Schwarze Gesundheitsvorsorge
Schwarze Gesundheitsvorsorge zielt darauf ab, die Wehrkraft des Gegners zu schwächen. Dies geschieht entweder durch Schüren der Angst vor Krankheit, oder, indem Krankheit als Rettung vor dem Tod dargestellt wird:
„Lieber ein paar Wochen krank, als ein Leben lang tot.“
Fallstudien
1. Flugblattbroschüre „Pest“
(Herkunft: England, 1943, ohne Codezeichen, Format ca. 90x140 mm, Broschüre 20 Seiten einschließlich Titel)
Hintergrund
- Kenntnis der verheerenden Folgen der Pestepidemie von 1347-1352 (25 Millionen Todesopfer in Europa)
- Seuchen bekannt als Begleiterscheinungen des Krieges: erhöhte Gefahr des Auftretens durch eingeschränkte Hygiene und mangelnde medizinische Versorgung
- Das Reichsgesundheitsamt rechnete tatsächlich mit dem Auftreten von Seuchen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Grundlage: Veröffentlichung des Reichsgesundheitsamtes „Ratschläge an Ärzte zur Bekämpfung der Pest“ (Deutschland 1942)
- Die Furcht vor der Pest wird geschürt, die Folgen erläutert
(„...so kämpft die deutsche Wissenschaft gegen den heimtückischen Gegner Pest, der schon so oft in der Weltgeschichte alleiniger Sieger auf den Schlachtfeldern Europas geblieben ist.“)
- Sensibilisierung und Verunsicherung der Leser, Aufforderung, bereits bei geringsten Anzeichen bakteriologische Untersuchungen vornehmen zu lassen
(„Nur, wenn jeder einzelne Volksgenosse seine Pflicht als Beobachtungsposten der Wissenschaft tut, wenn jede kleinste, unscheinbarste Bewegung des heimtückischen Gegners sofort erkannt und unverzüglich gemeldet wird, kann die entsetzliche Gefahr abgewendet werden.“; angeblich Symptome: „Ziehen“ in den Beinen, Kopfschmerzen, leichte Übelkeit, Pickel etc.)
- Behauptung, das Deutsche Volk habe nicht die Immunität gegen den Bazillus, über die unterentwickelte Länder verfügen € Angst der Soldaten, im Nahkampf mit Osteuropäern in Kontakt zu kommen
- Anstiften zu Verleumdungen
(Zur Anzeige verpflichtet ist „derjenige, der von einem derartigen Fall Kenntnis erhält, und Grund hat, anzunehmen, daß die unter 2-4 angeführten Personen ihre Anzeigepflicht vernachlässigen.“)
- Beunruhigung der Bevölkerung € Überbewertung der Symptome
- Schaffung von Mißtrauen zwischen Arzt und Patient, sowie zwischen Volk und Behörden Reaktionen
- Detaillierte Erörterung im „Deutschen Ärzteblatt“: „Nervenkrieg mit Pestflugblättern?“ (Deutschland 1944)
- Veröffentlichung in den „Mitteilungen für die Truppe“
- Aufgreifen dieser propagandistischen Vorgehensweise € Gerücht, Engländer und Amerikaner kämen als Träger der Pest in Frage
2. „Nationalpolitischer Unterricht im Heere. III. Hauptthema: Die Soldatenfrau in der Heimat. Thema 6: Eheliche Treue und falscher Verdacht“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
(Herkunft: England, 1943, ohne Codezeichen, Format ca. 140x210 mm, dreiseitig bedruckt, einfarbig)
Hintergrund
- Interesse an sexuellen Vorgängen
- Überanstrengung der Frauen beim Arbeitseinsatz
- Bestehende Sorge der Soldaten um die Treue der Ehefrauen (Angehörige der Heimatfront, Fremdarbeiter in den Fabriken)
- Unterernährung, mangelnde Qualität der Lebensmittel
- Kriegsbedingter Bedeutungszuwachs von Fruchtbarkeit und Kinderreichtum
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
- Beunruhigung der Soldaten durch Andeuten der Möglichkeit ehelicher Untreue
(„Es sind in der letzten Zeit des öfteren Fälle vorgekommen, in denen Wehrmachtsangehörige, die z.T. schon mehr als ein Jahr nicht auf Heimaturlaub gewesen sind, die Mitteilung erhalten, daß ihre Ehefrau sich im Zustande der Schwangerschaft befindet.“)
- Beunruhigung der Soldaten durch Hinweis auf mögliche Unfruchtbarkeit der Frau und Verdacht auf Scheinschwangerschaft
(„Aber in vielen Fällen [ ... ] wird es sich herausstellen, daß sie an einer Erscheinung leidet, die [ ... ] der medizinischen Wissenschaft als Pseudo-Schwangerschaft bekannt ist.“; „Die tatsächliche Ursache des Ausbleibens der Regel ist in einer Schädigung der weiblichen Fortpflanzungsorgane zu suchen“)
- Indirekte Aufforderung, die Frauen aus den Betrieben zu nehmen durch Nennung der Ursachen (Überanstrengung durch Betriebsarbeit, langes Stehen, giftige Substanzen in chemischen Betrieben) und Folgen:
(„Denn wiederholt sich der durch Überanstrengung hervorgerufene Ausfall der Regel über einen gewissen Zeitraum hinaus, so ist weitere Rückbildung und Entartung der Eierstöcke die Folge, und es besteht die ernste Gefahr dauernder Unfruchtbarkeit sowie eines frühzeitigen Altersverfalls.“)
- Hinweis auf schädigende Kriegsnahrung: „blähendes Kriegsbrot“
3. „Krankheit rettet“ von Dr. med. Wohltat
(Herkunft: England, ab 1943/44, Format 68 x 105 mm, 112 Seiten einschließlich Titel und Tarnung)
Rettung vor dem völligen Zusammenbruch, wenn der Patient im rechten Augenblick durch eine leichte, „richtige Krankheit“ gezwungen wird, auszuspannen.
