Franz Grillparzer:"Jugenderinnerung im Grünen" - Eine Interpretation


Hausarbeit, 2001

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Franz Grillparzer: "Jugenderinnerung im Grünen"

1 Einleitung

Im Rahmen dieser schriftlichen Arbeit wird Franz Grillparzers Gedicht “Jugenderinnerung im Grünen” interpretiert. Dies geschieht hauptsächlich Anhand einer inhaltlichen Analyse. Die formale Analyse möchte ich der inhaltlichen zwar voran stellen, sie soll aber nur die wichtigsten Aspekte kurz aufzeigen. Da der Rahmen dieser Arbeit festgelegt ist, werden sich die formalen Ausführungen auf einige wenige Beispiele beschränken. Die sehr bilderreiche Sprache die verwandt wird, setzt das Erläutern oder vielmehr das Auflösen der Metaphern und Vergleiche in den Mittelpunkt der Arbeit.

Des weiteren werde ich zur Angabe von Strophen römische Ziffern, zur Angabe von Versen arabische Ziffern verwenden, wobei die Verse von 1 bis 192 durchgehend nummeriert sind.

2 Formale Analyse

2.1 Äußere Form

Das Gedicht ist aufgeteilt in zwei Abschnitte. Der erste Teil umfasst 27 Strophen (I bis XXVII) und der zweite 21 Strophen (XXVIII bis IIL). Jede Strophe hat vier Verse. Das Reimschema ist durchgehend ein Kreuzreim (abab). Das Metrum in den Versen ist, mit Ausnahme von Vers 28, ein fünfhebiger Jambus.

„Dies íst die Bánk, dies sínd diesélben Bäúme,”

(Das Zitat wurde verändert um die Hebungen im Vers zu zeigen)

Vers 28 ist der einzige mit sechs Hebungen im ganzen Gedicht. Die damit verbundene exponierte Stellung ist hauptsächlich an inhaltlichen Aspekten festzumachen, auf die ich jedoch später noch eingehen möchte. Die ansonsten vorhandene Regelmäßigkeit lässt sich auch am durchgehend verwendeten alternierenden Vers festmachen. Trotzdem ist das Gedicht zu keiner Zeit monoton. Die Möglichkeit einer einkehrenden Langeweile unterbindet Grillparzer durch eine geschickte Verwendung des Rhythmus´.

2.2 Verwendete Stilmittel

2.2.1 Rhythmus

Da, wie wir im weiteren Verlauf sehen werden, zwar sehr viele Stilmittel verwendet werden, die meisten jedoch nur nach mehrmaligem Lesen und einer Analyse des Gedichtes Bedeutungstragende Momente sind, sollten wichtige Verse durch ein anderes Mittel für den Leser hervorgehoben werden. Dafür wird der Rhythmus genutzt. Normalerweise hat ein fünfhebiger jambischer Vers nicht mehr als zwei bis drei Betonungsgipfel, welche eigentlich immer mit der Hebung auf eine Silbe fallen. Eine Ausnahme bildet der Versanfang, an dem ein Betonungsgipfel liegen kann. Genau dieses Mittel ist hier verwendet worden um bestimmte Verse aus dem Gesamtinhalt hervorzuheben.

„Hart hinter her der Missgunst lange Zeile” (161)

Wir haben hier eine Betonung auf dem Wort „Hart”, das heißt der Rhythmus weicht vom Metrum ab. Da es sich hierbei trotzdem um einen fünfhebigen Jambus handelt, kann man diesem Vers einen Sonderstatus einräumen. Das inhaltliche Gewicht, welches Grund für den Rhythmuswechsel ist, möchte ich weiter unten aufzeigen. Ebenso soll auch mit anderen Versen, in welchen sich dieses Stilmittel wiederfindet, verfahren werden.

2.2.2 Reiner und unreiner Reim

Der in 2.1 aufgeführte Kreuzreim zieht sich durch das ganze Gedicht und ist bis auf wenige Stellen ein reiner Reim. Ein unreiner Reim tritt an folgenden Stellen auf:

1. gefügt - wiegt (II)
2. dir - dafür (XII)
3. Geschick - Glück (XXXI)
4. Gerät - entgeht (XLII)

Unreine Reime werden häufig zur Darstellung von Gegensätzen verwendet, so auch hier. Die entstehenden Gegensätze sind in diesem Maße nicht relevant, um einzeln betrachtet zu werden, es wird sich im Rahmen der inhaltlichen Analyse jedoch der Sinn einiger dieser unreinen Reime wiederfinden.

