Soziale Medien und Verschwörungstheorien. Entscheidungsgewohnheiten im Mediengebrauch


Hausarbeit, 2021

24 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Problemstellung, Zielstellung und Forschungsfrage

2 Was kennzeichnet Verschwörungsideologien

3 Was kennzeichnet eine Verschwörungsmentalität?

4 Einfluss von Internet und Medien
4.1 Die Bedeutung von Internet und Medien für die Verbreitung von Verschwörungsglauben
4.2 Glaubwürdigkeit von Medien

5 Kognitive Geschlossenheit und Verschwörungsglauben

6 Hypothesen

7 Fragebogendesign und Datenerhebung

8 Datenauswertung

9 Zusammenfassung

10 Literaturverzeichnis

11 Anhang

1 Problemstellung, Zielstellung und Forschungsfrage

Die Corona Pandemie stellt enorme Anforderungen an unsere Fähigkeit, Ambiguität zu ertragen bzw. mit Unsicherheit zu leben. Neben diesen situativen Herausforde­rungen ist die Reduzierung von Unsicherheit stark abhängig von den individuellen Persönlichkeitseigenschaften der Betroffenen und deren Informations- und Kommu­nikationsquellen. Dies schafft einen Nährboden für die epidemische Ausbreitung von sogenannten Verschwörungstheorien und deren ungebremste mediale Verbreitung im Internet und den Sozialen Medien.

Um ihre Unsicherheit abzubauen, neigen Verschwörungsgläubige zur Annahme ein­facher Schuldursachen für Ereignisse, die sie geheimen Eliten zuschreiben.

Den Begriff „Verschwörungstheorie“ wird in dieser Studie nicht benutzt, da die darin enthaltenen Aussagen nicht falsifiziert werden können und damit wissenschaftlichen Anforderungen nicht genügen. Stattdessen wird der Begriff der Verschwörungsideo­logie für manifeste, d.h. veröffentlichte Verschwörungsannahmen gebraucht.

Der zentrale Gegenstand der vorliegenden Untersuchung richtet sich auf die Ver­schwörungsmentalität als eine Vorbedingung für Verschwörungsideologien.

Unter Verschwörungsmentalität versteht man eine latente Persönlichkeitseigenschaft: mit einer beständigen Neigung zur Akzeptanz von Konspirationsauffassungen.1 Die­se ist gekennzeichnet durch eine hohe Ambiguitätsaversion verbunden mit starkem Misstrauen, monologischem Denken und einem starken Kontrollbedürfnis. Diese gilt es zu operationalisieren. Dafür bietet sich möglicherweise das Konzept des „Need for Cognitive Closure“ von Arie Kruglanski2 an, welches „das Verlangen nach einer defini­tiven Antwort [...] anstelle von Verwirrung und Ambiguität“3 beschreibt.

Daraus ergeben sich folgende Forschungsfragen:

Ist: die: Persönlichkeitsdimension: von: kognitiver: Geschlossenheit: ein: geeignetes Konstrukt, um Verschwörungsmentalität zu beschreiben?

Ist die Persönlichkeitsdimension kognitiver Geschlossenheit ein geeig­netes Konstrukt, um eine mögliche Beziehung von Medienkompetenz und Verschwörungsmentalität zu überprüfen?

Zur Überprüfung der Forschungsfragen wurde ein Fragebogen entwickelt, der aus drei Skalen besteht. Eine zur kognitiven Geschlossenheit (GKGS-15)4, die auf der deut­schen Version des 16-NCCS von Schlink und Walther5 basiert, eine eigene Skala zur Erhebung von Medienkompetenz (MNS)6 und einer weiteren eigenen Skala zur Er­fassung von Verschwörungsmentalität(VMS).7 Die Datenerhebung mit einer Stichpro­bengröße von n=38 erfolgte mithilfe eines Onlinefragebogens auf der Plattform SoSci Survey.

