Alexis de Toqueville


Seminararbeit, 1997

14 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Übersicht:

1) Die Entstehung des Buches

2) Interpretation des ersten Bandes

3) Interpretation des zweiten Bandes

4) Zusammenfassung und Einschätzung

5) Literatur

1) Die Entstehung des Buches :

Alexis de Toqueville wurde am 29.Juli 1805 in Verneuil-sur-Seine geboren. Er studierte Rechtswissenschaften und trat 1826 in den Justizdienst ein. 1827 wurde er Richter in Versailles. Um sich Anregungen für das französische Justizwesen zu holen, wurde er gemeinsam mit seinem Freund und Begleiter Gustave de Beaumont 1831 in die USA geschickt, um das dortige Gefängniswesen eindringlich zu studieren. Tatsächlich publizierte Toqueville 1833 "Du Systéme pénitentiaire aux Etats-Unis et de son application en France", eine Abhandlung über das amerikanische Gefängniswesen und seine Brauchbarkeit für Frankreich. Der wahre Grund der Amerikareise war, zumindest für Toqueville, das Studium der amerikanischen Gesellschaftsordnung bzw. der amerikanischen Demokratie. Er interpretiert nicht nur die Strukturen der Vereinigten Staaten, sondern beschäftigt sich auch mit ihrer Anwendbarkeit für Frankreich. Toqueville bleibt über ein Jahr in den USA. Als er zurückkehrt beginnt er sofort, seine Eindrücke und Interpretationen niederzuschreiben. 1835 veröffentlicht er den ersten Band seines Werkes " De la démocratie en Amérique".

Der erste Band beschäftigt sich hauptsächlich mit der soziologischen Analyse des amerikanischen Staates. Er geht auf die Strukturen des Bundesstaates ein, genauso wie auf die Struktur von diversen Einzelstaaten. Ein großer Teil des ersten Bandes beschäftigt sich mit der "Allmacht der Demokratie" in Amerika. Toqueville ist begeistert von ihrer Kraft , aber warnt auch vor ihrer Macht, wenn sie mißbraucht wird. Toqueville geht im ersten Band mit detektivischer Kleinarbeit jeder Institution und jedem rechtlichen und gesellschaftlichen Problem auf den Grund.

Toqueville bereist 1833 England und läßt diese Einflüsse des angelsächsischen Rechtswesens ebenfalls in sein Werk einfließen.

Der erste Band seines Werkes wurde 1836 von F.A.Rüder ins deutsche Übertragen. Überall wo sein Werk veröffentlicht wurde, wurde ihm großes Lob und Anerkennung zuteil.

1840 erscheint der zweite Band. Dieser ist zweifellos abgeklärter und reifer als der erste. Toquevilles zweiter Band ist viel abstrakter. Er untermauert nicht mehr alles mit Beispielen, sondern er versucht allgemeine Strukturen demokratischer Gesellschaften zu entwerfen, um diese für die Zukunft zu nützen. Amerika ist nur eine Art Vorwand, um auf die universellen Problematiken demokratischer Gesellschaften hinzuweisen. Toqueville beschreibt in beiden Bänden ein messerscharfes Bild der amerikanischen Demokratie und ihrer Probleme und wagt einen Blick in die Zukunft. So hat er zum Beispiel den Konflikt Russland - USA schon Mitte des 19 Jahrhunderts vorausgesehen.

1841 wird Toqueville in die Académie Francaise gewählt. 1849 wird er für fünf Monate Außenminister Frankreichs. Zur Herrschaftszeit Louis Napoléons wird er 1856 sogar kurzzeitig verhaftet. Alexis de Toqueville stirbt 1859 in Cannes.

2) Interpretation des ersten Bandes :