2.2.3 Bilder

Wie schon in der Einleitung erwähnt, bedient sich Grillparzer vieler bildlicher Darstellungen, die oftmals so gewählt sind, dass Ausflüge in die Geschichte der griechischen Mythologie, der Religion, der Philosophie oder einfach auch der Menschheit, keine Seltenheit sind. An vier Beispielen möchte ich kurz aufzeigen, wie reichhaltig Grillparzers Bildersprache ist:

1. „Des Wirkens goldne Tore stehen offen,” (15) ist metaphorisch für die Schaffenskraft die man sich zu eigen machen kann. Wichtig ist hier, die Tore, die offen stehen sind aus Gold, das heißt der Wert der nutzbaren Schaffenskraft steigt durch dieses Bild.
2. „Empört von seines Heiligsten Verrat.” (160) Der heiligste Verrat als Allegorie des Sündenfalls (Genesis 3, Altes Testament).
3. „Sich selber träumte Sehnsucht, gleich Narzissen,” (63) Narzissen sind eine Metonymie des Narzissmus, das heißt der Selbstliebe oder Ich-Bezogenheit.
4. „Um, wie Antäus, zu erstehn in Kraft.” (172) Dies ist ein Vergleich zur griechischen Mythologie. Antäus (griechisch Antaios) war ein Riese, der durch Kontakt zur Erde Kraft erlangte und dadurch, bei stetigem Bodenkontakt, unbesiegbar war.

Weitere Bilder möchte ich im Laufe der Inhaltsanalyse auflösen.

2.2.4 Weitere Stilmittel

Strophe III eignet sich wunderbar zur Darstellung weiterer Stilmittel. Betrachtet man die Anfänge der ersten beiden Verse, so fällt einem eine Anapher auf, welche die einzige im ganzen Gedicht ist und somit der Strophe eine exponierte Stellung zuweist.

„Gestalten Geister” ist eine Alliteration. Eine weitere Alliteration findet sich in Vers 18:„gereift, gewogen”.

Was an der Strophe III sehr auffällt ist die formale Zweiteilung, eben durch die Anapher in den ersten beiden Versen und dem gleichen Präfix am Anfang der anderen beiden Verse.

„Schöpferlust” ist ein Beispiel für die gern verwendeten Neologismen bei Grillparzer. Die Bedeutung hier lässt Geistliches und Weltliches miteinander verwachsen. Der Schöpfer, indem man den kreativen Geist sieht, welcher zu der Entstehung, wovon auch immer, beiträgt. Die Lust ist in weltlichem Sinn unerlässlich zur Schöpfung, da selten eine Notwendigkeit zur Schöpfung, also zum Erschaffen, besteht.

3 Inhaltliche Analyse

3.1 Thema und Hauptmotive

Die Situation, in der wir uns zu Beginn des Gedichts wiederfinden, lässt sich kurz beschreiben. Eine männliche Person sitzt auf einer Bank und erinnert sich an die Vergangenheit. Vor vielen Jahren saß er schon einmal auf dieser Bank („Dies ist die Bank, dies sind dieselben Bäume,” (1)), voll von jugendlichen Ideen und Visionen vom Leben. Das Leben hat ihn über die Jahre hinweg immer wieder aufs neue gezeichnet. Die Enttäuschungen, welche er erlebte, sind wohl das Hauptmotiv in seinen Gedanken. Natürlich geht einer Enttäuschung immer ein gutes Gefühl voraus, deshalb sind als weitere Hauptmotive die Liebe, die Freundschaft und die Kunst (Dichtung) zu nennen. Der Ursprung der Motive liegt in den Jugendträumen, diese führen zum Kontakt mit Liebe und Freundschaft. Die anderen beiden Hauptmotive sind das Resultat daraus.

3.2 Zeitstruktur

Es gibt zwei Zeitstrukturen innerhalb des Gedichts:

1. Die Zeit beginnend bei den Erinnerungen des Mannes, bis zu deren Ende. Diese Zeit ist wichtig für die psychische Situation, in der sich der „Erzähler befindet.

2. Die Zeitstruktur der Erzählung, welche in sich nochmals in fünf Teile aufgegliedert wird:

I. Der Junge mit dem Schulbuch in der Hand, sitzend auf einer Bank und träumend

II. Das Heranwachsen zum Mann

III. Die Freundschaft

IV. Die erste Liebe

V. Die zweite Liebe

VI. Die Zeit des Dichtens

Die Längen der einzelnen Zeitabschnitte kann ich nicht angeben, da keine konkrete Angabe gemacht wird.

