Die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

2 Seiten, Note: 14 Punkte


Leseprobe


Die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates

Einige Wissenschaftler sagen, es tönt eine "Totenglocke für den deutschen Sozialstaat" (Peter Rosenberg, 1990, S. 219). Die Diagnose der Experten ist dabei fast ebenso populär wie einseitig: Ausuferndes Anspruchsdenken des Volkes, Reformunfähigkeit haben die Kosten für soziale Sicherheit in schwindelnde Höhen getrieben, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Unternehmen untergraben und als Folge davon das Heer von fast fünf Millionen Arbeitslosen mitverschuldet. Dabei wird stets unterstellt, Sozialpolitik bestehe in der Bundesrepublik ausschließlich darin, das soziale Netz mit viel Geld enger zu knüpfen. Als Beleg für ihre These verweisen Arbeitgeber sowie liberale und konservative Politiker auf die steigenden Beiträge der Sozialversicherung. Tatsächlich stieg der Rentenbeitrag von 1996 (19,2%) auf 20%. Durch die hohe Arbeitslosigkeit muß mehr Geld in diesen Sektor "gepumpt" werden (Arbeitslosenunterstützung). Dies zieht das Geld von anderen Quellen ab. Doch was aussieht wie eine hausgemachte Krise des Sozialstaats, hat kaum mit dem Ausbau der Sozialleistungen zu tun. Die eskalierenden Finanzprobleme sind vielmehr, wie ich denke, eine Folge der Wiedervereinigung Deutschlands. Der Ausbau des Sozialstaats war in Westdeutschland schon lange kein Thema mehr. Zwar wurden noch das Erziehungsgeld, das Babyjahr für Frauen bei der Rentenversicherung und die umstrittene Pflegeversicherung eingeführt. Doch gleichzeitig sah sich die Koalition seit ihrem Regierungsantritt 1982 in allen drei Versicherungszweigen, der Arbeitslosen-, der Renten- und der Krankenversicherung, immer wieder zu kräftigen Sparaktionen gezwungen. So bekamen Arbeitslose ohne Kinder nur noch 60 statt 67 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens, der entsprechende Satz für Arbeitslosenhilfe wurde von 58 auf 53 Prozent gekürzt. Mit deutlich weniger Geld müssen auch Umschüler auskommen, teilweise haben sie nur noch Anspruch auf Darlehen. Wer seinen Job selbst kündigt oder seine Kündigung verschuldet, bekommt heute drei Monate lang kein Arbeitslosengeld. Zudem wurde die Mißbrauchskontrolle ebenso wie die Zumutbarkeitsregel verschärft. Der Einspareffekt dieser und anderer Maßnahmen: allein für 1996 rund 30,5 Milliarden Mark und damit 2,3 Beitragspunkte. Das hätte denn auch ausgereicht, den Beitragssatz bei etwa 4,3 Prozent und damit auf dem Stand von 1987 zu stabilisieren. Statt dessen erhöhte ihn die Koalition 1991 um mehr als die Hälfte auf 6,8 Prozent; seit 1993 beträgt er 6,3 Prozent. Das Geld wird dringend im Osten gebraucht. Dort betrug das Defizit der Bundesanstalt für Arbeit 1995 rund 32 Milliarden Mark. Den größten Teil davon - rund 25 Milliarden Mark - brachten die westdeutschen Beitragszahler auf: Um so viel überstiegen in den alten Bundesländern die Einnahmen die Ausgaben. Der Bund steuerte lediglich rund sieben Milliarden Mark bei. Auch in der Rentenversicherung waren drastische Einschnitte nicht tabu. So müssen Rentner heute die Hälfte der Krankenkassenbeiträge selbst zahlen. Bis 1982 war die Krankenversicherung für Rentner umsonst und für die Versicherung teuer: Allein 1996 sparte sie rund 21 Milliarden Mark. Auch die Rentenreform von 1989, die seit 1992 in Kraft ist, soll den Ausgabenanstieg deutlich bremsen. Statt wie bisher entsprechend den Bruttolöhnen zu klettern, steigen die Altersbezüge seither nur noch mit dem Nettoeinkommen der Beschäftigten. Zudem wurde die stufenweise Heraufsetzung der Altersgrenze für Männer und Frauen auf 65 Jahre nach dem Jahr 2000 beschlossen. Ohne diese Maßnahmen, so zeigen Modellrechnungen, würde der Beitragssatz im Jahre 2030 auf 36 Prozent