Interessengruppenstrukturen in Konsens- und Mehrheitsdemokratien


Seminararbeit, 1999

17 Seiten, Note: 3,3


Leseprobe


1. Einleitung

Lijphart nennt als fünften Punkt der Exekutiv- Parteiendimension die verschiedenen Interessengruppensysteme.1 Auf diesen Punkt möchte ich in meiner Arbeit näher eingehen. Zuerst werde ich die verschieden Typen der Interessengruppen in der Demokratie behandeln, wobei auch die jeweilige Kritik nicht außer Acht gelassen werden soll, um später auf ihr Erscheinen in den jeweiligen Demokratiemodellen- Konsensdemokratie oder Mehrheitsdemokratie- einzugehen. Die Frage ist, ob tatsächlich, und wenn in wieweit, eine Korrelation zwischen der Demokratieform und Interessengruppenstruktur besteht. Lijphart ist hiervon überzeugt, doch obwohl sein Buch meine Ausgangsbasis für die Diskussion sein wird, möchte ich versuchen, auch andere Kritiker und vor allem meine Meinung zu präsentieren.

2. Interessengruppenstrukturen

Von den verschiedenen Theorien, die bisher in der Politikwissenschaft thematisiert wurden, werde ich vor allem den Pluralismus und den Korporatismus behandeln, da diese in der Literatur am häufigsten vorkommen, und auch Lijphart sich nur diesen beiden Theorien widmet. Zuallererst sollte gesagt werden, daß weder die pluralistische, noch die korporatistische Theorie in reiner Form in irgendwelchen westlichen Demokratien aufzufinden ist. Die meisten Staaten sind nur tendentiell pluralistisch oder korporatistisch- je nach Bereich- geprägt. Schmiter spricht von 3 Typen der Interessenpolitik, weshalb ich der Vollständigkeit halber noch kurz den Syndikalismus erwähne, ein System der Interessenvermittlung, dessen wesentliche Bestandteile eine nicht begrenzte Anzahl singulärer, nicht miteinander im Wettbewerb stehender (besser: räumlich voneinander getrennter) Vereinigungen sind. Diese sind nicht hierachisch organisiert oder nach funktionalen Aspekten abgegrenzt. Weder Staat noch Partrei hat sie anerkannt, gebildet oder mit Lizenz ausgestattet, auch werden sie von diesen nicht bei der Führungsauswahl oder Interessenartikulation kontrolliert. Außerdem verfügen sie über kein Repräsentationsmonopol, sondern lösen ihre Konflikte autonom, ebenso wie sie die „autoratieve Allokation ihrer Werte“ ohne Einmischung des Staates vornehmen.2 Nun aber zum Pluralismus, bzw. dem Korporatismus, den eigentlichen Themen dieser Hausarbeit.

2.1 Pluralismus

Nach dem Lexikon bedeutet Pluralismus lediglich „ eine idealistische Auffassung, nach der die Welt aus einer Vielzahl zusammenhangloser Weseneinheiten besteht“3. Pluralismus heißt also zunächst nichts anderes als Vielfalt. In Bezug auf den Bereich des gesellschaftlichen und politischen Zusammenlebens der Menschen geht die Pluralismustheorie von der Tatsache aus, daß die Bürger Ziele anstreben, die sich von denen anderer Bürger mehr oder weniger unterscheiden. Historisch ging es dabei zunächst vor allem um die Freiheit des Individuums, sich in seinen Wertvorstellungen und Glaubensüberzeugungen von anderen unterscheiden zu dürfen.4

Als Begriff der Politik- und Demokratietheorie soll Pluralismus das für moderne Gesellschaften typische Phänomen erfassen, „daß eine Vielzahl frei gebideter politischer, wirtschaftlischer, religiöser, ethischer und anderer gesellschaftlicher Interessengruppen miteinander im Rahmen rechtlicher Möglichkeiten um politischen Einfluß konkurrieren.“5 Die Interessengruppen sind somit freiwillige Zusammenschlüsse, die untereinander konkurieren. Was sie von Parteien unterscheidet, ist daß sie weder eine besondere staatliche Lizenz, Anerkennung oder Unterstützung, noch wirkliche Einflussmöglichkeiten auf das politische Geschehen haben, noch sind sie auf staatliche Initiative hin gebidet worden oder unterliegen staatlicher Kontrolle.

