Frisch, Max - Homo Faber - Walter Fabers Verhältnis zu den Frauen


Referat / Aufsatz (Schule), 2001

8 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Gliederung

I. Max Frischs „Homo Faber“ als Auseinandersetzung mit der Technik- euphorie der fünfziger und sechziger Jahre

II. 1. Ekel vor Sexualität
II. 1.1. In Kindheit sexuell missbraucht
II. 1.2. Widerspruch zwischen Rationalität und körperlichen Trieben
II. 2. Beziehungsunfähigkeit
II. 2.1. Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen
II. 2.2. Vorurteilsbelastetes Männer- und Frauenbild
II. 3. Inzest als Gipfel seiner Beziehungsmängel; Ödipus - Motiv
II 3.1. Faszination an Sabeths Mischung aus Technikverständnis und Emotionalität
II. 3.2. Unaufgearbeitete Beziehung zu Sabeths Mutter Hanna

III. Aktualität des im Roman behandelten Problems

Thema 2:

Walter Fabers Verhältnis zu Frauen stellt sich im Verlauf des Romans „Homo Faber“ von Max Frisch als durchwegs gestört dar. Erörtern Sie auf der Basis einschlägiger Textstellen die Erscheinungsformen dieses Verhältnisses und deren Ursachen!

Ausführung

September 1957 erschien die Erstausgabe von Max Frischs Roman „Homo Faber - Ein Bericht“, zur gleichen Zeit, als die Welt einen großen technischen Fortschritt miterleben konnte: Der erste Weltraumsatellit startete nur vier Ta- ge nach Veröffentlichung des Buches von Russland aus ins All: Der Sputnik. Aufgrund dessen war eine gewisse Technikeuphorie unvermeidlich, der Mensch hatte den ersten Schritt über die irdischen Grenzen getan und glaubte, nun nach der Erde auch den Weltraum erobern zu können. Das Zeitalter des „Homo Faber“, des Schöpfers und Weltenbezwingers war deutlich spürbar, mehr denn je. Max Frischs Protagonist mit dem sprechenden Namen Walter Faber, von Beruf Ingenieur, ist eben so ein Mensch, er glaubt an Statistik, E- lektrizität, Mathematik und Fortschritt, jedoch von Mystik, Schicksal, Zufall oder gar Gefühlen hält er nichts. Doch gerade diese Einstellung steht in star- kem Widerspruch zur Einstellung der Frauen, die ihm auf seinem Lebensweg begegnen. Kein Wunder also, wenn er eigentlich zeitlebens, trotz mehrerer Beziehungen, ein gestörtes Verhältnis zu ihnen hatte.

Nicht nur aufgrund seiner Rationalität, die im Folgenden noch näher erörtert werden soll, treten Störungen zutage. In der Beziehung zu der jungen Ameri- kanerin Ivy wird mehrfach deutlich, dass er eine regelrechte Abscheu vor al- lem Sexuellen entwickelt hat. Einmal sagt er sogar in bezug auf Ivy, dass ihn ihre Zärtlichkeit und ihre Küsse ekeln würden (S. 46). So eine starke Abnei- gung kommt nicht von ungefähr, in Walter Fabers Fall liegt die Ursache dafür in seiner Jugend, als er von der lungenkranken Gattin seines Mathematikleh- rers, die ihm wie eine „Irre [...] oder wie eine Hündin“ ( S. 73) vorkam, re- gelmäßig sexuell belästigt wurde. Seit ihrem Tod versucht er, diese Erfahrung, derer er sich sehr schämte, konsequent zu verdrängen. Doch aus seinen unbe- holfenen, trotzig wirkenden Äußerungen bezüglich des Vergessens, wo er be- hauptet, er erinnere sich überhaupt nicht daran, wenn er nicht will (S. 73), kann man wohl heraushören, wie ihn dieses Erlebnis selbst dreißig Jahre spä- ter noch verfolgt und beeinträchtigt. Seither empfindet er Sexualität als „ab- surd“, wie er mehrmals sagt, und „geradezu pervers“ (S. 69). Die Beziehung zu Hanna, die ja auch zu einem Kind führte, stellt in dieser Hinsicht eine Aus- nahme dar, denn „nur mit Hanna ist es nie absurd gewesen“ (S. 74).

