„Für Thron und Altar!“. Die Französische Revolution und ihre Gegner


Skript, 2015

114 Seiten


Leseprobe


Inhalt

20.4. Erste Vorlesung: Überblick über die Französische Revolution und ihre Gegner
Einführung
Die Revolution und ihre Ausbreitung
Publizistik, Polemik und Propaganda
Thesen der Konterrevolutionäre

27.4. Zweite Vorlesung Edmund Burke
Ausstrahlung und Wirkung der “Reflections on the Revolution in France”
Biographischer Abriss
Das Pamphlet
Künstlichkeit der revolutionären Ideen
Materielle Interessen der Revolutionäre
Mangel an Nachhaltigkeit und Mässigung
Die „Letters on a Regicide Peace“
Das Vermächtnis von Burke

4.5. Dritte Vorlesung: Joseph de Maistre
Die Kontroverse um einen militanten Reaktionär
Biographischer Abriss
Considérations sur la France
Die Revolution als Fügung Gottes
Die Restauration der Bourbonen
Ein Vergleich von Burke und De Maistre

11.5. Vierte Vorlesung: René-François Vicômte de Chateaubriand
Die religiöse und sentimentale Renaissance
Biographischer Abriss
„Le génie du christianisme“
Karriere und Dissidenz unter Napoleon
Bourbonischer Parlamentarier und Minister, Opposition gegen Louis-Philippe

18.5. Fünfte Vorlesung: Karl Ludwig von Haller
Der Kant der Konterrevolution
Biographischer Abriss
Der Kant der Konterrevolution
Die Staatsformen
Ausgestaltung der Schweiz

Fazit und Ausblick

Literaturliste

Meinen Sohn Bénédict gewidmet, eingedenk unserer Diskussionen über Napoleon und die Französische Revolution

20.4. Erste Vorlesung: Überblick über die Französische Revolution und ihre Gegner

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Einführung

Die Französische Revolution gilt vielerlei Hinsicht als das Stiftungsereignis der Moderne. Unsere heutige Welt ist ohne sie nicht wirklich denkbar. Sie ist eine feste Grösse in unserem Geistesleben und im Geschichtsunterricht. Sie hat die Welt, wie wir sie heute kennen und in der wir leben, geprägt wie kaum anderes historisches Ereignis seither.

In der Politik hätte sich ohne Französische Revolution die Demokratie, die in Europa, Nordamerika und vielen anderen Orten die vorherrschende Staatsform ist, wohl nicht durchgesetzt. Trotz Kritik an der Demokratie und immer wieder auftretenden Anfechtungen bleibt sie weiterhin attraktiv um den ganzen Planeten, wie jüngere Ereignisse zeigen: Man denke nur etwa an die osteuropäische Revolutionen nach 1989, die im Namen von Demokratie, Menschenrechten und nationaler Befreiung von fremder Herrschaft friedlich das Ende des Kommunismus herbeiführten. Oder an den Arabischen Frühling, und die mit ihm verbundenen Forderungen nach Brot, Freiheit, Würde und Demokratie. Zwar scheiterte der Arabische Frühling letztlich, aber dass in Ägypten und anderswo Millionen anfänglich auf die Strasse gingen und das Ende von verknöcherten Despotien forderten, zeigt, wie gross der Wunsch und das Streben nach Demokratie, nach politischer Beteiligung, nach Teilhabe am gesellschaftlichen Entscheidungsprozess ist.

Die Französische Revolution brachte geschriebene Verfassungen und Gewaltenteilung; sie setzt den modernen Rechtsstaat durch. Sie machte die Republik zur „normale Staatsform“: Von den zirka 200 Staaten auf diesem Planeten sind nur noch 40 Monarchien, davon 13, weil sie dem Commonwealth angehören und damit quasi die Queen als Staatsoberhaupt „by default“ haben.1 Eng verknüpft der Durchsetzung der Republik und des Rechtsstaates ist die Durchsetzung des souveränen, unabhängigen Nationalstaates. Die Idee des Nationalstaates geht zwar auf die Zeit vor der Französischen Revolution zurück, nämlich auf den Westfälischen Frieden von 1648. Aber mit der Französischen Revolution hat sich endgültig die Idee verfestigt, dass jede Nation, jedes Volk „seinen“ eigenen Staat haben soll. Diese Vorstellung bleibt bis heute attraktiv. Und wenn diese Idee auch das Problem aufwirft, was denn nun genau ein Volk definiert und wer zum Volk gehört (und wer nicht), so nimmt die Zahl der Nationalstaaten auf diesem Planeten weiterhin kontinuierlich zu. Es gab eine ganze Reihe von Völkern, die zumindest potenziell an der Schwelle zu ihrem eigenen Staat stehen: die Kurden, die Katalanen, die Schotten, vielleicht auch die Tibeter.

Vor allem aber katapultierte die Französische Revolution die Menschenrechte in die Mitte der menschlichen Gemeinschaft. Sie sind vielleicht das wichtigste ideelle Vermächtnis. Die Rede-, Gewissens- und Glaubensfreiheit, die Freiheit vor staatlicher Willkür und Folter, das Recht auf Wahl der eigenen Behörden – sie sind alles Teile der Menschenrechte, und diese gehen auf die aufklärerische Idee zurück, dass alle Menschen von Geburt aus mit Rechten und Freiheiten ausgestattet sind und insbesondere gleich geboren sind. Die Bedeutung der Französischen Revolution für den Rahmen heutiger Politik ist überragend.

„Kaum ein Ereignis hat die Geschichte der Moderne so tief geprägt wie die Französische Revolution von 1789 bis 1799. Sie eröffnete eine Phase grundstützender Veränderungen der politischen, sozialen und kulturellen Verhältnisse in Frankreich. Als ein epochales Ereignis hat die Französische Revolution weit über den nationalen französischen Rahmen hinaus tiefe Spuren in der politischen und sozialen Entwicklung anderer Länder hinterlassen. Sie wurde zum Motor des Verfassungswandels und der Entstehung liberaler politischer Kulturen. Sie wurde zum Laboratorium der Moderne, indem sie in der kurzen Spanne eines Jahrzehntes die unterschiedlichsten Verfassungsformen entwickelte, die für das 19. und 20. Jahrhundert wirkungsmächtig werden sollten, von der konstitutionellen Monarchie über die Republik bis zur bonapartistischen Diktatur; indem sie die Grundlagen einer bürgerlich-individualistischen Eigentums- und Gesellschaftsverfassung schuf; indem sie zum ersten Mal eine demokratische politische Kultur entfaltete und damit den Durchbruch zur politischen Freiheit erkämpfte; indem sie einen fundamentalen Prozess der Politisierung der Gesellschaft und der Ideologisierung der politischen Sprache auslöste und dabei zugleich die Selbstgefährdung demokratischer Ordnungen demonstrierte. Ihre historisch-politische Bedeutung reicht darum bis in die Gegenwart.“2

In der Wirtschaft ist der Bruch vielleicht etwas weniger deutlich als in der Politik. Die Wurzeln des Kapitalismus reichen ja bis ins 17. Jahrhundert zurück. Dennoch: Die Französische Revolution hat das eingeführt, was wir in einem gewissen Sinn als die Wirtschaftsverfassung des Kapitalismus beziehungsweise der Marktwirtschaft kodifiziert haben. Sie schaffte feudale Privilegien und Vorrechte ab, sie hob die Binnen- und Brückenzölle auf, und sie führte die Gewerbefreiheit ein, das heisst, jeder kann den Beruf wählen, den er oder sie will, und die Waren überall anbieten, die er oder sie will. Und die Französische Revolution garantierte das Eigentum. Damit zementierte sie wichtige Grundlagen des Kapitalismus.

Doch die Französische Revolution begründete auch Instrumente und Institutionen, die später dazu dienten, den Kapitalismus und vor allem seine Auswirkungen im Zaume zu halten: So etwa erliess der Nationalkonvent 1793/94 eine ganze Reihe von Dekreten, die auf Preis- und Lohnkontrollen sowie Beschränkungen des Privateigentums hinausliefen und die man als erste Ansätze für einen Sozialstaat interpretieren kann, nachdem die Armen- und Waisenpflege sowie das Spitalwesen bislang die Aufgabe der Kirchen gewesen war.3

Die Französische Revolution setzte wichtige grundlegende Werte durch, die heute in unserer Gesellschaft wichtige Ecksteine des öffentlichen Lebens sind. Man denke zum Beispiel an den Säkularismus, das heisst, die Trennung von Kirche und Staat und Verbannung der Religion(en) samt ihren lebensgestaltenden Vorschriften und Geboten in die Privatsphäre. Gerade im Gefolge der Auseinandersetzungen mit einem aggressiven Islamismus zeigt sich die Aktualität dieses Wertes. Eng damit verbunden sind die Beendigung des Staatskirchentums beziehungsweise der Staatsreligionen und die Emanzipation anderer Glaubensbekenntnisse als das Vorherrschende oder das vom Staat Bevorzugte. In Frankreich zeigte sich dies in der Emanzipation und Toleranz der Protestanten, die mit der Aufhebung des Edikts von Nantes wieder Verfolgen preisgegeben waren, und später auch in der Emanzipation der Juden. Nur in England, das nie eine Revolution kannte, hat diese Verquickung von Staat und Kirche bis heute, überlebt, wenn auch die Bedeutung davon heute mehr formell als real ist: Die Queen, das nominelle Staatsoberhaupt, ist immer noch Defensor fidei, Verteidigerin des Glaubens.

Auf der Grundlage von Säkularismus und Emanzipation des Glaubens gedieh auch der Individualismus, der wiederum in den Menschenrechten begründet ist. Die Menschenrechte sind eben die Rechte des Individuums, das einzelnen, gegenüber denen die Rechte von Gemeinschaften und bestimmten Gruppen zurückzutreten haben. In der Französischen Revolution wurden Sonderrechte für Gruppen, wie etwa der Adel oder die Kirche, abgeschafft. Der Individualismus und die Menschenrechte stellen sich aber auch gegen Sonderrechte anderer Gruppen, wie zum Beispiel der Arbeiterklasse, wie sie der Kommunismus, wenigstens in seiner Praxis propagierte. Die Französische Revolution setzte durch, dass ein Individuum eben nicht mehr in einer Gruppe subsummiert wird. Seine eigenen Rechte sind nicht mehr an die Rechte bestimmter Gruppe gekoppelt. Vielmehr hat der einzelne von Geburt an unabsprechbaren, unauflösliche und letztlich unverletzliche Rechte. Es war dank der Französischen Revolution, dass sich solche Vorstellungen und Ideen durchsetzen konnten und zum Allgemeingut werden konnten.