3.3 Erster Abschnitt

3.3.1 Jugendträume contra Realität

Um die damalig reale Welt, von der Gedankenwelt des Jungen abzugrenzen, schafft Grillparzer zunächst eine Alltagssituation. Der Junge hält ein Schulbuch in der Hand welches von dem Adjektiv „dunkel” begleitet wird. So wird das Buch zur Last für den Knaben. Der nächste Vers gibt Aufschluss darüber, warum das Buch eine Last ist: „Der Prüfung bang,” (3). Vers 5 und 6 unterstreichen zusätzlich den Unmut des Jungen. Unter der Verwendung der Adjektive „finster” und „schwer” entsteht eine beinahe unerträgliche Lernsituation. Die „fremden Worte” (6) zeigen zusätzlich wie das Verstehen des Lernstoffes den Jungen sehr viel Anstrengung kostet, da es sich wohl um unbekanntes Material handelt.

Demgegenüber stehen die „Frühlingsträume”, die dem Jungen den Kopf füllen. Der Wortstamm Frühling ist besonders zu betrachten. Er steht der Dunkelheit und Schwere des Schulbuches gegenüber, da er etwas Junges, Buntes, Wachsendes, Schönes Verkörpert.

In Vers 7 gibt der Knabe dann für einen Moment seiner Träumerei nach und blickt „hinauf” zu den Baumwipfeln über ihm. Dieses „hinauf”, weg vom schweren, dunklen Buch, den Blick gen Himmel richtend, scheint wie eine Erlösung zu sein. Die Situation lockert sich auf. Die „frischen Blättern” (7) und der „Westwind” (8), der sich in ihnen „spielend wiegt” (8) stellt eine Verbindung zu den „Frühlingsträumen” (3) her. Durch die Einswerdung vom Geist des Jungen mit seiner Umwelt verliert das Buch jegliche Bedeutung.

3.3.2 Vision vom Leben

Dies ist ein Schlüsselmoment des Gedichts. In Gedanken verloren hat der Knabe eine Vision vom Leben. Vision nenne ich diesen Umstand, weil in Vers 11 und 12 die Ausdrücke „Erschienen ihm” und „Erklangen ihm in ahnungsvoller Brust.” visionären Charakter haben.

Zum einen sieht er die Freiheit des Geistes. „Und künftiger Gestalten Geister-Reigen” (9), die Leichtigkeit eines Tanzes, mit der sein Geist das Leben bestreiten wird.

Zum anderen sieht er sein Leben, dass er es in die Hand nehmen und ein Werk daran verrichten soll. „Und künftigen Vollbringens Schöpferlust” (10), darin steckt die Lust, sowie die Kreativität etwas zu schaffen. (Vergleiche 2.2.4)

Dieser Ausblick in die Zukunft bestätigt sich in Strophe IV. „Des Wirkens goldne Tore stehen offen,” (15). Seine Schaffenskraft erlaubt ihm alles zu tun. Dies begleitet ihn auf dem Weg zum erwachsen werden.

Strophe V und VI sind der Übergang von den jugendlichen Visionen in das erwachsene Leben und damit beginnen auch die Enttäuschungen. Wichtig dabei sind die Vergleiche, die zur jugendlichen Vergangenheit gezogen werden unter der dreimaligen Verwendung des Vergleichswortes „wie” in Verbindung mit der Zeitangabe „damals”. Dreimalige Verwendung deshalb, weil Grillparzer zwischen Strophe V und VI ein Komma setzt, welches den Schluss zulässt, dass die beiden Strophen zusammengefasst werden sollen. Diese Interpunktion wiederholt sich im restlichen Gedicht nicht mehr. Der Vergleich, welcher sich hier vollzieht, arbeitet zwei Unterschiede zwischen früher und jetzt heraus:

1. „Zum Mann gereift, gewogen und erkannt,” (18), was einfach den vollendeten Prozess des erwachsen Werdens beschreibt. Dabei fließt sowohl die Sichtweise des Mannes durch das Wort „gereift”, wie auch die Sichtweise dritter durch die flektierten Verben „wiegen” und „erkennen”, mit ein. Wobei die Aussage „Zum Mann [...] gewogen” (18), gleichbedeutend mit als Mann betrachtet gesehen werden muss.

2. „Bis auf die Träne, die nicht mehr gegeben,”. Wie sich im weiteren Verlauf herausstellen wird, hat der Junge eine Sehnsucht nach dem Dasein als Erwachsener. Jetzt, aus der Position eines Mannes betrachtet, ist diese Sehnsucht verflogen.

Darüber hinaus scheint „alles so wie damals” (24) zu sein. „Ungnügsam Herz, warum bist Du beklommen?” (25). Zum „Herz” ist zu sagen, das verwendete Bild trägt alle Wünsche und Illusionen, die in der Jugend entstanden sind. Diese sind alle so eingetreten wie in Strophe III angekündigt. „Die Stunde der Erfüllung ist gekommen”, das heißt der lange ersehnte Moment ist da. Dennoch liest man in der Frage in Vers 25 eine Unzufriedenheit. Das „Herz”, beziehungsweise der vergangene Wunsch im Herz sucht nach einer Ursache für die entstandene Beklommenheit.