Die pluralistische Staatstheorie hat keine „conception“ als solche, ein purer Idealtypus des Pluralismus ist das politische Equivalent der puren Marktwirtschaft, in der Unternehmen in Konkurenz zu jeder anderen stehen; niemand hat die Kontrolle über den Markt- höchstens ein paar, die sich zu starken Gemeinschaften zusammengeschlossen haben, und somit zu Macht gelangt sind.6

Pluralismus zeichnet sich also dadurch aus, daß viele kleine Gruppen, die dezentral organisiert sind, existieren, keine oder geringe Kommunikation mit der Exekutive betreiben und somit kaum Regelungen durch Konsens erzielen.7

Sandkühler geht davon aus, daß Pluralismus im 20. Jahrhundert vor allem in der politischen Umgangssprache selbstverständlich geworden ist und die Koexistenz und Kompossibilität gleich legitimirter unterschiedlicher und zugleich konkurrierender Anschauungen, Werte und Lebensweisen und die Koexistenz politischer Institutionen der Demokratie (z.B. drei Gewalten, Parteien- Pluralismus), die der politisch- rechtlichen Ausübung und Sicherung der Freiheit dienen, bezeichnet. Der Begriff gehört zur politischen Semantik der „westlichen Demokratien“.8

2.2 Pluralismuskritik

Die Pluralismuskritik hatte nach von Beyme9 unterschiedliche Ausgangspunkte, die unterschiedliche Entwicklungsmöglichkeiten des pluralistischen Staates sah. Gemeinsam war allen Ansätzen die Vorstellung eines Verfalls des kapitalistischen Systems. Die wichtigsten Ausprägungen der neomarxistischen Pluralismuskritik waren:

- Theorie der repressiven Toleranz
- Theorie der Machtelite und des militärisch- industriellen Komplexes
- Kritik der Verteilungs- und Sozialstaatlichkeit
- Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus

2.2.1 Theorie der repressiven Toleranz

Diese Pluralismuskritik ging von der Hypothese aus, daß der Pluralismus zum Rechtfertigungskonzept der dominanten Herrschaftsinteressen herabgesunken sei.

2.2.2 Theorie der Machtelite und des militärisch- industriellen Komplexes

Die Theorie der Machtelite hatte zwar die herrschende Elite als in Gruppen strukturiert (Wirtschaft, Militär, Politik) aber dennoch überwiegend einheitlich handelnd gesehen. Diese Theorie studierte die Kanäle und Institutionen, über die eine begrifflich vorher abgegrenzte und als gegeben angesehene Machtelite „unter anderem“ handelt. Neben der Beschreibung der gemeinsamen Sozialisationsmuster und der ähnlichen ideologischen Neigungen der drei Elitesektoren spielten konkrete Einflußstudien für die Ausbreitung der These kaum eine Rolle.

2.2.3 Kritik der Verteilungs- und Sozialstaatlichkeit

Die liberale Pluralismustheorie neigt dazu, die staatlichen Institutionen als politisch neutrale Bereiche anzusehen, die von unterschiedlichen- grundsätzlich im Gleichgewicht gedachten- politischen Kräften von außen beeinflußt werden. Damit wurde unterstellt, daß die bestehenden Institutionen auch anderen Interessen dienstbar sein könnten als den zur Zeit vorherschenden, eine Konzeption von Parlament und Regierung.

2.2.4 Theorie des staatsmonopolischen Kapitalismus

Dieser Ansatz geht davon aus, daß im Spätkapitalismus die Krisen und die Zuspitzung wachsender Widersprüche nur dadurch gemeistert werden können, daß der Staatsapparat selbst als zentrale gesellschaftliche Organisation aus der Abstraktion des bloß „ideellen Gesamtkapitalisten“ heraustritt und direkt Aufgaben im Prozeß der Kapitalverwertung übernimmt.

2.2.5 Zusammenfassung

Kurz und gut kann man sagen, daß die Pluralismuskritik an die Ausblendung struktureller gesellschaftlicher Ungleichheiten ansetzt und die Benachteiligung und Nichtberücksichtigung gewisser Interessen im politisch- administrativen System hervorhebt.10 Im Verbandssystem seien gerade nicht alle möglichen Interessen adäquat representiert und diese befinden sich eben nicht in einem gesellschaftlichen Machtgewicht, wie es von den Pluralismustheorien oft suggeriert wird. Sondern es herscht ein „Kartell“ von organisiertem Interesse vor, das sich zudem gegen nichtorganisierte und umfassende Änderungen anstrebende Gruppen abschottet.11

