Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Motivation für einen Offenen Unterricht
3. Reformpädagogische Modelle als Vorläufer des heutigen Offenen Unterrichts
3.1. Ursprünge der reformpädagogischen Bewegung
4. Merkmale und Elemente Offenen Unterrichts heute im Vergleich zu den reformpädagogischen Vorläufern
4.1 Lehrer- und Schülerrolle im Offenen Unterricht
4.2 Wochenplan im Offenen Unterricht
4.3 Freiarbeit im Offenen Unterricht
4.4 Der Klassenraum im Offenen Unterricht
4.5 Die Arbeitsmittel im Offenen Unterricht
4.6 Projekte im Offenen Unterricht
5. Möglichkeiten und Grenzen Offenen Unterrichts in der Praxis
6. Resümee
1. EINLEITUNG
Die Schule von gestern ist nicht mehr die Schule von heute. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung hat sich die Zielgruppe Schüler gewandelt. Kindheit hat sich sowohl aufgrund geänderter Rahmenbedingungen, Informationsvermittlungen und Umgangsformen als auch aufgrund einer gesteigerten Mobilität verändert. Um Kindern heute gerecht zu werden ist es wichtig, diese Veränderungen und Wandlungen als Grundlage für das Lernen im Blick zu halten. Schule und Lernen müssen sich verstärkt darum bemühen, vielfältige Möglichkeiten zu Eigentätigkeiten und zwischenmenschlichem Umgang zu schaffen. In diesem Zusammenhang ist regelmäßig von der „Öffnung“ des Unterrichts die Rede, die einen großen Teil der Umstrukturierung im Schulalltag einnehmen soll. Offener Unterricht kann als ein Sammelbegriff von Konzepten ( Freiarbeit in Gruppen oder auch allein, Projektunterricht, Wochenplanunterricht ) betrachtet werden, der als Gegenpol zum programmierten Frontalunterricht steht.
In meiner Arbeit werde ich mich gezielt mit dem Begriff des „Offenen Unterrichts“ auseinandersetzten, um die Möglichkeiten und Grenzen aufzuzeigen, die sich im Schulalltag hinter diesem Begriff verbergen. Daher beginne ich mit den Vorläufern des Offenen Unterrichts und den ersten, daraus resultierenden Entwicklungen. Der Ursprung der Forderung nach Offenheit von Schule und Unterricht liegt in der kritischen Auseinandersetzung mit den in den 60er und 70er Jahren entwickelten geschlossenen Curricula. Schon bald wurden die starren Lehrpläne als Nachteil empfunden, da der Unterricht nicht mehr dem einzelnen Kind und seinen individuellen Lernfähigkeiten gerecht werden konnte. Vorbilder für einen offenen Unterricht existierten in dieser zeit bereits in England und den USA (Open Education, Open Classroom). Dort hatten sich Lehrer zusammengefunden, die in praxisorientierten Projekten frühere Reformideen aufgriffen und weiterentwickelten.
Unter Punkt 4 meiner Arbeit werde ich daher die Kriterien eines Offenen Unterrichts heute mit den Konzepten der bedeutenden historischen Vorbilder aus der Reformpädagogik (Freinet, Montessori, Petersen) exemplarisch vergleichen um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu belegen.
Waren anfangs offene und geschlossene Curricula ausschließliche Gegensätze, verlagerte sich die Diskussion um offenen Unterricht in den letzten Jahren immer mehr zu einer Grundsatzfrage nach dem Sinn von Unterricht und Schule innerhalb einer demokratischen Gesellschaftsform. Offener Unterricht resultierte weitestgehend aus der reformpädagogischen Bewegung, die sich gegen die reine Wissensschule wandte und deren Leitgedanke des weiteren Gesellschafts- und Kulturkritik beinhalteten. Die seit Mitte der 70er wieder aufgenommenen Reformpädagogikinhalte beziehen sich weniger auf die kultur- und gesellschaftskritischen Standpunkte, als auf die methodischen Aspekte, wie Gesamt- und Projektunterricht, Freiarbeit und Wochenplan. Diese Methoden werde ich unter Punkt 4 meiner Arbeit näher erläutern um dementsprechend ihre Realisationsmöglichkeiten in der Praxis zu untersuchen.
2. MOTIVATION FÜR EINEN OFFENEN UNTERRICHT
Offener Unterricht ist keine neue Unterrichtsmethode die sich auf einer didaktischen Modewelle begründet, sondern ein pädagogisches Verständnis und eine pädagogische Haltung gegenüber Kindern und Jugendlichen. Wallrabenstein kennzeichnet Offenen Unterricht als Sammelbegriff für unterschiedliche Reformansätze in vielfältigen Formen inhaltlicher, methodischer und organisatorischer Öffnung mit dem Ziel eines veränderten Umgangs mit dem Kind auf der Grundlage eines veränderten Lebensbegriffs. Die Forderung nach der Offenheit von Schule und Unterricht geht zurück auf die kritische Auseinandersetzung mit den in der Zeit der Bildungsreform der sechziger und siebziger Jahre entwickelten geschlossenen Curricula, in der für jede Unterrichtseinheit jede pädagogische Zielsetzung, ihre Umsetzung und die verwendeten Medien präzise festgelegt wurden. Die daraus resultierende Starrheit und mangelnde Anpassungsfähigkeit solcher Curricula an die Situation in der Klasse und die Fähigkeiten der einzelnen Schüler wurden schnell als Nachteil empfunden. Die Vorteile dieser festgelegten Curricula, die Vergleichbarkeit der Schülerleistung und eine Vereinheitlichung der Lernanforderungen, konnten die Nachteile nicht aufwiegen wodurch eine Forderung nach der Öffnung des Unterrichts laut wurde. Nicht nur eine Offenheit für die Anlage und Gestaltung der Curriculummaterialien wurde gefordert, sondern für den Unterricht schlechthin. Der Terminus des Offenen Unterrichts verwischt sich heute schnell mit Begriffen wie handelndes Lernen, schülerorientierter Unterricht, informelles Lernen und ähnliche, wodurch eine genaue Abgrenzung oft schwerfällt und die Offenheit schnell zum Schlagwort avanciert.
Im Offenen Unterricht geht es darum, sich von dem stark lehrerzentrierten Frontalunterricht, der durch starre Vorgaben im Bereich der Lehrziele, Lehrinhalte wie auch Lehrmethoden gekennzeichnet ist, zu lösen und vermehrt Unterrichtskonzepte einzusetzen, die schülerzentriert ausgerichtet sind und die Handlungsfähigkeit des Schülers in den Mittelpunkt zu stellen. Es wird versucht dem Schüler Freiräume zu geben, in denen er sich individuell entfalten kann. Kernziele dieses offenen Konzeptes sind die Ausbildung der Selbständigkeit, der Kreativität, der Kooperationsfähigkeit mit Mitschülern wie auch der Fähigkeit sein eigenes Handeln zu steuern und zu kontrollieren. Anhand dieser übergeordneten Ziele wird deutlich, daß neben den Selbstkompetenzen auch die sozialen Kompetenzen des Schülers ausgeprägt werden sollen.