In seinem ersten Band ist Toqueville vor allem von der Gleichheit fasziniert. Von der Gleichheit der gesellschaftlichen Bedingungen ebenso wie von der Gleichheit der Menschen vor Gericht. Dies ist laut Toqueville eine historisch bedingte Konstante. Während es in Europa immer eine gesellschaftliche Hierarchie gab, mit Königen und Adeligen, Klerus und Bürgern, so waren alle, die einst in die neue Welt ausgewandert sind, gleich. Man war fremd in einem neuen Land, Strukturen und gesellschaftliche Hierarchie mußte erst aufgebaut werden. Daher kommt dieser unerschütterliche Grundsatz der Gleichheit aller amerikanischen Bürger(es gab natürlich auch weniger gleiche Bürger : z.B.: die Sklaven, Indianer,... auf die Toqueville in seinem Werk nicht eingeht). Eine Besonderheit, die laut Toqueville, ebenfalls zu diesem Prozeß der Gleichheit der Bürger beitrug, war das Erbfolgegesetz. Gab es anfangs noch Großgrundbesitzer mit riesigen Ländereien, so wurde nach einer Generation der Besitz nicht einem einzigen Nachkommen vererbt, sondern unter den (männlichen) Nachkommen aufgeteilt. Diese teilten ihrerseits testamentarisch wieder diesen Besitz auf usw d.h. die Familien der Großgrundbesitzer sind fast alle in der Masse des Volkes aufgegangen. Auch was die Bildung betrifft ist Toqueville von den amerikanischen Verhältnissen fasziniert. Es gibt keine so große Kluft zwischen völlig Ungebildeten und Gebildeten, wie in Europa. Die Elementarschule steht jedem in den USA offen, fast jeder Bürger ist so wohlhabend, daß er seinen Kindern diesen Elementarunterricht zuteil werden lassen kann, aber mit 15 Jahren, wo in Europa die höhere Bildung erst beginnt, ist bei den meisten Amerikanern die Schulbildung bereits beendet, weil sie einer Arbeit nachgehen müssen. Wird die Erziehung jedoch fortgesetzt, dient sie nicht wie in Europa zur geistigen Bildung, sondern ist ausschließlich Mittel zum Zweck. Die höhere Bildung ist bei den Amerikanern, so, wie wenn man ein Handwerk lernt; man lernt nur das, worin man einen unmittelbaren Nutzen sieht.

Daher gibt es in Amerika eine sehr große Anzahl von Menschen, die ungefähr die gleich Kenntnisse über Religion, Naturwissenschaften Ökonomie und Geschichte haben. Daher schwingt sich niemand zu höherem auf. Diese Gleichheit ist für Toqueville die beste Garantie dafür, dem Absolutismus dauerhaft zu entgehen.

Im zweiten Kapitel geht Toqueville auf das Prinzip der Volkssouveränität ein. Sie kann sich nirgendwo auf der(damaligen) Welt so entfalten, wie unter den freien und gleichen Rahmenbedingungen, die in Amerika herrschen. Das Wahlrecht wurde erweitert, das Erbfolgerecht beseitigte alle Klassenunterschiede. Die USA ist das einzige Land der damaligen Zeit in der die Selbstverwaltung und Selbstherrschaft so weit fortgeschritten ist. Alle Gewalt geht vom Volk aus. Das Volk ist selbst ein aktiver Teil der Grundgesamtheit Staat. Durch die Wahl der gesetzgebenden Körperschaften nimmt das Volk an der Gesetzgebung teil, durch die Wahl der Beamten an der exekutiven Gewalt. Daher auch die hohe Bereitschaft des amerikanischen Volkes dieses System zu tragen und zu akzeptieren. Alles geht vom Volk aus und alles kommt auch wieder dem Volk zugute. Was die politische Ordnung des Staates betrifft so teilt er sie zunächst in zwei große und dann wiederum in drei kleinere Untergruppen ein. Zunächst hätten wir da die Union, die sich aus (damals) 24 unabhängigen Staaten zusammensetzt. Die Einzelstaaten sind in ihrer Struktur völlig autonom, dennoch werden gewisse Kompetenzen der Zentralregierung abgegeben. Der Einzelstaat gliedert sich wiederum auf in Staat, Grafschaft und als kleinste politische Einheit die Gemeinde. In der Gemeinde beginnt die Freiheit der Bürger. Eine Gemeinde zählt ca. zwei-dreitausend Einwohner. Die Gemeinde wählt jedes Jahr sogenannte "selectman". Diese "selectman" üben dann die verschiedenen Funktionen in der Gemeinde aus. Der eine ist für die Steuern zuständig, ein anderer für die Ausübung der Polizeigewalt(constable), wieder andere als Gemeindeschreiber usw. Ein weiteres Spezifikum der amerikanischen Gesellschaft ist die persönliche Freiheit. Toqueville formulierte dazu einen schönen Satz:" In allem, was die gegenseitigen Pflichten angeht ist er(der Bürger) Untertan; in allem, was nur ihn angeht, ist er Herr. Die Gemeinde ist, ähnlich unserer heutigen Gemeindeautonomie, nur in den Dingen der Grafschaft bzw. dem Staat unterstellt, wenn es sich um gemeinschaftliche Projekte handelt. Darunter fallen Straßenbau, überregionale Gerichtsbarkeit, Unterricht und die Einziehung von Staatssteuern.