Demgegenüber steht der Vers 28 als Antwort. Es wurde das Erhoffte erreicht. „Du hast es, was dein Wunsch in weiter Ferne sah.” Die unter 2.1 erwähnte Stellung dieses Verses ist bei einer grammatischen oder stilistischen Betrachtung zwar zu erkennen, allerdings nur schwer zu deuten. Die Gefühle, welche beim Lesen vermittelt werden, sind ausschlaggebend für das Verständnis. Verzweiflung ist das stärkste Gefühl in diesem Vers. Diese Verzweiflung, diese Zweifel an das Geschehene, versucht Grillparzer als zynische Fragen an das „Herz” zurückzugeben.

3.3.3 Zweifel

Die gestellten Fragen in den Strophen VIII bis XI möchte ich nicht alle einzeln analysieren, da dies den Rahmen sprengt. Deshalb möchte ich voraussetzen, dass diese vier Strophen in ihrem Inhalt, die Jugendträume und Illusionen des Mannes anzweifeln. Hier soll in vier Punkten jede Strophe kurz aufgegriffen und ihr Hauptaspekt gezeigt werden:

1. In Strophe VIII lässt sich der erste mit Selbstkritik vollgepackte Zweifel erkennen. Die Jugend enthielt zu viel Naivität und zu wenig Lebenserfahrung um die Gestalt der zeitlichen Entwicklungen erkennen zu können. Statt dessen hatten die Jugendträume ein Ziel, zu dem mit Bildern der jugendlichen Phantasie hingearbeitet wurde. Daraus entstand eine Vorstellung, die nur die finale Gestalt, nicht aber ihr Werden betrachten konnte:„Das Kleid nur dessen, was dir wünschenswert?”

2. Die zentrale Frage in Strophe IX liegt im Sinn des Getanen. Er zweifelt daran, ob das, was er wollte und das, was er getan hat, wirklich einher ging (35, 36). Dabei ist das Geschaffene in einem zu egoistischen Rahmen entstanden (33, 34). Die Selbstlosigkeit und der Sinn im Gemeinwohl werden vermisst.

3. Sein Streben nach den Dingen, die seinen Lebensinhalt füllen sollten sind in dem Wort Anerkennung („Ehr und Ruhm” (37)) zusammen zu fassen. Dieses Streben ist, wie die anderen Dinge auch, in seiner infantilen Naivität, welche erfüllt war von Leichtsinn („jugendlich” (38)), entstanden. Die letzten beiden Verse der hier angesprochenen Strophe X erläutern, wie das Streben nach Anerkennung entstanden ist, nämlich durch eine Vermischung seiner Selbstbetrachtung, mit der Betrachtung aller anderer Menschen an ihn.

4. Die XI. Strophe macht eine Aussage über die Art, wie der heranwachsende Mann einzelne Situationen überbewertet. „Hast, wo sie schimmert, du geträumt von Sternen?” (43) Zum einen steckt hier die Naivität, mit der er aus einem kleinen Ereignis große Hoffnungen schöpft: Der Schimmer wird zum Stern. Gleichzeitig aber wird auch die Unerreichbarkeit dieser erhofften Dinge, in den Sternen verkörpert.

Einen Übergang von den Zweifeln in die Begründung der Unzufriedenheit stellt die Strophe XII dar. Der Grund für die Zweifel an der Entwicklung der Dinge wird verlagert, von der jugendlichen Naivität ans Leben, aufs das Leben selbst:„O Trügerin von Anfang, du, o Leben!” (45) „Ein reiner Jüngling” (46), das heißt ein Junge der unschuldig und frei von Vorurteilen ist, wird vom Leben durch „Trug und Täuschung” gezeichnet. Damit ist zum Hauptmotiv, der Enttäuschung, hingeführt. Diese Enttäuschungen werden nun im Einzelnen beschrieben.

3.3.4 Enttäuschungen

3.3.4.1 Freundschaft

Die Freundschaft fällt hier nicht so sehr ins Gewicht. Strophe XIII handelt dieses Thema in aller Kürze ab. Der junge Mann in heranwachsendem Alter schließt eine Freundschaft, die zunächst so positiv ist, er mit seinem Inneren daran hängt:„mein Innres tönte wieder,” (49). Die beiden („Zwei” (50)) schwammen im Meer des Lebens zusammen, wie in Vers 50 beschrieben. Zu einem zeitlich unbestimmten Moment beginnt der gewonnene Freund zu „sinken” (flektiert in Vers 51). In dieses Sinken könnte man viel hineininterpretieren, ich möchte es einfach als negativen Einfluss auf die zwischenmenschliche Beziehung bezeichnen, die Art des Einflusses allerdings offen lassen. Der junge Mann versucht den Freund und die Freundschaft zu retten, dies gelingt allerdings nicht. Beim Versuch nimmt er mehr Schaden als der nunmehr verlorene Freund.