Doch nicht nur schlechte Erfahrungen mit seiner Sexualität erschweren ihm das sexuelle Verhältnis zu Frauen. Die Tatsache, dass es ihm sein Leben lang nicht, oder nur äußerst selten gelingt, sein rationales Denken auch nur kurz abzulegen, macht ihm auch schon den Gedanken an Geschlechtsverkehr uner- träglich. Seiner Meinung nach ist er Herr über sein Leben - und sogar über das Leben anderer, wenn man an die geplante Abtreibung seines Kindes 21 Jahre vor seinem Tod denkt - und damit auch Herr über seinen Körper. Er glaubt, mit Hilfe des Geistes aus seiner Sicht unwichtige Gefühle unterdrü- cken zu können, denn „Gefühle (...) sind Ermüdungserscheinungen“ (S.68) . Dies gelingt ihm auch meistens, jedoch nicht in bezug auf seine Libido. Rati- onal gedacht ist für ihn die Art „wie Mann und Weib sich paaren“ (S. 69) - beachtenswert seine nüchterne Ausdrucksweise „sich paaren“, Vokabular aus dem Veterinärbereich - „absurd, wenn man nicht selber durch Trieb dazu ge- nötigt ist, man kommt sich verrückt vor, auch nur eine solche Idee zu haben, geradezu pervers“ (S. 69). So kommt es, dass es immer die Frauen sind, die ihn verführen, nicht umgekehrt, wodurch er in gewisser Weise die „Macht ü- ber seinen Körper“ aus der Hand gibt, eine Situation, die gegen seine Prinzi- pien verstößt, damit im Widerspruch zu seiner Denkweise steht und als Stör- faktor seines Verhältnisses zu Frauen, speziell zu Ivy verstanden werden kann.

Ganz allgemein kann man jedoch auch sagen, dass Walter Faber nicht nur ein gestörtes Verhältnis zu Frauen hat, sondern von Grund auf unfähig ist, eine harmonische Beziehung zu führen. Wie bereits erwähnt vertritt er die Mei- nung, dass die Ratio des Mannes der Emotion übergeordnet ist und sie beherr- schen sollte, da Gefühle für ihn „weibisch“ (S.18) sind. Da nun aber zu einer „harmonischen Koexistenz und Ergänzung der Geschlechter“ (S. 385 Suhr- kamp CD- Rom), sprich: einer Beziehung Gefühle unentbehrlich sind, sind al- le seine Beziehungen zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Sein Unwille o- der seine vermeintliche Unfähigkeit, Gefühle zu empfinden lässt sich immer wieder im Roman feststellen. Allein in bezug auf die Natur findet er stets die nüchternsten, technischsten Vergleiche, die möglich sind, und „ein Erlebnis“ ist Natur für ihn sowieso nicht, denn er fragt sich, wozu er hysterisch sein und erleben soll, „was gar nicht ist“ (S. 18). Ich möchte jedoch nicht behaupten, dass er überhaupt nicht in der Lage ist, Gefühle zu empfinden. Er hat sich nur selbst, besonders seinen Verstand so unter Kontrolle, dass er es schafft, sich selbst weis zu machen, er empfände nichts. Er lenkt stets von seinen Gefühlen ab, indem er sich auf unwichtige Details konzentriert, was man besonders in Guatemala gewahr wird. Als er die Tür der Baracke öffnet und den erhängten Joachim findet, denkt er über die Zopilote nach, die einen Weg suchten, in die Hütte einzudringen, über die Indios, die den Erhängten nicht schon vorher abgenommen hatten und nicht zuletzt über die Technik, nämlich wie es kommt, dass das Radio die ganze Zeit über spielte, und woher es seinen Strom bezog (S. 40). All das nur, um sich von Gedanken an Joachim als Person, nicht als Leiche abzulenken, und um nicht daran denken zu müssen, warum er sich erhängte, weil solche Überlegungen Gefühle hervorrufen könnten. Diese seine Art, die darin besteht, um keinen Preis die Sachlichkeit zu verlieren, hat letztendlich auch zum Scheitern der Beziehung mit Hanna geführt. In seiner „Homo Faber - Manier“, die ja darin besteht, zu glauben, über alles die volle Kontrolle zu haben, geht er sogar so weit, über Leben und Tod seines unge- planten Kindes entscheiden zu wollen. Er selbst ist sich nicht so ganz sicher, ob er das Kind wirklich nur aus rein praktischen Gründen wie Geld oder Un- fertigkeit, Vater zu sein, ablehnte. Er sagt: „Ich war, im Gegensatz zu meinem Vater, kein Antisemit, glaube ich“ (S.35). Als Hanna einige Zeit vorher von der Fremdenpolizei aufgefordert wurde, binnen vier Tagen die Schweiz zu verlassen, was sich nachher ja plötzlich als Irrtum herausstellte, beschloss er, sie zu heiraten, damit sie niemals mehr in solche Schwierigkeiten käme. Eine Vernunftentscheidung, ebenso vernünftig wie seine Äußerung in bezug auf das Baby: „Wenn du dein Kind haben willst, dann müssen wir natürlich heiraten.“ (S. 35). Doch in diesen „vernünftigen“ Äußerungen klingt, vielleicht sogar ungewollt, eine gewisse Lieblosigkeit mit, die sich für Hanna immer wieder in seinen Worten gezeigt haben muss, denn sie entscheidet sich noch am Hochzeitstag gegen ihn. Dieser Anschein der Lieblosigkeit, ausgelöst durch seine Unfähigkeit, Gefühle zu zeigen oder gar zu formulieren, ließschließlich seine erste richtige Beziehung scheitern und war der Beginn, wenn nicht sogar eine weitere Ursache für sein durch und durch gestörtes Verhältnis zu Frauen.

