Gliederung:
A) Einleitung: Die Französische Revolution als Kritik gegen den Absolutismus
B) Hauptteil
I) Begriffsklärung der Themabegriffe „Stand“,
„Ständekonflikt“ und „empfindsam“
II) Ferdinand wehrt sich gegen seinen Stand
1. Ferdinand grenzt sich in seinen Ansichten vom Adel ab
2. Sein Ständekonflikt wird aber auch durch seine Handlungen deutlich
III) Ferdinand ist empfindsamer als Luise
1. Dies zeigt sich in seiner Sprache
2. Seine Taten werden von seinen Gefühlen und seiner Leidenschaft geleitet
3. Luise ist ein realitätsnaher Mensch
IV) Aus den oben aufgeführten Seiten Ferdinands entwickelt sich zum Teil auch die Tragik des Geschehens
C) Schluss: Die Kämpfe gegen den Absolutismus in dieser Zeit verschlimmerten die Lage meist nur noch mehr
Ausführung:
Die Französische Revolution fand von 1789 bis etwa 1804 statt. Die Revolutionäre versuchten auf diese radikale Weise Kritik an der absolutistischen Herrschaftsweise zu üben, da die unteren Stände verhungerten, während der erste und zweite Stand in Saus und Braus lebte. Jedoch existierte schon davor in anderen europäischen Ländern ein Groll gegen die Monarchen, ihre Lebensweise und die vorherrschende Ständegesellschaft. So kritisierte der deutsche Friedrich Schiller in seinem Werk „Kabale und Liebe“ schon 1783 die Zustände in einem absolutistischen Kleinstaat. Im Stück selbst sind die größten Verfechter die beiden Protagonisten Ferdinand und Luise, deren Liebe hauptsächlich wegen der Standesschranken nicht funktionieren kann.
Im folgenden soll nun erörtert werden, inwiefern die Empfindsamkeit des adeligen Ferdinands - im Vergleich mit der der bürgerlichen Luise - und sein Kampf gegen seinen eigenen Stand das tragische Geschehen im Drama vorantreiben.
Bevor damit allerdings begonnen werden kann, müssen erst die Themabegriffe „Stand“, „Ständekonflikt“ und „empfindsam“ geklärt werden.
Ein „Stand“ ist eine Gesellschaftsgruppe, die auf Grund von Abstammung, Besitz, Beruf und Bildung oder politischen Verdiensten zusammengehört. Der erste und zweite Stand, also Klerus und Adel, haben eine bevorrechtete Stellung gegenüber dem Bürger- und Bauerntum, die nur minderen Rang haben. (1) Außerdem ist es eine sowohl exklusive als auch inklusive Schicht, die sich unter anderem durch Distinktionsmerkmale wie Erziehung, Kleidung, Sprache, Werte und Normen von den anderen Ständen abgrenzen lässt.
Der eng damit verbundene „Ständekonflikt“ ist als Angriff auf die Ständegesellschaft und als Kampf zwischen Bürgertum und Adel um Macht zu verstehen.
Der Themabegriff „empfindsam“ lässt sich auch durch das Synonym „sentimental“, welches einen Gefühlsüberschwang beschreibt, definieren (2).
Beschäftigt man sich mit dem Kampf Ferdinands gegen seinen eigenen Stand, den Adel, genauer, so wird schnell klar, dass sich die Werte und Ansichten Ferdinands zu bestimmten Themen deutlich von denen eines „normalen“ Adeligen absetzen. Deswegen will ich zuerst einmal kurz die Ansichten des stereotypischen Adeligen umreißen und sie dann mit denen Ferdinands vergleichen. Für den Adel ist alles den Möglichkeiten an Macht- und Ansehensgewinn untergeordnet. Das Wichtigste im Leben sind für Angehörige dieses Standes Dinge wie Ruf, Ansehen, Einfluss, damit Macht und ihre Karriere. So steht ihre Moral, also die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, ebenfalls unter diesen Interessen und ist dem entsprechend wenig ausschlagend bei ihrem Handeln. Die Liebe wird vom Adel als Interessenfixierung auf eine Person angesehen, die aber wertlos ist, da sie nicht „intrigenfähig“ ist. Werte wie Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein, wirkliche Religiosität und das Einhalten eines gegebenen Eides, die im Bürgertum sehr wichtig sind, existieren im Adel nicht wirklich. Hier stehen Lügen an der Tagesordnung und der Glaube an Gott würde bei den adeligen Intrigen im Kampf um mehr Macht nur im Weg stehen. Obwohl der adelige Ferdinand nach außen, also von seinem Auftreten und seinem Benehmen her, adelig wirkt, wehrt er sich doch gegen seinen Stand. Er nimmt die Werte des Adels nicht an und hat in vielerlei Hinsicht komplett andere Ansichten. So ist Liebe für ihn wirklich eine Herzensangelegenheit und nicht nur bloße Interessenfixierung. Er ist bestimmt nicht mit der Bürgerstochter Luise zusammen, weil er sich durch die Verbindung mit ihr irgendwelche Vorteile oder Aufstiegschancen erhofft.