Die Grafschaft wiederum ist die nächst höhere Einheit. In der Grafschaft ist der Sitz des Gerichtshofes, es gibt einen Sheriff und ein Bundesgefängnis. Für Toqueville hat die Grafschaft keine eigene politische Existenz, denn für ihn genügen Staat und Gemeinde. In der Tat sind die Befugnisse der Grafschaft nur begrenzt, denn es gibt auch keine Versammlung oder einen Rat, der die Grafschaft politisch vertritt. Toqueville, der aus Frankreich einen stark zentralisierten Staat gewöhnt ist, unterscheidet zwischen zwei Arten der Zentralisierung. Es gibt eine Zentralisierung der Regierung und eine Zentralisierung der Verwaltung. Beide Ausprägungen sind in Frankreich stark vorhanden. In Amerika gibt es aber keine Zentralisierung der Verwaltung, da kaum Spuren einer Hierarchie zu finden sind. Im Gegenteil, die Verwaltung in den USA ist sehr föderalistisch. Hingegen gibt es eine Zentralisierung der Regierung, nämlich der Bundesregierung der 24 Einzelstaaten. Sie bestimmt Dinge wie die Außenpolitik oder allgemeine Gesetze, die für das ganze Staatsgebiet verpflichtend sind.

Die Amerikaner zentralisieren ihre Regierung also sehr stark, dezentralisieren die Verwaltung aber fast vollkommen. Toqueville sieht in dieser Dezentralisierung der Verwaltung aber auch Fehler, denn es gibt keine allgemeinen Verwaltungsgesetze, die für das ganze Bundesgebiet gelten. Im Westen noch weniger als im Osten, da dort die Strukturen erst aufgebaut werden müssen.

Toqueville bewundert aber die politischen Folgen dieser Dezentralisierung. Jeder Bürger der Vereinigten Staaten, und das gilt wohl auch heute noch, spürt überall in den USA sein Vaterland. Dem Einwohner, so Toqueville, gilt jedes Anliegen des Vaterlandes(Union) so viel wie sein eigenes. Der Ruhm der Nation ist der seinige und deshalb kümmern sich die Amerikaner auch aus einer Art Eigenliebe um den Staat. In Frankreich sieht der Bürger in den Beamten fast immer nur Macht und Unterdrückung, in Amerika sieht der Bürger im Beamten Recht. Recht, das vom Volk ausgeht, und dem Volk letztlich dient.

Deshalb ist ein Verbrecher in Europa der Verfolgung durch die Beamten des Staates ausgesetzt. Die Bevölkerung sieht zu und verfolgt den Kampf. In Amerika ist der Verbrecher ebenfalls der Verfolgung durch die Beamten ausgesetzt, aber die Bevölkerung sieht nicht zu, sondern hilft den Behörden, oder verfolgt den Verbrecher selbst.

Die richterliche Gewalt in Amerika ist ebenfalls ein Spezifikum, und mit der europäischen bzw. französischen Judikative nur schwer vergleichbar. Der amerikanische Richter entscheidet nur in einem anhängigen Verfahren, beurteilt stets nur den konkreten Fall und wird nur tätig, wenn er mit einer Sache befaßt wird. Der Unterschied zu europäischen Richtern ist aber, daß ein Richter in den USA Entscheidungen vielmehr auf Grund der Verfassung, als auf Grund der Gesetze trifft: d.h.: Er braucht Gesetze nicht anzuwenden, wenn er sie für verfassungswidrig hält. Die Verfassung ist in den USA nicht wie in Frankreich unabänderlich, sie kann durch den Willen des Volkes geändert werden, aber solange sie in Kraft ist, ist sie die Grundlage aller Gewalten.

Der oberste Gerichtshof der Union ist die oberste und letzte Instanz in der amerikanischen Rechtsprechung. Toqueville ist der Ansicht, daß die sieben obersten Bundesrichter, obwohl sie nur gerichtliche Befugnisse haben, einen sehr hohen Einfluß auf das politische Leben in Amerika haben. Die demokratische Regierung der Union teilt sich wie auch in manchen europäischen Ländern in zwei Kammern : dem Repräsentantenhaus und den Senat.

