Zur Rezeption von Flavius Vegetius Renatus de rei militaris im Mittelalter


Hausarbeit (Hauptseminar), 2001

16 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I.1. Vegetius‘ Text selbst – Inhalt & Quellen
I.2. Die unmittelbare Wirkung in der Antike

II.1. Die Rezeption im Mittelalter – Verbreitung des Texts & Adressaten
II.2. Über die tatsächliche Umsetzung der Eptioma – Die Quellenlage
II.3. Übersetzung in die Nationalsprachen & Die Verarbeitung in den Fürstenspiegeln

III.1. Das Bild des Krieges in der Eptioma – Zusammenfassung

Bibliographie

I.1. Vegetius‘ Text selbst – Inhalt & Quellen

Flavius Vegetius Renatus Epitoma rei militaris erschien gegen Ende des 4. Jahrhunderts als Versuch einer Enzyklopädie über das Militärwesen der römischen Kaiserzeit. Vegetius selbst war, so weit sich das nachvollziehen läßt, keineswegs Militär, sondern vir illustris comes sacrarum, also ein hochrangiger Finanzbeamter am Hofe von Valentinian oder Honorius gegen Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. Adressat der Schrift ist aber das römische Militär und vor allem dessen Führung - der letzte gesamtrömische Kaiser Theodosius der Große. Unter Berufung auf Autoritäten wie Trajan und Hadrian aber auch Vorgänger wie die Artes des Cornelius Celsus (1. Jhdt. n. Chr.), Sextus Julius Frontinus‘ Strategemata (ebenfalls 1. Jhdt.) oder De re militari des Prätorianerpräfekten Tarrutenius Paternus (Ende 2. Jhdt. n. Chr.) stellt Vegetius das militärische Wissen der Kaiserzeit aus mindestens zweihundert Jahre alten Quellen in vier verschiedenen Büchern zusammen. Das I. liber, basierend hauptsächlich auf Celsus und beschäftigt sich mit der Ausbildung von Rekruten, das II. mit der Legion und ihre Kampfweise (Paternus), das III. handelt von den logistischen Problemen einer marschierenden Legion, von Kampfvorbereitung und eigentlichen taktischenProblemen (Frontinus) und im IV. Belagerung und Belagerungstaktik und den Seekrieg (Frontinus), womit Vegetius alle wesentlichen Bereiche des römischen Heerwesens referiert. Allerdings als Historiker. Die militärische Wirklichkeit des späten 4. Jahrhunderts war längst eine andere geworden als die zur Zeit des spätesten zitierten Heerführers - Marc Aurel. Der Verfall vor allem der weströmischen Armee ist laut Vegetius zwar der Anlaß für seine Schrift - so war es beispielsweise bei der Infanterie - dem Rückgrat des römischen Heers - Brauch geworden, nach und nach völlig auf Rüstung zu verzichten: Unsere Soldaten mussten ... entbl öß t an Haupt und Brust gegen die Goten kämpfen; sie wurden dann auch von den feindlichen Bogenschützen mehrmals geschlagen (sic!). nicht einmal nach einer solchen Niederlage kam es jemandem in den Sinn, dem Fußvolk Rüstung und Helm zurückzugeben. Deshalb denken diejenigen, die in der Schlacht mit bloßem Leib der Verwundung ausgesetzt sind, nur an Flucht statt ans Kämpfen.1

Eine Übertreibung, die erste Linie einer Legion war auch zu Vegetius Zeit noch gepanzert und schwer bewaffnet, wenn auch in einem anderen Stil als ihn Paternus für das 2. Jahrhundert beschreibt. Die andere Hälfte einer 1200 Mann starken römischen Legion im 4. Jahrhundert (Sollstärke nach Vegetius 6000) hatte allerdings auf Panzerung verzichtet - um stattdessen überhaupt einen Bogen benutzen zu können2. Vegetius vergißt das allerdings zu erwähnen.

