Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Gerechtigkeit in der Ökonomie
3. Gerechte Arbeitsbedingungen
4. Arbeitsentgelte und Gerechtigkeit
5. Geschlechtergerechtigkeit
6. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Der Gerechtigkeitsbegriff spielt in der Ethik eine zentrale Rolle. Eine Aufgabe der Wirtschaftsethik ist die Explikation der grundlegenden normativen Leitbegriffe wie Solidarität und Gerechtigkeit.1
Wirtschaftliche Entscheidungen betreffen die legitimen Interessen anderer. Daher darf, und muss, immer gefragt werden, ob sie umfassend vernünftig und moralisch richtig sein. Bei der Betrachtung einer gerechten und fairen Gestaltung einer wirtschaftlichen Ordnung spielt die Globalisierung eine wichtige Rolle. Aufgrund der heutigen transnationalen Tätigkeiten von Unternehmen, sind auch die internationalen Beziehungen und damit verbundene internationale, wirtschaftliche Gerechtigkeit immer häufiger Gegenstand von Diskussionen.2 Die Forderungen nach mehr Moral in der Wirtschaft werfen aber auch eine ganze Reihe weiterer Fragen auf – Fragen der Gerechtigkeit. Hier stellt sich nun die Frage: inwiefern geht es in der Ökonomie überhaupt um Gerechtigkeit und wie kann diese realisiert werden?
Um eine vollumfängliche Bearbeitung der Gerechtigkeitsthematik im Kontext der Wirtschafts- und Unternehmensethik zu gewährleisten, ist die Betrachtung der Gerechtigkeit im Bereich der Ökonomie unumgänglich.
Das Themenfeld ist jedoch so umfänglich, dass diese Arbeit sich konkret auf einzelne, wichtige Teilbereiche der Gerechtigkeit in der Ökonomie fokussiert, um trotz der Extensivität der Thematik die nötige Tiefe zu gewährleisten.
Einleitend wird der Gerechtigkeitsbegriff in der Ökonomie analysiert, wobei hier besonders auf den Gerechtigkeitsbegriff nach Aristoteles und wiederzufindende Formen der Gerechtigkeit in der Marktwirtschaft eingegangen wird. Nachfolgend wird genauer auf die Teilbereiche gerechte Arbeitsbedingungen, gerechte Arbeitsentgelte und die Geschlechtergerechtigkeit eingegangen. Das abschließende Fazit rundet die Ausarbeitung zum Thema Gerechtigkeit ab.
2. Gerechtigkeit in der Ökonomie
Eingangs muss die Frage geklärt werden, inwiefern es in der Ökonomie überhaupt um Gerechtigkeit geht. Im klassischen Gerechtigkeitsbegriff nach Aristoteles beispielsweise wird die Ökonomie zweifach behandelt: bei der austeilenden Gerechtigkeit und bei der ausgleichenden Gerechtigkeit.3
Die Ökonomie betreffend thematisiert die austeilende Gerechtigkeit bzw. Verteilungsgerechtigkeit „die Grundstrukturen der Ökonomie, in denen sich das Verhältnis der Wirtschaftssubjekte und Wirtschaftsfaktoren zueinander hinsichtlich der Verteilung der Güter im Verhältnis zum Einsatz realisiert“. 4 Hier gilt: der, der mehr investiert hat soll auch mehr Gewinn verdienen. In der Praxis äußert sich dies beispielsweise im Verhältnis der Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zueinander. Eine der zentralen Probleme der sozialen Gerechtigkeit ist die Frage worin Verteilungsgerechtigkeit besteht, d.h. wie viel Gleichheit oder Ungleichheit in einer Gesellschaft wünschenswert und gerecht sind. Die Ausgleichende Gerechtigkeit, die sogenannte Tauschgerechtigkeit, hingegen thematisiert die strafrechtliche Wiedergutmachung, die Vertragsgerechtigkeit und die Einhaltung der Grundprinzipien des Marktes. Beispielhaft zu nennen wäre hier der Besitzerwechsel eines bestimmten Gutes gegen den Ausgleich eines angemessenen Preises.5
Beide Arten von Gerechtigkeit sind wirtschaftsethisch relevant.6 So stellt sich folglich die Frage, wie Gerechtigkeit heute im marktwirtschaftlichen Wirtschaftssystem präsent ist.
