Habermas - Neue Unübersichtlichkeit


Referat (Ausarbeitung), 2001

5 Seiten


Leseprobe


Habermas, Neue Unübersichtlichkeit

(1) Welche „utopischen Energien“ haben zur Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates beigetragen und welche Probleme des Wohlfahrtsstaates haben zu deren Erschöpfung geführt. Beachten sie insbesondere, welche Probleme dem Wohlfahrtsstaat immanent sind! Diskutieren sie Habermas‘ Diagnose.

Habermas führt in seinem Text „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien“ Energien auf, welche zur Entwicklung des modernen Wohlfahrtsstaates geführt haben. Außerdem diskutiert er, welche Probleme des Wohlfahrtsstaates zur Erschöpfung der Energien geführt haben. Besonders zu beachten ist dabei, welche Probleme dem Wohlfahrtsstaat ansich innewohnen und dann zum Verhängnis führen.

Er meint, dass die Geschichte, d.h. die Entwicklung der Menschheit und der Gesellschaft, seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als ein großer Prozeß an zu sehen ist, der global geschieht und eine Menge Probleme mit sich bringt. Für diese Entwicklung ist kennzeichnend, dass Zeit als Ressource knapp wird. Diese Ressource „Zeit“ wird laut Habermas benötigt, um Probleme, die in der Vergangenheit entstanden sind , in der Gegenwart, auf eine Orientierung auf die Zukunft, zu meistern. Normalerweise wäre es so, dass die Erwartungen, die in der Gegenwart auf die Zukunft hin gesehen gemacht werden, sich auf die Vergangenheit beziehen. Da aber die Zeit als Ressource knapp fehlt, um die Vergangenheit zu bewältigen und nötige Erfahrungen aus ihr zu ziehen, kann man Erwartungen nun nicht mehr vergangenheitsbezogen machen. Die Zeit, in der wir leben, die Gegenwart, also die Moderne, muß nun laut Habermas „ihre Normativität aus sich selber schöpfen“1. Die Vergangenheit kann nun nicht mehr ausschließlich als Quelle für Normen genutzt werden, sondern eine neue Quelle für Normen werden die Erfahrungen, die in der Gegenwart gemacht werden. Auch läßt sich das Abdrängen der Vergangenheit als Quelle für Normativität durch die Entwicklung des Zeitgeistes erklären. Die Vergangenheit wird entwertet und ist einfach nicht modern genug, um ihr Normen und gehaltvolle Prinzipien abzugewinnen.

Was aber ist „Zeitgeist“? Der Zeitgeist ist das Zusammentreffen von geschichtlichen und utopischen Denken. Sozusagen, der Zusammenstoß des Ist-Zustandes (historisch) mit dem Soll-Zustand (utopisch).

Der Ist-Zustand, also das geschichtliche Denken, ist gekennzeichnet durch Erfahrungen; das utopische Denken hat die Funktion, Handlungsalternativen und Möglichkeitsspielräume zu erschließen. Soll heißen, neue Erfahrungen zu machen. Vielleicht sollte an dieser Stelle auch ersteinmal der Begriff der Utopie erläutert werden. Das Wort Utopie selbst hat seinen Ursprung im Griechischem und bedeutet: „nirgendwo-Land“. Als Utopie wird zumeist eine Schilderung eines (meist erhofften und selten befürchteten) künftigen Zustandes bezeichnet. In der Gesellschaftsutopie wird die bestehende Gesellschaftsordnung durch einen Vergleich mit dem Ideal kritisiert2. Eine Utopie ist daher immer eine Vorstellung, die sich eine gegenwärtige, vielleicht kritisierte, Situation in der Zukunft als eine zum Idealzustand veränderte Situation vorstellt. Beispielsweise gab es während der Industriellen Revolution im 19. Jhd. die Utopie von einer klassenlosen Gesellschaft.

Eine Utopie beschreibt auch immer das Streben hin zum Idealzustand; also weg vom Ist- hin zum Soll-Zustand. Ein anderes Beispiel: Seit der Französischen Revolution 1789 wandern Utopien ins Bewußtsein der modernen Völker. Das franz. Volk hat einen Sieg mit der Revolution errungen. Der Zeitgeist ist also geprägt durch historisches Denken (Sieg über Adelsherrschaft und die Gewißheit, Siege erlangen zu können) und durch ein utopisches Denken (gekennzeichnet durch Streben nach mehr Autonomie und nach einer klassenlosen Gesellschaft und Gleichheit der Menschen). Diese Utopie nährt sich aus dem Geschichtsbewußtsein. Die Utopie hält das Streben der Menschen nach besseren Zuständen aufrecht.

Fourier bemerkte einst zu den klassischen Utopien, die vom besserem und ungefährdeteren Leben erzählen, sie wären bloß ein „Traum vom Guten-ohne Mittel zur Ausführung desselben und ohne Methode3 “.