Valens Niederlage bei Adrianopel 378, also zu Vegetius Lebenszeit, zeigte, daß die Tage der kaiserzeitlichen Legionen endgültig vorüber waren. Von 60000 römischen Legionären fanden dort 40000, darunter der Kaiser selbst, den Tod - Fußsoldaten, die von gotischen Reitern niedergemacht wurden. Vegetius selbst, der die Goten überhaupt nur einmal erwähnt3, ist die schwere Reiterei ein genau 13 Zeilen langes Kapitel wert (Liber III. 23), in der sie neben der Kamelkavallerie der sog. Ursilianer und Mazyker in gebotener Kürze abgehandelt wird. Den einzigen Bezug auf die militärische Wirklichkeit seiner Zeit nimmt Vegetius ausgerechnet in den letzten Sätzen seiner Schrift vor: Ich glaube, daßich stillschweigend die Binnenschiffe, mit denen die Donau täglichüberwacht wird,übergehen kann. Der häufige Gebrauch hat für deren Verwendung mehr gelehrt, als alte Theorien.4

I.2. Die unmittelbare Wirkung in der Antike

Theodosius, dem nach dem Fiasko seines Vorgängers Valens bei Adrianopel die Aufgabe zukam, das oströmische Heereswesen zu ordnen, scheint auf Vegetius Schrift keinerlei Rekurs genommen zu haben. Byzanz entwickelte auf der Basis von Söldnern, u.a. den Goten, eine schlagkräftige Reiterarmee. Mit einer Verzögerung von etwa zwanzig Jahren führt der germanische Heermeister Stilicho die schwer bewaffneten Reiterkrieger auch im Westen ein. Das Militärwesen Roms der Kaiserzeit, wie es Vegetius mit den Absichten eines Romantikers und den Methoden des Antiquars als Remedium gegen den Verfall des Reichs anempfiehlt, konnte in der militärischen und politischen Wirklichkeit der Völkerwanderung und ihre neuen Waffensystemen nicht mehr bestehen.

Die von Vegetius überlieferte Tradition des taktischen Manuals hält sich zwar in Ost-Rom, aber das Strategicon von Kaiser Maurizios I. (6.-7. Jhdt.) und die berühmte Tactica von Kaiser Leo VI. dem Weisen (ca. 903) weisen fast gar keine Spuren der altrömischen Organisation mehr auf5. Trotz der Möglichkeit ihrer praktischen Anwendung, die dem mittelalterlichen Abendland und seinen schwer bewaffneten Rittern wesentlich näher stand als die Epitoma rei militaris des Vegetius, findet eine Rezeption überhaupt nicht statt. Wahrscheinlich wegen der allgemein herrschenden Unkenntnis der griechischen Sprache und den ideologischen Differenzen nach der Abspaltung der orthodoxen Kirche 988.

2.I. Die Rezeption im Mittelalter – Verbreitung des Texts &

Adressaten

Betreffs der Verbreitung von Vegetius Text im Abendland nach dem Ende des Weströmischen Reichs 476 läßt sich konstatieren, daß es sich nach den auch heute noch als Klassikern gehandelten Autoren Cicero, Ovid und Vergil um einen der am häufigsten verfügbaren antiken Autoren im Mittelalters handelt. Darüber hinaus ist er einer der ganz wenigen überlieferten antiken nicht sakralen Texte des Altertums, der in seiner Vorrede Gott zum Zeugen anruft6 Im Handschriftencensus von Shrader7 werden bis ins 15. Jahrhundert etwa 200 lateinische Abschriften festgestellt. Mit dem Aufkommen des Interesses an antiken Texten in der Mitte des 13. Jahrhunderts verdreifacht sich ihre Anzahl bis auf 95 in einem Jahrhundert am Ende des Mittelalters8. Hauptrezeptionsgebiete sind vor allem Frankreich und Italien, im deutschen Sprachraum erwärmen sich die Gelehrten etwas langsamer für den Text, im 15. Jahrhundert lassen sich aber von 92 Abschriften 20 im deutschen Raum feststellen. Der Text verliert vor allem im 14. Jahrhundert seine Eigenständigkeit und wird meistens in Sammeltexten mit der Emphase auf dem 1. Und 3. liber herausgegeben. Dabei bleibt natürlich festzustellen, daß die Zeit der tradionellen ritterlichen Kampfesweise nach den Schlachten von Stirling, Sempach und Crécy eigentlich schon vorbei war und der Text als Grundlage für die Aushebung eines modernen stehenden Heeres hätte genutzt werden können, was aber praktisch nie der Fall war9. Zu finden waren diese Abschriften zur Zeit des Früh- und Hochmittelalters fast ausschließlich in Klöstern oder überhaupt in klerikalem Besitz. Bis zum Jahr 1300 finden sich von 45 erwähnten Texten nur acht im Besitz des kämpfenden Adels10, also der eigentlich möglichen Nutznießer einer Militärtheorie. Auch der aufkommende Humanismus ändert daran nicht viel. Von sieben Nennungen im Mittelalterlichen Bibliothekskatalog befinden sich nur zwei in privatem Besitz, und nicht einmal in dem von Militärs. Die übrigen fünf sind in kirchlicher Hand11.