Schliesslich noch ein Wort zu Rationalismus und Wissenschaften. Die Französische Revolution bereitete auch dem wissenschaftlichen Denken den Weg. Sie war zwar nicht unbedingt atheistisch in ihrer Ausrichtung, aber sie setzte letztlich das von aufklärerischem Denken geprägte Menschen- und Weltbild durch und stürzte Gott – bildhaft gesprochen - von seinem Thron. Im Mittelpunkt staatlichen und gesellschaftlichen Handelns war fortan der Mensch, und nicht mehr Gott und sein durch Offenbarung festgelegter Heilsplan. Der Mensch war nicht mehr gebunden an das biblische Weltbild. Eine andere Wahrheit als die göttliche galt fortan, nämlich die durch Wissenschaft begründete. Unser technologisch dominierter Lebensstil wäre wohl nicht geschaffen worden ohne die Französische Revolution.

Die Französische Revolution ist Teil eines weiteren und umfassenden Umbruchs in der Zeit von 1775 und 1850 (manchmal wird der Zeitraum noch ausgedehnt bis zur deutschen Einigung 1870). Es war eine Epoche, die mit den Vorgängen in Europa, aber auch in USA und – oft vergessen – der Befreiung Lateinamerikas von spanischer Herrschaft verbunden war und vom bekannten deutschen Historiker Reinhart Koselleck als transatlantische Sattelzeit zusammengefasst wurde.4 Es ist eine Phase des generellen Umbruchs, eine Epoche der Verlagerung dieser transatlantischen Welt und ihrer Gesellschaft vom neuzeitlichen Feudalismus in die Moderne. Die Französische Revolution war inmitten dieses umfassenden Umbruchs zwar nicht das einzige, aber wohl das wichtigste Ereignis.

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Wegen ihrer profunden und langanhaltenden Wirkung erscheinen uns heute die Französische Revolution und ihre Errungenschaften als selbstverständlich und alternativlos. Die Geschichte lässt sich kaum anders denken als mit der Französischen Revolution.

Doch aus der Sicht der damaligen Zeitgenossen war das keineswegs so. Die Revolution wurde nicht als selbstverständlich und unvermeidlich angeschaut. Sie hatte politische Gegner. Wir wissen das. Im Geschichtsunterricht hat man uns darauf hingewiesen. Doch das Bild dieser Gegner ist blass, und es pendelt zwischen zwei Extremen: Da ist einerseits die Vorstellung von den Gegnern der Französischen Revolution als „wütender Reaktion“, wie Karl Marx sie bezeichnet hat, die sich störrisch und borniert gegen den in der Revolution verkörperten Fortschritt und der mit ihr eingehenden offensichtlichen Wahrheiten stellt. Andererseits gibt es Bild von den Gegnern der Revolution als bedauernswerte Opfer der Guillotine: Man denke etwa an den zwar unfähigen, aber insgesamt gutmütigen – und damit auch etwas unschuldigen - König Louis XVI oder seine zwar verschwenderische, in der Stunde der Wahrheit aber Haltung und Contenance bewahrende Gemahlin, Königin Marie Antoinette.

Doch insgesamt beschäftigt man sich im Geschichtsunterricht nicht sehr intensiv mit den Gegnern der Französischen Revolution. Sie haben verloren, und die Sieger – eben die Revolutionäre – schreiben normalerweise die Geschichte. Es bleibt unklar, wer genau die Gegner der Französischen Revolution waren.

Frankreich vor 1789 war eine Ständegesellschaft, mit privilegiertem Adel und bevorrechteten Kirche. Der Adel machte 1789 etwa 1.25 % der Bevölkerung aus, beim Klerus waren es 0.5 %, wobei sich Adel und Klerus zum Teil überlappten: Vor allem die höheren Chargen der Kirche wurden fast ausschliesslich vom Adel eingenommen. Alles in allem waren Aristokratie und Klerus kaum mehr als 400‘000 Personen - bei einer damaligen Gesamtbevölkerung Frankreichs von 24 Millionen: 98 % der Bevölkerung gehörten also zum Tiers Etat, das heisst zum Dritten Stand, gewissermassen dem Rest, für den es nicht einmal eine spezielle Bezeichnung gab als der Nummerierung in der Hierarchiereihenfolge.5

Doch die Opposition gegen die Französische Revolution war viel breiter als jene 2 %, die aus ständischen Gründen gewissermassen „by default“ in Opposition standen – wobei das so ja auch wieder nicht stimmt, waren doch viele der führenden Revolutionäre entweder von aristokratischer Geburt oder hatten vor 1789 (und zum Teil auch noch danach) ein kirchliches Amt bekleidet. Die Mehrheit der Opposition gegen die Französische Revolution rekrutierte sich aus jenen Schichten, die eigentlich von den revolutionären Errungenschaften am meisten profitieren sollten: aus den Reihen von Bürgern und Bauern.

Historisch gesehen brauchten die Revolution beziehungsweise die von ihrer vertretenen Werte, Normen und Ideen, sehr lange, bis sie sich endgültig durchgesetzt hatten. Frankreich pendelte lange zwischen Revolution und Reaktion: 1814 kam die erste revolutionäre Phase mit dem Sturz Napoleons zu einem ersten Ende (wenn man nicht schon das Jahr 1799, als Napoleon die Macht als Erster Konsul ergriff, als das Ende der ersten revolutionären Phase zählen will). Dann kam das Zwischenspiel der „Hundert Tage“ ein Jahr später, das wiederum, wie 1814, mit einer Restauration der Bourbonen endete. 1830 wurde in der Julirevolution das bourbonische Regime endgültig gestürzt, doch auch die Herrschaft des Orleanistenkönig Louis-Philippe war kein wirklicher Durchbruch der Revolution, wurde unter ihm doch eine Synthese aus revolutionären Freiheiten mit der monarchischen Tradition gesucht. Das Experiment dauerte bis 1848 und zur nächsten Revolution. Doch auch diese blieb auf halber Strecke liegen mit dem Scheitern der Zweiten Republik und der Machtergreifung von Napoleon III, der, wie sein Onkel, ein autoritäres Regiment führte. Dann, 1870/71 schien sich nun die Revolution endgültig durchzusetzen, mit der Proklamation der Dritten Republik. Aber selbst jetzt waren noch nicht alle Tücher im Trocknen, wenn man so will, und noch 1873 scheiterte ein Versuch der bourbonischen Restauration nur an einer einzigen Stimme in der Nationalversammlung – was zeigt, wie populär das Königtum nach wie vor war. Selbst das kollaborationistische Pétain-Regime in Vichy von 1940-44 stand in vielerlei Hinsicht noch in der konterrevolutionären Tradition in Frankreich, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass es die revolutionären Losung von „Liberté, Egalité, Fraternité“ durch eine eigene – je nach „Patrie, Famille, Travail“- ersetzte. So gesehen kann man davon sprechen, dass sich die Französische Revolution erst mit dem Ende des 2. Weltkrieges im Lande ihres Ursprungs endgültig durchsetzte.

Auch in anderer Hinsicht brauchte es viel Zeit, bis die Errungenschaften der Französischen Revolution sich im politischen Leben der Nation fest verankert waren. Nehmen wir als Beispiel das allgemeine Stimm- und Wahlrecht, gültig für alle Männer bestimmten Landes ohne Einschränkung irgendwelcher Art (ausser etwa aufgrund von Vorstrafen oder Geisteskrankheit). Diese Stimm- und Wahlrecht ist ja gewissermassen die Essenz der politischen Demokratie ist. Das allgemeine Männerstimm- und wahlrecht wurde wenigstens zum ersten Mal nominell 1839 in Liberia verkündet, 1844 folgte Griechenland, dann 1848 kam bereits die Schweiz. Doch 1900 gab es erst 17 Staaten, in denen es galt, 18, wenn wir die USA dazu zählen, wobei dort allerdings, wie wir wissen, vielerorts (vor allem) Schwarze nach wie vor faktisch vom Wahlrecht ausgeschlossen waren.6 Spielarten des Zensuswahlrechtes blieben vielerorts noch in Gebrauch: In Grossbritannien zum Beispiel hatten Hausbesitzer bis 1945 zwei statt nur eine Stimme, ebenso Universitätsabsolventen. Das allgemeines Stimm- und Wahlrecht für Männer und Frauen kam noch später: Das Land, welches dieses Recht für beide Geschlechter einführte war, Neuseeland im Jahre 1893, gefolgt von Australien 1901, im Jahre also, in dem sich die bisher separaten australischen Teilstaaten zu einem Bundesstaat zusammenschlossen. Dann folgten die nordischen Länder: Finnland 1907 (damals ein autonomes Fürstentum innerhalb des sonst absolutistischen russischen Zarenreiches) und Norwegen 1913. Das Frauenstimmrecht wurde zum Teil stufenweise eingeführt: In Grossbritannien erhielten 1919 nur verheiratete Frauen über 30 das Stimm- und Wahlrecht, erst 1928 wurde es auch auf jüngere und unverheiratete Frauen ausgedehnt.

Insgesamt lässt sich aber sagen, dass sich die emanzipatorische Botschaft der Revolution keineswegs auf Anhieb durchgesetzt hatte, weder in Frankreich noch sonstwo. Es gab vielerorts vehementen Widerstand: In Frankreich waren die Vendée und Bretagne die Zentren des konterrevolutionären Widerstandes, zum Teil Südfrankreich generell – und das lange über die unmittelbare Revolutionszeit hinaus. Nachdem die Revolution ins restliche Europa exportiert worden war, erwiesen sich gewisse Gebiete und Länder als notorisch „revolutionsfeindlich“, wobei sich hier die Anhänglichkeit an die alten Zustände und die Religion oft mit dem Abwehrreflexen gegenüber den französischen, fremden Invasoren mischten – die revolutionären Ideen wurden oft diskreditiert, weil sie „französische Neuerungen“ waren und sie wurden abgelehnt, weil sie landesfremd waren. So brach etwa in Süditalien, im damaligen Königreich Neapel, nach 1799 ein regelrechter Volksaufstand gegen die französische Besetzung und die mit ihr verbündete lokale jakobinische Regierung der Parthenopäischen Republik aus; traditionelles Brigantentum, Fremdenfeindlichkeit und Angst um die (katholische) Religion verbanden sich zu einer mächtigen Kraft. Solche Volksaufstände gab es auch in der Innerschweiz, die sich schon kurz nach Errichtung der Helvetischen Republik gegen diese erhob, dann waren da vor allem der Guerrilla-Krieg in Spanien und Portugal nach 1808 gegen die französische Besetzung, der Tiroler Volksaufstand von 1809 und schliesslich auch der deutsche Freiheitskrieg nach 1813 gegen Napoleon.