statt, wie nun geschätzt, auf 26 Prozent steigen. Daß auch 26 Prozent zuviel sind, darüber sind sich Sozialpolitiker aller Parteien einig. Mit ihrer Reform hatten sie gehofft, ein paar Jahre lang Ruhe bei den Rentenfinanzen zu haben. Statt dessen kommen nun ständig neue Hiobsbotschaften. Denn die Wiedervereinigung hat auch die Vorausberechnungen aus dem Jahr 1989 obsolet gemacht. Trotz hoher Arbeitslosigkeit waren die Einnahmen der Rententräger im Westen höher als die Ausgaben. In den neuen Bundesländern hingegen betrug das Defizit 1995 fast sechzehn Milliarden Mark. Den Beitragssprung auf über zwanzig Prozent aber will die Bonner Koalition um jeden Preis vermeiden. Deshalb suchen die Politiker hektisch nach weiteren Sparmöglichkeiten. Dazu zählt auch die am 12. Februar 1996 zwischen Kanzler Helmut Kohl, den Gewerkschaften und Arbeitgebern getroffene Vereinbarung, der Praxis der Frühverrentung älterer Arbeitsloser durch Anhebung der Altersgrenze einen Riegel vorzuschieben. Zwar kann nach diesem Plan jeder ältere Arbeitslose wie bisher mit sechzig in Rente gehen, nur muß er dann entweder erhebliche Abschläge von seiner Rente hinnehmen oder freiwillige Zusatzbeiträge leisten. Der Nachteil: Kurzfristig läßt sich aufgrund weitreichenden Vertrauensschutzes so kein Geld sparen. Statt aber - wenn auch nur vorübergehend - den Bundeszuschuß zu erhöhen, muß Bundesarbeitsminister Norbert Blüm nun nach kurzfristigen Sparmöglichkeiten suchen. Auch im dritten Zweig der Sozialversicherung, der Krankenversicherung, hatte das Nehmen stets Vorrang vor dem Geben. Norbert Blüms Gesundheitsreformgesetz von 1988 hielt allerdings gerade mal ein Jahr. Schon 1990 legten Ärzte, Kliniken, Arznei- und Heilmittelhersteller bei den Ausgaben wieder zu. Der erwartete Spareffekt, vierzehn Milliarden Mark, war schnell verpufft und ging fast ausschließlich zu Lasten der Versicherten. Generell ist die Krankenversicherung mit der permanenten Reform dennoch nicht schlecht gefahren. Zwar sind die Ausgaben nicht oder nur punktuell gesunken, sie sind aber auch nicht nennenswert gestiegen. So ist der Ausgabenanteil der gesetzlichen Kassen am Bruttosozialprodukt mit knapp sechs Prozent seit zwanzig Jahren ziemlich konstant. Eine Kostenexplosion hat es jedenfalls nicht gegeben. Soweit eine solche drohte, haben die Eingriffe des Gesetzgebers das verhindert. Nur hielten sie meist nicht lange. Beim Gesundheitsstrukturgesetz von 1992, das Horst Seehofer auf den Weg brachte, sah es zunächst besser aus. Während die Krankenkassen 1992 bei Gesamtausgaben von 210 Milliarden Mark noch ein Defizit von rund 10 Milliarden Mark aufwiesen, wandelte sich dies 1993 in ein Plus gleicher Größenordnung um. Das dritte Jahr nach der Reform schloß freilich schon wieder mit einem Minus von etwa 8 Milliarden Mark ab. Davon gehen allerdings 5 Milliarden zu Lasten der Politik, die den Kassen seit 1995 erneut indirekt versicherungsfremde Lasten aufgebürdet hat. Die Bundesanstalt für Arbeit zahlt für Arbeitslose geringere Krankenbeiträge; außerdem müssen die Kassen für Krankengeldbezieher höhere Beiträge an die Renten und Arbeitslosenversicherung abführen. Trotz richtiger Ansätze hat Seehofers Reform nicht gegriffen, weil sie zum Teil halbherzig war. Das Hauptproblem der gesetzlichen Krankenversicherung sind indes nicht die Ausgaben, sondern die Einnahmen. Weil hohe Arbeitslosigkeit bei gleichbleibendem Beitragssatz zu Einnahmeausfällen führen würde, müssen die Beiträge angehoben werden, um die notwendigen Ausgaben zu finanzieren. Während der durchschnittliche Satz 1980 noch bei 11,37 Prozent lag, erreichte er 1992 die Marke von 13,42. Sparmöglichkeiten gibt es gleichwohl noch genug. So müßte das Gesundheitswesen besser überwacht werden und unnütze Ausgaben wegfallen. Der Bürger wird weiter zur Kasse