2 Was kennzeichnet Verschwörungsideologien?

Karl. R. Popper prägte 1945 in seiner Abhandlung „Die offene Gesellschaft“ den Be­griff der Verschwörungstheorie als „unkritische Theorie des Alltagsverstandes“.8 De­ren Annahme, dass immerjemand verantwortlich für alles Böse ist, das in dieser Welt geschieht, nannte er ein gefährliches Vorurteil.9 Das Ergebnis solcher Verschwörungs­theorien sei, dass sie zu wirklichen Verschwörungen führten, zu einer „Geschichte von religiösen Verfolgungen, Verfolgungen um der Rechtsgläubigkeit willen.“10 Den Common Sense verstand er zwar als einzig möglichen Ausgangspunkt, den es aber zu kritisieren gelte, um ihn zu verbessern. Daher plädiert er für einen „kritischen Pluralismus“11, eine Einstellung, die heute als Diversität bezeichnet wird. Auch na­turwissenschaftliches Wissen ist eben „nicht sicheres Wissen“. „Es ist revidierbar. Es besteht aus überprüfbaren Vermutungen“ und gilt nur, solange es nicht falsifiziert wer­den kann.12

Der inflationär gebrauchte Begriff der Verschwörungstheorie muss damit selbst als irreführend betrachtet werden. Da diese von einem nicht reviderbaren inneren Wahr­heitsgehalt ihrer Annahmen ausgeht, erfüllt sie die Bedingungen einer wissenschaft­lichen Theorie nicht.

In seiner klassischen und bekannten Abhandlung „The Paranoid Style in American Politics“ aus dem Jahr 1952 bezeichnete Richard Hofstadter Verschwörungstheorien als „paranoiden Stil“.13 Er legte Wert darauf, diesen Denkstil nicht im klinischen Sinn zu benutzen. „Style has to do with the way in which ideas are believed and advocated rather than with the truth or falsity of their content.”14 Und weiter: “It is the use of para­noid modes of expression by more or less normal people that makes the phenomenon significant.”15 Typisch für einen paranoiden Stil ist immer ein Verfolgungswahn und ein Größenwahn. Bei der klinischen Form von Paranoia fühlt sich die eine Person speziellen persönlichen Angriffen von außen ausgesetzt. Menschen, die einem para­noiden Denkstil folgen, gehen dagegen von der Existenz von elitären Gruppen aus, die sich feindselig gegen eine Gesellschaft, deren Kultur, Lebensart oder Gesundheit verschworen haben. Diese Erkenntnisannahme wird als Erleuchtung erlebt. Damit wird die anfängliche Hilflosigkeit in Großartigkeit verwandelt. Hofstadter beschreibt Verschwörungsideologien als typisch für autoritäre, antidemokratische Strukturen, militante Führer und Charaktere. „[...]in our past history in which the style emerged in full archetypal splendor“16 an anderer Stelle spricht er von “fundamental bias”.17 Während Paranoia auf der Annahme von Manipulation des Einzelnen durch viele beruht, basiert Verschwörungsglaube auf der Annahme der Manipulation von vielen durch wenige (Eliten).18

Verschwörungstheorien haben seit Jahrhunderten einen Platz in unserer Geschichte.

In den letzten 20 Jahren kam esjedoch zu einer starken Verbreitung, die während der Pandemie und der Amtszeit von Donald Trump noch einmal epidemieartig zunahm. Akteure setzten auch sog. Verschwörungsgerüchte in die Welt, die sich auf Andeutun­gen stützen. Sie säten Zweifel, ohne sich selbst festzulegen, und entzogen sich damit der Kritik.19 Bedenklich ist die Zunahme realer Gefahren für Menschen, die von Ver­schwörungstheoretikern nicht nur beschuldigt, sondern auch angegriffen werden. Eine repräsentative Umfrage der Konrad Adenauer Stiftung untersucht Annahmen, dass der Glaube an Verschwörungstheorien auch in Deutschland weit verbreitet ist, ohne dass dies zu der Annahme berechtigt, dass von diesen Personen eine reale Ge­fahr ausgeht.20 Wie später noch ausgeführt wird, müsste man daher m.E. eher von einer Verschwörungsmentalität sprechen, die eine grundsätzlich skeptische Einstel­lung widerspiegelt. Dies begründet daher ein großes Problem, den Glauben an Ver­schwörungstheorien statistisch zu erfassen. Die Zustimmung zu einer spezifischen Verschwörungstheorie muss nämlich nicht zwangsläufig einen Verschwörungstheo­retiker entlarven, da dies lediglich die Zustimmung zu einer entsprechenden Aussage sein kann, die nicht zwingend eine Verschwörungsannahme übernimmt. Daher ist beim Ergebnis der Studie, dass 11% der Befragten die Annahme einer Weltverschwö­rung als sicher und 19% diese als wahrscheinlich beurteilten, Skepsis geboten.

