Welchen Einfluss haben soziale Netzwerke auf eine mögliche Entstehung von Essstörungen?

Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Zeitalter der Sozialen Medien


Hausarbeit, 2021

33 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definitionen und theoretischer Hintergrund

3 Aktueller Forschungsstand

4 Fragestellungen und Hypothesenbildung

5 Methodenteil

6 Auswertung der Stichprobe und Darstellung der Ergebnisse

7 Diskussion und Interpretation

8 Literaturverzeichnis

9 Tabellen- und Grafikverzeichnis

1 Einleitung

„Kindheit bedeutet heute Medienkindheit.“1

Für die meisten Kinder und Jugendlichen sind soziale Netzwerke in der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken. Ob Facebook, Instagram oder Snapchat – insbesondere die Entwicklung der letzten Jahre zeigt ein stark erhöhtes Konsumverhalten in der gesamten Gesellschaft: Statistiken zeigen, dass im Jahre 2019 bereits 95% der Jugendlichen zwischen 14 und 15 Jahren die Messenger-App „Whatsapp“, sowie 70% die Bilder-Plattform „Instagram“ regelmäßig auf ihren Smartphones und Tablets nutzen.2 Zudem geben bereits über die Hälfte der befragten 6-7 Jährigen Kinder an, zumindest ab und zu ein Smartphone in Gebrauch zu haben.3 Soziale Medien im eigentlichen Sinne dienen inzwischen nicht mehr nur ausschließlich der Kommunikation untereinander, sondern werden von ihren Nutzern in Grundzügen aktiv mitgestaltet und stellen für viele Jugendliche eine Möglichkeit zur Selbstdarstellung, Persönlichkeitsentwicklung, gesellschaftlichen Teilhabe und freien Meinungsäußerung dar. Neben diversen Vorteilen, die sich in diesem Zusammenhang ergeben, bergen das Internet und soziale Plattformen jedoch auch unzählige Gefahren und Risiken, weshalb diese inzwischen einen zentralen Stellenwert im sozialpädagogischen Diskurs eingenommen haben. Aus der Leidenschaft für das Internet und dessen Plattformen bildeten sich erst kürzlich neuartige berufliche Perspektiven: Sogenannte „Influencer“ sind für die Internetnutzer dauerhaft präsent und stehen oft tagtäglich in Kooperation mit verschiedenen Firmen und Unternehmen, um mithilfe teils komplexer Vermarktungsstrategien diverse Produkte anpreisen und zu bewerben. Ferner nimmt die Visualisierung des Körpers in Form von (teils freizügigen) Fotos eine zunehmend größere Rolle hinsichtlich der Entwicklung, Sozialisation und der eigenen Körperwahrnehmung von Kindern und Jugendlichen ein.4

Eine Gefahrenquelle der sozialen Netzwerke, die aus dieser Problematik hervorgeht, soll in dieser Hausarbeit vorrangig beleuchtet werden: die mögliche Entstehung von Essstörungen (z.B. Anorexie und Bulimie). In diesem Kontext entwickelte ich die Fragestellung, inwiefern ein Zusammenhang zwischen einer regelmäßigen Nutzung der o.g. sozialen Plattformen und ungesundem Essverhalten, sowie der damit verbundenen Entstehung von Essstörungen verschiedener Gruppierungen besteht. Um diese Überlegung aufgrund des limitierten Umfangs dieser Arbeit einzugrenzen, befasse ich mich in den folgenden Ausführungen sowie in meinem Fragebogen hauptsächlich mit der Zielgruppe der 14-24 Jahre alten Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Um vorerst einen umfassenden Überblick über die Thematik zu gewinnen, sollen zunächst Definitionen, theoretische Hintergründe sowie der aktuelle Forschungsstand behandelt werden, um in einem nächsten Schritt mit meiner eigenen Forschungsarbeit im Hinblick auf das methodische Vorgehen, die Auswertung und Interpretation sowie Prä- und Interventionsmöglichkeiten für die Soziale Arbeit zu beginnen. Das daraus resultierende Fazit soll perspektivisch einen Rückbezug zur anfangs aufgestellten Hypothese herstellen und einen Überblick über die gesamte Arbeit liefern.