Gerade im herkömmlichen Geschichtsunterricht geht gerne vergessen, dass die Französische Revolution aus der Sicht der Zeitgenossen in erster Linie eine innenpolitische Konfrontation und ein Bürgerkrieg war. Später, als sich die Revolution in ganz Europa ausbreitete, verlief die Bruchlinie zwischen Befürwortern und Gegnern nicht so sehr entlang nationalen als vielmehr entlang ideologischen Abgrenzungsmerkmalen. In fast jedem Land, in das die Revolution auf den Spitzen französischer Bajonette getragen wurde, fanden sich Anhänger und Befürworter der Revolution, die mit den französischen Invasoren und Okkupanten zusammenarbeiteten und sich damit dem Hass und der Abneigung ihrer übrigen, konservativen Landsleute aussetzen. Und da die Französische Revolution damit fast überall bürgerkriegsähnliche Zustände hervorrief, war sie begleitet von unsäglichem Leid und ausgesuchter Grausamkeit.

Nach 1789 verliessen ungefähr 140‘000 Personen Frankreich. Schätzungsweise ein Drittel bis zur Hälfte des Adels emigrierte, vorwiegend nach Deutschland und nach England, zum Teil nach Russland; Unternehmenslustigere zog es nach Amerika. Nachdem Revolution im Gefolge der napoleonischen Eroberungen ganz Europa durchfegte, verliessen auch aus diesen Gebieten ein grosser Teil von Adel, Patriziat und Klerus ihre Heimat.

Die Französische Revolution forderte auf ihrem Höhepunkt, dem sogenannt ‚terreur‘, also zwischen September 1793 und Juli 1794, einen fürchterlichen Blutzoll: So gab es über 500,000 Verhaftungen, das waren immerhin 2 % der Bevölkerung. Es folgten 40‘000 Tote und Hinrichtungen, was heisst, dass etwa 8 % der Verhafteten exekutiert wurden. Von diesen fanden knapp 3000 Hinrichtungen mit der Guillotine in Paris statt.7 Dazu kamen allerdings noch die Toten der Bürgerkriege in der Vendée, der Bretagne und im Midi, die nochmals einige Zehntausend betrugen. Unter den Hingerichteten waren Adelige und Kleriker eine kleine Minderheit. Die meisten waren einfache Bürger und Bauern. Allein das zeigt, dass der Widerstand breitgefächert war.

Allerdings ging die Gewalt nicht bloss von der Seite der Revolutionäre aus. Auch auf der konterrevolutionären Seite, kam sie denn „einmal zum Zuge“, fackelte man nicht lange. Im bereits erwähnten neapolitanischen Volkskrieg gegen die Franzosen und ihre einheimischen parthenopäischen Verbündeten errichteten die Aufstandsanführer unter Kardinal Ruffo und dem Bandenführer Fra Diavolo ein fürchterliches Strafgericht unter ihren Gegnern, waren diese einmal besiegt. Unter Mithilfe des immer wieder ritterlich und edelmütig geschilderten englischen Admirals Nelson, des Siegers von Trafalgar, wurden 120 neapolitanische Jakobiner und Verdächtige (darunter einige Unschuldige) im Schnellverfahren hingerichtet und zum Teil an den Masten englischer Schiffe im Hafen von Neapel aufgeknüpft. Im spanischen Volkskrieg von 1808 bis 1812 begingen beide Seiten übelste Grausamkeiten ohne Gnade.

Der Widerstand gegen die Revolution äusserte sich aber nicht bloss in Volksaufständen und auf dem Richtplatz. Die Französische Revolution war, wie gesagt, in erster Linie eine ideologische Auseinandersetzung. Und damit war der Kampf für und wider die Revolution nicht nur ein Kampf mit dem Schwert, sondern auch mit der Feder. Es war ein Kampf der Inhalte.

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Diese Vorlesungsreihe ist konterrevolutionären Denkern und Publizisten gewidmet. Heute und an den kommenden vier Abenden möchte ich herausarbeiten, warum und mit welchen Argumenten sie sich gegen die Revolution und ihre Ideen beziehungsweise ihre Errungenschaften wehrten. Wieso stellten sich diese Leute gegen Ideen und Werte, die heute den meisten von uns so einleuchtend, natürlich und selbstverständlich erscheint? Was waren ihre Argumente? Was kritisierten sie an der Französischen Revolution? Warum war ihnen diese so zu wider, wieso empfanden sie diese als abscheulich und verdammenswert? Was für Alternativen boten sie an? Und mit welchen Mitteln rechtfertigten sie damit den Kampf gegen die Revolution?

Es gab Hunderte von konterrevolutionären Publizisten. Ich habe vier davon ausgewählt: Edmund Burke, Joseph de Maistre, François-René de Chateaubriand und Karl Ludwig von Haller. Man hätte auch andere wählen können, so etwa Baron Louis de Bonald, die Deutschen Franz von Bader und Friedrich von Gentz oder die beiden Westschweizer Benjamin Constant und Jacques Mallet du Pan. Es gibt kein einfaches Kriterium, wer zu den einflussreicheren und wirkungsmächtigeren Publizisten und Intellektuellen gehörte, und wer nicht.

Die vier hier ausgewählten Denker decken eine gewisse Diversität nach Alter, Nationalität und Religion ab. Zum einen gehören sie verschiedenen Generationen an: Burke war mit Geburtsjahr 1729 deutlich älter als die andern, Haller und Chateaubriand waren Zeitgenossen Napoleons, de Maistre lag dazwischen. Burke starb 1797, also mitten in der Revolution, de Maistre 1821, also, nachdem die Revolution mit dem Sturz Napoleons ein erstes Mal endgültig besiegt schien, Chateaubriand 50 Jahre später 1848, als ganz Europa wieder im Aufruhr war, Haller noch später. Burke war Ire (aber in England tätig), de Maistre ein frankophoner Savoyarde, Chateaubriand natürlich Franzose und Haller Schweizer, oder, wie er es wohl bevorzugt hätte, Berner. Von der Religion her war Burke Anglikaner (obwohl seine Mutter katholisch gewesen war), Haller ursprünglich reformiert, bevor er zum Katholizismus konvertierte, de Maistre und Chateaubriand von Geburt an katholisch, wobei sie durchaus verschiedenen Strömungen innerhalb dieser Kirche angehörten: de Maistre faszinierte die mystische Seite am Katholizismus, Chateaubriand war in erster Linie dem Glauben aus romantischen und historischen Gründen anhänglich.

Auch sonst sind die vier durchaus unterschiedlich: Burke hat mit seinen „Reflections on the Revolution in France“ einen Klassiker der Revolutionskritik mit prophetischen Qualitäten geschrieben. Eine Vorlesungsreihe wie diese über konterrevolutionäre Publizistik ist ohne ihn kaum denkbar. Er hat auch sehr viele nachfolgende konterrevolutionäre Denker und Intellektuellen stark beeinflusst. Andererseits war er als Engländer, als Whig (d.h. als Liberaler im klassischen englischen Sinne) und als Verfechter der parlamentarischen Monarchie kein wütender Reaktionär. Vielmehr kritisierte er die Revolution aus einer Position, die konservative, liberale und libertäre Elemente mischte und sich vor allem durch einen angelsächsisch geprägten, rationalen Pragmatismus auszeichnet.

Am anderen Ende steht de Maistre. Er sah die Revolution zunehmend durch die Brille eines stockkonservativen Reaktionärs, der alles verteidigte, was mit der alten Ordnung zusammenhing, so bedenklich und aus der Zeit gefallen es auch erscheinen vermochte. Er ging aber noch darüber hinaus, bloss den status quo ante durch alle Böden zu verteidigen – für ihn wurde der Katholizismus zur eigentlichen Antithese von Revolution und Aufklärung. Er forderte die Rekatholisierung Europas zur Immunisierung vor der Revolution. Er wurde damit zu einem der Begründer des Ultramontanismus, jener reaktionären politischen Strömung innerhalb des Katholizismus, welche sich zum Hauptgegner des liberalen Staates im 19. Jahrhundert entwickelte.

Chateaubriand stand politisch zwischen Burke und de Maistre. Vor allem war er zumindest auf den ersten Blick kein politischer Polemiker, sondern ein Literat. Seine politische Stellungnahme war sublimer. Mit ihm wurde die französische Romantik zur Gegenbewegung des aufklärerischen Rationalismus und des historischen Nihilismus der Revolution; das machte die französische Romantik von Anfang an politischer als ihr deutsches Pendant. Im Gegensatz zu de Maistre und Burke wollte Chateaubriand weniger überzeugen oder einschüchtern als vielmehr beeindrucken und emotional überwältigen. Sein Mittel war nicht der ideologisch-rationale Beweis beziehungsweise die Drohung mit Hölle und Strafe, sondern der Appell an Gefühle, an den Überschwang, an die Begeisterung – Begeisterung für mittelalterliche Könige, für die Schönheiten der Religion, die historische Kontinuität von Staat und Kirche. Haller schliesslich steht für den Versuch, detailreich und durchaus etwas pedantisch die Revolution Punkt für Punkt zu widerlegen und den gewissermassen juristischen Beweis zu führen, dass Aufklärer und Revolutionäre mit ihren Ansichten falsch lagen.

Die vier hatten allerdings durchaus auch Gemeinsamkeiten: Alle haben nie an ihrer Haltung gezweifelt. Sie hatten sich nie der Revolution beziehungsweise später auch nie Napoleon angeschlossen, mit Chateaubriand als Grenzfall, stand er doch eine Zeitlang im diplomatischen Dienst Napoleons. Alle waren zwar Publizisten, aber gleichzeitig standen alle zumindest auch phasenweise im öffentlichen Dienst beziehungsweise im Dienste ihrer Monarchen. Damit verkörperten sie das aristokratische Ideal, als treue Gefolgsleute ihrem Herrscher zu dienen beziehungsweise sich in den Dienst des Staates zu stellen. Alle waren denn auch von adeliger oder patrizischer Geburt, ausser Burke. Doch auch er wurde in eine wohlhabende irische Landbesitzerfamilie hineingeboren. Allerdings wurden Burke und Chateaubriand zeitlebens, zwischendurch auch Haller, von finanziellen Sorgen gedrückt.

