Der Spatial Turn in Verbindung mit Alexander von Humboldts Aufstieg auf den Chimborazo. Ein Vergleich des Reiseberichts mit Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt"


Hausarbeit, 2019

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Neuentdeckung „Raum“ – Der Spatial Turn
2.1 Warum wurde der Raum unterrepräsentiert und lohnt sich überhaupt eine Wiederaufwertung?
2.2 Der Raum in der Zeit
2.3 Eine breite Auseinandersetzung des Spatial Turns
2.4 Topographical turn

3. Der Berg als Raum

4. Alexander von Humboldt
4.1 Humboldts Reisebericht - Zwischen Wissenschaftlichem Artikel und erzählerischer Prosa
4.2 Intertextualität
4.3 Der Chimborazo
4.3.1 „Reise zum Chimborazo“
4.3.2 Der Chimborazo im Vergleich zu Kehlmanns Roman

5. Fazit

Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Alexander von Humboldt hat sein Lebenswerk der Erforschung des Raumes gewidmet. Die mathematische Vermessung von Räumen war genauso wichtig, wie die Untersuchung von organischem und anorganischem Material, das zur Gestaltung der Räume beiträgt, wozu Gesteine, Pflanzen, Gewässer, Berge, Böden etc. gehören. Dank seiner vielseitigen Beobachtungen galt er zu den ersten Forschern, der Wechselwirkungen im Ökosystem erforscht hat. Durch erkannte Zusammenhänge wurden neue Verbindungen im Raum erschlossen.

Es ist dieses Interesse an der Umwelt, das Daniel Kehlmann, teils historisch-begründet, teils erfunden, in seinem Roman „Die Vermessung der Welt“ darzustellen versucht. Die Reise Humboldts nach Südamerika, als von der westlichen Welt neuentdeckter und noch wenig erforschter Kontinent, stellt, dank moderner Messgeräte, ein großer Schritt in der Geschichte für die Erschließung von Räumen dar. Angesichts des Perspektivenwechsels in den Literaturwissenschaften, der in der Literatur immer mehr Einzug hält, stellt Kehlmanns Roman ein interessantes Untersuchungsobjekt dar. Seit 1989 verbreitet sich der Begriff des Spatial Turns munter in verschiedenen Kultur- und Sozialwissenschaften, sodass diese Wende weg von der Zeit hin zum Raum während der Erscheinung des Romans 2005 schon als etabliert wahrgenommen werden kann. Dementsprechend erfolgt in dieser Arbeit zunächst eine Übersicht rund um den Spatial Turn, um dann auf die Arbeit zur Raumerforschung Humboldts als Romanfigur einzugehen. Diese soll, anhand des Reisetagebuchs, im Vergleich zur tatsächlichen Arbeit Humboldts betrachtet werden. Einerseits stellt die Intertextualität zwischen historischem Kontext und der Bezugnahme im Roman ein Interessengebiet dar. Zum anderen bietet das Reisetagebuch von Humboldt selber durchaus einige literarische Häppchen, was den Naturwissenschaftler auch als Literat/Schriftsteller entpuppt.

Da der in der Literatur beliebte Berg als Raum eine traditionelle Geschichte hat und in Humboldts Leben, neben dem Reisen, ein Leitmotiv darstellt, endet die Untersuchung mit Humboldts Besteigung des Chimborazo – in Kehlmanns Roman passend „Der Berg“ genannt.

2. Die Neuentdeckung „Raum“ – Der Spatial Turn

Wie bereits erwähnt, hat sich die Literatur in der Moderne ausgiebig mit dem Phänomen der Zeit auseinandergesetzt. Sei es die epochale Einordnung in die Historie oder das literaturwissenschaftliche bedeutsame Verhältnis zwischen Erzählzeit, also die Zeit die zum Rezipieren benötigt wird und erzählter Zeit – wie lange das Geschehen im Roman in Echtzeit dauern würde. Letzteres kann weitergehend auf verschiedene Varianten hin untersucht werden: zeitdehnendes Erzählen (z. B. innerer Monolog), zeitdeckendes Erzählen (z. B. Drama), zeitraffendes Erzählen, Aussparungen (kaum ein Roman erzählt alles Passierte) oder eine Ellipse (Zeit steht still) (Martinez et al. 2009, S. 44). Diese Beispiele sollen exemplarisch die Spannweite der Methoden und den Tiefgang, den sie ermöglichen, veranschaulichen.