In die Kritik an Pluralismustheorien wurde das Begriffspaar Organisations- uns Konfliktfähigkeit von Interessen zur Erklärung der Restriktivität des pluralistischen Willensbildungsprozesses eingebracht.12 So lassen sich mehrere Interessen und Bedürfnisse aus den Bereichen Gesudheit, Wohnung und Freizeit etc. aufzählen, die nicht an individuell- ökonomische und/ oder an bestimmte Staatsgruppen zu binden und so nur schwer zu organiesieren sind. Neben der Organisationsfähigkeit ist die politische Relevanz von Interessen vor allem durch ihre Konfliktfähigkeit determiniert. Die Konfliktfähigkeit manifestiert sich in den als Sanktionen gegenüber den staatlichen Instanzen zur Verfügung stehenden Entzugsmöglichkeiten. Die politische Macht marginalisierter Gruppen (Frauen, Alte, Behinderte, Arbeitslose etc.), die am Rande oder außerhalb des in unserer Gesellschaft dominierenden Leistungsverwertungsprozeß stehen, wird so strukturell beeinträchtigt.13

2.3 Korporatismus

Die Pluralismuskritik verlangte also nach einer neuen Form der Einbindung der Interessengruppen. Somit wurde der Begriff Korporatismus, der bisher nur im faschistischen Kontext erwähnt wurde, wieder zum Leben erweckt und zur Kennzeichnung großer liberaler pluralistischer Demokratien in Mitteleuropa. Zunächst hielt man den wiederbelebten Begriff nur für eine Modeerscheinung, die Debatte geht nun aber schon über 20 Jahre, womit klar sein dürfte, daß es sich hierbei nicht nur um einen kurzen Trend handeln dürfte.14 Eine ganze Reihe politischer Beobachter und sozialwissenschaftlicher Analytiker ist sich darüber einig, daß mit „Korporatismus“ ein Konzept vorliegt, das aktuelle Zustände und Wandlungsprozesse besser beschreibt, als die bekannten Theorien des liberalen Pluralismus. Für den konkreten Gegenstand Korporatismus liegt bisher kein klarer Terminus vor. Die Bezeichnung variiert nicht nur zwischen „Neo“, „liberalem“, „pluralistischem“, „Neuem“, oder „gesellschaftlichem Korporatismus“, sondern die Diskussion ist sich nicht einmal einig, was sie eigentlich damit meint: ein in erster Linie ökonomisches Phänomen- nämlich die Verbindung von privatem Eigentum mit öffentlicher Kontrolle- oder ein politisches- nämlich die funktionale, z.B. berufsständische Repräsentation von Interessen in paritätisch besetzten Räten- oder ein „sozio-politisch- ökonomisches“ Syndrom- nämlich allgemeine Formierungstendenzen staatlicher Institutionen mit gesellschaftlichen Großgruppen und Eliten, um durch harmonisierende Gemeinwohlvorstellungen Legitimationsdefiziete zu überwinden15. Dissens herrscht darüberhinaus, ob dies eine globale Entwicklung in allen liberalkapitalistischen Staaten anzeigt oder aber auf wenige bestimmte Länder beschränkt bleibt. Nach Lijphart sind diese Tendenzen am ehesten in Konsensdemokratien aufzufinden, worauf ich aber später noch einmal zurückkommen werde.

Der Blick ins Lexikon hilft ebensowenig. Entweder ist der Begriff völlig unbekannt oder man findet einen Verweis auf den Begriff „Ständestaat“, „ständische Verfassung“ bzw.auf den Faschismus.

Schmitter definiert Korporatismus wie folgt:

Corporatism can be defined as a system of interest representation in which the constituent units are organised into a limited number of singular, compulsory, non-competitive, hierarchically ordered and functionally differentiated categories, recognised or licensed (if not created) by the state and granted a deliberate representational monopoly within their respective categories in exchange for observing certain controls on their selection of leaders and articulation of demands and supports. 16