Dem Prinzip der Marktwirtschaft liegen mehrere Gerechtigkeitsarten zugrunde die im Folgenden genannt und erläutert werden. Vor allem die soeben erläuterte Idee der Tauschgerechtigkeit ist in der Marktwirtschaft virulent.7 „ Leistung und Gegenleistung sollen in einem ausgewogenen Verhältnis zueinanderstehen“. 8 Die bloße vertragliche Übereinkunft ist dabei noch keine Garantie für Tauschgerechtigkeit.9 Eine weitere Gerechtigkeitsart in der Marktwirtschaft ist die Leistungsgerechtigkeit. Mithilfe dieser Gerechtigkeitsart werden unterschiedliche Preise und Löhne begründet, da bessere Qualität bzw. Leistung höher honoriert wird.10 Aufgrund der aktuellen Corona-Krise ist die Debatte um die Leistungsgerechtigkeit wieder brandaktuell, da einige systemrelevanten Berufsgruppen einkommenstechnisch viel schlechter gestellt sind als nicht-systemrelevante Berufsgruppen.11
Zugleich wird die Bedürfnisgerechtigkeit wieder zum Thema, da beispielsweise Arbeitnehmer trotz einer Vollzeitstelle von Armut bedroht sind.12 Die Bedürfnisgerechtigkeit knüpft hier gedanklich stark an die Lohngerechtigkeit an, welche im Laufe der Arbeit näher erläutert wird. Der Gleichheitsgrundsatz ist auch noch nicht in der Wirtschaft erfüllt, da Frauen teilweise bei gleicher Leistung und Qualifikation weniger als Männer verdienen.13 Die Verfahrensgerechtigkeit thematisiert den fairen Wettbewerb als „Verfahren“ zur Bewertung der Marktergebnisse. In der sozialen Marktwirtschaft gilt der faire Wettbewerb als Verfahren zur Bewertung der Marktergebnisse. Fairer Wettbewerb wird allerdings durch Monopole, Kartelle oder Korruption behindert.14 Anhand der wenigen Beispiele wird deutlich, dass die Forderung nach mehr Gerechtigkeit in der Wirtschaft zweifellos begründet ist. Trotz dessen inhäriert das Streben nach Gerechtigkeit einem marktwirtschaftlichen System von vornherein. In einer funktionierenden Marktwirtschaft wird Gerechtigkeit auf den Märkten durch die Märkte selbst realisiert. Diese findet Ausdruck im gerechten Preis. Ein Preis kann gerecht genannt werden, wenn freie Märkte mit großer Konkurrenz existieren. Wirtschaftliches Handeln ist der Vollzug individueller Freiheit, welcher Freiheit bereits in der Bestimmung eigener Bedürfnisse und der Festlegung der angestrebten Güter voraussetzt.15
Mit dem Ziel die gerechteste, möglichen Wirtschaftsordnung zu entwickeln, wurde die Idee der Sozialen Marktwirtschaft geboren.16 Die Soziale Marktwirtschaft basiert auf dem Grundgedanken der freien Marktwirtschaft, nimmt aber soziale Aspekte mit auf.17 Ziel ist dabei jedoch nicht den Wohlstand gleich zu verteilen, da dadurch der Wettbewerb ausgehebelt und Leistungsanreize minimiert werden würden. Die Soziale Marktwirtschaft zielt darauf ab, allen Menschen die gleichen Startchancen zu gewährleisten. Die Gestaltung der gewünschten Wirtschaftsordnung wird maßgeblich durch Ordnungspolitik geprägt. Ob es einem einzelnen Unternehmen gelingt, sich im Wettbewerb durch legitime Strategien zu behaupten oder nicht, hängt auch von den Rahmenbedingungen ab. An diesen Rahmenbedingungen setzen ordnungspolitische Strategien an. Sie verfolgen das Ziel ökonomische Nachteile für Unternehmen, die sich moralisch richtig verhalten zu vermindern oder zu beseitigen. Dies geschieht auf einer dem Unternehmen übergeordneten Ebene wie z.B. der Wirtschaftsordnung eines Landes. Die Gestaltung der Rahmenordnung liegt in der Verantwortlichkeit der Politik.18
