Schumanns Vertonungen von Heine - Ballade


Hausarbeit, 2001

11 Seiten


Leseprobe


Schumanns Vertonungen von Heine - Ballade

Einleitung

Zu seinen Lebzeiten ist Heinrich Heines Lyrik häufig vertont worden. Sowohl die volksliedähnlichen Strukturen als auch die meist ironisch gebrochene romantische Haltung seiner Gedichte, stellten für die zeitgenössischen Komponisten eine nahezu ideale Textgrundlage dar. Nach der romantischen Epoche nahm die Beliebtheit der Heine Texte bei Komponisten ab, um dann im Heine Jahr 1997 wieder einen Höhepunkt zu erleben. Robert Schumann schien eine besondere Affinität zu Heine - Texten zu haben. So entstanden im ,,Liederjahr" 1840 von insgesamt 138 Lied - Vertonungen 45 auf Heine Texte[1]. In der vorgelegten Arbeit soll anhand der beiden Romanzen ,,Belsatzar" [2] und ,,Die Grenadiere" der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis Text und Musik zueinander stehen. Dafür wird eine literaturwissenschaftliche und eine musikwissenschaftliche Analyse durchgeführt, die ich dann miteinander vergleichen werde. Ein Vergleich beider Kompositionen steht am Schluß der Arbeit. Auch wenn ,,Belsatzar" in dem Heine - Zyklus ,,Junge Leiden" hinter der Romanze[3],,Die Grenadiere" steht, werde ich als erstes ,,Belsatzar" untersuchen, da diese Vertonung als eine der ersten Kompositionen Schumanns im Jahr 1840 gilt[4].

