Iris Köster
Wolfgang Borchert - Das Brot
Die Geschichte „Das Brot“ von Wolfgang Borchert handelt davon, wie sich schwierige äußere Umstände auf eine zwischenmenschliche Beziehung auswirken können, oder was der Hunger mit den Menschen machen kann.
Die Hauptpersonen sind ein etwa sechzigjähriges Ehepaar, das seit ca. 39 Jahren verheiratet ist.
Die Frau wacht mitten in der Nacht auf und bemerkt, daß ihr Mann nicht im Bett ist. Sie findet ihn schließlich in der Küche, wo er sich gerade eine Scheibe Brot abgeschnitten hat. Er leugnet dies allerdings und sagt, er habe etwas gehört, was ihn aufgeweckt hätte. Die Frau tut so, als habe sie die Krümel auf dem Tisch nicht gesehen und versucht sich, aber auch ihn, davon abzulenken, indem sie ein Gespräch über unwichtige Dinge anfängt. Kurze Zeit später hört sie im Bett Kaugeräusche, die sie zu ignorieren versucht. Am nächsten Abend gibt sie ihm eine ihrer Brotscheiben mit der Begründung, sie vertrage das Brot nicht mehr.
Das erste Lesen der Geschichte hinterlässt eine sehr gespannte Stimmung. Die peinliche Situation wirkt durch die Hilflosigkeit des Mannes noch beklemmender. Man weiß, dass sich beide etwas vorspielen, die Frau schämt sich für den Mann und will ihn schützen und der Mann ist zu feige um zuzugeben, dass er das Brot gegessen hat.
Die Geschichte hat weder einen richtigen Anfang noch ein Ende. Auch wird nicht auf einen Höhepunkt hingeführt, alles ist durchgängig nüchtern geschildert. Schon mit dem ersten Satz „Plötzlich wachte sie auf“ (Z.2) befindet man sich mitten im Geschehen. Die Tatsache, dass sich die adverbiale Bestimmung am Anfang des Satzes befindet, betont das von sich aus schon auf sich aufmerksam machende Wort „Plötzlich“ und unterstreicht noch einmal, was geschehen ist. Auch lässt dieser Beginn vermuten, dass dem Aufwachen der Frau schon etwas vorausgeht, worauf hier jedoch nicht mehr näher eingegangen wird. Der erste Satz sagt nichts über den Ort, die Zeit oder aber die Person, so dass völlig unklar ist, wer aufwacht. Die kurze präzise Äußerung „es (sei) halb drei“ (Z.2), wirft die Frage auf, warum die exakte Zeitangabe von Bedeutung ist. Die Frau hört, wie „(...)jemand (in der Küche) gegen einen Stuhl gestoßen (ist) “ (Z.2-3), sie ist also ebenso ahnungslos wie der Leser. Der ganze erste Teil läßt auf einen Einbruch schließen und die Spannung wird durch die danach folgenden kurzen, aneinander gereihten Hauptsätze noch gesteigert. Der Leser wird dadurch Schritt für Schritt mitgeführt, und kann die Gedanken der Frau nachempfinden. Nach dem die Frau die Geräusche in der Küche hörte, entsteht die für sie so verdächtige Stille, die wiederum auf eine Kriminalgeschichte hinweist, als würde der Einbrecher nach dem ungewollt lautem Geräusch nun abwartend in der Küche stehen. Wie automatisch tastet die Frau nach ihrem Mann und stellt fest, daß er nicht im Bett ist. Die gedankliche Verbindung zwischen der unangenehmen Stille und dem Verdacht der Frau, ihr Mann habe etwas damit zu tun, ist stilistisch durch das „und“ in dem folgenden Satz gelöst: „Es was zu still und als sie mit der Hand über das Bett neben sich fuhr, fand sie es leer.“ (Z.4- 5). Dann folgt die Erläuterung der Stille, nämlich daß ihr sein Atem fehlte. Die ganze erste Passage beschreibt die Undurchsichtigkeit und die Unklarheit der Situation. Die Frau „(...)tappte durch die dunkle Wohnung zur Küche “. Hier wird schon deutlich, daß die Frau ihrem Mann nicht mehr 100%ig vertraut, denn sie hätte ihn vom Bett aus rufen können, wobei es auch sein kann, daß sie nur sicher gehen möchte, ob alles in Ordnung ist. Es wird auch klar, daß es ungewöhnlich ist, daß ihr Mann nachts aufsteht, sonst wäre sie nicht misstrauisch. Dieses Misstrauen wird noch dadurch bestärkt, daß die Wohnung im Dunkeln liegt, wobei der Mann ruhig hätte Licht machen können, wenn er nichts zu verbergen hätte. Auffällig ist auch die häufige Wiederholung der „Küche“( im ersten Absatz 6 mal), die im direkten Zusammenhang zur Überschrift und der ganzen Thematik des Hungers steht.