II.2. Über die tatsächliche Umsetzung der Eptioma – Die Quellenlage

Der tatsächliche militärische Nutzen, den Heerführer aus der Epitoma ziehen konnten, bleibt bei dieser Quellenlage allein wegen ihrer bloßen Verfügbarkeit natürlich fraglich. Abgesehen davon, daß es keine neuzeitlichen Militärakademien gab, die ein Studium des Textes ermöglicht hätten, stellt sich darüber hinaus die Frage nach der bloßen Aufnahmefähigkeit der möglichen Rezipienten. Mittelalterliche Fürsten sind nicht eben für ihre literarische Bildung bekannt, auch wenn der Anspruch mit dem Ende des Mittelalters ein anderer werden sollte.

Was die Nachweisbarkeit von Textkenntnis der Epitoma bei Kriegsherren angeht, so ist die Beweislage bestenfalls unsicher. Der anonyme Autor der Historia Gaufredi Ducis Normannorum et Comitis Andegavorum berichtet uns über Geoffrey Plantagenet angebliche Nutzung der Epitoma in der Praxis. Während der

Belagerung von Montreuil-Bellay schlugen Geoffreys Belagerungsmaschinen mehrfach bis zum Einbruch der Dunkelheit Breschen in die Mauer. Bevor seine Männer am Morgen des nächsten Tages stürmen konnten, hatten die Verteidiger nicht faul die Breschen wieder mit Holzbalken verschlossen. Darauf, so der Anonymus, (...) suchte der Graf, der lesen und schreiben konnte (Ende des 12. Jahrhunderts immerhin eine Erwähnung wert), Rat in der Lektür von Vegetius Renatus, der De Re Militaria geschrieben hatte... Einige Mönche aus Marmoutier waren anwesend, weil sie Botschaften von ihrer Kirche an den Grafenüberbracht hatten. Da nahm der respektvolle Graf, wegen seiner Achtung vor den Mönchen, das Buch herunter, das er in den Händen hatte, so daßer ihnen aufmerksamer zuhören konnte. Da nahm einer der Mönche, der W(alter von Compi è gne) genannt wurde, das Haupt der Gesandtschaft, ein Mann von gutem Ruf und tadellosem Lebenswandel, geistesscharf und sehr schriftkundig, das Buch auf und begann zu lesen. Darüberhinaus fand er die Stelle, wo Vegetius Renatus genau erklärt, wie ein Turm, den man mitüberlappenden Eichenbohlen repariert hat, leicht genommen werden könne. Der nachdenkliche Graf betrachtete den Mann von Reife, der so eifrig und gedankenvoll bei der Lektüre war und sagte: „ Bruder W(alterius), geliebt vom Herrn, so wie Du es im Buch entdeckt hast, so wirst Du es morgen in die Tat umgesetzt sehen. “ 1 2 Der anonyme Autor illustriert anschaulich den idealen Gebrauch des scheinbar zeitlosen antiken Texts von idealen Adressaten. Der gelehrte Mönch zeigt dem belesenen Heerführer die entsprechende Stelle, der sofort ihren Gebrauchswert erkennt und in die Tat umsetzt. Nachweisbar ist sogar eine Kopie des Textes in einer Klosterbibliothek, die den Grafen von Angevin nahestand. Der problematische Punkt ist nur, daß es die vom Anonymus angesprochene Stelle bei Vegetius so gar nicht gibt, was die ganze Episode in einem zumindest fragwürdigen Licht erscheinen lässt.

