Niklas Luhmann - Das politische Gedächtnis: Luhmanns Konstruktion des politischen Gedächtnis in Abgrenzung zum kollektiven Gedächtnis Maurice Halbwachs


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

17 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Literaturliste

0. Einleitung
0.1 Systemtheoretische Grundvoraussetzungen
0.2 Interesse, Aufbau und Ziel der Arbeit
0.3 Literatur

1. Systemgedächtnistheorie
1.1 Grundannahmen des Systemgdedächtnis
1.2 Funktionen des Systemgedächtnis
1.3 Rolle von Vergangenheit und Zukunft
1.4 Einordnung der Gedächtnistheorie in Luhmanns Theorie sozialer Systeme

2. Das politische Gedächtnis
2.1 Funktionen
2.2 Verortung und Form
2.3 Funktionsweise

3. Schluss: Vergleich des Luhmannschen und Halbwachsschen Gedächtnisbegriff

Literaturliste

- Jan Assmann, Das kulturelle Gedächtnis, München 1999
- ders., Politische Theologie zwischen Ägypten und Israel: München 1992
- Maurice Halbwachs, Das kollektive Gedächtnis: Frankfurt/M. 1991
- Dirk Kaesler (Hg.), Hauptwerke der Soziologie: Stuttgart 2000
- Niklas Luhmann, Die Politik der Gesellschaft: Fft./M. 2000
- ders., Soziale Systeme: Grundriss einer allgemeinen Theorie: Fft./M. 1984
- ders., Zeit und Gedächtnis, in: Soziale Systeme 2 (1996), S. 307-330.
- Detlef Krause, Luhmann-Lexikon: Stuttgart 1999

0. Einleitung

0.1 Systemtheoretische Grundvoraussetzungen

Auf Anhieb faszinierte mich die von der Systemtheorie von sich selbst behauptete Möglichkeit, jenseits von rückwärtig konstruierten Kausalzusammenhängen, aus ihrer Beobachtungs- und Beschreibungsperspektive zweiter Ordnung, gesellschaftliche und politische Ereignisse der Zukunft prognostizieren zu können[1]. Hinter diesem Anspruch sowie hinter dem gesamten systemtheoretischen Politikverständnis steht ein fundamentaler Wechsel des Betreibens der politischen Theorie.

So stehen nicht mehr Personen in der Luhmannschen Theorie, die Gesellschaft universal beschreiben will, im Mittelpunkt, sondern Kommunikation. Es handelt sich um eine Dekonstruktion des Menschen, der Mensch wird von deren Zentrum in die Umwelt der Gesellschaft versetzt, was der Aufgabe einer antropozentrischen Sichtweise von Mensch und Gesellschaft entspricht. Gesellschaft wird somit nicht mehr als Produkt von Personen aufgefaßt, sondern Personen als Produkt der Gesellschaft. Wo bei Machiavelli, Hobbes und Hegel normative Kategorien wie Tugend, Macht und Sittlichkeit im Zentrum ihrer politischen Theorien stehen, verspricht der Luhmannsche Ansatz, der Gesellschaft als Kommunikationen und Politik als eines neben gleichwertigen anderen gesellschaftlichen Subsystemen beschreibt, einen Zugang zur auch politischen Gesellschaft jenseits jeder normativen Idee. Die Theorie hält sich selbst[2] dementsprechend für nicht mehr ontologisch, sondern konstruktivistisch. Die Unterscheidung zwischen kommunikativen und psychischen Systemen eben löst die "Einheit Mensch in die Einheit der Differenz von organischem und psychischem System und der Emergenz des sozialen"[3] auf. Der Gesellschaftsbegriff Luhmanns beinhaltet die kommunikativen Systeme mit ihren unterschiedlichen ausdifferenzierten sozialen Systemen und die kommunikativen Wirklichkeiten. Konstitutives Element eines jeden sozialen Systems ist Kommunikation. Kommunikationen sind die kleinsten Elemente dieser Kommunikationstheorie. Kommunikation ist definiert als die dreifach-selektive Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen[4].

Diese konstruktivistischen und kommunikationstheoretischen Voraussetzungen erfordern eine neue, erweiterte Perspektive auf Gesellschaft und Politik, ist es doch Anspruch der Theorie, Gesellschaft nicht mehr mit gesellschaftlichen Begriffen zu erklären.[5] Jedoch tritt natürlich auch der systemtheoretische Beobachter in Gesellschaft auf, will heißen, kann Gesellschaft nur in Gesellschaft und aus ihr heraus beobachten. Aber er schafft sich eine beobachtungstheoretische Pufferzone, nämlich die Beobachtung der Beobachtung. Auch die Beobachtung zweiter Ordnung auf die Beobachtung erster Ordnung ist eine Beobachtung erster Ordnung und somit ebenfalls mit Blindheit ausgestattet. Jedoch verringert sie die Anfälligkeit für zu eingeschränkte Subjektivität der Beobachtungsperspektive erster Ordnung und damit auch die Subjektivität des beobachteten Ergebnisses. Die Beobachtung der Perspektivität handlungstheoretischer Erklärungsmuster mit ihren Zuordnungen von Kausalschemata a posteriori ist anzunehmender Weise ein Grund für Luhmanns Entscheidung für ein komplexes kommunikationstheoretisches Modell, das den Bedürfnissen der doppelten Kontingenz entspricht[6].