Oft wird mit dem Begriff des offenen Unterrichts auch das sich Öffnen der Institution Schule zur Umwelt verbunden. Damit ist gemeint, daß zum einen die Schüler durch Exkursionen oder Praktika in die Öffentlichkeit gehen und zum anderen z.B. Fachleute oder ehemalige Schüler in die Schule kommen und den Unterricht lebendiger und abwechslungsreicher gestalten. Der Bezug zur Öffentlichkeit kann für die Schüler in der Hinsicht vorteilhaft sein, als daß sie weitere Kompetenzen entwickeln.
Offener Unterricht ist dadurch gekennzeichnet, daß der Lehrer den Kindern die Gelegenheit gibt, selbstverantwortliches und selbständiges Lernen und Handeln zu üben. Damit ist offener Unterricht mehr als ein vom Lehrer arrangierter schülerorientierter Unterricht. Der Unterrichtsverlauf, -inhalt und die -durchführung werden von den Interessen, Wünschen und Fähigkeiten der Schüler bestimmt und nicht mehr nur durch den Lehrer. Dies Besondere Mitbestimmungsrecht der Schüler ist ein entscheidendes Kriterium des Offenen Unterrichts.
Das Zielbild der Schule, die Schüler zu einem mündigen Bürger in der demokratischen Gesellschaft zu erziehen, verlangt Verhaltensweisen wie Selbständigkeit im Denken und Handeln, Urteils- und Entscheidungsfähigkeit sowie Verantwortungsbewußtsein. Die Schule ist verantwortlich für das Erlernen dieser Fähigkeiten, und muß somit einen Unterricht bereithalten der dies ermöglicht. Im Offenen Unterricht werden Selbstverantwortung und Mitbestimmung in maximaler Möglichkeit verwirklicht. Auch der Anspruch an eine individuelle Förderung der Fähigkeiten jedes einzelnen Schülers kann im Offenen Unterricht besser umgesetzt werden. Hierzu werden verschieden pädagogisch-didaktische Elemente verwendet, wie die freie Arbeit, der Wochenplan, Projekte, Helfersysteme und differenzierte Arbeitsaufgaben, die unter Punkt 4. meiner Arbeit näher erläutert werden sollen.
3. REFORMPÄDAGOGISCHE MODELLE ALS VORLÄUFER DES HEUTIGEN OFFENEN UNTERRICHTS
Keine andere pädagogische Bewegung hat das Verständnis von Erziehung im zwanzigsten Jahrhundert so nachhaltig geprägt, wie die Reformpädagogik. Der reformpädagogische Ansatz, eine ,,Pädagogik vom Kinde aus"(Key) zu gestalten und die Maxime: ,,weg vom toten Buchwissen und hin zum Bildungserlebnis" haben weite Teile der Pädagogik bis in unsere Zeit beeinflußt und inspiriert. Die Leistungen reformpädagogischer Vertreter als Vordenker eines neuen Erziehungsmodells und Impulsgeber für spätere Generationen sind unwidersprochen. Die Reformpädagogik forderte große und gezielte Veränderungen der Schulorganisation, die öffentliche Kritik bündelten. Die Lehrart und der Lehrstoff seien verkehrt, so daß sich die Freude am Lernen bei jedem Kind ins Gegenteil verwandeln müsse. Aus dieser Leitidee wurden Ideen für verschiedene Schulkonzepte von unterschiedlichen Protagonisten geboren, die einen Offenen Unterricht propagieren. Diesen Aspekt sollte man sicherlich nicht getrennt vom gesamten Unterrichtskonzept betrachten, da pädagogische Ziele und Leitideen die Unterrichtsmethoden begründen und rechtfertigen. Im Folgenden werde ich daher einen kurzen Überblick über einige reformpädagogische Ideen und Motivationen geben, um im späteren Verlauf meiner Arbeit auf einige zurückgreifen zu können.
3.1. URSPRÜNGE DER REFORMPÄDAGOGISCHEN BEWEGUNG
Will man an der „Reformpädagogik“ anknüpfen, um ihre Gedanken, Ideen, Konzepte und Ursprünge zu diskutieren, so steht man schnell vor einem Definitionsproblem. Pädagogik im modernen Sinne ist laut Oelkers immer Reformpädagogik, da sich die Konzepte der Pädagogik wechselnden Defizitlagen anpassen und Innovationen hervorbringen. Will man einen geschichtlichen Überblick der „reformpädagogischen Bewegung“ geben, so erscheinen ihre Anfänge fließend und nicht einmalig abgeschlossen, sondern als eine Bewegung, die bis in die Gegenwart wirkt. Die Reformpädagogik beginnt nicht mit einem bestimmten Datum, denn das würde voraussetzten, daß vorher keine Auseinandersetzung bzw. Reformideen stattgefunden haben.
Gemeinhin spricht man von Reformpädagogik etwa ab dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts. Das Erscheinen des Buches der schwedischen Schriftstellerin Ellen Key ,,Das Jahrhundert des Kindes" symbolisiert quasi den Startpunkt der pädagogischen Reformbewegung. Keys Buch löste große gesellschaftliche Kontroversen, nicht nur unter Erziehungswissenschaftlern aus, darüber wie eine zukünftige Bildung auszusehen habe. Key analysierte die bis dahin übliche Erziehungspraxis als einen die kindlichen Bedürfnisse völlig negierenden ,,Bildungsdrill". Ihre Hauptthese war, daß eine fortschrittliche Pädagogik Kinder nicht, wie etwa in der wilhelminischen Zeit im Deutschen Reich üblich, wie kleine Erwachsene behandeln und sie zwingen dürfe Verhaltensweisen der Erwachsenenwelt spiegelgetreu zu übernehmen. Statt dessen plädierte Key für eine neue erzieherische Sicht, die die Kindheit als eigenständige Lebensphase sehen sollte, sich also an den Anliegen der Kinder zu orientieren habe und nicht einen von Erwachsenen vorgegebenen Wissenskanon als Bildungsziel bestimmt. Individuelle Bildung stand bei Key im Mittelpunkt: Das Kind sollte zu einer charakterstarken Persönlichkeit erzogen werden, die fähig ist, selbstbestimmt zu handeln und zu denken.