Schliesslich die letzte, wenn auch scheinbar banale Gemeinsamkeit: Sie waren alle Männer. Immerhin gab die Französische Revolution auch den Auftakt zur Frauenemanzipation, traten mit ihr Frauen vermehrt in die Öffentlichkeit – noch weniger als Politikerinnen, denn auch die Französische Revolution brachte den Frauen nicht die politische Gleichberechtigung. Aber als Literatinnen und Publizistinnen fanden sie nun auch mehr Platz in der Öffentlichkeit. Dabei verteilten sich ihre Sympathien, wie bei den Männern, auf beide Seiten, auf Befürworterinnen und Gegnerinnen der Revolution: bei letzteren befand sich, bei aller Differenzierung, die berühmte Germaine de Staël, auch, oder besser bekannt als Madame Staël, auf den ersteren Mary Wollstonecraft, die Mutter von Mary Shelby, der Verfasserin des fantastischen Romans „Frankenstein“. Und dann gab es da natürlich Olympe de Gouges, eine Frau aus einfachen Verhältnissen, die sich mit Bildung und Geschick einen Platz in der Öffentlichkeit erkämpfte und schliesslich, ähnlich zu den Menschenrechten, einen Katalog der Frauenrechte veröffentlichte.

Die Revolution und ihre Ausbreitung

Bevor ich nun auf die einzelnen Autoren näher eingehe, möchte ich kurz den breiteren historischen Rahmen der Revolution schildern beziehungsweise auf das Wechselspiel von Revolution und Konterrevolution eingehen. Ein solches Exposé liefert den Hintergrund, vor dem die konterrevolutionären Autoren ihre Gedanken zu Schriften formulierten und sich schriftstellerisch und polemisch betätigten. Ich werde dabei pragmatisch den Rahmen mit dem Ausbruch der Revolution 1789 beginnen und mit der Revolution von 1848 enden lassen, und dabei diese Periode von etwas mehr als 50 Jahren in fünf Phasen unterteilen.

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Quelle: vslibre.wordpress.com/tag/acte-de-mediation/, http://www.herodote.net/5_octobre_1789-evenement-17891005.php

Die erste Phase deckt den Zeitraum von 1789, von der Einberufung der Generalstände durch König Louis XVI., bis zum Ausbruch des Krieges gegen Österreich, Preussen und das Königreich Sardinien im Frühjahr 1792 ab. In dieser Zeit war die Französische Revolution auf Frankreich beschränkt, doch wurde sie in ganz Europa intensiv und zunehmend mit Besorgnis rezipiert. Schon 1789 schrieb der deutsche Schriftsteller Johann Wilhelm von Archenholz 1789:

„Die französische Revolution verdrängt durch ihr gewaltiges Interesse alles; die besten Gedichte bleiben ungelesen. Man greift nur noch nach Zeitungen und solchen Schriften, die den politischen Heisshunger stillen“.

Die Französische Revolution fand von Anfang an grosse Aufmerksamkeit und Anteilnahme über die Grenzen hinweg. Das ist auch verständlich, war Frankreich doch damals in jeder Hinsicht die dominierende Grossmacht in Europa – politisch wie auch kulturell. Aber auch bei anderen Revolution ist das Zusammenspiel zwischen dem Revolutionären, dem Nationalen und Internationalen ausgeprägt: Wir können als Beispiel die gescheiterte Revolution von 1848, die Oktoberrevolution in Russland, die islamische Revolution im Iran, und schliesslich die friedlichen Revolutionen gegen den Kommunismus oder den Arabischen Frühling nehmen – alle diese Phänomene nahmen ihre Anfänge in einem bestimmten nationalen Rahmen, sprengten diesen in ihrer Wirkung aber schon früh und strahlte auf ihr Umfeld aus, mit konkreten politischen Konsequenzen. Die Französische Revolution, wie auch die Reaktionen gegen sie, gewann schnell eine internationale Dimension.8

In den drei Jahren der ersten Phase kam es zum totalen Zusammenbruch und zur vollständigen Auflösung der alten monarchischen Ordnung in Frankreich, die – bei allen Veränderungen – rund 800 Jahre Bestand gehabt hatte. Sie wurde ersetzt durch ein von Grund auf neues Gemeinwesen. Der Feudalismus verschwand, die Bürger- und Menschenrechte wurden proklamiert, die Verwaltung des Landes vollständig und nach rationalen Kriterien neu geordnet, ein komplett anderes Staats- und Politikverständnis geboren. Verkörpert wurde dieser Umbruch in der Verfassung vom September 1791, in dem Frankreich von der absoluten zur konstitutionellen Monarchie mutierte. Das bisher nur in der Person des Königs verkörperte Frankreich wurde zu einer geschlossenen Nation, in dem alle, auch der König, dem Gesetz unterworfen waren und die Souveränität nicht mehr beim Monarchen, sondern beim Volk beziehungsweise beim Gesetzgeber, sprich der Legislative lag.

Dieser konstitutionelle Totalumbau war im Wesentlichen das Werk von liberalen Kräften und Reformern aus allen Ständen, die von der Aufklärung geprägt und beeinflusst waren. Oft hatten sie, wie der frühe aufklärerische Schriftsteller und Denker Montesquieu, England und die dort herrschende parlamentarische Monarchie zum Vorbild. In vielerlei Hinsicht fand denn auch mit der Verfassung von 1791 eine Angleichung des französischen Systems an das englische statt. In den meisten Bereichen allerdings ging die neue französische konstitutionelle Monarchie über das englische Vorbild hinaus.

Allerdings war dieser Umbau des ständisch-feudalistischen Frankreichs in Richtung konstitutionell-liberale Monarchie von Anfang an mit viel Blutvergiessen begleitet, was einerseits wenig zur Vorstellung eines idealistisch-friedlichen Reformwerks passt und andererseits zeigt, wie tief und heftig schon damals die Gegensätze waren beziehungsweise wie sehr Gewalt auf beiden Seiten immer wieder zur Anwendung kam. So kostete etwa der Sturm auf die Bastille vom 14. Juli 1789 über hundert Tote. In den Wochen danach überzog eine Welle der Gewalt das ganze Land, die sogenannte „Grande Peur“, die grosse Furcht. Bei dieser Gelegenheit stürmten erregte, zum Teil durch Gerüchte auch verängstigte Bauern und Angehörige der Unterschichten Dutzende von Schlösser und Klöster und zündete diese an, um die Grundlage in den Archiven lagernden Dokumente zu den Feudalrechten zu zerstören; dabei wurden auch Dutzende, wenn nicht Hunderte von Adeligen und Klerikern umgebracht. Wenige Monate später, beim Zug der Marktweiber nach Versailles, welche den König zwangen, seine Residenz in die Pariser Stadtmitte, in die Tuilerien, zu verlegen, wurden die abgeschlagenen Köpfe der ermordeten Leibgardisten des Königs auf Piken mitgetragen.

Die Opposition gegen die Revolution beschränkte sich in dieser frühen Phase noch auf wenige Hof- und Adelskreise. Als die Generalstände zusammengerufen wurden, waren sich fast alle einig, dass die alte politische Ordnung Frankreichs an Ende gekommen war und dass tiefgreifende Veränderungen und Reformen notwendig waren. Der Bastille-Sturm und die mit den folgenden Ereignissen verbundene Gewalt führten dann zu einer ersten Emigrationswelle des Adels. An ihrer Spitze stand der jüngste Bruder von Louis XVI., der damalige Graf von Artois und spätere König Charles X., der zugleich auch der letzte Bourbonenkönig Frankreichs sein sollte. Der Graf von Artois intrigierte an verschiedenen Fürstenhögen gegen die Revolution. Er hatte zuerst damit keinen Erfolg, doch je weiter die Veränderungen in Frankreich voranschritten (und je mehr diese auch von Gewalttaten überschattet wurden), desto mehr fand er Gehör. Das deutsche Koblenz am Rhein, die Hauptstadt des geistlichen Erzbistum und Kurfürstentums Trier, wurde zum Zentrum dieser hochadeligen Agitation aus dem Ausland gegen die Revolution in Frankreich.

Mitte 1791 versuchte König Louis XVI. zusammen mit seiner Familie zu fliehen. Er wurde in Varenne gestoppt und schliesslich quasi als Gefangener nach Paris zurück gebracht. Nun setzte eine zweite Emigrationswelle des Adels ein, darunter auch der zweite Bruder von Louis XVI., des späteren Königs Louis XVIII. Aber auch gemässigte Politiker, welche die Revolution in ihrem Anfangsstadium noch unterstützt hatten, zog es nun ins Exil. In den Frankreich angrenzenden Ländern, inklusive der Schweiz, entstanden nach und nach regelrechte Emigrantenmilieux.9 Im Landesinnern Frankreichs hatte der Widerstand gegen die Revolution beziehungsweise gegen die Nationalversammlung und ihre Umbauprojekte mit den Angriffen gegen die Kirche und den Klerus zugenommen. Katholischen Priester mussten einen Eid auf die sogenannte Zivilverfassung des Klerus schwören. Diese war erlassen worden, um einerseits die katholische Kirche in Frankreich zu reorganisieren, andererseits aber auch, um sie in einen nationalen Rahmen einzubinden und die Loyalität gegenüber dem Papst einzuschränken. Natürlich hatte sich Rom gegen diese Zivilverfassung ausgesprochen, und in der Folge verweigerten viele Priester den geforderten Eid – vor allem in ländlichen Gebieten beziehungsweise in Westfrankreich. Sie fanden dabei Unterstützung bei den frommen Bauern, für die die Revolution zunehmend einen gottlosen Charakter annahm.10 Aber auch bürgerlich-konservative Schichten empörten sich zunehmend an der „respektlosen“ Behandlung des Königs und des Kronprinzen. Dagegen fand die Verspottung und Beschämung der Königin, der unpopulären sowie angeblich verschwendungssüchtigen und verräterischen Marie-Antoinette, wenig Widerstand.