1. Kapitel: ,,Belsatzar"

Der Stoff für ,,Belsatzar" entstammt der Bibel, Buch Daniel, Kapitel 5. In der biblischen Vorlage wird ein Fest Belsazars geschildert, währenddessen er sich betrinkt und im berauschten Zustand Gott lästert, indem er und seine Festgäste aus einem geheiligten Becher des jüdischen Tempels trinken. Daraufhin erscheint eine Feuerhand, die den Spruch ,,mene mene tekel ufarsin" an die Wand schreibt. Belsazar verspricht Macht und Reichtum demjenigen, der ihm die Schrift deuten kann. Keiner der herbeigerufenen Weisen des Königs ist dazu fähig. Daniel wird gerufen, er lehnt die Geschenke ab, deutet dem König aber die Schrift dahingehend, daß die Tage des Königreiches gezählt seien, Belsazar vor Gott nicht bestehen könne und daß Babylonien an die Medäer und Perser fallen werde. In der Nacht nach dieser Weissagung wird Belsazar umgebracht. Heine wandelt den Stoff insofern, daß er Belsatzar alleine den Frevel begehen läßt, die Deutung des Spruchs durch Daniel streicht und so die Schrift als Rätsel bleibt. In der Romanze wird Belsatzar von seinen Knechten umgebracht. Dadurch wird ein inhaltlicher Akzent gesetzt: Die Knechte handeln aus Angst vor der Lästerung, die sie nicht mitvollzogen haben, und aus der Erkenntnis, daß es eine höhere Macht als Belsatzar gibt. Heine faßt diesen Stoff in einundzwanzig Verspaare, die anfangs in gleichmäßigen vierhebigen Jamben im Paarreim angeordnet sind. Dieses Reimschema wird das ganze Gedicht über durchgehalten. Ab dem dritten Paar wird der Rhythmus unregelmäßig, er verwendet Daktylen und Anapästen, die Verspaare sechs und acht sind wieder jambisch. Durch die Rhythmuswechsel erreicht Heine eine unstete Grundstimmung, womit er das rauschende und in der Stimmung ambivalente Fest illustriert. Das Gedicht läßt sich in drei Abschnitte gliedern: Der erste Abschnitt (Vers 1-10) beschreibt Ort, Zeit und Atmosphäre eines Königmahls. Der zweite (Vers 11-26) stellt zwei Gotteslästerungen des Belsatzar dar. Die erste nur durch Worte, die zweite als Tat. Im dritten Abschnitt (Vers 27 - 42) wird die übernatürliche Erscheinung und der Mord an Belsatzar durch seine Knechte geschildert. Heine benutzt häufig Elemente der Alltagssprache, die leicht verständliche klare Bilder evozieren. Durch diese formalen Mittel wird ein eingängiger Volkston erreicht, der das Thema besonders hervorhebt. Thema ist der Tyrann, dem das Volk gezwungener Maßen zujubelt, ihn aber fallen läßt, sowie sich zeigt, daß es Mächtigere als ihn gibt. Da dieses Gedicht innerhalb eines Zyklus' steht, ist es angebracht, auch einen Blick auf den inhaltlichen Bezug zu den es umgebenden Romanzen zu werfen. ,,Belsatzar" vorangestellt ist ,,Don Ramiro", eine Dichtung mit Gespenstersujet, in welcher der unerhörte Liebende seiner Angebeteten als Vision bei ihrer Hochzeit erscheint und diese zum Tanz auffordert. Nachdem die Braut diese Vision hatte und den Namen Don Ramiro nennt, berichtet ihr Bräutigam, daß dieser bereits mittags starb. Diese Romanze bezieht sich inhaltlich direkt auf ,,Belsatzar". Eine Gespenstererscheinung während eines ausgelassenen Festes wandelt die Stimmung in einen bedrohlichen Stimmung. Am Ende steht wie bei Belsatzar der lapidare Bericht über den Tod eines Menschen. Ebenso läßt sich ein Bezug zu dem nachfolgenden Gedicht ,,Die Minnesänger" herstellen. Auch hier wird ein Fest, ein Turnier geschildert. Jedoch stehen das Werben um Liebe und die emotionale ,,Todeswunde", die eine unerfüllte Liebe entstehen läßt im Vordergrund, wodurch zu den nächsten Romanzen im Zyklus übergeleitet wird. Schumann komponiert die Ballade ,,Belsatzar" am 7.Februar 1840 und schreibt an Clara: ,,Ich schwärme jetzt viel Musik wie immer im Februar. Du wirst Dich wundern, was ich alles gemacht in dieser Zeit - keine Klaviersachen [...]" und am 24. Februar 1840: ,, [...] Außerdem noch eine Ballade ,,Belsatzar" [...] Meistens mache ich sie [die Lieder] stehend oder gehend, nicht am Clavier. Es ist doch ganz andere Musik [als die Klaviermusik] viel unmittelbarer und melodiöser."