Die erste Phase der Reformpädagogik setzt nach Flitner um die Jahrhundertwende mit der Kritik an der alten Schule ein, die sich besonders in der Kunsterziehungsbewegung, der Arbeitsschulbewegung und dem Montessorisystem deutlich abzeichnet. Etwa um 1912 beginnt eine zweite Entwicklungsperiode, in der die einzelnen Reformversuche in der Diskussion das Gemeinsame an ihrer pädagogischen Grundeinstellung entdecken. Danach kam es zu Vergleichen mit den Reformversuchen anderer Länder, um aus den Erfahrungen zu lernen. Seit 1930 richtete sich das Ziel darauf, die Schule zu einem entwicklungspolitischen Meilenstein für die Gesellschaftsreform auszugestalten. Vertreter und Sprecher dieser Phase waren Nietzsche, Lagarde und Langbehn. Die Berufung auf Pestalozzi garantierte Mitte des 19. Jahrhunderts das Signum für Reformpädagogik. Am deutlichsten drückten sich die reformpädagogischen Ideen in der Kunst- und Jugenderziehung aus, da die Kulturkritik als neuer Lebensstil zelebriert wurde, der sich in erster Linie künstlerisch verstand und seinen Ausdruck in der persönlichen Lebensgestaltung fand. Zum Durchbruch kamen die Reformideen der Kunsterziehung erst in den zwanziger Jahren, als die Forderung des Philosophen E. Spranger nach einer “Menschenbildung”, die ebenso wichtig sei wie wissenschaftliche und technische Ausbildung, in die Schulpraxis umgesetzt wurde. Die Ziele im Leben und dementsprechend in der Schule, sollten nicht mehr auf dem Wissen, sondern auf der gesamten Entfaltung der Person basieren. Rousseaus These von der „negativen“ Erziehung erlebte eine Auferstehung, da der Erzieher möglichst wenig in die Menschbildung eingreifen sollte und die Erziehung im Sinn des Wachsenlassens verstanden wurde. Die bedeutendsten Vertreter dieser Richtung waren Montessori, Otto und Key. Das Kind als heiliges Wesen, daß von den Erwachsenen nicht erzogen werden sollte, erschien als Leitgedanke dieser pädagogischen Konzepte.
Eine Erziehung „vom Kinde aus“ wurde zum Schlagwort in der gesamten Schulreform.
Kinder sollten durch eigenes Handeln und Selbständigkeit an den Lehrstoff herangeführt werden. Eine Ganzheitliche Entwicklung von Kopf, Herz und Hand war ein Hauptziel der Reformpädagogik. In diesem Zusammenhang war erstmals von einer Öffnung des Unterrichts die Rede. Bei verschiedenen Reformpädagogischen Konzepten finden wir also Vorläufer des heutigen Offenen Unterrichts. Montessori, Freinet, Petersen oder die Arbeitsschulbewegung bei Kerschensteiner seien hier exemplarisch genannt. Natürlich lassen sie sich nicht aus dem Gesamtkonzept herausreißen und als offenen Unterricht schlechthin deklarieren. Daher werde ich im Folgenden einige Gedanken der reformpädagogischen Protagonisten mit den Merkmalen eines Offenen Unterrichts heute vergleichen.
4. MERKMALE UND ELEMENTE DES OFFENEN
UNTERRICHTS HEUTE IM VERGLEICH ZU DEN REFORMPÄDAGOGISCHEN VORLÄUFERN Der Begriff des Offenen Unterrichts ist in der Literatur oft schwammig, ungenau und vieldeutig, wodurch kein genaues Konzept erkennbar wird und Offener Unterricht zu leicht in ein unterrichtliches Laisser-faire abzurutschen droht. Offener Unterricht bedeutet keineswegs Beliebigkeit oder Unverbindlichkeit des Lernens, wohl aber den Abbau rigider Reglementierungen, die im geschlossenen Unterricht häufig auftreten. Als Alternative zu einem eng verstandenen zielorientierten Unterricht strebt offener Unterricht eine Veränderung der Lernkultur an, die die Schüler besser auf die Anforderungen vorbereiten, die Gesellschaft und Wirtschaft heute und künftig stellen. Dabei wird Unterricht als offen bezeichnet, wenn der Lehrer die Lerninhalte aus der unmittelbaren Lebenswelt der Kinder anlehnt, Unterrichtsabläufe und Organisationsformen des Unterrichts wie Freie Arbeit, Projekte und Wochenplan die organisatorischen Abläufe bestimmen und die Schüler wesentliche Aspekte der Planung mitbestimmen. Hier wird deutlich, daß ein Offener Unterricht durch klare Kriterien gekennzeichnet ist.
Wallrabenstein benennt 6 Merkmale, die einen Offenen Unterricht kennzeichnen: Die Lernwelt, wobei hier ein Klassenraum mit Werkstattcharakter gemeint ist, der Möglichkeiten bietet für Leseecke, Spielecke, Forschertisch, Klassendruckerei oder ähnliches. Die Lernorganisation, die im Offenen Unterricht durch freie Arbeit, flexible Tages- oder Wochenpläne, Projekte, wenig Frontalphasen oder dem Morgen- und Abschlußkreis bestimmt wird. Die Lernmethoden, die sich zum Beispiel in entdeckendes und praktisches Lernen, Partnerhilfe und Selbstkontrollen aufteilen lassen. Die Lernatmosphäre, die gegenseitige Offenheit, Vertrauen, klare Abmachungen und die Akzeptanz der Schüler als Lerner mit individuellen Lernvoraussetzungen erfordert. Die Lerntätigkeit, bei der die Schüler praktisch, herstellend, untersuchend und diskutierend arbeiten. Und die sichtbaren Lernergebnisse, die anhand von Bildern, Geschichten, Zeitungen oder Vorführungen präsentiert werden. Im Folgenden möchte ich nun einige wesentliche Merkmale eines Offenen Unterrichts darlegen, und Unterschiede oder Übereinstimmungen zu den reformpädagogischen Konzepten aufzeigen. Hierbei beziehe ich mich bei der Auswahl auf die grundlegendesten Unterschiede des Offenen Unterrichts zu anderen pädagogischen Konzepten.
4.1. LEHRER- UND SCHÜLERROLLE IM OFFENEN UNTERRICHT
Das Fundament des Offenen Unterrichts bezieht sich auf die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortung der Schüler, die mittels verschiedener Elemente gesichert wird. So tritt der Lehrer im Offenen Unterricht weitestgehend zurück und versteht sich in erster Linie als Helfer und Unterstützer. Auch diese Rolle kann durch die Einführung eines Helfersystems noch vermindert werden. Der Lehrer sollte im Offenen Unterricht sein Planungsmonopol preisgeben und möglichst viele Schüleraktivitäten zulassen und fördern. Dadurch müssen die Schüler mehr Eigenverantwortung hinsichtlich der Planung, Auswahl und Durchführung der Aktivitäten und des Lernstoffes übernehmen. Nimmt der Lehrer das Postulat des offenen Unterrichts ernst, den Schüler zum Subjekt des Lernprozesses zu erheben, verlagert sich ein großer Teil des Aktionspotentials zum Schüler hin, und der Lehrer ist stärker als beim herkömmlichen Unterricht der Reagierende. Zwar bleibt er Organisator und behutsamer Lenker des Lernprozesses, doch versteht er sich primär als Helfer und Moderator. Als Moderator tritt der Lehrer z.B. auf, wenn die Schüler, ihre Vorschläge, Erfahrungen, Stellungnahmen und Arbeitsergebnisse mitteilen.