Sein Beziehungs - Unvermögen hat allerdings noch einen ganz anderen Hin- tergrund: Walter Faber zeigt von Anfang an ein sexistisch vorgeprägtes Rol- lenverständnis in bezug auf Mann und Frau. Für ihn ist Sachlichkeit, Wissen- schaft, Technik und nicht zuletzt der Beruf eine Männerdomäne. Von sich selbst sagt er: „Ich lebe, wie jeder wirkliche Mann, in meiner Arbeit“ (S.67). Dass Frauen sich nicht so sehr in ihrem Beruf identifizieren, ist für ihn unver- ständlich. „Der Mann sieht sich als Herr der Welt, die Frau nur als seinen Spiegel“ sagt Hanna (S. 104), was Faber Backfischphilosophie nennt, aber dieser Satz trifft Fabers Männerbild sehr gut. Gerade er als Ingenieur meint, wie bereits in II.2.1. erläutert, sogar das Leben beeinflussen zu können, und er selbst steht auf dem Standpunkt, „dass der Beruf des Technikers, der mit den Tatsachen fertig wird, immerhin ein männlicher Beruf ist, wenn nicht der ein- zigmännliche überhaupt“ (S. 57) . Der Frau dagegen schreibt er den Schick- salsglauben, die Natur, die Emotion, den Aberglauben und die Mystik zu, er erwähnt in diesem Zusammenhang sogar mehrmals die Hysterie. Er sieht die Frau als dem Manne untergeordnet und geht soweit, die Frau mit dem in sei- nen Augen unterentwickelten Volk der Indios zu vergleichen. Er sagt, sie sei- en „viel zu sanft, zu friedlich, geradezu kindisch [...], ein weibisches Volk, unheimlich, dabei harmlos“ (S. 28). Von intellektuellen Frauen hält er nichts, was seine Bemerkung in bezug auf Sabeths Mama (bevor er wusste, dass es Hanna ist) deutlich unterstreicht: „Ihre Mama hat Pech gehabt mit den Män- nern [...], vielleicht weil zu intellektuell“ (S. 83). Außerdem empfindet er An- hänglichkeit der Frau, speziell von Ivy als unangenehm. Er übersetzt Ivy mit „Efeu“, und „so heißen für [ihn] eigentlich alle Frauen“ (S. 67). Eine Frau, die sich zu sehr an einen Mann klammert, ist unselbstständig und machtlos; die einzige Art für eine Frau ist, in den Augen Fabers, ein Kind zu bekommen. Selbst wenn es ungewollt war, so nennt er es „Automatismus der Instinkte“ (S. 79), dass sie das Baby nun doch behalten möchte, ist es erst mal auf der Welt. Er behauptet, es gäbe der Frau das Gefühl der Macht gegenüber dem Mann, „Mutterschaft als wirtschaftliches Kampfmittel der Frau“ (S. 79). Zu dieser herablassenden Ansicht kommt hinzu, dass er einfach mit der Individu- alität der Frauen nicht zurande kommt. Dadurch, dass er sie kategorisiert und sie alle in einen Topf wirft, ist er nicht fähig, sich auf die individuellen Cha- raktereigenschaften einzustellen, wodurch es ihm schwerfällt, die einzelnen Partnerinnen wirklich zu verstehen. Selbst Hanna, die für ihn in gewisser Weise eine Ausnahme darstellt, emanzipiert und selbstständig, wie sie auftritt, stellt ihn immer wieder vor ein Rätsel, das er nicht zu lösen vermag. Nach dem Tod Sabeths gibt er es sehr offen zu: „Was denkt sie? [...] Ein einziges Mal habe ich Hanna verstanden, als sie mit beiden Fäusten in mein Gesicht schlug damals am Totenbett. Seither verstehe ich sie nicht mehr.“ (S. 144). Durch dieses Unverständnis, das er durch seine Vorurteile selbst verschuldet hat, musste jede seiner Beziehungen scheitern, denn Einfühlung, Verständnis und Akzeptanz der Gleichwertigkeit gehören zur Basis eines jeden Verhältnis- ses, nicht nur zwischen Mann und Frau..