Toqueville ist überrascht über die unterschiedliche Zusammensetzung dieser beiden Körperschaften. Im Repräsentantenhaus finden sich nur durchschnittliche Bürger, ohne besondere Kenntnisse oder Tugenden, während im Senat die bedeutendsten Männer Amerikas sitzen. Der Grund dieses Unterschieds ist laut Toqueville, daß die Repräsentantenkammer direkt vom Volk gewählt wird, während der Senat indirekt gewählt wird. Daher bildet die Repräsentantenkammer einen Querschnitt des amerikanischen Volkes.

Der Senat und der Präsident der Vereinigten Staaten bestimmen auch die Außenpolitik der Union. Daher kann man nicht sagen, daß die Demokratie unmittelbar die Außenpolitik leitet. Für Toqueville ist die Außenpolitik der USA im wesentlichen von zwei Männern geprägt, nämlich Thomas Jeffersson und George Washington. Beide vertraten eine Isolationspolitik gegenüber Europa. Keiner sollte sich in die Angelegenheiten des anderen mischen. Diese Isolationspolitik würde den USA nur Vorteile verschaffen und sie bald zur größten Nation der Welt werden lassen. Tatsächlich wurde diese Isolationspolitik lange betrieben. Eigentlich bis zum Ende des ersten Weltkrieges. Heute allerdings hat die USA einen ganz anderen Kurs ihrer Außenpolitik eingeschlagen. Dies ist einer der Punkte die Toqueville nicht richtig vorausgesehen hat. Amerika ist heute "Weltpolizist" und mischt sich eigentlich permanent in Angelegenheiten fremder Völker ein. Ob zu recht oder Unrecht ist dann Ermessenssache.

In seinem Kapitel " Die Allmacht der Mehrheit und ihre Wirkungen" geht Toqueville auf die unumschränkte Macht der Mehrheit in Amerika ein. Die Gefahr dieser Entwicklung sieht Toqueville darin, daß diese große Macht der Mehrheit zwar höchst demokratisch ist, aber die Schwachen, die Minderheit immer schwächt. Außerdem ist das ganze System, sowohl das politische, wie auch das gesellschaftliche auf dieser Macht der Mehrheit aufgebaut. So kommt es, daß Vertreter der Mehrheit oder Beamte nie frei entscheiden können, sie werden immer von der Mehrheit kontrolliert. Hier kritisiert Toqueville das amerikanische System, weil er in der Demokratie bzw. in der totalen Demokratie wie sie in Amerika vorherrscht auch Fehler und Gefahren sieht. Die Macht der Mehrheit kann für Toqueville auch schnell in Tyrannei umschlagen. Was, wenn die Mehrheit nicht recht hat? Was, wenn sie auf dem falschen Weg ist? In Amerika gibt es keine Institution oder ein Instrumentarium, das sie aufhalten könnte. Ein weiteres Problem der amerikanischen Demokratie ist der "Höflingsgeist". Toqueville bemerkt richtigerweise, daß in Amerika Männer, die eine politische Laufbahn einschlagen, immer die Meinung der Mehrheit vertreten. Er verlangt von diesen Männern, die sich politisch betätigen, mehr Offenheit und Unabhängigkeit im Denken. Toqueville wörtlich." ...es sollen nicht alle Geister nach der gleichen Vorlage gebildet sein und sich in den gleichen Bahnen bewegen.".

Einzig die Juristen sind ein Bollwerk gegen die Allmacht der Demokratie. Die Spezialkenntnisse der Juristen sichern ihnen eine besondere Stellung im Staat. Man findet bei den Juristen eine große aristokratische Neigung und Gewohnheiten. Außerdem, so Toqueville, einen Hang zur Ordnung und eine Abneigung gegen das Treiben der Menge. Ihre Geisteshaltung ist höchst konservativ und antidemokratisch. Daher stellen die Juristen die überlegene politische Klasse und den intellektuellen Teil der Gesellschaft. Sie sitzen in den höchsten Positionen des Staates und stellen daher das einzig wahre Gegengewicht zur Demokratie dar.

