Das Thüringer Königreich


Skript, 2001

35 Seiten


Leseprobe


Vorwort

Die Grenzen und Auswirkungen unserer Wohlstandsgesellschaft und die damit einhergehende Entfremdung von den naturgegebenen Grundlagen unserer Existenz sind gerade in letzter Zeit vielen Menschen bewußt geworden. Dies hat zu einer allgemeinen Rückbesinnung auf die Grundlagen unseres Daseins und zu einem wachsenden Interesse an unserer Herkunft geführt. Es liegt in unserer Natur, daß wir bestrebt sind unseren wahren Ursprung zu ergründen, weil die Gene, die wir in uns tragen, uns schon auf einer unbewußten, aber biochemischen Ebene an unsere Ahnen binden.

Als ich im Jahr 2000 Reinhold Anderts Buch „Der Thüringer Königshort“ aufmerksam ge- lesen hatte, beschloß ich, mich näher mit der Geschichte des Thüringer Königreiches zu be- schäftigen, über das bis jetzt nur wenig Literatur veröffentlicht worden war, deren Verfasser sich meistens an die kläglichen schriftlichen Überreste altfränkischer Chronisten klammerten, ohne jedoch die Gesamtheit aller Quellen zu nutzen. Darunter verstehe ich die Einbeziehung und das Vergleichen aller Informationen aus der Geschichts- und Altertumsforschung inklu- sive ihren Teilbereichen Genealogie und Archäologie, der germanischen Namensentstehung in Verbindung mit der Topographie (Toponymie) sowie der germanischen Mythologie.

Nach einer gründlichen Überarbeitung altfränkischer und römischer Geschichtsquellen sowie der computergestützten Aufarbeitung genealogischer Daten sind von dem amerikanischen Genealogen Gary O. Green 1998 neue Erkenntnisse über die altfränkischen Königshäuser veröffentlicht worden. Fehlende Jahresangaben wurden unter Zuhilfenahme geschichtlicher Ereignisse hochgerechnet. Durch diese Art der genealogischen Datenverarbeitung kamen erstaunliche Ergebnisse ans Licht. Besonders die verwandtschaftlichen Verhältnisse zum Thüringer Königshaus und zu den Königen der Ostgoten und Langobarden sind weitreichen- der als bisher angenommen und könnten die sagenhaften Berichte über „Brudermord“ und Erbstreitigkeiten bestätigen, was letztlich ja auch zur Zerschlagung des Thüringer König- reiches geführt hat.

Die in einigen Chroniken veröffentlichten Namen Thüringer Könige sind zum größten Teil Erfindungen spätmittelalterlicher Chronisten. Auch das Wissen über die Geschichte des Thüringer Königreiches besteht, außer der „Historia Francorum“ des fränkischen Chronisten Gregor von Tours (538-595) und der „Vita Radegundis“ des Dichters Fortunatus (534-609), mehr aus im alten Volksglauben überlieferten Sagen als auf wahrheitsgetreuen Berichten. Da aber jede Sage einen wahren Kern enthält, ist es durchaus möglich, eine Rekonstruktion über die zu jener Zeit stattgefundenen Ereignisse zu wagen. Durch Gregor von Tours sind auf jeden Fall die letzten Thüringer Könige verbürgt, nämlich die drei Söhne König Bisin II.: Baderich / Balderich („der Kühnreiche“), Berthachar / Berthar („der glänzende Held“) und Herminafrid / Irminfrid („der große Frieden“).

Auf der Grundlage der mir zur Verfügung stehenden Quellen habe ich versucht, meine Sicht über die Entstehung und das Ende des Thüringer Königreiches darzulegen. Einen endgültigen Beweis, ob es tatsächlich so gewesen ist, wird letztendlich nur die Archäologie erbringen können, was Frau Dr. Duseks Abhandlung „Ur- und Frühgeschichte Thüringens“ eindrucksvoll belegt. Denn „königliche“ Grabfunde sind bisher, außer in Gispersleben, Oßmannstedt, Großörner, Stößen und Zeuzleben, noch nicht gemacht worden. Das Grab eines Thüringer Königs mit seinem vermutlich reichen Goldschatz läßt immer noch auf sich warten. Seine Entdeckung würde sicherlich viel Licht ins Dunkel bringen.

Rüdiger Gebser

Mitglied in der AG Mitteldeutsche Familienforschung e.V.

Erfurt im Oktober 2001

Die Thüringer

Wer sich mit der Herkunft der alten Thüringer beschäftigt, stellt sehr schnell fest, daß er sich mit der germanischen Besiedlung ganz Mitteldeutschlands auseinandersetzen muß. Da aber Vorgänge siedlungsgeschichtlicher Art in schriftlichen Quellen im allgemeinen nur einen schwachen Niederschlag gefunden haben, ist der Forscher daher in besonders starkem Maße auf die Heranziehung von Bodenfunden, auf die Untersuchung von Orts- und Gewässernamen sowie auf die Analyse von Orts- und Flurformen angewiesen. Die siedlungsgeschichtliche Forschung hat die Bedeutung dieser Quellengattungen seit langem erkannt, und es haben sich im Laufe der Zeit methodische Grundsätze für ihre Verwendung und Aussagekraft entwickelt. Seit Wilhelm Arnold, der 1875 sein grundlegendes Werk über die „Ansiedlungen und Wan- derungen deutscher Stämme, zumeist nach hessischen Ortsnamen“ veröffentlichte, weiß man um den Aussagewert, aber auch um die Problematik der Ortsnamenkunde und ihre Verwend- ung für die Erhellung siedlungsgeschichtlicher Prozesse. An die Arbeit von Arnold anknüpf- end veröffentlichte A. Werneburg 1884 sein Buch „Die Namen der Ortschaften und Wüstung- en Thüringens“, in dem er besonders die Ortsnamen mit Endungen auf -leben und -stedt zu erklären versucht. Insbesondere ist es aber auch die mythologische Religion unserer Vorfahr- en, die uns in schriftlicher Form in der älteren Edda erhalten ist und ebenfalls Aufschlüsse über frühes Siedlungsverhalten und die Entstehung mancher Ortsnamen geben kann.

Alle germanischen Stämme besaßen, trotz mancher geographischer Isoliertheit, ein „meta- physisches“ Urbewußtsein. Man verehrte, mehr oder weniger, die selben Götter und erzählte sich die selben Geschichten über die Entstehung der Welt und den Kampf der Götter diese im Gleichgewicht zu halten und berichtete von einem gemeinsamen Ursprung.

Die moderne Forschung geht heute davon aus, daß die Germanen ein Teilvolk der großen indogermanischen Völkerfamilie sind, die aus Zentralasien kommend, nach Europa einwan- derte und durch die ethnische Vermischung mit der ansäßigen Bevölkerung, die antiken Völker (Perser, Hethiter, Griechen, Illyrer, Kelten, Romanen und Germanen) gebildet hat. Siedlungsarchäologisch sollen bereits die Bandkeramiker, die im 4. Jahrtausend in Mitteleu- ropa im Donauraum lebten, Indogermanen gewesen sein, ebenso die Trichterbecherleute, die im 3. Jahrtausend vor Christus im nördlichen Mitteleuropa siedelten und an die uns heute ihre Megalith- oder Hünengräber erinnern. Fest steht aber, daß die in der späten Jungsteinzeit ab etwa 2300 vor Christus in ganz Mitteleuropa lebenden Schnurkeramiker oder Streitaxtleute Indogermanen gewesen sind. Sie kamen über die Donau und den thüringischen Raum (!) nach Nordeuropa und mit ihnen die schnurverzierten Töpfe, die steinernen, feingeschliffenen Streitäxte und die Einzelgräber, so daß ihr Weg der Elbe und Oder abwärts archäologisch leicht zu verfolgen ist. In Küstennähe trafen sie auf die Megalithleute, die Erbauer der Hünen- gräber, jenes Bauernvolk, das aus westlichen Bereichen kommend, die bereits ansäßige Jäger- und Fischerbevölkerung unterworfen und an die Ackerarbeit gewöhnt hatte. Die Streitaxtleute setzten sich neben diesen Megalithbauern fest und langsam setzte auch hier die gegenseitige Durchdringung ein (in der germanischen Mythologie begegnet uns dieses Ereignis als Kampf der Asen- und Wanengötter, die sich schließlich gemeinsam die Götterwelt teilten). Aus der Vermischung dieser beiden Völker gingen die Germanen hervor. Sie waren also genau wie die Kelten und Illyrer das Produkt einer umfangreichen Rassenmischung.

Wann dieser um 2000 vor Christus beginnende Vorgang beendet war, ist schwer zu sagen. Das steingefaßte Einzelgrab hat das Hünengrab um 1700 vor Christus verdrängt, so daß man ab hier vorsichtig von den Urgermanen sprechen kann, die in Südskandinavien und auf den dänischen Inseln heimisch wurden. Bis 1000 vor Christus schoben sie ihre Grenzen langsam im Osten bis Stettin, im Westen bis zur Wesermündung und im Süden bis zu einer Linie vor, die etwa vom Elbknie bei Magdeburg bis zum Oderknie bei Angermünde verlief. Ein Viertel- jahrtausend später hatten sie auf der Verlängerung dieser Linie im Osten die Weichsel, im Westen die Ems erreicht. Aus dieser Position drangen sie im Verlauf der nächsten 250 Jahre bis Schlesien und über den Niederrhein bis nach Belgien vor. Da die im 6. Jahrhundert vor Christus in der norddeutschen Tiefebene existierende Jarstorfkultur eindeutig germanisch ist, kann man ab 550 vor Christus von den Germanen als sprachlich und kulturell eigenständige Bevölkerungsgruppe sprechen. Um 300 vor Christus überschritten sie in breiter Front den Oberlauf der Weichsel, während sie sich im Westen der Mosel näherten, wo sie die Römer zum Halt zwingen. Je weiter sie sich von ihrem Ausgangspunkt entfernten, um so mehr glie- derten sie sich in einzelne Stämme auf und wie im Westen und Süden der keltische Einfluß, so hinterließ im Osten der illyrische Einfluß seine Spuren. Diese, fast 1000 Jahre dauernde, Ausweitung des germanischen Siedlungsraumes ist weder genau zu datieren noch zu be- nennen. Die erste von den Historikern zu verzeichnende Wanderung verbindet sich mit den Namen der Kimbern, Teutonen und Ambronen, die 115 vor Christus von ihren Wohnsitzen an der Nordseeküste aufbrachen. Sie zogen zunächst der Elbe aufwärts, durch das Land der Sueben, wandten sich, als sie in Böhmen auf den Widerstand der Kelten stießen, zur Donau und drangen über die Steiermark nach Kärnten ein, das damals von den keltischen Tauriskern besiedelt war und zur römischen Provinz Noricum gehörte. Sie zogen weiter nach Südfrank- reich, wo die Römer unter Konsul Junius Silanus 105 vor Christus bei Aurasio eine schwere Niederlage hinnehmen mußten. Der Heerführer Gajus Marius besiegte schließlich bei Aquae Sextiae die gefürchteten Speerkrieger (Ger-manen) des Kimbernfürsten Bojorix.

Die Römer bezeichneten die Rheingermanen (Germani cisrhenani) anfänglich als Tungrer, während der Name „Germanen“ als Gesamtbezeichnung aller Stämme etwa 80 vor Christus durch den griechischen Philosophen und Historiker Poseidonius gebraucht wurde.

Die Stammesverbände der Germanen bildeten im wesentlichen drei große Kulturgruppen.

Alle germanischen Stämme feiern in alten Liedern den der Erde entsprossenen Gott Tuisto und seinen Sohn Mannus als Stammväter ihres Volkes. Mannus soll drei Söhne gehabt haben, nach deren Namen die östlichen Stämme in Ingävonen (Ingo), die in der Mitte in Hermione (Irmio) und die westlichen Stämme in Istävonen (Isto) benannt wurden. Die elbgermanische (hermionische) Kultur reichte vom heutigen Brandenburg bis in die westliche Slowakei.

Den Hauptanteil an den Thüringern tragen wohl die Hermunduren (deren Stammesbezeich- nung soviel wie „die großen Dauerbewohner“ bedeutet), welche ab dem ersten Jahrhundert vor Christus zusammen mit den Langobarden, Semnonen, Juthungen, Markomannen und Quaden Träger der elbgermanischen Kultur waren und von Tacitus zu dem großen Stammes- verband der Sueben (Sueven, Sweben = Schwaben) gerechnet wurden.

Fast 400 Jahre lang sind die „Hermunduri“ als suebisch-elbgermanischer Stamm bezeugt und in Thüringen belegen archäologische Funde von Fibeln, eisernen Waffen, Terrinen, Schalen- urnen und rädchenverzierten Keramikteilen in Oberdorla, Nordhausen, Gera-Tinz (Rennöfen zur Eisenverhüttung), Schlotheim, Großromstedt, Dienstedt, Flurstedt, Haina und Haarhausen ihre dauernde Anwesenheit. Zentrale Kultplätze, Brandbestattungen und Fürstengräber weisen auf die Entstehung einer Klassengesellschaft sowie eines mächtigen Gentiladels hin. Es wurde unterschieden zwischen: Nobiles (Adlige), Ingenui (Freie), Liberti (Freigelassene) und Servi (Sklaven). In Oberdorla entstand im ersten Jahrhundert vor Christus eines der wichtigsten hermundurischen Heiligtümer, das noch bis ins sechste Jahrhundert nach Christus von den Thüringern benutzt wurde. Die Verehrung der gallo-römischen Göttin Diana bestätigt die engen Kontakte zwischen Römern und Hermunduren. Aus dem Dianakult wurde unter den Thüringern später der Jechakult. Jecha, von der sich das hochdeutsche „jagen“ ableitet, war die germanische Göttin der Jagd, aber auch der Poesie und wurde besonders in Thüringen verehrt (Jechaburg).

Unter Kaiser Augustus (27 v.Chr. bis 14 n.Chr.) versuchten die Feldherren Drusus (9 bis 12 v.Chr.) und Tiberius (4 bis 6 n.Chr.) das römische Imperium bis zur Elbe auszudehnen, was ihnen aber letztendlich nicht gelang. Denn besonders nach der Varusschlacht bei Kalkries, am Nordrand des Teutoburger Waldes, wo die Legionen des römischen Oberbefehlshabers und Statthalters von Germanien Quintilius Varus im Jahre 9 gegen den Cheruskerfürsten Armin eine entscheidende und am Ende traumatische Niederlage hinnehmen mußten, wurden die Römer wieder in ihre alten Grenzen zurückgewiesen. Die Hermunduren schlossen sich nach diesem triumphalen Sieg zusammen mit den Langobarden dem Cheruskerbund an und kämpf- ten im Jahre 17 in einer verlustreichen Schlacht (in der Leipziger Tieflandsbucht), in der es keinen eindeutigen Sieger gab, gegen den Markomannenbund König Marbods.

Zu Lebzeiten des griechischen Geographen Strabon ( 63 v.Chr. bis 20 n.Chr.), der Schüler des Poseidonius (135 bis 51 v.Chr.) war, siedeln die Hermunduren zusammen mit den Langobar- den beiderseits der Elbe. Dies bestätigt auch der Stiefsohn von Kaiser Augustus, Tiberius, der im Jahre 5 nach Christus in der Altmark auf der rechten Flußseite auf Semnonen und Hermun- duren, auf der linken auf Langobarden stößt. Bereits im Jahre 3 hatte der römische Feldherr Lucius Domitius Ahenobarbus, Großvater Kaiser Nero`s (37-68), heimatlosen Hermunduren in der Gegend der Markomannen (zwischen Ingolstadt und Linz) Wohnsitze zugewiesen.

