Ludwig-Maximilians-Universität München
Geschwister-Scholl-Institut für Politische Wissenschaft Grundkurs Politische Systeme
Dozent: Andreas Kießling M.A. Referenten: Isabel Lamotte, Ursula Mader Datum: 29. Juni 1998
Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts
Die Verfassungsbeschwerde
1. Verfassungsbeschwerde kann von
- grundsätzlich jedermann
- juristischen Personen (nicht solche öffentlichen Rechts)
- Gemeinden
mit der Behauptung erhoben werden, er sei durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt worden.
2. Verfassungsbeschwerde kann erhoben werden bei Grundrechtsverletzung in
- einem Gesetz (binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten)
- der Anordnung einer Verwaltungsbehörde (nach Erschöpfung des Rechtswegs: Subsidiarität)
- einem Gerichtsurteil
- Rechtssatzverfassungsbeschwerde (mittelbar gegen ein vom Gericht angewandtes Gesetz)
- Interpretationsverfassungsbeschwerde (gegen verfassungswidrige Auslegung und Anwendung von Rechtssätzen durch ein Gericht)
3. Vorabentscheidung
ist eine VB von allgemeiner Bedeutung, oder entsteht dem Beschwerdeführer ein schwerer Nachteil, kann das BVG auch vor Erschöpfung des Rechtswegs entscheiden
4. Keine Super-Revision
das BVG ist keine Instanz, die die sachliche Richtigkeit Entscheidung eines allgemein zuständigen Gerichts noch einmal prüft; das BVG prüft nur, ob der jeweilige Richter Verfassungsrecht verletzt hat ⇒ Kammern entscheiden über die Annahme der VB
Normenkontrolle
Gesetz als Gegenstand des Verfahrens, eingeleitet durch Gericht oder Verfassungsorgane
1. Konkrete Normenkontrolle
- eingeleitet durch ein Gericht, das die Rechtsgrundlage eines konkreten Rechtsstreits für verfassungswidrig hält
- nach Anhörung von Streitparteien, Bundestags, Bundesrat, Bundesregierung, Länderregierungen und event. obersten Gerichtshöfen und Landesgerichten erfolgt eine verbindliche Entscheidung
2. Abstrakte Normenkontrolle
- kann eingeleitet werden auf Antrag der Bundesregierung, Landesregierung oder mind. einem Drittel der Mitglieder des Bundestags
- prüft die Vereinbarkeit von
- Bundes- oder Landesrecht mit dem GG
- Landesrecht mit sonstigem Bundesrecht
- vorkonstitutionellem Recht mit dem GG
3. Normenqualifizierungsverfahren
- einzuleiten durch allgemeine Gerichte, bezüglich eines konkreten Rechtsstreits
- prüft, ob eine Regel der Völkerrechts Bestandteil unseres Bundesrechts ist und ob sie unmittelbar Rechte und Pflichten für den einzelnen erzeugt (Art. 100 Abs. 2 GG)
- prüft, ob Recht aus der Zeit vor Zusammentritt des BTs als Bundesrecht fortgilt (Art. 126 GG)
Verfassungsstreitigkeiten zwischen staatlichen Organen
1. Organstreitigkeiten
- durch GG oder Geschäftsordnung des eines obersten Bundesorgans mit Rechten ausgestattete Organe: Bundespräsident, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat, Teile dieser Organe (Fraktionen, Abgeordnete)
- Streit zw. Staatsorganen darüber, ob ein Organ seine Kompetenz überschritten, und damit das antragstellende Organ in seinen Rechten und Pflichten verletzt hat
- BVG prüft, ob die Maßnahme oder Unterlassung gegen das GG verstößt
2. Bund-Länder-Streitigkeiten, Streitigkeiten zwischen den Ländern
Große Bedeutung liegt in der Kompetenzabgrenzung zw. Bund und Ländern
3. Landesverfassungsstreitigkeiten
BVG entscheidet mangels Landesverfassungsgerichtshöfen über
- Organstreitigkeiten innerhalb eines Landes
- Verfassungsstreitigkeiten innerhalb eines Landes
W eitere Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts
1. Parteiverbotsverfahren
- auf Antrag von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Landesregierung
- dient der Unterbindung verfassungswidriger Parteien, die nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokr. Ordnung zu beseitigen oder den Bestand der BRD zu gefährden
2. Verwirkung von Grundrechten
- auf Antrag von Bundestag, Bundesregierung, Landesregierungen
- ist gegeben, wenn Grundrechte wie Meinungs- oder Versammlungsfreiheit gegen die demokr.