Das vor allem von dem französischen Historiker Henri Delpech Ende des 19. Jahrhunderts aufgestellte Postulat eines nahezu umfassenden Einflusses von Vegetius auf die mittelalterliche Kriegsführung scheint nur allzu schwer haltbar13. Das 1. und 4. liber der Epitoma sind für ein Feudalheer nahezu wertlos. Die Anleitung zur Truppenübung im 2. liber in der Lebenswirklichkeit des Mittelalters nicht umzusetzen. Das 3. liber behandelt nun eher allgemein gehaltene strategische Überlegungen, die nun zum Teil so zeitlos sind, daß ein erfahrener Heerführer auch ohne Kenntnis antiker Texte auf Entscheidungen verfallen kann, wie Vegetius sie tatsächlich empfiehlt. In seinem Essay The Practical Use of Vegetius ‘ De Re Militari During the Early Middle Ages prüft Bernard Bachrach genau dies. Anhand der zweifellos bemerkenswerten militärischen Leistungen von Fulk Nerra (987- 1040 Graf von Angevin), Vorfahr des angeblichen Vegetius-Lesers Geoffrey Plantagenet, scheint es sich bei diesem Fürstengeschlecht geradezu um eine Familientradition zu handeln, militärische Entscheidungen nach der antiken Autorität zu treffen: Zum Beispiel Angriff sei die beste Verteidigung (siehe Vegetius III.18), aber nur dann zu empfehlen, wenn sich aus einem Sieg ein tatsächlicher strategischer Nutzen ziehen lasse. Bloßer militärischer Ruhm sei irrelevant (III.26). Niemals eine Entscheidung bei zahlenmäßiger Unterlegenheit zu suchen, sondern in diesem Fall eine Taktik der Nadelstiche zu verwenden (III.9), den Überraschungsmoment zu nutzen und für den Fall der Fälle taktische Reserven zurückzuhalten (III.26) bis hin zum Rat an den Feldherren, seine Truppen so zu dirigieren, daß dem Feind die Sonne ins Gesicht scheint (III.8) sind militärische Kunstgriffe, die Fulko nachweislich erfolgreich angewandt hat - aber: Ein Besitz oder eine Lektüre der Epitoma kann, wie etwa bei seinem Sohn, nicht nachgewiesen werden14.

Das Bild des umsichtigen und vor allem umfassend gebildeten Heerführers, der mit dem Vegetius in der einen und dem Schwert in der anderen weise das Schlachtgeschehen lenkt, scheint eine Wunschvorstellung zu sein, die zwar schon von Zeitgenossen tradiert wurde, wie die Geoffrey-Annalen zeigen, die aber mit der militärischen Wirklichkeit nichts zu tun haben. Das Idealbild des mittelalterlichen Kriegerkönigs Richard I. Löwenherz, Verwandter von Fulko und Geoffrey, dem man Besitz und Lektüre von Vegetius attestiert15, traf, vorsichtig gesagt, nur äußerst selten eine nach antiker Tradition militärisch sinnvolle Entscheidung, sondern verließ sich ganz auf die Schlagkraft seines normannischen Ritterheeres und seine eigenen nachweislich beeindruckenden Kampffertigkeiten. Meistens übrigens erfolgreich16.

Sämtliche Entscheidungen, militärischen Leistungen und Mißerfolge des Mittelalters zumindest in Grundzügen auf einen für zeitgenössische Verhältnisse gut bekannten Text zurückzuführen, hieße letztlich, den Handelnden jegliche Eigenleistung bis hin zum gesunden Menschenverstand hin abzusprechen und eine Militärtradition wie im 18., 19 und frühen 20. Jahrhundert einzufordern, wo gar keine ist.

II.3. Übersetzung in die Nationalsprachen & Die Verarbeitung in den Fürstenspiegeln

Die Verbreitung des Texts in den tatsächlich gelehrten Kreisen der mittelalterlichen Welt legt eine ganz andere Vegetius-Rezeption nah, die die genannte Stelle in den Geoffrey-Annalen ebenfalls veranschaulicht. Es ist der Mönch Walter von Compiégne, der hier als Lehrer des Fürsten auftritt und seinen Vegetius ganz genau kennt.

