Arthur Schnitzler und Adele Sandrock


Seminar Paper, 2001

24 Pages, Grade: 2,7


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Von femme fatale bis femme fragile - Männerphantasien um 1900

2. Arthur Schnitzler und die Frauen

3. Arthur Schnitzler und Adele Sandrock
3.1. Wie alles begann
3.2. Seitensprünge
3.3. Bürgertum vs. Künstlertum
3.4. Adele Sandrocks Bedeutung für den Künstler Schnitzler
3.5. Geist und Gefühl
3.6. Schnitzlers Rückzug von Adele
3.7. Schnitzlers neues Interesse an anderen Frauen
3.8. Der endgültige Bruch
3.9. Alt geworden

4. Die künstlerischen Früchte

Literaturverzeichnis

1. Von femme fatale bis femme fragile - Männerphantasien um 1900

1Das ewig unergründliche Weib, welches Freud in seinen Theorien ebenso beschäftigt wie seinen Freund Arthur Schnitzler in seinen Stücken und erzählerischen Werken spielt auch im Wien um 1900 eine vorherrschende Rolle. Kunst und Literatur waren mit ihrer Darstellung auf beinahe monotone Weise durchzogen.2

Die Darstellung der Frau wechselt zwischen „Kindfrau und Mannweib, ängstlicher Jungfrau und vollbusiger Mutter, grausiger Sphinx und beschützender Madonna, todverfallener Märchenprinzessin und verkommener Dirne.“3 Diese Männerphantasie, die all dies am liebsten in einer Person zu entdecken wünscht4, läßt sich nur leider nicht mit den realisierbaren Eigenschaften einer Frau in Einklang bringen, noch ist ein solches Weib auf lange Sicht wirklich wünschenswert. Eher dem Kunstwerk kommt es zu, wie Maurice Barrès es formuliert, „in einer erschöpfenden Form und mit übermittelnder Gefühlsanregung Seelenzustände zusammenzufassen und uns daran teilnehmen zu lassen, als Entschädigung dafür, daß wir weder die innere Kraft, noch Gelegenheit hatten, diese zu erleben.“5

2. Arthur Schnitzler und die Frauen

Arthur Schnitzler ist im Lichte seiner Frauenbeziehungen gut nachzuzeichnen. An seinen Briefen, die er beispielsweise mit seiner Seelenfreundin Olga Waissnix schreibt, erkennt man etwa eine sensible Seite, die er im Umgang mit seinen männlichen Freunden nicht unbedingt zum Ausdruck bringt.6 Auch der sorgsame Umgang mit seinen Liebesbriefen und seine lückenlosen Tagebucheinträge spiegeln seine große Hingabe zum Weiblichen, das demnach über sein Interesse an Literatur, Medizin und Politik zu stellen ist, wieder.7

Schon die Erotik des siebzehnjährigen Arthurs führt zu Konflikten. Sein Vater liest und entwendet gar sein Tagebuch. Die Gedanken des jungen Schnitzler nach einem Gespräch zum Thema Frauen mit seinem Vater zeigen seine damals schon entschiedene Haltung zur Geschlechterbeziehung. Er schreibt: „Im Verlaufe unseres Gespräches drängte sich mir die Frage auf die Lippen, wie es denn ein junger Mensch anstellen solle, um nicht entweder mit den Forderungen der Sitte, der Gesellschaft oder der Hygiene in Widerspruch zu geraten. Verführung, Ehebruch seien unerlaubt und gefährlich, Verhältnisse zu Kokotten bedenklich und kostspielig, dann gab es noch eine gewisse Sorte von sozusagen anständigen Mädchen, die zwar schon vom Pfade der Tugend abgewichen waren, bei denen man aber geradeso wie bei den Verführten ‘hängenbleiben’ könne; so blieben also nur wirkliche Dirnen übrig, was immer, selbst wenn man sich gesundheitlich zu schützen wisse, eine recht widerwärtige Angelegenheit zu bedeuten habe.“ Schnitzler hat hiermit die Bandbreite an Frauen noch einmal zusammengefaßt und resümiert schließlich: „Man kann nicht zugleich unverheiratet und doch asketisch sein.“8 Auch wenn er sich selber als schüchtern bezeichnet, kann er durchaus als erfolgreich bei den Frauen angesehen werden. Er weiß mit kleinen Geschenken und Aufmerksamkeiten die Frauen zu umgarnen und ihnen das Gefühl zu geben, ernstgenommen zu werden. Doch keine Beziehung ist von Dauer.9 Die Frauen bedeuten lediglich vorübergehende Abenteuer, die Schnitzler keine Erfüllung bringen. Sein unstetes Wesen, das hier zum Ausdruck kommt, nennt er selbst „(s)eine Hauptsünde: des Augenblicks nicht froh werden - immer gleich was andres lieber thun. - “ (TB 30.07.1896) So springt er von Abenteuer zu Abenteuer und erfährt dabei: „Es ist so süß zu betrügen! Leider denken sich das die Weiber auch!“ (TB 13.07.1889) Andererseits nehmen die Frauen einen hohen Stellenwert in Schnitzlers Leben ein. Diese Bedeutung fängt Schnitzler durch die Figur des Friedrich Hofreiter in „Das weite Land“ besonders treffend ein: „Ja, - die Pausen zwischen der einen und der anderen. Die sind ja auch nicht uninteressant. Wenn man Zeit hat, und in der Laune ist, baut man Fabriken, erobert Länder, schreibt Symphonien, wird Millionär...aber glaube mir, das ist doch alles nur Nebensache. Die Hauptsache - seid ihr! - ihr! - ihr!...“10

3.Die Beziehung zwischen Arthur Schnitzler und Adele Sandrock

3.1.Wie alles begann...

Im September 1893 lernt der damals als Schriftsteller noch unbekannte Arzt Arthur Schnitzler die gefeierte Bühnendarstellerin Adele Sandrock kennen. Zunächst erfährt er von seinem Freund Felix Salten, daß die Sandrock von seinem Stück „Das Märchen“ entzückt sei. Adele Sandrock ist zu dieser Zeit bereits eine namhafte Schauspielerin. Sie interessiert sich für die Rolle im „Märchen“ besonders, weil das Stück von der üblichen Norm abweicht und einen Skandal direkt vermuten läßt.11 Ihre Vorliebe für interessante und moderne Stücke mit starken, sich der Norm der Gesellschaft widersetzenden Frauen zeichnet sich ab.12 Man erkennt Adele Sandrocks Risikobereitschaft und Mut13. Man kann sie durchaus als fortschrittlich und vor allen Dingen als sexuell emanzipiert bezeichnen.