Im Bündnis mit diesen Hermunduren stürzen die Römer im Jahre 19 unter Drusus den Marko- mannenkönig Marbod und gründen die Provinz Rätien mit der Koloniestadt der Hermunduren Augusta Vindelicorum, dem heutigen Augsburg, als Hauptstadt. Als ersten Stammesfürsten der Hermunduren (noch nicht der Thüringer) nennt Tacitus König Vibilius (Weibel), als er 51 nach Christus den Nachfolger des Markomannenkönigs Marbod, den Goten Catualdo besiegt. Danach verleibt er sich das böhmische Markomannenreich sowie, als er auch König Wannius mit Hilfe dessen Neffen Vangio und Sigo vertreibt, Teile des mährischen Quadenreiches ein. Weibel muß auch maßgeblich an den Kämpfen gegen die Chatten (Hessen) im Jahre 58 betei- ligt gewesen sein, um die als heilig angesehenen Salzquellen an den Flüssen Werra und Fulda sowie der Weser aufwärts bis ins Emmerthal beim heutigen Bad Pyrmont in Besitz zu nehm- en, wobei die besiegten Chatten alle dem höchsten Gott Wodan geopfert wurden.

Im Jahre 98/99 veröffentlicht der römische Gelehrte, Praeconsul von Belgien und Schwieger- sohn des Agricola (Statthalter von Britannien) Publius Cornelius Tacitus (56-118) sein Werk „Berichte über Germanen und Germanien“, in dem er die Hermunduren öfters nennt, sie als „römerfreundlich“ bezeichnet und anmerkt, daß die Elbe im Land dieses suebischen Stammes entspringt (Riesengebirge). Etwa sechzig Jahre später erwähnt der griechische Geograph Klaudios Ptolemaios in seiner „Cosmographica“ einen nördlich der Sudeten wohnenden Volksstamm, den er auf griechisch „Teuriochaimai“ (Teurisker) nennt. Hierbei handelt es sich entweder um, die in Noricum und Böhmen wohnenden, keltischen Taurisker oder um frühe Westgoten (wisi-goths), die sich anfänglich als Thevinger, Thervinger oder Turlicinger be- zeichneten und nichts mit den späteren „Toringi“ zu tun haben. Zwischen 166 und 180 nach Christus gelten die Südhermunduren als Feinde Roms. Offenbar besteht jetzt eine Waffenbrü- derschaft mit den Markomannen, mit denen sie zusammen über die Donau setzen und Beu- tezüge durch die römische Provinz Rätien unternehmen. Dieser „Markomannenkrieg“ gegen Rom, in dem die Hermunduren als Verbündete der Markomannen („Grenzlandleute“) auftre- ten, scheitert jedoch und nur der plötzliche Tod von Kaiser Marc Aurel (121-180) verhindert, daß Böhmen römische Provinz wird. In dieser Zeit beginnen die ingwäonischen Stämme der Angeln und Warnen, durch Klimaverschlechterungen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die Angeln stammen vorzugsweise aus Schleswig und Jütland, während die Warnen aus Holstein und Mecklenburg nach Süden zogen. Die Besiedlung des Thüringer Raumes erfolgte sowohl zeitlich als auch räumlich in unterschiedlicher Weise. Es ist nicht bekannt, ob diese nordisch geprägten Stämme sich durch kriegerische Handlungen ihr Siedlungsrecht erkämpf- ten. Vielmehr wurden sie von den Hermunduren toleriert, ja sogar verehrt. Dies könnte damit erklärt werden, daß die Angeln und Warnen alten Traditionen aus der germanischen Urheimat Skandinavien anhingen, die bei den südlicheren Stämmen größtenteils in Vergessenheit gera- ten waren. Bei der Entstehung des neuen Stammes der Thüringer (Toringi = „Thor`s Leute“?) war dies eine entscheidende Komponente und bei der ethnischen Vermischung aller hier lebenden Volksgruppen (alteinheimische Megalithbevölkerung, indogermanische Illyrer und Kelten, den hermionisch-suebischen Stämmen der Semnonen, Hermunduren, Markomannen, Langobarden sowie den ingwäonischen Stämmen der Wandalen und Burgunder) bildete sich eine anglo-warnische Adelsschicht mit einem erblichen Königtum heraus. Der König (aus kuenec, althochdeutsch = Kuning) war allen germanischen Stämmen heilig. Er war unantast- bar, oberster Priester, Richter und Stammesfürst. Mit dem Heil der Königssippe war das Ge- schick des ganzen Stammes verbunden, was für den König und seine Familie nicht immer von Vorteil war, denn wenn das Heil ausblieb, konnte er auch Wodan (Odin) geopfert werden. Eine endgültige Erklärung, wie es zu der Namensänderung Hermunduren-Toringi-Thüringer gekommen ist, gibt es leider nicht. Vielleicht ist es auch eine zur Zeit nicht lösbare ethnische Definitionsfrage, die Duler, Dulinger, Duren, Duringer, Turlinger, Tungri, Toringi, Turonen, Thervinger, Turcilinger, Teuriochaimai (Teurisker) den östlichen Thüringer Volksgruppen (t) oder aber mehr einer mittelwestlichen Bevölkerung (d) zuzuordnen. Eine Lautverschiebung d-th (Duringer-Thüringer) wäre am ehesten erklärbar, wenn sie vor der Zeitenwende im Rahmen der germanischen Lautverschiebung (Vernersches Gesetz) stattgefunden hätte.

Theoretisch wären danach die Thuringi die Abkömmlinge der Duri. Hierfür gibt es aber keine Beweise, denn bis ins dritte Jahrhundert hält sich der Name Hermunduren. Diese Stammes- bezeichnung enthält die Sprachwurzeln ermena = groß oder Irmin = der Gewaltige, Große und duren = fest, andauernd oder dur = wertvoll, lieb. Die Bezeichnung Hermunduren könnte von Hermondoroi bzw. ermunduroz ableitbar sein und wäre im Urstamm (I(E)rmin, Irminsul) der Sueben/Sweben (aller Hermione) zu suchen. Der Name Toringi könnte aber auch im harten Lautkern von turon/turoz (germanisch = kühn, althochdeutsch = tiuri) oder von den gotischen Thervingern abgeleitet worden sein. Nicht außer acht lassen sollte man auch einen von den Angeln und Warnen übernommenen Namen der Hauptgötter Tyr und Thor (Ziu und Donar). Das Wort „Tü(h)r“ bedeutet das „sich in den Angeln (!) drehende“. Somit würden die Thür- inger oder Toringi sowohl die Leute des Tyr oder Thor oder auch „die Tanzenden, sich Dreh- enden, dem Gott zu Ehren“, bedeuten. Der urgermanische Name des altnordischen Gottes Tyr lautete Tiwaz, althochdeutsch Ziu, altenglisch Tiw, der in ältester Zeit der höchste Gott war. Sein Name ist verwandt mit dem griechischen Zeus und dem indischen Dyaus, auch Dyaus pitar (Vater) genannt, was zum römischen Jupiter überleitet. Das allen diesen Götternamen zugrundeliegende indogermanische Wort „dieus“ bedeutet sowohl „Tag“ als auch „Himmel“ und „Gott des strahlenden Himmels“. Im Laufe der Jahrhunderte verlor Tyr seine überragende Bedeutung. Er wurde zum Kriegsgott, um schließlich in der Spätzeit der germanischen Relig- ion nur noch Gott des Things, also eine Art Rechtsgott, zu sein. Da aber in einem organisiert- en Königreich die Rechtsprechung oberste Bedeutung hatte, wird auch dieser Gott, der zwar immer noch hinter Wodan (Odin) und Donar (Thor) stand, wieder mehr ins Bewußtsein der Thüringer gerückt sein.

Mit dem Thüringer Königreich entstand am Ende des dritten, Anfang des vierten Jahrhunderts das erste stabile politische Staatsgebilde östlich des Rheins und nördlich der Donau. Wann jedoch ein erster Thüringer König definitiv regiert haben könnte, ist schwer zu beantworten. In einigen Chroniken vergangener Jahrhunderte werden in geschichtlich unkorrekter Weise angebliche Königsnamen genannt, die auf Grund von Unwissenheit mit dem Königshaus in Verbindung gebracht wurden. Bis heute werden diese Namen auch in modernen Abhandlung- en genannt, was zeigt, wie schwierig es ist, ein objektives Bild über diese Zeit zu erhalten.

Manche Königsnamen sind von anderen geschichtlichen Persönlichkeiten abgeleitet, die in die turbulente Zeit der Völkerwanderung fallen. Ein angeblicher König Titus ist aller Wahrscheinlichkeit nach abgeleitet vom römischen Kaiser Titus Flavius (39-81) oder von dem Geschichtsschreiber Tacitus (56-118). Ein König Otterich wäre gleichzusetzen mit dem gotischen König Attanarich (+381). In griechischen Chroniken wird dieser auch als arianischer Richter eines Teilstammes der Klein- oder Moesogoten, der sogenannten Theu- oder Thervinger, bezeichnet, deren Namensähnlichkeit zu dieser Verwechslung geführt haben könnte. Mit König Gunther ist eindeutig der Burgunderkönig gleichen Namens gemeint, der sich im Jahre 435 in Thüringen aufhielt. In allen Chroniken tauchen weitere Namen wie Hoger und Erpes auf, die mehr glaubwürdiger erscheinen. Bei Hoger oder Hoierlin (Hoger, Hoyer = „Edler, von edlen Geblüt“) handelt es sich wahrscheinlich um einen anglo-warnisch- en Adligen, der im Jahre 319 die Mühlburg erbaut haben soll. Sein Geburtsjahr kann man genealogisch um das Jahr 280 festlegen. Sein Sohn, Erpes oder Erphes („der Braune“), er- richtete nach dem Tod seines Vaters, um 325, seinen Hof in der Nähe einer Furt durch die Gera (Erfurt). Es ist anzunehmen, daß die Sippe des Hoger (*~280) und Erpes (*304) die späteren Könige der Thüringer stellte.

Als erster König der Thüringer könnte Merwig I. (Moebis) gelten, der um 329 geboren wurde. Dies steht auch in keinem Widerspruch zum letztmaligen Erwähnen der Hermunduren in der Gotengeschichte des Jordanes 335 und der angeblich erstmaligen schriftlichen Erwähnung des Stammes der Thüringer (Toringi) in einem Lehrbuch über Pferdeheilkunde („Mulomedi- cinae sive artis Veterinariae“) des in Konstantinopel lebenden Schriftstellers Vegetius Renatus im Jahre 380. Zur damaligen Zeit brauchte es manchmal mehrere Jahrzehnte oder noch länger bis eine Nachricht über die Gründung eines Königreiches aus dem fernen Germanien bis nach Rom oder Byzanz gelangte. Hinzu kamen die Wirren der Völkerwanderung, die vom Umher- ziehen, Zusammenschließen, Aufstieg und Zerfall germanischer Stämme gekennzeichnet war. Für römische Chronisten war es einfach uninteressant, über die Entstehung eines germanisch- en Königreiches zu berichten, wenn die Interessen des Reiches nicht gefährdet waren, und deshalb war es auch reiner Zufall, daß die Thüringer in Byzanz im Jahr 380 sowie durch den Bischof zu Hippo Regius (Annaba in Algerien), Augustinus Aurelius (354-430), zwischen 413 und 430 genannt wurden (Belagerung von Hippo Regius durch die Wandalen 429/30).

Der Name Merwig (auch Marwech, Merovech, Moebis oder Meginwardis) hat auch eine doppelte Schlüsselfunktion, wenn man davon ausgeht, daß die Adelsschicht der Thüringer aus den im zweiten und dritten Jahrhundert eingewanderten Angeln, besonders aber aus den War- nen bestand. So kann der Name Merowech „vom Meere weg“, also „von einem Meer weg ge- zogen“, und die Warnen zogen ja von der Ostsee nach Südwesten, aber auch „berühmter Kämpfer“ (mar-wig) bedeuten, was die Warnen auf jeden Fall auch waren, denn sonst hätten sie sich nicht als Adelsschicht durchsetzen können. Die Franken hatten über den Ursprung des Geschlechtes der Merowinger eine alte Sage, nach der der erste König Merowech von einem Seeungeheuer geboren wurde. Diese Sage bekommt eine logische Erklärung, wenn man erfährt, daß eine Thüringer Prinzessin, nämlich die Tochter König Merwig I., eine Merowna (367-407), die Mutter des Stammvaters des Hauses Merovech, Clodion Merowech (395-445) und somit der Merowinger ist. Die verwandtschaftliche Bande zu den salischen Franken scheint schon sehr früh entstanden zu sein und es wäre zu überlegen, ob nicht hier der Grund für die späteren Zwistigkeiten zwischen beiden Königshäusern zu suchen ist. Für diese frühe Verwandtschaft sprechen u.a. auch mehrere Funde merowingischer Fibeln, besonders aber von rheinländischen Glas aus dieser Zeit (4./5. Jahrhundert). Der Sohn König Merwig I. ist Wedelphus, der um 360 geboren wurde. Der Name Wedelphus deutet auf den Stammesfürst Vibilius (Weibel) hin, der 300 Jahre zuvor großen Einfluß bei den Hermunduren hatte.

Seine Kinder sind Basina, Banin (irrtümlich auch als Chlodwig I. bezeichnet) und Merwig II..

Im dritten Jahrhundert (um 290) zog der Stamm der Burgunder von der Oder kommend durch Thüringen und bildete nach der Verdrängung der Alemannen zwischen Taunus, Rhein und Neckar ein Königreich. Im Jahre 406 räumten die Römer die Rheingrenze und die Burgunder ließen sich mit den Wandalen als Bundesgenossen der Römer zwischen Mainz, Alzey und Worms nieder. Im Jahre 411 wurde Gunther (Gundikar, Gundahar), aus dem Geschlecht der Gibikungen, König der Burgunder. Das Gebiet links des Rheins wurde König Gunther 413 vom weströmischen Kaiser Honorius vertraglich zugesichert. Im Jahre 435 fiel er aber in die römische Provinz Belgica ein, was einen Vertragsbruch bedeutete. Im gleichen Jahr hielt sich König Gunther deshalb zusammen mit König Merwig II. und König Attila (auch König Etzel, gotisch = „Väterchen“), der 433 zusammen mit seinem Bruder Bleda den hunnischen Thron bestiegen hatte und Verbündeter der Thüringer und Ostgoten war, zu Friedensverhandlungen in Thüringen (in Eisenach oder Günthersleben?) auf. Nach den Scheitern der Verhandlungen wurden die Burgunder von dem Römer Aetius (Feldherr Kaiser Valentianus III.) und Attila 436 geschlagen, ihr Königssitz Worms zerstört (Nibelungensage) und 443 in die römische Provinz Sapaudia (Savoyen) umgesiedelt. Nachdem er seinen Bruder Bleda 445 ermorden ließ, änderte sich jedoch die Bündnispolitik Attilas und er fiel zusammen mit den Wandalen unter König Geiserich, den Thüringern und einigen Ostgoten in die römische Provinz Gallien ein. Er traf dort im Jahr 451 auf Aetius, der neben den Franken und Westgoten unter König Theoderich I. auch die Burgunder auf seiner Seite hatte. Auf den Katalaunischen Feldern (heute Chalons-sur-Marne/Champagne) in der Nähe von Troyes wurde das Heer Attilas (406- 453) jedoch vernichtend geschlagen. Eindrucksvoll wird dieses Ereignis im Jahre 456 vom Bischof von Clermont, Sidonius Apollinarius (430-487) in seinem Heldenepos geschildert, in dem er auch die Thoringi als Verbündete der Hunnen nennt („Apollinaris Sidoni Opera“). Nachdem König Merwig II. gefallen war, siedelte sich der Rest des Thüringer Heeres zwisch- en Maas und Schelde im heutigen Belgien an und bildete hier einen linksrheinisch-thüring- ischen Lebensraum, was in Thüringen zu einem erheblichen Bevölkerungsrückgang führte. Warum sie dies taten, ist bis heute unklar. Vielleicht waren sie durch den Tod ihres Königs so unmotiviert, daß sie den weiten Heimweg nicht mehr antreten wollten oder dieser wurde ihnen durch die Franken versperrt. Bezeugt werden diese „Westthüringer“ durch einen Brief Theoderich des Großen aus dem Jahre 491, der die Könige der Heruler, Warnen und Thür- inger um Unterstützung gegen den Frankenkönig Clodwig bittet („et ideo vos, quos conscia virtus erigit et consideratio detestabilis“).