Im letzten Kapitel des ersten Bandes geht Toqueville noch auf die schwarzen Sklaven ein. Er glaubt nicht, daß Schwarze und Weiße jemals irgendwo in Frieden miteinander leben können. Toqueville sieht das damalige Problem der USA ganz richtig. Die Sklaven vermehren sich sehr schnell. Im Norden des Landes hat man sie bereits freigelassen, im Süden gibt es noch Sklaverei. Die Weißen im Süden haben Angst vor der Freilassung, weil sie ersten um ihr wirtschaftliches Überleben fürchten, und zweitens, weil sie Angst haben, daß sich die Schwarzen gegen sie selbst erheben könnten. Daher glaubt Toqueville, daß die Abschaffung der Sklaverei im Süden zu noch mehr Haß und Ablehnung gegen die Schwarzen führen wird. Man weiß heute, daß Toqueville wieder einmal Recht hatte. Noch heute ist der Rassismus am stärksten in den südlichen Bundesstaaten Louisiana, Mississippi, Georgia und Alabama vertreten. Es ist noch keine 30 Jahre her, daß dort Schwarze überhaupt an Universitäten zugelassen wurden. Weiters hat er auch richtig vorausgesehen, daß die Schwarzen den amerikanischen Kontinent nie mehr verlassen werden, sondern eher einen großen Teil der Bevölkerung ausmachen werden. Auch den Krieg, um die Rechte der Schwarzen hat er richtig vorausgesagt, aber es kam nicht zu einem Aufstand der Sklaven und einem Kampf Schwarz gegen Weiß, sondern zum Bürgerkrieg Nordstaaten gegen Südstaaten. In seiner Schlußbetrachtung glaubt Alexis de Toqueville, daß das amerikanische Volk durch nichts aufzuhalten sein wird. Es wird eine Fläche beherrschen die dreiviertel so groß ist wie Europa. Es wird sich auch das englische Element durchsetzen und nicht das französische oder spanische. Auch das hat sich bewahrheitet, denn außer der Provinz Quebec in Kanada und einigen Regionen im Süden der USA ist der französische Einflußbereich vollkommen verschwunden. Bei seinem Blick in die Zukunft bilden sich für ihn zwei große Völker heraus. Das der Amerikaner und jenes der Russen. Beide, so Toqueville, breiten sich mit ungeheurer Geschwindigkeit aus, während andere Völker nur mühsam vorankommen. Beide Völker werden einst das Weltgeschehen beherrschen und sich irgendwann gegenüberstehen.

Auch hier hat Toqueville wiedereinmal Recht behalten, und den Verlauf der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts ziemlich exakt vorhergesehen.

3) Interpretation des zweiten Bandes :

Wie schon in der Einleitung angesprochen, beschäftigt sich der zweite Band von Toquevilles Werk vor allem in abstrakterer Weise mit der Demokratie und der Gleichheit. War im ersten Band noch Amerika und seine gesellschaftlichen Strukturen der Hauptleitfaden, so ist im zweiten Band die USA nur mehr eine Art "Aufhänger", um tiefer in die Strukturen der Demokratie vorzudringen. Toqueville beschäftigt sich vor allem mit den Gefahren, die die Demokratie mit sich bringt.

Die Gleichheit der Bürger stellt für ihn ein besonderes Problem bzw. eine besondere Herausforderung für die Zukunft dar. Der Grundgedanke, der sich übrigens durch den gesamten zweiten Band zieht, ist der, daß es in einer Aristokratie sehr viele verschiedene und ungleiche Menschen gibt. Es gibt sehr viele hoch begabte, viele mutige, erschrockene, arme und reiche Bürger. In einer Demokratie jedoch pendelt sich alles in einem Mittelmaß ein. Wegen ihrer Gleichheit schenken sich die Menschen gegenseitig kein Vertrauen, aber alle vertrauen in das Urteil der Öffentlichkeit(Mehrheit). Toqueville hält dies für eines der größten Probleme in der Demokratie:" Wenn ich die Hand der Macht auf meinem Haupte lasten fühle, kümmert es mich persönlich wenig, zu wissen, wer mich unterdrückt; und ich beuge mich nicht deswegen lieber unter das Joch, weil eine Million Arme es mir darbieten.

Toqueville fürchtet also eine neue Art der Tyrannei, die zwar nicht gewalttätig, aber dafür mit Bestimmtheit den Individualismus der Bürger beschneiden würde.

Ein großes Kapitel widmet Toqueville den Religionen in demokratischen Gesellschaften. Religionen, und hier vor allem die katholische und protestantische Kirche, haben für Toqueville einen Nutzen in der Demokratie. Für Menschen, die in demokratischen Staaten leben, ist alles immer in ständiger Bewegung, daher suchen sie feste Werte und Lösungen. Die Religion lenkt die Geister vom Irdischen ins Jenseits, also auch weg von der Politik. Hauptaufgabe der Religion ist es, die ausschließliche Neigung der Menschen zum persönlichen Wohlergehen zu läutern und einzuschränken. So soll auch die Religion dazu beitragen, daß nicht alle Bürger im Sumpf der anonymen, gleichen Masse nur an sich selbst denken. Dieser Individualismus, der sich, laut Toqueville, vor allem in demokratischen Staaten ausbreitet, kann bald zur Isolation des Bürgers führen. Er zieht sich zurück, glaubt alleine nichts mehr erreichen zu können(Allmacht der Mehrheit) und nimmt am politischen Leben nicht mehr teil. Die Menschen genügen sich selber, vor allem, wenn sie in einem demokratischen System leben und keine Revolutionen, Kriege oder Tyrannei zu fürchten haben. Sie haben bescheidenen Wohlstand, achten nur auf sich selbst und ihre Nächsten. Der Staat übernimmt für sie alle Funktionen.

