INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Zur frühen Erforschung der Lautverschiebungen - ein kurzer historischer Abriß
3. Die erste Lautverschiebung
3.1 Gesetzmäßigkeiten der ersten Lautverschiebung
3.1.1 Das Vernersche Gesetz
3.1.2 Der Rhotazismus
3.2 Ursachen und Gründe für die erste Lautverschiebung
4. Die zweite Lautverschiebung
4.1 Gesetzmäßigkeiten der zweiten Lautverschiebung
4.2 Ursachen und Gründe für die zweite Lautverschiebung
5. Schlußbetrachtung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Auf Grund der Tatsache, daß die Lautverschiebungen zu den bedeutsamsten Lautwandelereignissen gehören, die zur Entstehung vieler europäischer und vor allem der deutschen Sprache beigetragen haben und zudem auch phonologisch interessante Veränderungen hervorbrachten, setzt sich diese Arbeit mit dem Lautverschiebungen auseinander. Da dieses Thema mit allen seinen Facetten und Verknüpfungen recht umfangreich ist, wird in dieser Hausarbeit das Wesentlichste herausgearbeitet.
Zu Anfang stellt ein kurzer historischer Abriß zur frühen Erforschung der Lautverschiebungen vor allem Jacob Grimms Pionierarbeit auf dem Gebiet der Philologie dar und erläutert die Lautverschiebungen im Allgemeinen.
Da die Begriffe „erste und zweite Lautverschiebung“ einen direkten Zusammenhang zwischen diesen beiden Phänomenen des Lautwandels vermuten lassen, wird die Methodik der Darstellung und Erörterung der betreffenden Lautverschiebung mit einer hohen Similarität zur anderen angewendet; ob der Eindruck eines direkten Zusammenhangs zwischen den Lautverschiebungen aufrecht erhalten werden kann, wird sich zeigen.
Daher wird jeweils nach einer chronologischen und geographischen Einordnung vor allem auf die vorherrschenden Gesetzmäßigkeiten eingegangen, die sowohl im Abschnitt 3.1, als auch im Abschnitt 4.1 erläutert werden. Schließlich wird der Versuch unternommen, Ursachen und Gründe für das behandelte Phänomen anzuführen. Hierbei soll es nicht darum, gehen diverse Theorien von den Kausalnex s auszubreiten, sondern vielmehr um eine Darstellung der als wissenschaftlich bewiesenen Faktoren.
Da das mir zur Verfügung stehende Textverarbeitungsprogramm - MS Word 97 - die Sonderzeichen b, d und g nicht kennt, habe ich mich entschieden, wie hier auch in den Abschnitten 3.1 und 3.1.1 vorzugehen; allein schon um einer Verwechslung mit den stimmhaften Plosiven b, d und g vorzubeugen. So sind die stimmhaften Frikative b, d und g nach dem Druck, per Hand vervollständigt worden.
2. Zur frühen Erforschung der Lautverschiebungen - ein kurzer historischer Abriß
Die systematische, germanistische Sprachwissenschaft mit einem kritisch - forschenden bzw. historisch - vergleichenden Aspekt entwickelte sich zu Anfang des 19. Jahrhunderts.
Anlaß hierfür war die Besetzung der deutschen Länder durch Napoleon I. und die daraus resultierende umfassende Rückbesinnung der Unterworfenen auf die Geschichte und die Werte der deutschen Nation. In den Studien der Sprache sahen die Gebrüder Grimm die Möglichkeit, dieser Art von Nationalgefühl unverfälscht und urtypisch zu begegnen. Insbesondere der ältere Jacob Grimm widmete sich der Wiederentdeckung und Erforschung vor allem der frühzeitlichen Sprache, aber auch der Mythologie, der Sagen, Volkslieder, Märchen etc. des germanisch- sprachigen Raums, da seiner Ansicht nach ein vollkommenes Verständnis der Gegenwartssprache nur dann gewährleistet sei, wenn man diese vor dem Hintergrund ihrer Geschichte betrachte (vgl. Gipper/ Schnitter 1985). Jacob Grimm ging daran, alte Schriften unterschiedlicher Sprachen miteinander zu vergleichen und stellte die geschichtliche Entwicklung der deutschen Sprache aus ihren Vorstufen mit großer Genauigkeit dar. Dabei knüpfte er an den von anderen Gelehrten durchgeführten und komparativ angelegten Untersuchungen von historischen europäischen Quellen und Zeugnissen des altindischen Sanskrit an. Schon diese Untersuchungen förderten die genealogische Verbindung zwischen den meisten europäischen Sprachen und dem altindischen Sanskrit zu Tage. Insbesondere die Beiträge des Dänen Rasmus Kristian Rask und die des Bonner Sprach- und Literaturwissenschaftlers Franz Bopp zu diesem
Thema, sowie die genannte Entdeckung selbst, inspirierten Grimm und seinen philologischen Spürsinn ist (vgl. Sowinski 1974).