[5] Die Ballade ist als durchkomponierte Form konzipiert, läßt sich aber in drei, jeweils durch Klavierzwischenspiele getrennte Strophen einteilen. Diese Einteilung hat Schumann nach dramaturgischen Gesichtspunkten getroffen. Die erste Strophe schildert das Festgelage (Vers 1 - 16 / Takt 1 -35) und die erste Lästerung Jehovas durch Bel- satzar. Das Lied beginnt mit einem zweitaktigen Klaviervorspiel, das aus unruhigen Sechzehntelbewegungen besteht, die durch einen verminderten Dominantseptnonakkord, mit Sekundreibung eingeleitet, und im zweiten Takt leicht variiert wiederholt werden. Dieses Motiv läßt eine Gefahr ahnen, die im Text anfangs noch nicht geschildert wird[6]. Gleichzeitig illustriert es in seiner Drehbewegung die Trunkenheit der Festgesellschaft. Die Gesangsstimme beginnt im dritten Takt auf der Tonika (g-Moll) in Piano den Text auf eine einfache Melodie zu deklamieren, während das Klavier zwei weitere Takte das Motiv des Vorspiels vorträgt und es dann zu variieren beginnt. Gänzlich aufgelöst wird diese Figur in T. 14. Gleichzeitig erhält die Melodie durch punktierte Rhythmen einen marschähnlichen Charakter, durch die die Knechte des Königs beschrieben werden. Ab t15 beginnt die erste Forte - Stelle der Gesangsstimme. Die rechte Hand der Begleitung spielt leere Oktaven, in der linken Hand werden die Töne der Gesangsstimme colla voce geführt und durch Terzen ergänzt. Durch diese Mittel erreicht Schumann eine musikalische Illustration des Festes. Den Höhepunkt des Festes schildert Schumann in den Takten 14 bis 22, in denen die dynamische Bezeichnung durchweg forte / fortissimo lautet und der Spitzenton g' oft gesungen wird. Nach dieser Beschreibung der äußeren Umstände des Festes richtet sich der Blick ab T. 22 auf die größenwahnsinnige Haltung Belsatzars. Die Dynamik wechselt wieder ins Piano. Die Begleitung ähnelt der in den Takten 14 - 18, die Oktaven in der rechten Hand werden aber im Unterschied zu der ersten Stelle harmonisiert. Wie vorher schildert diese Begleitung einen Höhepunkt, der sich sukzessive durch dynamische Steigerung, Verdichtung des Satzes, Harmonisierung der Oktaven, Komplementärrhythmik und Akzentuierung aufgebaut hat. Hier wird aber kein äußerer, sondern ein innerlicher Höhepunkt geschildert. Belsatzar ist vollständig betrunken und lästert Jehova. In diesem Stadium bekommt er noch die Zustimmung seiner Knechte. Der berauschte Zustand wird durch die Begleitung in aufsteigenden auftaktigen Sechzehntelbewegungen illustriert. Die zweite Strophe (Zeile 17 - 26 / T. 36 - 60) befaßt sich mit der Schändung des heiligen Bechers. Das erste Zwischenspiel entspricht dem Vorspiel, setzt aber in der Oberquart ein. Es vollzieht sich eine dynamische Steigerung von einem Piano am Anfang zu einem Forte am Schluß der Strophe. Sie schließt mit einer Phrase, die auf dem Spitzenton g' mit Akzent auf das Wort ,,ich" (bin der König von Babylon) beginnt. Erst in dem Moment als der König den heiligen Becher ergreift, beginnt das Crescendo, welches zusätzlich durch ein Riterdando verschärft wird und der eigentliche Hö- hepunkt - ungewöhnlicher Weise - in einem