Die beste Lösung für dieses Problem haben die Amerikaner in ihrem System. Um ihnen ihre tägliche Abhängigkeit von der Gemeinschaft vor Augen zu führen, interessiert man die Staatsbürger für das Allgemeinwohl. Man interessiert sie nicht für große Aufgaben(den Staat betreffend),sondern für kleine, regionale Aufgaben, die ihren persönlichen Lebensraum betreffen, und bei denen sie mit Menschen gemeinsam arbeiten, die ihnen bekannt sind. Auch die Vereine und Institutionen sind so konzipiert, daß sie den Gemeinschaftssinn der Bürger fördern Da in demokratischen Gemeinschaften, anders als in aristokratischen, die einzelnen Bürger schwach sind, müssen sie sich, um gesellschaftlich, wirtschaftlich oder politisch etwas großes zu bewegen, immer zusammenschließen. Trete die Regierung an die Stelle der Vereinigungen, so wäre die geistige und sittliche Kraft des Volkes stark gefährdet. Für Toqueville sind diese Vereine, wie sie in Amerika vorherrschen, eine treibende Kraft für die Demokratie und gegen den zunehmenden Individualismus.

Ein höchst interessanter Abschnitt im zweiten Band ist das Kapitel " Die Aristokratie der Industrie". Wie allgemein bekannt ist vollzog sich die industrielle Revolution um 1800. Maschinen ersetzten die Arbeiter, Manufakturen und Fabriken das handwerkliche Gewerbe. Die Zahl der Arbeiter stieg rapide, die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen sank. Toqueville spricht in seinem Buch viel über die Gleichheit. Diese hebt sich dennoch bei den Industriellen auf. Interessant ist, daß Toqueville hier ganz massiv sozialdemokratische und sogar marxistische Gedanken zu Papier bringt. Für ihn sind die Industriellen eine Art Aristokratie in der Demokratie. Denn, je mehr sich die Masse der Demokratie zuwendet, umso aristokratischer wird die besondere Klasse jener, die die Industrie leitet. Denn die Arbeiter sind, ähnlich wie in früheren feudalen Systemen, zum gehorchen da, während die Industriellen befehlen. Daraus leitet Toqueville ab, daß sich die Demokratie praktisch, trotz Gleichheit aller Menschen, ihre eigene, neue Aristokratie schafft. Ein höchst interessanter Gedankengang, der, meiner Meinung nach, voll das Problem erfasst, welches später zu Arbeiterrevolutionen geführt hat. Toqueville hat das schon 1840 gewußt.

Dennoch schreibt er im Kapitel " Weshalb die großen Revolutionen selten werden", daß durch die Demokratie große Revolutionen nicht mehr so häufig stattfinden werden. Der Grund ist, so Toqueville, daß Revolutionen immer dann entstehen, wenn es große Ungleichheiten in einer Gesellschaft gibt. Aber in einer Demokratie leben fast alle Menschen unter ähnlichen Verhältnissen, sie sind gerade so reich oder arm, daß sie nichts begehren und nichts mehr fürchten, als ihren Besitz zu verlieren. Daher scheuen sie Revolutionen. Sie sehen nicht, was sie bei einer Revolution gewinnen können, sondern nur was sie eventuell verlieren könnten. Eine gewisse politische Unfreiheit wäre ihnen lieber, als all ihre Besitztümer durch eine Revolution zu verlieren. Toqueville bringt dies auf den Punkt:"In Amerika hat man demokratische Ideen und Leidenschaften; in Europa haben wir noch revolutionäre Leidenschaften und Ideen falls Amerika jemals große Revolutionen erlebt, so werden sie durch die Anwesenheit der Schwarzen auf dem Boden der Vereinigten Staaten herbeigeführt." Auch mit dieser Prognose sollte er Recht behalten, wenn man den amerikanischen Bürgerkrieg 1861 als Revolution sieht.