So erkannte er als erster die tieferen Zusammenhänge der Einzelsprachen untereinander. Zu den wichtigsten Ergebnissen der Grimmschen Studien aus dem Bereich der Laut- und Formenlehre zählen die Erkenntnisse zu den Lautverschiebungen. Hierbei handelt es sich im Allgemeinen um historische Veränderungen des Konsonantensystems bestimmter Sprachverbände, aus denen im Laufe der Zeit auch die heutige deutsche Sprache entstanden (vgl. Szemerényi 1980).
Grimm erkannte und beschrieb in der 1822 erschienenen zweiten Auflage des ersten Bandes seiner Buchserie „Deutsche Grammatik“ den gesetzmäßigen Charakter dieser Phänomene der Lautwandelprozesse, worauf im weiteren Verlauf dieser Arbeit noch näher eingegangen wird. Er benannte diese Phänomene als „Lautverschiebungen“ in der Annahme, daß es sich hierbei um die bedeutendsten Phänomene handele, die an der Entstehung der heute verbreiteten hochdeutschen Sprache beteiligt waren. Jedoch hatten andere Lautwandelereignisse außer den Lautverschiebungen mindestens ebenso großen Anteil an der Ausbildung des Neuhochdeutschen, wie z.B. die „Vokalabschwächung“ im Alt- und Mittelhochdeutschen oder die „Vokaltilgung“ im Mittelhochdeutschen (vgl. Hengartner/ Niederhauser 1993 und Löhken 1997).
3. Die erste Lautverschiebung
Die erste Lautverschiebung, auch als germanische Lautverschiebung bezeichnet, ereignete sich in Europa etwa in der Zeit vom zweiten Jahrtausend vor Christus bis zum zweiten Jahrhundert vor Christus. Im Laufe dieser ersten Lautverschiebung trennten sich sämtliche germanische Einzelsprachen in gleicher Weise vom indogermanischen Sprachverband und wandelten systematisch das Konsonantensystem des Indogermanischen ab (vgl. Sowinski 1974).
3.1 Gesetzmäßigkeiten der ersten Lautverschiebung
Betroffen von diesem Wandel waren die indogermanischen stimmhaften Verschlußlaute bzw. Plosive, die stimmhaften behauchten bzw. aspirierten Plosive, sowie die stimmlosen und die stimmlosen aspirierten Plosive. Nach „lautphysiologisch begründeter Ansicht“ (Hengartner/ Niederhauser 1993, S. 117) der junggrammatischen Schule - eine gegen Ende des 19. Jahrhunderts zusammengekommene Gruppe junger, engagierter Sprachwissenschaftler - ging der Lautwandel in drei Schritten vor sich: Im ersten Schritt wandelten sich die indogermanischen stimmlosen Plosive p, k und t, sowie die selteneren indogermanischen stimmlosen aspirierten Plosive ph, kh und th zu den germanischen stimmlosen Reibelauten bzw. Frikativen ƒ, c ( h) und þ, welches in etwa wie ein stimmloses th im Englischen ausgesprochen wird. Zur Verdeutlichung seien an dieser Stelle folgende wortverwandte Vokabeln als Beispiel angeführt: aus dem altindischen pitár wird das gotische ƒadar - neuhochdeutsch
Vater und aus dem lateinischen tres das gotische þreis - neuhochdeutsch drei (vgl. Ulrich 1987).