Ebenfalls im dritten und vierten Jahrhundert brachen die Semnonen, bedrängt durch die Bur- gunder, vom Havelland aus auf und zogen Richtung Südwesten, wo ihre Vorfahren schon im zweiten Jahrhundert zusammen mit den Juthungen und Resten der Chatten und Markomannen den Stamm der Alemannen gebildet hatten. In Thüringen verblieb ein Teil der Semnonen, die hier als Nordsweben bezeichnet wurden. Auf sie gehen u.a. auch Ortsgründungen mit End- ungen auf -ingen und -ungen sowie Semmenstedt und Sömmerda (Semeringen) zurück.

Die Hauptkönigshöfe Merwig II. (wahrscheinlich auch schon die seines Großvaters) könnten Möbisburg (Merwigsburg) südwestlich von Erfurt aber auch der Rote Berg bei Gispersleben (hermundurisches Fürstinnengrab von Haßleben vom Ende des dritten sowie altthüringisches Wagengrab vom Kleinen Roten Berg [Gattin Berthachars?] vom Anfang des sechsten Jahr- hundert) gewesen sein, wobei der Petersberg, welcher genau die Mitte dieser beiden Orte bildet, die Funktion des zentralen Thingplatzes erfüllt hätte. Die neuere Forschung nimmt an, daß auf dem Petersberg eine Kultstätte von überörtlicher Bedeutung lag. Auf dem Berg legten die Franken unter König Dagobert I. (611-639) später eine Königspfalz an, die sich zum zentralen Verwaltungssitz entwickelte und noch bevor Bonifatius im Jahre 724 das erste Mal nach Erfurt kam, gründeten Benediktinermönche hier schon eine kirchliche Niederlassung.

Die für das Jahr 706 angenommene Stiftung des Petersklosters ist allerdings nachweislich eine Fälschung. Da die Benediktiner aber schon zu Lebzeiten Herzog Radulfs (590-641) erste Missionsbemühungen in Thüringen unternahmen, ist es durchaus möglich, daß das Jahr 706 als Gründungsjahr zutreffend ist. Vielleicht war das Original der Urkunde verloren gegangen und man fertigte deshalb später eine Kopie davon an.

Für Möbisburg spricht, wie im Fall von Herbsleben als Sitz König Herminafrids, alles für Merwig. Erstens ist der Ortsname Möbisburg einzigartig, zweitens seine zentrale Lage und drittens befinden sich östlich des Ortes tatsächlich Anlagen einer alten Wallburg. Dieser Ort und auch der Rote Berg (heutiges Zooparkgelände) wurden schon seit der Steinzeit besiedelt, was Funde von Schnurkeramik belegen. Die Franken errichteten auf dem Gelände der Möbis- burg (heute Friedhof) im 9. Jahrhundert eine Wehrkirche, die auf den wichtigen Stellenwert dieser Anlage verweist. Das Kirchenpatrozinium des altfränkischen Heiligen Dionysius läßt vermuten, daß hier seit der frühen Merowingerzeit eine Kirche stand. Dionysius wurde vom römischen Bischof Fabianus als Missionar um 250 nach Gallien geschickt und war vermut- lich der erste Bischof von Paris, dem damals römischen Lutetia. Er wurde von den Römern enthauptet und soll mit seinem Kopf in den Händen noch ein Stück gelaufen sein, bis er zu- sammenbrach. An jener Stelle, wo Dionysius sich niedergelegt haben soll, errichtete König Dagobert I. 626 die nach Dionysius benannte Abtei mit der Kathedrale Saint-Denis, die dann auch den französischen Königen als Grablege diente. Nicolaus von Siegen aus dem Erfurter Peterskloster schreibt in seinem „Chronicum Ecclesiasticum“ über Möbisburg: „Auch wohnte dieser Merwig in Thüringen in seiner Burg Merwigsburg, die jetzt allgemein Merwisburg heißt, von Erfurt eine knappe Meile entfernt, wo bis zum heutigen Tag die der Verehrung des heiligen Bischofs Dionys geweihte Pfarrkirche steht.“ Von der Möbisburg blickt man auf das Tal der Gera, die sich in Erfurt (Erpesfurth) in mehrere flache Arme verzweigt und dann bei Gebesee in die Unstrut fließt. Sie führte die Leute aus den südlichen Mittelthüringen zur zent- ralen Versammlungsstätte der Thüringer, zur Tretenburg. Da die Gera von Erfurt aus wie eine Lanzenspitze auf die Altthüringer Thingstätte zeigt, könnte man den Namen dieses Flusses, der soviel wie „Speerwasser“ (Ger-aha) bedeutet, hiermit erklären.

Auch in der näheren Umgebung von Möbisburg (Hochheim, Melchendorf, Rhoda, Rock- hausen und Molsdorf) sind von den Franken Siedlungen angelegt wurden, die ebenfalls auf ein System von Wachstationen schließen lassen. Das gleiche gilt für die Umgebung des Roten Berges und Gispersleben (Stotternheim, Mittelhausen, Kühnhausen, Tiefthal und Mar- bach). Ortschaften wie Bischleben oder Bösleben könnten Hinweise auf den Sohn König Merwigs II., Bisin I. (auch Besino oder Basinus) enthalten. Oberhalb von Bischleben, im nahen Steigerwald, befindet sich ebenfalls eine vorgeschichtliche Wallburg und ein Stück weiter östlich davon ein Hügelgrab (vielleicht aus der La-Tene-Kultur). Auch würde die Nähe zur Königssippe die Existenz der „Leben-Orte“ östlich von Arnstadt erklären, in deren Zent- rum Bösleben liegt. Ein weiterer Thingplatz könnte hier der Ort Thörey („Thor‘s Eiche“) zwischen Rudisleben und Ingersleben gewesen sein, der direkt auf den Hauptgott der Angeln und Warnen Thor verweist, wobei die Orte Ichtershausen, Marlishausen, Riechheim, Dorn- heim, Dannheim und Osthausen wiederum als fränkische Wachstationen gelten könnten. Auch die „Leben-Orte“ zwischen Eisenach und Erfurt, die sich in den Tälern von Apfelstädt, Nesse, Hörsel und Tonna wie Perlen an einer Schnur aufreihen, orientieren sich an alten heil- igen Plätzen z.B. Alach, Friemar, Wechmar (großes bandkeramisches Gräberfeld bei Wand- ersleben ca. 4000 Jahre vor Christus), Gotha, Erffa (Friedrichswerth) und Aschara.

Die Hermunduren glaubten, daß in den Hörselbergen bei Eisenach der Sitz des „Wilden Heeres“ sei. Vondort aus stürmten in rauhen Nächten neben Donar (Thor) auch Gott Wodan und seine Gattin Hulda, welche die in Walhalla lebenden Heerscharen anführten, durch das Hörselloch in Richtung Thüringer Wald zur „Wilden Jagd“. Voran ging ihnen der getreue Eckhard mit seinem weißen Stab, der die Menschen vor dem „Wilden Heer“ warnte.

Den Hörsel- und Nessetalbewohnern hatte es besonders Hulda angetan, denn ihr begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Aus der Frau Hulda, der Göttin der Fruchtbarkeit, Beschützerin der Quellen, Saaten und des ungeborenen Lebens wurde später Frau Holle. Die christlichen Missionare machten aus der alten Hulda-Holle eine heidnische Hexe (Venus), welche ehrbare christliche Ritter mit ihren Reizen verführte und sie somit in die tiefste Verdammnis stürzte. Richard Wagner nahm später diesen Stoff auf und schuf auf der Grundlage dieser uralten Sage seine Oper „Tannhäuser“, die ebenfalls an den Hörselbergen spielt.

Zwischen 390 und 406 zogen die Hasdinger, ein Teilstamm der Wandalen, durch Thüringen und verbündeten sich mit den Burgundern. In diese Zeit fallen Ortsgründungen, die auf den Stamm der Hasdinger verweisen: Ingersleben (Ingo/Freyr = ostgermanischer Stammesgott), Wandersleben, Haßleben (Hastingesleybin), Alleringersleben, Ostingersleben und Ingeleben, während Orte wie Günthersleben bei Gotha, Gundersleben bei Mühlhausen und Güntersleben bei Würzburg vielleicht auf die Burgunder zurückzuführen sind.

In der Gegend um den Roten Berg, nördlich des Erfurter Stadtzentrums, kamen auch einige archäologische Schätze zu Tage. Neben dem 1913 in Haßleben entdeckten, reich ausgestattet- en hermundurischen Fürstinnengrab aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts [vermut- lich eine Verwandte von Prinzessin Biogonna (*212), welche mit dem Herulerkönig Tenerich (200-237) vermählt wurde und die Mutter König Alberichs (235-292) war] mit zahlreichen hermundurischen Goldschmuckstücken und einer Münze mit dem Bildnis des Kaisers Gallienus (259-268), machte man 1978 auf dem Kleinen Roten Berg bei Erfurt-Gispersleben eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Archäologen stießen auf einen ehemals vorhandene Grabhügel mit einem Holzkammergrab indem sich ein zusammengebrochener Wagen befand. Auf den Wagenresten lag das Skelett einer 20-25jährigen Frau mit Resten eines Goldfäden durchwebten Kleidungsbesatzes. Man fand eine goldene Haarnadel, Reste eines Trinkhorns, einen silbernen Löffel mit Schale und verschiedene Alltagsgegenstände. Weiterhin entdeckte man, daß das Grab von Grabräubern geplündert worden war, als es noch begehbar gewesen ist. Der Ort Gispersleben (Gisbodisleybin) könnte also durchaus einen Königshof beherbergt haben, denn auch der germanische Name Gisbot setzt sich aus den Wörtern „edel“ und „ge- bieten“ zusammen. Bestätigt wird diese Vermutung zusätzlich durch die Nähe zu den alten hermundurischen Heiligtümern (Alach) und zu so manchen anglo-warnischen „Leben-Ort“ wie z.B. Bindersleben (Bilterisleybin), das Erbe eines Bilderich (Schwert-reich).

Bemerkenswert ist, daß bis jetzt nur Frauengräber von fürstlichem Rang gefunden wurden. Vielleicht wurden die Könige auch nicht bestattet, sondern, um mit den Göttern vereint zu sein, verbrannt und die Asche in heilige Gewässer gestreut. Das königliche Grab von Gispers- leben wurde an den Anfang des sechsten Jahrhunderts datiert und es ist zu vermuten, daß es sich bei der Frau um die Gattin König Berthachars (Mutter von Radegunde) oder um eine Tochter König Bisin II. handelte.

Die Tatsache, daß es zwei Bisinos gegeben hat (nämlich Vater und Sohn) bestätigt sich auch in den fränkischen Berichten, daß einmal eine Basena und das andere mal eine Menia als Gattin Bisins genannt wird. Auch die Häufigkeit und die unterschiedliche Verteilung der Orte, die auf König Bisin verweisen (z.B.: Beesenstedt, Bösenburg, Bösenrode, Biesenrode, Nieder- und Oberbösa, Beesewege, Bisdorf, Bösewig, Bösleben, Bischleben, Beesen, Beesenlaub- lingen sowie der Fluß Biese), kann viel besser mit dem Auftreten von zwei Personen gleichen Names erklärt werden. Bereits Bisin I. verlegte seine Hauptresidenz aus dem Gebiet um Erfurt in die Nähe von Eisleben. Zwischen den geschichtsreichen Dörfern Hedersleben, Polleben, Friedeburg und Fienstedt liegt der Ort Beesenstedt, das alte Bisinstede (1144 Bisenstide). Lage und Entstehung dieses Ortes sind durch zwei sich hier kreuzende uralte Straßen bedingt: der sogenannte Königsstieg (!), der aus dem südlichen Nordthüringen kommend zu den alt- thüringischen Königsgütern im Fleischbachtal, und zwar nach Königswiek führt, stößt hier auf den Landweg Eisleben-Hedersleben-Wettin. In Lehnsbriefen wird auch von einer Mark Beesenstedt als eine besondere Dorfstätte berichtet. Beesenstedt ist demnach die Stätte eines Bisin, der auch in der Nähe eine nach ihm benannte Burg (Bösenburg) hatte. Die Armut an archäologischen Funden ist kein „Armutszeugnis“, sondern ein Beweis für ein stetiges, volkreiches Bewohnen, das nicht durch Zeiten der Verödung unterbrochen war (nur bei Großörner ist das Grab eines Jungen gefunden worden, das eine goldene Pferdetrense hunnischen Stils enthielt und somit auf königliche Herkunft schließen könnte).

Der Name Bisin oder Besino leitet sich vom altgermanischen (nordischen) „bisa“ ab und bedeutet soviel wie „wild, alle Kräfte aufbietend, losstürmen“. Es liegt also in dem Eigennamen der Begriff „Kraftmensch, Draufgänger, Stürmer“ - eine Eigenschaft, die germanische Väter in ihren Söhnen gewiß gerne sahen und sie ihnen durch die Namensgebung anwünschten. Auch der Name Basina war nicht einzigartig und kam unter thüringischen Prinzessinnen nicht selten vor, von denen so manche auch nach Franken einheiratete.

Zwischen 1886 und 1957 wurden im Stadtgebiet von Weimar mehr als 100 Reihengräber entdeckt, die zu einem Adelsfriedhof vom 5. bis 7. Jahrhundert gehörten. In einem relativ einfachen Frauengrab (Nr. 52) wurde ein silberner Löffel mit der Aufschrift „BASENAE“ auf dem Löffelgriff gefunden. Leider ist dieses Fundstück später dem Museum für Ur- und Frühgeschichte verloren gegangen. Sein Aussehen ist noch in einer Zeichnung enthalten, die im Werk von Prof. Behm-Blancke „Gesellschaft und Kunst der Germanen“ zu sehen ist.

Der Löffel zeigt auf der Oberseite des Griffs den Namenszug und auf den Seiten des Verbin- dungsstückes zwischen Griff und Löffelschale ein Christuskreuz (Christogramm) und ein Weinblatt. Das Wort Basenae ist die lateinische Mehrzahl von Basina und erst ein Blick auf den Stammbaum verdeutlicht, wieviele Basenae es gegeben hat. Es ist allerdings eine erfun- dene Geschichte, daß die Frau Bisin I., Basena (eine Tochter des Ostgotenkönigs Theudimir) mit Childerich I. nach Franken gegangen sein soll. König Childerich mag sich sehr wohl im Jahre 458 in Thüringen aufgehalten haben, aber nicht um Königin Basena zu verführen, sondern um seine Braut, die Cousine König Bisin I., Basina Andovera zu umwerben. Aus dieser Verbindung entstammt u.a. Andelfrieda, die den Ostgotenkönig Theoderich den Großen heiratete und Clovius (Chlodwig der Große), der Vater von Chlothar I. und Theude- rich, die später den Untergang des Thüringer Königreiches herbeiführten.