In der Postmoderne, seit Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts, ist es nicht mehr zeitgemäß, den wissenschaftlichen Blick einseitig auf die Zeit zu richten, während der Raum außen vor bleibt. Beide Grundpfeiler des Daseins sind fest in unserem Alltagsdenken verankert, was an unserem Sprachgebrauch erkennbar ist. Ausdrücke wie „Chatraum“, „Raumschiff“, „Praxisfeld“, „geräumig“ zeigen, dass der Raum genauso etabliert ist, wie die Zeit: „frühzeitig“, „Zeitung“, „Zeitschrift“, „Warmzeit“ (Schlögel 2003, S. 9). In der Wissenschaft jedoch besitzt die Zeit eine Vormachtstellung. Die Geschichtswissenschaften, deren ureigenes Interesse in der Zeit liegt, standen seit jeher mehr im Fokus als die Geographie, die klassische Wissenschaft über den Raum. Lange Zeit hatte sie den Status einer Hilfswissenschaft, die Karten für den historischen Status quo herstellt und den Raum vermisst.

Daher ist es nicht verwunderlich, dass es gerade ein Humangeograph ist, der eine umfassendere Auseinandersetzung mit dem Raum, und zwar in allen Wissenschaften (die Geographie als Wissenschaft des Raumes benötigt diese Aufforderung zur Kehrtwende nicht), postuliert. Der aus dem mittelhochdeutschen stammende Begriff rûm, ursprünglich "das nicht Angefüllte" (Kluge 2002), wird 1989 in Edward Sojas Hauptwerk „Postmodern Geographies“ zum ersten Mal in Zusammenhang mit dem neuen Begriff des Spatial Turns erwähnt.

An der Wortgeschichte des Spatial Turns ist interessant, dass Soja den Begriff das erste Mal mehr beiläufig erwähnt. Drum ist die anschließende ungebremste Verbreitung in allen Sozial- und Kulturwissenschaften umso erstaunlicher (Günzel 2010, S. 90). Fast schon inflationär ist der Spatial Turn in vielen Artikeln zu finden, was dazu geführt hat, dass er zu einem In-Begriff wurde. Andere Wenden profitieren von der Popularität mit, indem sich Unterkategorien formieren, wie z. B. dem linguistic turn oder iconic turn. (Döring et al. 2009, S. 10)

Der Raum sei so lange zu privilegieren, so Soja, bis die „ontologische Verzerrung“ (Soja 1989, S. 244) nicht mehr vorhanden ist. Damit ist keine Verkehrung der Verhältnisse gemeint. Vielmehr strebt Soja eine ausgeglichene, gleichgestellte Behandlung der Komponenten Raum und Zeit an. Auch Schlögel, der im deutschsprachigen Raum der prägendste und überzeugter Vertreter des Spatial Turns ist, was er in seinem Buch „Im Raume lesen wir die Zeit“ mit dem Kapitel „Spatial Turn, endlich!“ auf euphorische Weise zu verstehen gibt, propagiert die „Einheit von Raum und Zeit“ (Frank 2009, S. 59). Und eine Einheit steht für Gleichgewicht mit gegenseitiger Bezugnahme. Sie bedingen sich gegenseitig. Nicht ohne Grund existiert der aus der Physik kommende Begriff Raumzeit, der beide Faktoren zu einem Wort zusammenfasst. Nach Einstein bezeichnet er die gemeinsame Darstellung des dreidimensionalen Raums und der eindimensionalen Zeit in einer vierdimensionalen Struktur. Somit sind, um es mit Bachtins Worten auszudrücken, „Raum und Zeit […] untrennbar“. (Frank 2009, S. 74)

Auch wenn Soja den Begriff des Spatial Turns benutzt, geht die grundlegende Idee von der Vernachlässigung des Raumes von Philosophen aus dem frühen 20. Jahrhundert aus. Auf Vordenker, wie Foucault und Lefebvre, dessen Werk „La production de l´espace“ bis zur Erwähnung in Sojas Buch unentdeckt blieb, beruft er sich gerne (Günzel 2009, S. 90). Er erkennt in Foucaults früher Schrift „In anderen Räumen“ von 1967 eine „räumliche Wende“ (Frank 2010, S. 53). Obwohl sich der Historiker nicht explizit mit dem Raum beschäftigt, leiten seine modernen Ideen zu einer offeneren und nicht-linearen Sichtweise auf die Geschichte zwangsläufig auf die Raumkomponente. Anstatt lediglich die Abfolgen der Geschehnisse in der Zeit zu lehren und zu untersuchen, spricht er sich für eine breite, auf Zusammenhänge und die Gegenwart bezogene Betrachtung aus: „[Es] ist der Versuch, zwischen Elementen, die über die Zeit verteilt sein mögen, eine Reihe von Beziehungen herzustellen, die sie als ein Nebeneinander, als ein Gegenüber, als etwas ineinander Verschachteltes, kurz als Konfiguration erscheinen lässt […]“ (Foucault 2005). Da in der zeitlichen Betrachtung nur ein Nacheinander, nie aber ein Nebeneinander, wie Foucault als Forschungsziel anstrebt, existieren kann, ist es der Raum, auf den er sich bezieht und zu dem er eine dementsprechende Definition hinzufügt: „[durch] Nachbarschaftsbeziehungen zwischen Punkten oder Elementen bestimmte Lage“ (ebd. S. 932).

