Die Entstehung der griechischen Tragödie


Hausarbeit, 2001

13 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Die Entstehung der griechischen Tragödie

Teil 1:Entstehung, Rezeptionskomponenten, Wirkungsziel

1.1 Entstehung

Will man die Entstehung der Tragödie (aus dem Dionysos- Kult und der griechischen Festgeschichte) betrachten, so muss man sich darüber im klaren sein, dass aus der damaligen Zeit, speziell aus dem Zeitraum indem sich die Tragödie aus ihrer frühen Form entwickelte, kaum originale Quellen überliefert sind. Auch aus der Blütezeit der Tragödie sind nur Fragmente erhalten. Allein Aischylos soll circa 80 Stücke aufgeführt haben, von denen nur sieben heute noch bekannt sind. Die nachfolgende Geschichte ihrer Entstehung erhebt also keinen Anspruch auf Richtigkeit oder Vollständigkeit, sie kann vielmehr nur den Versuch einer Rekonstruktion darstellen.

In einem Satz gesagt, ist die Tragödie ein Theaterstück, das im Wechsel von Chor und Schauspielern aufgeführt wird.

Die Ursprünge der griechischen Tragödie liegen im Dionysos-Kult begründet. Dionysos, der Gott der Fruchtbarkeit und des Weines (vermutlich schon vor 1200 v. Chr. In Griechenland bekannt) wurde schon in den frühen Mythen mit tanzenden Frauen in Verbindung gebracht.

Das Tanzen der Frauen um Dionysos wird im Griechischen mit dem Verb

`mainesthai´ beschrieben. Dieses Verb bedeutet jedoch nicht `tanzen´ in seinem eigentlichen Sinn, sondern es beschreibt vielmehr ein ekstatisches, rauschhaftes Tanzen.

„In Scharen, Thiasoi, geteilt, streiften die Frauen, Thyrsen schwingend und Fackeln tragend, umher, sie drehten sich im wirbelndem Tanz, bis sie erschöpft zu Boden stürzten [...] In höchste Erregung versetzt ergriffen sie ein Tier, das ihnen in den Weg kam, zerrissen es in Stücke und verschlangen diese.“ (M. Nilsson[1], zit. nach Latacz, Einführung in die griech. Tragödie, S. 32)

Die Feste zu Ehren Dionysos’ wurden also von diesem ekstatischen Ele ment bestimmt. Im Rahmen dieser Feste berauschte man sich mit Wein, man trug Masken (durch die Anonymität viel es leichter aus sich heraus- und sich völlig gehen zu lassen€Identitätswechsel) und es wurden Kultgesänge, Dithyramben, gesungen.

„Wie ich des Dionysos, des Herrschers; schöne Weise anzustimmen weiß, den Dithyrambos – vom Weine blitzstrahlgetroffen die Sinne [...] “ (Archilochos v. Paros[2], zit. nach Latacz, S. 59)

Die Dithyramben sind also speziell für die Dionysos- Verehrung bestimmte Gesänge, die wie man aus dem obigen Zitat schließen kann, vom Wein inspiriert improvisiert wurden. Ein „Vorsänger“ ruft also einen improvisierten Gesang in die Menge, diese nimmt den Gesang auf und wiederholt in als Chor.

Zusammenfassend kann man sagen, dass der Dionysos- Kult von Ekstase, vom Ausbrechen aus der Normalität bestimmt wurde. Dies rief jedoch die Herrschenden auf den Plan, da ein Ausbrechen aus der Normalität gleichzeitig eine Bedrohung der öffentlichen Ordnung darstellte. Da alle Versuche diesem Kult mit repressiven Maßnahmen zu begegnen scheiterten, wurde er im Laufe der Zeit institutionalisiert, um ihn so in geordnete Bahnen zu lenken. Der erste Schritt war, den Festen feste Daten zuzuweisen.

