unaustragbar gegensätzlichen Maximen stehen kann: es kann 'gesinnungsethisch' oder 'verantwortungsethisch' orientiert sein."[15] Andererseits fordert er eine Synthese beider Ethiken: "Insofern sind Gesinnungsethik und Verantwortungsethik nicht absolute Gegensätze, sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den Beruf zur Politik haben kann."[16] Wie ist dieses weberische Rätsel zu lösen? Wie läßt sich der Gegensatz erklären?

Die Rede "Politik als Beruf" muß für mich auch vor dem Hintergrund der historischen Situation (Räterepublik in Bayern) und des Veranstaltungsortes (linksliberaler Freistudentischer Bund) gesehen werden. Weber vermutete in seinem Publikum den ein oder anderern strengen Gesinnungsethiker und konnte es sich nicht verkneifen, diesen gehörig den Kopf zu waschen, indem er die potentielle Schädlichkeit gesinnungsethischen Handelns besonders herausstellte. Daher läßt er sich ziemlich ausschweifend über Gesinnungsethik aus.[17] Jedoch steckt Weber sowohl der Gesinnungsethik als auch der Verantwortungsethik relativ klare Grenzen. Er spricht sich gegen gesinnungslose Realpolitik und reine Machtpolitik genauso aus wie gegen die pazifistische und revolutionäre Gesinnungspolitik, wie sie gerade die Tagespolitik jener Zeit bestimmte. Eines jedoch sieht Weber ganz klar: der Zweck heiligt nicht die Mittel, da mag die Gesinnung noch so edel sein. Um jedoch vernünftige, verantwortungsvolle und auch zukunftsorientierte Politik machen zu können, braucht es für Weber sowohl das "langsame Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß..." und im selben Atemzug lehrt ihn alle geschichtliche Erfahrung, "daß man das mögliche nicht erreichte, wenn nicht immer wieder in der Welt nach dem Unmögichen gegriffen worden wäre."[18]

2.1.4 Präzisierung des Instruments

Die grundsätzliche Spannung zwischen gesinnungs- und verantwortungsethischen Handeln ist von Weber umrissen worden. Auch, daß eine Synthese aus beiden Ethiken notwendig ist. Jedoch will ich, um zu einem klareren Ergebnis bei meiner Beurteilung der Handlungsausrichtung Tocquevilles zu kommen, mein Instrument schärfen, d.h.beide Ethiken klar gegenüberstellen und die jeweiligen Grenzen aufzeigen.

Ziel des Verantwortugsethikers ist es, zu tun, was heute möglich ist, bezogen auf die jeweilige gesellschaftliche Situation. Er geht davon aus, daß nicht alles auf einmal verändert werden kann. Veränderung kann für ihn nur schrittweise stattfinden, weil er sich der begrenzten Erkenntnisfähigkeit des Menschen bewußt ist. Da er die Folgen für sein Handeln verantworten will und mögliche Nebenfolgen, ob nun beabsichtigt oder nicht, mit in sein Handeln einkalkuliert und mit dem angestrebten Ziel abgleicht, ist für den Verantwortungsethiker nur eine "Politik der kleinen Schritte" möglich. Probleme sind für ihn nie vollständig zu lösen, er rechnet damit, daß jeder Versuch, ein Problem zu regeln, Folgeprobleme mit sich bringt. Dem Handeln dieses Typs des Staatsmann liegt ein prozeßhaftes Politikverständnis zu Grunde. Weil sich jedoch seine Wertvorstellungen situativ aus seiner Zeit und seinem gesellschaftlichen Umfeld aggregieren, ist der Verantwortungsethiker ständig der Gefahr des Opportunismus ausgesetzt. Er ist sich darüber bewußt, daß er, allein schon aufgrund seines Paktes mit Macht und Gewaltsamkeit, Wertpositionen verletzen und sich deshalb, gerade bei aller Entschiedenheit des Handelns, sich mäßigen und Kompromisse eingehen muß. Der Verantwortungsethiker braucht eine selbstständige Erfahrungswissenschaft, die ihm durch wertfreie Analyse von Zweck-Mittel-Relationen die Voraussetzung für die Anwendung der verantwortungsethischen Maxime schafft. In einer Gesellschaft, in der kein objektives Wissen über Kausalzusammenhänge besteht, kann im strengen Sinne gar nicht verantwortungsethisch gehandelt werden.[19]

[...]