Im Helfersystem, durch den Rücktritt des Lehrers, werden bei den Schülern Kooperationsfähigkeit, soziale Kompetenzen und Selbständigkeit eingeübt. Aufgaben und Arbeiten sollten häufig von den Schülern selber überprüft und korrigiert werden, oder von Mitschülern. Gerade weil die Schüler zur gleichen Zeit unterschiedliche Themen in selbstgewählten Kleingruppen bearbeiten, kann der Lehrer als Berater und Helfer denjenigen Schüler zur freien Verfügung stehen, die ihn am meisten brauchen. Die variierenden Gruppengrößen schaffen die organisatorischen Voraussetzungen für Einzelfallhilfe. Die Schüler müssen vom Lehrer mit den Methoden und Arbeitstechniken des Offenen Unterrichts vertraut werden, damit sie selbständig ihre Aufgaben erfüllen und gegebenenfalls aufgabenadäquate Informationen aus Lexika und Sachbüchern oder von Mitschülern einholen können.
Die pädagogisch bestimmte Führung hat einzig und allein die Entwicklung und Förderung der Selbständigkeit der Schüler zum Ziel und Inhalt. In diesen Punkten unterscheidet sich der Offene Unterricht kaum vom schülerorientierten Unterricht. In der gängigen Literatur schließt der Offene Unterricht den Begriff des schülerzentrierten Unterrichts mit ein, wobei im Offenen Unterricht auch auf eine geschlossene, lehrerzentrierte Unterrichtsform gewechselt werden kann. Ein Frontalunterricht sollte im Offenen Unterricht nicht ausgeschlossen werden, sondern ergänzend zu anderen Formen hinzugezogen.
Bezugspunkte zwischen der Montessori-Pädagogik und dem offenen Unterricht bestehen zum großen Teil in der Stellung der Lehrperson. In beiden Konzepten wird ihre Handlungsaktivität zugunsten der des Kindes zurückgedrängt. Lernen wird bei beiden Konzepten als ein vom Kind gesteuerter Prozeß verstanden. Die Freiarbeit bei Montessori steht allerdings in einem völlig anderem Theoriezusammenhang als der offene Unterricht heute. Die Grundlage der Montessoripädagogik ist das Bild eines Neuen Kindes. Sie geht von verschiedenen Grundannahmen aus, auf denen ihr Konzept aufgebaut ist. So ist das Kind bei ihr von Natur aus gut und seine Entwicklung vollzieht sich nach einem individuellen Bauplan, der von einer schöpferischen Kraft gesteuert wird. Dadurch ergeben sich für den Lehrer die Forderungen nach der Freiheit des Kindes, damit es sich gemäß seinen Entwicklungsgesetzten entfalten kann. Hierbei wird Freiheit als Entwicklungsfreiheit verstanden und nicht als Freiheit im politischen Sinne. Nach Montessoris Meinung wird das im Kind angelegte gesunde Wachstum von der Welt der Erwachsenen gestört. Daher machen die Beachtung der inneren Entwicklungsgesetzlichkeiten des Kindes sowie die Prinzipien der Freiheit und Aktivität zwangsläufig eine indirekte Erziehung notwendig. Die Lernumwelt des Kindes sollte so gestaltet sein, daß seine Entwicklungsbedürftigkeit befriedigt wird und ihm optimale Entfaltungsmöglichkeiten geboten werden. Die Lehrperson erhält eine helfende, unterstützende Funktion.
Kerschensteiner setzte gegen die alte Schule als reine Wissensschule, den Begriff der Arbeitsschule, der für ihn in erster Linie Handarbeit beinhaltete, die sowohl praktisch als auch theoretisch im Unterricht berücksichtigt werden sollte. Innerhalb dieser Arbeitsschulen wurde der Selbsttätigkeit und der spontanen Aktivität große Bedeutung beigemessen, die sich auch als Ziele im heutigen offenen Unterricht vorfinden lassen. Wie im offenen Unterricht ist das individuelle Lerntempo innerhalb eines vorgegebenen Rahmens freigestellt. Der Lerninhalt wird den Kindern vom Lehrer weitgehend vorgegeben und hat damit Parallelen zum Unterricht nach Tages- oder Wochenplan im offenen Unterricht. Daß mit dem Zurücktreten der Lehrperson und der dadurch gegebenen Möglichkeit zur Beobachtung der Kinder auch der daraus resultierenden zur gezielten individuellen Förderung gegeben ist, thematisiert Gaudig nicht.
Bei Petersen wird die Schülerrolle größtenteils durch die Gruppenarbeit oder die Stammgruppen bestimmt, die immer wieder Gegenstand von kritischen wie auch positiven Diskussionen über den Gemeinschaftsaspekt bei Petersen ist. Anstelle der traditionellen Jahrgangsklasse tritt bei Petersen die Stammgruppe, die aus mehreren Schuljahren zusammengesetzt ist. Der pädagogische Sinn dieser Organisation liegt vor allem in einer Bereicherung des Gemeinschaftslebens. Durch die jährlich sich verschiebende Stellung des Kindes innerhalb der Stammgruppe sollen langanhaltende Außenseiterpositionen vermieden werden. Kontinuität ist dadurch gewährleistet, daß das Kind mit jeweils einem drittel der Gruppe fortschreitet, wodurch auch das Sitzenbleiben nicht in dem Maße wie im Jahrgangsklassensystem als Degradierung empfunden wird. Die Stammgruppe besitzt zwar eine zentrale Stellung, bildet aber nicht das alleinige Gliederungsprinzip. Zeitweise werden auch andere Kriterien der Lerngruppenbildung angewendet, zum Beispiel nach Leistungsniveau oder Sachinteressen.