Weiterhin ist ihm seine Position und damit sein Einfluss ziemlich egal, so wäre er sofort zur Flucht mit Luise bereit, wozu er alles aufgeben müsste, was er sich bzw. sein Vater ihm an Macht erarbeitet hat.
Im religiösen Bereich unterscheidet sich Ferdinand ebenfalls von dem Stereotyp eines Adeligen. Für ihn gibt es einen Gott, so ähneln seine Monologe meist einem Zwiegespräch mit diesem, was seinen Glauben an die Existenz eines Gottes beweist.
Auch im Text drückt Ferdinand deutlich aus, dass er andere Werte hat als zum Beispiel sein Vater, der eher als „normaler“ Adeliger anzusehen ist. So sagt er seinem Vater, dem Präsidenten, ins Gesicht, dass „(s)eine Begriffe von Größe und Glück“ (I.7, S.23, Z.26) nicht mit denen übereinstimmen, die sein Vater hat. Wenig später erklärt er ihm mit dem Ausspruch: „In meinem Herzen liegen alle meine Wünsche begraben,“ (I.7, S.23, Z.36-37) was für ihn wirklich zählt, nämlich die Dinge, die sein Herz möchte, die für einen „normalen“ Adeligen nicht wirklich zählen.
Ebenfalls wird Ferdinands christliche Grundhaltung im Text deutlich. So hält er Gott für denjenigen, der das Schicksal der Menschen in der Hand hält und damit allmächtig ist. Dies zeigt sich in der folgenden Passage: „Seltsam, o unbegreiflich seltsam spielt Gott mit uns.“ (V.3, S.103, Z.2-3) Seine Ansicht von Gott als höchste Instanz wird auch darin verdeutlicht, dass er Luise auffordert „bei Gott“ zu schwören (V.2, S.101, Z.7). Ferdinands Auffassung nach kann sie vor Gott nur die Wahrheit sagen, da er - genauso wie Luise- ihn als „Richter der Welt“ (IV.4, S.77, Z.28) ansieht. Der Präsidentensohn zeigt sich dem Leser als religiöser Mensch, der den Glauben in Gott etwas ernster nimmt als der typische Adelige, der zwar auch von Gott redet, ihn aber nicht unbedingt als schicksalsgebenden Allmächtigen ansieht, so wie Ferdinand dies tut.
Insgesamt hebt sich Ferdinand also schon in seinen Werten und seinen Ansichten von seinem Stand ab und kämpft somit gegen die - für ihn - negativen Werte der Adeligen. Daraus lässt sich schließen, dass man Ferdinand von seinen Ansichten her eher als Bürger sehen kann und nicht als wirklichen Adeligen.
Auch in seinen Handlungen zeigt sich Ferdinands Kampf gegen den Adel: So kann der Leser allein an der Tatsache, das Ferdinand wirklich in die bürgerlich Luise verliebt ist, sehen, dass er gegen die Standesgrenzen kämpft. Der stereotypische Adelige überschreitet diese Grenzen nach unten nämlich höchstens um sich eine Mätresse zu suchen und nicht um die Liebe des Lebens zu finden. Noch dazu bekennt sich Ferdinand den anderen Adeligen gegenüber zu dieser Liebe, was noch deutlicher zeigt, dass ihn die ständischen Konventionen nicht interessieren. Wie oben schon erwähnt, würde er auch mit ihr flüchten und damit seinen Reichtum aufgeben.
Weiterhin widersetzt er sich dem Willen des Vaters, indem er sich von ihm nicht zu einer Hochzeit mit der Lady Milford, der Mätresse des Fürsten, überreden lässt. Die Möglichkeiten des Machtgewinns am Hofe des Fürsten, die sich daraus für den Präsidenten und sich selbst ergeben würden, sind Ferdinand völlig egal. Auch distanziert er sich von den Mitteln, mit denen sein Vater an die Macht gekommen ist, denn mit diesen Schandtaten will er nichts zu tun haben.