Rezitativ dargestellt wird. Die Begleitung weist in der rechten Hand durchgehend synkopische Sechzehntelbewegungen auf, die ab T. 49 erneut leere Oktave umfassen. Die linke Hand spielt eine einfache Melodie, die ab T. 52 durch Oktaven verdoppelt wird. Dieser stetige Aufbau entspricht genau der Dynamik im Text. Nachdem die Lästerung ausgesprochen ist, verstärkt Schumann die Spannung in der dritten Strophe durch ein vorangesetztes viertaktiges Zwischenspiel, welches das Motiv des ersten Zwischenspiels aufgreift, es aber oktaviert . In dem Moment, in dem die Gesangsstimme mit der dritten Strophe (Vers 27 - 42 / T. 61 - 99) einsetzt, beginnt eine Reduktion der musikalischen Mittel, die der Steigerung im Text entgegengesetzt ist. Die bisher vorherrschende unruhige Sechzehntelbewegung der Begleitung wird durch gleichmäßig pulsierende Achtel ersetzt, die Stimme unterbricht immer wieder ihre Deklamation, nach dem ersten Reimpaar der 3.Strophe sogar für fünf Takte Klavierzwischenspiel. Dieses ist auf den pulsierenden Achteln aufgebaut und läßt in der Melodik, dem Text entgegenstehend, keine Gefahr ahnen. Ab der Erscheinung der Geisterhand (T. 75) kommt es zu einer ,,Zangenbewegung[7] ". Der Baß steigt sekundweise auf während sich die Stimme in Sekunden abwärts bewegt. Das Ende der Erscheinung wird durch Halbschluß und durch eine anschließende Generalpause verstärkt. Die Reaktionen auf die Vision ist in rezitativischer Form vertont, in der noch einmal Dynamik und Tempo reduziert werden. Schumann setzt den musikalischen Spannungsablauf bewußt gegen den der Textvorlage, um dadurch einen größeren Effekt zu erzielen. Die durchgehende deklamatorische Gesangsweise, die an den entscheidenden Stellen sogar rezitativisch begleitet wird, stellt sicher, daß die Grausamkeit der Handlung auf jeden Fall deutlich bleibt. Schumann schildert die Wendung eines rauschenden Festes zu Angst und Tod durch die kontinuierliche Zurücknahme musikalischer Mittel. Friedrich Schnapp deutet diese Behandlung des Materials und die im Erstdruck der Komposition als Text vorangestellte Romanze: ,,Schumann hatte solche Ehrfurcht vor dem genialen Stück Heinischer Gestaltungskraft, daß er seiner 1846 erschienen Komposition den Text gesondert vordrucken ließ; meines Wissens der erste Fall in der Musikliteratur."[8] Über diese Ballade hat es in der Forschung zahlreiche abschätzige Stimmen gegeben, die Schumann ,,kindliche Naivität"[9], ,,motivische Zergliederung"[10], oder gar falsche Behandlung des Stoffes[11] vorhielten. Eine wesentliche Problematik des Textes ist die Weitläufigkeit der Motivik und Stimmungen. Jedoch scheint mir die Motivwahl Schumanns sehr bewußt gesetzt. Durch das erste Motiv nimmt er das Gefahrenmoment vorweg. Er wählte eine klare Aufgabenverteilung von Klavier und Stimme, indem er letztere den Text deklamieren läßt und nur an wenigen Stellen auf eine lyrische Melodieführung Wert legt, dem Klavier aber die Illustration der Stimmungen und Gefühle überläßt, die jedoch nicht zeitgleich mit der in der Gesangsstimme geschilderten Emotion auftreten müssen. Der Vorwurf der Naivität wird für mich obsolet, da ich annehme, daß diese zeitliche Verschiebung von geschilderter und illustrierter Emotion gewollt ist, da durch das zeitliche Auseinanderklaffen der Stimmungen in Begleitung und Gesang ein großer Spannungsmoment entsteht, den Schumann intensiv genutzt hat. Der Komponist verfolgt mit der Vertonung dieser Ballade durch die beschriebenen Mittel die Verstärkung des Textes in Richtung einer einprägsamen Gruselballade, die im Sinne des Volkstones ist.