Korporatismus zeichnet sich also dadurch aus, daß nur eine bestimmte kleine Anzahl, die aber weitaus größer ist als die in pluralistischen Systemen vorkommenden Interessenverbände, existieren. Diese sind meist auf nationaler Ebene organisiert und treffen regelmäßige Absprachen mit der Exekutive. Daraus resultieren häufig Abkommen, in denen sich alle beteiligten Gruppen wiederfinden, sogenannte „tripartit pacts“. (z.B. DGB, Arbeitgeberverband und Regierung) Desweiteren unterteilt Schmitter den Korporatismus in „gesellschaftlichen Korporatismus“ und „staatlichen Korporatismus“. Die 8 wichtigsten Punkte, 1. Begrenzte Anzahl, 2. Singularität, 3. Zwang, 4. Fehlender Wettbewerb, 5. Hierarchische Struktur, 6. Funktionale Abgrenzung, 7. Staatliche Anerkennung und 8.Repräsentationsmonopol haben also unterschiedliche historische Begründungen, je nachdem, ob sie freiwillige Zusammenschlüsse oder durch sozialen Druck zustandegekommen sind (gesellschaftlicher Korporatismus) oder ob es sich um Druck der Regierung, wie in den ehemals faschistischen Systemen handelt.17

Schmitter sieht in folgenden Bedingungen die Voraussetzungen für die Ablösung pluralistischer soziopolitischer Strukturen durch einen „societal corporatism“ in den Industriestaaten:18

- Verstärkung der ökonomischen Konzentration und der
- Konkurrenz zwischen nationalen Volkswirtschaften,
- Ausdehnung des Staatsinterventionismus in alle wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereiche,
- Rationalisierung der staatlichen Entscheidungsprozesse, um
- Untergeordete Statusgruppen stärker in den politischen Prozeß zu inkorporieren;
- Die Steuerung dieser Prozesse verlangt ein stabiles, pluralistisches Ordnungssystem das durch
- Gesellschaftlichen Korporatismus die vorher pluralistisch zersplitterte Interessenstruktur stärker zusammenzubinden in der Lage ist.

Es sollte noch erwähnt werden, daß Cawson19 in „Macro- Corporatism“ , in das vor allem die Diskussion um Arbeit einfließt, und „Meso- und Micro- Corporatism“, wo es sich um Themen wie Sozial- und Wohlstand etc.dreht, unterscheidet. Diesen Punkt werde ich jetzt jedoch außer Acht lassen, da es nicht das eigentliche Thema der Hausarbeit betrifft.

2.4 Korporatismuskritik

Korporatismuskritiker sprechen oft von einer Tendenz zum „Lobbysmus“, in dem nur die starken, politisch relevanten Gruppen Einfluß in das politische Geschehen finden.20 Dies würde dem Prinzip des Pluralismus widersprechen, in dem alle Gruppen gleich- berechtigt und stark sind. Die gelobte Funktion des Verbändewesens als Apparat zum notwendigen Interessenausgleichs könnte als Einengung des Handlungsspielraums des Staates gesehen werden, wenn dieser sich zu eng und unkontrolliert an egoistische Verbandsinteressen bindet. Es besteht zwar eine Einsicht über die Notwendigkeit der Mitwirkung von (Groß-) Verbänden bei Entscheidungen im politischen Wirkungsbereichs, die verfassungsmäßige Eingliederung der Einflußstränge , sprich eine demokratisch überzeugende Integration in staatliche Willensbildungsprozesse, gelang jedoch nie.

Kritiker sprechen auch von einer „Herrschaft der Verbände“, in der die freie Marktwirtschaft zu kurz kommt, und sich der Staat elegant aus der Affäre ziehen würde, da er ihm zugedachte Aufgaben auf die „tripartit pacts“, in dem er nur eine moderierende Rolle übernimmt, abwälzt. Der Korporatismus wolle also den freien Wettbewerb für bestimmte Räume, auf bestimmte Zeit oder für bestimmte Marktteilnehmer aussetzen.21

3. Rückgang des Korporatismus?

Oft wurde vom Rückgang des Korporatismus in den westlichen Demokratien gesprochen, da diese aus eben oben angeführten Punkten nicht mehr vereinbar und produktiv sei. Lijphart sieht dies jedoch nicht so. Er bezieht sich auf Siaroff, Wiarda, Katzenstein und natürlich Schmitter und widerlegt somit Gerlichs und Lewins Thesen.22 Lijphart führt 6 Beispiele an, nach denen der Korporatismus nicht im Rückgang begriffen ist:

3.1 Rückgang der Effektivität

Nicht die Struktur des Korporatismus geht zurrück, so Lijphart, sondern die Effektivität. Es finden immer noch regelmäßige Treffen der betroffenen Interessengruppen mit der Exekutive in sogenannten „tripartit pacts“ statt, nur wird nicht mehr so häufig der erwünschte Konsens erziehlt. Das Bestreben danach ist jedoch immer noch vorhanden.