2.1 Warum wurde der Raum unterrepräsentiert und lohnt sich überhaupt eine Wiederaufwertung?

Foucault erkennt das bewertende Ungleichgewicht zwischen Raum und Zeit. Während letzteres positiv konnotiert ist mit Assoziationen, wie „Prozess“, „Fortschritt“, „Entwicklung“, und „Dynamik“, erfährt der Raum eine negative Bewertung als etwas „Starres“, „Totes“. Dadurch, dass die Zeit einem ständigen erkennbaren Wandel unterliegt, hat es sich als sinnvoll herausgestellt, sie zu observieren. Der Raum hingegen wurde mehr als „Gegebenes“, „Container“ und „Hintergrundbühne“ gesehen, auf dem sich die Ereignisse abspielen. Dass die räumlichen Gegebenheiten Auswirkungen auf die Geschichte haben und andersherum blieb weitestgehend unbeachtet. (Günzel 2009, S. 91)

Der Umstand, der bereits im vorhergehenden Kapitel erwähnt wurde, hat die Beschäftigung mit dem Raum mitverhindert: Daher, dass die Zeit linear ist, wohingegen der Raum offen ist, kann man sich im Raum leicht verlieren, in der Zeit hingegen können Ereignisse/Worte nur nacheinander passieren, was zur Übersichtlichkeit und Begrenzung der Sache führt (Schlögel 2003, S. 48 49). Schon Leibniz formulierte Anfang 18. Jahrhundert an einen Bischof seinen Gedanken in einem Brief: „Der Raum ist die Ordnung gleichzeitig existierender Dinge, wie die Zeit die Ordnung des aufeinanderfolgenden.“ (Günzel 2009, S. 14).

An vielen Stellen in der Literatur ist theatralisch vom „Verschwinden des Raumes“ die Rede, wie z. B. beim Humangeographen David Harvey, der milder formuliert von einer „Raum-Zeit-Verdichtung“ schreibt (Günzel 2009, S. 95). Die Elektrifizierung und die anschließende mikroelektronische Revolution mit Smartphones ermöglichen eine hohe und schnelle Frequenz an Kommunikation. Die geographischen Grenzen werden kleiner, da Informationen die Distanz schneller überwinden können, als ein Mensch naturgegebener Weise in der Lage ist. Das Gleiche gilt für die Widerstände von materiellen Gütern, die durch Eisenbahn, Flugzeug und Autos schrumpfen. Im Gegensatz dazu vertreten andere die These, dass der Raum noch nie so sehr im Blickfeld stand, wie heute mit der für die Globalisierung kennzeichnenden weiträumigen Vernetzung. Weiße Flecken auf der Landkarte sind Schnee von gestern, stattdessen hat sich ein Reiseboom etabliert, der auf die Neugier der Menschen auf andere Lebensräume zu erklären ist. Die Antwort der Literatur ist ein großer Markt an Reiselektüren, von Reiseführern, über Reiseblogs, bis hin zu prosahaft geschriebener Reiseliteratur. Demnach ist der Raum mehr erschlossen als je zuvor und erfreut sich unter der Bevölkerung großer Aufmerksamkeit.

Durch die Vergangenheit Deutschlands Anfang des 20. Jahrhunderts wurde das Thema Raum aufgrund der nationalsozialistischen Instrumentalisierung bis dato degradiert. Die Öffnung 1989 mit dem einhergehenden Zerfall der geopolitischen Blockstruktur erforderten neue ökonomische und politische Raumstrukturen und hat somit eine Auseinandersetzung mit dem Raum in Deutschland u.a. mit in Gang gesetzt (Günzel 2009, S. 93).