Dies alles deutet daraufhin, dass er sich im Laufe des Geschehens immer mehr von seinem Stand und seinem Vater und dessen Taten lossagt, was auch im Text deutlich erkennbar wird. Schon im ersten Akt, in der siebten Szene zeigt er dies deutlich: „Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.“ (I.7, S.23, Z.5-7) Er will also nichts mit dem Erbe zu tun haben, dass der Vater sich mit blutigen Taten verschafft hat. So erfährt man, dass der Präsident durch „Hinwegräumung (s)eines Vorgängers“ (I.7, S.22, Z.23-24) an die Macht gekommen ist, wovon Ferdinand sich distanzieren will. Er droht seinem Vater sogar „der Residenz eine Geschichte (zu erzählen), wie man Präsident wird.“ (II.7, S.51, Z.6-7), was für den Vater schlimme Folgen hätte. Auch die Aussage „Du, Luise, und ich und die Liebe! - - Liegt nicht in diesem Zirkel der ganze Himmel?“ (II.4, S.61, Z.29-31) zeigt, dass er seinen Stand und die damit verbundene Position für sein Leben nicht braucht und sich deswegen davon loslösen will, indem er flüchtet.
Neben seinem Kampf gegen den Adel hat Ferdinand aber noch eine Eigenschaft, die das tragische Geschehen des Stücks ausmacht, und das ist seine Empfindsamkeit.
Betrachtet man sich die Dialoge Ferdinands genau, fällt sofort auf, dass seine Ausdrucksweise reich an Verbildlichungen und Vergleichen ist, besonders im Gespräch mit Luise. Diese Sprache wird von Ulrich Karthaus als „Sprache der Empfindsamkeit“ (3) bezeichnet. Auch Karl S. Guthke unterstützt meine Theorie, dass sich Ferdinands Empfindsamkeit in seiner Sprache zeigt, da er dessen Ausdrucksweise als „sprachlichen Höhenflug (...) des empfindsamen Schwärmers“ charakterisiert, von dem man auf keinen Fall „Nüchternheit des Ausdrucks“ erwarten würde (4). Im Text lässt sich dies eigentlich an fast jedem Dialog belegen, des wegen sollen hier zwei kurze Beispiele genügen:
Im Gespräch mit Luise will er ihr mit den Worten „Ich will über dir wachen wie der Zauberdrach über unterirdischem Golde“ (I.4, S.15, Z.28-29) verdeutlichen, dass er sie immer beschützt und sie keine Angst haben braucht und dazu benutzt er eine sehr bildhafte Sprache. Auch im folgenden Zitat Ferdinands versucht er durch Verbildlichungen die Aussage zu unterstreichen: „Laß auch Hindernisse wie Gebürge zwischen uns treten, ich will sie für Treppen nehmen und drüber hin in Luisens Arme fliegen.“ (I.4, S.15, Z.22-24) Aber nicht nur in seiner Sprache zeigt sich seine empfindsame Natur, sondern auch in seinen Handlungen:
Alles was Ferdinand tut, wird von seinen Gefühlen und seiner Leidenschaft zu seiner geliebten Luise gesteuert. Dies allein wäre noch nicht schlimm, aber dazu kommt, dass seine Zukunftspläne den Rest der Welt außer Acht lassen. Er verkennt die Wirklichkeit, nimmt sie kaum mehr war und überschätzt dadurch seine Möglichkeiten etwas zu verändern. Für ihn gibt es nur noch Luise, die er ohne Grenzen liebt.
Der erpresste Brief, den Luise aus Angst um ihre Eltern, die gefangenen genommen worden sind, schreibt, erweckt bei Ferdinand - wie von seinem Vater und dessen Sekretär geplant - schnell Misstrauen und er unterstellt ihr Untreue. Wieder lässt er sich hier von seinen Gefühlen leiten, die schließlich in dem gemeinsamen Gifttod durch Ferdinands Hand enden. Im Text sagt er selbst, dass „(s)eine Vernunft in eine(m) Blick verschmilzt“ (I.4; S.14, Z.33), wenn er bei Luise ist. Damit bestätigt er selbst, dass seine Entscheidungen und Handlungen nicht durch seine Vernunft und seinen Verstand geleitet werden, sondern nur durch seine Gefühle und seine Empfindsamkeit.
Die Überschätzung seiner Möglichkeiten wird gut an folgendem Zitat sichtbar: „Aber ich will seine Kabalen durchbohren“ (II.5, S.44, Z.35). Der Präsidentensohn merkt gar nicht, dass er gegen die Intrigen seines Vaters machtlos ist, weil sie ihn schon wie ein Netz umschließen. Doch auf Grund von seiner empfindsamen Natur glaubt er noch, er könne alles verhindern.
Im Vergleich zu Ferdinand ist Luise absolut nicht realitätsfern, sie weiß, dass das Zusammensein mit Ferdinand nur ein Traum ist, der in der Wirklichkeit nicht funktionieren kann. Sie zeigt große Opferbereitschaft, indem sie auf ihren Geliebten verzichtet und sich von ihm lossagen will. Ihre Taten sind nicht von ihren Emotionen geleitet, sondern von ihrem Verstand, was für eine Bürgerliche in dieser Lage eigentlich sehr erstaunlich ist.