2 Definitionen und theoretischer Hintergrund

2.1 Soziale Medien

Der Begriff der „Sozialen Medien“ (eng. „Social Media“) schließt eine Bandbreite an unterschiedlichen Definitionen und Dimensionen in sich ein, die sich im Sachgebiet der Sozial- und Kommunikationswissenschaften verorten. In Abgrenzung zu den klassischen Massenmedien wie Fernsehen oder Radio, bei denen es sich um eine eindimensionale Kommunikation handelt, steht bei den Sozialen Medien eine wechselseitige Interaktion zwischen Nutzern im Rahmen einer direkten/mehrdimensionalen Kommunikation im Vordergrund.5 Dies erklärt so auch die Begriffsergänzung „Sozial“ in der Bezeichnung „Soziale Medien“.

Als einheitliche Grundlage für alle weiteren Ausführungen soll die folgende Begriffsbestimmung zur Orientierung dienen, die im Rahmen des 25. NEON-Plenums des Berufsverbandes Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. am 18. Februar 2013 veröffentlicht wurde: „Social Media ist eine Vielfalt digitaler Medien und Technologien, die es Nutzern ermöglichen, sich auszutauschen und mediale Inhalte einzeln oder in Gemeinschaft zu gestalten. Die Interaktion umfasst den gegenseitigen Austausch von Informationen, Meinungen, Eindrücken und Erfahrungen sowie das Mitwirken an der Erstellung von Inhalten. Die Nutzer nehmen durch Kommentare, Bewertungen und Empfehlungen aktiv auf die Inhalte Bezug und bauen auf diese Weise eine soziale Beziehung untereinander auf [...].“6

Die Entwicklung und der Ausbau des Internets und damit auch der Sozialen Medien vollzog sich innerhalb der letzten Jahre sehr rasant. Aus diesem Grund und im Zusammenhang mit aktuellen Statistiken und Analysen beschreiben auch Monika Taddicken und Jan-Hinrik Schmidt die Sozialen Medien inzwischen als „gesellschaftlich etabliert“7.

Grundsätzlich können eine Reihe an verschiedenen Gattungen der Sozialen Medien unterschieden werden, deren Eigenschaften oft einige Berührungspunkte besitzen, die eine strikte Trennung beinahe unmöglich machen.

Eine der wichtigsten und größten Teilbereiche der Sozialen Medien stellen die „Plattformen“ dar, die den Nutzern mit ihrer Software eine Infrastruktur für Kommunikation bieten.

Die erste Kategorie, die sogenannten „Netzwerkplattformen“, etablierten sich in der Gesellschaft ungefähr Mitte der 2000er-Jahre. Eine der ersten sich durchsetzenden sozialen Netzwerkplattformen stellte dabei der Messenger-Dienst „mySpace“, der im Laufe der Jahre deutlich vom US-amerikanischen Social Media Unternehmen „Facebook“ abgelöst wurde: Im dritten Quartal des Jahres 2020 verzeichnete Facebook rund 2,7 Milliarden aktive Nutzer weltweit.8 Netzwerkplattformen kennzeichnen sich oft über eine Anmelde- oder Registrierungsmaske, die es im Anschluss ermöglicht, ein persönliches Profil zu erstellen, mit Freunden in Kontakt zu treten und mit ihnen Inhalte zu teilen. Weitere Beispiele für diese Kategorie sind unter anderem „Instagram“, „Snapchat“, oder „Twitter“.