Schnitzler hatte die Sandrock zuvor bereits des öfteren auf der Bühne erlebt und seine Eindrücke nach unterschiedlichen Aufführungen mit „Schrecklich!“ (TB 05.10.1893) und „erbärmliches Stück“ (TB 07.10.1893) in seinem Tagebuch festgehalten.14 In einem Brief vom 18.11.1892 an Mizzi Glümer schreibt er gar aufgrund einer Aufführung: „Ich hasse dieses Weib.“ Im gleichen Brief aber auch, daß sie ihn dazu brachte im zweiten Akt „bitterlich“ zu weinen.15 Am 24. Oktober 1893 lernen sie sich persönlich kennen16, und bereits bei den ersten Proben am 24. November erwachen gegenseitiges Interesse und Faszination.17 Sie fühlen sich regelrecht magnetisch angezogen vom Anderen, und auch der zurückhaltendere Schnitzler gibt schließlich seinen Gefühlen nach.18 Bereits am 25.11.1893, am Tag nach der ersten Probe zu „Das Märchen“ teilt Adele ihm unmißverständlich mit:

„Ich bin so eine Person, wenn ich mich in einen verlieb, komm ich einfach zu ihm.“ Vier Tage später offenbart sie ihm ihre Gefühle in einer weiteren eindeutigen Nachricht: „Sie sind ein kleiner süsser Mensch.“ Damit trifft sie Schnitzler gleich am richtigen Punkt. Er notiert am 29.11.1893 in sein Tagebuch: „Geschmeichelte Eitelkeit.“ Dort liegt anfänglich für Schnitzler auch der Reiz an Adele. Es imponiert dem jungen Arzt natürlich sehr, daß sich eine in ganz Wien gefeierte Schauspielerin, die finanziell und auch sexuell unabhängig lebt, für den noch bei seiner Mutter lebenden Doktor, der gerade die Dichterlaufbahn ernsthafter zu betrachten beginnt, in diesem Maße interessiert.19

Am 1. Dezember wird „Das Märchen“ uraufgeführt, am 6. Dezember beginnt die Beziehung zwischen Arthur Schnitzler und Adele Sandrock.20 Adele wird ihn später gegenüber Olga Tschechova als Liebe ihres Lebens bezeichnen. Bei ihrer Begegnung sind beide bereits über dreißig und durchaus nicht mehr unbewandert in Sachen der Liebe. Und doch entsteht für beide ein noch nie dagewesenes Abenteuer. Sie begegnet ihm als die sehr bekannte, erfolgreiche Diva, die einen festen Platz in der Theaterwelt inne hat; er tritt auf als der solide Arzt.21 Beide sind also unabhängig und durchaus nicht bereit, sich nur durch eine Beziehung zu binden.22 In ihren bisherigen Beziehungen haben sie beide gegenüber dem anderen Partner immer die dominante Rolle gespielt.23 Sie wählt ihre Liebhaber frei und will sich von keinem Mann beherrschen lassen. 24 Besonders Schnitzler sieht sich zur Vorsicht angehalten, als er merkt, daß er diesmal nicht sofort überlegen ist.25 So nimmt Adele eine Sonderstellung unter den Frauen Schnitzlers ein, da sie ihm Widerstand leistet und ihm genauso gegenübertritt, wie er ihr. Ihre Launen sind vergleichbar mit dem, was seinerzeit Marie Glümer von Schnitzler zu spüren bekam.26

Zunächst aber steht die Premiere des Märchens an. Das Publikum reagiert so ungehalten über den freizügigen Umgang mit Sexualität des Stückes, daß es bereits nach zwei Aufführungen wieder abgesetzt wird. Die Sandrock wird danach als unschuldiges Opfer, Schnitzler als Dilettant dargestellt; doch als Liebespaar sind sie in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Schnitzler gilt zunächst nur als eine ihrer Spielereien und erlangt auch auf diese Weise esrte Aufmerksamkeit. Die frühzeitige Absetzung des „Märchens“ und der damit verbundene Rückschlag wirken sich nicht negativ für die Beziehung zwischen der Schauspielerin und dem Dichter aus; im Gegenteil verstärkt es sogar Adeles Werben. Am Tag nach der Premiere schickt sie ihm Veilchen, die sie während der Aufführung an ihrem Körper trug und lädt ihn zu sich nach Hause ein. Zunächst plaudert sie ein wenig über ihre Liebschaften, wagt sich aber bald weiter. Sie ergreift seine Hand und küßt sie. Als er eher gelassen reagiert, ist sie alteriert: „Sie nehmen das so ruhig hin?“ Schließlich geben sie sich ihrer Begierde hin und beginnen ein Spiel aus „heißen Küssen und hastigen forschenden Fragen nach Liebe.“ Bereits hier läßt sich die Intensität und Gegensätzlichkeit der Beziehung erkennen. Einerseits ist sie beherrscht von Begierde, andererseits von Distanz oder dem Wusch nach Dominanz. In dieser ersten Nacht tritt noch nicht die Eifersucht auf, die später in ihrer Beziehung für Spannungen sorgen wird. Schnitzler reagiert nicht negativ auf die Darstellungen Adeles Liebeslebens, und Adele bringt die Situation gar auf den Punkt, indem sie ausspricht: „Bist Du wem untreu? Tröst Dich, ich auch.“ Wie sehr recht sie damit hat, zeigt sich bei einem Blick auf Schnitzlers Gefühls- und Liebesleben. Er steht in regem Briefkontakt mit seiner Seelenfreundin Olga Waissnix. Die Trennung zu seiner„wahren Liebe“ Marie Glümer hat er noch nicht verwunden, und so tröstet er sich mit einer Jenny, die wiederum die Nachfolgerin zu Fifi ist, die Schnitzler an Felix Salten weitergereicht hat.27 Dieser Vorgang wird sich nach der Trennung von Arthur Schnitzler und Adele Sandrock ähnlich wiederholen.

Hierbei ist zu erwähnen, daß es zu dieser Zeit in den Kreisen, in denen auch Schnitzler verkehrte, durchaus nicht ungewöhnlich war eine bestimmte Art von Frauen immer wieder weiterzureichen. Auf diese Weise stand man gemeinsam diesen Frauen gegenüber , konnte sie so bezwingen und entwickelte gleichzeitig eine Art intimes Verhältnis zu den anderen Männern. Adele Sandrock zählte durchaus zu dieser Art Frau.28

3.2.Seitensprünge

Aber auch die Sandrock selbst gibt sich nicht immer mit nur einem Liebhaber zufrieden. Sie will zu Beziehungsbeginn mit Schnitzler durchaus nicht auf ihre Liebhaber, den Komponisten Charles Weinberger oder den Anwalt Friedrich Elbogen, verzichten. Ohnehin ist sie eine routinierte Seitenspringerin, weist aber trotzdem eine Ambivalenz auf, die wir in der gleichen Form auch für Schnitzler vermerken können. Sie ist selber untreu, verlangt aber dennoch Treue von ihrem Partner. Dem geben beide Ausdruck in heftigen Eifersuchtsszenen. In ihrer zweiten Liebesnacht erzählt Schnitzler der Sandrock von Marie Glümer und Jenny. Daraufhin reagiert sie heftig mit Eifersucht. Obwohl sich schon bald so etwas wie ein Beziehungsalltag einstellt, verlieren die beiden den Hang zu solchen Szenen nicht. So liest Adele einmal teilweise laut aus den Briefen Marie Glümers vor. Schnitzler bricht daraufhin in Tränen aus, was sie schließlich auch zum Weinen bringt. Beide sind vom Inhalt der Briefe ergriffen und geben sich ihren Tränen hin.29 Ein ander Mal dichtet Adele frech und bissig: „Ob Diva, ob Choristin / ob Vorstadtmadl, ob Modistin / Dir bleibt es sich ja gleich. / Denn mit der Liebe reich / hast keine Du gemacht, / hast jede ausgelacht, / die sich Dir hat ergeben, / denn immer hast daneben / Du andre noch im Sinne: / das, Freund, ist Deine - Minne.“30 Sie faßt damit ihre Eifersucht und ihre Mißbilligung gegen Schnitzler in Worte. Sie hält ihn nicht für sehr wählerisch.