Der Satz „In der Küche trafen sie sich“ klingt sehr merkwürdig, wie die Betrachtung einer dritten Person von außen. Borchert wählt bewußt nicht die persönlichere Formulierung „ Sie ging zu ihrem Mann in die Küche“, sondern verzichtet auf die Satzgefüge, um die ungewöhnliche Situation zu betonen und wiederum auf einen Krimi zu verweisen, da es sich hier um das Treffen zweier Gegner handeln könnte, dem Einbrecher und dem Opfer. Daraufhin wird wiederum die exakte Zeit genannt, was dem Leser klar macht, daß wenig Zeit verstrichen ist und ihn ungeduldig werden läßt, da man kurz vor der Auflösung der bisher undurchsichtigen Situation steht. Nur im ersten Absatz wird 3 mal die Zeit erwähnt. Im folgenden wird beschrieben, wie der Frau langsam die Situation klarwird. Dies ist stilistisch sehr geschickt gelöst, es wird wie eine Art Erleuchtung beschrieben. Erst steht sie in „(...)(der) dunkle(n) (...)Küche“, dann „(...)(sieht) sie (dort) etwas Weißes (...)stehen“ und anschließend „(...)macht (sie) Licht“ und erkennt ihrem Mann. Die Kriminalgeschichte ist damit aufgelöst, doch durch die Ellipsen „Nachts. Um halb drei. In der Küche.“ wird sprachlich angedeutet, daß trotzdem etwas ungewöhnliches passiert ist. Der Satz „Auf dem Küchentisch stand der Brotteller“ (Z. 13) beinhalten den Kern der Geschichte, das Brot, und schafft die Verbindung zu dem Thema. Der Rest der Geschichte beschreibt, wie beide versuchen zu verhindern, daß der andere merkt, was passierte, obwohl beide wissen, daß sie sich was vorspielen.
In Zeile 18 wird ein weiteres Motiv angesprochen, nämlich „wie die Kälte der Fliesen langsam in ihr hoch kroch. Die Kälte der Fliesen meint ebenso die Kälte der Beziehung, die durch die Unehrlichkeit des Mannes hervorgerufen wurde. Was die ganze Geschichte durchzieht sind die Gegensätze Dunkelheit/Helligkeit, die oft erwähnt werden. Einerseits wird es genutzt um Klarheit in die Geschichte zu bringen, wie schon die anfangs beschriebene Situation in der Küche, als die Frau Licht macht und dann ihren Mann erkennt, es wird aber andererseits auch für das Gegenteil benutzt, nämlich bestimmte Dinge bewußt nicht sehen zu wollen. So macht die Frau in Zeile 45 schnell das Licht aus, da sie „ sonst (...)nach dem Teller sehen (muß)“. Sie kann ihn nicht ansehen, weil sie feststellen muß, daß er sie nach 39 Jahren Ehe anlügt. Deshalb möchte sie die peinliche Situation schnell beenden und drängt ihn ins Bett. Durch die nebensächlichen Gespräche versuchen beide von dem Hauptgeschehen abzulenken. Die Frau versucht ihrem Mann zu schützen und möchte ihm die Erniedrigung ersparen, sich ihr unterstellen zu müssen, weil sie moralisch einen höheren Stand hat als er. Am Ende der Geschichte gibt sie ihm eine ihrer Scheiben, damit er in Zukunft solche Erniedrigungen nicht erleben muss. Und auch hier macht sie es ihm leichter, in dem sie sagt, sie gebe es ihm nicht darum, weil er Hunger hat, sondern weil sie das Brot nicht vertrage. Auffallend an der Geschichte sind die vielen Dinge, die nicht gesagt werden. So wird weder der Ort noch die Zeit genannt, noch wird etwas zu der Vorgeschichte gesagt, zu den Gedanken und Empfindungen des Mannes als er noch im Bett liegt, z. B., oder warum er überhaupt lügt. Auch das zentrale Wort zum Thema, nämlich „der Hunger“ wird keinmal erwähnt.
Die Geschichte ist eigentlich eine Liebesgeschichte. Denn nur weil sie sich lieben, schaffen sie es, aus dieser Lage ohne einen Konflikt raus zukommen. Wäre etwas in ihrer Beziehung nur minimal nicht in Ordnung, wäre ein großer Streit ausgebrochen. Doch so schaffen sie es die Spannung dadurch zu lösen, daß es zu keiner Aussprache kommt, die die Beziehung bestimmt negativ verändert hätte, sondern daß vieles einfach ungesagt bleibt.
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