3.2 Kein auffindbarer rein korporatistischer Staat

Zwar stimmt Lijphart Gerlich zu, daß Österreich nicht mehr das Paradebeispiel des Korporatismus ist, er sieht jedoch auch bei weitem keine Tendenz zum Pluralismus. Er pflichtet Gerlich lediglich bei, daß Österreich „mehr wie andere europäische Nationen“ wird.

3.3 Kaum empirische Belege

Nur zwei Länder haben zwischen den 60er und den 80er Jahren einen mehr oder minder starken Wandel vollzogen. Einmal wäre dies Israel, welches eher einen Trend zum Pluralismus entwickelte, und wiederrum Finnland, welches korporatistische Tendenzen aufwies. Berthold erwähnt auch, daß in Italien einem Staat, der nicht aus einer korporatistischer Tradition stammt, mit Bündisstrategien Wirtschafterfolge erziehlt wurden.23 Alle anderen von Lijphart untersuchten Demokratien verzeichneten kaum bemerkennswerte Veränderungen.

3.4 Erweiterung auf andere Gebiete

Lijphart pflichtet Wiarda bei, daß sich die korporatistischen Strukturen nicht nur im klassischen Rahmen der Arbeits- und Lohnpolitik, sondern nun auch in anderen Bereichen, wie z.B.der Erziehung, dem Gesundheitswesen, Wohlstand und Umwelt wiederfindet.

3.5 Globalisierung

Ein häufiges Argument für den Rückgang des Korporatismus- die Globalisierung und die damit verbundene Limitierung der Effiektivität der Regierungskapazität, vor allem in Bereichen der Makroökonomiebenutzt Katzenstein als Argument für den Korporatismus, vor allem in kleineren Ländern. Da diese durch die offene Wirtschaft verletzbarer wurden, hat sich dort ein Wandel zum Korporatismus vollzogen, um sich besser schützen zu können.

3.6 Partizipation in Verbänden

Zwar ist die Partizipation der Individuen in den (Groß-) Verbänden rückläufig, was vor allem die Gewerschaften betrifft, doch hat dies nichts mit dem Rückgang der korporatistischen strukturen zu tun. Die Gespräche finden immer noch statt. Katzenstein unterscheidet zudem auch zwischen „liberalem Korporatismus“, in welchem die Wirtschaft stärker vertreten ist, und „sozialem Korporatismus“, in welchem die Gewerkschaften mehr Macht besitzen. Demnach vollzieht sich ein Wandel von „sozialem Korporatismus“ zum „liberalem Korporatismus“. Zudem schwächt ein Rückgang der Partizipation nicht nur den Korporatismus, sondern auch den Pluralismus gleichstark.

3.7 Zusammenfassung

Man kann also, nach Lijphart, nicht vom Rückgang des Korporatismus sprechen, höchstens von einem Wandel der klassischen Strukturen. Die 6 aufgeführten Punkte lassen sich jeweils von jedem Standpunkt anders interpretieren. Klar ist zumindest, wie oben erwähnt, daß es weder rein pluralistisch, noch korporatitische Länder gibt, sondern immer nur gewisse Tendenzen erkennbar waren, sind und bleiben.

4. Interessengruppen in 36 Demokratien

Bei den von Lijphart behandelten 36 Demokratien ergibt sich zunächst das Problem, daß für die 12 weniger entwickelten, teilweise auch sehr jungen Demokratien die nötigen Daten fehlen. Seine Gründe hierfür sind, daß die Interessengruppenforschung hauptsächlich von Anhängern des Korporatismus betrieben wurde, und die fehlenden Länder primär pluralistische Strukturen aufweisen, da laut Haggard und Kaufmann hier die nötige Organisation der Beteiligten kaum vorhanden ist, und somit „tripartit pacts“ schwierig macht.24 Dennoch sind nicht alle dieser Staaten klar pluralistisch. Mauritius, Kolumbien, Costa Rica und vor allem Venezuela zeigen mehr oder minder starke korporatistische Strukturen auf. Coppedge beschreibt das venezuelanische System als fast identisch mit den beiden gesellschftlich korporatistischen Staaten Deutschland und Österreich.25 In Papa Neu Guinea und Botswana seien ebenfalls korporatistische Strukturen aufzufinden, so Holm.26 Die karibischen Länder und Malta sind weiterhin mehrheitlich pluralistisch geprägt, obwohl Barbados korporatistische Tendenzen aufweist.27 In Trinidad und Tobago sind bereits „tripartit pacts“ zustandegekommen, und Indien ist primär pluralistisch geprägt, obwohl es auch schon zu Absprachen und Abkommen in der Agrarpolitik kam.28 Für die Einordnung in „pluralistisch“ und „korporatistisch“ der anderen 24 Demokratien benützt Lijphart Siaroffs Tabelle, in der die Pluralität der Länder in ein Skala von 0- 4 eingeordnet ist, wobei 4 am „pluralsten“ und 0 am „korporativsten“ ist. Seiner Meinung nach ist diese Tabelle am geeignesten, da sie Schmitters acht wichtige Punkte berücksichtigt. Er setzt die fehlenden 12 Länder nach seinem Ermessen ein. Dabei kommen volgende Werte zustande:29