In den ersten Wochen ihrer Beziehung gehen gefühlvolle Briefe hin und her. Sie wechseln sich bei Schnitzler ab mit seiner unstillbaren Sehnsucht nach Mizzi Glümer. So notiert er am 07.12.1893: „Sehnsuchtsanfall Mz. mit heißen Tränen(...)“. Nur einen Tag später schreibt er dann an Adele: „Meine liebste Dilly, (...) finde das entzückende Bild und deine süßen Zeilen und will dir gleich 1000 x dafür danken. Du ahnst garnicht, was für eine Freude das ist, sowas zu Hause zu finden, wenn man sich eigentlich schon riesig überflüssig und vergessen vorkommt.(...) Bis dahin küsse ich die schönen, die gefährlichen, die lieben Augen

Dein Arthur“.31 Die emotionalen Eingeständnisse seiner Tagebücher wirken sich keineswegs auf sein Handeln aus.

Zehn Tage nach der ersten Nacht ertappt er sie bei einem Seitensprung. Er läutet wiederholt bei ihr, doch niemand öffnet ihm. In seinem Tagebuch vermerkt er jedoch nur: „Ich habe dagesessen und geweint. Ich habe um Mizzi geweint.“ (TB 17.12.1883) Der Seitensprung Adeles weckt in ihm nur den Schmerz um seine vergangene Liebe.

3.3.Bürgertum vs. Künstlertum

Die Beziehung zwischen Schnitzler und Sandrock ist wesentlich „bestimmt von Mißverständnis, Machtkampf und Gesellschaftsspiel.“ Sie ist zum Scheitern verurteilt. Das Ausmaß ihrer Charaktere ist zu ähnlich, ihre gesellschaftlichen Hintergründe sind jedoch zu verschieden, als daß die Beziehung harmonisch sein könnte. Sie treffen sich zwar auf der Ebene ihres künstlerischen Schaffens, ihre unterschiedliche Herkunft läßt sie jedoch zu weit entfernt voneinander bleiben.32 „Arthur Schnitzler ist der (...)Sohn aus gutem Hause. Geist und Kultur besitzend, ohne Zwang genau dies ständig zu beweisen, gehört er zur guten Gesellschaft Wiens, ohne sich mit dieser zu identifizieren.“ Er repräsentiert die „kultivierte, scheinbar heile Welt des Bürgertums“.33 Er sucht in der schillernden Welt der Künstler, was seine Welt ihm nicht bieten kann. Adele Sandrock dagegenführt lediglich eine „luxuriöse Scheinexistenz“. Trotz hoher Gagen ist sie ständig finanziell in Bedrängnis. Sie spürt das Verlangen des Künstlers nach bürgerlicher Normalität. Denn auch die schöne Welt des Theaters birgt schlechte Seiten in sich. Durch Schnitzler will die Sandrock auf ihre Art an dem bürgerlichen Leben teilnehmen, ohne ihm wirklich anzugehören. Sie hat durchaus einen nicht ganz zweifelsfreien Ruf, unter anderem aufgrund ihrer vielen Liebschaften. Auch ihr Elternhaus, repräsentiert durch ihre herrschsüchtige, gewalttätige Mutter, wirft kein gutes Licht auf sie. Adele strebt sicherlich danach, mit der bürgerlichen Gesellschaft ihren persönlichen Frieden zu schließen.34

3.4.Adele Sandrocks Bedeutung für den Künstler Schnitzler

Die Sandrock nimmt sowohl gesellschaftlich als auch charakterlich eine herausragende Stellung unter den Geliebten Schnitzlers ein (stellvertretend kann man hier Olga Waissnix, Marie Glümer und Marie Reinhardt nennen). Zunächst erscheint es Schnitzler als „Sensation, eine Berühmte zu besitzen“ (TB 04.05.1895), wie er später selber feststellt. Auch von ihrem vielfältigen Wesen fühlt er sich angezogen. Einmal bezeichnet er ihre facettenreiche Art wie folgt: „Dämon, liebes Kind, Engerl, Tragödin, Genie, Fratz, Canaille, Liebling, süßes Herz, fascinierende Person, gefährliches Wesen, herziger Schatz.“35 Darüberhinaus strahlt sie eine starke Sinlichkeit aus, die ihn in ihren Bann zieht. Allerdings verliert dies mit der Zeit ihren Reiz36 und weicht „einer peinlichen Abwechslung von Beunruhigung und Langeweile.“37

Darüberhinaus hat sie eine große Bedeutung für den Dichter Schnitzler, die Hugo von Hofmannsthal am 30.12.1894 in einer Aufzeichnung treffend wiedergibt: “Nachts Schnee, im Café Arthur - Über den kommt jetzt das Leben. Er redet über seine Geliebte, die Adele Sandrock. Wie diese Frau für ihn notwendig war, um zur tieferen Wahrhaftigkeit der inneren Anschauung zu gelangen. Diese Frau und der Tod, als Offenbarer des Lebens. Ihr bewußtes Ich und das traumhafte, schauspielerische wissen voneinander nichts.“38 Mit der Sandrock umzugehen, bedeutet für ihn eine persönliche Herausforderung und Weiterentwicklung, die, so Rothe, ebenso zur Formung seines Charakters beiträgt, wie der Tod seines Vaters. „Um wirklich Dichter zu werden, brauchte Schnitzler Adele Sandrock:“39 Nicht nur durch die Rolle, die sie in seinem Leben privat spielt, verhilft sie ihm zum Dichter, auch verschafft sie ihm durch ihre gesellschaftliche Präsenz und ihren Bekanntheitsgrad das nötige öffentliche Interesse, um auch als Dichter erfolgreich sein zu können. Auch wenn „Das Märchen“ ein Reinfall ist, trägt sie doch maßgeblich zu seinen zukünftigen Erfolgen bei.40 Selbst nach ihrer Trennung muß Schnitzler um seine künstlerischen Erfolge fürchten. Er steht noch immer in Abhängigkeit zur Sandrock, ohne die er zweifelsfrei wenig Erfolg hätte.41 Schmerzlich für ihn dann zu erfahren, wie problemlos Dilly die Christine in „Liebelei“ spielt und somit dem Stück und ihm Erfolg und Triumph beschert.42 Die Sandrock sagt sogar einmal übermütig über die „Liebelei“: ein „Schmarrn“, den sie „durchgebracht und vor einem sicheren Durchfall gerettet habe.“43