3. Gerechte Arbeitsbedingungen
Ein wichtiger Faktor in der Ökonomie sind die Arbeitsbedingungen. Rechtlich werden Arbeitsbedingungen vorrangig durch Gesetze, Betriebsvereinbarungen, Tarifverträge, Arbeitsverträge oder Betriebsordnungen gestaltet.19 Das Recht fungiert hier als Werkzeug der Gerechtigkeit. Weltweit gibt es unterschiedliche Gesetze, mit dem Ziel gerechter Arbeitsbedingungen. Ein internationales Beispiel ist der Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der sogenannte UN-Sozialpakt. Der Pakt beinhaltet unter anderem Grundsätze bezüglich Lohns, Arbeitsschutz, Möglichkeiten des Aufstiegs und der Beförderung, sowie Arbeitszeit und Arbeitspausen. Die Lohngrundsätze des UN-Sozialpakts besagen, dass die geleistete Arbeit mit einem angemessenen Entgelt das einen angemessenen Lebensunterhalt des Arbeitnehmers sowie seiner Familie ermöglicht, gezahlt werden muss.20 Der Sozialpakt fordert außerdem sichere und gesunde Arbeitsbedingungen. In Deutschland wird dieser zusätzlich durch Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder gewährleistet, wie z.B. das Jugendarbeitsschutzgesetz und das Mutterschutzgesetz. Des Weiteren werden gleiche Aufstiegsmöglichkeiten für jeden unter der Berücksichtigung der Beschäftigungsdauer und Befähigung gefordert. Außerdem werden Fragen der Arbeitspausen, Freizeit, angemessenen Begrenzung der Arbeitszeit, bezahlter Urlaub und der Vergütung gesetzlicher Feiertage behandelt. Das Bestreben solcher Gesetze ist es das Wohlbefinden des Einzelnen in jeder Hinsicht zu sichern und Diskriminierung auszuschließen.
Im Kontext gerechter Arbeitsbedingungen lassen sich international sehr unterschiedliche Empfindungen und Standards erkennen. Während für einen kolumbianischen Kaffeebauer bezahlter Urlaub eine großartige Entwicklung Richtung gerechte Arbeitsbedingungen wäre, ist das für den westlichen Arbeiter längst Standard. Anzumerken ist, dass wer, wie der Westen, höhere Löhne verlangt, auch bereit sein muss, etwas mehr zu zahlen.21
Klar ist: faire und sichere Arbeitsbedingungen müssen jedem Menschengewährleistet sein. Es darf nicht sein, dass Menschen ihren Arbeitsalltag fürchten müssen, weil sie Angst um ihre Gesundheit haben. Regierungen müssen daher Ausbeutung und Missstände jeglicher Art unterbinden. Gesetze müssen durch regelmäßige Kontrollen überprüft und im Fall eines Verstoßes sanktioniert werden. Im Falle der Verletzung der Arbeitsrechte benötigen die Betroffenen einen Zugang zur Justiz. Der Rechtsweg muss für alle offen sein und den rechtswidrig handelnden Arbeitgebern, gerade auch transnational handelnden Unternehmen, müssen angemessene Strafen drohen. Weltweit existiert hier noch weiterer Handlungsbedarf.