In seiner Blindheit geht Faber sogar soweit, ein Verhältnis mit seiner eigenen Tochter, anfangs unwissend, später hinwegsehend anzufangen. Die Parallelen zur Ödipus - Sage sind unverkennbar: Zwar sind es nicht Mutter und Sohn, aber immer noch Vater und Tochter, wobei die Psychologie da keinen Unter- schied macht, wenn sie von Ödipus - Komplex spricht. Wie Ödipus bei der Lösung des Rätsels der Sphinx ist Faber als Rationalist eine geistig überlegene Figur, den ganzen Roman hindurch, doch genau wie Ödipus ist er für die Zu- sammenhänge seines Lebens blind. In bezug auf eine Vase, auf der Ödipus und die Sphinx dargestellt sind, sagt er zu Hanna, er sei in Mythologie und Belletristik nicht beschlagen (S. 105), und doch könnte man meinen, er kenne die Ödipus - Sage sehr genau. So will er sich im Zug von Düsseldorf nach Zü- rich - genau wie der mythologische Held - die Augen ausstechen: „Warum nicht diese zwei Gabeln nehmen, sie aufrichten in meinen Fäusten und mein Gesicht fallen lassen, um die Augen loszuwerden?“ (S. 143).

Doch liegen die Ursachen des Inzests bei Faber woanders als bei Ödipus. Schon bei seiner ersten Begegnung mit Sabeth ist er in gewisser Weise faszi- niert von ihr. Diese Faszination schlägt, je länger er sich mit ihr befasst, in Liebe um. Als an einem alkoholschwangeren Abend seine jahrelang aufge- stauten Gefühle plötzlich ausbrechen, fragt er sie sogar, ob sie ihn heiraten möchte, schämt sich jedoch für diesen „Schwächeanfall“. Doch mit der Zeit gesteht er sich mehr und mehr ein, dass ihm sehr viel an Sabeth liegt, bis seine Gefühle schließlich auch erwidert werden und er ihre Italienreise als ihre „Hochzeitsreise“ zu betrachten beginnt. Er ist fasziniert von Sabeth, denn „nicht viele Leute, denen [er]den Maxwell’schen Dämon erläuterte, begreifen so flink wie dieses junge Mädchen“ (S. 55). Und doch ist, als sie den Maschi- nenraum besichtigen der „Hinweis auf den beträchtlichen Wasserdruck, den diese Konstruktion auszuhalten hat [...] schon wieder zuviel - ihre kindliche Fantasie [ist] schon draußen bei den Fischen“ (S. 65). Sabeth beeindruckt ihn sehr, weil sie einerseits ein besonderes rationales Technikverständnis bewies, und zugleich doch den Klischees einer Frau aus Fabers Sicht in bezug auf Emotion und Phantasie entspricht. Sie vereint beide Charaktere auf eine für Faber sehr anziehende Art und Weise. Schon am Anfang ihrer Romreise denkt er, diesmal ohne Alkohol, „an Heirat wie noch nie“ (S. 80), auch wenn er den großen Altersunterschied als Hindernis empfindet. Er hat das Gefühl, er lang- weile sie mit Lebenserfahrung, und sie mache ihn alt, indem sie von Morgen bis Abend überall auf seine Begeisterung warte (S. 81), die er aber nicht emp- findet, da er seine Gefühle, abgesehen von der Liebe zu Sabeth, immer noch gut zu unterdrücken vermag. Allerdings ist die Liebe eine für ihn sehr intensi- ve Emotion, wie man es von ihm eigentlich nicht erwartet. Und aufgrund die- ser Empfindung verdrängt er seine Rationalität auch dann noch, als er zu er- kennen beginnt, wer Sabeth eigentlich ist. Er „rechnete [...] bis die Rechnung aufging wie [er]sie wollte. [...] [Er]legte [sich] die Daten zurecht, bis die Rechnung stimmte, die Rechnung als solche“ (S.90) und er als Ergebnis wider alle Vernunft herausbekam, dass sie nicht seine Tochter sein kann, auch wenn er insgeheim die Gewissheit hatte, dass seine Rechnung falsch war. Im nach- hinein sind da seine Bezeugungen nicht sehr überzeugend, wenn er sagt: „Ich bin ja nicht krankhaft, ich hätte meine Tochter als meine Tochter behandelt, ich bin nicht pervers!“ (S. 59) . Er begeht den Inzest wissentlich - unwissent- lich.