Die zweite Kategorie, die sogenannten „Diskussionsplattformen“, ermöglichen es dem Nutzer ebenfalls, sich mit anderen in verschiedenen Foren oder Gruppen auszutauschen und zu verschiedenen Themen zu debattieren und Rat zu finden. Hier liegt der Fokus allerdings nicht auf der wechselseitigen Kommunikation selbst, obwohl auch hier in den meisten Fällen Nutzerprofile angelegt werden können, sondern auf dem sogenannten „Thread“ (dt. „Faden“, „Strang“), also der chronologischen Abfolge an Nachrichten zu einer Frage, einer Hypothese oder einem Thema im Allgemeinen.

Die letzte Kategorie ist die sogenannte „UGC-Plattform“ („user-generated content“), bei der der Fokus auf der Veröffentlichung von spezifischen Medienformen (z.B. Videos, Bilder, Audiodateien oder Präsentationen) liegt. Exemplarisch hierfür sind Plattformen wie „Youtube“, „Tumblr“, „Pinterest“, „TikTok“ oder „Soundcloud“. Die fließenden Übergange zwischen den verschiedenen Gruppierungen werden am Beispiel der Sharing-Plattform „Instagram“ deutlich, die einerseits zu den Netzwerkplattformen, andererseits zu den UGC-Plattformen gezählt werden kann. Hier wird der kommunikative Aspekt mit der Publizierung von Fotos und Videos kombiniert.

Eine weitere abzugrenzende Form der Sozialen Medien und als Weiterentwicklung der anfänglichen SMS-Dienste stellt das sogenannte „Instant Messaging“ in Form von Chatrooms dar (z.B. „Whatsapp“). Hier geht es um das Versenden von Textnachrichten, Fotos, Videos, Dokumenten und Kontaktdaten zwischen zwei oder mehreren Personen in Chats und Gruppen. Eine Registrierung findet hier über die jeweilige Handynummer statt.9

Für die weitere Ausgestaltung dieser Hausarbeit ist insbesondere die Gruppierung der Netzwerkplattformen oder die Kombination aus mehreren Komponenten von besonderer Relevanz, da in dieser die meiste direkte und wechselseitige Interaktion aller Art zwischen Internetnutzern stattfindet.

2.2 Essstörungen – Ursachen und Dimensionen

„Ich konnte es gar nicht fassen, dass meine Tochter so viel Energie verwendet auf das Thema Essen. [...] Meine magersüchtige Tochter hatte die ganze Familie in der Hand. Im Mittelpunkt stand das magersüchtige Wesen.“10

Diese Aussagen einer verzweifelten Mutter über ihre an Bulimie erkrankte Tochter zeigen das Ausmaß einer Essstörung innerhalb eines Familiensystems. Für die Betroffenen selbst bedeutet die Krankheit jedoch noch viel mehr.

Im folgenden Kapitel soll kurz in das Thema Essstörungen und ihre Dimensionen eingeführt werden.

Gemäß WHO-Definition gehören Essstörungen zu den „Verhaltensauffälligkeiten mit körperlichen Störungen und Faktoren“ (F50-F59). Unterschieden werden dort neun verschiedene Arten, Symptome und Ursachen der Krankheit, bei denen viele Essstörungen nicht in Reinform auftreten. Unabhängig davon steht bei jeder Störung des Essverhaltens ein problematisches Verhältnis im Umgang mit Essen und zum eigenen Körper, sowie die permanente gedankliche und emotionale Beschäftigung mit diesen Thematiken im Vordergrund. In der Regel betrifft eine Essstörung entweder eine gesteigerte Nahrungsaufnahme oder deren Verweigerung und kann mit zahlreichen psychosozialen Begleiterkrankungen einhergehen.11 Aus Praktikabilitätsgründen kann in dieser Arbeit keine umfassende Übersicht über alle Typen der Erkrankung gegeben werden, weshalb sich in den folgenden Ausführungen auf die beiden häufigsten – und im Kontext dieser Hausarbeit relevantesten - Arten einer Essstörung konzentriert werden soll.