4. Arbeitsentgelte und Gerechtigkeit
Gedanklich anknüpfend an die gerechten Arbeitsbedingungen, darf die Betrachtung von Gerechtigkeit in Bezug auf Arbeitsentgelte nicht fehlen. Der Zusammenhang der Unternehmensethik und der Personalhonorierung liegt in der moralischen Pflicht einer Unternehmung, das Anreizsystem möglichst gerecht zu gestalten.22 Hier stellt sich also die Frage: Welcher Lohn ist gerecht? Mit dieser Frage haben sich bereits unzählige Denker befasst – ohne ein überzeugendes Ergebnis. Beispielhaft werden im Folgenden die Prinzipien der Lohngerechtigkeit nach Kößler erläutert. Kößler unterscheidet zwischen drei Kernprinzipien: Anforderungsgerechtigkeit, Leistungsgerechtigkeit und Marktgerechtigkeit, sowie fünf Randprinzipien.
Nach dem Prinzip der Anforderungsgerechtigkeit gilt: „Gerecht erscheint zum einen, bei höheren Anforderungen auch höhere Löhne zu zahlen, zum anderen, Arbeitsplätze mit vergleichbaren Anforderungen gleich zu entlohnen“. 23 Die Leistungsgerechtigkeit bezieht die individuell erbrachte Leistung eines Arbeitnehmers mit ein. Gemessen wird diese z.B. in Stückzahlen oder Umsätzen. Eigens erbrachte höhere Leistung wird höher entlohnt und bei gleicher Leistung gleicher Lohn gezahlt.24 Dass dies noch nicht allseits der Fall ist, wird im folgenden Kapitel im Kontext der Geschlechtergerechtigkeit gesondert erläutert. Die Marktgerechtigkeit thematisiert die Lohnänderungen bei veränderter Marktnachfrage. Geänderte Marktnachfrage führt zu schwankenden Löhnen im Zeitablauf, je nach der herrschenden Marktlage. Als Gerechtigkeitsindiz gilt die freiwillige Zustimmung des Arbeitnehmers im Arbeitsvertrag. Die Bedarfsgerechtigkeit fordert, dass der Lohn sich nach dem persönlichen Bedarf des Arbeitnehmers richtet. Der Lohn für eine Vollzeitstelle soll mindestens die Existenz des Arbeitnehmers sichern. Als gerecht gilt demnach auch, demjenigen mehr zu geben, der mehr braucht, weil er z.B. eine große Familie ernähren muss. Die Bedarfsgerechtigkeit scheitert hier an der Umsetzbarkeit. Kein Unternehmen würde die sozialpolitisch gewollten Mehrkosten auf sich nehmen.25 Das zweite Randprinzip ist die Sozialgerechtigkeit, bei welcher die Verteilung der Einkommenschancen in einer Gesellschaft eine wichtige Rolle spielt. Nach dem Prinzip der Sozialgerechtigkeit gilt es als gerecht, „beschäftigten Arbeitnehmern Lohnverzichte zuzumuten, um mehr Arbeitslose einstellen zu können“. 26
[...]
1 Breuer, Ulrich, S. 203
2 Klees, B., 2003
3 Großhans, S. 8
4 Großhans, S.9
5 Großhans, S.8
6 Großhans, S.8
7 Göbel, S. 146
8 Göbel, S. 146
9 Göbel, S. 146
10 Göbel, S. 146
11 Binswanger, 2020
12 Göbel, S. 147
13 Göbel, S. 147
14 Göbel, S. 147
15 Großhans, S. 10
16 Roman Herzog Institut, S. 2
17 Bundeszentrale für politische Bildung, 2016
18 Göbel, S. 171
19 Betriebsvereinbarungsoffenheit, 2020
20 Sozialpakt, 2013
21 Kestenholz, 2017
22 Göbel, S. 219
23 Göbel, S. 219
24 Göbel, S. 219
25 Göbel, S. 220
26 Göbel, S. 220