Grundordnung mißbraucht werden
- BVG stellt fest, welche Grundrechte verwirkt wurden und für wie lange
3. Wahlprüfungsverfahren
- Maßnahmen in Wahlrechtsangelegenheiten können nur im Wahlprüfungsverfahren angefochten werden, das, z.B. bei der Wahl zum Dt. Bundestag beim Bundestag selbst und einem abgeleiteten Wahlprüfungsausschuß liegt
- wird die Entscheidung des Bundestags angefochten, entscheidet das BVG
4. Anklagen gegen den Bundespräsidenten und gegen Richter
- auf Antrag von Bundestag oder Bundesrat kann das BVG, falls begründet, den Bundespräsidenten seines Amtes entheben
- das BVG nimmt auch Richteranklagen entgegen, um dem Mißbrauch der richterlichen Unabhängigkeit entgegenzuwirken
Literatur
SÄCKER Horst, Das Bundesverfassungsgericht, Bayerische Landeszentrale für Politische Bildung,
4. Auflage, München 1989, S. 37-67
RUDZIO Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, Leske+Budrich,
4. Auflage, Opladen 1996
Häufig gestellte Fragen
Was sind die Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts laut diesem Dokument?
Das Bundesverfassungsgericht hat verschiedene Zuständigkeiten, darunter die Behandlung von Verfassungsbeschwerden, Normenkontrollen, Verfassungsstreitigkeiten zwischen staatlichen Organen, Parteiverbotsverfahren, Verwirkung von Grundrechten, Wahlprüfungsverfahren und Anklagen gegen den Bundespräsidenten und Richter.
Wer kann eine Verfassungsbeschwerde erheben?
Grundsätzlich jedermann, juristische Personen (nicht solche öffentlichen Rechts) und Gemeinden können eine Verfassungsbeschwerde erheben, wenn sie behaupten, durch die öffentliche Gewalt in ihren Grundrechten verletzt worden zu sein.
Unter welchen Umständen kann eine Verfassungsbeschwerde erhoben werden?
Eine Verfassungsbeschwerde kann bei Grundrechtsverletzung in einem Gesetz (binnen Jahresfrist nach Inkrafttreten), der Anordnung einer Verwaltungsbehörde (nach Erschöpfung des Rechtswegs), einem Gerichtsurteil, als Rechtssatzverfassungsbeschwerde (mittelbar gegen ein vom Gericht angewandtes Gesetz) oder als Interpretationsverfassungsbeschwerde (gegen verfassungswidrige Auslegung und Anwendung von Rechtssätzen durch ein Gericht) erhoben werden.
Was ist die Normenkontrolle?
Die Normenkontrolle ist ein Verfahren, bei dem ein Gesetz als Gegenstand des Verfahrens geprüft wird, eingeleitet durch Gericht oder Verfassungsorgane. Es gibt konkrete und abstrakte Normenkontrolle sowie Normenqualifizierungsverfahren.
Wer kann die abstrakte Normenkontrolle einleiten?
Die abstrakte Normenkontrolle kann auf Antrag der Bundesregierung, Landesregierung oder mindestens einem Drittel der Mitglieder des Bundestags eingeleitet werden.
Was sind Organstreitigkeiten?
Organstreitigkeiten sind Streitigkeiten zwischen durch das Grundgesetz oder die Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit Rechten ausgestatteten Organen (z.B. Bundespräsident, Bundesregierung, Bundestag, Bundesrat oder Teile dieser Organe), bei denen es darum geht, ob ein Organ seine Kompetenz überschritten und damit das antragstellende Organ in seinen Rechten und Pflichten verletzt hat.
Was sind die weiteren Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts?
Zu den weiteren Aufgaben gehören Parteiverbotsverfahren, die Verwirkung von Grundrechten, Wahlprüfungsverfahren und Anklagen gegen den Bundespräsidenten und gegen Richter.
Unter welchen Umständen kann ein Parteiverbotsverfahren eingeleitet werden?
Ein Parteiverbotsverfahren kann auf Antrag von Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung und Landesregierung eingeleitet werden, um verfassungswidrige Parteien zu unterbinden, die nach ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitlich-demokratische Ordnung zu beseitigen oder den Bestand der BRD zu gefährden.
Welche Literatur wird im Dokument als Referenz angegeben?
Das Dokument listet folgende Literatur: SÄCKER Horst, Das Bundesverfassungsgericht; RUDZIO Wolfgang, Das politische System der Bundesrepublik Deutschland; REISSENBERGER Michael, Wer bewacht die Wächter? Zur Diskussion um die Rolle des Bundesverfassungsgerichts.
- Arbeit zitieren
- Isabel Lamotte (Autor:in), 1998, Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104434