Der Sohn Bisin I., Bisin II. heiratete Menia, während seine jüngere Schwester Radegunde 503 mit dem späteren Langobardenkönig Wacho (482-540) verheiratet wurde. Es wird vermutet, daß auch Menia eine langobardische Prinzessin war, die nach dem Tod Bisins II. auch wieder mit einem langobardischen Adligen verheiratet wurde. Die Langobarden, die um 400 die Elbe aufwärts zogen, 465 links der mittleren Donau siedelten (Pannonien) und ab 488 unter die Ab- hängigkeit der Heruler gerieten, besiegten 508 den Herulerkönig Rodulf und dehnten so ihre Herrschaft bis nach Noricum (Österreich) aus. Ähnlich erging es den Ostgoten, die ab 454 auf der Balkanhalbinsel siedelten. Ihr Oberhaupt, Theoderich Strabo, war nicht nur König der Ostgoten (ab 473), sondern auch „magister militum“ des oströmischen Kaiserreiches.

Nachdem dieser 480 bei einem Reitunfall ums Leben kam, erlangte Theoderich aus dem Ge- schlecht der Amaler die Herrschaft unter den Ostgoten und rebellierte 485/86 mehrfach gegen Ostrom. Er verständigte sich mit Kaiser Zenon (436-491) darüber, dem germanischen Statt- halter Italiens, Odoaker, die Herrschaft zu entreißen, und setzte sich im Herbst 488, durch die Reste der Rugier, deren König Friedrich zu ihm geflüchtet war, unterstützt, mit seinem Volk in Bewegung. An der Save schlug Theoderich die Gepiden, überschritt im Sommer 489 die Ostgrenze Italiens und besiegte Odoaker schließlich nach langen Kampf im März 493 in Rav- enna (Odoaker, Heerführer Westroms, wurde, nachdem er Kaiser Orestes besiegte, im August 476 König der Heruler, Skiren und Turcilinger sowie Statthalter Ostroms in Italien).

König Theoderich war bemüht, das gute Verhältnis zu Ostrom aufrechtzuerhalten und spielte gleichzeitig eine Vermittlerrolle zwischen den germanischen Königreichen, wozu besonders Bündnisheiraten von Nutzen waren. Der König gab eine seiner Schwestern dem Wandalenkönig Thrasamund zur Frau, er selbst ging die Ehe mit einer Schwester des Frankenkönigs Chlodwig ein. Eine seiner Töchter vermählte er mit Sigismund, dem Sohn des Burgunderkönigs Gundobad, eine zweite mit dem Westgotenkönig Alarich.

Mit den Thüringern und Wandalen verband die Ostgoten eine alte Freundschaft, die auch nach Attilas Tod andauerte. Um 480 war der Thüringer König Bisin II. auf dem Höhepunkt seiner Macht (berichtet durch den Presbyter Eugippius, Biograph des Mönches Severin).

Hochangesehen und mit den einflußreichsten Königshäusern (Franken, Langobarden und Ost- goten) verwandt, regierte er eines der größten Königreiche (größte Nord-Süd Ausdehnung ca. 430 km, größte Ost-West Ausdehnung ca. 220 km, ungefähre Fläche ca. 60.000 qkm).

Siedlungsgeschichtlich sind die Ortsnamen auf -leben ein besonders aussagefähiger Typ, da deren Verbreitung sich mit dem Umfang des Thüringer Königreiches zu decken scheint.

Die meisten Orte mit Endungen auf -leben (anglo-warnisch „leiba[n]“ = „das Erbe des“ oder „der Besitz von...“), auf -ungen und -ingen (suebisch = „die Leute von...“), sowie auf -stedt oder -städt (althochdeutsch „stadi“ = Ort, Stätte) nördlich, östlich und südlich des Harzes sind reine thüringische Gründungen des dritten und vierten Jahrhunderts. Auch in Jütland, dem Stammland der Angeln (heutiges Dänemark), findet man heute noch viele Orte mit Endungen auf -lev, die einigen Orten mit Endungen auf -leben sehr ähnlich sind (z.B.: Gjerlev = Ger- leben, Haderslev = Hadersleben, Orslev = Orsleben, Alslev = Alsleben, Tinglev =Thingleben, Undelev = Undeleben, Gorlev = Gorleben, Haslev = Haßleben u.a.). Im Gegensatz hierzu stehen die Ortschaften mit Endungen auf -aha, -mar, -loh, -er, -ari und -ede, die als Gründ- ungen der Hermunduren aus dem ersten und zweiten Jahrhundert angesehen werden können. Auch das keltische Wort für Salz „hal“ ist in hermundurische Ortsgründungen mit eingefloß- en (z.B.: Halberstadt, Halle und Hallungen). Es gibt aber auch Ortschaften, die durch ihren Wortstamm auf eine reine warnische oder anglische Gründung verweisen (Gründungen der Warnen: Wahrenberg, Wahrenbrück, Wahrenholz, Warnstedt, Werna, Wernberg, Werneck, Wernigerode und Wernstedt; Gründungen der Angeln: Angelroda, Angstedt, Angelhausen, Egeln, Westeregeln sowie die Dörfer im Gau Engelin wie Westerengel, Kirchengel, Holz- engel und Feldengel). Ortsgründungen der fränkischen Eroberer, die allerdings alle nach 531 stattfanden, haben meistens Endungen auf -hausen, -heim, -dorf, -bach, -feld oder -thal, aber auch direkte Hinweise auf den Stamm der Franken finden sich in den Ortsnamen von Frank- endorf, Frankenhain, Frankenhausen, Frankenheim und Frankenroda. Mit allen „Leben- Orten“ aus dem heutigen Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern kommt man auf eine Zahl von rund 250 Ortschaften, wobei einer von jeweils zwei gleichlautenden Orten mit den Vorsilben Groß- und Klein- oder Ober- und Nieder- von slawischen Siedlern im 6. und 7. Jahrhundert gegründet wurde.

Auch über den gesamten altmärkischen Raum verbreitet finden sich Orte dieses Typs in lock- erer Streuung. Bereits nördlich der Ohre liegen Hillersleben und Farsleben, am Südrand der Letzlinger Heide die Wüstungen Groß- und Kleinhermsleben, in der östlichen Hälfte der Alt- mark Grobleben, Erxleben und Walsleben, weiter im Westen Gardelegen (ursprünglich Gar- leiba, Gardeleben), Altmersleben, Jeggeleben, Trippigleben, Rittleben, Hohen- und Sieden- dolsleben, Ritzleben, Rathsleben, die Wüstung Bissleben und das ursprünglich gleichfalls auf -leben endende Thielbeer (1375 Tilebe). Ortsnamen auf -leben reichen auch ins Hannover- sche Wendland hinüber, wo die Dörfer Bockleben, Marleben, Malsleben, Gorleben, Brand- leben und Zargleben anzutreffen sind. Altmark und Wendland erweisen sich als die nördlich- sten Teile des großen mitteldeutschen Verbreitungsgebietes der Ortsnamen dieses Typs.

Die Orte im Süden der Altmark sind von der Bildungsweise her dem thüringischen Gebiet zuzuweisen. Herrnsleben, Hillersleben, Walsleben und Farsleben sind echte Vertreter des mit einem Personennamen gebildeten -leben Typs. Bei den übrigen Orten muß der slawische Ein- fluß durch gegenseitige Ortsnamenangleichung berücksichtigt werden. Rathsleben und Alt- mersleben können vielleicht auf slawische Personennamen wie Radoslav und Meroslav zu- rückgeführt werden. Der heutige Ort Schölau erscheint 1375 als Smolove und 1423 als Smo- leve, hat sich jedoch nicht zu einem „Leben-Ort“ entwickelt, sondern eine slawische Form erhalten. Dagegen ist aus einem älteren Troploge der Ortsname Trippigleben geworden.

An den gegenseitigen Ortsnamenangleichungen erkennt man, daß Slawen und Thüringer in der Altmark schon sehr früh friedlich aufeinander trafen, was allerdings weniger für die Gebiete östlich von Elbe und Saale zutrifft. Hier gibt es nur einen Ort, Blattersleben (1277 Bratersleuen), der sich östlich der Elbe bei Riesa befindet und auf den slawischen Personennamen Bratoslav zurückgeht.

Wenn man die Verbreitung aller Orte betrachtet, so bekommt man einen ungefähren Über- blick, wie groß dieses Königreich gewesen sein muß. Im Norden bildete die Elbe die Grenze. Die Orte Brandleben und Gorleben waren sicherlich die nördlichsten Ansiedlungen. Land- schaftsbezeichnungen wie Wendland („Land der Fremden“) oder Altmark („altes Grenzland“) bedürfen eigentlich keiner Übersetzung. Im Nordwesten siedelten zuerst die Langobarden (Bardengau) später die Sachsen. Hier verlief die Grenze zwischen Uelzen und Salzwedel über Wittingen Richtung Süden. Orte wie Wahrenholz und Fallersleben bei Wolfsburg sind thüringisch, die Landschaftsbezeichnung Sassenburg (Sachsenburg) und der Ort Gifhorn sächsisch (vielleicht hat man hier auch Friedensverhandlungen geführt, wo man sich gegen- seitig das Trinkhorn reichte oder es war einfach eine Art „Grenzübergangsstelle“).

Weitere thüringische Orte sind Grasleben, Emmerstedt, Helmstedt, Langeleben, Schöppen- stedt, Dorstadt und Jerstedt. Weiter ging es dann zwischen Salzgitter und Goslar wieder in Richtung Westen über Salzdetfurth und Duingen bis ins Tal der Emmer. Zwischen Weser und Harz deuten Orte wie Moringen, Uslar, Adelebsen, Göttingen und Duderstadt auf thüringisch- es Gebiet. Der Harz mit dem Brocken (Melibocus mons) wurde von den Thüringern als heilig angesehen. Hier konnte man den Göttern in Asgard näher sein als irgendwo sonst und hier fuhr auch der Lieblingsgott Thor mit seinem Himmelswagen, der von den Ziegenböcken „Zähneknisterer“ und „Zähneknirscher“ gezogen wurde, öfters vorbei und schlug mit seinem Hammer Mjölnir (Zermalmer) krachend und blitzend in die sturmgepeitschten Baumwipfel. Von hier aus wird sich der Grenzstreifen der Weser aufwärts über die Fulda mit den Grenz- orten Melsungen, Bebra und Fulda bis zur Rhön gezogen haben. Der Solling, das Weserberg- land, das Wildunger und Hessische Bergland zusammen mit Knüllgebirge, Spessart, Rhön und Vogelsberg hießen im frühen Mittelalter „Buchonia“ und waren, wie der Name schon sagt, von dichten Wäldern bewachsen (zu Zeiten des Tacitus hießen alle deutschen Mittelge- birge „Herzynischer Wald“ [lat. = Hercynia silva, griech. = Arkynia], woraus im altdeutschen „Harz“ wurde). Hier gab es zwischen den Thüringern und den Nachbarstämmen der Sachsen, Hessen, Alemannen, Schwaben und Baiern teilweise unbewohntes Niemandsland. Auch darf man sich die Grenzen nicht als starre Linien vorstellen, sondern als breite Grenzstreifen, in denen sich manchmal auch die Siedlungsgaue überlappten.

Von den Wäldern der Rhön verlief die Grenze weiter im Tal des Sinn bis zum Ufer des Main. Hier zeigen noch Orte wie Güntersleben und Eßleben bei Würzburg an, daß der Main wirk- lich die Südgrenze des Königreiches war. Die Thüringer betrachteten jedoch das römisch ge- prägte Land zwischen Main und Donau (Raetia), daß dünn von Alemannen und Baiowaren (Baiern) besiedelt war als ihr Interessengebiet, was das Thüringer Reihengräberfeld von Bittenbrunn, nördlich von Neuburg an der Donau, aus der Mitte des 5. Jahrhunderts sowie die Plünderung Passaus an der Mündung von Donau, Inn und Ilz im Jahre 470 belegen. Auf den vermuteten südthüringischen Königshof an den Ufern der Wern („Fluß der Warnen“) bei Werneck zwischen Schweinfurt und Würzburg wird später noch näher eingegangen.

Fränkische Ortsnamen wie Ochsenfurt, Schweinfurt und Haßfurt deuten darauf hin, wo die wichtigsten Übergangsstellen des Main gelegen haben könnten.

Der Thüringer Wald, von den Thüringern „Louvia“ oder „Loiba“ genannt, durchschnitt das Königreich wie eine natürliche Barriere. Südlich des Waldes, im Werratal, deuten gleich mehrere Burgberge auf Grund ihrer Lage darauf hin, daß sie auch schon zu Zeiten des König- reiches Kontrollburgen beherbergt haben könnten. Als vorgeschichtliche Wallburg, die bis in keltische Zeit reicht, ist die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg zu nennen. Weitere Bur- gen der Thüringer könnten auf den Bergen der Heldburg bei Bad Colberg und der Festung Coburg („Idisburg“) gestanden haben. Die Itz („Idisaha“) , an der Coburg liegt, soll nach einer Idis benannt sein. Der Name Idis oder Itis, nordisch Disa (Dea), ist die Bezeichnung für germanische Frauen und Jungfrauen, die höher als irdische, geringer als Göttinnen angesehen wurden. Auf der Coburg könnte also eine heilige Priesterin (Seherin) ihren Sitz gehabt haben. Nördlich des Thüringer Waldes sind vorgeschichtliche Wallburgen auf den Burgbergen des Schlosses Tenneberg bei Waltershausen (ganz in der Nähe beim Ort Hörselgau befinden sich in einem Waldstück drei Hügelgräber), auf der Mühlburg (Schloßleite), der Alteburg bei Arn- stadt, dem Singer Berg im Ilmtal, der Jechaburg bei Sondershausen und der Hasenburg im Eichsfeld nachgewiesen. Höchstwahrscheinlich wurden von allen Thüringer Königen die Burgen auf den heutigen Anlagen der Runneburg („Runibergun“) bei Weißensee, der Seeburg („Seoburc“) am Süßen See bei Eisleben und der Burg Scheidungen („Scindingi“) an der Un- strut als Pfalzen und Fluchtburgen benutzt (letztere wurde bereits im Jahre 515 erwähnt und hier soll sogar die vernichtende Entscheidungsschlacht des Jahres 531 stattgefunden haben). Von den rauhen Bergen des Fichtelgebirges und den von slawischen Stämmen besiedelten Hügeln des südlichen Vogtlandes verlief die Grenze ungefähr den Lauf der Weißen Elster (oder der Mulde) folgend bis zur Mündung in die Saale und dann bis zu deren Mündung in die Elbe. Orte wie Isaar, Tanna, Pausa, Leiningen, Auma, Hohenleuben, Weida, Gera, Aga, Deuben und Nessa könnten vielleicht auf eine hermundurische Entstehung verweisen.

Hier müßte man allerdings hinzufügen, daß es nicht ganz klar ist, wie weit sich die Thüringer Südostgrenze eigentlich nach Osten erstreckte, da die später hier angesiedelten Slawen eigene Ortsnamen benutzten. Zwischen Saale und Weißer Elster, in der Nähe von Stössen südöstlich von Naumburg, fand man in einem Grab eines jungen Mannes u.a. einen vergoldeten Spang- enhelm aus einer ostgotischen Werkstatt des frühen 6. Jahrhunderts (Ravenna). Auf dem mit vergoldeten Blech besetzten Helmreif sind Vögel dargestellt, die an Weintrauben picken.