3.5.Geist und Gefühl

Schon früh realisiert Schnitzler in ihrer Beziehung ein grundlegendes Geschlechterproblem. Darüber schreibt er Adele am 23.01.1894: „Ich verstehe Dich nicht, Du verstehtst mich nicht, wir verstehen uns nicht“ und endet darüber scheinbar resigniert: „...- die alte Liebesconjugation.“44

Das größte Problem innerhalb der Beziehung gründet hingegen in den unterschiedlichen Anforderungen, die beide an die Partnerschaft stellen. Er will sie geistig gleichberechtigt, sie will ihn auf den Knien sehen, wobei sie seinen Widerstand als durchaus reizvoll empfindet.45 Schnitzler wünscht sich eine ihm ebenbürtige geistige Gefährtin. Doch bald scheint es ihm, als wäre gescheit zu sein nur eine ihrer zahlreichen Rollen.46 Literatur,die er ihr empfielt - wie zum Beispiel „Der Tor und der Tod“ von Hugo von Hofmannsthal - liest sie einfach nicht. Seine Enttäuschung darüber, daß sie nicht die geistige Vertraute ist ,die er sich wünscht, führt zu Mißstimmung und sogar zum emotionalen Rückzug.47 Dennoch bewundert er immer ihre wahren künstlerischen Leistungen.48 Er nennt sie „die große Künstlerin mit der mittelgroßen Seele“.49

Bereits in den Anfängen ihrer Beziehung erkennt Schnitzler, daß Adele seinen geistigen Anforderungen nicht genüge tun kann. Er realisiert, daß sie lediglich den Weg über seinen Geist nahm, um ihn schließlich doch zu sich ins Bett zu ziehen. „In Wirklichkeit will sie ja doch nur eine neue Sensation und das „süße Menschenfleisch.““ (TB 17.12.1893) Intellektuelle Gespräche sind nicht möglich, da sie ihm nicht folgen kann. Wie sehr er sich nach einer geistigen Vertrtauten sehnt, bringt er mit folgenden Worten zum Ausdruck: „Das wäre ja etwas: eine Freundin, eine, die man in die kühleren erhabenern Räume seines Geistes mitnehmen kann, und die sich dort zu Hause fühlt.“ (TB 17.12.1893) Gegen Ende ihrer Beziehung erklärt Schnitzler im Gespräch mit Hugo von Hofmannsthal seine Geringschätzung Adeles Geist gegenüber damit, daß er sie als Prototyp des reproduzierenden Genies bezeichnet. Ihr eigentliches Ich hat demzufolge nichts damit zu tun, was es zu schaffen imstande ist. Privatpersönlichkeit und Geschaffenes können weit auseinanderliegen. Beim Dichter hingegen, dem produzierenden Menschen, ist Persönlichkeit und Werk -so Schnitzler -untrennbar miteinander verbunden. (TB 03.02.1894)

Aber auch emotional bringen sich Schnitzler und Sandrock unterschiedlich in die Beziehung ein. Der introvertierte Schnitzler geht mit seinen Gefühlen vorsichtiger um. Er offenbart sich seinem Tagebuch und bleibt Adele gegenüber schweigsam und zugeknöpft. Teilweise geht seine Schweigsamkeit soweit, daß er die Besuche bei ihr schlafend verbringt. Wenngleich er seine Gefühlen zu ihr in einigen Briefen beschreibt, nimmt ihnen doch einen Teil ihrer Glaubwürdigkeit die Ausführungen seiner Tagebucheinträge. Die ihrem Wesen nach extrovertierte Sandrock benötigt aber mehr und offenere Zuwendung. So versucht sie durch Provokationen und Kränkungen seine rauhe Schale zu durchbrechen und Gefühle aus ihm hervorzulocken. Sein Verhalten faßt sie als Lieblosigkeit auf. Ihn wiederum stört ihr leichtfertiger Umgang mit ihrer Liebe wie zum Beispiel ihre bedeutungslosen Küsse aus Gewohnheit.50

So ist ihre Beziehungen ständigen Schwankungen unterworfen. Auch wenn sich Schnitzler von Zeit zu Zeit mehr öffnet, gelingt es ihr doch immer wieder trefflich ihn mit ihrem überspannten Wesen abzuschrecken.51 Mit ihrer Art alles mißzuverstehen, beleidigt zu sein, sich ungeliebt zu fühlen und übertrieben zu reagieren stellt sie ihre Egorentrik immer wieder unter Beweis. Kein Wunder, daß Schnitzler „enerviert“ ist.

Sie will ihm Liebesgeständnisse abfordern, die er unter Zwang nie bereit wäre zu liefern. „Also gibt es Tränen, Telefonate, Briefe, Gereiztheit.“52 Er schreibt am 03.02.94 in sein Tagebuch: „Abends bei Dilly. - Schieden „bös“, weil ich ihr nicht zugestehen wollte, daß sie mein alles, sondern daß ich sie nur so liebe, wie man ein Weib lieben kann.“ Adele indessen scheut keine Mühe ihren Gefühlen für ihren Liebsten Ausdruck zu verleihen. Sie schreibt ihm einen Brief, in dem sie ihm, daß sie ihn anbetet, und 188 mal das Wort lieb verwendet. Den Brief schließt sie mit den Worten: „(...) grenzenlos lieb hab ich Dich! Ja! Schluß, Arthur, ich bete Dich an.“53

Sie offenbart neben ihrer grenzenlosen Liebe zugleich eine Abhängigkeit von Schnitzler. Sie gibt einer Einsamkeit Ausdruck, die sie nur durch seine Person vergessen kann. So schreibt sie ihm am 29.12.1893: „11 Uhr nachts in Wien, mein Alles! Entseelt vor Wonne und Glück blieb ich fassungslos sitzen, als ich Deinen süßen Brief erhielt! - Bin doch sonst auf der Heide allein, über welche die Stürme dahinsausen, ein Wort von Dir, und ich bin einverstanden mit dem Leben, innerlich glücklich und lustig - und niemand hat mich so auflachen geseh’n. Arthur, Du bist der beste von Allen, die da auf der Erde herumzigeunern, es raubt mir den Athem, wenn ich an Dich denke, aufschreiend möcht ich vor Dir niedersinken und Dir plötzlich sagen, ich hab Dich grenzenlos lieb, Arthur, lieb für die Ewigkeit.“ Nachts, umgeben von Dunkelheit, in dieser großen einsamen Stadt Wien wird er ihr zum einzigen Lichtblick, der sie völlig auszufüllen vermag. Allein ein einziger Brief von ihm gibt ihr neue Kraft, um die schmerzhafte und bedrohliche Einsamkeit zu überwinden und sich mit diesem Leben kurzzeitig zu versöhnen. Wahrhaftige Gefühle von Freude und Glück kommen hier in diesem Maße über sie, daß sie sich sogar besser fühlt als je zuvor. Sie verehrt ihn in solchem Maße, daß sie sich ihm unterwerfen könnte.