Dennoch sieht Toqueville keine große Kriegsgefahr für demokratische Völker. Ein Punkt in dem er , meiner Meinung nach, auch recht hat, wie die vielen Kriege des 19.und 20.Jahrhunderts beweisen. Man kann jetzt einwenden, daß alle Kriege, die nach 1840 stattfanden, auch unter Beteiligung demokratischer Staaten stattgefunden haben. Wenn wir uns die großen Kriege dieser 150 Jahre ansehen, kommt man aber unweigerlich zu dem Schluß, daß hier entweder monarchistische, faschistische oder autoritäre Regime und Regierungen diese Kriege verursacht haben. Für Toqueville, aus seiner damaligen Sicht, war die Kriegsgefahr deshalb klein, weil zwei demokratische Staaten auch zwangsläufig die gleichen Interessen haben. Sollte jedoch ein Krieg ausbrechen, ist, laut Toqueville, ein demokratisches Volk unterlegen. Denn hat man sie einmal in einer Schlacht besiegt und erobert man die Hauptstadt, dann ist der Wille gebrochen. Denn die Masse der Menschen ist dann kraft- und willenlos. Wenn der Staat(Hauptstaat/Regierung) gefallen ist, sind alle Bürger wieder Individuen. Ich weiß nicht, ob man diese Begründung Toquevilles heute noch gelten lassen kann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß die österreichische Bevölkerung Österreich aufgeben würde, wenn Wien erobert wäre. Denn neben dem Prinzip der Gleichheit und Demokratie, gibt es in einer Bevölkerung auch Patriotismus und Mut. Das sollte Toqueville in seinen Analysen nicht vergessen.

Ein Kapitel widmet Toqueville der Zentralisation der staatlichen Gewalt in Demokratien. Ich halte dieses Kapitel im zweiten Band für eines seiner besten, weil es sehr viele gute Denkanstöße gibt und viele Dinge der Gegenwart verstehen läßt. Die Zentralisierung der Gewalt in die Hände der Regierung vollzieht sich meist nach Revolutionen, um der Aristokratie die Führung der lokalen Geschäfte zu entreißen. Dennoch ist die Zentralisation der Gewalt an einem Punkt über lange Sicht falsch, da sie die Gesellschaft entkräftet und von ihren politischen Verpflichtungen abhält. Das Dasein der Einzelnen wird umso schwächer, je starker die Zentralisation ausgeweitet wird. Es besteht die Gefahr, daß die staatliche Gewalt die Bürger nur mehr leitet, ohne sie richtig in die politischen Prozesse einzubinden. Durch Anleihen, die jeder Bürger kaufen kann, und durch Sparkassen vereinigt der Staat Kapital von reichen und armen Bürgern in seinen Händen. Umso gleicher die gesellschaftlichen Bedingungen sind, umso mehr Menschen vertrauen dem Staat, weil sie alle untereinander fast gleich sind. Vertrauen und Verantwortung wird auf den mächtigen Volkskörper abgewälzt. Der Staat baut Straßen, Kanäle, Häfen und andere halböffentliche Anlagen, die den Erwerb von Reichtum erleichtern. Durch diese Dinge bringt der Staat immer mehr die Bevölkerung in seine Abhängigkeit. D.h. in Anlehnung an bereits obig gesagtes; der Staat beherrscht durch die Möglichkeit, diese Infrastruktur zur Verfügung zu stellen, auch die Industrie, diese wiederum beherrscht die Arbeiter. Auf der einen Seite hat man das Joch der Aristokratie und des Absolutismus abgestreift, auf der anderen Seite erscheint der Staat als neuer Despot. Die Unabhängigkeit des einzelnen Bürgers ist in jedem Fall gefährdet.

Im letzten Kapitel seines Werkes spricht Toqueville mit scharfer Stimme die Warnung vor dem neuen Despotismus aus. Die staatliche Gewalt, so schreibt er, ist nicht gewalttätig oder unterdrückend, sie lenkt nur für den Bürger. Auf diese Weise macht sie den Gebrauch des freien Willens immer überflüssiger und seltener, beschränkt die Willensbildung auf ein immer kleineres Feld. Die demokratischen Völker haben die politische Freiheit eingeführt, während sie gleichzeitig den Despotismus im Bereich der Verwaltung heraufbeschworen.