In dem 20. Jhd. Wurde der Begriff Utopie als ein Medium für den Entwurf alternativer Lebensmöglichkeiten von Ernst Block und Karl Mannheim rehabilitiert.

In der heutigen Gegenwart (wir sprechen nun von der Gegenwart des 20./21. Jh und nicht mehr von der „Gegenwart“ als ein purer Zeitbegriff), scheinen die Utopien aufgezehrt zu sein.

In der Zeit, die ich bisher beschrieben habe, also die Zeit seit dem frühen 19. Jh. , kam die Utopie als Kampfbegriff auf. Utopie als Streben nach besseren Zuständen, Streben nach einer rosigen Zukunft.

Aber in der Gegenwart des späten 20. Jhd. scheint es keine Utopien mehr zu geben, denn die Welt sei von einem Schreckenspanorama der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen gefährdet (Wettrüsten, Nuklear- und Kernwaffen, Verarmung der Entwicklungsländer und steigende Arbeitslosigkeit)4.

An die Stelle von zukunftsorientierten Utopien tritt nun eine Ratlosigkeit. Die Sozialutopien, die seit dem 19. Jhd. die bestimmenden Utopien sind, haben realistische Erwartungen geweckt: die Natur und Gesellschaft wird durch Wissenschaft und Technik kontrollierbar werden. Diese Sozialutopien wurden erschüttert durch Dinge wie Kernenergie und Gentechnologie, die vielen Menschen einfach nur Angst einflößen. Das zentrale Problem ist demzufolge, dass je vielschichtiger, komplexer und steuerungsbedürftiger die Systeme werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit und die Menge von unerwünschten Nebenwirkungen. Beispiel: die Kernenergie hat einen großen energetischen Nutzen, aber die dunkle Seite der Kernenergie ist die nicht zu unterschätzende Gefahr, die von ihr ausgeht. Da gibt es noch viele andere Beispiele zu nennen, die einen Staat zum Sozialstaat machen und der Gesellschaft das Leben angenehmer macht, die aber auf der anderen Seite eine große Gefahr für den Sozialstaat darstellt, weil es eine große Gefahr für die Gesellschaft werden kann. Beispiel Gentechnologie: Krankheiten können erkannt und präventiv behandelt werden, aber eröffnet die Gentechnologie nicht auch neue unbekannte Horizonte? Das Klonen von Erbgut wird möglich. Aber es gibt gerade auf diesem Gebiet große Diskussionen um die Frage nach der Ethik und Moral.

Aber diese Fortschritte in Wissenschaft und Technik wurden erst durch Utopien bzw. von Vorstellungen anderer, möglich. Der Mensch strebt nach immer Höherem und Besserem, auch wenn er daran zu Grunde gehen sollte. Diesen Menschen kann man mit dem Wohlfahrtsstaat gleichsetzen.

Also, die Kräfte bzw. Utopien, mit deren Hilfe der Staat zum Wohlfahrtsstaat wurde, also die utopischen Energien wie ein Autonomiebedürfnis, Fortschritt in Wissenschaft und Technik, Gleichheit und Gleichberechtigung können schnell ins Gegenteilige umschlagen. Macht uns die Freiheit nicht zu Gefangenen eines Systems, in welchen jeder sich so zu verhalten hat, dass die Freiheit eines jeden anderen nicht in Gefahr gerät?

Die Erschöpfung der Utopien, die zur Entwicklung des Sozialstaates führten, ist laut einiger Intellektueller ein Zeichen der Veränderung des modernen Zeitbewußtseins. Da wirft sich aber doch die Frage auf, ob eine Gesellschaft überhaupt noch Utopien haben kann? Man muß sich vor Augen halten, dass wir am Beginn des 21. Jh. stehen, auf dem gegenwärtigen Höhepunkt vieler Bereiche unseres Lebens. Viel haben wir erreicht im letzten Jahrhundert. Auf den Gebieten der Wissenschaft und Technik, aber auch auf dem Gebiet der Politik. Ist unser Staat nicht einer der sozialsten Staaten weltweit? Wo kann da noch Platz sein für Utopien? Weltfriede? Das Ende der Arbeitslosigkeit? Nun, sicher wird es immer Utopien geben, aber auf Grund anderer Probleme rücken Utopien vorerst in den Hintergrund. Auch können Utopien irgendwann einmal an ihr Ende gelangen. So wie die Utopie, die sich damals um das Potential der Arbeitergesellschaft kristallisiert hat. Die damalige Utopie war eine Emanzipation, d.h. Freisagung der Arbeit von Fremdbestimmung. Diese arbeitsgesellschaftliche Utopie hat ihre Überzeugungskraft eingebüßt, nicht nur weil Produktivkräfte ihre Unschuld verloren haben und Erfahrungen gemacht haben und weil die Abschaffung von Privateigentum an Produktionsmitteln nicht automatisch in eine Arbeiterselbstverwaltung übergeht. Auch diese Utopie hat schlicht und einfach ihre Bezugspunkte in der Realität verloren.

