Das Gilles de la Tourette Syndrom


Skript, 2001

10 Seiten


Leseprobe


Das Gilles de la Tourette Syndrom

0. Geschichte

Der erste Fall wurde 1825 von dem französischen Arzt Itard über die Adelige Marquise de Dampierre beschrieben. Später befassten sich auch Charcot und sein Schüler Georges Gilles de la Tourette mit dieser Symptomatik. Gilles de la Tourette verfasste 1885 die erste komplette Abhandlung über das nach ihm benannte Syndrom.

1. Nosologie

1.1. Diagnosekriterien für das Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (GTS)

➪Multiple motorische und einen oder mehrere vokale Tics

➪Tics kommen oft über den Tag vor, gewöhnlich in Schüben.

➪Tics treten fast jeden Tag auf, ticfreie Phasen dauern maximal drei Monate

➪Anatomische Lokalisation, Anzahl, Häufigkeit und Komplexität der Tics variiert über die Zeit

➪Beginn vor dem 18. Lebensjahr; allg. zwischen 2. und 15. Lebensjahr, Hauptmanifestationsalter: 7 Jahre

➪Soziale, schulische und berufliche Leistungsfähigkeit sind beeinträchtigt

➪Die Störung führt oft zu weiteren sekundären Störungen (Depressionen, Unsicherheit, ...)

Nach dem DSM werden folgende Ticstörungen unterschieden:

1.) Gilles-de-la-Tourette-Syndrom (GTS)
2.) Chronic or vocal ticdisorder (CTD) (ist schwächer als GTS)
3.) Transient ticdisorder (vorrübergehende einfache Tics)

Einige Autoren behaupten, daß diese Ticstörungen alle Teil eines gemeinsamen Spektrums von Ticstörungen seien.

1.2. Beschreibung der Tics

➪Plötzliche, schnelle, wiederkehrende, unrhythmische, stereotype Bewegungen oder Vokalisationen

➪Tics sind oft sehr komplex :

- Bewegungstics: Lecken, Spucken, Springen, Grimmassieren, Copropraxie (unfreiwilliges Zeigen von obszönen Gesten), Echopraxie (Wiederholen von Handlungen)
- Vokale Tics: Räuspern, Schnüffeln, Worte, Coprolalie (inadäquates, ungewolltes Sagen von Obszönitäten, kommt bei 30% der GTS-Patienten vor, nur in schweren Fällen)), Echolalie (Wiederholen von Worten und Geräuschen), Palilalie (Wiederholen des vom Patienten gesprochenen letzten Satzes, Wortes oder Silbe)

➪Durch Angst, Müdigkeit, Aufregung und Entspannung können Tics geschürt werden, Alkohol und Orgasmus verursachen, daß die Tics für kurze Zeit verschwinden.

➪Obwohl die Tics unwillkürlich sind, können sie unter starker innerer Anspannung unterdrückt werden. Beim Arzt oder in anderen sozialen Kontexten treten die Symptome teilweise nicht auf. Sind die Kinder dann wieder zu Hause, kommen die Tics wieder.

➪ Wenn die Person die Tics unterdrücken will, treten oft starke Anspannungs- und Angstgefühle auf. Nach der Ausführung des Tics verspüren sie Erleichterrung.

➪ Während des Schlafes können die Tics weiter bestehen bleiben, allerdings in verminderter Form.