Dieser wertvolle Helm könnte durchaus einem Thüringer König gehört haben. Wer aber dies- er junge Mann war, konnte man nicht herausfinden (vielleicht ein weiterer Sohn Bisin II. oder ein ostgotischer Abgesandter). Das Grab einer ostgotischen Prinzessin, das man 1965 in Oß- mannstedt bei Weimar freilegte, und das zwischen 454 und 489 datiert wurde, enthielt auch byzantinischen und hunnischen Schmuck, u.a. eine goldene mit roten Almandinen besetzte Adlerfibel, deren Stil auf skytho-sarmatische Kunst im pontischen Gebiet am Schwarzen Meer verweist (vielleicht für Bisin II. bestimmte Braut, die kurz nach ihrer Ankunft verstarb). Weitere archäologischen Funde der Thüringer wurden in Großbodungen im Eichsfeld (röm- ische Münzen und Teile einer Silberplatte mit dem Bildnis des Kaisers Magnus Maximus (383-388), die vielleicht einem thüringischen Söldner im Dienste Roms gehörten), Mühl- hausen, Urleben, Merxleben, Belleben, Gispersleben, Niederhone bei Eschwege, Zeuzleben bei Würzburg, Dienstedt und Weimar gemacht. Weit verbreitet waren sogenannte Reihen- gräberfriedhöfe, in denen die Verstorbenen in Holzsärgen mit dem Kopf im Westen und dem Blick nach Osten bestattet wurden. Den Männern gab man ihre Waffen, bestehend aus dem zweischneidigen Langschwert (Spatha), das meist damasziert war, dem einschneidigen Kurz- schwert (Sax), Lanzen, Pfeile und unterschiedlich geformte Äxte mit ins Grab. Von den Holz- schilden sind eiserne Schildbuckel mit bronze- und silberplattierten Nietköpfen erhalten. Frauen bestattete man mit ihren Gold- und Silberschmuck (Ringen, Gürtelschnallen, Glas- perlenketten und Fibeln), Gebrauchs- und Alltagsgegenständen (Keramik, Knochenkämme, Webutensilien u.a.) sowie Bronzeschlüsseln, die die führende Stellung der Frau im häuslichen Bereich erkennen lassen. Neben Reihengräbern kommen seltener Grabhügel und Brandbe- stattungen vor, wie sie in Gispersleben und Urleben nachgewiesen sind.

Die nordöstlichste Ausdehnung des Thüringer Königreiches war vermutlich das sogenannte Warnenfeld (Werinofeld), das zwischen Weißer Elster, Saale, Elbe und Mulde vermutet wird. Ortschaften wie Trotha, Seeben, Teicha, Brachstedt, Deutleben, Kleinwirschleben, Groß- und Kleinpaschleben, Zehringen, Drosa und nicht zuletzt Rodleben nördlich der Elbe mit dem nahen Schloßberg, der vielleicht die letzte Zufluchtstätte König Herminafrids gewesen sein könnte, erinnern an das letzte Refugium der Thüringer. Von hier aus könnte auch Königin Amalaberga mit ihren Kindern und einem kleinen Gefolge der Mulde entlang über Böhmen („geheime Wege“) zu ihrem Bruder Theodahad ins Königreich der Ostgoten geflüchtet sein. Ein Hinweis auf das Warnenfeld gibt König Theoderich der Große in einem Dankesschreiben an den Warnenkönig (Thüringer König), in dem er sich nicht nur für die Schwerter, sondern auch für die hellhäutigen Knaben, die ihm „cum piceis timbrius“ übersandt worden sind, be- dankt. Der Hallenser Prähistoriker Prof. Dr. Walther Schulz erkannte als erster, daß es sich hier um Bau- oder Möbelholz handeln müsse. In einem Artikel der Jahrbücher für Mittel- deutsche Vorgeschichte schrieb er: „Für die Worte cum piceis timbrius, unter den Geschenken des Warnenkönigs an erster Stelle im Brief des Theoderich genannt, glaube ich eine Erklär- ung gefunden zu haben, die für das Warnengebiet um die Mulde und ihre Mündung in die Elbe besonders zutrifft. Es ist das pechschwarze Holz, das hier aus vergangenen Wäldern des Auegebietes abgelagert und in den Flußkies gelangt ist. Es handelt sich um die gewaltigen Stämme der Stieleiche, die für die Auewaldungen der Mulde bezeichnend sind...“

Auch in der Urheimat der Warnen, in Mecklenburg und Ostholstein, finden sich vereinzelt „Leben-Orte“, die wahrscheinlich Einzelhöfe Thüringer Adliger waren und gleichzeitig als Handelsstationen für den Ostseeraum genutzt wurden. In Schwanbeck bei Altentreptow wurde eine thüringische (warnische) Siedlung aus dem 6. Jahrhundert entdeckt, einer Zeit, in der nach herkömmlicher Meinung dieser Landstrich schon weitgehend von der germanischen Be- völkerung geräumt worden war. In einem mit Steinen abgedeckten thüringischen Holzkamm- ergrab fand man einen Bestatteten, der zweifellos der Oberschicht angehörte. Neben zwei qualitätsvoll gearbeiteten Gefäßen und einem Messer waren auch die zum Gewand gehören- den Metallteile erhalten geblieben. Wohl am Gewandkragen waren vergoldete Perlen, die mit winzigen Glaskügelchen und Einpunzungen verziert waren, befestigt. Zusammengehalten wurde das Gewand von einer ebenfalls vergoldeten und mit blauen Glaseinlagen verzierten Zangenfibel. Perlen der beschriebenen Art kamen in Mecklenburg bislang nicht vor und dürften auch im deutschsprachigen Raum ihresgleichen suchen. Die Fibel ist ein Thüringer Fabrikat und braucht einen Vergleich mit denjenigen aus Adelsgräbern Mitteldeutschlands nicht zu scheuen. Das Dorf, in dem der Bestattete wohnte, lag nur 100m von seinem Grab ent- fernt. Genau dieses Siedlungsareal wurde einige Jahrzehnte später von den einwandernden Slawen genutzt, muß also noch offen oder sogar bewohnt gewesen sein und wird der seit kurzem in Fachkreisen diskutierten Frage nach einer möglichen Begegnung von Germanen und Slawen wieder neuen Auftrieb bringen.

Erstaunlicherweise sind Schmuckstücke aus Thüringen nur in Ostmecklenburg und Vor- pommern entdeckt worden, obwohl westmecklenburgische und ostholsteinische Trachtenbe- standteile in Thüringen gefunden wurden. Somit liegt die Annahme nahe, daß das Thüringer Königreich seine Handelsbeziehungen im Norden mehr in östliche Richtung ausdehnte und wahrscheinlich mit den im Ostseeraum ansässigen Venetern und Balten Handel betrieb.

König Bisin II. regierte dieses riesige Reich wahrscheinlich nicht nur von einem zentralen Ort aus (dem Königshof mit den Königsleutedörfern in der näheren Umgebung), sondern er wird, wie seine Vorgänger sicherlich auch, Königspfalzen angelegt haben, auf denen er sich mit seinem Hofstaat ein paar Wochen im Jahr aufhielt, um Zeremonien abzuhalten sowie über Recht und Unrecht zu entscheiden (Hinweise hierauf geben vielleicht Ortsnamen wie Königstedt, Königshorst, Königsmark, Königswiek sowie Landschaftsbezeichnungen wie Königsberg, Königsstuhl, Königsstieg und Königsmark).

Als Menia König Bisin II. zwischen 480 und 490 hintereinander drei Söhne gebährt, konnte er noch nicht ahnen, daß dies der Anfang vom Ende seines Reiches war. Im Jahre 505 verstarb König Bisin II. und wahrscheinlich regierte sein ältester Sohn Baderich einige Jahre das Kö- nigreich allein bis seine Brüder alt genug waren (21 Jahre), den Schwertgürtel zu tragen.

Ab 509 werden alle drei Brüder gemeinsam die Regentschaft übernommen haben, wobei Baderich den Süden (zwischen Main und Thüringer Wald, der damals „Louvia“ oder „Loiba“ = Waldlaube oder -straße genannt wurde), Herminafrid die Mitte (zwischen Loiba und Süd- harz mit Herbsleben als Königshof) und Berthachar den Norden (mit dem alten Siedlungsland zwischen Nordharz und der Altmark) bekam. Letzteres würde auch erklären, warum man spä- ter bei Helfta eine Radegundiskapelle errichtete, und daß die „Quedlinburger Annalen“ von einem Heerzug der Franken an der Oker bei Ohrum im Gau Maerstrem berichteten.

Im Jahre 519 stirbt Baderich plötzlich. Gerüchte, seine jüngeren Brüder Herminafrid und Berthachar hätten ihn ermorden lassen, könnten durchaus der Wahrheit entsprechen. König Baderich hatte vier Töchter, die alle mit fränkischen Prinzen oder Adligen verheiratet waren, u.a. auch eine Haregunde (510-573) mit Chlothar I. (499-561); Tochter Ingeltrude war sogar Äbtissin von Tours. Dies hätte den Anfang einer Familienfehde bedeutet, deren Ausmaß nach germanischen Recht (Blutrache) verheerend gewesen wäre (was am Ende ja auch zutraf).

Im Frankenreich hatte nach dem Tode Childerichs 482 Chlodwig der Große die Macht über- nommen und beseitigte in vielen Kämpfen die Teilreiche seiner Sippenangehörigen. Im Jahre 486 wurde der römische Statthalter Syagrius in Soissons überwunden. Dann folgte die große Schlacht gegen die Alemannen, die bei Zülpich (Culpiacum) um 496 stattfand und schließlich wurde 507 bei Vouille der Westgotenkönig Alarich geschlagen. Um 500 nimmt Chlodwig den christlichen (römisch-katholischen) Glauben an. Aus der Verbindung mit Chlothilde von Burgund waren drei Söhne hervorgegangen, Chlodomer, Childebert und Chlothar. Zusammen mit dem aus einer außerehelichen Verbindung stammenden Theuderich teilten sich diese nach Chlodwigs Tod 511 das Frankenreich, setzten aber auch die Eroberungszüge im wechselnden Bündnis fort.

Im Jahre 509/10 heiratete Herminafrid Amalaberga, die Tochter des Vandalenkönigs Thrasa- mund und der Ostgotin Amalafrida (eine Schwester der Gattin König Bisin I., Basena und des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen). Bereits im Jahre 501 wurde sie mit einem großen Gefolge an den Thüringer Königshof Bisin II. gesandt. Im Begleitschreiben an Herminafrid schwärmt König Theoderich von ihren guten Sitten und ihrer hervorragenden Bildung.

In vielen Chroniken wird Amalaberga als eingebildet und rachsüchtig beschrieben, was man vielleicht damit erklären könnte, daß sie als Ostgotin und somit auch arianische Christin ihre Sitten und Lehren auch unter den Thüringern einführen wollte, was bei dem heidnischen und vom germanischen Götterglauben geprägten Volk nicht auf Zustimmung gestoßen sein kann.

Im Bericht Gregor von Tours steht, daß sie sogar ihren Gatten, König Herminafrid, zum Mord an seinem Bruder Berthachar angestiftet haben soll. Eigentümlich ist aber, daß die einzige Augenzeugin Prinzessin Radegunde, Tochter König Berthachars, nach dem Tod ihres Vaters von eben dieser Amalaberga und Herminafrid aufgenommen wurde, und daß sie auch später bei Fortunatus kein Wort über einen angeblichen Mord an ihren Vater verloren hat.

Wie könnten sich nun die Ereignisse nach dem Tod König Bisin II. abgespielt haben?

Als das Königreich um das Jahr 509 geteilt wurde, erhielt der ältere Bruder Baderich den dünnbesiedelten Süden, womit er sich vielleicht, da er vorher das ganze Reich regierte, nicht abfinden wollte. Da Baderich auf Grund seines Alters wahrscheinlich auch die größte Schar an Getreuen aufbringen konnte, wäre es sicherlich für Berthachar und Herminafrid nicht von Vorteil gewesen einen offenen Kampf um das Königreich zu wagen. Deshalb ist es auch nicht ungewöhnlich (in späteren Jahrhunderten durchaus üblich), wenn man sich einer anderen Art bedient hätte, den lästigen Bruder loszuwerden. Als man im fernen Frankenreich von einem hinterlistigen Mord an den beliebten Schwiegervater Baderich hörte, sandte man natürlich sofort auf Rache. Solange aber Theoderich der Große als Verbündeter der beiden Thüringer Könige auftrat, wäre ein sofortiger Angriff ein gewagtes Spiel gewesen. Als aber der Ostgot- enkönig Theoderich am 26. August 526 in Ravenna starb, war dies das Startzeichen für die Franken, einen Heerzug vorzubereiten. Im Reich der Ostgoten herrschte Streit um die Nach- folge und so konnten Berthachar und Herminafrid nicht mehr auf die volle Unterstützung aus Ravenna hoffen. Sie verstanden es aber, ihre Gefolgsleute aus Mittel- und Nordthüringen so zu einen, daß ein schlagkräftiges Heer entstand. Der erste Angriff der Franken unter Führung von König Theuderich erfolgte wohl im Jahre 529. Man konzentrierte sich bei diesen Heerzug auf das alte Siedlungsland der Angeln und Warnen in Nordthüringen, wo sich wahrscheinlich auch der Sitz König Berthachars befand. Die Franken nutzten die alten Heerstraßen der Röm- er und zogen von Aachen oder Zülpich aus über Köln (Colonia Agrippina) und Hagen durch das Sachsenland um Gütersloh, Richtung Emmer, bis sie dann zwischen dem alten Thüringer Heiligtum Dorstadt und dem Dorf Ohrum an der Oker auf das Heer der Thüringer trafen.

Dieser Angriff konnte von den Thüringern entscheidend abgewehrt werden, in einem der Kämpfe fiel jedoch König Berthachar. Die Franken mußten sich geschwächt zurückziehen, aber auch viele alte Thüringer Krieger sahen im Tod ihres Königs ein schlechtes Zeichen und ahnten wohl auch, was noch kommen würde.

Die Kinder von Berthachar, ein Sohn, dessen Name nicht überliefert ist und Prinzessin Radegunde (518-587) wurden von ihrem Onkel, König Herminafrid, der seinen Königshof in Herbsleben (Herveri‘s leiban = „das Erbe des Herminafrid“) errichten ließ, aufgenommen. Hier an der Unstrut, umgeben von den Königsleutedörfern und der zentralen Versammlungs- und Thingstätte der Mittelthüringer, der Tretenburg (driht, drauht = Gemeinschaft), wurden die Kinder von Amalaberga in lateinischer Schrift und christlicher Religion unterrichtet.

Die arianische Lehre war unter den Ostgoten besonders einflußreich, eine Lehre, die von dem Presbyter Arius ausging. Er stammte aus Antiochia, lehrte in Alexandria und vertrat die dort gelehrte kritische Theologie, wonach Christus nicht Gott, sondern ein mit göttlichen Kräften ausgestattetes „erstes Geschöpf“ sei. Der hierüber entbrannte Streit führte 325 zum ersten christlichen Konzil in Nikäa. Die arianische Lehre ist von den Goten sehr früh angenommen worden, später auch von den Vandalen, Gepiden, Rugiern, Burgundern, Markomannen und Langobarden.