Bereits im 9. Jahrhundert benutzt Hrabanus Maurus in der für Ludwig II. verfassten Lehrschrift De Anima Stellen aus dem 2. liber17. Im für Philipp den Schönen verfassten Fürstenspiegel De regimine principum zeigt der Thomas von Aquin-Schüler Aegidius

Romanus Ende des 13. Jahrhunderts adeligen Auszubildenden und klerikalen Lehrern nach aristotelischem Modell neben ethica, oeconomia und politica eben auch die theoretische Autorität in Sachen Kriegskunst, nämlich die Epitoma des Vegetius18. Aegidius zitiert aber wohlweislich aus dem 3. liber, was die theoretische Natur des Fürstenspiegels natürlich unterstreicht. Die nach Vegetius zu lehrende Kriegskunst bleibt eine der vier Grundlagen des idealen Herrschers, genau wie die Clausewitzsche Formulierung vom Krieg als Fortführung der Diplomatie mit anderen Mitteln, was die Epitoma als Utensil des Heerführers erklärt, auch wenn die praktische Umsetzung so wie die der anderen drei Tugenden in die Wirklichkeit selten der Fall war, so es denn überhaupt praktikabel gewesen wäre.

Mit dem Ende des Mittelalters beginnt sich die Epitoma einem nicht mehr ausschließlich lateinisch sprechenden Publikum zu erschließen. Neben ihrer theoretisch postulierten Bedeutung für das Miliärwesen und das Herrschertum tritt nun auch ein rein historisches Interesse an der Antike bei den gelehrten, nicht mehr unbedingt klerikalen Kreisen in den Vordergrund.

Bereits mit dem Ende des 13. Jahrhunderts entstehen Übersetzungen ins Französische (Jean de Meun), wenig später Übertragungen ins Italienische und Englische19.

Die erste deutsche Übersetzung des Fürstenspiegels von Aegidius und damit von Teilen des 3. liber von Vegetius entstand um das Jahr 1400 am Hof von Herzog Albrecht IIII. in Wien, also zur selben Zeit, als der englische Sieg bei Agincourt (1415) das unwiderrufliche Ende der Ritterheere einleitete. Zur selben Zeit lassen sich auch eigenständige Texte in deutscher Sprache konstatieren, die entweder Vegetius-Übersetzungen oder Rezeption der Epitoma beinhalten, die älteste entstanden vor 143920.

Johannes Seffner verfasste mit seiner Lehre vom Krieg in Wien um 1400 den ersten deutschsprachigen Aufgriff des Stoffs, die er anläßlich der österreichischen Niederlage bei Sempach 1386 der Chronik von den 95 Herrschaften des Aegidius-Übersetzers, vermutlich der Hofkaplan Albrechts III. Leopold von Wien. Seffners Umgang mit der Epitoma bleibt jedoch in Anspielungen verhaftet und nimmt kaum direkten Textbezug auf die antike Quelle des puch Vagecii, der von der ritterschaft hat geschriben. Die einflußreichste Übersetzung der Epitoma stammt von Ludwig Hohenwang, deren Drucklegung 1475 oder 1476 erfolgt. Allein die Verbreitung des Texts in der Volkssprache durch das neue Massenmedium des Buchdrucks unterscheidet Vegetius Verfügbarkeit gegenüber der des Früh- und Hochmittelalters maßgeblich. Darüber hinaus bemüht sich Hohenwang, die antike Theorie, die immer noch als zeitlos wichtig begriffen wird, durch aktuelle Ergänzungen, Illustrationen und einen (allerdings recht unvollständigen) Glossar in ihrer Nützlichkeit dem Leser näher zu bringen: Durch welhe die freihait behalten wird. das veld gebuwen. das land beschirmet. vnd das reich gesterckt. Welhe vor zeiten all ander vnderwegengelassen die lacedemonier vnd darnach die Roemer in eren gehebt haben. wann all andren ding zu eruolgend. Was mag aber schedlichers gesein wann solichs nit wissen dar durch das land bekumert. verderbt. und zu dem letsten das das großt ist zerstort wird.21 Und um solches abzuwenden, sind der Hohenwang-Ausgabe neben der Rekonstruktion antiker Kriegsmaschinen auch 11 verschiedene Feuerwaffen abgebildet, um die Aktualität und den praktischen Nutzen der antiken Epitoma zu verdeutlichen22.