1.3. Verlauf

Tourette selbst beschreibt für den Verlauf drei Stadien:

1. Stadium: multiple Tics (Zuckungen im Gesicht, der Glieder oder des ganzen Körpers)
2. Stadium: unartikulierte Schreie treten hinzu
3. Stadium: Echolalie, Coprolalie, ... treten hinzu

1.4. Komorbidität

➪Attention Deficit Hyperactivity Syndrom (ADHD): bei 20-90% aller Tourettekinder (evtl. gemeinsame genetische Grundlage, siehe Kapitel 3)

➪Zwangsstörungen (OCD): bei ca. 50% aller Tourettekinder

➪Selbstverletzendes Verhalten (z.B. Lippen- oder Fingerbeißen)

➪Depressionen, Angst, Persönlichkeitsstörungen und sozialer Rückzug: eher als Folge der Erkrankung anzusehen

➪Lernstörungen

➪Entwicklungsstörungen (Touretteproblematik interferiert in bestimmten kindlichen

Entwicklungsphasen bei der Erreichung der dazu gehörigen Entwicklungsziele (z.B. Individuation, Selbstbewußtsein, Selbstwertgefühl, usw.)

➪Autistische Kinder zeigen hin und wieder GTS

(Außer Depressionen und Angst, Persönlichkeitsstörungen, Entwicklungsstörungen und sozialer Rückzug sollen die komorbiden Syndrome hauptsächlich neurobiologisch verursacht sein.)

1.5. Neuropsychologische Befunde

(Vorsicht bei der Interpretation v.a. von Aufmerksamkeitsstörungen wegen der häufigen Komorbidität von ADHD.)

➪Der allgemeine IQ ist bei GTS-Patienten durchschnittlich, jedoch liegt der verbale IQ deutlich über dem nonverbalen IQ (Handlungen, visuokonstruktive Aufgaben, visuell- räumliche Wahrnehmung,...)

➪Beeinträchtigung v.a. rechtshemisphärisch lokalisierter kognitiver Funktionen

- Probleme in der visuell-räumlichen Wahrnehmung: Abzeichnen und Erinnern der Rey-Osterrieth-Figur
- Probleme im figuralen Gedächtnis
- Feinmotorische Probleme (Purdue Pegboard)

➪Aufmerksamkeitsprobleme, v.a. bei komplexen Aufgaben, serieller Addition, Wechsler- Blockspanne, Letter cancellation vigilance Test (oft konfundiert mit der ADHD- Problematik)

➪Frontalhirnstörungen: Beeinträchtigung in Planung von zielgerichtetem Verhalten, Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit, Impulskontrolle (=>ADHD-Konfunierung)

GTS bleibt ein Leben lang, mit Phasen, in denen die Symptome abnehmen und zunehmen. Meist vermindern sich die Symptome in der Adoleszenz.

GTS wird oft als Schizophrenie, Epilepsie oder exessiv unartige Kinder diagnostiziert. Tourette ist aber weder eine Neurose, noch eine Psychose.

2. Epidemiologie

Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Prävalenzrate, da GTS oft nur schwer von anderen Störungen differenziert werden kann.

➪Prävalenz bei GTS: 0,03-0,05% (3-5 von 10000 Kindern) (dagegen kommen Ticstörungen bei bis zu 1/10 aller Kinder vor)

➪ Jungen sind viermal häufiger betroffen als Mädchen ð GTS kommt in allen Kulturen und Rassen vor

➪Die große Ähnlichkeit der Tics, verbalen Obszönitäten, usw. in allen sozialen Gruppen auf der ganzen Welt sind ein Beweis für die organische Ätiopathogenese von Tourette.

3. Ätiopathogenese

Die Genese von GTS ist (fast) ausschließlich organischer Natur.

3.1. Neuroanatomie

Die wichtigsten bei Tourette betroffenen Strukturen:

➪Abnormalitäten der cerebralen Lateralisation, v.a. in den Basalganglien: Bei gesunden Rechtshändern besteht eine volumenmäßig linksseitige Prädominanz der Basalganglien und des ventrikulären Systems. Bei GTS-Patienten ist diese Asymmetrie aufgehoben.