2.2 Der Raum in der Zeit

Bevor etwas getrennt wird, muss es zuvor gemeinsam betrachtet worden sein. Wann wurde Raum und Zeit also voneinander getrennt? (Schlögel 2003, S. 40) Die Aufsplitterung der Wissenschaften in ganz viele Teilbereiche hat in der Zeit der Aufklärung begonnen, was zur Folge hatte, dass sich Wissenschaftler nur mit einem enggefassten Bereich auseinandergesetzt haben. Der versiegte Wissensfluss untereinander erschwert neue Impulse, sodass „fragmentierte Wissenschaften“ wieder bereit waren sich zu öffnen. Diese Bedingung war Voraussetzung dafür, dass, um beim Beispiel des Raumes zu bleiben, die Meinung eines Humangeographen in den literaturwissenschaftlichen Diskurs etabliert werden konnte. (Schlögel 2003, S. 62, 63)

Die Art, wie der Mensch sich im Raume sieht, beeinflusst das Selbstbild und Selbstbewusstsein des Menschen. Das weltgeschichtlich wichtigste und räumlich gesehene größtes Beispiel stellt wohl die Kopernikanischen Wende dar, die die geozentrische Sicht negiert und einem heliozentrischen Weltbild, nach Kepler und Galilei, Platz machen musste. Daraufhin musste Raum wiederum neu definiert werden. Denn das bis dahin geltende religiöse Weltbild von einem Himmel und der Erde, was die vertikale Achse mit dem irdisch-profanen Raum `Unten` und dem göttlich-transzendentalen `Oben` aufgreift, konnte angesichts der Unendlichkeit des Alls und der peripher erscheinenden Position der Erde nicht mehr aufrecht erhalten werden.

2.3 Eine breite Auseinandersetzung des Spatial Turns

Es gibt zum einen das subjektive Raumerleben aus anthropologischer, individueller, philosophischer Sicht und die konkreten, mathematischen, physikalischen Messwerte eines Raumes. Jedoch beziehen sich Forscher zur Belegung und Unterstützung ihrer Erkenntnisse gerne auf andere Bereiche.

In der Philosophie ist Kant mit seiner Kantischen Erkenntnistheorie zum Thema Raum und Zeit nicht mehr wegzudenken. In seinem Werk der „Kritik der reinen Vernunft“ im Kapitel zur Transzendentalen Ästhetik erklärt er sie zur „notwendige[n] Formel jeglicher Erkenntnis“. Veranschaulichend legt er dem Leser ein Gedankenexperiment nahe, das eine interessante und zu jener Zeit in akademischen Kreisen skandalöse Schlussfolgerung nach sich zieht: Angenommen man nehme von einem gegebenen Objekt alles an ihm Hängende ab, das Materielle als auch sinnlich Wahrnehmbares (z. B. Geruch, Gewicht) verschwindet, so bliebe immer noch der Raum, den das Objekt zuvor ausgefüllt hat, zurück. Aus dieser rein durch logisches Nachdenken errungene Erkenntnis leitet Kant ab, dass Raum und Zeit unabhängig von Objekten schon vorher da waren und immer da sind, ja - machen die Anwesenheit erst möglich, da sie ihnen Ordnung verleihen (Frank 2010, S. 72).

Bachtin ist nicht der einzige Kulturwissenschaftler, der sich an Begriffen aus der Physik bedient und sich auf deren Forschungen zu Raum- und Zeitproblematiken bezieht. Günzel z. B. legt eine umfassende Abhandlung über den Raum dar, in der Natur- und Geowissenschaften koexistieren mit Bildenden und Darstellenden Künsten und anderen Perspektiven (wie dem historischen, körperlichen, sozialen, kognitiven, medialen Raum, um nur einige zu nennen). Karten als ein Gefüge aus Kunst, Mathematik und Sprachlichkeit bieten ein anschauliches Beispiel für die Überlappung und Beeinflussung der Wissenschaften zur Thematik Raum.