In jedem Fall geht es aber immer um Misstrauen gegenüber sogenanntem belegtem Wissen. Befragt zu ihrer Einstellung bezüglich Verschwörungsannahmen zum Kli­mawandel, zu Geheimdienst und der Masernimpfung vertraten 11% eine verschwö­rungstheoretische Position. Im Vergleich zu anderen erhobenen Faktoren hatte der Bildungsabschluss einen starken Einfluss auf konspirative Annahmen. Die Unter­schiede lagen zwischen 31% bei Menschen mit niedrigen und 6% bei solchen mit ho­hen Bildungsabschlüssen. Der Einfluss des Geschlechts ist nur gering. Kombiniert man die erhobenen Daten, dann ergab sich, dass die Ablehnung von belegten Fakten bei der Altersgruppe zwischen 35 und 49 am höchsten und bei Menschen mit formal niedrigem Bildungsabschluss, Menschen mit Migrationshintergrund und Ostdeut­schen etwas häufiger ist.21

3 Was kennzeichnet eine Verschwörungsmentalität?

Der Begriff stammt von Serge Moscovici.22 Eine Mentalität ist monologisch und für Diskussionen nicht zugänglich.

„They must simply be accepted without discussion. Much like a science sets up its assumptions and axioms, a society makes its assumptions and imposes them, not through discussion, but by placing them above discussion. In short, each member must respect the synthetic rule: „you will not discuss.“23

Unter Verschwörungsmentalität versteht Pfahl-Traughber eine latente Persönlich­keitseigenschaft mit einer beständigen Neigung zur Akzeptanz von Konspirations­auffassungen.24 Diese geht mit einem niedrigen Selbstwertgefühl und ständigem Misstrauen staatlichen Stellen oder Personen gegenüber einher, die als mächtig emp­funden werden. Verschwörungsmentalität ist ständig latent vorhanden, ohne mani­fest zum Ausdruck kommen zu müssen. Menschen mit einer Verschwörungsmentali­tät zeichnen sich durch eine hohe Ambiguitätsaversion aus, die mit monologischen Denkstilen, einem starken Kontrollbedürfnis und Heuristiken verbunden ist. Er sieht diese Disposition als einen Bestandteil des von Adorno ähnlich beschriebenen autori­tären Charakters an.25

Verschwörungideologien beruhen auf fiktiven Ereignissen, die ursächlich falsch un­terstellt werden. Demnach werden alle geschichtlichen Ereignisse als Folge geplanter destruktiver Handlungen von konspirativen Eliten verurteilt, die die Menschheit ma­nipulieren wollen. Demnach gibt es keine Zufälle, alles ist geplant. Eine solche Welt­anschauung, die sich der Sündenbockprojektion bedient, ist dichotom und teilt die Menschen in Gut und Böse, in Täter und Opfer auf.

Verschwörungsakteure identifizieren vornehmlich Juden, Freimaurer, Illuminaten, Kommunisten, Kapitalisten und Geheimdienste als vermeintliche Verschwörer. Sie beziehen sich dabei auf reale Gruppen, denen sie konspiratives Handeln unterstellen. Verschwörungsmythen hingegen beziehen sich auf fiktive konspirative Gruppen, die ihrer Phantasiewelt entspringen.26 Beide zeichnen sich als korrekturresistent aus. Es ist allzu verlockend für komplexe Zusammenhänge eine einfache Erklärung zu fin­den. In den Verschwörungstheorien sind die Antworten vorgegeben und die Fakten werden angepasst.

Ihr Hauptziel ist eine widerspruchsfreie Welt, in der es keine Zufälle gibt. Um dieses Ziel zu erreichen, benutzen sie kognitive Verzerrungen in Form bestimmter Heuristi­ken und Biases.In diesem Sinne definiert Stöcker Verschwörungstheorien als Ergeb­nis von fundamentalen Attributionsfehlern.27

Wie wird aus einer Verschwörungsmentalität eine Verschwörungsideologie?

Erst unter dem Einfluss situativer Faktoren, gesellschaftlicher Ereignisse, Krisen und Katastrophen kann sich aus Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeitsgefühlen eine latent vorhandene Verschwörungsmentalität zu einer manifesten Verschwörungs­ideologie entwickeln. Eine letzte Bedingung ist das Vorhandensein eines „Propagan­disten“, der sich als Anführer anbietet. Er instrumentalisiert die Situation und mobili­siert potenzielle Anhänger zur Akzeptanz bestimmter Verschwörungsideologien.