Bei den Verknüpfungen sp, sk und st, wurden die Plosive p, k und t aber nicht verschoben. Ebenso verhielt es sich mit dem t, sofern es im Wort direkt nach einem k oder p auftauchte. Da hier im Falle einer den Gesetzmäßigkeiten folgenden Lautverschiebung zwei Frikative aufeinander gefolgt hätten, wurde diese Ausnahme offensichtlich aus artikulatorischen Gründen sinnvoll (vgl. Szemerényi 1989). Die indogermanischen stimmhaften aspirierten Plosive bh, dh und gh wurden im zweiten Schritt zu den germanischen stimmhaften Frikativen b, d und g. So wandelte sich z.B. das altindische Wort bhr ª tar zum gotischen br Û t ar, was im Neuhochdeutschen Bruder bedeutet (vgl. Hengartner/ Niederhauser 1993) .
Im dritten und letzten Schritt verschoben sich schließlich die indogermanischen stimmhaften Plosive b, d und g zu den germanischen stimmlosen Plosiven p, t und k. Folgendes entlehntes Beispiel zeigt den Wandel vom d zum t : so ist aus dem lateinischen decem das englische ten entstanden ( vgl. Sowinski 1974 ).
Vor dieser ersten Lautverschiebung kam im Germanischen nur ein Frikativ in Form eines dentalen s vor. So fällt auf, daß im Laufe des oben genannten Prozesses die germanische Sprachgruppe eine verhältnismäßig große Menge an Frikativen hinzugewann. Da außerdem kein lateinisches Lehnwort in diesen Prozess des Lautwandels einbezogen war, läßt dies den Schluß zu, daß die erste Lautverschiebung im Großen und Ganzen vor einem Zusammenstoß der Germanen mit den Römern vollzogen worden ist (vgl. Hengartner / Niederhauser 1993).
3.1.1 Das Vernersche Gesetz
Bei seinen Studien über die germanische Lautverschiebung stieß Jacob Grimm auf eine Lautentwicklung die er als grammatischen Wechsel bezeichnete. Erklären konnte er diesen grammatischen Wechsel jedoch nicht. Erst der Däne Karl Verner, seines Zeichens ein Experte der slawischen Sprachen, fand gegen Ende des 19. Jahrhunderts eine Erklärung für diese Lautentwicklung, die später als Vernersches Gesetz bekannt wurde. In den folgenden Zeilen seien diese Lautentwicklung und das Vernersche Gesetz kurz dargestellt.
Die indogermanischen stimmlosen Plosive p, t, sowie das k wurden nicht in allen Fällen endgültig zu den stimmlosen Frikativen ƒ, þ und c, sondern verschoben sich unter bestimmten phonetischen Verhältnissen gleich weiter zu den stimmhaften Frikativen b, d und g, die sich ihrerseits später zu den stimmhaften Plosiven b, d und g entwickelten (vgl. Sowinski 1974).
Verner erkannte, daß diese Weiterverschiebung immer genau dann der Fall war, wenn einer der benannten stimmlosen Frikative im Wort unmittelbar nach einem aspirierten Vokal, welcher auch als „Fortisvokal“ bezeichnet wird, oder einer stimmhaften Konsonanz auftauchte, d. h. wenn er in stimmhafter Umgebung stand. Außerdem durfte die den stimmlosen Frikativa direkt vorangehende Silbe nicht den Akzent tragen bzw. mußte unbetont sein (vgl. Back 1991).
Noch in unserem aktuellen Neuhochdeutsch vollziehen wir noch bei einigen Verben diesen grammatischen Wechsel. So wird z.B. in den Vergangenheitsformen - im Aktiv, wie auch im Passiv - aus ziehen zogen bzw. gezogen und aus schneiden wird schnitten bzw. geschnitten.