Zusammenfassend läßt sich sagen, daß sich in der spätmittelalterlichen Rezeption in deutscher Sprache die Epitoma in vier verschiedenen Formen als Quelle verstanden und für ihre idealen Adressaten instrumentalisiert werden: den Adeligen, der in der durch die militärische Wirklichkeit längst überholten Ritterideologie verhaftet bleibt, den adeligen Ritter, der sich eher durch Fertigkeit als durch Herkunft definiert, den Staatsmann und Heerführer (bei Seffner) oder als Handbuch für den modernen Soldaten (Hohenwang)23. Zu nennen bliebe darüber hinaus noch das Interesse der Kirche zu, deren Vertreter in ihren Fürstenspiegeln (Hrabanus Maurus, Aegidius Romanus, Leopold von Wien, etc.) mit ihrer Darstellung der Epitoma immer wieder versucht haben, einen Gegenentwurf zum Selbstverständnis des mittelalterlichen Heerführers (im Sinne des Anführers, der sein Leben in der vordersten Linie riskiert) zu entwickeln. Seffner greift dieses Bild in seiner Lehre vom Krieg lediglich auf.

III.1 Das Bild des Krieges in der Eptioma – Zusammenfassung

Wir wir zu Beginn gesehen haben, ist die Epitoma als Anleitung zur Führung eines mittelaltererlichen Feudalheeres denkbar ungeignet

- sie war schon zu ihrer Erscheinung ein historisches und vor allem historisierendes Dokument. Das Bild des Krieges, das sie entwirft - als eine minutiös planbare, bis ins Detail vorhersehbare, fast mathematische Angelegenheit, wenn man nur alle von Vegetius genannten Faktoren berücksichtigt, wird der militärischen Wirklichkeit zu keiner Zeit entsprochen haben - das Wort Tod wird überhaupt nur dreimal im ganzen Text erwähnt. Auch zur von Vegetius als Vorbild dargestellten Kaiserzeit dürfte es kaum derart mathematisch zugegangen sein. Vor allem die im 1. und 3. Liber vermittelten Kenntnisse über Ausbildung und Belagerungsstrategie lassen aber die Lesart als Lehrbuch für den politisch Mächtigen und im Zweifelsfalle im Kriegsfall Befehligenden zu. Als solches war es - für Kaiser Theodosius - schließlich gedacht und so wollte es auch, wie die Stelle von Geoffrey Plantagenet und Walter von Compiégne zeigt, von den mittelalterlichen Rezipienten gelesen werden, wie es den Anschein hat. Wenn ein Krieg zu führen ist und Taten mit den Waffen zu vollbringen, dann zeigt Dir Vegetius die Art und Weise,24 sagt der Humanist Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., 1443 in seiner Erziehungsschrift De studiis et litteris für Herzog Sigismund von Tirol.

Mit dem Ende der feudalen Wirklichkeit im ausgehenden Mittelalter konnte Vegetius Epitoma Rei Militaris, den übrigen Klassikern beigestellt, auf die sie sich zum Teil bezieht, wieder das werden, als was sie ursprünglich gedacht war: eine theoretische Schrift über das Kriegswesen, geschrieben von einem Finanzbeamten.

Bibliographie

Als Grundlage für den vorliegenden Text sind vor allem Frank Fürbeths „ Des Vegecii kurcze red von der Ritterschafft “ - Die ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius in der Ü bersetzung des Ludwig Hohenwang und Zur deutschsprachigen Rezeption der ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius im Mittelalter, in Horst Brunner [hsg.], Die Wahrnehmung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 2. Tagung der Würzburger Forschergruppe ‘ Das Bilder des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit ’ im Oktober 1998 zu nennen, für deren Bereitstellung ich dem Autor hier noch einmal ausdrücklich danken möchte. Die Paginierung mußte leider nach meiner Vorlage erfolgen.

Übersetzungen aus nicht anders genannten englischsprachigen Quellen stammen von mir.

Bernard S. Bachrach, The Practical Use of Vegetius ’ De Re Militari During the Early Middle Ages, The Historian h7, 1985 Flavius Vegetius Renatus, Epitoma Rei Militaris, Deutsch von Fritz Wille, Arau, Frankfurt am Main, Salzburg, 1986

Frank Fürbeth, Zur deutschsprachigen Rezeption der ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius im Mittelalter, in Horst Brunner [hsg.], Die Wahrnehmung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 2. Tagung der Würzburger Forschergruppe ‘ Das Bilder des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit ’ im Oktober 1998, [im Druck]

Frank Fürbeth, „ Des Vegecii kurcze red von der Ritterschafft “ - Die ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius in der Ü bersetzung des Ludwig Hohenwang, o.J.