Das Ausmaß ihrer Liebe kleidet sie in die Worte des Schlußsatzes des 2.Aktes von „Das Märchen“. Ihr Glück erscheint jedoch nicht völlig ungetrübt. Der Gedanke an den Verlust seiner Liebe läßt sie die Zukunft in den dunkelsten Farben ausmalen: „Wie lange wird mein Glück dauern? Jetzt leuchtet mir meine Sonne in tausend frohen Farben - aber wie traurig und düster wird sie mit großen hohlen Augen auf mich herabseh’n, wenn Du - Du Einziger den Strahl verlöschen wirst.“54

Inwieweit dieser Brief wirklich Beleg für ihre Abhängigkeit von Schnitzler ist, oder ob er lediglich eindrucksvoll ihr schwärmersiches, überschwengliches und gefühlsbetontes, kann nicht eindeutig gesagt werden. r für ihre Launen lediglich seine Liebe ist, und impliziert damit, daß seine Liebe durchaus vergänglich ist.

Diese Vergänglichkeit macht sich bald bemerkbar. Für Schnitzler macht sich ein Gefühl von Langeweile breit: „Bei Dilly ab(en)ds. Starb vor Langeweile. - (...) - Freude auf die Tage, wo ich sie nicht sehe.“ (TB 06.03.1894) Noch am gleichen Tag schreibt er ihr dann einen Brief, der völlig anders anmuten läßt: „Meine geliebte Dilly, bitte sehr, laß mich wissen, wie wann wo Du mich heute zu sehen wünschest und ob Du mich lieb hast. Ich küsse Dich tausendmal und bin Dein Arthur“.55

Auffällig ist hier bereits, wie Schnitzlers Tagebucheinträge mit dem kontrastieren, was er nach außen trägt. Gegen Ende dieser Bindung geht diese Diskrepanz gar soweit, daß Schnitzler sich selbst eingesteht: „(...) ich hatte einen leichten Ekel vor meiner Verlogenheit, die eigentlich keine ist, sondern Schwäche. -“ (TB 05.01.1895)

Bis zum Sommer 1894 sehen sie sich fast täglich und streiten dementsprechend viel. Beliebtester Anlaß dafür sind die Briefe Mizzi Glümers, die von Zeit zu Zeit immer noch eintreffen und Adele zur Eifersucht treiben. Sie verlangt schließlich von Schnitzler, ihr die Briefe ungelesen auszuhändigen, damit sie sie vernichten kann.56

Bald darauf reist die Sandrock nach Marienbad, um dort eine Kur zu verbringen. In Schnitzlers Leben verleibt sie im folgenden nur als unbedeutende Nebensache. Er vermerkt den Erhalt ihrer Briefe und Telegramme und kommentiert sie allenfalls mit wenig schmeichelhaften Worten. Als sie am 02.07.1894 abreist und ihn „unter Tränen“ verläßt, ist es ihm „vollkommen gleichgiltig“. (TB 02.07.1894) Briefe und Telegramme,die ihn jetzt erreichen, betitelt er zum Beispiel mit „dumm“ oder „abgeschmackt“. Am 29.07. vermerkt er, daß ein Brief von ihr ihm das Gefühl gegeben habe, sie wolle nicht mehr, daß er sie in ihrer Kur besuche. Er schlußfolgert, daß sie ihn wohl betrügt. Am 17.08 macht er sich auf nach Salzburg, wo Dilly ihn erwartet. Bei diesem Treffen empfindet er „womöglich noch weniger als (...) erwartet“. Seine Gefühle Adele gegenüber sind sehr unbeständig. Sie schwanken zwischen Gleichgültigkeit, körperlicher Abscheu und „rätselhaftem“ Wohlbehagen. Doch scheint es als würden Langeweile und Überdruß auf Seiten Schnitzlers in diesen Tagen dominieren. Und nicht nur in Bezug auf Dilly. Nach einem Essen in ihrem „zu großen Salon“ beschreibt er die Situation: „Langeweile. Einsamer als allein. - Gar nichts erwarten - und doch enttäuscht sein: das ist mein Loos.“ (TB 18.08.1894) Schnitzler überträgt hier seine depressive Stimmung in Dillys Gegenwart als eine gemein für ihn gültige Regel. Die Beziehung zur Sandrock bedrückt offenbar sehr, wie man an diesen Gedanken sehen kann. Die Sehnsucht nach einer Abwechslung beginnt ihn zu erfüllen. Es verlangt ihn nach einem unbeschwerten Mädchen, dessen Art nicht so einnehmend und gefühlsüberfüllt ist wie Adeles. („Sehnsucht nach einem sehr jungen, sehr duftenden Mädel ohne Pathos.“ (TB 19.08.1894)) Es ist aber auch der Wunsch nach einem Mädchen, daß nicht so widerspenstig und anstrengend ist.

Wenn er Adeles Körperlichkeit abstoßend findet, sich in ihrer Gegenwart einsam und gelangweilt fühlt, ihre Herrschsucht, Rücksichtslosigkeit und ihren Egoismus nicht akzeptieren kann, findet er immer wieder Seiten an ihr, die ihn trotzdem gafallen.

So bezeichnet er ihrer beider Verhältnis doch als „erlebnisfreudig und experementirend“. Sie interessiert und irritiert ihn. Er schätzt sie als provokante, mutige Außenseiterin innerhalb der gewöhnlichen Bürgerlichkeit und bewundert ihre schauspielerischen Darstellungen.57 Sie wird ihm gar wieder„auf der Bühne (...) als Weib sympathisch.“ (TB 11.09.1894)

„Je länger dieses widerspruchsvolle Verhältnis daurte, desto schriller waren die Dissonanzen, desto aggressiver die Haßausbrüche und desto seltener die Augenblicke des Glücks. Die geschminkte und parfümierte Existenz der zu pathetischen und hysterischen Auftritten und zu effektvollen Skandalen neigenden Diva konnte oder wollte Schnitzler nicht mehr ertragen (...),“ beschreibt Marcel Reich - Ranicki Schnitzlers fortschreitenden Rückzug aus der Beziehung.58

3.7.Schnitzlers neues Interesse an anderen Frauen

Im September 1894 weilt Arthur Schnitzler wieder in Wien. Er erzählt Adele von seiner Arbeit an einer Rolle, die er für sie schreibe. Adele nimmt dies jedoch nicht mit dem von ihm erwarteten angemessenen Interesse und Verständigkeit auf, woraufhin er sich mal wieder über sie ärgert.

So spricht er dann wirklich ein „hübsches Wiener Mädel“ (TB 15.09.1894) auf der Straße an, begleitet sie und trifft sich auch einige Tage später später zum Rendezvous mit ihr. Seit der Beendigung des Verhältnisses mit Jenny erlebt sein zwangweise treues Liebesleben nun ungeahnten Aufschwung, wie Wagner feststellt. So gesellt sich zu der eben vorgestellten Minnie auch Marie Reinhardts, die er bereits im Juli diesen Jahres kennenlernte. Mit ihr hat er allerdings kein sexuelles Verhältnis.