Die sogenannte „Anorexia nervosa“ (AN) zeichnet sich durch ein beständiges, pathologisches Streben nach Schlankheit aus, obwohl sich das Gewicht der Betroffenen bereits im kritischen unteren Bereich befindet. Es handelt sich um eine Körperschemastörung, die auf einer unverhältnismäßigen Wahrnehmung oder Verurteilung des eigenen Körpers basiert. Um das Ziel, immer und immer dünner zu werden, zu erreichen, wird die Nahrungsmenge und die Nahrungsauswahl sehr stark eingeschränkt und gewisse Essensrituale entwickelt, um dem Hunger und insbesondere „Fressanfällen“ entgegenzuwirken. In diesem Kontext wird vom „restriktiven Typ“ der Erkrankung gesprochen. Die zweite Unterkategorie, der „bulimische Typus“ beinhaltet die zusätzliche Beschleunigung der Gewichtsabnahme durch selbst ausgelöstes Erbrechen, Medikamentenmissbrauch (z.B. Abführmittel, Appetitzügler) und/oder exzessive sportliche Betätigung. Um eine sichere Diagnose stellen zu können, muss das tatsächliche Körpergewicht des jeweiligen Betroffenen mindestens 15% unter dem zu erwartenden Gewicht (oder einem Body-Mass-Index12 von 17,5 oder weniger) entsprechen.

Die Betroffenen entwickeln innerhalb der Sucht eine gewaltige Disziplin. Sie erleben zunächst nicht selten eine gewisse Leichtigkeit, Befreiung und Euphorie in ihrem Tun. Oft verwandeln sich diese positiven Gefühle mit fortschreitendem Gewichtsverlust in Gleichgültigkeit, Leere und Depressionen. Unabhängig vom jeweiligen Typus besteht nur selten eine Krankheitseinsicht. Das erschwert es den Angehörigen und Fachkräften zusätzlich, einen Zugang zu den Gefühlswelten der Patienten und Patientinnen zu erlangen und auf eine Besserung der Symptomatik hinzuarbeiten.

Obwohl die Betroffenen das Essen selbst gänzlich ablehnen, beschäftigen sie sich doch fast ausschließlich mit verwandten Themen. Oft lesen sie auffällig gerne Kochbücher, befassen sich gründlich mit verschiedenen Lebensmitteln und der Nahrungszubereitung und bekochen andere mit aufwändigen Mahlzeiten. An dieser Stelle beginnt die Krankheit, sich zu verselbstständigen. Weitere Begleiterscheinungen sind unter anderem trockene Haut, brüchige Nägel, Haarausfall, niedrige Körpertemperatur im Zusammenhang mit einem ständigen Kältegefühl, niedriger Puls und Blutdruck, sowie Schlafstörungen und Tendenzen zur Selbstverletzung. Ein gestörtes Essverhalten kann sowohl Frauen als auch Männer betreffen, wenn auch nur ca. 10% der an „Anorexia nervosa“ erkrankten Personen männlich sind. In der Gesellschaft werden Essstörungen trotzdem noch immer als „Frauenkrankheit“ angesehen.13 Eine weitere Form der Krankheit ist die sogenannte „Bulimia nervosa“ (BU), bei der die schnelle und ungesunde Gewichtsreduktion zwar ebenfalls im Vordergrund steht, auf den ersten Blick jedoch nicht direkt ersichtlich ist, da sich das Gewicht der Betroffenen oft im normalen oder sogar leicht übergewichtigem Bereich bewegt. Typisch für diese Art der Essstörung sind häufige Essattacken in Form von Impulshandlungen und Kontrollverlusten, auf die ein selbst herbeigeführtes Erbrechen folgt. Bei einem akuten Anfall nehmen die Betroffenen in der Regel ca. 3000-5000 kcal zu sich, bei dem die Nahrung regelrecht „verschlungen“ wird. In diesem Zusammenhang beginnen die Betroffenen auch oft, Nahrungsmittel in riesigen Mengen zu beschaffen oder sogar Essen zu stehlen. Der ständige Wechsel zwischen Essen und Erbrechen über den Tag verteilt führt häufig zu schweren Erschöpfungszuständen und Apathie, Konzentrations- und Schlafstörungen, sowie zu Hypokaliämie (Kaliummangel), Muskelschwäche, Herzrhythmusstörungen und Dehydrierungszuständen. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr zurück, isolieren sich von ihren Mitmenschen und sind oft nicht mehr in der Lage, beruflichen und sozialen Verpflichtungen nachzugehen. Auf der psychischen Ebene treten außerdem in der Regel diverse Verhaltensauffälligkeiten, wie z.B. stark ausgeprägte Schuld- und Schamgefühle, depressive Verstimmungen und Impulskontrollstörungen auf. Auch hier geht die Sucht oft mit Medikamentenmissbrauch und exzessiver sportlicher Betätigung einher. Die Essstörung kann dabei als Teufelskreis bezeichnet werden, da das ständige Diäten und Fasten zu einem instabilen und mangelhaften psychischen Zustand führt, der dann wieder durch Essattacken kompensiert wird. Durch das psychische Leiden werden anschließend jedoch wieder Gegenmaßnahmen ergriffen, damit sich das eigene Gewicht unter keinen Umständen erhöht.14