gebeten, in der 1997 eingeführten Gesundheitsreform. Der Bürger muß mehr zu den Medikamenten hinzuzahlen oder bestimmte medizinische Behandlungen voll bezahlen. So marode und reformunfähig, wie vielfach behauptet, ist der bundesrepublikanische Sozialstaat also keineswegs. Und auch die Tatsache, daß dank der sozialen Sicherungssysteme der Absturz in die Armut für weite Teile der ostdeutschen Bevölkerung verhindert worden ist, spricht für ihre Anpassungsfähigkeit. Die aber ist in der Tat gefährdet, wenn sich Politiker und Interessenvertreter weiter um die Beantwortung der Frage drücken, wer in Zukunft für die Kosten der Wiedervereinigung aufkommen soll: die Gesamtgesellschaft oder, wie bisher, vor allem die Solidargemeinschaft der Versicherten. Sollte sich die Mehrheit für den zweiten Weg entscheiden, dann allerdings ist eines klar: Eine soziale Sicherung, wie sie in den alten Bundesländern aufgebaut worden ist, ist für Gesamtdeutschland auf absehbare Zeit nicht finanzierbar. Sie stellen sich deshalb bestimmt die Frage ob unser Sozialstaat auf lange Sicht überhaupt noch eine Chance hat. Diese Frage muß ich ganz klar mit einem Nein beantworten. Deutschland befindet sich in einem Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit und einem "Nichtinvestieren" von Unternehmen. Um konkurrenzfähig zu bleiben muß Deutschland einfach die Sozialleistungen zurückfahren (z.B. im medizinischen Sektor) um durch das geschaffene Geld z.B. Abgaben für Unternehmen abzubauen oder eine neue Infrastruktur zu schaffen. Die Folge wäre, daß Unternehmen in Deutschland investieren oder neue Unternehmen geschaffen werden. Neue Arbeitsplätze entstehen. Jetzt braucht der Staat nicht mehr z.B. die Krankenversicherung für den ehemals Arbeitslosen zu zahlen. Dieser bezahlt nun selber seine Sozialleistungen. Auch müßte der Staat einige Absicherungen, so verändern, daß diese auf freiwilliger Basis beruhen oder von Banken übernommen werden. Die Rente ist eines dieser Sachen, die von den Bürgern freiwillig in Anspruch genommen werden sollten. Es müßte jedoch den Bürgern so vorgeschrieben sein, daß sie eine soziale Absicherung bei Verlust der Arbeitsstelle vorfinden, die ihnen gleichzeitig wieder den Einstieg ins Arbeitsleben ermöglicht. Dies ist nötig, um nicht Zustände, wie sie in amerikanischen Ghettos herrschen, hervorzubringen. Wenn man in den USA seine soziale Absicherung verliert, stehen die Chancen nicht gerade sehr gut wieder ins Arbeitsleben integriert zu werden. Zusammenfassend muß man also sagen, daß die Mittel des Sozialstaates erst einmal vermindert werden müssen, diese später wieder verstärken zu können. Wenn die Wirtschaft wieder erstarkt ist, kann auch der Sozialstaat wieder auferstehen. Ohne diese, oder ähnliche Mittel wird der Sozialstaat auf jeden Fall nicht weiterbestehen können. Nach dieser Betrachtung des Sozialstaates, kann man also zusammenfassend sagen, daß der Sozialstaat in einer Krise steckt, die durch die hohe Arbeitslosigkeit infolge der Wende entstand. Hier muß man jedoch trennen, denn die Leistungen des Sozialstaates sind gleichzeitig sehr stark und brauchen keinen Vergleich in Europa zu scheuen. Jedoch müssen, daß mag sehr hart klingen, diese Leistungen zurückgefahren werden um den Sozialstaat erst einmal aus der Krise zu holen.

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Details

Titel
Die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates
Note
14 Punkte
Autor
Jahr
2001
Seiten
2
Katalognummer
V104624
ISBN (eBook)
9783640029440
Dateigröße
326 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
arno holz
Arbeit zitieren
Philipp Seifert (Autor:in), 2001, Die Leistungsfähigkeit unseres Sozialstaates, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104624

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