3.1.2 Der Rhotazismus
Eine Bestätigung für Verners Erklärungen lieferte ihm der Folgende, ein als „Rhotazismus“ bezeichneter, ebenfalls historischer Lautwandel. Das aus dem Indogermanischen übernommene stimmlose s wurde nach den gleichen beschriebenen Gesetzmäßigkeiten behandelt. Entweder blieb das s direkt nach einer Betonung bzw. nach dem Akzent ein stimmloser Frikativ oder es wurde unter den oben angeführten Bedingungen zu einem stimmhaften Frikativ abgewandelt, wie es z.B. heute in dem Adjektiv böse vorkommt (vgl. Szemerényi 1989).
3.2 Ursachen und Gründe für die erste Lautverschiebung
Über die Ursachen und Gründe, die zur ersten Lautverschiebung geführt haben könnten, ist sich die Wissenschaft noch in vielen Punkten uneinig. Eindeutig ist jedoch, daß eine Erklärung rein phonetischer Natur die Ursachen und Gründe nicht hinreichend erläutert. Als gesichert - doch keineswegs als einziger Faktor für die Entstehung der germanischen
Lautverschiebung - gilt die Tatsache, daß nach kriegerischen Auseinandersetzungen zweier anderssprachiger Parteien sprachliche Mischungs- und Ausgleichsvorgänge unterschiedlichen Ausmaßes einsetzen, die neue Einzelsprachen oder auch Sprachgruppen ausbilden können (vgl. Sowinski 1974).
4. Die zweite Lautverschiebung
Die zweite Lautverschiebung setzte ungefähr im fünften Jahrhundert nach Christus ein und fand ihren Abschluß im achten Jahrhundert nach Christus. Anders als im Verlauf der ersten, wurde während der zweiten Lautverschiebung nicht der gesamte germanische Sprachraum erfasst, sondern nur die ober- bzw. süddeutschen Sprachgruppen vollständig und die mittelhochdeutschen teilweise. Das nord- bzw. süddeutsche Gebiet, sowie der restliche germanischsprachige Raum vollzog die Verschiebung nicht. Es waren also nur die Dialekte des süddeutschen Raumes komplett in den Prozeß der zweiten Lautverschiebung einbezogen. In ihrem Verlauf gliederte sich das Althochdeutsche, aus welchem sich im Laufe der Zeit das Neuhochdeutsche entwickeln konnte, aus dem Gemeingermanischen aus. Auf Grund dessen werden die zuerst einbezogenen Dialekte in der historischen Sprachwissenschaft als Stammväter für eine Ausprägung des heutigen standarddeutschen Sprachguts angesehen, weshalb die zweite Lautverschiebung auch als hochdeutsche Lautverschiebung bezeichnet wird (vgl. Linke/ Nussbaumer/ Portmann 1996).
Wie anfangs angedeutet traten auch bei diesem Phänomen Veränderungen im Konsonantensystem ein.
4.1 Gesetzmäßigkeiten der zweiten Lautverschiebung
In den phonetischen Wandel der zweiten Lautverschiebung waren ausschließlich die germanischen stimmlosen Plosive p, t und k, sowie die germanischen stimmhaften Plosive b, d und g involviert. Es verschoben sich die germanischen stimmlosen Plosive p, t und k entweder zu den Affrikaten pf, tz und kch oder zu den doppelten Frikativen ff, zz und hh.
Die germanischen stimmhaften Plosive b, d und g wandelten sich im Althochdeutschen zu p, t und k ; z.B. wurde aus dem altsächsischen Verb bëran das althochdeutsche përan - zu Neuhochdeutsch tragen - , daß altsächsische dohter verschob sich zum Althochdeutschen tohter - Neuhochdeutsch Tochter - und das altsächsische Wort für geben, geban, wandelte sich im Althochdeutschen zu keban (vgl. Sowinski 1974).
Die Verschiebung zu den Affrikaten pf, tz und kch trat genau dann ein, wenn p, t und k im Wortanlaut, im Inlaut und Auslaut nach den Konsonanten l, r, m oder n und der Verdopplung bzw. Doppelkonsonanz pp, tt oder kk vorkamen. Folgende Beispiele seien zur Verdeutlichung angeführt: aus Germanisch plegan wird das althochdeutsche pflëgan - Neuhochdeutsch pflegen -, die altsächsischen Worte scarp, appul, wekkian, settian, tehan wandelten sich im Althochdeutschen zu scarpf (scharf), appul (Apfel), wekchan (wecken), sezzen (setzen), zehan (zehn) (vgl. Hengartner/ Niederhauser 1993).