2. Kapitel: ,,Die Grenadiere"

Historische Grundlage für Heines Romanze ,,Die Grenadiere"[12], die in den Jahren 1819/20 entsteht, ist der Rußlandfeldzug Napoleons im Jahre 1812. Heine beschreibt in dieser Romanze den Rückmarsch zweier in Gefangenschaft geratener, französischer Grenadiere, die in einem deutschen Quartier von der Niederlage der französischen Armee und der Gefangenschaft ihres Kaisers erfahren. Darüber beginnen beide zu klagen und sich ihrer Schmerzen zu erinnern. Anhand der Wünsche, die die beiden äußern, entwirft Heine zwei vollkommen unterschiedliche Charakterbilder. Der erste Grenadier ist ein patriotistischer Heißsporn, ihm widmet Heine fünf Strophen (Strophen 5 - 9), in denen der Soldat eine Art letzten Willen verkündet und eine Vision hat, wie er auferstehen wird, wenn der Kaiser, zurückgekehrt aus der Gefangenschaft, über sein Grab reitet. Mit dieser Vision spielt Heine auf den Barbarossa - Mythos an, der besagt, daß Friedrich I solange in dem Berg Kyffhäuser mit seinem Heer schlafen wird, bis es Zeit ist, das alte Kaiserreich wieder zu errichten. Dann wird er auferstehen und Deutschland erneut beherrschen. Dieser Mythos wurde vor allem durch Friedrich Rückerts ,,Barbarossa" Ballade (1815) wieder bekannt. Gerade in dieser Zeit, in der die Demokratiebewegung aufkam, war diese Vorstellung bei Monarchisten und Konservativen sehr beliebt. Der zweite Grenadier ist ein familienbezogener Mensch, der zwar auch über den Verlust der französischen Armee trauert, hauptsächlich jedoch nach Hause will, um seine Familie weiter ernähren zu können. Die Romanze besteht aus neun vierzeiligen Strophen mit Kreuzreim und einem nahezu regelmäßigen daktylischen Rhythmus. Die vier letzten Strophen sind der Vision des Grenadiers vorbehalten. In dieser überzeichnet Heine den Charakter des Soldaten in so starker Weise, daß die Kaiserverherrlichung in einem ironisch gebrochenen Ton erscheint. Wie in der zuerst beschriebenen Romanze verwendet Heine eine leicht verständliche, mit Ausdrücken des Alltags versetzte Sprache, mit gleichmäßigem Rhythmus, die sich schnell einprägt. Thema dieser Romanze ist der Volkskaiser, der, obzwar nicht demokratisch gewählt, von seinem Volk unabdinglich geliebt wird, für den man bereit ist zu sterben und dem sogar die messianische Gabe der Totenerweckung zugesprochen wird. Im Kontext des Zyklus kann man einen Bezug zum vorangehenden Gedicht an der Überschrift erkennen. Es ist mit ,,Lied des Gefangenen" überschrieben. Gegen die starke, an Sarkasmus grenzende Ironie dieser Romanze setzt Heine die extreme Kaiserverehrung und Ernsthaftigkeit der ,,Grenadiere". Durch den krassen Aufeinanderprall dieser so divergierenden Grundeinstellungen wird eine Abschwächung des Inhalts erreicht . Warum schreibt Heine, der auch zu seinen Lebzeiten den Ruf eines Freigeistes und Demokraten genoß, ein derart verherrlichendes Gedicht auf Napoleon? In seinen ,,Reisebildern - Reise von München nach Genua" findet man im Kapitel XXIX folgenden Satz: ,, [...] meine Huldigung [an Napoleon] gilt nicht den Handlungen, sondern nur dem Genius des Mannes, unbedingt liebe ich ihn nur bis zum achtzehnten Brumaire[13] - da verriet er die Freiheit. Und er tat es nicht aus Notwendigkeit, sondern aus geheimer Vorliebe für den Aristokratismus."[14] Diese Verehrung ist einerseits auf den Einsatz Napoleons für die Emanzipation der Juden, andererseits auf eine Provokation Heines gegen den damals in Deutschland vorherrschenden Napoleonhaß zurückzuführen. Vor allem aber verdankte Heine Napoleon die französische Staatsbürgerschaft, die er erhielt, da Düsseldorf zwischen 1806 und 1813 französisch war. Dadurch mußte er, nach seiner Exilierung 1831, nicht wie andere Regimekritiker (z.B. Marx) die Abschiebung aus Paris nach Deutschland befürchten. Knapp dreißig Jahre nach Entstehung der Romanze nimmt sich Schumann diese als Vorlage zu einer Ballade, die er als op. 49 N°1 zusammen mit den beiden anderen Balladen ,,Die feindlichen Brüder"[15] (Heine) und ,,Die Nonne" (Fröhlich) 1843 veröffentlicht. Schumann faßt in einer durchkomponierten Form die neun Strophen der Romanze zu fünf Abschnitten zusammen. Durch die Tempobezeichnung ,,Mäßig" im Zusammenhang mit einem Marschrhythmus, der durch Triolen aufgeweicht wird und die Wahl einer Molltonart erreicht Schumann den Eindruck eines Trauermarsches, der die Schwere und das Verhängnisvolle der Situation ausdrückt. Teil A (Strophe1 und 2 / T. 1 - 18) wird im Vorspiel von einem Marschmotiv eingeleitet, in T. 2 erscheint eine Bewegung aus vier Sechzehnteln, die durch das ganze Lied, häufig am Ende einer Verszeile, wiederholt wird.