Bereits als junger Mann, als er die ersten Thingveranstaltungen auf der Tretenburg besuchte, gefiel Herminafrid ein Platz in der Nähe, der für einen Königshof wie geschaffen war. Hier errichtete er, umgeben von den fruchtbaren Feldern des Unstruttales, auf einem kleinen Hügel seine Burg. Seine Gefolgsleute ließen sich an Stätten ganz in der Nähe nieder, die schon seit uralten Zeiten besiedelt waren. Diese sogenannten Königsleutedörfer hatten alle eine unter- schiedliche Funktion inne. Der Ortsname Gebesee (775 Gebise) bedeutet soviel wie „Haus/ Hof eines Gebo oder Geberich“ und ist von der germanischen Gebo-Rune (Gabe oder Aus- tausch) abgeleitet. Hier könnte auch das altnordische „gefan“ verborgen sein („geben“- man gibt sich hier etwas, man handelt). Es ist überliefert, daß in der Nähe eines jeden Thingplatzes der Handel blühte, daß man die Gelegenheit eines Things zum Anlaß nahm, alles mögliche zu tauschen und einzukaufen. Gebesee könnte durchaus die Funktion eines zentralen Marktes der alten Thüringer erfüllt haben. Zwei Kilometer nördlich der Tretenburg liegt das Dorf Schwer- stedt. Dieser Ort wurde „Suegerstede“ geschrieben. Das Wort „Sveger“ kann Schwiegervater oder Schwager bedeuten. „Swaiga“ kann aber im althochdeutschen auch Weide heißen, der „Swaigar“ war ein Hirte, ein Rinderhirt. In Swaigar-stede wohnten demnach die Hirten der königlichen Rinder- und Pferdeherden. Nördlich von Herbsleben liegt Tennstedt (775 Dani- stath). In diesem Ortsname steckt das norddeutsche „denne“, was Lagerstätte, Niederung oder Waldtal bedeutet. Der Name kann aber auch vom althochdeutschen „tenni“, Tenne kommen, einen Platz, wo man früher Getreide aufbewahrte. Tennstedt könnte also die königliche Korn- kammer gewesen sein (Grabfunde aus dem 5. Jahrhundert Schmalsax und Tongefäße).

Südlich von Herbsleben befindet sich der Ort Döllstädt (779 Tullenstat). Das altnordische Wort Dulle, althochdeutsch tulli oder duli, bedeutet Röhre, Vertiefung auch Rinne. Tulli kann aber auch Pfeil heißen oder Huf, die Hornsohle eines Pferdes. Bei der Bedeutung, die sowohl die Pferdezucht als auch der Gebrauch von Pfeil und Bogen im Thüringer Reich hatten, sind „Huf-“ oder „Pfeilstätte“ durchaus sinnvolle Erklärungen für Döllstädt, als einen Ort in der Nähe des Königshofes. Südöstlich grenzt die Herbsleber Flur an die des Ortes Dachwig (876 Thachabechiu). Darin steckt zweifellos das althochdeutsche daha, was Ton, Lehm bedeutet. Dachwig war also die königliche Tonmanufaktur. Jüngst entdeckte Gräber aus dem 6. und 7. Jahrhundert enthielten viele Waffen und fränkische Tonware. Dachwig müßte demnach (nach dem Untergang des Thüringer Reiches) ein südlicher Sperriegel für die Tretenburg gewesen sein. Der Ort Gierstädt, am Fuße der Fahnerschen Höhe, wird 1288 Gerstete genannt. „Ger“ heißt im althochdeutschen Speer, Waffe. Man kennt es von dem Wort Germanen = Speer- männer. Gierstädt könnte also (ähnlich wie Gerbrunn, Giersleben und Gerlebogk) die Waffen- schmiede Herbslebens gewesen sein. Namengebend für den Höhenzug im Süden Herbslebens (Fahnersche Höhe) war der Ort Fahner (876 Uuanari, später Fanre ähnlich Farnstädt bei Quer- furt). Das Wort Fanare heißt der Tuchwirker, der Weber. Fahner war also die königliche Tex- tilmanufaktur (Reihengräberfunde aus dem 5. Jahrhundert u.a. mit Webschwert und Knochen- nadel). Der Ort Vargula, westlich von Herbsleben, heißt im Jahre 785 Fargala, später Fargen- loh. Das Wort Forg bedeutet Schwein und loh ist der Wald. Vargula könnte also soviel wie der „Schweinewald“ heißen, der königliche allerdings.

Weitere erwähnenswerte Kultstätten der Thüringer waren, neben der Tretenburg an der Un- strut, der Jechaburg bei Sondershausen und dem Seeheiligtum bei Oberdorla (Thor-aha) auch die Hasenburg im Eichsfeld, deren Siedlungsgeschichte bis in die Bronzezeit reicht (der Name Hasenburg bedeutet eigentlich „Asenburg“ = „Burg der Asengötter“). Auch der jungsteinzeit- liche Menhir bei Buttelstädt, der zwischen 2300 und 1700 v.Chr. errichtet wurde, ist bereits von den Hermunduren verehrt worden. Die Thüringer sahen in ihm den zu Stein gewordenen Zeigefinger des Rechtsgottes Tyr (Ziu), dessen rechte Hand vom bösen Fenriswolf aus Utgard abgebissen wurde, was diesen Monolith als Gerichtsstätte geradezu auszeichnet.

Der letzte Thüringer König, Herminafrid, regierte also vom Tal der mittleren Unstrut aus, wo man, begünstigt durch das milde Klima, Obst und Wein anbaute, was seine Gemahlin Amalaberga sicherlich an ihre südliche Heimat erinnerte. Der König wußte aber auch, daß es die Franken nicht bei einem sieglosen Heerzug belassen würden und bereitete sich auf einen noch folgenden Angriff vor, der wohl gegen seinen Königshof in Herbsleben gerichtet sein würde. Der salische Frankenkönig Theuderich von Austrien (auch als Dietrich bezeich- net), wütend über die erlittene Niederlage, setzte allerlei Gerüchte in die Welt, um ein wei- teres mal gegen die Thüringer vorzugehen. Hierbei suchte er Unterstützung bei seinem Sohn Theudebert und seinem Halbbruder, dem ripuarischen Frankenkönig Chlothar I. von Soissons.

Das Gerücht wurde verbreitet, daß es sich bei dem ersten Heerzug um eine Hilfeleistung der Franken für König Herminafrid gehandelt habe, der sich auch noch seines zweiten Bruders entledigen wollte. Die Franken sollten hierfür ein Stück des nördlichen Landes bekommen, das Herminafrid aber nicht hergab. Nun hatte man, nach der Rächung von Brudermord, auch Wortbruch auf seiner Seite, der (nach dem germanischen Ehrenkodex) ebenfalls bestraft werden mußte und einen zweiten Angriff völlig rechtfertigte. Für einen zweiten Heerzug brauchte man ein noch größeres Heer und mehr Vorräte, um durch die dicht bewaldete „Buchonia“ zu gelangen. Im Sommer des Jahres 531 brachen die Franken von Metz aus auf. Über die alte römische Heerstraße marschierten sie nach Mainz (Mogonciacum), wo man auf den Rest des Heeres traf und gemeinsam den Rhein überschritt. Im Gebiet der besiegten Ale- mannen und Chatten gelangte man über die südlichen Ausläufer von Taunus und Vogelsberg über Fulda bis nach Thüringen. Bei dem damaligen Straßenzustand (aus der Römerzeit meist noch gut erhalten) brauchte das fränkischen Heer, bestehend aus einer Vorhut von berittenen Kriegern, dem Haupttross aus Fußsoldaten und Reitern begleitet von Ochsenkarren, die die Vorräte und das Zeltlager zogen sowie einer kleineren Nachhut, die zum Schutz vor räuber- ischen Überfällen gebraucht wurde, mehrere Tage, vielleicht sogar ein bis zwei Wochen. König Herminafrid wird durch seine Boten erfahren haben, daß sich die Franken auf den Weg nach Thüringen befanden und wird ihnen durch Abgesandte mitgeteilt haben, wo er sie erwartet (Gregor von Tours: „...auf dem Feld, wo gekämpft werden sollte“). Die Sitte den Ort eines Schlachtfeldes vorher zu bestimmen, wurde übrigens von den Griechen übernommen und war bis in unsere Zeit üblich. Die wichtigste Quelle über diesen Feldzug von 531 und über das frühe Merowingerreich ist die „Historia Francorum“ des fränkischen Geschichts- schreibers Gregor von Tours. Er wurde am 30. November 538 in Averna, dem heutigen Clermont-Ferrand geboren und starb am 17. November 594 in Tours. Gregor entstammte einem gallorömischen Senatorengeschlecht und wurde nach dem Tod seines Vaters von seinem Onkel Gallus, Bischof von Clermont in christlicher Frömmigkeit erzogen. Nach seiner Diakonatsweihe unternahm er um 563 während einer Krankheit eine Wallfahrt nach Tours und fand dort am Grab des heiligen Martin die erhoffte Genesung. Gregor wurde 573 Bischof von Tours und wirkte als einer der kirchlich und politisch einflußreichsten Männer des Mero- wingerreiches. In seinem Hauptwerk ist dieser Heerzug der Franken so genau beschrieben, daß er auf jeden Fall zu seiner Zeit (um 560) noch lebende Augenzeugen befragt haben muß.

Da König Herminafrid nicht mehr die Gefolgsleute seines Vaters besaß, weil die Krieger- und Adelsschicht in Nordthüringen nach den letzten Kämpfen, die auch den Tod seines Bruders zur Folge hatten, deutlich dezimiert war, mußte er eine List erfinden, um Zeit zu gewinnen. Er wußte wohl von Anfang an, daß ein endgültiger Sieg nicht zu erwarten war und mußte in erster Linie an seine eigene Sicherheit und die seiner Familie denken. Dies geschah nicht aus egoistischen Gründen, sondern mit dem Überleben des letzten Königs war auch das Bestehen des Königreiches sowie das Wohl und Heil des ganzen Stammes verbunden. Als die Franken von Isenaha (Eisenach) über Lupentia (Lupnitz) und Behringen auf den Weg Richtung Unstrut waren, tappten sie in die Falle der Thüringer. Zwischen Weberstedt und Tüngeda hatte man am Ostrand des Hainich alte Erdfälle und tiefe Gräben als Fallgruben getarnt, die die Franken aber sehr bald durchschauten und nicht lange aufhielten. Sie zogen weiter über Salzaha (Langensalza), der Unstrut entlang, Richtung Herbsleben, wo sich ein kleiner wehrhafter Haufen der Thüringer auf dem Königshof und der Tretenburg verschanzt hatte, während der größte Teil des Heeres zusammen mit dem König und der Königssippe in Richtung der gut befestigten Burg Scindingi (Scheidungen) aufgebrochen war. Als nächstes Hindernis hinterließ man eine starke Besatzung auf der Runneburg und zog über Collide (Köl- leda) und Bibra wieder Richtung Unstrut. Die Franken hatten mit den Kriegern dieser Burgen sicherlich kein leichtes Spiel, doch sie hatten einen weiteren Trumpf im Ärmel. Um eine weit- ere Niederlage zu vermeiden, riefen sie durch Boten die bereits unterrichteten Sachsen zu Hilfe. Diese waren zwar nicht gerade Freunde der Franken, aber angelockt von möglicher reicher Kriegsbeute oder einen Teil des gemeinsam eroberten Landes traten sie nun als ihre Verbündeten auf. Die Thüringer hatten jetzt auf Grund der zahlenmäßigen Unterlegenheit erst recht keine Chance. Der Königshof und die Fluchtburgen wurden verwüstet und man nahm die weitere Verfolgung auf, um den König endlich zu stellen. Dieser hatte sich mit den Rest seines Gefolges aus Mittelthüringen wie Swelmena (Mühlhausen), Aratora (Artern), Curnfurt (Querfurt), Gisleuban (Eisleben), Arnestedi (Arnstadt), Rudolfestat (Rudolstadt), Vimari (Weimar) usw. sowie den Getreuen aus dem Nordthüringengau wie aus Garleve (Gardelegen), Hahaldeslevo (Haldensleben), Halverstidi (Halberstadt), Oscheslevo (Oschersleben), Asceger- esleba (Aschersleben) auf Scindingi (skit-ingen = „die Leute von der hölzernen Burg“) ver- sammelt, wo man die Götter in heimlichen Zeremonien um Beistand bat und sicherlich auch das eine oder andere Opfer darbrachte.

Als die Franken zusammen mit den Sachsen im Anmarsch waren und ihr Zeltlager aufbauten, wußte jeder, daß es diesmal ein langer, harter und vielleicht aussichtsloser Kampf werden würde. Wahrscheinlich heimlich in der Nacht vor dem Kampf (es war der 30. September 531) flüchtete König Herminafrid zusammen mit seiner Frau Amalaberga und den beiden Kindern Rodelinde und Amalafrid in Begleitung weniger Leibwächter aus der Burg. Ihr Ziel war der östlichste Zipfel seines Reiches, das Warnenfeld. Warum die Kinder seines Bruders nicht dabei waren, ist schwer zu sagen. Entweder ging alles sehr plötzlich und es war zu wenig Zeit, um Radegunde und ihren kleinen Bruder zu holen oder sie wurden absichtlich zurückgelassen, im Glauben, die Franken würden sich mit ihnen zufrieden geben.

Das Warnenfeld war dünn besiedelt und von dichten Auewäldern bedeckt. Hier wuchsen mä- chtige Eichen, die alle Thor geweiht waren und hier lebten die edelsten Königsleute, welche die Priesterschicht und die Leibgarde des Königs bildeten. Noch im Morgengrauen setzte man über die Elbe und endlich kam man an den Hof des Verwandten Rodefrid (Rodleben), nach welchem die Tochter des Königs benannt war, und der auch der Hüter der letzten geheimen Fluchtburg der Thüringer war.

Am Morgen des ersten Oktober 531 formierte man sich, wahrscheinlich nach Absprache, zu einer Kampfaufstellung und dann stürmte alles, was vier und zwei Beine hatte, aufeinander los. Die Luft war erfüllt vom Kampfgeschrei der Krieger, von denen die Sachsen mit ihren langen geflochtenen Haaren, ihren bemalten Gesichtern und ihren langen einschneidigen Schwertern, nach denen sie auch benannt waren (Sax), am fürchterlichsten aussahen.

Die Thüringer wurden von ihren gewählten Herzögen in den Kampf geführt und jeder hoffte, daß der König bereits in Sicherheit war. Das Gemetzel wird wohl bis in den späten Nach- mittag gedauert haben, wobei man sich immer wieder zurückzog und verschiedene Angriffs- wellen startete. In den Reihen der Thüringer fielen mit Sicherheit einige tausend Krieger (Gregor von Tours: „der Fluß war so von Leichen bedeckt, daß wir trockenen Fußes das andere Ufer erreichten.“), ein Zeichen, daß man durch die Flucht des Königs nicht eingeschü- chtert war (sonst wären vielleicht mehr davon gelaufen). Zum Schluß mußte von den Franken nur noch die Burg erstürmt werden, in der der König vermutet wurde, was sicherlich nur eine Frage der Zeit war, und vielleicht am darauffolgenden Tag erfolgte. Hier berichtet der Sachse Widukind von Corvey von König Herminafrids Waffenträger Iring, der bei Theuderich um Frieden bittet und dazu ein Bündnis anbietet, wodurch sich Theuderich umstimmen läßt.