4 Einfluss von Internet und Medien

4.1 Die Bedeutung von Internet und Medien für die Verbreitung von Verschwörungsglauben.

Heutzutage werden immer mehr Einzelpersonen der Verschwörung beschuldigt, wie z.B. Bill Gates, der durch eine großangelegte Aktion die Menschen chippen wolle, um diese zu kontrollieren. Oder dem Milliardär und Philanthropen George Soros wird unterstellt, dass er das politische System in Osteuropa zerstören wolle. Verschwö­rungsideologien umfassen heute alle erdenklichen Themenkomplexe um technische Entwicklungen, Umwelt, Ernährung und Politik. So geraten Phänomene wie Kon­densstreifen von Flugzeugen ins Visier von Verschwörungsgläubigen. Diese behaup­ten, dass „Chemtrails“ von geheimen Mächten eingesetzt werden, um die Menschheit zu vergiften. Bei der Gesundheit stehen in der Corona-Pandemie Coronaleugnungen, skurrile und gefährliche Ursachenvermutungen und Behandlungsbehauptungen, Maskenverteufelungen und Impfverschwörungen ganz oben auf der Beliebtheitslis­te. Inzwischen gibt es „Mutanten“ der bereits bekannten Annahmen, Impfen erzeuge

Autismus oder sei gefährlicher als Masern. Verschwörungstheoretiker warnen inzwi­schen auch davor,, dass von Geimpften Proteine ausgeschieden werden, die andere unfruchtbar machen. In diesem Zusammenhang wurde berichtet, dass geimpfte Leh­rer an einer Privatschule in Miami von der Schulleitung aufgefordert wurden, keinen regulären Unterricht zu geben, weil sie den Menstruationzyklus ungeimpfter Frauen beeinflussen würden.28

In einem anderen Fall wurde berichtet, dass die republikanische Kongressabgeordne­te Marjorie Taylor Greene im Sender Real America's Voice die Maskenpflicht mit dem Judenstern und dem Holocaust verglichen hatte.

Die glühende Trump-Anhängerin, eine rigorose Impfverweigererin, warb auch offen für QAnon Verschwörungstheorien. Diese glauben u.a., dass Trump systematischen Kindesmissbrauch durch satanische Politiker der US Demokraten aufzudecken ver­sucht habe.29

Neuerdings grassiert die Verschwörungsbehauptung, die neu entwickelten Impfstoffe machten unfruchtbar Auch diffuse Verschwörungsandeutungen breiten sich im Inter­net und den Medien epidemisch aus. Insbesondere auf den Social-Media-Plattformen Facebook, Twitter, Youtube und anderen verbreiten sich Falschnachrichten nieder­schwellig und kaum kontrolliert. Fatal ist, dass Verschwörungsideologien dem Validi- täts-Häufigkeits Effekt folgen: Je häufiger Beiträge verbreitet werden, umso mehr wer­den sie geglaubt. Ein weiterer Effekt ist der Information Bias, der dem Phänomen sog. Echokammern bzw. Filterblasen zugrunde liegt. Dieser Effekt beschreibt die Tendenz von Betroffenen im Netz, nur mit Menschen zu kommunizieren, die die eigene Mei­nung vertreten (geschlossenes System).

4.2 Glaubwürdigkeit von Medien

Eine große Bedeutung kommt der Medienberichtersttung zu. Deutliche Unterschiede in der Mediennutzung zeigten Anhänger von Verschwörungstheorien und solche, die diese ablehnen.

Erstere meiden Printmedien und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, letztere befin­den gerade diese Medien als besonders glaubwürdig und beurteilten unterschiedlich belegtes Wissen als sicher. Während also die Diversität der Berichterstattung die ei­nen überfordert, erhöht gerade diese bei der anderen Gruppe deren Glaubwürdigkeit.