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Hier sieht man deutlich, daß es keine klaren pluralitisch oder korporatistischen Staaten gibt. Der Großteil der untersuchten Demokratien ist jedoch eher pluralistisch geprägt.

Die Frage ist jedoch, warum ist ein Staat pluralistisch oder korporatistisch geprägt? Diese Frage soll das nächste Kapitel versuchen zu erklären.

5. Auftreten der Interessengruppenstrukturen

Cawson versucht unter anderem die Interessengruppenausprägung in zwei Typen einzuordnen.30 Er wählt die beiden Extreme Frankreich und Groß Britannien vor der Zerschlagung der Gewerkschaften 1985. Im französischem System sieht er einen starken Staat, der sich schwach organisierten Interessengruppen gegenüber sieht, während er in Groß Britannien einen schwachen Staat und gut strukturierte, mächtige Interessenvertretung sieht. Diese Theorie würde aufgehen, wenn man bedenkt, daß Groß Britannien nun stark pluralistisch geprägt ist, doch auch in Frankreich ist es trotz starker Regierung unter Jospin zu „tripartit pacts“ gekommen.

Auserdem würde dies auch Lijpharts Thesen der „starken“ Regierung in Mehrheitsdemokratien, und daß der Korporatismus hauptsächlich in Konsensdemokratien existiert, widersprechen.

Eine andere Theorie wäre, daß hauptsächlich die kleinen Staaten pluralistisch geprägt sind, da in ihnen, wie oben erwähnt, die korporation durch fehlende Partner erschwärt wird. Aber auch hier gäbe es wiederum allzu deutliche Ausnahmen, wie Kanada, den USA und den- zwar im Vergleich zu den USA kleinen, aber dennoch nicht irrelevanten- Staaten Italien, Portugal, Frankreich und Spanien. Auf der anderen Seite, bei den korporatistischen Staaten müssten also große Länder aufzufinden sein, wozu z.B. Mauritius und Luxemburg gewiss nicht zählen.

Auch die Theorie, daß die ehemals faschistischen Staaten zu Korporatismus tendieren, wäre durch die Staaten Italien, Portugal, Spanien, oder gar der Schweiz, die stark korporatistisch geprägt ist, jedoch nie viel mit Faschismus in Berührung kam, widerlegt. Übrig bleibt also nun Lijpharts Theorie, nach der Korporatismus ein Merkmal der Konsensdemokratie und Pluralismus ein Merkmal der Mehrheitsdemokratie ist. Zwar gibt es auch hier starke Ausreiser wie Portugal, Italien, Papa Neu Guinea, Österreich, Schweden und Norwegen, jedoch berrücksichtigt Lijphart die Interessengruppen- systeme nur im Zusammenhang seiner Analysen der Konsens- und Mehrheitsdemokratien.31

Nun müsste also die Frage gestellt werden, warum ist in Konsensdemokratien die Korporatismusausprägung höher als in Mehrheitsdemokratien. Zwar ist in Konsensdemokratien die Demokratiezufriedenheit höher, doch ist dies sicher nicht der Anlass weniger Interessengruppen zu bilden. Ein anderes Erklärungsmodell Cawsons32 unterstützt praktisch Lijpharts Theorie, indem er argumentiert, daß die Interessengruppen Einfluß auf die Wähler hat. In einem Einperteiensystem ist dieser Einfluß jedoch nicht sehr relevant, da es nur zwei Alternativen gibt, denen die Wähler mehr oder minder gut gesinnt sind. Es ist also für die Parteien praktisch egal, ob sie mit den Interessenverbänden verhandeln oder nicht, da sie entweder sowieso ihrer Meinung oder Gesinnung sind (z.B. klassisches Beispiel- Sozialdemokratische oder Arbeiterpartei vertritt eher Gewerkschaftsinteressen, Konservative eher Arbeitgeberinteressen) Die Interessengruppen machen Werbung für die jeweilige Partei, womit für diese kein Bedarf zu Verhandlungen besteht. Die politisch weniger relevanten Gruppen, wie Umweltschützer müssen sich somit selbständig organisieren und für ihre Ziele eintreten.