➪ Weitere Veränderungen in den somatosensorischen Cortices

➪ Thalamus (intralamialer Kern, ventrolateraler Kern, dorsomedialer Kern)

➪Mittelhirn (Substantia nigra, ventrales Tegmentum)

➪dorsolateraler Cortex

➪orbitofrintaler Cortex

➪limbische Bereiche (Cingulum)

➪Corpus Callosum (bei GTS-Patienten teilweise bis zu 20% verkleinert)

Wichtigster gestörter Regelkreis bei GTS:

Motorischer Cortex-Striatum-Globus pallidus-Thalamus-Cortex

(Reguliert die Aktivität (v.a. des motorischen) Cortex und ist wichtig für unwillkürliche Motorik (extrapyramidales System) und Affektregulation.)

Durch PET-Studien konnten in den Basalganglien (v.a. Striatum), im Thalamus, und im fronto-temporalen Cortexbereich Perfusionsabnormalitäten bei GTS entdeckt werden.

3.2. Neurophysiologie

3.2.1. Neurochemie

Vor allem gestörter Monoaminstoffwechsel (Dopamin, Serotonin, Noradrenalin)

Dopamin: (wichtigster Neurotransmitter bei GTS)

➪Hypersensitivität/erhöhte Dichte der D2-Rezeptoren (und auch D1) im Striatum (=Nucleus caudatus und Putamen)

➪Die Hypersensitivität des Striatums auf Dopamin verursacht eine Disinhibition der thalamo-cortikalen Projektionen, d.h. die Aktivität der betroffenen Cortexgebiete steigt an.

➪Der wichtigste Ort der Fehlfunktion des Dopamin liegt in der inneren Schleife der Basalganglien (Fasern von Substantia Nigra pars compacta zurück zum Striatum)

➪Herausgefunden hat man dies anhand von Befunden, wo Tourettepatienten durch Dopaminantagonisten eine Symptomverbesserung erfuhren.

Noradrenalin: (zweitwichtigster Neurotransmitter bei GTS, aber viel geringere Beteiligung als Dopamin)

➪Befunde bei denen Clonidin (ein alpha2-adrenerger Agonist, z.B. Catapresan) eine Symptomverbesserung bewirkten. (siehe genauer unter Kapitel 4)

➪Wird aber meistens eher bei GTS+ADHD benutzt

➪Noradrenerge Afferenzen zu den Basalganglien stammen wahrscheinlich vom Nucleus Ceruleus.

Serotonin:

➪Spielt bei GTS wahrscheinlich nur geringe Rolle, jedoch bei Zwangsstörungen sehr wichtig (OCD als Komorbidität)

➪Patienten mit OCD haben eine fehlende Hemmung von den Basalganglien zu dem mit den entsprechenden Handlungen assoziierten Cortexgebieten (bei orofacialen Tics: orofacialer Motorcortex; bei Zählzwang: präfrontaler Cortex, usw.). Diese Verbindungen sind serotonerg. Darum bewirken SSRIs auch eine Symptomverbesserung.

➪Geringerer Tryptophanspiegel bei GTS nachgewiesen

Weitere Substanzen haben nur eine ganz geringe Beteiligung: Acetylcholin, GABA, Opioide

3.2.2. Elektrophysiologie

➪Es gibt keinen signifikanten Unterschiede im EEG im Vergleich zu Gesunden.

➪Elekltophysiologische Veränderungen sind nicht gekoppelt mit den Tics

➪Vor den Tics tritt kein Bereitschaftspotential auf, vor willkürlichen, geplanten Bewegungen tritt es jedoch auf.

➪Dies unterstreicht die Unwillkürlichkeit der Tics.

➪Wenn gesunde Probanden unwillkürliche Bewegungen erzeugen sollten, so entstand auch kein Bereitschaftspotential, und keine Aktivität im supplementär-motorischen Areal (SMA)

➪Läßt alternative Verbindungen bei der Generierung unwillkürlicher Bewegungen, bzw. Tics und willkürlichen Bewegungen vermuten. Wahrscheinlich werden unwillkürliche

Bewegungen und Tics von den Basalganglien selbst unter Umgehung des SMA generiert. (SMA => für die Planung von Bewegung)

3.2.3. Tourette: Eher eine Störung von cingulären und orbitofrontalen Funktionen?

PET-Studien lassen vermuten, daß GTS eher eine Störung der cingulären und orbitofrontalen Strukturen statt der Basalganglien ist.