Der öffentlich rechtliche Rundfunk ist mit weitem Abstand die glaubwürdigste Infor­mationsquelle weit vor den Printmedien und vor allem vor den sozialen Netzwerken. Er ist zur Diversität verpflichtet, das heißt, er ist unabhängig vonjeglichen staatlichen oder Werbeeinflüssen. Diversität und Public Value sind Pflichtvorgaben, die sich als Maßgabe aus dem Rundfunkstaatsvertrag ergeben. In allen bisherigen Studien zur Massenkommunikation wurde dem ÖRR die höchste Glaubwürdigkeit vor allen ande­ren Medien bescheinigt. Über zwei Drittel der Bevölkerung empfinden demnach eine diverse Berichterstattung als vertrauenswürdig. Die Studien ergaben auch, dass die Rundfunkteilnehmer, die sich des öffentlichen Rundfunks als Medienquelle bedien­ten, am wenigsten zu Verschwörungsglauben neigen, während Social-Media-Konsum diesen befördert. Daher liegt die Annahme nahe, dass die Menschen, die den ÖRR als diversitätsorientierte Nachrichtenquelle bevorzugen, ein hohes Maß an Ambigu- itätstoleranz zu schätzen wissen. Konträr dazu reagieren Menschen, die sehr stark zu Ambiguitätsintoleranz neigen, mit Verschwörungsglauben. Damit könnte ein Zu­sammenhang zwischen Mediennutzung und der Neigung zu Verschwörungstheorien erklärt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: dimap Studie im Auftrag des NDR30

In der vorliegenden Studie soll eine mögliche Beziehung von Medienkompetenz und Verschwörungsmentalität überprüft werden. Dazu wurde eine Mediennutzer-Skala (MNS-7) mit sieben Items entwickelt.31

5 Kognitive Geschlossenheit und Verschwörungsglauben

Die Fähigkeit, Mehrdeutiges zu ertragen, hat die Psychologin Else Frenkel-Brunswik im Jahr 1949 als „Ambiguitätstoleranz“ bezeichnet.32 Sie definierte Ambiguitätstole­ranz als eine messbare Fähigkeit eines Individuums, die Koexistenz von positiven und negativen Eigenschaften in ein und demselben Objekt erkennen zu können. Das Kon­zept ist in der Zwischenzeit weit genutzt und als „Basisvariable“ von Persönlichkeits­dimensionen anerkannt.

Menschen, die zur Verschwörungsideologie neigen, versuchen der Ambiguität in Poli­tik und Gesellschaft durch verschiedene Maßnahmen der Komplexitätsreduktion zu entgehen. Dies kann zum Pol von Eindeutigkeit führen oder zum Pol der Bedeutungs­losigkeit tendieren: Man folgt einem Anführer oder zieht sich ganz zurück. Immer aber folgt man einer Idee, die sich zu einer Verschwörungsideologie entwickeln kann, die dann eine eigene unkorrigierbare Wahrheit garantiert.33 Dazu werden bestimm­te Heuristiken (Denkstile) eingesetzt die als „fundamentale Attributionsfehler“34 be­kannt sind. Das Ergebnis könnte man auch einfach als „IrrSinn“ bezeichnen ähnlich dem von Hofstadter35 1952 beschriebenen paranoiden Stil.

Geht man der Frage nach, wie man Ambiguitätsaversion mit den einhergehenden Denkstilen der Komplexitätsreduktion messen kann, stößt man auf das Konzept „need for (cognitive) closure“ von Arie Kruglanski36, das seitdem zu einer einflussrei­chen Theorie ausgebaut wurde. Was im Deutschen etwas sperrig als „Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit“ bezeichnet wird, definiert Kruglanski als „an answer on a given topic, any answer ...compared to confusion and ambiguity.“37 Kognitive Ge­schlossenheit wird heute im Internet durch Filterblasen und Echokammern gene­riert, in denen nur noch die Menschen mit ähnlichen Überzeugungen miteinander kommunizieren.38

Neben der Originalfassung zur Messung kognitiver Geschlossenheit mit 47 Items sind verschiedene Kurzfassungen im Umlauf. Zum Beispiel die “NFCS short version (15 items)” von Webster and Kruglanski (1994). Die vorliegende Studie nimmt Bezug auf die 16-NCCS Skala von Schlink und Walther.39

In allen Skalen wurden fünf Faktoren operationalisiert, die den Umgang mit Ambigui­tät charakterisieren.

1. Der Wunsch nach Ordnung (Kontrolle). Typisch: „Ich schätze ein strukturiertes Le­ben, Chaos ist mir zuwider.“
2. Entschlossenheit (Kurzschlüssigkeit). Typisch: „Selbst wichtige Entscheidungen treffe ich schnell und entschieden.“
3. Engstirnigkeit. (Einseitigkeit): Typisch: „Von meinen Standpunkten rücke ich un­gern ab.“
4. Vorliebe für Vorhersagbarkeit (Unsicherheit/Ängstlichkeit): Typisch: „Ich mag es nicht, mit neuen, unsicheren Situationen konfrontiert zu werden.“

5. Ambiguitätsintoleranz (Abneigung gegen Zwiespältigkeit): Typisch: „Ich kann es nicht ausstehen, wennjemand sich unklar ausdrückt.“

Ein hoher oder niedriger Wert auf der Skala für das Bedürfnis nach kognitiver Ge­schlossenheit ist stark vom Ausmaß von Ambiguitätstoleranz abhängig. Daher ist zu vermuten, dass eine Korrespondenz zwischen Geschlossenheitswerten und der Nei­gung für Verschwörungsmentalität existiert.