So entstanden zunächst:

- die Anthesterien, ein Fest für Dionysos als Gott des Weines und der Fruchtbarkeit
- die Oschophorien, ein Erntedankfest später dann:

- die Lenäen, ein Fest, eigentlich zum Feiern als Selbstzweck, ein

„orgiastisches Frauenfest“ (Latacz, S.38), mit Tänzen und ersten Theateraufführungen, noch auf oder zumindest in der Nähe der Agora (Marktplatz)

- die ländlichen Dionysien, entstanden aus einem alten ländlichen Fruchtbarkeitsfest mit Phallus- Verehrung
- die städtischen Dionysien, ein staatlich angeordnetes Fest, ein „Instrument der Religions- und Kulturpolitik der Tyrannis“ (Latacz, S. 41)

Die städtischen Dionysien teilten sich in zwei Hauptbestandteile, die Phallus- Prozession (von den ländlichen Dionysien Übernommen) und die Theateraufführungen (von den Lenäen übernommen)

Die Theateraufführungen im Rahmen der Städtischen Dionysien entwickelten sich also im Laufe der Zeit bis zur voll ausgebildeten Form der Griechischen Tragödie.

Auch wenn man die Schriften des Aristoteles zur Hilfe nimmt, stellt sich die Entwicklung der Tragödie auf gleiche Weise dar und es werden noch einige Details der Entwicklungsgeschichte aufgezeigt, die bis jetzt noch nicht erwähnt wurden.

„Entstanden aus improvisatorischem Ursprung[...]von den Anstimmern des Dithyrambos, [...] wurde sie in kleinen Schritten größer, [...] hielt [...] inne, sobald sie ihre Natur erreicht hatte.

Und die Zahl der Schauspieler hat von einem auf zwei[...]geführt und die Partien des Chores[haben sich]verringert und dem Wort als dem Hauptakteur den Weg bereitet[...]Dann noch zur Größe: aus kleinen Geschichten und lachenerregender Diktion – auf Grund der Umformung aus Satyrhaftem – wurde sie [die Tragödie] respektabel, und das Versmaß wandelte sich vom Tetrameter zum Iambos [...]nachdem das Sprechen aufgekommen war “ (Aristoteles[3], zit. nach Latacz, S.56) Aristoteles sieht die Keimzelle der Tragödie also in der Improvisation (Dithyramben). Keimzelle ist sicherlich das richtige Wort, wenn man im Zusammenhang mit Aristoteles vom Ursprung der Tragödie spricht, „Er [Aristoteles] sieht das Phänomen Tragödie etwa wie eine Pflanze“ (Latacz, S. 57). Sie entwickelte sich aus einer Keimzelle, und „hielt [...] inne, sobald sie Ihre Natur erreicht hatte“ (siehe oben).

Er sagt auch, dass sich die Zahl der Schauspieler erhöhte und der Chor an Bedeutung verlor. Somit wurde also der Gesang zurückgedrängt, und das gesprochene Wort wurde wichtiger.

Die erwähnte „Umformung aus Satyrhaftem [...] nachdem das Sprechen aufgekommen war“ (siehe oben) machte sie respektabel.

Das Satyrhafte war demnach ein Chorgesang der kleine, lächerliche Inhalte hatte. Der Wandel des Versmaßes erklärt sich aus der Verlagerung des Schwerpunktes vom Gesang zum Sprechen. Der Iambus ist das Versmaß, dass wir bis heute, unbewusst, in unserer Alltagssprache am meisten nutzen, wohingegen der Tetrameter ein rhythmischer Viertakt ist, der gut zu Gesang und Tanz passte.

Auch die Auseinandersetzung mit dem Begriff `Tragödie´ bestätigt die bisher dargestellte Entstehungsgeschichte. Wenn man das Wort Tragödie (Tragodia) in seine zwei Bestandteile `Trag-` und `odia´ zerlegt, so bedeutet `odia´ Gesang, was sich eindeutig mit dem deckt was bis jetzt gesagt wurde. Mit dem ersten Teil,

`Trag´, ist es schon etwas schwieriger. `Trag´ bedeutet übersetzt soviel wie Ziegenbock, ein Begriff der sich auf den ersten Blick nicht in die bisher erläuterte Entstehung einzufügen scheint. Bei näherer Betrachtung lässt sich dieser zunächst verwirrende Begriff jedoch erklären. Wie oben erwähnt spielte das satyrhafte für die Entwicklung der Tragödie eine Rolle. Die Satyrn waren die Begleiter des Dionysos. Auf Bilder wurden sie stets in ein Bocksfell gewandet dargestellt.