Mit einer sehr einfachen harmonischen Struktur wird eine starke Eingängigkeit evoziert. Die Eintönigkeit und Müdigkeit der Soldaten zeigt sich auch daran, daß am Ende der zweiten und vierten Textzeile nicht ein Halbschluß steht, sondern die Dominante durch Lamentobaß in die Tonika, am Anfang des nächsten Verses, geführt wird.

In T. 5 und 9 wird die linke Hand colla voce geführt. Die zweite Strophe wird nicht mit dem Marschmotiv, sondern mit liegenden Akkorden begleitet. An diese Strophe schließt sich ein Zwischenspiel an, welches dem Vorspiel entspricht und in den zweiten Abschnitt (Strophe 3 und 4 / T. 19 - 36) überleitet. Anfangs entspricht dieser in der Melodieführung Teil A, wird aber ab dem zweiten Vers der dritten Strophe in ein Rezitativ gefaßt. Direkt an Teil B ist Teil A' (Strophe 5 und 6 / T. 36 - 52) angeschlossen. Schumann verwendet in diesem Teil den Melodievorrat des ersten Abschnitts, verändert aber den Rhythmus. In der sechsten Strophe, die ,,nach und nach bewegter" überschrieben ist, ändert er die Begleitung der rechten Hand in synkopische Achtelbewegungen, die arpeggiert den Tonvorrat der zweiten Strophe aufgreifen. Die siebte Strophe steht als Überleitung zu Teil C vier Mal auf dem Dominantseptakkord mit gleicher Melodie unter der Tempobezeichnung ,,Schneller", wodurch eine enorme Steigerung hin zum C Teil (Strophe 8 und 9 / T. 60 - 82) erreicht wird. Dieser Abschnitt steht in der gleichnamigen Durtonart G - dur und zitiert die französische Nationalhymne[16]. Das Nachspiel kehrt in der Klavierstimme zurück nach g - moll, die letzten zwei Takte sind ,,Adagio" überschrieben. Gerald Moore deutet das Nachspiel als Tod des ersten Grenadiers.[17] In dieser Ballade huldigt Schumann, wie vorher Heine, den Idealen der französischen Revolution, indem er die Marseillaise zitiert, die er auch im ,,Faschingsschwank aus Wien" und in der Ouvertüre zu ,,Hermann und Dorothea" verwendete. Das ist im Klima der Restauration des mittleren 19. Jahrhunderts eine eindeutige und mutige politische Stellungnahme.