Die zweite Phase der Revolution lässt sich mit „Radikalisierung und Expansion“ umschreiben und deckt die Jahre von 1792bis 1794 ab: jene Jahre, in denen Schlag auf Schlag die Monarchie gestürzt, der König hingerichtet und fast alle europäischen Staaten dem revolutionären Frankreich den Krieg erklärten. Der Sturz und die Hinrichtung des Königs waren ein ungeheuerlicher Akt für die damalige Zeit. Die Ausrufung der Republik war nur noch die logische Konsequenz dieses Sakrilegs. Doch diese Republik wurde von allen Seiten militärisch bedroht; dank Massenaushebungen und dem forcierten Aufbau einer Revolutionsarmee konnte aber die Republik die fremden Invasionen stoppen und schliesslich zurücktreiben. Im Innern versank sie indes in einem immer blutigeren Teufelskreis. Nach der Beseitigung der Monarchie lieferten sich die Republikaner untereinander heftige Machtkämpfe, und wer in diesen Machtkämpfen unterlag, endete auf der Guillotine, dem neu eingeführten „Hinrichtungsinstrument“, das – ganz im Sinne der humanistischen Ideale der ursprünglichen Revolution – den Vollzug der Todesstrafe „menschlicher“ machen sollte. Nach dem Sturz des Königs waren die Girondisten, die eine föderale Republik befürworteten, die ersten Opfer in diesem Machtkampf; die Sieger waren die zentralistischen Jakobiner, die sich mit den protosozialistischen Sansculotten, das heisst den gewaltbereiten und gewalttätigen Pariser Unterschichten, zusammentaten. Aber auch innerhalb der Jakobiner gab es bald Streit, wobei es immer auch neben sachpolitischen Differenzen um persönliche Rivalitäten ging. Nach dem September 1793 entfesselte die immer extremeren Kräfte den ‚terreur‘ gegen alle, die irgendwie verdächtig waren und den revolutionären Enthusiasmus nicht zu teilen schienen. Der ‚terreur‘ lag in den Händen des ‚comité du salut public‘, des Wohlfahrtsausschusses des an die Stelle der Nationalversammlung getretenen Nationalkonvents – und der mächtigste Mann in dieser ganzen revolutionären Terrormaschinerie wurde schliesslich Maximilien Robespierre mit seinen Anhängern. Daneben wurden gleichzeitig Staat und Gesellschaften radikal umgebaut, das Leben sollte komplett umgestaltet werden bis ins kleinste Detail. Höhepunkt dieser Raserei – man kann es nicht anders sagen – war die Einführung eines neuen Kalenders und die Einführung eines neuen Kultes. Das ganze Drama endete schliesslich im Juli 1794 mit dem Sturz von Robespierres durch eine Verschwörung seiner Gegner, die später als Thermidorianer bekannt wurden (der Sturz Robespierres erfolgte gemäss Revolutionskalender im Monat Thermidor).

Die Jahre des Schreckens und der Radikalisierung trieb noch mehr Menschen in die Emigration. Jene, die das Land verliessen, mussten damit rechnen, dass ihnen Güter konfisziert wurden und dass sie sich dem ökonomischen Ruin gegenüber sahen. Aber für viele ging es auch darum, das nackte Leben zu retten; wären sie in Frankreich verblieben, hätte ihnen die Guillotine gedroht. Der ‚terreur‘ weckte im Land massiven bewaffneten Widerstand. In der Vendée und in der Bretagne kam es zu royalistischen Bauernaufständen; andernorts erhoben sich Girodisten und andere republikanische Faktionen, die im Pariser Machtkampf unterlegen waren. Zeitweilig kontrollierten die Jakobiner kaum mehr als zwei Drittel des Landes. Doch schliesslich behielten sie die Oberhand.

Die dritte Phase kann man als die „Europäisierung der Revolution“ bezeichnen und deckt den Zeitraum vom Sturz der Jakobiner bis zur Machtergreifung Napoleon Bonapartes ab. Während sich das Regime nun mässigte, dehnte sich die Revolution im Gefolge der französischen militärischen Erfolge und Eroberungen nach und nach auf dem ganzen Kontinent aus. Innenpolitisch folgte auf den ‚terreur‘ der Jakobiner die gemässigtere Herrschaft des sogenannten Direktoriums beziehungsweise der Thermidorianer. Dies waren politisch aber bald im Sandwich zwischen Jakobinern und Royalisten, die nun wieder Morgenluft witterten. Die Thermidorianer hielten darum ein prekäres Gleichgewicht. Sie betonten und verteidigten die revolutionären Errungenschaften und vertieften diese durch Gesetze und Reformen. So wurde etwa die allgemeine Schulpflicht unter ihnen definitiv eingeführt. Die Thermidorianer gaben dem Land auch eine neue Verfassung – die dritte seit 1789 -, das ein Direktorium aus fünf Mitgliedern an die Staatsspitze stellte; ihnen standen vier Minister zur Seite. Politisch war das Regime allerdings wenig populär und galt – zum Teil zu Recht – als korrupt. Zur Unpopularität trug auch bei, dass das Regime etliche politische Rechte beschnitt und zum eigenen Machterhalt manipulierte. Gleichzeitig gewann das Militär einen immer grösseren Einfluss innerhalb der Regierung; nach 1795 kam es zu verschiedenen Militärputschs. Als das Regime schliesslich von Napoleon Bonaparte gestürzt wurde, weinten ihm nur wenige eine Träne nach.

Die innenpolitische Mässigung führte nicht zur Beendigung der Kriege gegen die ausländischen Mächte. Aber mittlerweile hatte sich die französische Revolutionsarmee soweit gefestigt und konsolidiert, dass sie militärisch immer erfolgreicher wurde und nach und nach immer grössere Teile Europas unter ihre Kontrolle brachte. Während das eroberte heutige Belgien beziehungsweise die linksrheinischen Gebiete Deutschlands einfach annektiert wurden, gingen die französischen Revolutionäre in den Niederlanden, in Italien und in der Schweiz andere Wege und errichteten sogenannte Schwesterrepubliken: die Batavische Republik in den Niederlanden, die Cisalpinische, Römische und Parthenopäische Republiken in Italien, und die Helvetische Republik in der Schweiz. Diese Republiken waren streng nach dem französischen Vorbild gestaltet. Entsprechend wurden überall die feudalen Zustände beseitigt und die revolutionären Errungenschaften eingeführt. Die Aufnahme dieser Errungenschaften war oft zwiespältig: Zwar schätzten die Bauern überall die Befreiung von feudalen Grundlasten, aber sie hatten an der französischen Besatzung, die mit der Errichtung der Republiken einher ging, keine Freude, zumal sich die Franzosen in erster Linie der Plünderung der Schätze der Schwesterrepubliken zu widmen schienen. Der Raub des Berner Staatsschatzes nach dem Zusammenbruch der Alten Eidgenossenschaft ist legendär; er diente zum Teil der Finanzierung der Ägyptenexpedition von Napoleon. Adel und Kirche waren in den Schwesterrepubliken sowieso gegen die Revolution eingestellt, da sie mit ihr ihre Privilegien verloren; oft waren die einzigen gesellschaftlichen und politischen Stützen der neuen Regierungen die städtischen bürgerlichen Oberschichten aus Ärzten, Advokaten und Intellektuellen.

Unterdessen waren sich in Frankreich die Royalisten uneinig, wie sie die Macht zurückgewinnen sollten: entweder auf legalem Weg, mittels Wahlen und eines „langen Marsches durch die Institutionen“, oder durch einen bewaffneten Aufstand. 1797 fanden Wahlen statt, welche die Royalisten gewannen. Doch mit einem Militärputsch verhinderten die Anhänger der Republik, dass die Wahlsieger sich durchsetzen konnten.11 Das zeigte, dass die Vorstellung, auf legalem Weg die Macht zurückzugewinnen, illusorisch war.

Unter den royalistischen Emigranten herrschte eine Spaltung zwischen radikalen und gemässigteren Strömungen. Der Graf von Artois vertrat nach wie vor ultrareaktionäre Ansichten, verbunden mit wilden Rachephantasien. Nominelles Haupt der Königsfamilie im Exil war aber sein älterer Bruder, der Graf der Provence. Dieser hatte sich in Übereinstimmung mit den Gesetzen des alten Frankreichs nach dem Tod von Louis XVI. zum Regenten ausgerufen; dennoch lebte der Dauphin, der kleine Sohn von Louis XVI., noch und wurde von den Royalisten nun als Louis XVII. geführt. Aber der kleine Prinz starb schliesslich 1795. Und damit war der Weg frei für den Graf der Provence, sich zum rechtmässigen König Louis XVIII. im Exil auszurufen.

Louis XVIII. war unter den Emigranten weniger beliebt als der flamboyante Graf von Artois. Seine Ansichten waren gemässigter als jene seines Bruders, doch fügte er sich ihm schliesslich. Nach seiner Proklamation als König erliess Louis XVIII. in Verona eine Erklärung, in der er seine Pläne für den Fall einer Restauration skizzierte. Es war eine fast vollständige Rückkehr zur absoluten Monarchie, wie sie vor 1789 geherrscht hatte. Seine einzige Konzession war, dass die Generalstände fortan in regelmässigen zeitlichen Abständen einberufen werden sollten. Insbesondere aber sollten jene, die in der Revolution irgendwelche Rolle gespielt hatten, hart und umfassend bestraft werden. Das Dokument war unter dem Einfluss des Grafen von Artois entstanden; es wurde von vielen Royalisten, vor allem jenen, die in Frankreich geblieben waren und nun wieder politisch Oberwasser bekamen, als unrealistisch und letztlich konterproduktiv abgetan. Die Verona-Erklärung gab den Anhängern der Republik genügend ideologisch Munition, vor einer monarchischen Restauration zu warnen. Zu viele Franzosen hatten trotz des ‚terreur‘ und des Krieges von den Errungenschaften der Revolution profitiert; diese wollten sie sich nicht mehr streitig machen lassen.

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Quellen: http://www.history.com/topics/napoleon;http://derstandard.at/1341845063687/Der-Wiener-Kongress-eine-diplomatische-Sternstunde-der-Menschheit

Die vierte Phase der Französischen Revolution brach mit der Machtergreifung Napoleons mittels eines Staatsstreiches im Brumaire 1799 an. Brumaire war wiederum einer der Monate im Revolutionskalender und entsprach in etwa dem November. Viele Royalisten hofften, dass Napoleon die Bourbonen wieder auf den Thron setzen würden. Er hatte denn auch gewisse Avancen gegenüber den Königstreuen gemacht, um seine politische Basis zu verbreitern. Doch sie waren rein taktischer Natur, und nach einigen Monaten des Flirts zwischen Napoleon und den Royalisten wandte er sich schliesslich gegen sie. Ende 1800 versuchten denn auch radikale Royalisten, Napoleon mittels eines Attentats zu beseitigen. Es scheiterte.12

Trotzdem erliess Napoleon eine grosszügige Amnestie für Emigranten, die denn auch in Scharen, müde des Exils, nach Frankreich zurückkehrten. Auch bot er vielen von ihnen lukrative Posten an, vor allem in der erfolg- und siegreichen Armee, zu der sich viele Adelige hingezogen fühlten. Das Regime von Napoleon trug durchaus gewisse konservative Züge, und das machte es für viele Emigranten und Royalisten einfacher, es gewissermassen als Fortsetzung der Bourbonen, das heisst also als ein monarchisches System, anzuerkennen. Dass Napoleon sich schliesslich 1804 zum Kaiser krönen liess, unterstrich diese Aspekte noch mehr. Auch söhnte sich Napoleon mit der katholischen Kirche aus und unterzeichnete ein Konkordat mit dem Vatikan. Das sicherte ihm die Unterstützung vieler konservativer, royalistisch gesinnter Franzosen.