Doch allein die Faszination an diesem Menschen ist es nicht, die ihn dazu be- wegt, die Beziehung fortzuführen. Er fühlt sich von Sabeth noch aus einem anderen Grund angezogen: Sie erinnert ihn von Anfang an an Hanna. „Hanna war [zwar] schwarz, und Sabeth blond, beziehungsweise rötlich“ (S.58), doch „ihr Hanna - Mädchen - Gesicht“ (S. 70) bringt ihn immer wieder auf den Gedanken an Hanna zurück. Er schiebt die „Spintisiererei um Hanna“ (S. 59) auf seine Langeweile. Was er sich nicht eingestehen möchte ist, dass er die Beziehung mit Hanna noch lange nicht aufgearbeitet hat, da er damals, als sie sich trennten, jeden Gedanken daran schlichtweg verdrängt hat. So konzent- riert auf Beruf und Karriere hat er es nicht einmal fertiggebracht, wenigstens ein wenig Kontakt aufrecht zu erhalten. Allerdings brachte er das nicht mal in bezug auf seine Familie fertig, denn wie sich später herausstellt, hatte Hanna in all den Jahren nach der gescheiterten Hochzeit mehr Kontakt zu seinen El- tern (besonders zu seiner Mutter) als er. „Wenn Hanna von ihr berichtet, kann [er] nur zuhören. Wie ein Blinder“ (S. 137) kommt er sich vor, weil seine e- hemalige Verlobte seine eigene Mutter besser kennt als er selbst. Da er in den einundzwanzig Jahren es nicht einmal geschafft hat, mit Hanna Kontakt auf- zunehmen, hat er immer noch ihr Bild von damals vor Augen, und Sabeth „ist jung, wie Hanna damals jung gewesen ist, und zudem redet sie das gleiche Hochdeutsch“ (S. 58). Walter Faber beginnt, alles, was er von Hanna hielt und fühlte auf Sabeth zu projizieren, und alles, was er damals versäumte, nun mit Sabeth aufzuarbeiten. So macht er mit ihr die „Hochzeitsreise“, die er mit Hanna mangels Hochzeit nie in der Lage war, durchzuführen. Er lernt, Gefüh- le zu entwickeln, die ihm seine rationale Sichtweise vorher nie erlaubt hatte. Hätte er dies schon zu Hannas Zeiten fertiggebracht, wäre womöglich alles anders gekommen. So holt er dies alles nun mit Sabeth nach. Sie erleben ro- mantische Momente wie die Nacht auf Akrokorinth (S. 111 - 112), und er entwickelt immer mehr die Fähigkeit, Abstand von seiner nüchternen Denk- weise zu bekommen, was er damals in Zürich nie erreichte. Er zeigt sogar En- thusiasmus, Begeisterung, als auf Akrokorinth die Sonne aufgeht, und er schwärmt: „die erste Wärme und Sabeth, die mich umarmt, als habe ich ihr al- les geschenkt, [...] und ich werde nie vergessen, wie Sabeth singt!“ (S. 113). Der Ingenieur Walter Faber wäre noch vor der schicksalhaften Notlandung der Super - Constellation niemals in der Lage gewesen, einen solchen Satz zu formulieren. Er zeigt Sabeth gegenüber die Gefühle, die er Hanna gegenüber nicht zu zeigen in der Lage war. Doch sein großer Fehler ist, dass er über- sieht, dass Sabeth nicht Hanna ist, und er seine Fehler von früher nicht da- durch wiedergutmachen kann, indem er mit seiner Tochter eine inzestuöse Beziehung führt. Hanna sagt Faber ganz deutlich, dass sie „das Leben nicht in [ihren] Armen behalten können“ (S.103), und dass man sich nicht mit sei- nen Kindern nochmals verheiraten könne, auch er, der Wissenschaftler nicht, selbst wenn für ihn das Leben nur eine Addition sei (S. 126). Er habe daher kein Verhältnis zur Zeit, weil kein Verhältnis zum Tod (S. 126). Trotz seiner festen Überzeugung, diesmal alles gut zu machen und Hanna zu heiraten, ge- lingt es ihm bis zu seinem Tod nicht, all das aufzuarbeiten und wiedergutzu- machen, was er durch seine anfängliche Gefühllosigkeit und dann durch sei- nen Egoismus, Sabeth für sich zu beanspruchen und seine unbewussten, bzw. unterdrückten Sehnsüchte an ihr auszuleben. Eben dieser Egoismus war es, der zum Inzest führte, wie er auch bei Ödipus eine Ursache für die Tragödie war.