Ferner können beide Formen der Essstörung mit psychischen Komorbiditäten, beispielsweise affektiven Störungen (Depression, Manie etc.), Angst- sowie Zwangsstörungen, Substanzmissbrauch und -abhängigkeit und bestimmten Persönlichkeitsstörungen (Borderline-Persönlichkeitsstörung etc.) einhergehen.

Die Ursachen für die Ausbildung einer Essstörung sind in der Regel multifaktoriell bedingt. Es gibt nicht „den einen“ Auslöser, vielmehr handelt es sich um ein Zusammenspiel genetischer, neurobiologischer, individuell-psychologischer und soziokultureller Faktoren.15 Letzterer soll in dieser Hausarbeit besonders beleuchtet und analysiert werden: Das extrem schlanke Schönheitsideal unserer heutigen Kultur, welches unumstritten besteht und durch die Medien und sozialen Netzwerke vermittelt wird, geht an den Heranwachsenden nicht spurlos vorbei. Traumatische oder belastende Vorfälle in der Familie, z.B. häusliche Gewalt, Missbrauch oder Trennung der Eltern, die die gewohnten Strukturen innerhalb des Familiensystems beeinflussen oder zerstören, können dabei gleichwohl eine Ursache für ein essgestörtes Verhalten darstellen, wie ein überbehütendes und kontrollierendes Familienumfeld, in dem z.B. ein hoher Leistungs- und Erfolgsdruck herrscht.16

3 Aktueller Forschungsstand

3.1 Theorien sozialer Vergleichsprozesse

„Personen wären sich als isolierte Wesen hinsichtlich der Bewertung ihrer eigenen Leistungen, Fähigkeiten oder Überzeugungen extrem unsicher. Woran erkennen wir, ob unsere Fähigkeit, 100 m in 24,5 Sekunden zu laufen ziemlich gut oder ziemlich schlecht zu bewerten ist?“17

Auf dieser Überlegung basiert die „Theorie des sozialen Vergleichs“ nach Leon Festinger aus dem Jahre 1954 und wird aufgrund der immer stärker vertretenden Vergleichstendenzen zwischen Individuen in den sozialen Medien für diese Forschungsarbeit relevant.

Grundgedanke dieser Theorie ist die Motivation des Menschen, ihre eigenen Fähigkeiten realistisch zu bewerten, indem sie diese mit anderen vergleichen und somit relevante Informationen über sich selbst erlangen können. Es handelt sich hierbei um die Schaffung bestimmter zuverlässiger Kriterien, die diese Überprüfung des eigenen Handelns erst gewährleistet. Ziel ist es, die eigenen Fähigkeiten und Fertigkeiten auf dieser Grundlage zu verbessern.