In Mehrparteiensystemen ist das Spektrum der Wahlmöglichkeiten größer, und auch politisch weniger relevante Interessengruppen finden „ihre“ Partei. (Umweltschützer wählen Grün, Alte „Graue Panter“, Unternehmer nicht unbedingt konservativ, sondern eher liberal, Arbeiter nicht unbedingt sozialdemokratisch, vielleicht eher kommunistisch etc.) Somit ist die Regierung, um ihre Macht zu erhalten mehr oder minder gezwungen mit den Interessengruppen einen Konsens zu erzielen. Zugegeben, auch diese Theorie ist nicht die Ideale, doch erscheint sie auch mir am plausiebelsten von allen.

6. Fazit

Warum Lijphart nun die Interessengruppenstrukturen als fünften Punkt der Exekutiven- Parteiendimension aufnimmt erscheint mir nicht ganz klar, da er zuerst selbst behauptet, daß kein klarer Zusammen- hang zwischen dem Interessengruppensystem und den anderen 4 Punkten der Exekutiv- Parteiendimension besteht.33 Daß das Wahlssystem das Parteienssyatem, das Parteiensystem die Kabinettsbildung, die Kabinettsbildung wiederrum die Regierungsdauer beeinflusst, erscheint klar und nachvollziehbar. Und die empirischen Befunde zeigen, daß das Interessengruppensystem je nach Demokratie geprägt ist. Lijphart lässt jegliche Erklärung dazu aus. 3 Seiten später behauptet er jedoch, die Interessengruppensysteme hätten einen Zusammenhang mit dem Wahlssystem34 - womit die oben genannte These bestätigt wäre.

Meiner Meinung nach ist das Interessengruppenssystem kein typisches Merkmal der jeweiligen Demokratimodelle, da es sich über die Jahrzehnte hinweg in fast jedem demokratischen Staat mehr oder minder gewandelt hat, was von den anderen Merkmalen der jeweiligen Demokratien nicht zu behaupten ist. Das beste Beispiel hierfür ist Groß Britannien, welches schon immer Mehrheitsdemokratisch, in den 80ern, vor der Thatcherregierung aber korporatistisch und nun pluralistisch geprägt ist. In Frankreich und Italien- was zugegebenermaßen nach Lijpharts Argumentation auch korporatistisch sein müsste- haben sich in den letzten Jahren korporatistische Tendenzen erkennen lassen. So fand in beiden Staaten jüngst ein „Bündis für Arbeit“ statt, und Österreich, was nach seinem Parteiensystem eher pluralistisch geprägt sein müsste, galt früher als Vorzeigebeispiel für den Korporatismus.

Das Interessengruppensystem ist sicher nicht unrelevant für eine Demokratiestudie, jedoch sollte ihm, meiner Ansicht nach, nicht so viel Bedeutung wie den anderen Merkmalen zugemessen werden.

Literaturverzeichnis

- Abel, Günther/ Sandkühler, Hans Jörg: Pluralismus- Erkenntnistheorie, Ethik und Politik, Hamburg: Meiner, 1996

- von Alemann, Ulrich/ Heinze, Rolf G.: Verbände und Staat- Vom Pluralismus zum Korporatismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1979

- Berthold, Norbert: Bündnis für Arbeit: Korporatismus statt Wettbewerb, Tübingen: Mohr Siebeck, 1999

- Von Beyme, Klaus: Interessengruppen in der Demokratie, 5. Auflage, München: R. Piper& Co., 1980

- Cawson, Alan: Corporatism and Political Theorie, Oxford: Blackwell,

- Ehrlich, Roselore/ Gurst, Günther/ Kürstner, Herbert: Kleines Fremdwörterbuch, 2. Auflage, Leipzig: VEB- Verlag, 1973

- Hartmann, Jürgen/ Thaysen, Uwe: Pluralismus und Parlamentarismus in Theorie und Praxis, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1992

- Jedral, Hansjürgen: Der bayrische Senat. Sonderfall im Föderalismus- und parlamentarisches Model für Korporatismus?, Frankfurt a. M.: Haag und Herchen, 1993

- Streeck, Wolfgang: Staat und Verbände, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994

[...]