In der Gruppenarbeit bei Petersen arbeiten über einen längeren Zeitraum Gruppen von vier oder fünf Kindern an einem selbstgewählten Thema, wodurch das selbsttätige und selbständige Arbeiten der Kinder, das ja auch im offenen Unterricht grundlegend ist, betont wird. Die Gruppenarbeit steht bei Petersen allerdings in einem anderen Begründungszusammenhang, da hier das gesamte Schulleben als Erziehung in und durch die Gemeinschaft verstanden wird. Die Konzeption Petersens erwächst aus einer völkischen Pädagogik, die durch Harmonie, dem Dienst am anderen und dem „Gesetzt der Gruppe“ zusammengesetzt ist. Als solidarisches Verhalten erscheinen Petersens Gemeinschaftsgedanken immer noch erstrebenswert, allerdings wird die Frage deutlich, ob in einer Schule, die auf einem völkischen Gemeinschaftsbegriff aufgebaut ist, Erziehung zur Demokratie angemessen geübt werden kann. Nach Petersen muß jede Volksschule eine echte Zelle der Volksgemeinschaft sein und das völkisch-staatliche Leben erfassen und verarbeiten. Diese Grundgedanken unterscheiden sich weitestgehend von den Motiven des offenen Unterrichts, der Erziehung zum mündigen Bürger. Dadurch steht Petersen immer wieder im Mittelpunkt kritischer Diskussionen über den völkischen Gedanken.
Ein zentrales Element des Unterrichtes in einer Freinetklasse ist der Klassenrat. Hier erfolgen Unterrichtsplanung, Überlegungen zur Klassengestaltung, die gemeinsame Erstellung des Wochenplans und andere Bereiche der Selbstverwaltung. Diese klasseninterne Institution soll den Kindern beim Erlernen demokratischer und sozialer Umgangsformen behilflich sein. Nicht der Lehrer steht als Wissensguru im Mittelpunkt des Geschehens, viel mehr wird der Unterricht in gemeinsamer Arbeit mit den Schülern konzipiert. Innerhalb der Kommunikationsbildung sind die Druckerpresse und die Klassenkorrespondenz entscheidende Kernpunkte. Letztendlich ist es hier nur möglich einen kleinen Ausschnitt seines Konzeptes wiederzugeben, aber auffallend sind die Übereinstimmungen zum Offenen Unterricht heute. Das Hauptziel, den Schüler zu einem eigenverantwortlichen, selbsttätigen und individuellen Menschen zu erziehen, tritt bei beiden Konzepten auf.
4.2. WOCHENPLAN IM OFFENEN UNTERRICHT
Um allen Schülern gerecht zu werden und ihren Bedürfnissen unter Berücksichtigung des Lerntempos und des Schwierigkeitsgrades nachzukommen, erscheint eine Binnendifferenzierung unumgänglich. Dieses Unterrichtsziel wird im Offenen Unterricht durch den Wochenplan realisiert. Der Wochenplan wird für einen bestimmten Zeitraum (meistens eine Woche) vorwiegend für jedes Kind individuell oder auch für die gesamte Klasse erstellt, und enthält Aufgaben, die in den Wochenplan und Freiarbeitsstunden oder als Hausaufgabe von den Schülern selbständig erfüllt werden. Dabei enthält er sowohl Pflichtaufgaben als auch Anregungen und Angebote für zusätzliche Leistungen. Hauptsächlich gründet sich der Erfolg des Wochenplans auf die Aufgabenstellung, die klar und schülergemäß sein muß, damit sie weitestgehend ohne Lehrerhilfe bearbeitet werden kann. Im Wochenplan entsteht die Möglichkeit, den Kindern unterschiedliche Aufgaben zu stellen, um so Zusatzaufgaben oder Angebote für die Freiarbeitsstunden unterzubringen. Die Schüler sollten ihre Aufgaben größtenteils durch die Selbstkontrolle überprüfen und dies dann im Wochenplan vermerken. Gelegentliche Fremdkontrollen des Lehrers sind allerdings unverzichtbar als pädagogisch begründete Beobachtungen und Diagnosen. Somit kennzeichnet sich der Unterricht mit Wochenplan durch ein größeres Maß an Mitverantwortung bei der Zeiteinteilung, bei der Aufgabenwahl und der Ergebniskontrolle aus. Dem Ziel des Offenen Unterrichts, den Schüler zu eigenverantwortlichem und selbständigen Handeln zu erziehen, wird durch die Wochenplanarbeit ein großer Schritt entgegen gegangen. Der Lehrer kann in diesem Rahmen helfend und unterstützend eingreifen, aber nur wenn wirklich eine echte „Hilfsbedürftigkeit“ vorliegt, und der Schüler nicht aus Langeweile oder Gewohnheit sofort den Lehrer nach Hilfe fragt. Dadurch, daß nicht alle Schüler zur selben Zeit mit der selben Lehrmethode die selbe Aufgabe erledigen, bestimmt jeder individuell die Reihenfolge, das Lerntempo und je nach Vorbereitung auch selbstgewählte Aufgaben.
Es bietet sich an, den WP nicht nur für ein Fach, sondern fächerübergreifend zu gestalten, um somit eine größtmögliche Wahlfreiheit bei den Schülern zu sichern.
Der Wochenplan taucht in verschiedenen reformpädagogischen Modellen auf, ist aber häufig nicht mit dem heutigen WP zu vergleichen. Im Jenaplan ersetzt der WP nur den herkömmlichen Stundenplan und beinhaltet keinerlei Binnendifferenzierung oder Mitverantwortung.
Bei Freinet ist eine sehr eigenverantwortliche Form des WP ersichtlich, da dort jedes Kind am Anfang der Woche eintragen soll, was es erledigen will um dies am Ende der Woche zu überprüfen. Inwieweit hier ein Minimum an Lernstoff durch eventuelle Pflichtaufgaben vorgegeben ist, kann leider nicht genauer geprüft werden.
Es muß angemerkt werden, daß ein Wochenplan-Unterricht nicht mit dem Offenen Unterricht gleichgesetzt werden kann. Es gibt auch negative Stimmen gegen den Wochenplan. Zum einen erscheint die Einübung des Umgangs mit dem Wochenplan doch sehr schwierig zum anderen bedeutet dies ein Mehr an Vorbereitung und Zeit bei der Erstellung des WPs seitens des Lehrers. Offener Unterricht kann auch ohne den Wochenplan existieren, es erscheint allerdings sinnvoll den OU durch einen WP zu organisieren. Offener Unterricht ist anfänglich eine schwer zu handhabende Konzeption, die den Lehrer dazu verführen kann, sich selbst oder einzelne Schüler zu überfordern. Gelingt es z.B. nicht, aufgrund sorgfältiger Diagnosen, die Entwicklungsstände der Schüler zutreffend einzuschätzen, so können auch differenzierende Maßnahmen im Wochenplan ihr Ziel verfehlen.
Zudem besteht die Gefahr, daß die Überbetonung offener Formen zu einer Vernachlässigung gesicherten materialen Wissens führt. Das gilt vor allem für lernschwächere Schüler, bei denen falsch dosierte Offenheit Unsicherheit und Angst erzeugt.