Bloss Hardliners hielten an ihrer Opposition und Ablehnung fest. Doch sie führten fortan ein politisches Schattendasein in Frankreich, und selbst als sich zunehmend negative Züge des Regimes von Napoleon zeigte – etwa die ständigen Kriege und die damit verbundenen ökonomischen Belastungen, oder der zunehmend diktatorische Charakter seiner Herrschaft – blieben die Royalisten eine isolierte Minderheit. Selbst in traditionell royalistischen Gebieten wie der Vendée oder Bretagne gab es kaum noch offenen Widerstand gegen die Regierung. Kam hinzu, dass die Royalisten untereinander zerstritten blieben. Sie waren deprimiert, dass zahlreiche ihrer Verschwörungen und Attentate aufgedeckt und damit vereitelt worden waren. Zuerst Napoleons Bruder und dann der ehemalige Oratorier-Mönch Joseph Fouché, der auf dem Höhepunkt des ‚terreur‘ ein gefürchteter reisender Kommissär des Wohlfahrtsausschusses wurde, zogen eine effiziente Geheimpolizei und ein feingliedriges Spionagenetz im ganzen Kaiserreich auf. Erst die Katastrophe Napoleons in Russland weckte die Lebensgeister der Royalisten von neuem.13

Während dieser Zeit eroberten Napoleon und Frankreich fast ganz Europa. Und wo er hinkam, errichtete er neue Regimes, welche die revolutionären Errungenschaften durchsetzten und die feudalistische Vergangenheit auslöschten. Der Adel verlor die meisten seiner Privilegien, eine moderne Verwaltung wurde eingerichtet, es bestanden fortan Gleichheit vor dem Gesetz und Garantie des Privateigentums, die Feudallasten für die Bauern verschwanden. Doch diese „Segnungen“ wurden nicht überall freudig aufgenommen – im Gegenteil. Denn was auf dem Papier versprochen wurde, und was in der Realität an Zuständen herrschte, waren oft zwei verschiedene Paar Schuhe: Die Durchsetzung der revolutionären Errungenschaft ging einher mit einer drückenden französischen Besatzung, die Kontributionen und Steuern erhoben, welche die alte Feudallasten um ein Mehrfaches übertrafen. Zudem wehrte sich die ländliche Bevölkerung vielerorts, wie seinerzeit in Frankreich in der Vendée oder der Bretagne, gegen den Bedeutungs- und Machtverlust der Religion.

Der Widerstand gegen die Franzosen und ihre Fremdherrschaft, und damit auch der Widerstand gegen die revolutionären Errungenschaften, brach sich am deutlichsten Bahn in Spanien und Portugal nach 1808 und in einzelnen Teilen Deutschlands im Jahre 1809, vor allem im Tirol. Es kam zu veritablen Volksaufständen, auf die die Franzosen mit brutaler Gewalt reagierten. Während im Tirol die Erhebung niedergedrückt werden konnte, schwelte sie auf der Iberischen Halbinsel weiter und wurde zum Muster des „Guerilla“-Krieges. Kam hinzu, dass ein englisches Expeditionskorps unter der Führung des nachmaligen Waterloo-Siegers Lord Wellington sich an den Küsten festsetzte und zusammen mit der spanischen Guerilla die Franzosen in Schach hielt.

Nachdem Napoleon Nimbus der Unbesiegbarkeit in Russland verloren gegangen war, ging es dann mit der französischen Hegemonie rasch abwärts. Anderthalb Jahre, nachdem Napoleon in Moskau mit einer hungernden und frierenden Armee vergebens auf eine Friedensbitte des Zaren gewartet und schliesslich zur Rückzug antreten musste, standen die Armeen der Alliierten vor Paris. Napoleon wurde in einem Staatsstreich entmachtet und zur Abdankung gedrängt. Mangels Alternative hievten die Putschisten wieder die Bourbonen auf den Thron. Napoleon kam dann nochmals in den berühmten 100 Tagen aus seinem kurzfristigen Exil auf Elba zurück, verlor aber Glück und Macht endgültig mit Waterloo.

Damit war das Regime Napoleons beendet, und damit bis zu einem gewissen Grad auch die Zeit der Revolution. Es begann die Phase der exemplarisch so benannten Restauration, die bis 1830 dauerte. Aber sie war keine vollständige Wiederherstellung der Zustände von vor der Revolution. Dazu waren deren Wirkungen zu mächtig gewesen. Vor allem in Frankreich mussten die zurückgekehrten Bourbonen die meisten der Veränderungen anerkennen – es gab keine Rückkehr zur Drei-Stände-Gesellschaft, zur ländlichen Feudalordnung, zum Absolutismus der Krone. Vielmehr musste ein Parlament mit (allerdings sehr eingeschränktem Wahlrecht) zugestanden werden. Die Strukturen der Verwaltung des Landes, wie Revolution und Empire sie geschaffen hatten, blieben belassen, das Privateigentum war garantiert, die freie Gewerbeordnung blieb unangetastet. Auch in zahlreichen anderen Ländern war die neu entstehende Ordnung ein Kompromiss zwischen alt und neu, zumal viele der Staaten Europas Schöpfungen der Revolution beziehungsweise Napoleons waren. Sie wollten auf keinen Fall zurück zu den Zuständen vor 1789.

In einem Bereich allerdings war die Restauration relativ umfassend: in den Bereichen Demokratie und Monarchie, Bürger- und Menschenrechte. In einigen Staaten wie Neapel oder Spanien wurde der königliche Absolutismus vollständig wiederhergestellt, der drückende Einfluss der Kirche fast ebenso. Sogenannte „legitime“ Herrschaft, die sich im Unterschied zu bloss „legalen“ Regierungen, auf alte Herkunft und, im besten Fall, auf jahrhundertealte Tradition der Machtausübung stützte, sollte auf alle Fälle bewahrt und verteidigt werden. Sie galt als die einzige akzeptierte Form der Herrschaftsausübung.

Diese Restaurationsordnung wurde zu einem grossen Teil während des Wiener Kongresses ausgehandelt. Dieser tagte 1814/15 in der österreichischen Hauptstadt und brachte fast alle wichtigen Staatsmänner (es gab damals, im Gegensatz zu anderen, früheren Epochen, kaum Monarchinnen und Regentinnen) der damaligen Zeit zusammen. Österreich, Preussen und Russland schlossen sich zur Heiligen Allianz zusammen, einem Militärbündnis der entsprechenden Monarchen, das sich darauf angelegt war, diese Restaurationsordnung zu sichern. Das mittlerweile wieder bourbonische Frankreich trat 1818 der Heiligen Allianz bei, das parlamentarische England nie, lehnte sich aber zumindest während einigen Jahren aus realpolitischen Gründen an deren Prinzipien an.

Die Restauration war gezeichnet durch ein drückendes, bleiernes geistiges Klima, gegen das sich schon bald Widerstand regte – vor allem durch die bürgerlichen Schichten. Diese waren im Zuge der Revolution überall in Europa ermächtigt worden. Wirtschaftlich übernahmen sie zunehmend die Führung, zulasten des Adels. Politisch dominierte dieser aber nach wie vor, und zunehmend wieder dank der Restauration. Das Bürgertum war nicht bereit, sich damit abzufinden.

Ab 1820 kam es deshalb zu neue Revolutionen – bezeichnenderweise in jenen Staaten, in denen die Unterdrückung am stärksten war, so etwa in Neapel oder Spanien, auch im Königreich Sardinien. Die Heilige Allianz kam anfänglich ihrer Ordnungsfunktion nach, solche Revolutionen wurden notfalls mittels militärischer Intervention von aussen unterdrückt. Doch dann kam der griechische Aufstand: Nach 1822 erhob sich die hellenische Bevölkerung im heutigen Griechenland gegen die Herrschaft des Sultans und strebte nach Unabhängigkeit. Das war weniger ein demokratischer als vielmehr ein nationaler Aufstand, und er ereignete sich ausserhalb des Rayons, der eigentlich der Zuständigkeitsbereich der Heiligen Allianz betraf; die Revolution hatte, abgesehen von Napoleons Abstecher nach Ägypten 1798-1801, nie das Osmanische Reich tangiert. Doch der Aufstand der christlichen Griechen gegen die muslimischen Türken löste eine Welle der (Glaubens)Solidarität in Europa aus. Die Sympathien für die Revolution mischten sich mit Elementen romantischer Religiosität. Die Politiker versuchten, die Sache nüchterner zu sehen: faktisch erhoben sich die Griechen gegen eine „legitime“ Herrschaft, denn das Osmanische Reich regierte seit mehreren Jahrhunderten über den Balkan und über Griechenland. So gesehen durfte den griechischen Aufständischen keine Unterstützung zugestanden werden; vielmehr hätte eigentlich der Hohen Pforte in ihrem Kampf Hilfe angeboten werden sollen.

Soweit ging die Heilige Allianz dann aber nicht. Das Paradoxon war unlösbar: Überall beriefen sich die Konservativen und Reaktionäre auf das Christliche; gerade sie konnten nicht eine unchristliche Regierung gegen christliche Aufständische unterstützen. Man verhielt sich deshalb zunächst neutral. Je länger aber die Griechen mit ihrem Widerstand durchhielten, umso schwieriger wurde diese Haltung angesichts der Sympathie, die weite Kreisen – ob christlich oder revolutionär inspiriert – für die griechische Sache hatten. Zudem wurde die Haltung der Heiligen Allianz zunehmend durch Grossmachtrivalitäten beeinträchtigt, bei denen aber durchaus eine ideologische Komponente mitspielten: Frankreich und England, beide auch liberal regiert, standen einem konservativen Lager gegenüber aus Preussen, Österreich und Russland gegenüber. Schliesslich kam es 1827 zur alliierten Intervention gegen den Sultan; Griechenland wurde unabhängig.

Damit kommen wir zur sechsten und letzten Phase. 1830 rollte eine neue Welle von Revolutionen durch Europa. An der Spitze stand Frankreich, das sich des ungeliebten Bourbonenkönigs entledigte, allerdings noch nicht den Schritt zur Republik wagte. Das kam erst 1848. In diesem Jahr kam es zu einer dritten Welle von Revolutionen, und diesmal rumorte es in ganz Europa: neben Frankreich vor allem in Deutschland, Ungarn, Italien. Zwar siegten nochmals überall die alten Regimes – aber nur dem Namen nach. Es wurde immer klarer, dass die Errungenschaften der Revolution sich auf gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und auch politischer Ebene nicht mehr rückgängig machen liessen. Adel und Kirche verloren laufend an Terrain. Man war auf dem Weg zur Normalisierung – der Integration der Revolution jeder Hinsicht in den politischen ‚Mainstream‘.