Als aber danach ein sächsischer Krieger den Jagdfalken eines Thüringer Edlen fängt, verrät der Thüringer, um seinen Falken wiederzubekommen, dem Sachsen die geheime Absprache zwischen Iring und König Theuderich. Daraufhin stürmten die Sachsen voller Wut die Burg und metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Als die Könige Theuderich und Chlothar danach die Burg betraten, waren sie sicherlich erstaunt und wütend, daß sich König Herminafrid nicht auf der Burg befand und auch der erwartete Goldschatz, den germanische Könige um sich horteten, war nirgendwo zu finden. Niemand wußte, wohin der König ge- flüchtet war und als einziges Zeichen des Sieges konnte man nur die beiden Kinder des gefall- enen Königs Berthachar vorzeigen. In der Nacht wurde ein rauschendes Fest gefeiert. Überall brannten die Lagerfeuer und die Gesänge der Krieger und die Schreie geopferter Kriegsge- fangener schallten durch die kühle Herbstnacht. Theuderich und Chlothar erklärten den sächsischen Herzögen unter Führung eines Hadugoto, daß sie das Siedlungsrecht im gesamten Nordthüringen bekämen, wenn sie die fränkische Oberhoheit anerkennen würden. Im Sieges- taumel erklärten diese sich bereit und es wurde eine Grenzlinie zwischen der unteren Unstrut und der Helme, entlang den späteren Orten Sangerhausen, Nordhausen und Northeim verein- bart. Weiterhin erklärten die Frankenkönige Mittel- und Südthüringen als Teil des fränkischen Reiches und setzten einen Herzog in der Nähe des Königssitzes ihres ermordeten Schwieger- vaters Baderich (Würzburg) ein. Es wurde ein Appell an den anglischen und warnischen Adel sowie an alle freien Bauern verfaßt, in dem es hieß: „Wer kooperiert, hat nichts zu be- fürchten!“ So wollte man auch den inneren Widerstand brechen. In den kommenden Jahren holte man fränkische Siedler ins Land, die zwischen den thüringischen Orten angesiedelt wurden und auch die fränkische Armee richtete in der Nähe wichtiger Straßen, Handels- plätzen, Heiligtümern und ehemaligen Königssitzen ein System von Wachstationen ein. Das ein Teil des altthüringischen Adels mit den Franken kooperierte, um persönliche Vorteile zu gewinnen und seinen weiteren Fortbestand zu sichern, erkennt man u.a. auch daran, daß Karl der Große noch 270 Jahre später das Recht der Thüringer als Recht der Angeln und Warnen bezeichnet („lex Thuringorum hoc est lex Angliorum et Werinorum“).

Archäologisch bezeugen Einzelgräber, aber auch ganze Gräberfelder die fränkischen Sied- lungen und Wachstationen (z.B. in Alach, Schlotheim, Mittelhausen, Stotternheim, Mittel- sömmern, Ammern, Bilzingsleben, Kaltenwestheim, Griefstedt und Sachsenburg), die für ein gewisses Mißtrauen der Franken gegenüber der thüringischen Bevölkerung sprechen.

Thüringen verbleibt zwar über Jahrhunderte im fränkischen Großreich, wird aber von dessen Königen immer separat behandelt, was letztendlich doch auf eine Sonderstellung schließen läßt. Kurz nach den Siegesfeiern ließen die Franken durch Boten eine Nachricht an den ge- flüchteten König Herminafrid zukommen, daß man ihn und seine Familie verschonen werde und sogar die Aussicht bestände, fränkischer Vizekönig in dem Teilreich Thüringen zu wer- den, wenn er sich ergeben würde.

Theuderich und Chlothar gingen daraufhin zurück nach Franken, wo man die beiden Königs- kinder vorerst standesgemäß behandelte. Unter den Königen brach aber bald ein Streit aus, wer von beiden später die Thüringer Königstochter Radegunde zur Frau bekommen sollte. Als die Nachricht zu Herminafrid durchsickerte, dachte er sofort an eine Falle und zögerte. Letztendlich unterlag er jedoch der Verlockung, vielleicht auch durch seine Gemahlin beein- flußt, sodaß er eine Zusage nach Franken sandte. König Theuderich lud ihn nach Zülpich ein und sicherte auch freies Geleit zu. Im Jahre 534 trat König Herminafrid seine letzte Reise an. Alles schien äußerst perfekt zu klappen, man wurde nirgends festgehalten und auch freund- lich in Zülpich (Culpiacum) willkommen geheißen. Theuderich begrüßte Herminafrid und man führte Gespräche über die Zukunft Thüringens. Wenige Tage nach seiner Ankunft unter- nahmen die beiden Könige auf der Stadtmauer einen Spaziergang. Plötzlich stürzte Hermina- frid von der hohen Mauer zu Tode. Was war passiert? War es ein Unfall oder wurde er viel- leicht von Theuderich gestoßen? Als Todesjahr von König Theuderich wird auch das Jahr 534 angegeben, kein Datum, kein Ort. Vielleicht nutzte ja Chlothar diese Chance? Er wird durch Spione von diesem passenden Moment erfahren haben und so konnte er durch willige Vollstrecker zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.

Als Königin Amalaberga die Nachricht vom Tod ihres Gatten erhielt, wollte sie nicht länger in ihrem geheimen Versteck bleiben und flüchtete mit ihren Kindern wahrscheinlich den Lauf der Mulde folgend über Bohemia und Noricum, das damals zum Königreich der Langobarden gehörte, bis nach Ravenna, wo ihr Bruder Theodahad 534 die umstrittene Nachfolge ihres Onkels Theoderich angetreten hatte. Nach dessen Tod 526 wurde anfänglich sein achtjähriger Enkelsohn Atalarich unter der Vormundschaft seiner Mutter Amalasuntha zum Nachfolger ernannt. Als Atalarich 534 starb, wollte seine Mutter das Ostgotenreich unter die Herrschaft Kaiser Justinians von Byzanz stellen, der 527 den oströmischen Thron bestiegen hatte.

Diesen Verrat wollten die ostgotischen Herzöge nicht hinnehmen. Amalasuntha wurde ge- fangen genommen und Theodahad (Theodat), bereits Herzog von Tuscien, bestieg den ostgo- tischen Thron. Nach der Ermordung Amalasunthas kam es zum Streit zwischen Ostgoten und Byzantinern, der schließlich 536 in einem Eroberungsfeldzug des byzantinischen Feldherren Belisar (er zerschlug 534 das Wandalenreich) endete. Theodahad wurde von seinen eigenen Leuten ermordet (Optaris) und ein Witichis zum König ernannt, der aber letztendlich auch nichts der Übermacht Ostroms und Belisars entgegen zu setzen hatte (nach Prokopius von Caeserea). Amalaberga geriet mit Tochter Rodelinde und Sohn Amalafrid in byzantinische Gefangenschaft. In Konstantinopolis wurden sie allerdings königlich behandelt, Rodelinde heiratete 546 den Langobardenkönig Audoin und wurde die Mutter des späteren Königs Arian Alboin (548-572), während ihr Bruder Amalafrid die Nachfolge des großen Heerführers Beli- sarios (505-565) antrat, nachdem dieser beim Kaiser in Ungnade gefallen war und während seiner letzten Lebensjahre blind und bettelnd durch Konstantinopel geirrt sein soll.

Anders erging es den beiden anderen Thüringer Königskindern, die als Kriegsbeute nach Franken verschleppt wurden. Nachdem Chlothar durch die Ermordung seines Bruders Theu- derich den Anspruch auf die Thüringer Königstochter Radegunde durchgesetzt hatte, wurden mit ihrem 21. Lebensjahr 539 die Hochzeitsvorbereitungen in Vitry-en-Artois getroffen.

Von dort aus flieht sie, wird aber gefaßt und nach Poirtiers gebracht. Die Hochzeit mit König Chlothar findet im Jahre 540 statt und 541 wird die gemeinsame Tochter Bertha geboren. Als Chlothar 550 ihren Bruder ermorden läßt, wendet sie sich endgültig von ihm ab und geht ins Kloster. Sie empfängt die Weihen zur Nonne in Nayon und gründet später in Poitiers ein eigenes Kloster. Im Jahre 567 gelangt der römische Dichter und Biograph Venantius Honor- ius Fortunatus (534-609) nach Poitiers. Er wurde 534 in der Nähe von Treviso geboren und studierte später in Ravenna Grammatik, Rhetorik und Poetik. Ab 565 ist er als Dichter im Donaudelta nachweisbar, ein Jahr später in Mainz, Köln und Trier.

In Venantius findet Radegunde einen Freund, dem sie ihre Trauer um das untergegangene Königreich der Thüringer und ihre gesamte Lebensgeschichte anvertraut. Diese „Vita Rade- gundis“ wird das berühmteste Werk des Dichters, der im Jahr 599 selbst zum Bischof von Poirtiers geweiht wurde. Durch ihn erfuhr sie auch, daß sich ihr geliebter Vetter Amalafrid in Konstantinopel aufhielt. Als sie um das Jahr 570 mit ihm Kontakt aufnehmen wollte, wurde ihr mitgeteilt, daß dieser in einem seiner letzten Feldzüge gefallen sei. Mit Amalafrid starb zwischen 565 und 570 auch der letzte männliche Thronerbe der Thüringer.

Am 13. August 587 starb Radegunde in Poitiers. Seit dieser Zeit werden bis in unser Jahrhundert in Poitiers Wunder mit der ersten Thüringer Heiligen in Verbindung gebracht (blühende Lorbeerbäume u.a.), eine ferne Erinnerung an das alte Thüringer Königreich.

De excidio Thuringiae

(der Untergang Thüringens - das Klagelied der Radegunde)

O du trauriges Los des Krieges, du neidisches Schicksal, In wie plötzlichem Sturz sinken doch Reiche dahin, Lange gesicherte Stätten des Glücks, hochragende Giebel Liegen, vom Sieger verbrannt, kläglich in Trümmern und Schutt. Und das Gehöft des Palastes, das einst vom Leben erfüllt war, Ist von Gebäuden nicht mehr, nein, nur von Asche bedeckt, Und die Firsten der Dächer, die sonst rotgolden geschimmert, Sind nun zu Boden gestürzt, sind nur Asche und Staub.

Männer von fürstlichem Rang, beraubt vom Feinde der Freiheit, Stürzten in schimpfliches Los nieder vom Gipfel des Ruhms.

Der so glänzende Schwarm der dienenden Altersgenossen Starrte, dem Leben entrückt, häßlich von Staube und Schmutz.

Die von Dienern umgebene Schar der gebietenden Herren Blieb nun des letzten Geleits, blieb selbst des Grabes beraubt. Die durch goldigen Schimmer des Haars übertroffen das Gold selbst,

Frauen so weiß wie Milch, lagen zu Boden gestreckt. Wie war das Gefilde bedeckt von den Körpern der Toten, Ach ein einziges Grab barg nun ein ganzes Geschlecht!

Jetzt kann Troja allein nicht mehr sein Ende beweinen, Denn auch Thüringen litt ebenso blutigen Mord.

Weg schleppt man gefesselte Frauen an flatternden Haaren, Keiner wurde vergönnt trauriger Abschied vom Heim.

Küssen durfte die Schwelle nicht noch der Gefangene, auch nicht Schaun zu den Stätten zurück, die ihn gern länger geschaut.

Nackten Fußes die Gattin schritt im Blute des Gatten, über des Bruders Leib schritt da die Schwester hinweg.

Aus der Mutter Umarmung gerissen, am Auge nur hing ihr, Lautlos, ohne Erguß schmerzlicher Tränen, der Sohn.

Leichter wohl ist ‘s bei so schwerem Geschick des Sohnes zu sterben, Tränen der Liebe zugleich schluchzend die Mutter vergoß.

Nicht vermag ich zu weinen, obgleich barbarischen Ursprungs, So wie sie, kann ich nicht schwimmen in Tränenguß.

Jeglicher hatte sein eigenes Leid, ich weinte für alle.

Alles, was jene geschmerzt, war mein persönliches Leid.

Glücklich die Männer, die tödlich die Waffe des Feindes getroffen, Ich allein nur blieb, sie zu beweinen, zurück.

Doch um die Toten Verwandten nicht bloß muß ich weinen und klagen, Meine Träne, sie fließt auch um Lebendige noch.

Mag ich auch oft im feuchten Gesicht die Augen verschließen, Dämpfen den klagenden Laut, bleibt meine Sorge doch wach.

Sehnend erspäh‘ ich, ob nicht mir kommt erfreuliche Botschaft,

Aber vom Vetter ersah nirgend‘ ich Schatten und Spur. Ihn, den Trost meiner Augen, den ich aufs zärtlichste liebte, Nahm aus dem Arm mir weg neidisch ein feindliches Los.

Hat dir denn nicht, der fern von mir mein Gram nicht bekümmert, Unser so herbes Geschick süßes Erinnern geweckt? Denke daran, wie teuer ich dir seit frühester Jugend Einst war, Amalafrid, was Radegunde dir war.

Wie du mich einst als blühender Knabe so innig geliebt hast, Immer als Sohn des Ohms freundlicher Vetter mir warst.

Du hast mir den Vater ersetzt, den Toten, die Mutter, Hast mir die Schwester ersetzt, warest mir Bruder zugleich.

Oh wie ergötzte mich Kleine so sehr dein frohes Geplauder, Scherzte ich Hand in Hand, Lippe an Lippe mit dir.

Sonst nahm kaum eine Weile dich mir die flüchtige Stunde, Jetzt fehlt selbst dein Wort mir seit unendlicher Zeit!

Welch ein anderes Bild malt diese Frau von den alten Thüringern, was für ein Schmerz, noch Jahrzehnte danach! Radegunde wurde bereits zu Lebzeiten als Heilige verehrt, und nach ihrem Tode wurde ihr Grab in Poitiers zu einem viel besuchten Wallfahrtsort. Ihre Popularität und Verehrung als Heilige hat sich übrigens bis heute in Frankreich erhalten. Man hätte meinen können, daß die Franken, die nach Thüringen kamen, ihr gerade hier in ihrem Heimatland viele Kirchen oder Kapellen hätten weihen müssen. Dem ist aber nicht so, in Thüringen hat sie nur wenige Spuren hinterlassen.

Auf dem Gebiet des Thüringer Königreiches errichteten die Franken zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert nur drei Kapellen, die der ehemaligen thüringischen Prinzessin geweiht sind. Die Franken taten das an exponierten Stellen, wo sie die Königssitze der letzten drei Thüringer Könige, zumindest in der näheren Umgebung vermuteten. Wenn man um jede Kapelle einen Kreis mit 50 Kilometer Durchmesser zieht, so stößt man darin auf die Orte, die schon früher von Historikern und Buchautoren genannt wurden.

Die erste Kapelle steht in Helfta (Helpide) bei Eisleben, wo auch das berühmte Zisterzienser- innen Kloster der Mechthild von Magdeburg (1207-1282) wieder neu entstand. In der Nähe werden die Königssitze Bisin II. und seines Sohnes Berthachar, nämlich Beesenstedt, Bösen- burg oder Burgörner vermutet (Grabfunde von Großörner und Stössen).