4.3. FREIARBEIT IM OFFENEN UNTERRICHT
Die Freiarbeit ist ein entscheidendes Merkmal im Offenen Unterricht. Zum einen wählen die Kinder freie Aktivitäten, Lernmethoden und Lerninhalte, die ihren Bedürfnissen und Anforderungen entsprechen, wodurch der Offene Unterricht gekennzeichnet werden soll. Die Freiarbeit kann innerhalb des Wochenplans auftauchen und die Zeit vorgegeben, in der die Kinder unerfüllte Aufgaben oder Angebote erledigen sollen. Vorwiegend werden im WP allerdings die Pflichtaufgaben erfüllt, während in der Freiarbeit nur freie Angebote aufgenommen werden. Im Umfang wechselt die Freie Arbeit, je nach Öffnungskonzept der Schule bzw. Klasse zwischen einer Stunde wöchentlich bis zu zwei Stunden täglich. Im Wechsel von Freiarbeit, Fachunterricht, projektbezogenen Phasen und Wochenplan erfahren die Schüler die Möglichkeiten individuellen, gemeinsamen und gelenkten Lernens. Freiarbeit bedeutet nicht wahlloses und lernzielfernes Handeln der Schüler, sie ist begrenzt durch die Unterrichtsziele, den Mediengebrauch, Ort, Zeit und Regeln. Schulfachliche Grenzen können aber auch sehr weit gezogen werden, wenn zum Beispiel die Entscheidung des Schülers für das Nichtstun innerhalb der Freiarbeit akzeptiert wird, und man trotzdem davon ausgeht, daß eine solche Entscheidung in der Regel vorübergehend und auch mit ungewollten Lernprozessen verbunden ist. In der Freiarbeit stehen die Selbststeuerungsfähigkeit und die Planungsfähigkeit im Mittelpunkt, wodurch die Selbsterfahrung und das soziale Lernen gefördert werden sollen.
Auch bei Montessori, dem Jena-Plan, in der Arbeitsschule und der Freinet-Pädagogik finden wir den Begriff der Freien Arbeit. Jedoch darf nicht mit dem Verweis auf die reformpädagogischen Protagonisten der Eindruck entstehen, es liegt ein einheitliches Grundmuster vor, das sich für die Freiarbeit in der heutigen Schule quasi als didaktische Schablone benutzen ließe.
Bei Montessori besteht die Freiarbeit aus der Auswahl des vorgegebenen Materials, nicht die Freiheit in der Art der Beschäftigung mit dem Material. Der Schüler verfügt also über die Freiheit der Wahl des vorgegebenen Materials, des Lerntempos und der Zeit, nicht jedoch über die Arbeitsdurchführung und den Lernweg. Damit ist die Eigensteuerung des Lernens bei Montessori gegenüber der im Offenen Unterricht eingeschränkt.
Im Wochenarbeitsplan bei Petersen existiert zwar der Begriff Freiarbeit, aber er hat mit dem Verständnis des freien Arbeitens im offenen Unterricht nichts gemein. Einmal in der Woche können die Kinder Arbeiten erledigen, die in der Woche nicht fertiggestellt wurden, oder Gebiete bearbeiten, in denen sie Leistungsdefizite aufweisen.
4.4. DER KLASSENRAUM IM OFFENEN UNTERRICHT
Der Klassenraum soll durch die Vermischung von Lern- und Lebensräumen die Zielsetzungen des OU anschaulich vermitteln. Die Bereitstellung verschiedener Materialien und Umgebungen ist für den Offenen Unterricht unumgänglich, da sich die Schüler zum Beispiel während der Freiarbeit unterschiedlich gruppieren oder aus dem Materialvorrat bedienen müssen. Eine Einteilung des Klassenraums in verschiedene Bereiche erscheint daher nicht nur sinnvoll sondern notwendig. So werden den Schülern durch eine Leseecke, Experimentiertisch oder Malwerkstatt, individuelle Zugänge mit verschiedenen Lernaktivitäten möglich. Regale und Raumteiler sind nicht nur notwendig um das bereitstehende Material unterzubringen, sondern ermöglichen auch eine Aufteilung in verschiedene Funktionsbereiche. Durch eine Öffnung des Unterrichts entsteht mehr Bewegung und Unruhe im Klassenraum, weshalb Ruhezonen in die Raumgestaltung miteinbezogen werden sollten. Die Formation der Tische sollte für mehrere Aktionsformen, wie Stuhlkreis, Frontal- oder Projektunterricht geeignet sein, oder schnell umzuformen. Für die Schüler soll eine Lernumwelt entstehen, von der sie angeregt werden zum selbsttätigen, spielenden und arbeitenden Lernen in unterschiedlichen Sozialformen. Dazu gehört auch die ästhetische Gestaltung des Klassenraums. Blumen, Bilder und Aquarien tragen nicht nur zum Wohlfühlen bei, sondern erfüllen auch pädagogische Konzepte. Aufgaben für die Pflege von Tieren und Blumen müssen übernommen werden und eigene Werke können den Mitschülern präsentiert werden.
Diese besondere Bedeutung des Klassenraums, die wohnlichen Attribute und die verschiedenen Bereiche, finden sich schon bei vielen reformpädagogischen Konzepten.
Die Schulwohnstube bei Petersen soll den Klassenraum ersetzten und so gestaltet werden, daß sie für neue pädagogische Situationen umgestaltet werden kann und nicht ausschließlich dem Frontalunterricht dient. Die Kinder erhalten Mitbestimmungsrecht und er wird mit Bildern, Blumen und Aquarien zu einem Erfahrungsraum und ist nicht länger nur Lehrraum.
Auch bei Montessori besteht eine Hauptaufgabe darin, eine kindadäquate Umgebung zu schaffen, die sich aus der Einrichtung des Klassenzimmers und aus der Gestaltung einer didaktisch und pädagogisch anregenden Lernumgebung zusammensetzt.
Für die Umsetzung der Pädagogik von Freinet, wo den Schülern ein möglichst hohes Maß an Selbsttätigkeit zugesprochen wird, erwiesen sich die herkömmlichen Klassenräume als unzureichend, eine Umgestaltung dieser war von Nöten. Das Ergebnis waren werkstattähnliche Lernräume die in keinster Weise mehr an die Ordnung normaler Klassenräume erinnerten. Nicht das Wissen ist es, das im Vordergrund steht, vielmehr werden dem Entdecken und dem Forschen entscheidende Bedeutung für die Entwicklung des Kindes zuerkannt. Die Druckerpresse in nahezu jedem Klassenraum soll hier exemplarisch angeführt werden.