Darüber hinaus gilt, dass Individuen glauben im Recht zu sein, sobald deutlich wird, dass viele andere Personen die gleiche Meinung teilen. In der Position der Mehrheit liegt der Fokus des Individuums auf dem Drang zur Überzeugung der Minderheit, während er andersherum, in der Minderheitsposition, auf der Meinungsänderung in Richtung der in dem Moment „allgemeingültigen“ Position liegt.

Unumstritten bleibt, dass extreme Abweichungen zum jeweiligen Vergleichskriterium zu einer Neuorientierung führen kann, während ein leichtes Unter- oder Überschreiten des Vergleichsmaßstabs in einer positiven oder negativen Selbstbeurteilung auf der Gefühlsebene in Form von Zufriedenheit oder Unzufriedenheit resultiert.18

In diesem Kontext wird zwischen dem Horizontalvergleich (Vergleich mit Ähnlichen, Gleichgestellten), dem Abwärtsvergleich (Vergleich mit Unterlegenden) und dem Aufwärtsvergleich (Vergleich mit Überlegenden) unterschieden. Dabei handelt es sich in der Regel entweder um die Auf- oder Abwertung des eigenen Selbstbildes, die entweder zur Vergegenwärtigung der bereits erreichten Ziele oder aber der Motivation zur Erlangung noch nicht erreichter Ziele im Sinne der Frage „Was ist möglich und wie komme ich dorthin?“ führen.

A. Fahr und A. Ort merken an dieser Stelle an, dass sich neben den positiven Aspekten, die sich aus sozialen Vergleichsprozessen ergeben können, letzterer Vergleich durchaus auch negative Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und die eigene Körperwahrnehmung haben können. Im Kontext der sozialen Medien bedeutet dies konkret: „Die Ergebnisse zeigen, dass die mediale Darstellung von Schlankheitsidealen in den Medien zusammen mit einer Anfälligkeit für Körperwahrnehmungsstörungen einen Effekt auf entsprechende Einstellungen und Verhaltensweisen von Frauen (z.B. Internalisierung des Schlankheitsideals, Streben nach Schlankheit und das Essverhalten) haben kann.“19 Dieser Zusammenhang betreffe sowohl Frauen, als auch Männer: Wird ein Mann in den Medien zum Beispiel überdurchschnittlich attraktiv und trainiert dargestellt, bedeute dies in vielen Fällen eher eine grundlegende Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und diene weniger zur Motivation, das eigene Verhalten zu verändern und anzupassen.20

Internetnutzer verfügen durch soziale Plattformen im Zeitalter der sozialen Medien tagtäglich und ununterbrochen über einen Raum, der aufwärts und abwärts gerichtete Vergleiche ermöglicht, wodurch es leicht zur Reizüberflutung, Überforderung und Unschlüssigkeit der eigenen Gefühle und Gedanken kommen kann.

Zusammenfassend lässt sich schlussfolgern, dass auf der Grundlage der Theorie sozialer Vergleichsprozesse und den damit einhergehenden Untersuchungen nicht pauschalisiert werden kann, inwiefern sich diese nun positiv oder negativ auf die persönliche Gesundheit und die Ausbildung möglicher psychischer Auffälligkeiten (insbesondere Essstörungen) auswirken kann. Relevant sind an dieser Stelle zusätzlich genetische, individuell-psychologische, soziokulturelle und situative Faktoren, sowie bereits bestehende Ressourcen und eine hohe Resilienz.21