Die 1848er Revolution kündigte bereits den nächsten Konflikt ein, der sich innerhalb und zwischen den Strömungen abspielte, die auf die Revolution zurückgingen: Im Februar 1848 wurde das Kommunistische Manifest veröffentlicht, die Arbeiter- beziehungsweise die soziale Frage gewann laufend an Gewicht. Es stand nun nicht mehr Adel und Kirche gegen den Rest, sondern der Rest spaltete sich auf in Bürgertum und Arbeiterschaft, die um die politische Vorherrschaft zu kämpfen begannen.

Publizistik, Polemik und Propaganda

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Quelle:http://revolutionfrancaise59150.over-blog.com/pages/4CHRONOLOGIE_DES_EVENEMENTS_EN_1792-2473985.html

Spricht man von der Französischen Revolution, und die damit verbundenen ideologischen, polemischen und propagandistischen Auseinandersetzungen, kommt man nicht umhin, sich etwas genauer mit der speziellen Rolle der Publizistik zu beschäftigen. Die Französische Revolution ist die Geburtsstunde des modernen Pressewesens und der öffentlichen Meinung. Die Presse entwickelte sich zu einer unabdingbaren Institution zur Schaffung öffentlicher Meinung, die die demokratische Debatte überhaupt erst ermöglichte. In Anlehnung an Montesquieus Gewaltenlehre spricht man denn auch von den Medien als vierter Gewalt, neben den klassischen Kategorien von Exekutive, Legislative und Judikative. Aber Demokratie ist ohne Öffentlichkeit nicht denkbar, und Medien schaffen diese Öffentlichkeit, mit all ihren Stärken und Schwächen.

Die Reformation im 16. Jahrhundert hatte ein reiches polemisches Schrifttum hervorgebracht, dann speziell in Frankreich auch die Fronde von 1648-53, dieser Aufstand intermediärer Kräfte, die sich gegen die Zentralisierung einer zunehmend absolutistischen Monarchie wehrten. Doch blieben diese Schriften damals vorerst noch einem relativ kleinen Kreis von Lesekundigen vorbehalten. Das hatte sich im 18. Jahrhundert geändert. Es gibt zwar keine Zahlen für die Alphabetisierung in Frankreich, aber doch deutliche Hinweise und gute Schätzungen. So konnten etwa in Paris wohl 80-90% der Bevölkerung lesen und schreiben. Auf dem Land waren es gewiss weniger, aber es war üblich, dass Hausangestellte in den Städten, die oft vom Land kamen, in aller Regel über rudimentäre Kenntnisse verfügten, was Lesen und Schreiben anbelangt. In der Schweiz, zum Vergleich, hatte etwa Genf bereits 1536 die obligatorische Schulpflicht eingeführt; im Kanton Bern wurden 1615 alle Gemeinden beauftragt, Schulen einzurichten. Der Kanton Zürich folgte 1637. Weite Bevölkerungsschichten konnten also lesen und schreiben, wenn auch vielleicht auch nur rudimentär. Und nach wie vor brauchten viele von ihnen einen Vorleser, der den Sachverhalt näher erklären konnten.

Trotzdem: Presse und Publizistik wurden zu entscheidenden Vehikeln, um die Verbreitung von revolutionären Ideen zu fördern. Deshalb war auch die Abschaffung der Pressezensur, die vor allem aus religiösen Gründen bestand, eine wichtige Forderung der Revolution. Während der Revolutionsjahre wurden in Frankreich rund 1600 verschiedene Zeitungen gegründet und verbreitet, die meisten existierten allerdings nur kurze Zeit. Dennoch: 1791 belief sich die Auflage der Pariser Blätter auf 130,000 und 1797 waren es gar 150,000 – und das bei einer Bevölkerung von etwa einer halben Million. Aber nicht nur in der Hauptstadt wurden die Pariser Blätter, welche die revolutionäre Ereignisse gewissermassen in Echtzeit wiedergaben, gelesen, sondern auch in den Provinzen: über die Hälfte der Auflage wurde regelmässig in die Provinzen versandt, und dort kollektiv von den Dorfgemeinschaften gelesen, von Hand zu Hand weitergereicht. Man kann davon ausgehen, dass bei einer Gesamtbevölkerung von 20 Millionen rund 3 Millionen regelmässig Zeitungen konsumierten.

Die Explosion des Zeitungswesens führte auch zu neuen Berufen und Kommunikationsformaten: einerseits entstand mit der Revolution der Beruf des Journalisten. Zwar hatte es schon vorher Herausgeber und regelmässige Schreiber in Zeitungen gegeben, doch waren sie eher das, was wir heute als Essayisten bezeichnen würden. Wichtige Revolutionäre waren Journalisten, so etwa Jean-Paul Marat, der zusammen mit Georges Danton und Maximilien Robespierre einer der führender Jakobiner war.

Andererseits setzten sich Kommentar wie Karikatur als journalistische Mittel durch. Überhaupt hat das, was wir heute als journalistisches Handwerk bezeichnen würden, zu einem grossen Teil seiner Wurzeln in der Zeit der Revolution – allerdings nicht die Recherche, die eine Besonderheit des angelsächsischen Journalismus ist und sich erst im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts als vielleicht wichtigste journalistische Norm durchsetzen konnte. Doch fortan pflegte man in den Zeitungen einen neuen, volkstümlichen Stil – angriffig, polemisch, respektlos und z.T. auch vulgär. „Dem Volk aufs Maul schauen“ lautete das Motto, und fortan nahm man, im wahrsten Sinne des Wortes, kein Blatt mehr vor den Mund – die Zeit der höfischen Sitten war vorbei. Man nehme nur etwa die Karikaturen zum Manifest des Herzogs von Braunschweigs, das beim Einmarsch Österreichs und Preussens in Frankreich 1792 den Revolutionären mit schwersten Strafen drohte, falls sie nicht sofort dem König wieder Gehorsam leisteten. Die Revolutionäre beantworteten den Aufruf mit allerlei Vorschlägen, wie man dem Manifest umzugehen zu – sie reichten davon, es in der Pfeife zu rauchen bis zu fäkalischem Gebrauch. Eine solche Art von Polemik wäre im gesitteten, nach wie vor von aristokratischen Formen geprägten 18. Jahrhundert unmöglich gewesen.

Ebenso beliebt waren Pamphlete, Traktate und Flugschriften – kürzere oder längere Abhandlungen zu einem bestimmten Thema: bis zu 40‘000 wurden davon während der Französischen Revolution gedruckt und verbreitete. Ja, das revolutionäre Frankreich wurde von solchen Schriften in den Revolutionsjahren regelrecht überschwemmt. Leser dieser Druckerzeugnisse waren allerdings, im Gegensatz zu den Zeitungen, weniger das einfache Volk, als vielmehr die bürgerlichen Schichten beziehungsweise Adelige und Kleriker. Aber auch hier dominierte nun ein angriffiger und aggressiver Ton.

Presse und Pamphlete waren vor allem ein Mittel der Revolutionäre zur Verbreitung ihrer Ideen. Es ist denn auch kein Wunder, dass nach 1815, in der Restauration, seitens der Machthaber der Pressezensur eine grosse Bedeutung bei der Unterdrückung revolutionärer Ideen zugemessen wurde. Die Karlsbader Beschlüsse des Deutschen Bundes von 1819, eine der wohl effizientesten Massnahmen im Rahmen der europaweiten konterrevolutionären Repressionspolitik nach dem Sturz Napoleons, betrafen neben den revolutionären Umtrieben an deutschen Universitäten vor allem Einschränkungen der Pressefreiheit.

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Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/Antoine_de_Rivarol, http://en.wikipedia.org/wiki/Atala_(novella)

So sehr die Presse und die Publizistik vor allem ein Vehikel zur Verbreitung revolutionärer Ideen waren, so sehr benutzten Konterrevolutionäre von Anfang an die gleichen Mittel, um ihre eigenen Vorstellungen und Ideen in Umlauf zu bringen. Wie gesagt: Die Französische Revolution begründete die öffentliche Meinung, und diese lebt vom Widerstreit oft entgegengesetzter Ideen. Eine öffentliche Meinung kam gar nicht zustande, wenn der revolutionären Propaganda und Agitation nicht eine konterrevolutionäre Gegenöffentlichkeit entgegengesetzt wurde.

Eines der angriffigsten konterrevolutionären Blätter seit der Frühphase der Revolution war „Les amis du roi“, herausgegeben vom umtriebigen Priester Thomas-Marie Royou, der schon vor der Revolution aktiv in der Bekämpfung aufklärerischen Ideen gewesen war. „Les amis du roi“ erreichte mit 5,700 Abonnenten eine der höheren Umlaufzahlen unter allen Zeitungen, revolutionäre Blätter miteingeschlossen. Andere konterrevolutionäre Zeitungen waren „Les Actes des Apôtres“, „La Gazette de Paris“ oder „La Rocambole“ – ein Neologismus, bedeutet doch das Adjektiv ‚rocambolesque‘ einfach „verrückt, abenteuerlich, haarsträubend“: so wie aus royalistischer Sicht die politischen Verhältnisse damals eben waren. Es gab auch royalistische Starjournalisten, wie etwa Antoine de Rivarol, der vor allem im "Journal politique" und "Actes des Apotres" schrieb. Er flog 1792 ins Exil, wo er 1801 starb.14 Noch heute gilt er vielen französischen Rechtsradikalen als Vorbild, und es existiert sogar eine faschistoide Publikation, die ihm zu Ehren seinen Namen trägt. Auch Haller, einer der vier Publizisten, die wir behandeln werden, war Journalist. Haller gründete 1799 die „Helvetischen Annalen“ kurz nach Gründung der Helvetischen Republik als Kampforgan der Konterrevolutionäre. Nach ihrem Verbot führte er sie als „Helvetische Nachrichten“ und „Helvetische Neuigkeiten“ kurz weiter, bevor er sich ins Exil begab.

Gerade auch weil konterrevolutionäre Intellektuelle die Presse als Vehikel ihrer Sache sahen, waren sie durchaus Vertreter der Pressefreiheit – im Gegensatz etwa zu den Behörden konterrevolutionärer Staaten. Der Literat Chateaubriand verteidigte zeitlebens die Pressefreiheit, auch nach 1815, als er als Verfechter eines Ultraroyalismus in der restaurierten Bourbonenmonarchie auf den Oppositionsbänken sass, da Louis XVIII aus Gründen der politischen Vernunft eine Regierung mit gemässigten Vertreter des Regimes von Napoleon Bonaparte bevorzugte.