Daher geht es Toqueville in seinem zweiten Band darum, die Menschen auch auf die Fehler und Gefahren der Demokratie hinzuweisen. Toqueville versucht einen Ausweg zu zeigen, wie man in demokratischen Gesellschaften den Despotismus eindämmen kann. Pressefreiheit ist hier für ihn eines der wichtigsten Mittel(Obwohl man die Pressefreiheit heute automatisch bei einer funktionierenden Demokratie vermutet, dürfte sie für Toqueville nicht zu den Grundelementen einer Demokratie gezählt haben.), weil sich dadurch der einzelne, schwache Bürger einer Mehrheit/Öffentlichkeit mitteilen kann. Auch die Judikative muß, so Toqueville, die Macht des Staates einschränken und den einzelnen Bürger zur Seite stehen. Die staatliche Gewalt muß in Grenzen gehalten werden, die Rechte des Einzelnen gewahrt und dem Individuum sein Rest an Unabhängigkeit, Kraft und Originalität erhalten bleiben. Ich möchte meine Abhandlung des zweiten Bandes mit Toquevilles Worten beenden, die all seine Emotionen, Ängste und Hoffnungen wiederspiegelten:"Ich wollte die Gefahren, mit denen die Gleichheit die menschliche Unabhängigkeit bedroht, deutlich herausstellen, weil ich der festen Überzeugung bin, daß diese Gefahren die schrecklichsten und zugleich unvorhergesehensten von allen sind, welche die Zukunft birgt. Aber ich halte sie nicht für unüberwindlich."

4) Zusammenfassung und Einschätzung :

Abschließend kann ich zu diesem Buch nur sagen, daß sowohl der erste, im besonderen Maße aber der zweite Teil des Werkes seiner Zeit weit voraus war. Toqueville hat im ersten Teil die gesellschaftlichen und politischen Gegebenheiten in den Vereinigten Staaten genauestens untersucht und brillant interpretiert. Obwohl ich manchmal bei ihm den Eindruck hatte, den ersten Teil des Werkes betreffend, daß er zu sehr fasziniert war von den amerikanischen Institutionen und der amerikanischen Gesellschaft. Vielleicht ist dies aber dadurch zu erklären, daß gerade Frankreich viele Jahre der Unterdrückung und politischen Unfreiheit hinter sich hatte, zunächst Absolutismus, dann die Jakobinerherrschaft und schließlich Napoléon Bonaparte. Es muß für Toqueville, als Liberaler, wirklich beeindruckend gewesen sein, Demokratie in ihrer(damaligen) Reinform zu sehen. Auch der ständige Vergleich zwischen den Staatsformen(Frankreich, England und USA) macht das Verständnis der komplexen, politischen und gesellschaftlichen Strukturen leichter. Im zweiten Band beschäftigt er sich abstrakter mit der Demokratie und ihren Folgen. Hier kann man ihm den Vorwurf der Beschönigung nicht machen. Er steht zwar unwiderruflich zur Demokratie, aber er warnt auch vor ihren Fehlern und zeigt auf, wo sie passiert sind. Der zweite Band ist ein Meisterwerk der politischen Analyse. Er ist nicht zu kompliziert geschrieben und daher leicht verständlich. Dennoch ist Toquevilles Argumentationskette (fast)immer logisch und nachvollziehbar. Meiner Meinung nach schafft er dies dadurch, daß er komplexe Dinge, Ebene für Ebene, vereinfacht, zerlegt und analysiert. Dann setzt er sie von unten angefangen wieder zusammen und so versteht man dann auch die höchste und komplexeste Ebene.

Dieses Werk kann man sicher als ein Standardwerk der modernen Politikwissenschaft hervorheben, und auch, wenn man die Weltanschauung Toquevilles nicht teilt, so kann man doch methodisch von seinen Untersuchungen in jedem Fall lernen und versuchen seine politikwissenschaftliche Logik und seine empirischen Methoden für sich zu nutzen.

5) Literaturliste

Alexis de Toqueville: " Über die Demokratie in Amerika", 1985, Reclam

MARHOLD HERBERT A-300-301 9601666

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Alexis de Toqueville
Hochschule
Universität Wien
Veranstaltung
Theorien des Liberalismus
Note
sehr gut
Autor
Jahr
1997
Seiten
14
Katalognummer
V104264
ISBN (eBook)
9783640026173
Dateigröße
355 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Arbeit über Toquevilles Buch:"Über die Demokratie in Amerika"
Schlagworte
Alexis, Toqueville, Theorien, Liberalismus
Arbeit zitieren
Herbert Marhold (Autor:in), 1997, Alexis de Toqueville, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104264

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Titel: Alexis de Toqueville



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