Aus erweiterter literaturwissenschaftlicher Perspektive, wie Schlögel sie in seinem Werk „Im Raume lesen wir die Zeit“ einnimmt, stellen Karten zudem die kürzeste und anschaulichste „Geschichte“ über den Raum dar. Der künstlerische Aspekt war vor allem ausgeprägt, als Karten manuell angefertigt wurden und somit eine Rarität und ausschließlich für den Adel oder die Seefahrt bestimmt waren. Der bekannte Kartograph Mercator hat mit mathematischer Finesse die meistverwendete winkeltreue Zylinderprojektion der Erde in ein zwei-dimensionales System erfunden. Letztendlich geht es allen Kartographen um eine subjektive Abbildung der Erde, deren Fokus von der Prioritätssetzung des „Autors“ bestimmt wird. Die ganze Realität kann zwecks Übersichtlichkeit nicht wiedergegeben werden, die Interessengebiete sind zu vielseitig (physische, politische, ökonomische Karte etc.). Somit spricht jede Karte eine bestimmte Sprache, die mittels einer Legende entziffert werden kann. Im zweiten Teil dieser Arbeit, wenn auf das Schaffen Humboldts um die Jahrtausendwende zur Napoleonischen Zeit in Bezug auf die räumliche Erschließung der „Neuen Welt“, was wiederum viel neues Kartenmaterial gefordert und hervorgebracht hat, eingegangen wird, kommt die Bedeutung der Zusammenarbeit der Wissenschaften noch einmal zur Sprache (Schlögel 2003, S. ).

Eine weitergehende Betrachtung des Raumbegriffes in anderen Disziplinen erscheint verlockend, würde allerdings von der literaturwissenschaftlichen Perspektive ablenken. Auch ist der Raum in dieser Arbeit dafür nicht gegeben.

2.4 Topographical turn

Auch Literaturwissenschaftler lesen faktuale und fiktionale Texte inzwischen mit einer „räumliche[n] Brille“ (Frank 2003, S. 53).

In der genauen Einordnung des Spatial Turns in der literaturwissenschaftlichen Strömung streiten sich die Geister. Weigel konstatiert 2002 das erste Mal den Begriff des topographical Turns, als einer eigenen Wende innerhalb der Literaturwissenschaften unabhängig des Spatial Turns (Frank 2009, S. 61). Bachmann-Medick dagegen versteht, wie die meisten Anhänger, den topographical turn als eine „Unterströmung“ (Frank 2010, S. 54) des Spatial Turns. Einigkeit besteht in der fachlichen Zuschreibung zu den Literaturwissenschaften. Das im Wort steckende griechische Verb `graphein`, was so viel wie schreiben, zeichnen bedeutet, weist auf die Aufgabe der Literaturwissenschaften hin: „Repräsentationstechniken und Repräsentationsformen von Raum“ (Günzel 2005, S.92). Während sich die Soziologie und Geschichtswissenschaften auf das Erschaffen und Bilden von Räumen fokussiert hat, sieht diese Disziplin ihre Aufgabe vor allem in der Beschreibung von Räumen.

Grundlage dafür ist eine Definition von Raum. Problematisch wird es z. B., wenn der Raum als etwas Nicht-Greifbares definiert wird, sondern vielmehr ein abstrakter Raum der u. a. Grundlage der Existenz bildet, wie es bei Kants Erkenntnistheorie (s. o.) oder Einsteins Relativitätstheorie der Fall ist. Die deskriptive Herausforderung kann hier ähnlich einem Gefühl sein, das sehr subjektiv wahrgenommen wird und beispielsweise mithilfe von Metaphorik verbildlicht werden kann (z. B. „Die Wände scheinen näher zu kommen“, „Der Raum erschien kalt und abweisend“). Im Großen und Ganzen bezieht sich die Literaturwissenschaft jedoch auf das Materielle, das den Raum ausmacht, seien es Panoramaansichten, Wohnverhältnisse, die Lage von Orten. Zum anderen kann sich die Literatur eines großen Repertoires von räumlichen Beschreibungen, wie `rechts`- `links`, `vorne`- `hinten` usw., bedienen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Spatial Turn in Verbindung mit Alexander von Humboldts Aufstieg auf den Chimborazo. Ein Vergleich des Reiseberichts mit Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt"
Hochschule
Philipps-Universität Marburg
Note
2,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
21
Katalognummer
V1039231
ISBN (eBook)
9783346460318
ISBN (Buch)
9783346460325
Sprache
Deutsch
Schlagworte
spatial, turn, verbindung, alexander, humboldts, aufstieg, chimborazo, vergleich, reiseberichts, daniel, kehlmanns, roman, vermessung, welt
Arbeit zitieren
Anika Engler (Autor:in), 2019, Der Spatial Turn in Verbindung mit Alexander von Humboldts Aufstieg auf den Chimborazo. Ein Vergleich des Reiseberichts mit Daniel Kehlmanns Roman "Die Vermessung der Welt", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1039231

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