Volksmärchen


Facharbeit (Schule), 2001

6 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Volksmärchen

Das Märchen

Ein Märchen ist eine Erzählung, die keine Naturgesetze berücksichtigt, stattdessen oft sogar auf Wundern basiert. Es ist phantasievoll geschrieben oder erzählt und hat stets einen befriedigenden, gerechten Ausgang. (1)

Geschichte des Märchens

Das europäische Märchen wurde im 19. Jahrhundert vor allem von keltischen Geschichten beeinflusst. Seit dem 10. Jahrhundert sind jüdische Einflüsse sichtbar und kurze Zeit danach folgten auch indische. Später wurde die europäische Märchensammlung noch mit den arabischen „Märchen aus Tausendundeiner Nacht“ angereichert. Im 19. Jahrhundert wurde mit den „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm dann das Volksmärchen entscheidend für das deutsche Märchen. (2)

Die Gebrüder Grimm und das Volksmärchen

Die beiden Brüder Jacob Ludwig Karl Grimm (1785-1963) und Wilhelm Karl Grimm (1786-1859) schrieben eine Sammlung von Volksmärchen für Kinder, die in zwei Teilen 1812 und 1815 veröffentlicht wurde. Der Begriff „Volksmärchen“ wurde von Jacob Grimm geprägt. Er soll betonen, dass diese Märchen aus dem Volksmund stammen und mit dem „Grundsatz einer möglichst geringen Nachbearbeitung“ (3) lediglich schriftlich festgehalten wurden. Er steht somit im Gegensatz zu dem Begriff „Kunstmärchen“, einer Gattung, die als „Produkt einer konkreten Dichterpersönlichkeit“ (4) aufzufassen ist und besonders in der Romantik sehr beliebt war. Zu den bekanntesten Märchen der Sammlung der Gebrüder Grimm gehören „Frau Holle“, „Rumpelstilzchen“, „Brüderchen und Schwesterchen“, „Dornröschen“ und „Rotkäppchen“, das wir im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch ansatzweise interpretieren werden. (5)

Einteilung des Märchens in Typen

Der finnische Märchenforscher Antti Aarne entwickelte 1910 ein Typensystem, welches 1928 von Stith Thompson überarbeitet und erweitert worden ist. Es dient zur besseren Verständigung in der praktischen Arbeit der Märchenforschung. Das Aarne-Thompsonsche Typenverzeichnis beschäftigt sich überwiegend mit Märchen aus dem nördlichen Europa, für andere Traditionsgebiete müsste man ein eigenes Typenverzeichnis erstellen. Sowohl formale als auch inhaltliche Unterscheidungskriterien überschneiden sich teilweise, jedoch kann man das Typenverzeichnis dennoch als große Hilfe zum Verständnis von Märchen ansehen.

Das Aarne-Thompsonsche Typenverzeichnis unterteilt die Märchen zuerst einmal in fünf Hauptgruppen, denen es dann weitere Untergruppen zuordnet. Es beginnt mit der Hauptgruppe der „Tiermärchen“, der als Untergruppen folgende sechs zugewiesen werden: „Die Tiere des Waldes“, „Der Mensch und die Tiere des Waldes“, „Haustiere“, „Vögel“, „Fische“ und „Andere Tiere und Objekte“. Die zweite Hauptgruppe mit dem Titel „Eigentliche Märchen“ beinhaltet die Untergruppen „Zaubermärchen“, „Legendenartige Märchen“, „Novellenartige Märchen“ sowie „Märchen vom dummen Teufel oder Riesen“. Die Untergruppen „Schildbürgerschwänke“, „Schwänke von Ehepaaren“, „Schwänke mit männlicher oder weiblicher Hauptperson“ und „Lügenmärchen“ gehören der dritten Hauptgruppe „Schwänke“ an. Die letzten beiden Hauptgruppen heißen „Formelmärchen“ und „Weitere Typen“. Ihnen sind laut Aarne und Thompson keine Untergruppen zuzuordnen. (6)

Märchenforschung

Im 19. Jahrhundert begann man über Herkunft, Ursprung und Deutung des Märchens nachzudenken, während im 20. Jahrhundert das Erforschen seiner Biologie (=Funktion in der Gesellschaft) und seiner Wesensart in den Vordergrund trat. Auch die Märchenforschung hat ihren Ursprung in der Arbeit der Gebrüder Grimm (7)

Ihre Vorreden, Anmerkungen und Briefe stellten schon die entscheidenden Fragen nach Wesensart, Bedeutung, Lebensweise und Ursprung des Volksmärchens und legten so die Grundlage zu einer umfassenden Märchentheorie. (8)