1 Lijphart, Arend: Patterns of Democracy- Government Forms and Perfomance in Thirty- Six Countries, New Haven, Yale University Press, 1999, S. 172

2 Vgl. Schmitter , Phillipe C.:Still the Century of Corporatism?. In: Rewiew of Politics, S. 94

3 Ehrlich, Roselore/ Gurst, Günther/ Kirsten, Herbert: Kleines Fremdwörterbuch, 2.Auflage, Leipzig: VEB- Verlag, 1973, S.183

4 Wichar, Rudolf: Politische Willensbildung in der Demokratie: Partizipation, Pluralismus, Parteien, Tübingen, Dt. Inst. für Fernstudienforschung an der Univ. Tübingen, S. 38

5 Sandkühler, Hans Jörg: Pluralismus. In: Abel, Günther/ Sandkühler, Hans Jörg (Hrsg.): PluralismusErkenntnistheorie, Ethik und Politik, Hamburg: Meiner, 1996, S. 27

6 vgl. Cawson, Alan. Corporatism and Political Theorie, Oxford, T.J. Press Ltd, 1986, S.28

7 vgl. Lijphart, Arend: Patterns of Democracy,a.a.O., S. 172

8 Sandkühler, Pluralismus, a.a.O., S.25

9 von Beyme, Klaus: Interessengruppen in der Demokratie, 5. Auflage, München: R. Piper & Co. Verlag, 1980, S.30- 34

10 von Alemann, Ulrich/ Heinze, Rolf G.: Einleitung. In: von Alemann, Ulrich/ Heinze, Rolf G (Hrsg.): Verbände und Staat Vom Pluralismus zum Korporatismus. Analysen, Positionen, Dokumente, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1979, S.18

11 Adam, H., 1978: Theorie gesellschaftlicher Machtverteilung. Köln

12 von Alemann/ Heinze, Einleitung, a.a.O., S.18

13 ebenda

14 vgl. Czada, Roland: Konjunkturen des Korporatismus: Zur Geschichte eines Paradigmenwechsels in der Verbändeforschung. In: Streeck, Wolfgang(Hrsg.): Staat und Verbände, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1994, S.39

15 von Alemann/ Heinze, Auf dem Weg zum liberalen Ständestaat? Einführung in die Korporatismusdiskussion, a.a.O., S.38

16 Schmitter, Still the century of Corporatism?, a.a.O., S.93

17 ebenda, S.103- 104

18 ebenda, S. 107

19 Cawson, Corporatism and Political Theory, a.a.O., S.84- 123

20 Jedral, Hansjürgen: Der bayrische Senat- Sonderfall im Föderalismus- und parlamentarisches Model für Korporatismus?, Frankfurt a. M.: Haag und Herchen, 1993, S. 42

21 Berthold, Norbert: Bündnis für Arbeit: Korporatismus statt Wettbewerb, Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, S.36

22 Lijphart, Patterns of Democracy, a.a.O., S.173

23 Berthold, Bündnis für Arbeit, a.a.O., S.56

24 Lijphart, Patterns of Democracy, a.a.O., S.177

25 ebenda, S.178

26 ebenda

27 ebenda

28 ebenda

29 ebenda, S.177

30 Cawson, Corporatism and Political Theory, a.a..O., S.20

31 Lijphart, Patterns of Democracy, a.a.O., S.184

32 Cawson, Corporatism and Political Theorie, a.a.O., S.20

33 Lijphart, Patterns of Democraca,a.a.O., S.181

34 ebenda, S.184

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Interessengruppenstrukturen in Konsens- und Mehrheitsdemokratien
Hochschule
Universität Stuttgart
Veranstaltung
Proseminar
Note
3,3
Autor
Jahr
1999
Seiten
17
Katalognummer
V104283
ISBN (eBook)
9783640026364
Dateigröße
372 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interessengruppenstrukturen, Konsens-, Mehrheitsdemokratien, Proseminar
Arbeit zitieren
Susana Catalina (Autor:in), 1999, Interessengruppenstrukturen in Konsens- und Mehrheitsdemokratien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104283

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