Die Pressefreiheit zeitigte in der Revolution durchaus seltsame Blüten: Nachdem Österreich und Preussen dem revolutionären Frankreich im Frühjahr 1792 den Krieg erklärt hatten, konnten royalistische Blätter weiterhin publizieren, auch wenn sie eine Haltung einnahmen, die man heute als landesverräterisch bezeichnen würde. Doch man liess sie gewähren, da die Pressefreiheit als so hohes Gut galt, dass man sie auch den Gegnern der Revolution nicht absprach. So schrieb etwa der „Amis du roi“ im Juli 1792 angesichts des raschen Vormarsches der Österreicher und Preussen:

"Tremblez, factieux, le moment est arrivé. Ce ne sont plus les années que l’on compte, (…) ce ne sont plus des mois….ce sont les heures; les vengeurs de vos forfaits sont à vos portes: (….) Le moment de la vengence est arrivé, il faut qu’elle s’exécute (…). Et vous, peuple trompé et abusé, revenez à votre Roi, et tandis qu’il est encore temps prévenez vos vainqueurs. Ils ne demandent qu’obéissance et justice."15

Übersetzung: “Zittert, Aufrührer, der Moment ist da. Man zählt nicht mehr die Jahre, …nicht mehr die Monate, …es geht nur noch um Stunden, die Rächer Eurer Untaten sind an der Pforte…Der Moment der Rache ist da, er muss nur noch durchgezogen werden. …Und Ihr, das getäuschte und missbrauchte Volk, kommt zu Eurem König zurück; kommt Euren Besiegern zuvor, solange es noch Zeit ist. Sie verlangen nichts anderes als Gehorsam und Gerechtigkeit.“

Dieses Zitat verdeutlicht auch den Bürgerkriegscharakter, den die Revolution durchaus hatte: Die Royalisten spannen ohne zu Zögern mit Ausländern zusammen, um letztliche innenpolitischen Ziele durchzusetzen.

Doch nicht nur in der Presse waren die Konterrevolutionäre aktiv. Sie schrieben auch zahlreiche Pamphlete – gerade die politischen Texte und Manifeste von Burke und de Maistre sind vielfach in Form solcher Pamphlete, und auch Chateaubriand und Haller benutzen sie gelegentlich. Burkes „Reflections on the Revolution in France“ und de Maistres „Considérations sur la France“ sind klassische Traktate.

Bücher spielten in konterrevolutionärer Publizistik zunächst einmal nur eine untergeordnete Rolle. Doch die konterrevolutionäre Botschaft brach sich Bahn in den romantischen Romane und Erzählungen, welche nach 1800, vor allem aber nach dem Sturz Napoleons eine immer weitere Verbreitung fanden. Durch den Ausbau der Schulsysteme in der Aufklärung und danach in der Revolution nahm die Volksbildung nochmals signifikant zu, und vor diesem Hintergrund fanden Bücher nun auch bis in die entferntesten Winkel europäischer Kernländer wie Frankreich oder Deutschland Verbreitung. In den Salons des Adels und des Bürgertums wurden Romane und Novelle ohnehin intensiv gelesen und diskutiert. Einer der ersten romantischen Romane mit grosser Verbreitung im französischen Sprachraum (und nach Übersetzungen auch anderswo) war „Atala“ von Chateaubriand, eine – aus heutiger Sicht - kitschige Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der Exotik Nordamerikas. Doch der Kitsch traf damals genau den Gemütszustand weiter Kreise.

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Quelle: http://www.johann-gottfried-herder.net/german/ihg_konferenzen.htm,http://www.zeno.org/Philosophie/M/Hamann,+Johann+Georg, http://andrejkoymasky.com/liv/fam/bioj1/jacobi01.jpg

Die konterrevolutionäre Publizistik und Kritik kristallisierte sich um einige Kernpunkte. Einerseits war da die Ablehnung der revolutionären Prinzipien beziehungsweise die der dahinterstehenden aufklärerischen Werte, Normen und Philosophien. Andererseits wurde die von der Revolution angegriffene und beseitigte feudale Ordnung verteidigt beziehungsweise idealisiert. Hier findet sich auch der Übergang zur romantischen Bewegung mit ihrer Anhänglichkeit an das Mittelalter und das Christentum. Im Laufe der Zeit schwankte der Fokus dieser konterrevolutionären Kritik. Stand am Anfang die Diffamierung und das Hinterfragen der revolutionären Prinzipien im Vordergrund, ging es später darum, mit der romantischen Sichtweise auch einen gesellschaftlichen und politischen Gegenentwurf zum aufklärerisch-revolutionärem und rationalistischen Staat zu liefern. Bei der Darstellung von Feudalismus und Christentum als Idyllen ging es nicht darum, mit überlegener Argumentation zu punkten – was zum rationalistischen Zeitalter der Aufklärung passte -, sondern mit dem Appell an die Gefühle, an die „sentiments“.

Die Ursprünge der konterrevolutionären intellektuellen Kritik sind gewissermassen avant le fait zu finden, nämlich in der philosophischen und publizistischen Kritik der Aufklärung im 18. Jahrhundert. Die Aufklärung war nämlich keineswegs so unumstritten, wie dies heute zum Teil immer noch dargestellt wurde, auch im hiesigen Geschichtsunterricht. Diese Kritik an der Aufklärung ging einerseits von den traditionellen Autoritätsinstanzen aus, vor allem der Kirche und den mit ihnen verbundenen Universitäten. In Frankreich war diese Kritik an der Aufklärung natürlich katholisch geprägt, in Deutschland dagegen durchaus auch von den lutheranischen Staatskirchen in den jeweiligen Territorien und in England von der anglikanischen Kirche. Die Kirchen setzten dem Rationalismus und Vernunftsglauben der Aufklärer mystische Bekenntnisse und ein bewusst metaphysisches Weltbild entgegen, was wiederum wenigstens teilweise auch zu einer Erneuerung des christlichen Bekenntnisses führte. Das 18. Jahrhundert war denn auch im Protestantismus ein Jahrhundert der Erweckungs- und Frömmigkeitsbewegungen, so etwa im Pietismus. Das war auch indirekte Antwort auf die Aufklärung. In Frankreich wurden die Exponenten der kirchlichen und religiösen Gegenströmung zur Aufklärung als „les antiphilosophiques“ bezeichnet. Sie hatten in der Zeitschrift des „Année littéraire“ des umtriebigen Journalisten Elie Fréron einen Plattform, in der sie gegen die Aufklärung polemisieren und kritisieren konnten.16

Andererseits gab es auch eine Opposition gegen die Aufklärung, die sich in der Philosophie gründete und vorwiegend in Deutschland beheimatet war. Sie wird oft unter dem Begriff der „Glaubensphilosophie“ zusammengefasst. Ihre Vertreter beriefen sich in ihren Überlegungen stark auf Leibniz, der dem von den Aufklärern gepredigten Fortschrittsglauben skeptisch gegenüberstand. Die Glaubensphilosophen wehrten sich gegen die Verabsolutierung der Vernunft und wiesen darauf hin, dass der Mensch beides – Herz und Verstand, Vernunft und Emotionen – habe und dass man deshalb ihm nur in seiner Ganzheitlichkeit gerecht werden kann. Der bekanntesten dieser Glaubensphilosophen war Johann Gottfried Herder (1744-1803). Er widmete sich vor allem der philosophischen Betrachtung der Geschichte und der Sprache. Kein systematischer Kopf wie Kant, stellte er den Gedanken in den Mittelpunkt seiner Überlegungen, dass jedes Zeitalter und jedes Volk seinen Zweck in sich selbst trage, dass es einen speziellen, einzigartigen Charakter habe. Diese Formung geht letztlich auf Gott zurück, denn Gott hat dem entsprechenden Volk oder Zeitalter seinen bestimmten Charakter gegeben. In gewissen Punkten kam Herder dabei der Geschichtsphilosophie Hegels relativ nahe; diese entstand ja kurz darauf und prägte die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, aber auch den Marxismus massgeblich. Andere Glaubensphilosophen in Deutschland waren Johann Georg Hammann, wie Kant auch er ein Königsberger sowie Friedrich Heinrich Jacobi, der sich vor allem mit Rousseau, später auch mit Spinoza und Kant beschäftigte.17

[...]


1 https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/

2 Hans-Ulrich Thamer, Die Französische Revolution. München, 2013, p. 7

3 Jean-Paul Bertaud, La Révolution française. O.O., 2004, pp. 240-246

4 Kurzreferat Remigio Gazzari: Begriff Sattelzeit. http://www.univie.ac.at/igl.geschichte/ws1999-2000/ps-kurzreferate/kurzreferat_gazzari.htm

5 Bertaud, Révolution, pp. 16-20

6 Remzig Keucheyan, Périssables démocraties. Le Monde diplomatique, avril 2015. http://www.monde-diplomatique.fr/2015/04/KEUCHEYAN/52872

7 Bertaud, Révolution, p. 259

8 Halliday, Revolution, p. 4-7

9 Bertaud, Révolution, pp. 139f.

10 Bertaud, Révolution, pp.93-96; Louis Madelin, La Contre Révolution sous la Révolution 1789-1815. Paris, 1935, pp. 15-19

11 Madelin, pp.89-97

12 Jean-Paul Bertaud, Les Royalistes et Napoléon 1799-1816. Paris, 2009, pp. 51-97

13 Bertaud, Royalistes et Napoléon, pp. 203-249

14 http://ieg-ego.eu/de/threads/europaeische-medien/europaeische-medienereignisse/rolf-reichardt-die-franzoesische-revolution-als-europaeisches-medienereignis-1789-1799#Presse

15 Bertaud, Amis du Roi, p. 236

16 Didier Masseu, Les ennemis des philosophes. L’antiphilosophie au temps des Lumières. Paris, 2000, pp. 141-206

17 Hans Joachim Störig, Kleine Weltgeschichte der Philosophie. Band 2. Stuttgart, 1979, pp. 109-111

Ende der Leseprobe aus 114 Seiten

Details

Titel
„Für Thron und Altar!“. Die Französische Revolution und ihre Gegner
Veranstaltung
Vorlesungsreihe
Autor
Jahr
2015
Seiten
114
Katalognummer
V1043614
ISBN (eBook)
9783346474445
ISBN (Buch)
9783346474452
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Französische Revolution, Konterrevolution, Napoleon, Edmund Burke, Joseph de Maistre, Karl Ludwig von Haller, Chateaubriand, Revolutionskriege, Restauration, Wiener Kongress, Heilige Allianz
Arbeit zitieren
Dr. phil. hist. Rolf Tanner (Autor:in), 2015, „Für Thron und Altar!“. Die Französische Revolution und ihre Gegner, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043614

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