Cingulärer Cortex: (eher schwache Beweise)

➪Elektrische Stimulation und epileptische Anfälle im Gyrus Cinguli rufen Tourettesymptome hervor.

➪Oft emotionale Inhalte der Tics

➪Bei OCD kommt es bei Entfernung des anterioren Cingulums zu einer Symptomverbesserung

Orbitifrontaler Cortex: (noch schwächere Beweise)

➪GTS ist eine Disinhibition von Bewegungen und Vokalisationen. Eine Dysfunktion im frontalen Cortex führt zur Enthemmung im Cingulum und in den Basalganglien.

➪Eine PET-Studie zeigte einen erhöhten Ruhemetabolismus im Frontalhirn bei GTS- Patienten.

3.3. Genetik

➪Genetische Faktoren erklären bei der Pathogenese von GTS den größten Teil der Varianz ð es gibt eine familiäre Häufung von GTS

➪Konkordanz bei eineiigen Zwillingen: 53%, bei zweieiigen Zwillingen: 8%

- Da jedoch auch bei genetisch identischen Zwillingen die Konkordanz nicht größer als 53% ist, müssen auch andere Faktoren noch eine Rolle spielen.

➪Einige Studien besagen, daß nicht die Vulnerabilität speziell für GTS vererbt wird, sondern für eine ganze Bandbreite von Störungen wie Ticstörungen, OCD und GTS. In Familien mit GTS-Kindern kommen auch vermehrt OCD-Fälle vor.

➪Weiterhin wird vermutet, daß das Gen / die Gene, die für GTS verantwortlich sind, nicht nur die Vulnerabilität für GTS und OCD sondern auch für ADHD erhöhen. (siehe weiter unter komorbide Störungen in diesem Kapitel.)

3.4. Mögliche Umweltfaktoren

➪Pränatale Komplikationen: z.B. bei Belastung, Streß, Übelkeit/Erbrechen in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten

➪Streptokokkeninfektion:

- Beta-hämolytischer Streptokokkus (GABHS)
- Kann Krankheiten hervorrufen, die zusammengefaßt „Pedriatic Autoimmune Neuropsychiatric Disorder after Streptococcal Infection“ (PANDAS) genannt werden.
- Zu diesen Krankheiten gehören Tics, OCD und GTS.
- Im Serum der Patienten findet man oft Antikörper gegen Basalganglien-Neurone, ähnlich wie bei „Chorea Sydenham“.
- Behandlung mit Antibiotika oder Blutplasma-Austausch

3.5. Tourette und komorbiden Störungen: eine gemeinsame Ätiologie?

3.5.1. Komorbiditätszahlen

GTS-Patienten zeigen oft auch anderes Zwangsverhalten (60% OCD bei GTS), und OCDPatienten zeigen häufig auch einfache und komplexere Tics.

GTS-Patienten haben häufig auch ADHD (20-90%), ADHD-Kinder haben aber nur selten GTS, jedoch ein höheres Erkrankungsrisiko als Normale.

3.5.2. klinischer Vergleich

Alle drei Krankheiten liegen auf der Grundlage einer Disinhibition.

GTS und OCD:

➪bei beiden liegt die Disinhibition repetitierenden unwillkürlichen Verhaltens zu Grunde

➪OCD wird oft auch als „kognitives Gegenstück“ von GTS bezeichnet.