Merkmale des Volksmärchens

Obwohl eine umfangreiche Anzahl von Faktoren die Unterschiede zwischen den einzelnen Märchentypen hervortreten lässt, hat sich doch im Laufe der Jahre eine Art „Grundtyp“ entwickelt. Dieser ist natürlich eine Idealvorstellung und trifft nicht auf jedes Märchen hundertprozentig zu. Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen lassen sich einige Merkmale des sogenannten Grundtyps des europäischen Volksmärchens wie folgt beschreiben: Handlungsstrang: In den allermeisten Märchen geht es darum eine Erwartung zu erfüllen. Man nennt dieses Schema „Schwierigkeiten und ihre Bewältigung“ (9).

Das Märchen beginnt typischerweise mit einer schlechten, oft nahezu aussichtslosen Situation, die dann durch eine Aufgabe überwunden werden soll.

Die Märchenhandlung neigt dazu, sich in einem Zweier- und Dreierrhythmus auszu- falten. Viele Märchen sind zweiteilig: Nach der Lösung der Aufgabe, dem Bestehen des Kampfes, dem Gewinn von Braut oder Bräutigam werden Held oder Heldin des Preises beraubt oder geraten in eine neue Notlage, die sie bewältigen oder aus der sie gerettet werden müssen[...]Einzelne Forscher (Propp, Berendsohn) bezeichnen die zweiteilige Erzählung als die eigentliche Vollform des Märchens. Von dieser Tendenz zur Zweiteiligkeit abgesehen neigt das Märchen zur Darstellung des Ge- schehens in drei Zügen: drei Brüder ziehen nacheinander aus, um die Aufgabe zu lösen, oder der Held (die Heldin) selber muß nacheinander drei Arbeiten vollbringen, drei Ungetüme überwältigen, drei Zauberdinge holen. (10)

Personen und Dinge: Die Hauptperson in jedem Märchen ist gewöhnlich der Held oder die Heldin, der/die im allgemeinen menschlich ist. Alle anderen Figuren sind auf diese Hauptperson in irgendeiner Art bezogen, meist als dessen Helfer, Partner oder Auftraggeber. Der Feind oder Gegner tritt häufig in einer nicht menschlichen Gestalt auf. Ebenfalls von großer Bedeutung in einem Märchen sind die Dinge. Sie teilen sich in alltägliche und übernatürliche und können nahezu jede Gestalt annehmen. „Hauptrequisit aber ist die Gabe, die den Helden zur Lösung seiner Aufgabe instand setzt.“ (11)

Stil des Märchens: Das Märchen neigt dazu „handlungsfreudig“ (12) zu sein, wobei die Handlung stets von außen gelenkt wird. Es gibt keine ausführliche Vorstellung der Personen und Schauplätze, vielmehr überzeugt das Märchen durch eine klare handlungsstruktur, die für leichtes Verständnis sorgt. Besonders gerne verwendet werden grobe Umrisse (Gebäude,...!), runde Zahlen und bekannte Farben. Außerdem verfügen viele Märchen über bestimmt Formeln und Wiederholungen wie zum Beispiel den bekannten Schlusssatz „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute glücklich und froh...“. Die Gründe hierfür sind vermutlich in der Methode des mündlichen Übertragens zu suchen, die vor allem in früheren Zeiten sehr verbreitet war. (13)

Wirkung des Märchens auf Kinder

Wie auch die Volksmärchen der Gebrüder Grimm, sind die meisten dieser Werke vor allem für Kinder geschrieben worden. Die Übersinnlichkeit veranlasst das Kind dazu seine Phantasie zu trainieren, es muss sich die Handlung und Personen vorstellen können. Kinder können sich besser Akionen ausmalen als bewegungslose Situationen, was einem weiteren Merkmal des Volksmärchens entspricht, nämlich der Neigung zur Handlungsfreudigkeit. Ein Märchen kann ein Kind dazu bringen lange über selbiges nachzudenken, ihm sogar helfen bei der Bewältigung seiner „Entwicklungsschwierigkeiten“ (14).

(15) Allgemeine Märchenpsychologie Deutung und Interpretation von Märchen war schon immer ein umstrittenes und schwieriges Thema, zu dem es viele verschiedene Meinungen gab. Volkskundliche und literaturwissenschaftliche Märchenforscher lehnen es von daher auch ab Deutungsversuche zu starten. Es wurden uns jedoch in unserer Quelle (s. Quellenangaben) drei verschiedene Deutungstheorien vorgestellt, die wir kurz ansprechen wollen:

Freud und seine Anhänger/Schüler sehen in vielen Märchen den „Wunschtraum des Ellbogenkindes“ (16), da es sich häufig um eine dumme, arme Hauptperson handelt, die etwas Großes erreichen möchte. Außerdem versucht Freud gerne Märchen „sexualsymbolisch“ (17) zu deuten, so zum Beispiel Schuhe oder rote Dinge.