4.5. DIE ARBEITSMITTEL IM OFFENEN UNTERRICHT
Die Anordnung und Auswahl der Arbeitsmittel, die im Offenen Unterricht verwendet werden sollten, sind abhängig von den Konzepten und Mitteln der jeweiligen Klasse. Die tatsächliche Nutzung, Bearbeitung und Veränderung der Arbeitsmaterialien durch die Schüler sollte über die Lernqualität entscheiden, nicht die Perfektion oder die sogenannte pädagogische Eignung. Nicht nur der Lehrer sollte für ausreichendes und sinnvolles Material sorgen, sondern den Schülern sollte auch immer wieder die Möglichkeit gegeben werden, eigenen Ideen, Wünsche und Materialien mitzubringen. Eine Überflutung an pädagogisch-didaktischen Materialien erscheint genauso unsinnig wie die Abwesenheit von Beschäftigungsmaterial. Besonders während der Freiarbeit muß den Schülern ein freier Zugriff auf unterschiedliche Materialien ermöglicht werden. Das anreichern der Bestände bietet sich besonders durch eigene Herstellung der Schüler an. Dies kann sich auch in einem Karteikartensystem manifestieren, daß nach belieben erweitert, verändert oder erneuert wird.
Nach Petersen sollte das Arbeitsmaterial für den Schüler einen Aufforderungscharakter besitzen, eindeutig in der Durchführungsbestimmung sein, eine Fehlerkontrolle ermöglichen und eine wertvolle Arbeitshaltung erzielen. Diese Kriterien benennen pädagogische Aspekte wohingegen die fachspezifischen Anforderungen nicht erwähnt werden, was auch in der heutigen Diskussion um Freiarbeitsmaterialen oft als Mangel zu beklagen ist. Der Anspruch, die Sachgesetzlichkeit des Gegenstandes und die damit verbundenen fachlichen und fachdidaktischen Gesichtspunkte angemessen zu berücksichtigen und in die Beurteilung einzubeziehen, kommt bei Petersen wie im heutigen Offenen Unterricht zu kurz.
Die Selbstbildungskräfte werden bei Montessori weitestgehend aus der Beschäftigung mit vorgegebenem Material freigelegt, das extra für die „tätige Meditation“ von ihr entwickelt wurde. Sie erfüllen ihren Sinn erst in der vorbereiteten Umgebung, dem unterwiesenen Kind und dem eingeführten Lehrer. Jedes Material vermittelt einen einzigen Lernschritt und ist auf eine Schwierigkeit begrenzt, wodurch sich die Konzentration des Kindes auf diese eine wesentliche Sache richten soll. Das Material ist für einen handelnden Umgang konzipiert, der gleichzeitig mehrere Sinne anregen soll. Das Entfaltungsmaterial dient dem Aufbau der kindlichen Persönlichkeit und läßt nur eine Beschäftigungsart zu, wodurch eine tiefe Konzentration hervorgerufen werden soll. Montessori läßt keine spielerische, bei ihr willkürliche, Beschäftigung mit dem Material zu. Denn dies würde ihrer Meinung nach nicht die strenge Zucht des Geistes bewirken und somit die Konzentration verhindern und die Normalisation des Kindes in Frage stellen. Indem die Kinder lernen mit diesen Materialien selbstständig zu arbeiten, entwickeln sie ihre intellektuellen, ihre psychischen und ihre motorischen Fähigkeiten.
Wenn in der Montessori-Pädagogik also von Freiarbeit die Rede ist, so bezieht sich dies nur auf die Auswahl der vorgegebenen Materialien und die für die Aktion benötigte Zeit, nicht auf die Freiheit in der Art der Beschäftigung. Damit ist die Eigensteuerung des Lernens bei Montessori gegenüber der im offenen Unterricht eingeschränkt. Im Gegensatz zu den heutigen Ansprüchen an ein gutes Arbeitsmaterial, fällt deutlich die eingeschränkte Handhabung auf. Heute sind Materialien eher durch eine möglichst differenzierte Umgangsweise gekennzeichnet, damit das Kind auf verschiedene Arten seinen Lösungsweg finden kann.
4.6. PROJEKTE IM OFFENEN UNTERRICHT
Der Begriff des Projektunterrichts erscheint immer mehr in die Praxis der Schule einzuziehen. Dabei ist die Frage, ob alles was in Schulen unter der Überschrift Projektunterricht geführt wird, von vornherein einen qualitativ verbesserten Unterricht darstellt. In der von Kerschensteiner mitgetragenen Arbeitsschulbewegung diente die Arbeit in projektartigen Vorhaben lediglich als Mittel zur Herausbildung staatsbürgerliche wichtiger Tugenden, und stand nicht unter der demokratischen Leitidee. In den heutigen Unterrichtskonzepten stellt der Projektunterricht das Leitziel heraus, eine Identifikation der Lernenden mit den Zielen ihres Lernhandelns durch unmittelbare Bedürfnis- und Lebensweltorientierung des Unterrichts zu erreichen. Diese Ziele können durch eine Projektwoche, einen Projekttag oder stetiges projektartiges Lernen umgesetzt werden.
Unter diesem Gesichtspunkt sind Projekte ein mustergültiges Beispiel für einen Offenen Unterricht. Projekte in der Schule oder Klasse stellen im Offenen Unterricht nicht nur die praktische Öffnung nach außen dar, sondern sie ermöglichen auch ein gemeinschaftsbezogenes, fächerübergreifendes und aktives Lernen. Projekte ermöglichen darüber hinaus eine Hinführung zu neuen, im Lehrplan häufig nicht enthaltenen Erkenntnissen und Erfahrungen. Probleme können auftreten, wenn die Projekte als Freizeit angesehen werden, die mit dem realen Schulalltag nichts gemeinsam hat. Eine Auswertung und Nachbesprechung der Erfahrungen die während der Projekte gemacht wurden erscheint unverzichtbar. In diesen Rahmen gehören auch Kritik und Vorschläge für andere Projektthemen. Sinnvoll erscheinen Themen, die eine Veränderung der Lebenswirklichkeiten bewirken, und nicht nur als Freizeitgestaltung dienen. Praktisches Handeln während des Projekts schafft häufig ein leicht sichtbares Ergebnis, das generell innerhalb der Planung berücksichtigt werden sollte. So weckt der gemeinsam gestrichene Klassenraum oder eine gemeinsam entworfene Zeitung schnell ein Gemeinschaftsgefühl in der Klasse, wodurch die Sinnhaftigkeit solcher Projekte auch für Außenstehende gut erkennbar wird.