„Er sank, ich hielt ihn noch er zog mich nieder Und rettete ermattet sich ans Land.” (51 / 52) Dadurch, dass nur der andere sich ans Land retten konnte lässt sich die erste schwere Enttäuschung des jungen Manns zeigen. Dies führt zu einer Distanzierung vom Gefühl der Freundschaft.

3.3.4.2 Liebe

„Gewaltger regten sich geheimre Triebe” (53). Es tritt ein Gefühl auf, welches die Enttäuschungen der Freundschaft überschatten kann. Die „Liebe” (55) ist der neu entdeckte Umstand, der das Vergessen leichter macht. „Und einer Holden ging mein Streben nach” (56). In diese Frau verliebt er sich im ersten Moment. Sie „entstammt aus höherm Lichtgefild,” (58) und wird damit zu einem Geschöpf von außerordentlicher Stellung. Diese erste Liebe findet seine ganze Faszination, genau deshalb folgt er ihr auch durch alle Höhen und Tiefen („Durch Berg und Tal” (59)) des Lebens. In Vers 60 verwendet Grillparzer einen Akkusativ an einer sehr ungewöhnlichen Stelle:„das mich floh”. Dieses „mich” widerstrebt dem Faktor der Performanz und führt deshalb zu einer Unebenheit beim Lesen. Hier wird eine partielle Aufgabe des Ego zugunsten der Liebe vollzogen.

Diese Liebe findet jedoch ihr Ende in Strophe XVI. Nicht klar ist, ob die hier beschriebenen Umstände nach einer Beziehung oder nach einer kurzen Kennenlernphase liegen. Der „Schleier” der Liebe „war zerrissen” (61). Alle Faszination die in diesem „Engel”-gleichen Wesen steckte wurde durch ihre „Gemeinheit” (62) zerstört. Die „Sehnsucht” (63), die in ihm gewachsen war, wird hier den Narzissen gleich gesetzt, was die Liebe zur Frau mit der Liebe zu sich selbst auf eine Stufe stellt. Doch sowohl die Sehnsucht, als auch das Engelsbild gehen, noch bevor er sie für sich beanspruchen kann, an ihrem Ursprung, „am Quell” (64) zugrunde.

Diese zweite große Enttäuschung versucht er nicht zu bewältigen, sondern verdrängt sie:„Ein Vorhang deckt, die darauf folgt, die Stelle;”. Die „Zwei Sphingen”, sind ein Bild für die nicht zu beantwortenden Fragen, die mit der Enttäuschung aufkommen. Gleichzeitig bewachen sie den Zugang zu den Enttäuschungen. Triebhaftigkeit und grenzenlose Weisheit werden in den Sphingen miteinander verbunden (68). Dabei muss die Weisheit des Götterhauptes, der Triebhaftigkeit des Tierliebes nicht zwingend überlegen sein. Da diese „ruhn”, besteht für den jungen Mann die Gefahr nicht, der Triebhaftigkeit zu unterliegen.

Die zweite große Niederlage in seinem Leben sollte ihm zur Lehre werden, den Geist nicht mehr von der Triebhaftigkeit übermannen zu lassen:„Das Ende wär als Anfang gut genug,”. Doch der Lerneffekt bleibt aus (71 / 72), da die nächste Liebe sofort folgt und damit das Vergessen des Vorhergegangenen unterstützt.

Mit der XIX. Strophe beginnt die neue Liebe. Die nun gefundene Frau scheint perfekt zu sein. Es kommt keine andere mehr in Frage:„nur Die!” (76) Die folgenden zwei Strophen beschreiben den altruistischen Charakter der Frau. Sie verkörpert alles Gute in sich und für den Rest der Menschheit (83 / 84).