[1] Balzac, Honoré de, 1996: Verlorene Illusionen, Fft./M; Leipzig, 749f

[2] ebenda, 756

[3] "Staatsmann" sei in dieser Hausarbeit gleichbedeutend mit "Politiker" und nach Max Weber wie folgt definiert: Sie/Er hat die Leitung eines Staates inne oder sei an der Beeinflussung der Leitung eines Staates beteiligt.

[4] Birnbaum, Immanuel, 1963: Erinnerungen an Max Weber, Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie (KZfS), Sonderheft 7, 19-21,

[5] Mommsen, Wolfgang J., 1989: Politik und politische Theorie bei Max Weber, in: Johannes Weiß(Hg): Max Weber heute: Erträge und Probleme der Forschung, Fft/M, 520

[6] Kaesler, Dirk, 1997 in: Stammen, Theo: Hauptwerke der politischen Theorie, Stuttgart, 519-522

[7] Balzac, a.a.O., 786

[8] Weber, Max, 1992: Politik als Beruf, Stuttgart, 63

[9] Ich selbst habe das Folgewerk Balzacs innerhalb der "Illiade der Korruption" der menschlichen Kommödie noch nicht gelesen, werde dies jedoch in der nächsten freien Minute tun.

[10] zu Webers politischer Ethik im Punkt 2.1 vgl: Weber, a.a.O., 65ff

[11] Weber, a.a.O., 6

[12] Weber, a.a.O., 74

[13] Weber, a.a.O., 75

[14] Weber, a.a.O., 79

[15] ebenda, 70

[16] ebenda, 81

[17] vgl. Wolfgang Schluchter: er rechnet Weber den Verantwortungsethikern zu und begründet dies mit dessen Wertfreiheitspostulaten innerhalb des Rationalisierungsprozesses. Der Verantwortungsethiker braucht danach grundsätzlich eine selbstständige Erfahrungswissenschaft, die ihm durch wertfreie Analyse von Zweck-Mittel-Relationen die Voraussetzung für die Anwendung der verantwortungsethischen Maxime schafft. In einer Gesellschaft, in der kein objektives Wissen über Kausalzusammenhänge bestehe, könne im strengen Sinne gar nicht verantwortungsethisch gehandelt werden. "Wertfreie Wissenschaft fördert die Wertorientierungen, die der durch Verantwortungsethik geleitete Berufspolitiker besitzen muß." Eingebettet in den Prozeß der Rationalisierung, der Ordnung und Systematisierung also, ist der Verantwortungsethiker das Zukunftsmodell des Politikers (siehe die zunehmende Macht der Beamten im dt.Kaiserreich) und nach Schluchters Ansicht Webers favorisiertes. Der Gesinnungsethikerdagegen wird und ist zum Opfer des Intellekts gezwungen. Jedoch ist hier nicht der Ort, ein Urteil über Webers präferierten Ethiktypus zu fällen. Schluchter, Wolfgang, 1971: Wertfreiheit und Verantwortungsethik, Tübingen, 32ff

[18] Weber, a.a.O., 82

[19] vgl.: Schluchter, Wolfgang, 1971: Wertfreiheit und Verantwortungsethik, Tübingen, 32,

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Alexis de Tocqueville - verantwortungs- oder gesinnungsethisch handelnder Staatsmann?
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Alexis de Tocqueville: Über die Demokratie in Amerika
Note
1,7
Autor
Jahr
1999
Seiten
28
Katalognummer
V10375
ISBN (eBook)
9783638168175
Dateigröße
592 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Alexis de Tocqueville, Max Weber, Über die Demokratie in Amerika, Gesinnungsethik, Verantwortungsethik, Dichotomie, Politik als Beruf, politische Ethik
Arbeit zitieren
Dominik Sommer (Autor:in), 1999, Alexis de Tocqueville - verantwortungs- oder gesinnungsethisch handelnder Staatsmann?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10375

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