Nun ist er wieder von mehreren Frauen umgeben, sodaß er sich einerseits auf „einen weiberlosen Tag“ freut59, aber andererseits doch genau weiß, wie sehr er diese Zeit vermissen wird, wenn sie vergangen ist.

Während Schnitzler an der „Liebelei“ arbeitet, besucht ihn Marie Reinhard fast jeden Tag und gleichermaßen verschwindet Adele Sandrock immer mehr aus seinem Leben. Außerdem entsteht gerade ein Stück „Freiwild“, das von der Welt der Schauspieler handelt, in dessen Kreise ihn seinerzeit Dilly einführte. Das Modell für die Hauptfigur ist allerdings Marie.60

Im Oktober 1894 sind Schnitzlers Gefühle soweit abgestumpft, daß er ihre Zärtlichkeiten als Quälerei empfindet. Das rein Sexuelle erhält er aufrecht, was für ihn zu diesem Zeitpunkt aber auch das Einzige ist, das irgendeine Bedeutung innerhalb dieser Beziehung hat.

Adele setzt Schnitzler mit ihrem unausgeglichenen Gefühlsleben einer nicht erträglichen Bedrängung aus. Sie wechselt zwischen Eifersucht, Gleichgültigkeit, Sehnsucht nach offen ausgesprochener Liebe und Begierde und dem Gefühl, ihn nicht in ihrer Nähe haben zu wollen.61 Er steht diesem Hin und Her bald angeekelt gegenüber. Im November beginnt die Beziehung zu Marie Reinhard für Schnitzler, sachte Züge anzunehmen. Er empfindet schöne Gefühle, ja „fast eine Art Zärtlichkeit für sie“. (TB 08.11.1894) Marie ist keine Frau wie Adele. Sie ist eine Tochter aus gutem Hause - noch unberührt natürlich. Ein Kuß von ihr bedeutet ihm mehr als die ganze Adele zu besitzen. Auch seine „Sehnsucht“ zu Mizzi Glümer erwacht auf schmerzliche Weise. Ihm ist jedoch bewußt, daß dieses Verlangen auf etwas gerichtet ist, das in seiner ursprünglichen Weise nicht mehr wiederkehren wird; und so will er denn nie wirklich zu Marie Glümer zurück, trotzdem sie ihn wiederholt darum bittet.

3.8.Der endgültige Bruch

Mit Adele streitet sich Schnitzler immer häufiger. Ihre ganze Person ist ihm zuwider. Er erträgt ihre Küsse nicht mehr, „mit ihren Dummheiten und ihren Extasen“ (TB 31.12.1894) ruft sie ein Gefühl des Hasses in ihm hervor. Er kommt zu dem Schluß, daß man so nur eine Geliebte hassen kann. Gleichfalls erscheint ihm sein eigenes Verhalten zu ihr „scheußlich“ und anekelnd, weil die Kluft zwischen seinen tatsächlichen Gefühlen und der Tatsache, daß er noch immer mit Adele zusammen ist, zu groß geworden ist. Adele wird indessen selbst dafür sorgen, daß der endgültige Bruch herbeigeführt wird.

Im Jänner 1895 ist sie mit ihrem Wechsel vom deutschen Volkstheater an das Burgtheater sowie der Regelung ihrer Finanzen beschäftigt. Nebenher hat sie noch genug Zeit, wie gewohnt mit Schnitzler zu streiten und nach einem neuen Liebhaber Ausschau zu halten.62 Am 19.01. bei einem gemeinsamen Ausflug flirtet Dilly bereits heftig mit Felix Salten. Er erwidert ihre Blicke. Am nächsten Nachmittag erscheint Salten bei Schnitzler und gibt auf dessen Fragen sogleich Füßeln und Kokettieren zu. Salten verspricht, Schnitzler über die einzelnen Entwicklungen in dieser Sache auf dem Laufenden zu halten. Zunächst aber erwähnt Dilly selbst, daß Salten sich etwas zu frei benommen habe. Auf diese Anspielung hin tut ihr Schnitzler jedoch nicht den Gefallen, Eifersucht zu zeigen. Er bezeichnet sie vielmehr als Canaille, gegen die sich jeder Mann so benehmen könne. Er ahnt den bevorstehenden Betrug förmlich und kommentiert bei sich ihr Verhalten: „Wie dumm doch auch die raffiniertesten Weiber in den Vorstadien eines Betruges sind.“ (TB 20.01.1895) Schnitzlers Verdacht gegen Adele verhärtet sich immer mehr und am 22.01. erfährt er schließlich von Salten persönlich von dem Betrug. Einerseits verspürt er bald „das angenehme Gefühl von ihr erlöst zu sein“, andererseits versetzt diese Nachricht ihm doch erst einmal „einen Stoß“. (TB 23.01.1895) Er ist verstimmt und gedenkt sehnsüchtig der gemeinsamen Tage in Ischl im letzten August. Nachdem also Schnitzler monatelang in seinen

Aufzeichnungen über Adele geklagt hat, bricht er plötzlich in Sehnsucht nach Zeiten aus, die ihm schon damals nicht viel bedeuteten. Er begehrt hier etwas, das er eigentlich nicht will. Der Verlust an sich, und auch wie er durch ihren Verrat - wie er es nennt - zustande kam, schmerzt ihn bei weitem mehr als der eigentliche Bruch mit Adele. Schon bald freut er sich, daß nun Salten die Launen Adeles ertragen muß.

Es erscheint ungewöhnlich, daß Schnitzler relativ gelassen auf den Betrug reagiert. Man bedenke seine Eifersucht und seine Qualen aufgrund seines Vorgängers Theodor Friedmann bei Mizzi Glümer oder in Hinsicht auf ihren Betrug. Friedrich Rothe weist dieses Verhalten der physischen und gesellschaftlichen Überlegenheit Schnitzlers gegen Salten zu.63 Schnitzler bewahrt sich zu ihm ein „entspanntes Verhältnis“.64

Die Sandrock allerdings empfindet die Trennung als Katastrophe. Sie hat zwar das Ende der Beziehung selbst eingeläutet, trotzdem ist es das erste Mal, daß nicht sie ein Verhältnis beendet.65 Sie fleht ihn an, zu ihr zurückzukehren, doch er erhört sie nicht.66 Schnitzler zieht sich in der folgenden Zeit mehr in sein Privatleben zurück, schreibt, arbeitet in seiner Praxis. Marie Glümers Versuche, ihn wieder für sich zu gewinnen, wehrt er ab und baut indess ein festes Verhältnis zu Marie Reinhard auf.67

Die Sandrock soll wieder die Hauptrolle in Schnitzlers neuem Stück „Liebelei“ spielen. Dies nicht ohne Grund. Der Dichter steht in Hinblick auf seine künstlerischen Erfolge immer noch sehr in Abhängigkeit von Adele. Durch die somit unausweichliche gemeinsame Arbeit an dem Stück begegnen sie sich öfter als es sich Schnitzler wünscht.68 Schnitzler hat sich bereits eingestanden, vielleicht früher mit ihr gebrochen zu haben, wenn sein Stück schon am Burgtheater angenommen gewesen wäre.