Das Wort Tragödie wäre also zurückzuführen auf eine ihre frühen Formen, „bei der tanzende, und in lachenerweckendem Stil singende Satyrn mit Bockscharakter einen Chor bildeten“ (Latacz, S. 62).

1.2 Die Rezeptionskomponenten

Die griechischen Tragödien wurden im Rahmen einer bestimmten Rezeptionssituation aufgeführt. Der Autor der Stücke musste sich also beim Schreiben derselben und bei der Vorbereitung der Aufführung stets der Rezeptionsbedingungen bewusst sein, unter denen sein Stück dann zur Aufführung kommt. Im einzelnen sind dies:

Ortsgebundenheit

Die Tragödien wurden im Theatron aufgeführt. Die Zuschauer saßen in einem großen Halbkreis, ihre Blickrichtung war daher in Richtung der Orchestra (=Tanzplatz, Aufführungsort) „fixiert“.

Um die Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit der Zuschauer nicht zu überfordern, musste der Tragödiendichter also darauf achten, dass die Stücke nicht zu lang waren. „Die Durchschnittsaufnahmefähigkeit des Publikums bestimmt also dir Länge des Theaterstücks.“ (Latacz, S. 21)

Auch der Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit des Publikums musste der Dichter Rechnung tragen. Dies ließ sich im wesentlichen durch Variation der äußeren Form und durch Spannungssteigerung innerhalb des Stückes bewerkstelligen.

Die Variation der äußeren Form erfolgt durch Wechsel zwischen Sing-, Tanz- und Sprechpassagen (darin beinhaltet auch wechselnde Versmaße, Tanzarten, etc.), sowie durch Personenwechsel und Wechsel der Dialogpartner (Chor – Schauspieler, Schauspieler – Schauspieler, Schauspieler – Chorführer, etc.).

„Fazit: Die erste Komponente der Rezeptionssituation [...] ist ihre Ortsgebundenheit. Diese zwingt den Dichter, seinem Kunstwerk eine ortsangemessene Struktur zu geben: das Stück muss relativ kurz sein, es muss abwechslungsreich, und es muss im Falle der Tragödie streng logisch aufgebaut sein.“ (Latacz, S. 22)

Anlassgebundenheit

Die Tragödien wurden, wie im Teil 1.1 beschrieben, nur anlässlich bestimmter Feste im Rahmen des Dionysoskults aufgeführt. Der Dichter schreibt also seine Stücke nur für die einmalige Aufführung an diesem besonderen Anlass.

Die Stücke und ihre Aufführung mussten also so gestaltet werden, dass der Sinn dem Zuschauer nach nur einmaligem Anschauen erschließt. Es durften keine zu verschachtelte und komplizierte Handlungsstränge eingebaut werden.

Auf die Inhalte der Tragödien wirkte sich die Anlassgebundenheit dahingehend aus, dass sie in früherer Zeit vermutlich direkten Bezug zum Dionysoskult hatten, der dann im Laufe der Zeit dann einem allgemeinen Mythe nbezug wich. „Die Anlassgebundenheit der Tragödie an den religiös- kultischen Anlass `Dionysosfest´ zieht erstens die Singularität der Tragödienaufführung und zweitens den Mythosbezug des Tragödienstoffes nach sich.“ (Latacz, S. 25)