6 Hypothesen

In dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass mit einem Test der kognitiven Geschlos­senheit Ambiguitätsintoleranz gut dargestellt werden kann. Der GKGS40 beschreibt das Ausmaß für kognitive Geschlossenheit zwischen den Polen Fundamentalität und Pluralität, von monologischem oder dialogischem Denken und damit Denkstile von Verschwörungsmentalität.

Arbeitshypothese 1: Je stärker das Bedürfnis nach kognitiver Geschlossenheit ist, des­to eher neigen Personen zu Verschwörungsmentalität.

Arbeitshypothese 2: Wenn eine hohe kognitive Geschlossenheit gemessen wird, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass Medien mit hohem Diversitätsfaktor abgelehnt wer­den. Ist der Wert für kognitive Geschlossenheit niedrig, ist von einer Präferenz von Medien auszugehen, die sich durch ein hohes Maß an Diversität auszeichnen und so­mit Glaubwürdigkeit generieren.

[...]


1 Vgl. Pfahl-Traughber 2018, „Akzeptanz von Verschwörungstheorien“ S. 33

2 Roets & Van Hiel 2011

3 Schäfer 2020

4 GSKG-15, eigene Skala im Anhang

5 Schlink & Walther 2007

6 MNS, eigene Skala im Anhang

7 VMS, eigene Skala im Anhang

8 Vgl. Popper 2019, „Auf der suche nach einer besseren Welt“, Band 2, S. 202

9 Vgl. ebd. S. 202

10 Vgl. ebd. S. 215

11 Vgl. ebd. S. 217

12 Vgl. ebd. 224

13 Vgl. Hofstadter 2008

14 Vgl. ebd. S. 5

15 Vgl. ebd. S 4

16 Vgl. ebd. S. 10

17 Vgl. ebd. S. 15

18 Vgl. ebd. S.4

19 Vgl. Butter 2018, S. 210f, 218

20 Vgl. Roose 2020, Verschwörung in der Krise, S. 13

21 ebd.

22 Vgl. Moscovici 1984, The Conspiracy Mentality

23 ebd. S. 159

24 Vgl. Pfahl-Traughber 2018, Akzeptanz von Verschwörungstheorien, S. 33

25 ebd. S. 31

26 Pfahl-Traughber: Verschwörungsideologie, Verschwörungsmythos, Verschwörungstheorie, S. 307

27 Stöcker S. 155

28 Vgl. SPIEGEL ONLINE: Privatschule verbietet geimpften Lehrern den Kontakt zu Schülern (28.04.2021)

29 Vgl. FAZ Online: Trump-Verbündete sorgt mit Holocaust-Vergleich für Empörung (24.05.2021)

30 dimap Studie vom 22. Mai 2020: Corona und die Medien

31 Max Christ, 2021

32 Bauer, S. 17

33 Vgl. ebd., S.27

34 Stöcker S. 155

35 Hofstadter 2008

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Soziale Medien und Verschwörungstheorien. Entscheidungsgewohnheiten im Mediengebrauch
Hochschule
Rheinische Fachhochschule Köln
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
24
Katalognummer
V1042545
ISBN (eBook)
9783346463487
ISBN (Buch)
9783346463494
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mediennutzung, Corona, Verschwörungstheorie, Fragebogen, Ambiguität, Unsicherheit, Need For Cognitive Closure, kognitive Geschlossenheit, kognitive, Geschlossenheit, Medienkompetenz, NCCS, Karl Popper, Richard, Hofstadter, paranoid, Verschwörungsmentalität, Moscovici, Pfahl-Traughber, Verschwörungsideologie, Internet, Soziale Medien, Glaubwürdigkeit, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Ambiguitätsintolleranz
Arbeit zitieren
Max Christ (Autor:in), 2021, Soziale Medien und Verschwörungstheorien. Entscheidungsgewohnheiten im Mediengebrauch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1042545

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