In den darauf folgenden Monaten bemüht sie sich weiterhin um ihn, und er weist sie ab. Schließlich fühlt er sich wieder„enerviert (...) durch ihre Dummheit u(nd) Zudringlichkeit“. (TB 20.10.1895)

3.9.Alt geworden

Im Jahr 1896 sehen sich die beiden nur noch selten. Die Sandrock ist am Burgtheater engagiert, Schnitzler ist glücklich mit der Reinhard liiert. Von Zeit zu Zeit schreibt Adele ihm überraschend glühende Briefe wie zum Beispiel anläßlich des Jahrestages ihres Betruges mit Salten. Ab und zu analysiert Schnitzler Adeles Wesen in seinen Tagebucheinträgen und leistet somit - teilweise gewiss unbewußte - Vorarbeit zum „Liebesreigen“, dem Stück, das er Ende des Jahres zu schreiben beginnt, und das später als „Reigen“ als eines der skandalträchtigsten Stücke in die Weltliteratur eingehen wird.69

In Zukunft treffen sich die Sandrock und Schnitzler zu verschiedenen meist theaterbedingten Gelegenheiten immer wieder. Adele reist sehr viel und hat auch viele Männerbekannschaften. Schnitzler etabliert sich weiterhin erfolgreich als Dichter. Über Jahre hinweg unterhalten die beiden einen Briefwechsel.70 In Wien im Mai 1931 sehen sie sich schließlich zum letzten Mal. Beide stellen fest, wie alt der andere geworden ist. Schnitzler notiert in seinem Tagebuch: „A(bends) mit C(lara) P(ollaczek) im Volkstheater. Wilde, Bunbury; die Sandrock spielt die alte Lady -uralt -grotesk -mit selbstironisierendem Pathos.“ (TB 05.05,1931) Adele tut ihre Meinung diesbezüglich sogar noch lautstarker kund. Herbert von Meyerinck erinnert sich später: „Du hattest von seiner Anwesenheit gehört, und neugierig schlichst Du Dich zu dem Guckloch im Vorhang. Du pralltest entsetzt zurück: „Gott -ist der Mensch alt geworden!“ Deine eigenen Jahre hattest Du vergessen.“71

Schnitzler stirbt einige Monate darauf am 31.10.1931, die Sandrock folgt ihm sechs Jahre später am 30.08.1937. In ihren Memoiren hinterläßt sie ein Geheimnis: „Eine tiefe, sehr tiefe Neigung trug ich im Herzen, und niemand wird ahnen, wem sie gegolten hat.“72 Wen immer sie damit gemeint haben mag, sie gibt damit einer Neigung und Fähigkeit zu lieben Ausdruck, die vielleicht zu einnehmend und umfassend, ja zu bedrängend war, um Schnitzler an sich zu binden.

4.Die künstlerischen Früchte

Die Werke Arthur Schnitzlers kehren immer wieder zu dem Themenkomplex Frauen oder auf die Beziehung zwischen Mann und Frau zurück. Offenkundig verarbeitet Schnitzler seine eigenen Erlebnisse und Vorstellungen. Die Trennung von Marie Glümer verarbeitet er mit dem „Märchen“. Auch innerhalb der Beziehung zu Adele Sandrock dient das Schreiben ihm zur Reinigung. Er verfaßt die Einakter „Halbzwei“ und „Haus Delorme“, sowie „Zug der Schatten“. In der Szene des „Reigen“ „Der Dichter und die Schauspielerin“ verwendet er teils wörtliche Zitate ihrer Dialoge und stellt das Wesen der Sandrock treffend und unvergleichlich dar.73

Auch die Sandrock wird in ihrem künstlerischen Schaffen von der Beziehung zu Schnitzler inspiriert. Sie schreibt das Schauspiel „Vergeltung“. Auf diese Weise verarbeitet sie ihre Trennung. In diesem Schauspiel in vier Aufzügen beleuchtet sie schamlos ihr Privatleben: Lia Gialotti, eine finanziell und familiär unter Druck stehende Diva, verliert ihr Herz an Alfred, den einsamen und sensiblen, leider schwächlichen Sohn einer Gräfin Liebenau. Als Lia ihren Geliebten an eine reiche Grundbesitzertochter zu verlieren droht, erschießt sie ihn mit einer Pistole. So ist er der ihre im Tode und sie ruft aus: „Mein ist er! Nur ich hab ihn wahrhaft geliebt!“ Nicht zu vergessen sind auch die zahlreichen Schnitzlerrollen, in denen sie brillierte, und die die gegenseitige künstlerische Beeinflussung der Schauspielerin und des Dichters zeigen.

Schnitzlers erste literarische Version seines Verhältnisses zu Adele ist der Einakter „Halbzwei“. Ein Mann ist nachts um halb zwei dabei, sich von seiner Geliebten nach Hause aufzumachen. Daraus entsteht ein Wortwechsel, der die Bedeutung dieses Vorhabens für die Beziehung näher darlegt.

Dieses Zwiegespräch zeigt, daß ihnen Bequemlichkeit mehr bedeutet als Leidenschaft. Für den Mann stellt das schönste in diesem ,Ausschnitt einer Beziehung’ die geöffnete Haustür dar, die er bei seiner Heimkehr vorfindet und ihm garantiert, daß er ein wenig schneller noch ins Bett gehen kann. „Ein Lächeln des Glücks zieht über sein Antlitz“.74

Der Dialog birgt keinerlei Annäherung der beiden. Sie können oder wollen nicht von ihrem Standpunkt abweichen (er, daß er gehen muß, sie, daß er dableiben soll) und zerreden so die Tatsache, daß ihre Beziehung leidenschaftslos geworden ist.

Reinhard Urbach sieht „Halbzwei“ als Fortsetzung eines „Reigen“ -Dialoges. Nur daß sich hier die Partner nicht trennen, sondern mit leeren, schal gewordenen Liebesbeteuerungen mit ihrer Beziehung fortfahren. Reigen sieht er als die Liebe einer Nacht, „Halbzwei“ hingegen als als die Liebe in jeder Nacht.75 Gegenstandslos gewordene Worte der Liebe und sich häufig wiederholende, abgenutze Verhaltensweisen, die die Grundlage dieses Einakters bilden, zeigen deutlich die Inspiration durch Schnitzlers Beziehung zu Adele Sandrock. Der Verfall einer Beziehung durch immer gleiche, alltägliche Begebenheiten sind ihm bewußt. Er kann ihre Gewohnheitsküsse nicht ertragen und erkennt die Gefahr monotoner Gleichförmigkeit. So notiert er beispielsweise am 18.10.94: „Nacht bei D(illy), die mir schrecklich war. Wieder um 2 weg, aus dem Bett, sich anziehen, der Weg in der Nacht -es ist immer dasselbe. Daran könnten auch tiefere Gefühle zugrunde gehen.“

Dieser Eintrag impliziert, daß seine Gefühle für Adele niemals wirklich tief und wahr waren. Die anfängliche Faszination ihrer Persönlichkeit verfliegt zu schnell. Trotzallem hat sie für sein Leben eine große Bedeutung - für den Menschen Schnitzler ebenso wie für den Dichter.