Über die erfrischende Freude an der Luhmannschen Theorie gäbe es vieles zu sagen. Die Auflösung der Einheit Mensch in kleinere Bestandteile, der damit verbundene Paradigmenwechsel in der Gesellschaftstheorie und die Konstruktion einer beobachtungstheoretischen Metaebene sind die Hauptgründe, warum ich mich mit ihm befassen will.

[...]


[1] Als Beispiel sei hier der Zusammenbruch der Sowjetunion Ende der 80ger Jahre genannt, der auf Grund der Tatsache, dass das politische symbolisch generalisierte Kommunikationsmedium Macht alle Gesellschaftsbereiche der Sowjetunion stark durchdrungen hat, vorausgesehen werden hätte können. Nach Luhmann darf sich das Medium Macht im eigenen Interesse nicht zum Universalmedium der Gesellschaft entwickeln. Sie ist das Medium des politischen Systems, dessen Zurechnungsgröße zwar die gesamte Gesellschaft ist, koexistiert jedoch neben anderen symbolisch generalisierten Kommunikationsmedien (z.B. Liebe, Geld...).

[2] Normativitätsvorwürfe kommen jedoch aus der Ecke der Frankfurter Schule. Sie wirft Luhmann Normativität in Bezug auf die binäre Codierung des politischen Systems 'Regierung/Opposition' vor, da dies die Demokratie als politisches System in den Vordergrund schiebt (im Gegensatz zur alteuropäischen Codierung 'Machtüberlegenheit/Machtunterlegenheit in Unabhängigkeit vom politischen System) und die Freiheit von Werten somit nicht gewährleistet ist.

[3] D. Krause, S.20

[4] Das Phänomen der doppelten Kontingenz ist die Grundlage für die dreifach-selektive Differenz von Information, Mitteilung und Verstehen.

[5] Dieser Anspruch ist durch die Unterscheidung in psychische und kommunikative Systeme und die daraus resultierende "Zerlegung des Menschen" und seine Verortung in der Umwelt der Gesellschaft eingelöst.

[6] Als Beispiel für die Aufgabe eines einseitig gedachten handlungstheoretischen Erklärungsansatzes auf Grund der diesem Ansatz zugrundeliegenden klar gerichteten Perspektivität möchte ich hier die Verwerfung der Weberischen Machtdefinition durch Luhmann anführen. Nach Weber ist Macht als ein Handlungsvermögen beschrieben, das sich wider erwarteten Widerstand kausal durchsetzt. Luhmann hingegen findet diese wenn-dann Konstruktion für nicht ausreichend, weil es sich hierbei erstens um eine kausale Konstruktion a posteriori handelt. Das heißt, dass Macht erst dann identifiziert werden kann, wenn sie eingetreten und zuordbar ist, wenn Handlenden Sub- und Objekten ein Kausalschema unterlegt werden kann, nämlich eine Zuordnung von Ursache und Wirkung. Zweitens ist diese Definition perspektivisch: Sie ist aus der Perspektive des Machthabenden gedacht,, jedoch nie aus beiden Perspektiven gleichzeitig. Somit kann der Definition eine Wirkungsabsicht mit Motiven und Interessen nachgewiesen werden. Erst die Beobachtung dieser Beobachtung lässt Luhmann Macht als ein symbolisch generalisiertes Kommunikationsmedium definieren (vgl. Luhmann 2000, S.170ff.).

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Niklas Luhmann - Das politische Gedächtnis: Luhmanns Konstruktion des politischen Gedächtnis in Abgrenzung zum kollektiven Gedächtnis Maurice Halbwachs
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin  (Institut für Sozialwissenschaften)
Veranstaltung
Niklas Luhmann: Die Politik der Gesellschaft
Note
2,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
17
Katalognummer
V10377
ISBN (eBook)
9783638168199
Dateigröße
533 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Niklas Luhmann, Maurice Halbwachs, Gedächtnis, Systemtheorie, Systemgedächtnis, Theorie sozialer Systeme, Funktionsweise des politischen Gedächtnis, kollektives Gedächtnis
Arbeit zitieren
Dominik Sommer (Autor:in), 2001, Niklas Luhmann - Das politische Gedächtnis: Luhmanns Konstruktion des politischen Gedächtnis in Abgrenzung zum kollektiven Gedächtnis Maurice Halbwachs, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10377

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