➪ Gemeinsamkeiten:

- Wiederkehrende Verhaltensweisen, gewöhnlich ohne willkürliche Kontrolle
- bei Unterdrückung des Verhaltens: Gefühl der Anspannung
- bei Ausführen des Verhaltens: Gefühl der Erleichterung
- Symptome verstärken sich unter Streß, unter emotionaler Belastung, bei Müdigkeit
- bei GTS oft emotionale, obszöne und aggressive Tics; bei OCD oft emotionale, obszöne und aggressive Handlungen/Gedanken.

➪Differenzen:

- Bei OCD hat das Verhalten einen „Nutzen“ und einen kognitiven Hintergrund, bei GTS nicht

- Bei Unterdrückung entsteht bei OCD eher Angst, bei GTS eher Anspannung

GTS und ADHD:

➪Disinhibition von Impulsivität, Bewegungsdrang, Aufmerksamkeitserhaltung, Belohnungsaufschub bei ADHD

➪Unteraktivität des „Behavioral Inhibitory System“ (BIS), kontrolliert

Selbstregulation (o.g. Verhaltensweisen)

➪OCD und GTS haben tiefgreifendere Überschneidungen als ADHD und GTS

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

3.5.3. Neuroanatomischer Vergleich

Bei allen drei Krankheiten sind die Basalganglien involviert.

Am meisten überlappende Strukturen sind Teile des Striatums, Globus Pallidus, Substantia Nigra, Thalamus und auch der Cortex (v.a. verändertes Volumen und veränderter Blutfluß im Striatum).

➪GTS: Sensomotorische (Bewegungsaspekt) und limbische (emotionaler Aspekt, Anspannung u. Erleichterung, emotionale Inhalte der Tics) Regelkreise

➪OCD: präfrontale (geplante Handlungen), und limbische (emotionaler Aspekt) Regelkreise

➪ADHD: sensomotorische, orbitofrontale und limbische Regelkreise

3.5.4. Neurotransmitter

➪GTS: v.a. zuviel Dopamin (Substantia Nigra pars compacta zurück zum Striatum) ð OCD: v.a. zuwenig Serotonin (Striatum zum Vorderhirn)

➪ADHD: zuviel Dopamin und Noradrenalin

3.5.5. Genetik

➪GTS ist hauptsächlich genetisch bedingt

➪ADHD und OCD sind nur zum Teil genetisch bedingt, aber der hohe Grad der Komorbidität läßt vermuten, daß das/die für GTS verantwortlichen Gen(e) auch eine erhöhte Vulnerabilität für OCD und ADHD hervorrufen.

4. Behandlung

4.1. Medikamentöse Behandlung

4.1.1. klassische Neuroleptika

a) Haldoperidol:

meistverschriebenstes Medikament bei GTS, 4-6 mg, einschleichende Dosierung, Nebenwirkungen: extrapyramidale NW (Dystonie, ...), Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Depressionen, gastrointestinale Störungen

b) Sulprid (z.B. Dogmatil):

weniger extrapyramidale NW

4.1.2. atypische Neuroleptika

Risperidon (Risperdal):

Wirkung bei GTS wird noch erforscht, kaum extrapyramidale NW

4.1.3. weitere Medikamente

a) Nikotin (als Pflaster oder als Kaugummi; nur in geringen Dosen (2 mg Kaugummi)) Wirkungsweise: Verstärkenden Effekt der Neuroleptika. Eigentlich erhöht Nikotin die Dopaminfreisetzung und müßte zu einer Symptomverschlechterung führen. Wird Nikotin aber gleichzeitig mit Neuroleptika (also bei Blockade dopaminerger Rezeptoren) verabreicht, so kommt es zur Symptomverbesserung. Nikotin aktiviert in niedrigen Dosen das Frontalhirn (bei höheren Dosen senkt es die Aktivität). Nun fällt es dem Patienten leichter die Tics willentlich zu unterdrücken. (Inhibition funktioniert wieder.)