Bibliographie der benutzten und zitierten Literatur

1.Primärliteratur

Schnitzler, Arthur: Alles kann Verführung sein. Aphorismen, Sprüche und Parabeln, Berlin 1989

Ders.: Das weite Land, in: Das dramatische Werk, Bd. 6, Frankfurt am Main 1979 Ders.: Halbzwei, in: Das dramatische Werk, Bd. 1, Frankfurt am Main 1979 Ders.: Tagebuch 1893 - 1902, Wien 1989

2.Sekundärliteratur

Ahlemann, Jutta: Adele Sandrock. Geschichten eines Lebens, München 1987 Barmer, Franz: Arthur Schnitzler, Berlin 1992

Taeger, Annemarie: Die Kunst Medusa zu töten, Bielefeld 1987

Rothe, Friedrich: Arthur Schnitzler und Adele Sandrock, Berlin 1997

Lindgren, Iréne: Arthur Schnitzler im Lichte seiner Briefe und Tagebücher, Heidelberg 1993

Lindken, Hans - Ulrich: Arthur Schnitzler. Aspekte und Akzente, Frankfurt am Main 1984

Perlmann, Michaela l.: Arthur Schnitzler, Stuttgart 1987

Reich - Ranicki, Marcel: Nachprüfung. Aufsätze über deutsche Schriftsteller von gestern,Stuttgart 1980

Urbach, Reinhard: Arthur Schnitzler, Velber 1972

Wagner, Renate: Adele Sandrock und Arthur Schnitzler. Dilly: Geschichte einer Liebe in Briefen, Bildern und Dokumenten, Wien 1975

Ders.: Arthur Schnitzler. Eine Biographie, Frankfurt am Main 1984 Ders.: Frauen um Arthur Schnitzler, Frankfurt am Main 1983

Weinzierl, Ulrich: Arthur Schnitzler. Lieben. Träumen. Sterben, Frankfurt am Main 1994

ARTHUR SCHNITZLER UND ADELE SANDROCK Der Dichter und die Schauspielerin

Hausarbeit für das Seminar Wien um 1900 im SS 1998

vorgelegt von

Andrea Weinmann

Frankfurt am Main, Juli 1998

[...]


1 Annemarie Taeger weist in ihrem Buch: Die Kunst Medusa zu töten, Bielefeld 1987 daraufhin, daß der Begriff femme fragile geprägt wurde von Ariane Thomalla in ihrer Untersuchung: Die femme fragile - Ein literarischer Frauentypus der Jahrhundertwende, Düsseldorf 1972. Taeger geht genauer auf die unterschiedlichen Darstellungen der Frau in Kunst und Literatur um die Jahrhundertwende ein.

2 Firedrich Rothe: Arthur Schnitzler und Adele Sandrock, Berlin 1997, S. 9

3 ebd.

4 ebd.

5 Taeger, S.9

6 Iréne Lindgren: Arthur Schnitzler im Lichte seiner Briefe und Tagebücher, Heidelberg 1993 S. 168 ff.

7 Rothe, S40

8 ebd. S.41

9 ebd. S.42

10 Arthur Schnitzler: Das weite Land, in: Das dramatische Werk, Frankfurt am Main 1979, Bd. 6

11 Taeger, S.10

12 Rothe S.17

13 ebd, S.10

14 Renate Wagner: Adele Sandrock und Arthur Schnitzler. Dilly: Geschichte einer Liebe in Briefen, Bildern und Dokumenten, Wien 1975, S.20

15 Renate Wagner: Frauen um Arthur Schnitzler, Frankfurt am Main 1983, S.84

16 ebd., S.85

17 Rothe, S.11

18 ebd., S. 90

19 Hans -Ulrich Lindken: Arthur Schnitzler. Aspekte und Akzente, Frankfurt am Main 1984, S.247

20 Wagner, Frauen, S.85

21 Rothe, S.11

22 ebd., S.22

23 Wagner, Frauen, S.86

24 Rothe, S.91

25 ebd., S.89 ff

26 Wagner, Frauen, S.86

27 Rothe, S.22

28 ebd., S.135

29 Rothe, S.22 ff

30 Marcel Reich -Ranicki, Schnitzler und das weite Land der Seele. Ein Verhältnis mit Folgen, in: Ders.: Aufsätze über deutsche Schriftsteller von gestern, Stuttgart 1980, S.36

31 Wagner, S 49

32 Rothe, S.25

33 ebd., S.109

34 ebd.

35 Wagner, S.10 ff

36 Wagner, S.11

37 Arthur Schnitzler: Alles kann Verführung sein. Aphorismen, Sprüche und Parabeln, Berlin 1989

38 Franz Barmer, Arthur Schnitzler, Berlin 1992, S57

39 Rothe, S.139

40 ebd., S.91

41 ebd., S.118

42 ebd., S.137

43 ebd., S.92

44 Ulrich Weinzierl, Arthur Schnitzler. Aspekte und Akzente, Frankfurt am Main 1984

45 Wagner, S.12

46 ebd., S.11

47 ebd., S.54 + 71

48 ebd., S.107

49 ebd., S.10

50 Rothe, S.107 ff

51 Wagner, S.107

52 ebd.

53 ebd., S.83 ff

54 ebd.

55 Rothe, S.96

56 Wagner, S.153

57 Reich -Ranicki, S.44

58 ebd., 45

59 Wagner, S.184

60 ebd., S.204

61 ebd., S.211

62 ebd., S.218

63 Rothe, S.123

64 ebd., S.135

65 ebd., S.137

66 Wagner, S.233

67 Rothe, S.138

68 Wagner, S.208

69 ebd., S.279

70 ebd., S.294 ff

71 ebd., S.330 ff

72 ebd., S.333

73 Barmer, S.57

74 Arthur Schnitzler:Halbzwei, Frankfurt am Main 1979, Bd. 1

75 Reinhard Urbach: Arthur Schnitzler, Velber 1972, S.58

Excerpt out of 24 pages

Details

Title
Arthur Schnitzler und Adele Sandrock
College
University of Frankfurt (Main)
Grade
2,7
Author
Year
2001
Pages
24
Catalog Number
V103750
ISBN (eBook)
9783640021277
File size
392 KB
Language
German
Notes
Schnitzler war ein alter Schlawiner!
Keywords
Arthur, Schnitzler, Adele, Sandrock
Quote paper
Andrea Weinmann (Author), 2001, Arthur Schnitzler und Adele Sandrock, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103750

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