5. MÖGLICHKEITEN UND GRENZEN DES OFFENEN UNTERRICHTS
Innerhalb dieser Arbeit habe ich versucht deutlich zu machen, daß Offener Unterricht nicht nur ein Schlagwort ist, sondern ein pädagogisches Unterrichtskonzept, daß sich begründen, definieren und umsetzten läßt. Offener Unterricht wird verstanden als ein Sammelbegriff, der eine Vielfalt von unterschiedlich zusammenströmenden Denk-, Motiv- und Handlungsformen zusammenfaßt. Leitbegriffe wie Selbständigkeit, Selbsttätigkeit, Mitverantwortung der Schüler, Differenzierung und das Eingehen auf Schülerinteressen lassen sich in Lehrplänen als Unterrichtsziele finden. Der Offene Unterricht versucht vielleicht in der konsequentesten Form dies umzusetzen. Dabei beinhaltet Offener Unterricht sowohl ein gemeinsames als auch ein differenziertes Lernen, zeitweiliger Frontalunterricht in dem alle Schüler das selbe Lernen und „Offener Unterricht“, in dem jeder Schüler auf unterschiedlichen Wegen unterschiedliche Inhalte lernt. Offenheit beinhaltet auch die Wahl zu einer zeitweiligen geschlossenen Form.
Offener Unterricht ist kein Allheilmittel gegen unmotivierte Schüler, Unselbständigkeit oder wenig Lernbereitschaft bei den Schülern. Er versucht diesen Aspekten entgegenzuwirken und durch eine möglichst frühe Öffnung in der Schule eine hohe Lernmotivation und Selbsttätigkeit bei den Schülern zu erreichen. Dabei ist Geduld, Spontaneität und Kompetenz der Lehrperson unverzichtbar.
Immer wieder finden sich in der Literatur auch Probleme und Grenzen die im Offenen Unterricht auftauchen. Zum einen kann das gesamte Konzept des Offenen Unterrichts von nur einem Schüler gestört werden, wenn er mit der Freiheit nicht umgehen kann, Lernsituationen stört und nicht bereit ist, sich selbständig mit einem Lehrstoff zu beschäftigen. Ein unorganisierter Offener Unterricht kann auch willkürlich und improvisiert wirken, wodurch die Schüler den Respekt gegenüber der Lehrperson verlieren können und keine eigenverantwortliche Lernsituation aufkommt. Diesen Problemen kann meist entgegengewirkt werden, indem der Lehrer die Regeln in der Freiarbeit überprüft, sich geduldig zeigt und durch die eher passive Lehrerrolle die Möglichkeit nutzt, vereinzelt Schülern mehr Hilfestellung zu geben und mit ihnen zu reden. Eine weitere Kritik am Offenen Unterricht betrifft die Leistungen der Schüler. Es taucht die Sorge auf, daß Schüler im OU weniger lernen als im geschlossenen, und ihre Leistungen nicht überprüfbar sind. Dem sind verschieden Argumente entgegenzubringen. Die Leistungen im OU sind den Möglichkeiten der Schüler angepaßt, wodurch eine Über- oder Unterforderung vermieden wird. Die Leistungen, die von den Schüler selbständig und eigenverantwortlich gebracht werden, sitzen besser als jeglicher Stoff, der nur für Klassenarbeiten gelernt wird. Offener Unterricht verfolgt einen Leistungsbegriff, der nicht nur in Tests zeugniswirksam abfragbar ist, sondern der mit persönlichkeitsbildenden Aspekten, einen kritikfähigen, mündigen Bürger hervorbringt. Leider kann in diesem Zusammenhang nicht auf empirische Untersuchungen zurückgegriffen werden, da die wegen methodischer Schwierigkeiten eher Seltenheitswert haben. Allerdings gibt es unzählige Literatur von Lehrern, die einen Offenen Unterricht praktizieren und von den Vorteilen berichten. Hier wird der Kritik am Leistungsverlust im Offenen Unterricht entgegnet, daß sowohl im OU als auch im WP ein Minimum an Pflichtaufgaben erfüllt werden muß, die Schüler im Laufe der Zeit alle Spaß und Lernwilligkeit zeigen und der herkömmliche Frontalunterricht durchaus Element im OU seien kann. Weiter Schwierigkeiten zeigen sich beim Blick auf Lehrer und Schule. Um OU sinnvoll zu gestalten, sollten sich Lehrerausbildung und -fortbildung entscheidend verändern. Wenn man selber nicht an eine selbständiges und eigenverantwortliches Lernen gewöhnt ist, kann man es schlecht den Schülern vermitteln und selber praktizieren. Die stetig wachsende Klassengröße erschwert einen OU zusätzlich, da eine offene Lernsituation mit 30 Kindern nahezu unmöglich erscheint. Elternarbeit ist eine weitere notwendige Rahmenbedingung für einen OU, der mit Eltern und Schülern kooperativ arbeiten möchte.
Weitere unumgängliche Gründe für einen Offenen Unterricht liegen in der veränderten Lebenswelt der Kinder. Einzelkinder, berufstätige Eltern, das Leben in einer Medienwelt verlangen von der Schule eine größere Betreuung, eine größere Förderung der Aktivität und eine Notwendigkeit von differenzierenden, individualisierenden Lernformen.
6. RESÜMEE
Offener Unterricht stellt eine pädagogische Haltung gegenüber den Schülern dar, die sich durch die Vermittlung von Eigenverantwortung, Selbständigkeit und Lernmotivation äußert. Unter diesem Blickwinkel erscheint der Offene Unterricht als eine sinnvolle und notwendige Unterrichtsgestaltung. Bei der Durchführung genügt es allerdings nicht, die Tür des Klassenraums offen zu lassen oder die Schüler sich selber zu überlassen. Methodenkompetenz, Planung und Bereitschaft zur Veränderung sind notwendige Eigenschaften eines Lehrers, der sich für einen Offenen Unterricht entscheidet. Offener Unterricht stellt kein Wundermittel für einen guten Unterricht dar. Wie meine Arbeit gezeigt hat, existieren auch hier Vorgaben, Konzepte und Methoden, die berücksichtigt werden müssen. Offener Unterricht in methodischer Hinsicht bedeutet, daß kein Lehrverfahren, keine Sozialform und keine Darstellungsform ausgeschlossen ist, wodurch auch Frontalunterricht ein Bestandteil des OU sein kann.
Meiner Meinung nach ist der Offene Unterricht am geeignetsten, die Schüler zu kompetenten, selbständigen und mündigen Bürgern zu erziehen. Ich kann leider nicht aus eigenen Erfahrungen sprechen, doch scheint mir die Literatur und die Erfahrungsberichte von Lehrern, die einen OU praktizieren, überzeugend und sinnvoll. Wer möchte nicht mit seiner eigenen Offenheit zu der Offenheit der Schüler beitragen? Diese Frage kann wohl jeder Lehrer mit einem Ja beantworten, die wirkliche Frage hingegen lautet: Wodurch ist ein Offener Unterricht gekennzeichnet und was soll er bewirken? Auf diese Fragen wollte ich mit meiner Arbeit eine Antwort geben um den Begriff des Offenen Unterrichts mit Inhalt, Konzept und Bedeutung zu füllen und eine Entscheidung für den Offenen Unterricht zu rechtfertigen.
- Arbeit zitieren
- Anke Salamon (Autor:in), 2001, Offener Unterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105090