Standen die stimmlosen Plosive p, t und k allerdings im Inlaut eines Wortes zwischen Vokalen und im Auslaut nach einem Vokal, wurden sie zu den Doppelfrikativen ff, zz und hh. Unter diesen Bedingungen wurde beispielsweise aus dem altsächsischen slãpan, slãffan im Althochdeutschen
- zu Deutsch schlafen - , aus dem altsächsischen ëtan - Neuhochdeutsch essen - das althochdeutsche ëzzan und so ist auch das althochdeutsche Wort mahhõn - machen - aus dem altsächsischem Verb makõn hervorgegangen (vgl. Sowinski 1974 und Ulrich 1987).
Allerdings wurden die Konsonanten p, t, k nicht immer wie oben erklärt abgewandelt. In den Verknüpfungen sp, st, ft, ht, tr und sk blieben sie erhalten.
4.2 Ursachen und Gründe für die zweite Lautverschiebung
Auch im Fall dieses Lautwandels können noch keine eindeutige Erklärung über die Ursachen und Gründe, die zur zweiten Lautverschiebung geführt haben, geliefert werden. Wie bei der ersten, steht die Wissenschaft bei der zweiten Lautverschiebung ebenfalls vor einem „Erklärungsproblem“ (Linke et al. 1996, 385); zum einen, weil die bekannten Primärquellen auf Grund ihrer Indifferenz zu den Ursachen und Gründen lediglich die Gesetzmäßigkeiten der zweiten oder ersten Lautverschiebung offenlegen und zum anderen, weil sämtliche Erklärungsansätze im besten Fall einen möglichen Faktor in einer Reihe von Faktoren umschreiben oder den stichhaltigen, wissenschaftlichen Beweis schuldig bleiben. So versuchte man beispielsweise im 19. Jahrhundert die hochdeutsche Lautverschiebung anhand der Luftveränderung bzw. der Veränderung des Luftdruckes zu erklären, welche die Südgermanen bei ihrem Vormarsch in das Gebiet der Voralpen erfuhren. Heute hat man sich von derartigen Versuchen eines Erklärungansatzes distanziert und beruft sich auf die erwiesenen Fakten (vgl. Kapitel 3.2).
So ist zur Zeit nur der Ausgangspunkt der zweiten Lautverschiebung in Form der Langobarden-, Bayern- und Alemannengebiete bewiesen (vgl. Linke et al. 1996), jedoch bleibt das „Warum“ in seiner Ganzheit noch immer ungeklärt.
5. Schlußbetrachtung
Wie eingangs schon angedeutet wurde, vermitteln die Begrifflichkeiten „erste und zweite Lautverschiebung“ und auch der Aufbau und die
Methodik der Abschnitte 3. - 4. Den Eindruck, daß es sich bei den Lautverschiebungen um Prozesse handelt, die eng miteinander verbunden sind. Doch dem ist nicht so. Schon die Ausführungen am Ende des Kapitels 2. machen deutlich, daß der von der Annahme, die Lautverschiebungen würden eng zusammenhängen, überzeugte Jacob Grimm bei ihrer Benennung irrte. Beide Lautwandelprozesse sind unterschiedlich geartet, auch wenn am Abschluß beider, im weitesten Sinne gravierende Veränderungen in den Konsonantensystemen der betreffenden Sprachgruppen standen.
So fällt z.B. auf, daß während der ersten Lautverschiebung ein indogermanischer Konsonant sich zu einem bestimmten germanischen Konsonant wandelte und zwar in der Regel gänzlich unabhängig von seiner Umgebung, sowie von der Position, die er im Wort inne hatte. Anders verhielt es sich dagegen bei der zweiten Lautverschiebung. Neue Konsonanten im Althochdeutschen entstanden aus bestimmten germanischen Konsonanten, wobei ihr Wandel abhängig war von ihrer Umgebung und ihrem Standort im Wort.