An dieser Stelle soll auf eine Studie aus dem Jahr 2013 des Wissenschaftlers E. Kross verwiesen werden, der untersuchte, welchen Einfluss die regelmäßige Nutzung der Plattform „Facebook“ auf das Wohlbefinden der Probanden innerhalb eines bestimmten Zeitraums hat. Insgesamt 82 Personen wurden unter Berücksichtigung ihrer Aktivität auf Facebook mehrmals täglich per SMS gefragt, wie es ihnen geht. Aus der Auswertung dieser Studie lässt sich ableiten, dass durchaus ein negativer Zusammenhang zwischen der Facebook-Nutzung und der allgemeinen psychischen Verfassung der Probanden besteht, wenn auch andersherum ein schlechter Gemütszustand nicht zwangsläufig zu einer häufigeren Nutzung der Plattform führt. Kross betont an dieser Stelle aber auch, dass hier nicht von einer eindeutigen Kausalität gesprochen werden kann, vielmehr müssen auch äußere Faktoren (Intensität der Nutzung und die Differenzierung in den Themen, mit denen sich innerhalb der Plattform beschäftigt wird) mit in die Überlegungen einbezogen werden. Eine weitere Studie desselben Jahres von H. Krasnova und H. Wenninger, in der ein möglicher Zusammenhang zwischen einer regelmäßigen Facebook-Nutzung und der Entstehung von Neid und Eifersuchtsgefühlen untersucht wurde, belegt, dass bereits die passive Verfolgung von anderen Usern, darunter insbesondere bekanntere Blogger und Influencer, zu Neid, und damit gleichzeitig zu einer geringeren allgemeinen Lebenszufriedenheit führen kann. Unterdessen darf aber nicht unterschätzt werden, dass fast drei Viertel der befragten Probanden angaben, Neid und Eifersucht hauptsächlich im realen Leben zu erleben und sie die Plattform Facebook selbst eher mit positiven als negativen Gefühlen assoziieren.

In der Gesamtheit zeigt sich, dass es sich trotz aktueller Studien und Untersuchungen problematisch gestaltet, eine pauschale Aussage über diese Wechselbeziehungen zu treffen, sofern diverse Begleitumstände nicht in die Analysen einbezogen werden können.22 Durch die Vielzahl unrealistischer Inhalte in der heutigen idealisierten Onlinegesellschaft bleibt jedoch zweifelsfrei ein Risiko bestehen, vor denen es Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene zu schützen gilt.

[...]


1 Böll, F.J.: Aufwachsen in der (Medien-)Gesellschaft. In: Soziale Arbeit und Medien (Hrsg. Cleppion, G., Lerche, U.), VS Verlag für Sozialwissenschaften 2010, S. 24

2 Bitkom Research via Statista: Umfrage zur Nutzung sozialer Netzwerke durch Kinder und Jugendliche nach Altersgruppen in Deutschland (2019), Mai 2019, URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/298176/umfrage/umfrage-zur-nutzung-sozialer-netzwerke-durch-kinder-und-jugendliche/, zugegriffen am 03.12.2020

3 Berg, A.: Kinder und Jugendliche in der digitalen Welt, 06.08.2020, URL: https://www.bitkom.org/sites/default/files/2019-05/bitkom_pk-charts_kinder_und_jugendliche_2019.pdf., zugegriffen am 03.12.2020

4 Prof. Döveling, K.: Bin ich schön (genug)? – Vortrag zur Selbstwahrnehmung in Zeiten von Instagram (Zusammenfassung vom Safer Internet Day 2019), URL: https://www.lmz-bw.de/veranstaltungen/safer-internet-day/safer-internet-day-2019/prof-katrin-doeveling-bin-ich-schoen-genug/, zugegriffen am 03.12.2020

5 Decker, A.: Social Media – Grundlegende Aspekte zum Begriff und zum systematischen Management. In: Deutscher Dialogmarketing Verband e.V. (Hrsg.): Dialogmarketing Perspektiven 2018/2019 (Tagungsverband 13. wissenschaftlicher interdisziplinärer Kongress für Dialogmarketing), S. 112, Zit. nach: Bundesverwand Digitale Wirtschaft 2015, S. 5

6 BVM e.V.: Status Quo: Wo steht die Social Media Forschung heute? 25. NEON-Plenum am 18.02.2013 (Social Media Guidelines), URL: http://docplayer.org/2221376-Status-quo-wo-steht-die-social-media-forschung-heute-ueberblick-zu-instrumenten-anforderungen-und-anwendungspotentiale-der-social-media-forschung.html, zugegriffen am 10.12.2020