Vers 85 ist der Moment, in dem sie sich in einer glühenden („Glutumfassen”) Liebe wiederfinden. Die hier verwendete Darstellung lässt auf Grund der Glut den Gedanken an Eisen zu. Im 86. Vers wird das „Eisen der Liebe”, beziehungsweise die zwei „Eisen der Liebe”, geschmiedet, sie sind jedoch „unzerstörbar” (87) und „schmilzen” (flektiert in 88) auch in den „Flammen” (87) nicht, das heißt, es tritt keine Zustandsveränderung, egal unter welchem Einfluss, ein. Dies ist der Umstand, durch den diese Liebe auch dem Untergang geweiht ist. Da beide in ihrem Zustand nicht veränderbar sind, ist eine gegenseitige Anpassung nicht möglich. „Sie wollte gern ihr tiefstes Wesen lassen,” und kann sich ihm nicht weiter als schon geschehen, annähern. Ihre Verbundenheit miteinander ist so stark (92), dass sie beide das Bestreben haben die Liebe auf ewig festzuhalten (93 / 94). Alle Bemühungen sind umsonst (95), sie sind zu verschieden (96). So leben sie sich in Strophe XXVI so weit auseinander, dass ihr Leben nur noch von kleinlichen (99) Streitereien bestimmt wurde:„neues Quälen brachte jeder Tag” (100).

Was der junge Mann aus der ersten Liebe und ihrer Enttäuschung nicht mitgenommen hatte, musste er auf schmerzliche Weise in der zweiten lernen. Seine Konsequenz daraus ist:„Da ward ich hart.” (101) „Im ewgen Spiel der Winde” (101) verweist an dieser Stelle zurück auf den Anfang des Gedichts, auf den Ort an dem er seine Jugendträume hatte. Diese werden im folgenden Vers dann negativ belegt. Desweiteren wird die logische Konsequenz, nämlich das Abstumpfen gegenüber der Liebe aufgezeigt:„Umzog das stärkre Bäumchen sich mit Rinde,” (Diese Passage führt unweigerlich zu Gedanken an den Sozialdarwinismus, auf die ich aber aus Platzgründen hier nicht eingehen kann).

Die XXVII. Strophe schließt zugleich die Thematik der Liebe, sowie den ersten Abschnitt. Die Zweifel des ersten Abschnittes werden hier ganz knapp in Vers 107 und 108 zusammengefasst. Das Schöne, welches sich zum Beispiel in der Liebe wiederfindet, muss offensichtlich der Wirklichkeit weichen. Da dies als Frage formuliert ist, bleiben Möglichkeiten offen, die nun im zweiten Abschnitt beleuchtet werden.

3.4 Zweiter Abschnitt

3.4.1 Dichtung contra Realität

„Auch dort nicht heimatlos, in Bild und Worte” (109). Die Aussage „nicht heimatlos” bringt zum Ausdruck, dass der junge Mann einmal mehr eine Nische gefunden hat, in der er sich geborgen fühlt. „Bild und Worte” bezieht sich auf die Dichtung und die Lautmalereien in ihr. Die Verse 110 bis 112 zeichnen seine Flucht in diesen „Hafens schützenden Bereich.” (112)

Um dieser Idee nachgehen zu können vollzieht er einen Ortswechsel, der sich in Strophe XXIX durch zweimalige Verwendung des Wortes „fremder” äußert. An diesem neuen Ort hat er im Traum eine neue Vision, wie zu Anfang des ersten Abschnittes. Jetzt ist allerdings die Umgebung weitaus ruhiger und es entsteht eine gesetzte Atmosphäre, zum Beispiel in der „Wipfel leisem Wehn” (114).

Der Traum zeigt ihm „die hohe Himmelsleiter”, die in philosophischem Sinn ein Hindernis zu einer geistigen Weiterentwicklung ist, welches überstiegen werden muss. Die Geister die „ab- und aufwärts gehn” (116) sind Wesen die sich an dieser Leiter versuchen, beziehungsweise diesen Versuch abgebrochen haben. Das ist das Ziel, welches sich aus dem Traum herauskristallisiert: die Leiter soll bestiegen werden (117), um das Denken auf ein höheres Niveau zu bringen. Die dabei gemachten Erfahrungen (118) gibt er nach dem Aufwachen wieder (119). Der Inhalt, „halb Wahrheit und halb Traum” (120), ist in Form eines Gedichts in Strophe XXXI wiedergegeben.

Die Verse in dieser Strophe sind einzeln zu verstehen. Sie zeigen in chronologischer Folge den Inhalt des zweiten Abschnitts. Zunächst wird in Vers 121 die schlimmste Enttäuschung, die einem gläubigen Menschen geschehen kann, gezeigt. Dies ist der Eintritt in den zweiten Abschnitt. Der Mann findet zur Dichtung und wird, wie wir im weiteren Verlauf sehen, auch durch sie enttäuscht. Doch vorerst wird seine Kunst zum Erfolg.

„Der Hörer, ob auch kalt, entging mir nicht,” (126) spricht über die Qualität seines Werks. Die in Vers 125 von ihm selbst gemachte Bewertung seines Gedichts wird also bestätigt. Ursache dafür ist, dass seine Gedichte, sein Leben und seine Gefühle widerspiegeln (127 / 128).