Die Deutungsversuche Jungs beruhen vor allem auf der Anthropologie. Es geht hierbei um die „Ergründung des Wesens der Menschen“ (18) oder die „Darstellung innerseelischer Vorgänge“ (19). Jung ist der Meinung, dass einzelne Teile der menschlichen Seele durch Figuren im Märchen dargestellt werden. (20)

Märcheninterpretation

oder Anwendung der Märchenpsychologie am Beispiel von „Rotkäppchen“ Wie schon erwähnt, wollen wir an dieser Stelle unsere neu erworbenen Kenntnisse über die Merkmale, den Aufbau und die Wirkung eines Märchens laut Max Lüthi auf die Probe stellen und ein Märchen zumindest ansatzweise interpretieren. Hierzu haben wir das Werk „Rotkäppchen“ aus der Sammlung „Kinder- und Hausmärchen“ der Gebrüder Grimm gewählt, da es ein sehr bekanntes und nicht zu langes und kompliziertes Märchen ist. Zudem haben wir eine Quelle (s. Quellenangaben) mit Interpretationshilfen zu diesem Werk im Internet gefunden.

Das Thema oder die Kernaussage ist in diesem Märchen schwer zu definieren. Man könnte sagen, dass es um die Erkenntnis, den „Lerneffekt“, eines jungen, unerfahrenen Mädchens geht, denn Rotkäppchen muss ja die Erfahrung machen, dass nicht alles was lieb und nett aussieht auch gut ist, sondern vielmehr hinterlistig und böse sein kann. Der Verfasser unserer Quelle hat den „Verdacht“, dass dieses Märchen auf die Verachtung des Mannes hinaus will, also praktisch den Mann, hier in Gestalt des bösen Wolfes, als Feind der Frau darstellt. An dieser Stelle bietet es sich an den Wolf erst einmal näher zu betrachten, sprich zu charakterisieren. Er wird in diesem Märchen, wie schon gesagt, als hinterhältig und böse beschrieben. Seine Freundlichkeit und Aufmerksamkeit gegenüber dem jungen Rotkäppchen ist nur gespielt und dient lediglich dazu es auszuhorchen mit dem gemeinen Hintergedanken es später zu fressen. Auch die kranke Großmutter verschlingt er skrupellos um an ihrer Stelle auf das gutgläubige Rotkäppchen zu warten.

Auffällig ist natürlich schon, dass der böse Wolf mit Ausnahme des Jägers, der nicht als Mensch bzw. Mann, sondern eher von seiner Funktion her, wichtig ist, die einzige männliche Person in dem Märchen ist und dass seine Opfer beide weiblich und mehr oder weniger wehrlos sind (Rotkäppchen ist jung und unerfahren, die Großmutter alt und schwach). Ob man dies nun als „Feindbild Mann“ ansehen will oder es einfach dem Zufall zuweist ist sicher Ansichtssache und nicht genau festzulegen.

Weiter stellt sich die Frage warum Rotkäppchen ein rotes Käppchen trägt. Die Farbe rot ist sicher nicht zufällig gewählt, immerhin gibt diese Kopfbedeckung dem Mädchen und auch dem Märchen seinen Namen. Nach Meinung des Quellenurhebers symbolisiert es unter anderem die Frauwerdung und Entwicklung Rotkäppchens.

Rot ist die Farbe der Liebe und die des Blutes. Rotkäppchen ist ein Mädchen (!) das zur Frau wird. Liebesgefühle und Triebe erwachen (‚es schlug die Augen auf und sah...‘), das rote Käppchen könnte auch ein Symbol für die Menstruation sein (Erich Fromm). (21) Ebenfalls interessant für eine Interpretation ist das abschließende Tötungsritual. Der Wolf wird nicht etwa einfach vom Jäger erschossen, sondern Rotkäppchen füllt ihm den Bauch mit Steinen, vielleicht um ihm als eine Art Rache den Tod noch zu erschweren oder schmerzvoller zu gestalten. Unter Berücksichtigung seines „Verdachts“ behauptet der Herausgeber unserer Quelle:

Sie legen dem Wolf Steine in den Bauch, und wollen ihn noch einmal erwachen lassen, um ihm dann beim Sterben zusehen zu können. Im Bauch von Frauen können Kinder heranwachsen, im Bauch des Wolfes liegen nur tote Steine, und die bringen ihn selbst auch noch um. Das ist die Verhöhnung: Frauen sind besser, weil sie Kinder kriegen können, Männer sind ‚gefährlich und totbringend‘ (!). (22)

Die Moral und gleichzeitig der Schlusssatz des Märchens „Du willst dein Lebtag nicht wieder alleine vom Wege ab in den Wald laufen, wenn dir´s die Mutter verboten hat.“ zeigt sicherlich, dass Rotkäppchen aus seinen Erfahrungen gelernt hat und in Zukunft Fremden mit mehr Vorsicht und Misstrauen entgegenkommen wird. (23)

Anmerkungen (Quelle):

(1) vgl.: dtv-Lexikon, Band 12, S. 67/68

(2) vgl.: ebd.

(3) Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie „Grimms Märchen“ S.1

(4) ebd.

(5) vgl.: Microsoft Encarta 98 Enzyklopädie „Grimms Märchen“ und

„Grimm, Gebrüder“

(6) vgl.: Max Lüthi, Märchen S. 14-19 „Typen des Märchens“

(7) vgl.: a.a.O. S. 53/54 „Aus der Geschichte der Märchenforschung“

(8) a.a.O. S.53

(9) Max Lüthi, Märchen S.24

(10) a.a.O. S.24/25

(11) a.a.O. S.26

(12) a.a.O. S.28

(13) vgl.: Max Lüthi, Märchen S.24-30 „Wesenszüge des europäischen Volksmärchens“

(14) Max Lüthi, Märchen S.82

(15) vgl.: Max Lüthi, Märchen S. 81/82 „Psychologie des Märchens“

(16) Max Lüthi, Märchen S.82

(17) a.a.O. S.84

(18) a.a.O. S.85

(19) a.a.O. S.84

(20) vgl.: Max Lüthi, Märchen S.81-86 „Psychologie des Märchens“

(21) http://www.marchen.com/i01rotka.htm

(22) ebd.

(23) vgl.: ebd.

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Volksmärchen
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
6
Katalognummer
V104796
ISBN (eBook)
9783640031023
Dateigröße
336 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Volksmärchen
Arbeit zitieren
Marlene Wienert (Autor:in), 2001, Volksmärchen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104796

Kommentare

  • Gast am 22.10.2013

    Selbst dieses Märchen endet nicht "... und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch." Sondern: "... Wer also ein Igel ist, der muß darauf sehen, daß auch seine Frau ein Igel ist.

  • Gast am 19.10.2001

    Volksmärchen.

    Marlene Wienert
    "Volksmärchen"
    Mein Kommentar:

    Ich bin Märchenerzählerin und arbeite seit etwa 20 Jahren beruflich mit Märchen.
    Mit großem Interesse habe ich diese Schulfacharbeit gelesen und bin der Meinung,dass die gute Benotung durchaus gerechtfertigt, beziehungsweise verdient ist.
    Die Arbeit zeugt von guter Recherche und Fleiß.
    Mein Glückwunsch!

    Auf zwei Fehler (von möglichen Druckfehlern abgesehen, wie z. B.das falsche Jahrhundert des keltischen Einflusses...) möchte ich die Verfasserin gern hinweisen.

    1.
    Die Brüder Grimm schrieben ihre Märchensammlung keineswegs nur für Kinder,
    sondern für Kinder und Erwachsene; was nicht nur aus dem Titel "Kinder- und
    Hausmärchen" hervorgeht, (im Haus leben bekanntlich nicht nur Kinder, sondern
    auch große Leute), sondern auch aus der Tatsache, dass etwa 60 bis 70 % aller
    Geschichten der Gesamtausgabe auf Erwachsene als Rezipienten ausgerichtet ist.

    2.
    Die Formel "und wenn sie nicht gestorben sind , dann leben sie noch heute..."
    kommt bei Grimm überhaupt nicht vor.
    Sie beruht vielmehr auf einem weit verbreiteten, kollektiven Vorurteil.
    Ein einziges Märchen der Brüder Grimm endet mit:
    "... und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch."
    Ich möchte nicht die Verfasserin des Vergnügens berauben, die 200 nummerierten
    Märchen der Gesamtausgabe der KHM selbst zu lesen und meine Behauptung zu
    überprüfen.
    Fairerweise bin ich aber selbstverständlich bereit, auf Anfrage dieses Geheimnis
    zu lüften.

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