Ian Heath, Byzantine Armies, London 1979

C.W.C. Oman, The Art of War in the Middle Ages, New York 1953

Charles Reginald Shrader , The ownership and distribution of manuscripts of the De Re Militari of Flavius Vegetius Renatus before the year 1300, Diss., Columbia 1976

Charles Reginald Shrader , A handlist of extant manuscripts containing the De Re Militari of Flavius Vegetius Renatus, Scriptorium 33, 1979

[...]


1 Flavius Vegetius Renatus, Epitoma Rei Militaris, Deutsch von Fritz Wille, Arau, Frankfurt am Main, Salzburg, 1986, p. 58-59

2 vgl. C.W.C Oman, The Art of War in the Middle Ages, New York 1953, p. 7-9

3 Nämlich in der oben zitierten Stelle

4 Vegetius, Epitoma..., op. cit., p. 343

5 vgl. Ian Heath, Byzantine Armies, London 1979

6 Vegetius, Epitoma..., op. cit., p.23

7 Charles Reginald Shrader , The ownership and distribution of manuscripts of the De Re Militari of Flavius Vegetius Renatus before the year 1300, Diss., Columbia 1976

8 Vgl. Charles Reginald Shrader , A handlist of extant manuscripts containing the De Re Militari of Flavius Vegetius Renatus, Scriptorium 33, 1979, p. 280-285

9 Vgl. Oman, Art..., ibd. Bernard S. Bachrach, The Practical Use of Vegetius ’ De Re Militari During the Early Middle Ages, The Historian h7, 1985

10 Vgl. Shrader, Handlist..., ibd.

11 Vgl. Frank Fürbeth, „ Des Vegecii kurcze red von der Ritterschafft “ - Die.J. p. 3ff.

12 Bachrach, The Practical Use..., op. cit., p. 242-244

13 vgl. Bachrach, The Practical Use..., op. cit., p. 239-240

14 Bachrach, The Practical Use..., op. cit., p. 245-251

15 Vgl.: Frank Fürbeth, Zur deutschsprachigen Rezeption der ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius im Mittelalter, in Horst Brunner [hsg.], Die Wahrnehmung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 2. Tagung der Würzburger Forschergruppe ‘ Das Bilder des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit ’ im Oktober 1998, [im Druck],

16 Vgl.: Oman, The Art..., op. cit., p. 68 David Nicolle, The Crusades, London 1988, p. 13 ff.

17 Vgl. Bachrach, The Practical Use..., op. cit, p. 241ff., Frank Fürbeth, Zur deutschsprachigen Rezeption der ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius im Mittelalter, in Horst Brunner [hsg.], Die Wahrnehmung von Kriegen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. 2. Tagung der Würzburger Forschergruppe ‘ Das Bilder des Krieges im Wandel vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit ’ im Oktober 1998, [im Druck], p. 3

18 Vgl. Frank Fürbeth, „ Des Vegecii kurcze red von der Ritterschafft “ - Die ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius in der Ü bersetzung des Ludwig Hohenwang, o.J. p. 3-4

19 Vgl. Fürbeth, Des Vegecii...,op. cit., p. 4-5

20 Frank Fürbeth, „ Des Vegecii kurcze red von der Ritterschafft “ - Die ‘ Epitoma rei militaris ’ des Vegetius in der Ü bersetzung des Ludwig Hohenwang, o.J., p. 4 ff.

21 nach Fürbeth, „Des Vegecii...”, op cit., p. 11

22 Vgl. Fürbeth, „ Des Vegecii... ”, op. cit., p. 11ff.

23 Vgl. Fürbeth, Des Vegecii..., op. cit., p. 13 ff.

24 nach: Fürbeth, Des Vegecii..., op. cit., p. 4

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Zur Rezeption von Flavius Vegetius Renatus de rei militaris im Mittelalter
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
16
Katalognummer
V104463
ISBN (eBook)
9783640027989
Dateigröße
373 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Rezeption, Flavius, Vegetius, Renatus, Mittelalter
Arbeit zitieren
Dirk Puehl (Autor:in), 2001, Zur Rezeption von Flavius Vegetius Renatus de rei militaris im Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104463

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