b) Antibiotika: zur Behandlung von PANDAS

c) Clonidin (=alpha2-adrenerger Agonist, eigentlich gegen Bluthochdruck) Bei GTS nur geringe Verbesserung, eher indiziiert bei GTS in Verbindung mit ADHD Nebenwirkungen: Schläfrigkeit, Kopfschmerz, Mundtrockenheit, keine extrapyramidalen NW

d) Methylphenidate (Ritalin)

Wird bei komorbidem ADHD zusammen mit Haldoperidol verabreicht. Verbesserung der Aufmerksamkeit. Kann jedoch wiederum selbst Tics hervorrufen. Besser Haldoperidol+Clonidin

e) Selektive Serotonin Reuptake Inhibitoren (SSRI): Indiziiert v.a. bei komorbiden Zwangsstörungen

f) Marihuana

GTS-Patienten , die Marihuana rauchten, wurden teilweise symptomfrei, bei anderen verstärkte sich jedoch die Problematik.

4.2. Psychotherapie

Tics stellen vor allem eine soziale Behinderung dar. Die Fähigkeit Tics und Vokalisationen bei sich selbst und bei Familienangehörigen zu tolerieren ist wichtig. Die Patienten müssen lernen, mit dem Problem zu leben, ohne daß es ihnen und den Angehörigen peinlich ist.

➪Reduzierung seelischen Stresses

➪Den Umgang mit der Krankheit lernen

➪Videotraining (Selfmonitoring)

➪ Verhaltenstherapie

➪Aufklärung der Familie und des Patienten über die Krankheit (sehr wichtig)

➪Entspannungsübungen sind kontraindiziiert, da Entspannung die Tics verstärken kann

4.3. Fallbericht: Symptomverbesserung bei GTS durch schwache elektromagnetische Felder (Sandyk, 1995)

Es gibt bereits Befunde, daß rechtshemisphärische Funktionen bei Alzheimer-, Parkinson- und MS-Patienten durch schwache elektromagnetische Stimulation verbessert werden können. (Sandyk, 1993) Dieses konnte auch bei einem GTS-Fall gezeigt werden. (Verbesserung der visuokonstruktiven Fähigkeiten kann auch eine Minderung der Lernschwierigkeiten bewirken.)

➪Patient: 6 ½Jahre alter Junge mit GTS

➪Rechtshemisphärische Dysfunktionen bei:

- Draw-A-Person-Test
- Rey-Osterrieth-Figur
- Drawing a house from the memory

➪Mehrere Behandlungen mit elektromagnetischen Feldern:

- 24 Spulen über dem Scheitel

- 7,5 pT (Picotesla, 1pT = 1Billionstel Tesla (10-12 )); 4Hz

- jeweils zweimal 15 Minuten pro Sitzung, dazwischen jeweils 15 Min. Pause

➪ bereits nach der ersten Behandlung:

- Verbesserung der klinischen Symptome (Verhaltenstics leicht besser; vokale Tics ganz weg; Auflösung der Hyperaktivität, der Zwangssymptome und der Aggressivität; Aufmerksamkeitsverbesserung; verbesserter Schlaf)

- Dramatische Verbesserung der visoukonstruktiven Fähigkeiten in den o.g. Tests

- Die Wirkung der Behandlung blieb lange bestehen.

➪Vermutete Wirkmechanismen:

- Bei GTS besteht eine generelle Verminderung der synaptischen Aktivität in limbischen und präfrontalen Strukturen. Elektromagnetische Felder können die synaptische Aktivität erhöhen, da sie auf spannungsabhängige Ca-Kanäle wirken und es somit zu einem Ca-Einstrom kommt. Ca triggert die Freisetzung von Neurotransmittern aus den Vesikeln, was die synaptische Aktivität wiederum erhöht.
- Elektromagnetische Felder beeinflussen auch neuroendokrine Systeme, besonders die circadianen Rhythmen von Melatonin (= Schlafhormon aus der Epiphyse) und Serotonin. Melatonin wirkt wiederum auf verschiedene Neurotransmittersysteme, die wiederum die Aufmerksamkeit beeinflussen. Melatoninrezeptoren wurden auch im limbischen System, im Striatum und der Formatio Reticularis gefunden.
- Kritik an der Studie: keine Kontrollgruppe

5. Literaturverzeichnis

Arzimanoglou, A. A. (1998), Gilles de la Tourette syndrome. Journal of Neurology, 245:761- 765.