Die Tragödie des Romans „Homo Faber“ besteht darin, dass die Tochter eines zukunftsorientierten Technikfanatikers und einer vergangenheitsorientierten Archäologin, besser: Mythologin, schuldlos, „zwischen die Fronten“ hinein- geboren, sterben muss. Sie ist Opfer einer Mutter, die sich an ihr Kind klam- merte, als das einzige, was wirklich zu ihr gehörte, und nichtsdestoweniger Opfer eines Vaters, der wegen des Fortschritts das Menschsein vergaßund dieses Defizit nun auf Kosten seiner Tochter aufzuholen versuchte.

Max Frisch spricht mit seinem Roman ein Problem an, mit dem die Gesell- schaft damals wie heute zu kämpfen hat. Auf der einen Seite gäbe es ohne Weiterentwicklung und Fortschritt kein Leben, denn wer sich sein Leben lang nicht entwickelt hat und stillstand, der hat nicht wirklich gelebt. Andererseits wird vor lauter Weiterentwicklung das durchgehend Elementare nur zu oft übersehen: Menschlichkeit, soziale Kontakte, Hilfsbereitschaft und Kommu- nikation sind und werden immer von Bedeutung sein. Kommunikation nicht im Sinne des Professor O., der sagt, dass der Tag kommen werde, an dem nur noch Hochzeitspaare mit der Droschke durch die Welt fahren werden, und die moderne Kommunikation das Reisen und Aus-dem-Haus-gehen überflüssig machen werde (S.77). Im „Homo Faber“ stehen sich zwei Fronten gegenüber: Mann versus Frau, Technik versus Natur. Im ganzen Roman geschieht es kein einziges Mal, dass beide Seiten kooperieren würden. Selbst Herbert, der aus einer Welt der Technik kommt und der Natur verfällt, distanziert sich voll- ständig vom Fortschritt. Doch der tragische Ausgang des Buches zeigt, dass Technik ohne Natur , Planung ohne Zufall und Verstand ohne Gefühl nicht funktionieren können.

Diese Botschaft ist es, die Max Frischs Roman aktuell bleiben lässt. Es wäre falsch, alle Ingenieure und Techniker zu verdammen, denn wie Walter Faber nicht ganz unrichtig sagt, „wir leben technisch, [...] und wer dagegen redet, der soll auch keine Brücke benutzen, die nicht die Natur gebaut hat.“ (S. 79). Doch eines sollte man dabei nie vergessen: die Menschlichkeit, im Sinne von dem, was das Menschsein ausmacht, und das ist meiner Meinung nach das Gefühl.

Quellenverzeichnis:

- Max Frisch „Homo Faber“, Rowohlt Taschenbuch Verlag 1969
- Suhrkamp Basisbibliothek CD- Rom, „Max Frisch: Homo Faber“, Terzio Verlag
- Hermann Jens, Mythologisches Lexikon, Wilhelm Goldmann Verlag 1958

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Frisch, Max - Homo Faber - Walter Fabers Verhältnis zu den Frauen
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
8
Katalognummer
V105132
ISBN (eBook)
9783640034291
Dateigröße
366 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Frisch, Homo, Faber, Walter, Fabers, Verhältnis, Frauen
Arbeit zitieren
Johanna Schubert (Autor:in), 2001, Frisch, Max - Homo Faber - Walter Fabers Verhältnis zu den Frauen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105132

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