Zudem unterscheiden sich die Lautverschiebungen sehr in ihrer „geographischen“ Beschaffenheit. So war die erste Lautverschiebung ein gesamtgermanisches Phänomen, d.h. sämtliche germanische
Einzelsprachen waren in den Ablösungsprozess aus dem Indogermanischen involviert und folgten dabei dem gleichen Schema. Demnach waren die Ergebnisse konform. Die zweite Lautverschiebung betraf bei weitem nicht die gesamte germanische Sprachgruppe, sondern nur einen vergleichsweise geringen Teil. Außerdem unterschied sich die Intensität der Wandlung bei den einbezogenen Sprachen erheblich. So hat es also kein einheitliches Ergebnis gegeben, sondern mehrere die miteinander nicht konform gingen. Desweiteren stößt der nach Ursachen und Gründen für die Lautverschiebungen suchende Leser bei der Lektüre dieser Arbeit auf keine plausible Erklärung. Das liegt daran, daß es keine plausible Erklärung für diese Phänomena gibt. Zwar sind sich die Gelehrten darüber einig, daß es sprachinterne und sprachexterne Faktoren für die Ausbildung der Lautverschiebungen gegeben haben muß, doch welche im einzelnen genau dafür verantwortlich waren, wie sie sich gegenseitig bedingt und beeinflußt
haben, ist bis heute unklar. Wie oben beschrieben steht die Wissenschaft also vor einem „Erklärungsproblem“ (Linke et al. 1996, 385). Am Schluß sollte nochmals erwähnt sein, daß die Lautverschiebungen zusammen (!) mit anderen, ebenso bedeutenden Lautwandelprozessen, die Entwicklung unserer heutigen deutschen Sprache ermöglicht haben.
6. Literaturverzeichnis
Back, Michael (1991): Die synchrone Prozessbasis des natürlichen
Lautwandels. Herausgegeben von Joachim Göschel. In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik - Beihefte, Band 71. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 1991, 122 - 129
Gipper, Helmut/ Schmitter, Peter (² 1985): Sprachwissenschaft und
Sprachphilosophie im Zeitalter der Romantik - ein Beitrag zur Histographie der Linguistik. Tübinger Beiträge zur Linguistik, Band 123. 2. , verbesserte Auflage. Gunter Narr Verlag, Tübingen, 28 - 32/ 54 - 59
Hengartner, Thomas/ Niederhauser, Jürg (1993): Phonetik, Phonologie und phonetische Transkription _ Grundzüge, Begriffe, Methoden und Materialien. Reihe Studienbücher Sprachlandschaft, Band 4. Verlag Sauerländer, Aarau/ Frankfurt a.M./ Salzburg, 113/ 117 - 119
Linke, Angelika/ Nussbaumer, Markus/ Portmann, Paul R. (³ 1996): Studienbuch Linguistik. Reihe Germanistische Linguistik, Band 121.
3. , unveränderte Auflage. Max Niemeyer Verlag, Tübingen, 366 - 387
Löhken, Sylvia C. (1997): Deutsche Wortprosodie - Abschwächungs- und Tilgungsvorgänge. Studien zur deutschen Grammatik, Band 56. Stauffenburg Verlag, Tübingen, 73 - 76/ 98- 101
Sowinski, Bernhard (² 1974): Grundlagen des Studiums des Germanistik - Sprachwissenschaft, Teil 1. 2. , überarbeitete Auflage. Böhlau Verlag, Köln/ Wien, 20/ 37/ 55f/ 102 - 122/ 143f
Szemerényi, Oswald (³ 1989): Einführung in die vergleichende Sprachwissenschaft. 3. , vollständig neubearbeitete Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 14 - 31
Ulrich, Winfried (4 1987): Wörterbuch - Linguistische Grundbegriffe.
4. , erneut bearbeitete und erweiterte Auflage. Verlag Ferdinand Hirt, Unterägeri, 68/ 108/ 152/ 200
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- Anonym,, 2000, Die Lautverschiebungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104956