Liest man die XXXIII. Strophe so bekommt man zunächst den Eindruck, das der Mann seine Gedichte in einer selbstherrlichen Weise bewertet. Bei näherem Betrachten von Vers 130 zeigt sich jedoch, dass es hier nicht um die Kunst der anderen Dichter geht, sondern um die Rezipienten der Gedichte. Die Worte „Ruhm” und „Opferrauch” sind keine Eigenschaften der Dichter, sondern Resultate der Resonanz von Rezipienten. Eben diese Leser der Gedichte kann der junge Dichter für sich gewinnen, wobei er immer selbstkritisch und bescheiden (131 / 132) bleibt.

In Vers 133 wird die Realität zum Stolperstein seiner Dichtung. Sein Werk wird nicht mit seinen Augen gelesen und fällt deshalb der „Nüchternheit in ihrer Blöße” (133) zum Opfer. Damit ist gemeint, dass jeder Leser seiner Gedichte eine andere Art hat, sie zu betrachten. Die Betrachtungsweisen sind meist banal und nicht basal, wie von ihm gedacht. Seine Kunst wird mit dem Mittel des „einfachen Mannes” bewertet (135 / 136). Der hier erzeugte Kontrast liegt einer Gegenüberstellung von mathematischen Bewertungssytemen und literarischer Kunst zugrunde.

Dieser Kontrast wird in Frage gestellt:„Doch kann die Formel Leben je bereiten?” (137) Da sein Gedicht sein Leben widerspiegelt, wehrt er sich gegen eine solche Bewertung. Eine quantitative Erfassung ist folglich auch nicht möglich (138). Die Verse 139 und 140 stellen die Phantasie des Dichters (139) der Realität (140) gegenüber, wobei die Phantasie grenzenlos „über alle Weiten” ragt und die Realität von einem Raum eingeschränkt wird.

Im weiteren zieht er Vergleiche zwischen seinen Empfindungen und Wahrnehmungen und denen seiner Rezipienten. Der „Stumpfsinn” (142), mit dem er die Vergleichspersonen bezeichnet, ist geprägt von seiner Einfachheit. An der Stelle, wo der Dichter eine Vielzahl von Farben, das heißt einen komplexen Umstand, erfasst, sieht der „Stumpfsinn” nur eine oder zwei Farben, beziehungsweise nur die oberflächlich gegebene und direkt erkennbare Einfachheit (141 / 142). Wo Rätsel weitere Fragen aufwerfen, gibt es für den „Stumpfsinn” nur eine naheliegende Lösung (143 / 144).

Mit der Banalität, die er seinen Zeitgenossen unterstellt, weist er ihnen auch eine starke Ignoranz zu. Das Bild in Strophe XXXVII zeigt dies anhand eines Beispiels aus der Natur. Eine Wiese, auf der er Blumen pflückt, wird von eben diesen stumpfsinnigen Mensch rücksichtslos zerstört.

Im letzten Beispiel (XXXVIII) zur geistigen Unterlegenheit der Anderen geht er auf ihre Sprache ein. Er erkennt, dass es keinen Sinn hat sich mit ihnen auseinanderzusetzen, wenn man nicht ihre Sprache spricht, das heißt, sich auf ihren Level herab begibt und damit ein banales Gespräch in Kauf nimmt. Deshalb zieht er für sich den Schluss, nicht an einem Ort mit dem „Stumpfsinn” leben zu können (152).

Seine dichterische Fähigkeit (153) wurde von der Einfachheit der Realität („Rohheit” (154)) geschändet. Dies hinterließ eine „Spur auf den entweihten Wangen” (155). Einen weiteren bleibenden Schaden nimmt sein Gemüt. Es wurde für eine Sache mißbraucht („entwandt” (156)), die es nicht tun wollte.

Der Schaden den er davonträgt ist so schwerwiegend, dass er jeglichen Glauben an seine Jugendträume, die ihn bis dahin begleitet haben, verliert. Alles, was zu diesem Verlust geführt hat, fasst Grillparzer unter dem „Heiligsten Verrat” (160; erklärt in 2.2.3) zusammen. Dadurch wird das Gewicht des angerichteten Schadens, an ihm und seinen Illusionen, klar.