Kurzum, die Überzeugungskraft der arbeitsgesellschaftlichen Utopie schwindet.

Der Sozialstaat zehrt laut einer These Habermas‘ immer noch an der arbeitsgesellschaftlichen Utopie und verliert damit die Kraft, künftige Möglichkeiten eines kollektiv besseren und weniger gefährdeten Lebens zu erschließen. Diese Utopie scheint dem Sozialstaat den Blick auf das Hier und Jetzt zu verschleiern. Dieser Umstand ist selbstverständlich keine positive Eigenschaft eines gegenwärtigen Wohlfahrtsstaates.

Nun zu den inneren Schwierigkeiten, die dem Sozialstaat aus seinen bisherigen Erfolgen entstehen. Das Ziel des Sozialstaates sollte sein, die Förderung und Sicherung menschenwürdiger, emanzipierter Lebensformen zu erreichen. Aber der Staat braucht Mittel, um dieses Ziel zu erreichen: Macht! Ist es aber das richtige Mittel? Und wieviel Macht ist nötig, um die eigene Programmatik (bsp. Wirtschaftssystem) in Zaum zu halten? Gibt es vielleicht Alternativen, um neue Lebensformen hervor zu bringen?

Bleiben wir bei dem Beispiel der Wirtschaft, um Probleme auf zu zeigen: Je erfolgreicher der Sozialstaat seine Programme (z.Bsp. Investitionspolitik) durchsetzt, um so stärker trifft er auf Widerstände von seitens der privaten Investoren. Auch die steigende Arbeitslosigkeit, mangelnde Investitionsbereitschaft und die Krise öffentlicher Haushalte werden mit dem Wohlfahrtsstaat in Verbindung gebracht.

Der Sozialstaat schlittert nun in eine Situation, in der zu Bewußtsein kommt, dass der Sozialstaat selber keine Quelle für Wohlstand ist und er kann auch Arbeitsplatzsicherheit nicht als Bürgerrecht garantieren.

Es besteht die Gefahr, dass dem Sozialstaat die Basis wegrutscht, denn die aufwärtsmobilen Wählerschichten, die vom Sozialstaat den meisten Nutzen hatten, vergessen ihre Wurzeln und schließen sich skrupellos gegen untere Schichten nutzenmaximierend zusammen. Gefahren gehen von einer Umstrukturierung der Wählerschichten aus, denn die Sozialdemokratie kann nicht mehr bedingungslos auf ihr sozialistisches Wählerklientel zurückgreifen.

Demnach scheint eine Disziplinierung der ökonomischen Macht keine geradlinige, einfache Aufgabe zu sein.

Ein Schwachpunkt des Sozialstaates ist, dass der Alltag der Menschen bestimmt wird durch die Macht des Staates. Auf der einen Seite braucht der Staat Macht, um sozialstaatliche Programme durchzusetzen, auf der anderen Seite jedoch ist der Alltag durchzogen von Bürokratien und diversen Rechtsnormen.

Kurzum, dem Sozialstaat ansich wohnt der Widerspruch zwischen Ziel und Methode inne. Das Ziel des Sozialstaates ist die Stiftung von freien Lebensformen, die individuelle Spielräume erlauben. Aber dieses Ziel kann nicht immer auf direktem Wege erreicht werden, denn neue Lebensformen können nicht nur durch Macht hervorgebracht werden.

[...]


1 Habermas „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien“ Seite 141

2 Quelle: www.wissen.de

3 aus : Habermas: „Die Krise des Wohlfahrtsstaats und die Erschöpfung utopischer Energien“ Seite 144

4 aus : Habermas „Die Krise des Wohlfahrtsstaates und die Erschöpfung utopischer Energien“

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Habermas - Neue Unübersichtlichkeit
Veranstaltung
Proseminar
Autor
Jahr
2001
Seiten
5
Katalognummer
V105166
ISBN (eBook)
9783640034635
Dateigröße
332 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Habermas, Neue, Unübersichtlichkeit, Proseminar
Arbeit zitieren
M. Rocks (Autor:in), 2001, Habermas - Neue Unübersichtlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105166

Kommentare

  • Gast am 3.11.2005

    na, ja.

    die arbeit enthält gute gedanken. das lesen der arbeit wird erheblich gestört durch das schlechte, bisweilen kaum erträgliche deutsch des autors.
    P. v. S.

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Titel: Habermas - Neue Unübersichtlichkeit



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