Ihre Wirklichkeitsnähe wird auch im Text deutlich, so entsagt sie ihm für dieses Leben, aber wenn die Schranken des Unterschieds einstürzen, wenn die verhassten Hülsen des Standes von ihnen abspringen, dann wenn Menschen nur Menschen sind, wird sie bei ihrem Ferdinand sein (I.2, S.13. Z.11-15). Ihr ist aber durchaus klar, dass dieser Zustand erst im Tod eintreten wird, da erst dann die Hülsen des Standes fallen werden. Ihren Anspruch auf sein Herz bezeichnet sie als „Kirchenraub“ (III.4, S.63, Z.12) und da Gott ihr dieses Glück nicht gönnen will, muss sie auf ihn verzichten. Im Allgemeinen könnte man Luise von ihre Handlungsweisen her eher als Adelige als als Bürgerliche einordnen, denn sie entscheidet mit ihrem Verstand und nicht mit ihrem Herzen.
Das tragische Ende der beiden Protagonisten, nämlich der Gifttod durch Ferdinands Verschulden, ist hauptsächlich durch zwei Faktoren beeinflusst: Ferdinands Kampf gegen den Adel und dessen Mittel und seine Empfindsamkeit.
Auf Grund von Ferdinands Rebellion gegen seinen Stand sieht sich der Vater gezwungen seinen Sohn durch Intrigen auf den „richtigen“ Weg zu bringen. Dies gelingt ihm allerdings nicht, er treibt Ferdinand und Luise in den Tod. Ohne diesen Kampf Ferdinands wäre die Intrige also gar nicht von Nöten gewesen und es wäre auch nicht zu diesem Ende gekommen. Ferdinand bestimmt sein Schicksal also unbewusst selbst, so wie es in einem Bürgerlichen Trauerspiel immer ist. Leider merkt er das nicht, er denkt, er kämpft erfolgreich gegen die Intrigen, dabei beschleunigt er alles nur noch. Der zweite Faktor, seine Empfindsamkeit und das damit verbundene gefühlsgeleitete Handeln, das meist sehr impulsiv ist, führt ebenfalls unvermeidlich zur Katastrophe. Seine Eifersucht, die durch seine empfindsame Natur entsteht, bringt ihn dazu Luise und sich selbst zu töten. Hätte er erst einmal versucht mit ihr zu reden, ganz in Ruhe, wäre es vielleicht nicht soweit gekommen, aber durch sein impulsives Handeln entstehen leicht Missverständnisse, die in diesem Fall tödlich enden.
Dies zeigt sich auch deutlich an einer Stelle im Text: Mit der Regieanweisung „Ferdinand hat in der Zerstreuung und Wut eine Violine ergriffen (...) jetzt zerreißt er die Saiten, zerschmettert das Instrument auf dem Boden“ (III.4, S.63, Z.28-31) wird der Untergang schon symbolisch angedeutet. Auch hier handelt es sich um eine Kurzschlusshandlung, die durch seine Gefühle, in diesem Fall Zerstreuung und Wut, ausgelöst wird.
Ohne diese „Eigenschaften“ Ferdinands hätte es nicht zu diesem tragischen Ende kommen können, womit bewiesen ist, dass die Tragik durch ihn vorangetrieben wird.
So wie jedes Bürgerliche Trauerspiel endet auch „Kabale und Liebe“ mit der Katastrophe, also dem Tod der Protagonisten. Ferdinands Kampf gegen seinen Stand ist gescheitert, er hat nichts bewirkt, er hat die Lage von sich und Luise sogar noch verschlimmert, da sie jetzt tot sind. Auch die französische Revolution hat nicht wirklich etwas gebracht, denn aus dem Königtum ist nach langem hin und her erst wieder ein Königreich und dann sogar noch ein Kaiserreich geworden.
Anmerkungen:
(1) Brockhaus, 1973, Band 17, S. 245
(2) Brockhaus, 1973, Band 5, S.96
(3) Ulrich Karthaus, 2000, S.138
(4) Karl S. Guthke, 1983, S.69
Quellenverzeichnis:
(1) Brockhaus, Lexikon - Wiesbaden, 1973
(2) Guthke, Karl S. Kabale und Liebe
In: Hinderer, Walter; Schillers Dramen: Neue Interpretationen - Stuttgart 1983
(3) Karthaus, Ulrich, Sturm und Drang: Epoche - Werke - Wirkung München 2000
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- Jennifer Pfaffenberger (Autor:in), 2001, Schiller, Friedrich - Kabale und Liebe - Literarische Erörterung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104801