3.4.2 Verzweiflung

Die „Mißgunst” (161), die ihm entgegen tritt, durch seine Schwierigkeit sich dem „Stumpfsinn” anzupassen, wird zum Angriff auf seine Person. Die Waffen, der sich die „Missgunst” bedient sind zu brachial, um sich dagegen zu wehren. Seine Sprache ist nicht ihre Sprache. Angriffe auf ihn treffen doppelt. Zum einen steigert dies seine Enttäuschung durch die Dichtkunst, und zum anderen kann er sich als „Künstler” mit deren sprachlichen und geistigen Mitteln nicht wehren. Wehrt er sich doch mit ihren Mitteln (165 / 166), dann bleibt sein Gefühl im Schreiben zurück (168).

Die Folge ist eine Flucht vor dem Kampf (169). Der Ort der Zuflucht ist die Natur (170). Mit dieser möchte er sich vereinen (171) und, wie „Antäus” (172 erklärt in 2.2.3), seine Kraft von ihr erhalten. Dort soll die Ruhe ihm neue Lebenskraft geben (173 / 174). Sehr auffällig ist, dass sein Leben zu Beginn Freude und Kraft in der Natur gefunden hat (In Strophe I und II geschieht dies zur Ablenkung vom Lernen). In diesem Fall gelingt ihm dies nicht, da er seinen Zugang zur Natur verloren hat (175 / 176). Die Vergangenheit hat ihn verändert, er ist zu selbstherrlich geworden (178), um von der Natur noch lernen zu können (177). Des „Busens Weite” (179), das heißt seine Nüchternheit, trägt mit die Schuld für sein Unverständnis. Dies ist dieselbe Nüchternheit, mit der seine Gedichte betrachtet wurden (XXXIV). Sein Feingefühl ist abgestumpft (180).

Völlige Verzweiflung tritt mit Strophe XLVI ein. Die ganze Welt lässt ihn „schaudern” (flektiert in 181), sie und alles, was mit ihr verbunden ist, macht ihm Angst. Alle Probleme, die mit seiner Welt verbunden waren, nahmen ihm die Lust darin zu leben (183). Genauso massive Probleme waren damit verbunden, dass er die Welt im Gedicht beschreiben wollte, was ebenfalls dazu führte, sich davon abzugrenzen (183). In Vers 184 kann er schließlich sein ganzes Dasein im Anblick der Welt kaum ertragen.

Ebenso Grund zur Verzweiflung gibt ihm sein Inneres. Wie bei Strophe XLV bereits angedeutet, hat sein Denken sich an das der „Nüchternheit” angepasst. Beim näheren Betrachten seiner Denkweisen fällt er in einen Zustand der Angst (186). Es wird ihm klar, dass er die Formen und Denkweisen derer, die ihn enttäuscht haben (188), teilweise adaptiert hat (185).

In diesem Zustand der Verzweiflung findet er sich wieder auf der Bank, unter den Bäumen, „an derselben Stätte”, wie in seiner Jugend (190). Das Nachdenken an diesem Ort ist ihm geblieben (190), dafür hat er über die Jahre hinweg seine jugendliche Naivität, sowie die damit verbundenen Illusionen, verloren. Sein Fazit: Die Erfahrungen, wie auch die Enttäuschungen, die die Jahre mit sich gebracht haben, würde er sofort gegen das Verlorene tauschen (191 / 192).

4 Zusammenfassung

Das Gedicht ist für das Auge des Interpretierenden zunächst erschreckend lang. Die Fülle an verwendeten Stilmitteln gibt sehr viele Interpretationsmöglichkeiten. Besonders hervorzuheben sind die Bilder, welche in allen Variationen hier von Grillparzer angewendet werden.

Der Inhalt des Gedichts fordert mich zu der These auf: Grillparzer spiegelt in diesem Gedicht einen Abschnitt seines Lebens wieder. Deshalb ist es ihm auch möglich, genau wie dem im Gedicht beschriebenen Mann, sehr viele Gefühle bis zur Perfektion zu erzeugen.

5 Literaturverzeichnis

1. Grillparzer, Franz: Gedichte, Stuttgart 1970.

2. Grant, Michael; Hazel, John: Lexikon der antiken Mythen und Gestalten, München, 2000.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Franz Grillparzer:"Jugenderinnerung im Grünen" - Eine Interpretation
Hochschule
Universität Stuttgart
Veranstaltung
Literaturtheorie
Note
1,7
Autor
Jahr
2001
Seiten
14
Katalognummer
V105060
ISBN (eBook)
9783640033577
Dateigröße
364 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit hat Anklang beim Dozenten gefunden, könnte allerdings in den Stilfiguren noch überarbeitet werden.
Schlagworte
Franz, Grillparzer, Jugenderinnerung, Grünen, Eine, Interpretation, Literaturtheorie
Arbeit zitieren
Markus Braun (Autor:in), 2001, Franz Grillparzer:"Jugenderinnerung im Grünen" - Eine Interpretation, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105060

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