- Die Schrift „Krankheit rettet“ vermittelt das notwendige, wissenschaftliche (!!!) Wissen, damit ein Arzt den „Übertreiber aus Notwehr“ nicht erkennen kann. Denn nur Patienten, die sich falsch benehmen, werden vom Arzt als Drückeberger entdeckt.
Denn: „Es ist nicht wahr, daß der Doktor den Simulanten immer reinlegen kann.“
- „Das ganze System der Anweisungen in diesem Heft ist dazu entworfen worden, um dem Doktor die gesamte Verantwortung zuzuschieben. Denn: Du simulierst nicht eine Krankheit, sondern der Arzt stellt sie von sich aus fest.“
4. Englisches Streichholzbriefchen
Häufig gestellte Fragen
Was ist "Schwarze Gesundheitsvorsorge" laut diesem Dokument?
Laut diesem Dokument bezieht sich "Schwarze Gesundheitsvorsorge" auf Taktiken, die darauf abzielen, die Widerstandsfähigkeit des Gegners zu schwächen, indem Angst vor Krankheit geschürt oder Krankheit als Flucht vor dem Tod dargestellt wird.
Worauf zielt die Flugblattbroschüre "Pest" ab?
Die Broschüre zielt darauf ab, die Furcht vor der Pest zu schüren, die Folgen der Krankheit zu erläutern, die Bevölkerung zu verunsichern und zu Verleumdungen anzustiften. Sie basiert auf einer Veröffentlichung des Reichsgesundheitsamtes und suggeriert, dass das Deutsche Volk keine Immunität gegen den Pestbazillus besitzt.
Was ist das Ziel des "Nationalpolitischen Unterrichts im Heere" bezüglich der Soldatenfrau?
Dieses Dokument zielt darauf ab, Soldaten zu beunruhigen, indem es auf die Möglichkeit ehelicher Untreue hinweist, mögliche Unfruchtbarkeit der Frau andeutet und indirekt dazu auffordert, Frauen aus den Betrieben zu nehmen, indem es auf die schädlichen Auswirkungen der Arbeit auf die weibliche Fruchtbarkeit hinweist.
Was lehrt die Schrift "Krankheit rettet"?
Die Schrift lehrt, wie man eine Krankheit vortäuschen kann, ohne vom Arzt als Simulanten entlarvt zu werden. Es wird argumentiert, dass nicht der Patient die Krankheit simuliert, sondern der Arzt sie selbst feststellt, wodurch dem Arzt die Verantwortung zugeschoben wird.
Was ist das Ziel des englischen Streichholzbriefchens?
Das Dokument beschreibt ein als Streichholzbriefchen getarntes Propagandaelement, dessen genauer Inhalt in der vorliegenden Beschreibung nicht detailliert erläutert wird.
Was ist die Hauptstrategie hinter der "Schwarzen Gesundheitsvorsorge"?
Die Hauptstrategie besteht darin, Angst und Misstrauen zu säen. Dies geschieht durch Übertreibung der Gefahr von Krankheiten, Andeutung von Untreue und Unfruchtbarkeit, und Schaffung von Misstrauen zwischen Individuen und Autoritäten.
Welche Rolle spielen Ärzte in diesen Propagandakampagnen?
Die Dokumente versuchen, Ärzte zu beeinflussen, indem sie entweder ihre Autorität nutzen, um Ängste zu schüren (wie im Fall der Pestbroschüre), oder indem sie Techniken zur Umgehung ihrer Expertise lehren (wie in "Krankheit rettet"). Sie zielen auch darauf ab, Misstrauen zwischen Patienten und Ärzten zu säen.
- Arbeit zitieren
- Isabel Lamotte (Autor:in), 1999, Schwarze Gesundheitsvorsorge, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104394