3. Kapitel: Vergleich der Kompositionen

Die Textvorlagen der beiden besprochenen Kompositionen sind in ihren Inhalten und im formalen Aufbau sehr unterschiedlich. In der Romanze ,,Belsatzar" entwirft Heine ein differenziertes Stimmungsbild, indem eine krasse Änderung der Stimmungslage stattfindet. Durch die Veränderung der Stimmung wird der Charakter des Protagonisten geschildert. ,,Die Grenadiere" schildern durchgehend eine gleichbleibende Stimmung, durch die auch ein klarerer formaler Rahmen gefordert ist. In dieser Ballade findet die Handlung nicht durch die Charaktereigenschaften eines Protagonisten statt, sondern die Handlung wird benutzt um einen Charakter zu beschreiben. Beide Gedichte transportieren bei Heine eine klare politische Stellungnahme, durch die auch die oben geschilderte Personenbehandlung klar wird. Belsatzar ist der Gewaltherrscher, der sich durch sein Verhalten selbst ins Unglück stürzt, die Grenadiere folgen einem positiven Vorbild, durch das ihre Handlungen gesteuert werden. Gleichzeitig wird in dem zuerst beschriebenen Gedicht der Blickwinkel eines Herrschers geschildert im zweiten Gedicht der von Beherrschten. Bei Schumann stehen beide Kompositionen in g-Moll, das, laut Boetticher, von Schumann für schicksalsschwere und düstere Zustände eingesetzt wurde.[18] In Belsatzar verwendet Schumann eine stark differenzierte Motivik und eine komplexe Harmonik, um die verschiedenen Stimmungen der Vorlage möglichst genau ausdeuten zu können. Untypisch für Schumann - Lieder steht in diesem Fall der Text im Vordergrund. Hier dient die Musik der Illustration eines bedeutenden Textes, die Interpretation durch den Komponisten tritt in den Hintergrund zugunsten der Vorlage. Die musikalische Ausdeutung beschränkt sich auf die Betonung des balladesken Charakters, des ,,ganz Anderen" (siehe Fußnote 2) was Belsatzar widerfährt. Dadurch tritt die politische Dimension in den Hintergrund. In ,,Die beiden Grenadiere" interpretiert Schumann den Text durch die Musik. Er verwendet verschiedene Mittel um die beiden Grenadiere zu charakterisieren, unterstreicht damit die im Text angelegten Charakterzüge der beiden Soldaten. Er betont durch die Verwendung der Marseillaise die politische Bedeutung stark und nimmt dadurch Stellung zu dem revolutionären Gedankengut Frankreichs. Mit dem Nachspiel, das in einem Großteil der Literatur als Zusammensinken des toten Grenadiers gedeutet wird, gibt er dem eigentlich heroisch endenden Text einen ganz neuen Schluß, den man bei Heine nicht wiederfinden kann, und der dadurch der Ballade eine ganz eigene Dimension gibt. Schumann verwendet für zwei sprachlich unterschiedliche Texte ebenso unterschiedliche kompositorische Mittel. Fischer-Dieskau deutet dies als Entwicklung in dem Sinne, daß Schumann aus der Erfahrung der motivischen Zergliederung seiner Belsatzar Vertonung mit der Wahl des zweiten Textes dieses Problem gleich von Anfang umgangen hätte[19]. Ich bin der Meinung, daß Schumann durch die differenzierte musikalische Behandlung der beiden Texte beweist, welch feines Gespür er für Literatur hatte, was aus seiner Biographie heraus nicht weiter verwunderlich ist. Er schreibt in seinen Jugendtagebüchern über die Vorstellung, Schriftsteller zu werden, und er half seinem Vater bei einigen schriftstellerischen Arbeiten. Daß er wenig ,,zweitklassige" Lyrik vertonte, unterstützt dieses Argument zusätzlich. So schreibt er in dem Aufsatz 119 ,,Lieder und Gesänge": ,,[..]am meisten [wurden] Uhland und Heine komponiert. So entstand jene kunstvollere und tiefsinnigere Art des Liedes[...]"[20]. Heines Gedichte sind in vielen Vertonungen Schumanns unsterblich geworden. So sind sowohl die in der ,,Dichterliebe" verwendeten Gedichte des ,,Lyrischen Intermezzos", als auch die Texte zu den zwei besprochenen Balladen ohne die Musik Schumanns für den heutigen Rezipienten fast undenkbar. Beider Ideal war der in der Romantik beliebte und geachtete Volkston. Dieses Ideal hat Schumann in den Balladen kongenial in Musik umgesetzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

[...]


[1] Metzner, Günther: Heine in der Musik, Band 7.

[2] Der Versuch die Schreibweise ,,Belsatzar" in Heines Ballade zu erklären ergab folgendes: Sie erscheint so nicht in der biblischen Vorlage. Der König trägt den Namen Belsazar (babylonisch: Bel, den König schütze). Prophet Daniel trägt den Beinamen Beltsazar (babylonisch: (Bel), sein Leben schütze). siehe: Jüdisches Lexikon S. 807. Daher übernehme ich die Schreibweise jeweils dem Text entsprechend.

[3] Die aus Spanien stammende Romanze ist in der Regel heiterer und gelöster als die deutsche Ballade. Formal hebt sie sich von dieser als fallender assonierender Achtsilber (im Deutschen meist fallender Vierheber) ab. In der deutschen Ballade wird ein epischer Vorgang nicht um seiner selbst willen erzählt, sondern um einer meist düsteren Grundstimmung willen, in welcher der Mensch das ,,ganz Andere" erlebt.. (Nach: Braak, Ivo: Poetik in Stichworten, Seite 159, 171) Beide besprochenen Texte erfüllen diese formalen Kriterien nicht und entsprechen auch inhaltlich eher der Ballade.