Wettbewerbsgebundenheit

Die Dionysosfeste waren (zumindest in ihrer späteren Zeit) staatlich organisiert. Aufgrund des großen Zuspruches der Bevölkerung, überstieg das Angebot an Stücken für die Feste schon bald den Bedarf, so dass die staatliche Verwaltung dazu überging die Aufführungen als Wettbewerb (Agon) auszutragen. „[...] der Leiter [von staatlicher Seite] der Großen Dionysien [...] wählte aus der Vielzahl der Dichter, die Tragödien inszenieren wollten, drei aus. Jeder Dichter musste vier Stücke (Tetralogie) präsentieren, bestehend aus drei Tragödien (Trilogie) und einem Satyrspiel. [...] Die Entscheidung über den Sieger [...] wurde von einem in einem komplizierten Verfahren gewählten Schiedsrichtergremium getroffen.“ (Bernhard Zimmermann, Einführung zu `Aischylos Tragödien´)

Daher mussten die Tragödien, wenn sie im Wettbewerb eine Chance haben wollten, höchsten qualitativen Ansprüchen genügen. Auch sollte das Stück ja im Rahmen einer „religionspolitischen Institution des Staates“ (Latacz, S. 25) aufgeführt werden, und musste so einen „gedanklichen Bezug zur jeweiligen gesamtgesellschaftlichen Situation“ (Latacz, S. 26) haben.

Auch die schnelle Entwicklung der Gattung Tragödie ist wohl auf die Aufführungsart, den Agon, zurückzuführen. „[...] galt es doch, ein durch häufigen Theaterbesuch geschultes Publikum zu Überzeugen. Da die mythischen Stoffe [in ihrer Anzahl begrenzt waren,] im Bereich de Stoffwahl also keine großen Innovationen möglich waren, kam es darauf an, einen bekannten Stoff auf neue, vielleicht überraschende Art darzustellen[...]“ (Zimmermann, S. 8)

Mittelgebundenheit

Da die Tragödien im Rahmen eines Wettbewerbs aufgeführt wurden, mussten auch für alle Wettbewerbsteilnehmer gleiche Bedingungen geschaffen werden.

Daher hatten alle Tragödiendichter die gleichen personellen und Technischen Mittel zur Verfügung.

Es waren also die Anzahl der Chormitglieder, der Schauspieler, der Statisten und der Musiker für alle gleich.

Auch der Aufführungsort: Orchestra (Spielfläche), Skene (Kulissengebäude hinter der Orchestra), Logeion (=`Sprechplatz´, Ort an dem die Schauspieler standen, zwischen Orchestra und Skene) und zwei seitliche Eingänge sowie die zu Verfügung

[...]


[1] `Griechische Religionsgeschichte´ von Martin P. Nilsson

[2] Aus einem der Gedichte von Archilochos v. Paros, nur in Teilen erhalten

[3]`Poetik´ von Aristoteles

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Entstehung der griechischen Tragödie
Note
1,0
Autor
Jahr
2001
Seiten
13
Katalognummer
V104153
ISBN (eBook)
9783640025206
ISBN (Buch)
9783640858088
Dateigröße
368 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Entstehung, Tragödie
Arbeit zitieren
Wolfgang Wüst (Autor:in), 2001, Die Entstehung der griechischen Tragödie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104153

Kommentare

  • Gast am 26.10.2008

    Nietzsche?.

    Friedrich Nietzsche ist bekanntlich der wichtigste Autor und Entdecker dieser Dinge in seiner Dissertation "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik". Wie wird diese grundlegende, geniale Schrift im Lichte der heutigen Forschung gesehen? www.sergeehrensperger.ch

  • Gast am 27.3.2006

    Plural/Singular.

    Die Arbeit ist ganz gut geworden; als Gräzist sollte man allerdings den Unterschied zwischen dem Singular (Stasimon) und dem Plural (Stasima) eines Wortes kennen.Außerdem: Ist es wirklich notwendig, ein Skriptum als Quelle anzuführen?

  • Gast am 23.9.2002

    Arbeit.

    Wow,echt klasse Arbeit!respekt!

  • Gast am 7.2.2002

    toll.

    sorry, suche die allgemeine struktur der griechischen Tragödie

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