Brovedani, P., Masi, G. (2000), Tourette’s syndrome in children: neurological, neuropsychological and psychiatric issues. Panminerva Medica, 42:141-149.

Erdmann, R. (1996), Nikotin bei neuropsychiatrischen Bewegungsstörungen. Fortschritte der Neurologie Psychiatrie, 64:362-366.

Kolb, B., Whishaw, I.Q. (1996), Neuropsychologie. Spektrum Akademischer Verlag, 512- 515.

Masi, G., Brovedani, P. (2000), Tourette’s syndrome in children: Neurobiological issues in pathophysiology. Panminerva Medica, 42:61-67.

Robertson, M.M. (2000), Tourette syndrome, associated conditions and the complexities of treatment. Brain, 123:425-462.

Robertson, M.M., Stern, J.S. (1997), Gilles de la Tourette syndrome. British Journal of Hospital Medicine, 58,6:253-256.

Sandyk, R. (1995), Improvement of right hemispheric Functions in a child with Gilles de la Tourette’s syndrome by weak electromagnetic fields. International Journal of Neuroscience, 81:199-213.

Sheppard, D.M., Bradshaw, J.L., Purcell, R., Pantelis, C. (1999), Tourette’s and comorbid syndroms: Obsessive compulsive and attention deficit hyperactivity disorder. A common etiology? Clinical Psychology Review, 19,5:531-552.

Weeks, R.A., Turjanski, N., Brooks, D.J. (1996), Tourette’s syndrome: a disorder of cingulate and orbitofrontal function? QJM, 89:401-408.

Ende der Leseprobe aus 10 Seiten

Details

Titel
Das Gilles de la Tourette Syndrom
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Veranstaltung
klinische Psychologie
Autor
Jahr
2001
Seiten
10
Katalognummer
V104239
ISBN (eBook)
9783640025947
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Dies ist ein zehnseitiger Überblick über die wichtigsten Aspekte des Tourette-Syndroms. Ich bearbeitete dieses Thema als Eingangsreferat für die Diplomprüfung in klinischer Psychologie.
Schlagworte
Gilles de la Tourette Syndrom, Tourette, ADS, ADHD, Zwangsstörungen
Arbeit zitieren
Marco Bartz (Autor:in), 2001, Das Gilles de la Tourette Syndrom, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104239

Kommentare

  • Gast am 22.1.2003

    Das Gilles de la Tourette-Syndrom.

    Betrifft eine Aussage von Ihnen in Ihrer Arbeit Das Gilles de la Tourette-Syndrom: "Im Serum der Patienten findet man oft Antikörper gegen Basalganglien-Neurone, ähnlich wie bei Chorea Sydenham"

    Sehr geehrter Marco Bartz!

    Konnten Sie zu dieser These schon weitere Informationen sammeln und wie würden Sie aktuell den Wert dieser Erklärungsoption für die Symptome des TS einschätzen?

    Vielleicht höre ich von Ihnen ...?

    MfG

    Hermann Krämer (46 J - 34 Jahre mit TS)

    Tourette-Syndrom-Homepage: http://tourex.beep.de

  • Gast am 11.12.2001

    Hausarbeit über GTS.

    Hallo Marco,

    hast Du schon mal darüber nachgedacht, diese Hausarbeit über http://www.tourette.de zu veröffentlichen?

    Schau doch mal hinein!

    Viel Erfolg bei Deiner Diplomprüfung!

    Ciao Maria Mahalo

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Titel: Das Gilles de la Tourette Syndrom



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