[4] Friedrich Schnapp gibt ,,Belsatzar" als erste Liedkomposition 1840 an (in: Heinrich Heine und Robert Schumann, 1924), laut Albrecht Dümling vertonte Heine vorher schon einen Shakespeare Text (,,Schlußlied des Narren" op.127 N°4) (in: Heinrich Heine vertont von Robert Schumann, 1981).

[5] Zitiert nach: Lizmann, Berthold: Clara Schumann, Erster Band 1819 - 1840, S. 395, 407.

[6] Die Vorwegnahme der Gefahr in dem Klaviervorspiel erinnert an die Behandlung des Vorspiels in Schumanns ,,Erlkönig" Ballade.

[7] Moore, Gerald: Dichterliebe, S. 278.

[8] Schnapp, Friedrich: Heinrich Heine und Robert Schumann, S. 46.

[9] Rehberg, Paula und Walter: Robert Schumann, Sein Leben und sein Werk, S. 275.

[10] Fischer - Diekau, Dietrich: Robert Schumann, S. 45.

[11] Sams, Eric: ,,The necessary objective treatment was not in Schumanns nature. His music expresses instead of the drama, the changing moods of an imagined onlooker" in: The songs of Robert Schumann, S. 35.

[12] Sowohl Schumann als auch Wagner überschreiben ihre Vertonungen im Jahr 1840 mit dem Titel: ,,Die beiden Grenadiere" bzw. ,,Les deux Grenadiers".

[13] Am 18. Brumaire (9.Nov 1799) stürzte Napoleon das Direktorium, bildete eine Konsulatsregierung und trat als erster Konsul an deren Spitze.

[14] Zitiert nach: Heinrich Heine: Sämtliche Schriften, hrsg. von K. Briegleb, ²1975, München.

[15] Bei Heine mit ,,Zwei Brüder" überschrieben.

[16] An dieser Stelle sei auf Richard Wagners Komposition ,,Les deux Grenadiers" hingewiesen. Ebenfalls 1840 entstanden, weist sie ein Marseillaise - Zitat in der Begleitung ab T. 94 auf. Wagner wollte diese Ballade Heinrich Heine widmen. Als er erfuhr, daß Schumann dieses Gedicht in gleicher Weise vertont hatte, widmete er sie auf ihn um. Siehe auch: Fischer-Dieskau, Dietrich: Robert Schumann, S. 67f.

[17] Moore, Gerald: Dichterliebe S. 156.

[18] Boetticher, Wolfgang: Robert Schumann, S. 504.

[19] Fischer-Dieskau, Dietrich: Robert Schumann, S. 45.

[20] Schumann, Robert: Musik und Musiker, Band 2, S. 147.

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Schumanns Vertonungen von Heine - Ballade
Autor
Jahr
2001
Seiten
11
Katalognummer
V104247
ISBN (eBook)
9783640026012
Dateigröße
426 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schumanns, Vertonungen, Heine, Ballade
Arbeit zitieren
Alexander von Nell (Autor:in), 2001, Schumanns Vertonungen von Heine - Ballade, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104247

Kommentare

  • Gast am 23.5.2002

    BELSATZ??.

    Wo hat der Autor nur den Titel Belsatzar her, mit dem er Heines BELSAZAR verändert?
    Belsatzar kannte ich bislang nicht.
    Eine alte Lutherbibel (1902) hat Belsazer, eine neuere 1987 hat Belsazar.
    Die Elberfelder 1999 hat Belsazar.

    Freundliche Grüße
    Rolf Genzmann

  • Gast am 26.2.2002

    Vertonung der Heine-Ballade.

    Im Titel der Arbeit Schumann und Schubert zu verwechseln, darf eigentlich nicht passieren ...

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Titel: Schumanns Vertonungen von Heine - Ballade



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