7 Schmidt, J.H., Taddicken, M.: Handbuch Soziale Medien, Springer VS Wiesbaden 2017, S. 19

8 Poleshova, A. (Hrsg.): Monatlich aktive Nutzer von Facebook weltweit bis zum 3. Quartal 2020, veröffentlicht im Oktober 2020, URL: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/37545/umfrage/anzahl-der-aktiven-nutzer-von-facebook/, zugegriffen am 10.12.2020

9 Schmidt, J.H., Taddicken, M.: Handbuch Soziale Medien, a.a.O., S. 9ff.

10 Nolte, A.: Essstörungen – Hilfe bei Anorexie, Bulimie und Binge-Eating (Hrsg. Stiftung Warentest), Berlin 2013, S. 9 und S. 67

11 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Essstörungen (Suchtmedizinische Reihe Band 2), 6. Auflage 2019, S. 6

12 Der Body-Mass-Index ist ein Wert, der sich aus Körpergröße und Körpergewicht ergibt und verwendet wird, um die Ausprägung eines Über- oder Untergewichts zu erfassen. Dieser lässt sich auf der Grundlage folgender Formel berechnen: BMI = Körpergewicht (kg) / Körpergröße (m)².

13 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Essstörungen, a.a.O., S. 8f.

14 Vogelsang, M., Schuhler, P., Zielke, M. (Hrsg.): Essstörungen – Klinische Behandlungskonzepte und praktische Erfahrungen, Pabst Science Publishers Lengerich 2005, S. 31f.

15 Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (Hrsg.): Essstörungen, a.a.O., S. 19

16 Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA, Hrsg.): Auslösende Faktoren für Essstörungen, In: Essstörungen, o.J., URL: https://www.bzga-essstoerungen.de/was-sind-essstoerungen/ausloesende-faktoren/?L=0, zugegriffen am 15.12.2020

17 Raab, G., Unger, A., Unger, F.: Marktpsychologie – Grundlagen und Anwendung, 3. überarbeitete Ausgabe, Gabler Verlag/Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2010, S. 30

18 Raab, G., Unger, A., Unger, F.: Marktpsychologie – Grundlagen und Anwendung, a.a.O., S. 30ff.

19 Fahr, A., Ort, A.: Die Bedeutung sozialer Vergleichsprozesse für die Gesundheitskommunikation, In: Rossmann, C., Hastall, M.R. (Hrsg.): Handbuch der Gesundheitskommunikation – Kommunikationswissenschaftliche Perspektiven, Springer VS Fachmedien Wiesbaden GmbH 2019, S. 278

20 Fahr, A., Ort, A.: Die Bedeutung sozialer Vergleichsprozesse für die Gesundheitskommunikation, a.a.O., S. 276

21 Fahr, A., Ort, A.: Die Bedeutung sozialer Vergleichsprozesse für die Gesundheitskommunikation, a.a.O., S. 277f.

22 Wampfler, P.: Generation „Social Media“ – Wie digitale Kommunikation Leben, Beziehungen und Lernen Jugendlicher verändert, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen 2014, S.47f.

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Welchen Einfluss haben soziale Netzwerke auf eine mögliche Entstehung von Essstörungen?
Untertitel
Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Zeitalter der Sozialen Medien
Hochschule
Fachhochschule Dortmund
Veranstaltung
W01 - Professionelles Handeln in der Sozialen Arbeit
Note
2,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
33
Katalognummer
V1043445
ISBN (eBook)
9783346464682
ISBN (Buch)
9783346464699
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kinder, Jugendliche, soziale Netzwerke, Essstörungen, Psychologie, Soziale Arbeit, Empirische Hausarbeit, soziale Medien, Bulimie, Anorexie
Arbeit zitieren
Svenja Sauer (Autor:in), 2021, Welchen Einfluss haben soziale Netzwerke auf eine mögliche Entstehung von Essstörungen?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043445

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