Die zweite Kapelle steht an der Mühlburg, die älteste der „Drei Gleichen“, zwischen Arnstadt und Gotha. In der Nähe werden die Königssitze Merwigs, Wedelphus, Bisin I. und Hermina- frids, nämlich Möbisburg, Roter Berg und Herbsleben vermutet (Grabfunde von Gispers- leben, Oßmannstedt und Weimar). Die Mühlburg birgt aber noch weitere Geheimnisse: Die Radegundiskapelle ist neben der Burg auf einer deutlich sichtbaren, älteren Wallanlage errichtet. Wenn man von hieraus oberhalb des Gustav-Freytag-Weges auf dem Kamm der Schloßleite Richtung Osten wandert, so gelangt man zum sogenannten Nummernkopf, wo eine zweite Wallburg zu sehen ist, deren Überreste bis in keltische Zeit reichen. Während des gesamten rund zwei Kilometer langen Weges trifft man auf ein System von angelegten Grä- ben, Erdwällen sowie auf Überreste von Mauern und Wegpflaster aus Stein. Dies veranlaßte mich zu der Vermutung, daß es sich hier vielleicht nicht um zwei getrennte, sondern um eine einzige geschlossene Anlage gehandelt haben könnte. So existiert z.B. am steilen Nordhang der Schloßleite ein ehemaliger Graben, der sich am gesamten Hang entlang zieht sowie auf der Südseite ein Mauerrest, der vom Gustav-Freytag-Weg in Teilen erkennbar ist und sich ebenfalls den ganzen Weg bis zur Mühlburg erstreckt. Wäre dieser Höhenzug nicht von Bäu- men und einer dichten Pflanzendecke bewachsen, würde man durch eine Luftbildaufnahme vielleicht erkennen, daß es sich hierbei um eine große burgähnliche Anlage der Frühzeit han- delt. Diese wurde wahrscheinlich von den Grafen von Mühlberg (Meinharde) um 1100 aus- gebaut und war groß genug, um einen Königshof zu beherbergen, der der Größe des König- reiches entsprach. Für diese Burganalge als Königshof spricht weiterhin das fruchtbare Um- land, das sich gut für eine Versorgung eignete, die Nähe zu wichtigen Handelsstraßen sowie die Nähe zu einem Heiligtum (ein flacher See, der das ganze Gleichental ausfüllte und an dessen Rand eine salzführende Quelle (bei Sülzenbrücken) entsprang; ganz in der Nähe be- fand sich ein weiterer See, nachdem der Seeberg und der Ort Seebergen benannt sind und wo sich auf der Heiligen Lehne, der östlichsten Spitze des Seebergs, ein Gräberfeld und ein be- eindruckendes Hügelgrab aus der La-Tene Zeit [450 vor bis 50 nach Christus] befindet; wei- terhin fand man am ehemaligen Ufer des „Heiligen See‘s“ bei Haarhausen Siedlungsreste einer hermundurischen Brennerei nach römischen Vorbild aus der Mitte des dritten Jahrhun- derts). Für den Königshof auf der Schloßleite spricht auch die gute Fernsicht, die eine Ver- ständigung mit Rauch- oder Feuerzeichen in alle Teile des Reiches ermöglichte. Außer ins Thüringer Becken und bis zu den Bergen des Thüringer Waldes kann man hier auch bis zum Brocken und weit ins Mansfelder Land sehen. Auch rund um die Mühlburg sind fränkische Siedlungen angezeigt, die auf Wachstationen der Franken hinweisen (Sülzenbrücken, die Ur- pfarrei Thüringens, Haarhausen, Holzhausen, Röhrensee und Schwabhausen).

Die dritte Kapelle steht bei Reuchelheim im Mainbogen bei Würzburg an den Ufern der Wern. In der Nähe wird der Königssitz Baderichs, nämlich bei Werneck oder Arnstein zwi- schen Ettleben und Güntersleben vermutet (Grabfunde von Geldersheim und Zeuzleben). 1983 wurde in Zeuzleben (Zuzeleibe) eine thüringisch-fränkische Adels- und Gefolgschafts- grablege mit 75 Grabanlagen aus dem 6. und 7. Jahrhundert freigelegt. Es wurden neben den überwiegend menschlichen Bestattungen auch neunzehn Tiergräber gezählt (15 Pferde und 4 Hunde). Im zentral gelegenen, mehrgeschossigen Hauptgrab war eine junge Frau, vermut- lich eine herausragende Persönlichkeit bestattet (Gattin oder eine Tochter König Baderichs). Man hatte sie auf einen vierrädrigen Wagen gebettet, der in ca. 4 Meter Tiefe montiert war. Dieses altthüringische Adelsgrab, das in seinem Aufbau an das von Gispersleben erinnert, ist ein entscheidender Hinweis, daß sich im Gebiet um die Wern, ein Königssitz Baderichs befunden haben kann. Die Franken hatten also nach 531 einen guten Grund, im relativ weit abgelegenen Würzburg den Sitz des Herzogs für Ostfranken zu errichten. Zum einen drangen bereits im fünften Jahrhundert fränkische Siedler vom Rhein kommend den Main aufwärts in alemannisch-chattisches Gebiet vor und siedelten sich friedlich an der Grenze zum Thüringer Reich an und zum anderen war König Baderich durch die Verbindungen seiner Töchter den Franken freundlich gesinnt, was nach seiner Ermordung (519) auch zu den beiden Feldzügen der fränkischen Könige führte. Von der Mitte des 6. Jahrhunderts bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts bildete Würzburg die Hauptstadt der Herzöge von Ostfranken und wurde danach fürstbischöfische Residenzstadt des Bistums Würzburg.

Zieht man zwischen Helfta bei Eisleben und Reuchelheim bei Würzburg auf der Karte eine Linie, so entsteht eine Strecke, auf der exakt die Mühlburg liegt und auch fast die Mitte dieser beiden geschichtsträchtigen Orte bildet (Zufall?).

Die Franken in Thüringen

Der Widerstand der Thüringer war spätestens nach der Ermordung König Herminafrids in Zentralthüringen fast endgültig gebrochen. Die Belegung der Thüringer Reihengräber hört fast schlagartig auf. Abwanderungen setzen aber erst ein, als im Jahre 555 der Sachsenauf- stand (mit einigen verbündeten Nordthüringern) von den Franken niedergeschlagen wird. Zwischen 560 und 580 werden die nördlich der Unstrut gelegenen Gebiete von eingewander- ten Nordschwaben und Friesen bevölkert, der Westen von Hessen. Die Abwanderung eines Teiles der Sachsen nach Süden legte den Grundstein für den Hessen- und Schwabengau (auch im Altgau gründen die Schwaben Siedlungen z.B. Schwabhausen bei Gotha sowie Groß- und Kleinschwabhausen bei Weimar) sowie für das Friesenfeld (nach der Langobardengeschichte des Mönches Paulus Diaconus [725-799], Sohn des Warnefrid, Verwandter des langobard- ischen Königshauses).

In die ostsaalischen Gebiete dringen Slawen, welche die fränkische Oberhoheit zunächst anerkennen. Diese slawischen Stämme stammen aus dem Gebiet nördlich des Schwarzen Meeres und zogen bereits im 6. Jahrhundert von hier aus Richtung Westen. Von Schlesien und Böhmen aus besiedelten sie langsam das Gebiet zwischen Weichsel und Elbe. Das heu- tige Brandenburg wurde das Gebiet der Wilzen (Liutizen), das im Norden (Mecklenburg) vom Gebiet der Obotriten und im Süden (Sachsen, Thüringen) von den Sorben begrenzt wurde. Die Liutizen bestanden aus Kleinstämmen wie den Hevellern, Milzenern, Ukrern, Redariern, Daleminzern und Zamzizi, während sich die Sorben hauptsächlich aus den Lusitzen und Siuslern zusammensetzten. In Thüringen trafen sie von der Elbe kommend zuerst auf die Weiße Elster und die Saale. Die Thüringer bezeichneten die Slawen als „Wenden“ (Fremde), während die Franken das Wort „Sorben“ (Verbündete) benutzten und ihnen eine weitere Be- siedlung erlaubten, sodaß sie bis zur Ilm und zur Gera, später auch vereinzelt bis zur Werra vordrangen, was zunächst auf ein friedliches Neben- und Miteinander schließen läßt.

Als slawisch gelten z.B. Orte wie Windischholzhausen, Windischleuba, Wenigenlupnitz, Wenigensömmern, Branchewinda, Nahwinden usw., aber auch Ortschaften mit Endungen auf -itz, -igk, -ig und -in (Köstritz, Göschwitz, Drößnitz, Gröbzig, Zörbig, Kroßigk usw.). Für manche Ortsbezeichnungen verwendete man auch direkte slawische Worte wie Ruhla (rolja = Feld), Krölpa (Krallipa = Königslinde), Pörlitz (Pogorelica = Brandrodung), Böhlen (bjelin = weiß), Plaue (plaveni = flößen), Lobschütz (Luboschitze = Wahlort, Residenz), Posewitz (Boh = Wendengott) oder Wonnitz (wohenitsche = am Feuerherd).

Die Saalegrenze der „limes sorabicus“ war somit für hundert Jahre nur eine politische Grenze und wurde erst befestigt, als die Slawen sich 631 vom Frankenreich lossagten und unter Samo und Dervan („Dervanus dux gente Surbiorum“) ein westslawisches Großreich bildeten.

Als Teil des ostfränkischen Königreiches („Franca Orientalis“) wurde Thüringen zins- und tributpflichtig, und besonders bedrückend wurde hier für Jahrhunderte der jährlich zu ent- richtende Schweinezins empfunden. Ansonsten war das Verhältnis zu den Thüringern im all- gemeinen sicherlich günstiger als zu den Sachsen, mit denen später noch heftige Kämpfe aus- getragen wurden (743, 744 ,748 und 784). Nur auf dem entlegenen und schwer zu erreichen- den Warnenfeld hält sich sehr lange ein letzter Rest aufständiger Thüringer, der von den Franken erst im Jahre 595 vollständig aufgerieben wird. In ihren Chroniken erscheint dieser Feldzug zwar als Feldzug gegen die Warnen, doch es wäre sicherlich peinlich gewesen zu- zugeben, daß es sich nach über 60 Jahren noch um einen Rest widerspenstiger Thüringer handelte. Danach beruhigt sich das Verhältnis wieder und im Jahre 612 nimmt König Chlo- thar II., dessen Großmutter eine Tochter König Baderichs war, Thüringer Krieger sogar in sein Heer auf, was auf eine lockere Bindung zwischen Thüringern und Franken schließen läßt. Der Sohn Chlothars II., König Dagobert I. (611-638) unternimmt im Jahr 632 einen Feldzug gegen die Slawen und setzte schon vorher einen Radulf Hrudi (Ruodi), Sohn Chamars, als „dux“ (Herzog) von Ostfranken ein, der in den folgenden Jahren die Grenzbefestigungen nach Osten (an der Saale) verbessert, sich aber gleichzeitig erfolgreich gegen die fränkische Zen- tralgewalt auflehnt. Daraufhin unternimmt König Sigibert III. 641 eine Strafexkursion gegen Herzog Radulf und „seine“ aufständigen Thüringer, mußte sich aber verlustreich zurück- ziehen. Von dem fränkischen Chronisten Fredegar wird berichtet, daß sich Herzog Radulf mit seinem Heer in einer hölzernen Burg auf einem Hügel an der Unstrut versammelt hatte. Hier ist mit ziemlicher Sicherheit wieder die Tretenburg gemeint, denn sie galt seit frühester Zeit als zentrale Versammlungsstätte. Kurz darauf stirbt Radulf (590-641), der als Franke nicht der Ortsgründer von Rudolstadt (Rudolfestat) gewesen sein kann. Sein Sohn Heden I., der um 620 geboren wurde, profitierte vom Sieg seines Vaters und konnte relativ eigenständig als Herzog von Ostfranken mit Sitz in Würzburg regieren („arx et caput totius orientalis Franciae“).

Offiziell war man zwar noch Teil des Merowingerreiches und erkannte dessen Oberherrschaft an, dieses war aber durch das Amt der Hausmeier und verschiedene Schattenkönige so ge- schwächt worden, daß die ostfränkischen Herzöge (duces) ihren Vorteil daraus ziehen konn- ten. Sein Sohn Herzog Gozbert (650-690) ließ sich 686 von dem iroschottischen Missionar Kilian, der mit seinen Begleitern, dem Priester Kolonat und dem Diakon Totnan in Thüringen missionierte, taufen. Als Beweis der Ernsthaftigkeit dieser Entscheidung verlangte Kilian von ihm, sich von der Witwe seines Bruders namens Gailana zu trennen. Gozbert erfüllte die For- derung, Gailana aber verzieh dies Kilian nicht. Als ihr Mann auf einem Kriegszug war, ließ sie ihn mit seinem Gefährten Kolonat und Totnan im Jahr 689 beim nächtlichen Gebet in der- en Klause überraschen. Den gezückten Schwertern streckten die Missionare die Bibel entge- gen. Die Täter ließen sich freilich davon nicht beeindrucken, wie an den unschönen Flecken auf dem Bucheinband, der sich noch heute in der Würzburger Universitätsbibliothek befindet, zu sehen ist. Die Mörder verwischten alle Spuren des Überfalls gründlich, verscharrten die Leichen und ließen darüber ein Pferdestall errichten, den aber die Pferde scheuten.

Dem heimkehrenden Gozbert sollen die vom Wahnsinn geschlagenen Mörder die Tat gestan- den, eine Einsiedlerin, die die blutgetränkte Erde gesammelt hatte, den Ort gewiesen haben. So wurden die Leichen wieder entdeckt, die Mörder begingen Selbstmord und die Anstifterin starb am Wahnsinn.

Kilian muß auch in Erfurt gewesen sein, denn er errichtete in Gispersleben (Königshof?) eine dem heiligen Vitus (Veit) geweihte Kirche. Nach seinem Tod wurde unweit davon Kilian zu Ehren eine zweite Kirche gebaut. Bis heute heißen die beiden Dorfteile Gisperslebens beider- seits der Gera „Viti“ und „Kiliani“. Die iroschottischen Benediktiner kamen wahrscheinlich bereits unter Colomba (521-597) nach Thüringen, der 590 zusammen mit zwölf Gefährten von Irland aufbrach und nach Burgund zog. Einer dieser Gefährten namens Gallus (550-640) ließ sich am Bodensee nieder und missionierte ab 610 in Alemannien. In Schlotheim wurde in einem Grab eines Mannes vom Ende des 6. Jahrhunderts eine Lanze mit christlichen Sym- bolen (Kreuz und Fisch) und Reste einer alemannischen Leier gefunden. Es ist durchaus mög- lich, daß es sich bei dem Toten um einen weiteren Gefährten des Columba (Columcilla) han- delt, zumal auch die Kirche in Mühlberg ursprünglich dem Heiligen Gallus geweiht war.

Als Herzog Gozbert im Jahr 690 ermordet wurde, regierte sein Sohn Heden II., auch Hetan (675-717), der die Missetat seines Vaters zu sühnen hatte und sich, wohl aus Sorge um sein Seelenheil, wieder der Kirche zuwandte und deshalb mit einigen Thüringer Adligen verfehdet gewesen war. Im Jahre 704 überläßt er dem angelsächsischen Missionar Willibrord von Utrecht Häuser und Grundstücke bei Arnstadt, auf der Mühlburg (castello Mulenberge) und bei Monra. Die Schenkungsurkunde vom ersten Mai 704, in der Heden II. als „vir illuster“ bezeichnet wird und seine Ehefrau Theodrada (eine Thüringerin und Nichte der Irmina, Äbt- issin des Klosters Oeren in Trier) sowie sein Sohn Thuring als Zeugen auftreten, wurde in Würzburg ausgestellt („act. publice in castello Virteburch“) und ist der erste schriftliche Beleg für eine Grundherrschaft in Thüringen („Arnestati super fluvio Huitteo“). In einer weiteren Urkunde aus dem Jahr 716 überläßt Heden II. (jetzt „illuster vir Hedenus dux“ genannt) Willibrord auch noch sein Erbgut bei Hammelburg im Saalgau („ad Hamulo castellum“). Ob nach seinem Tod sein Sohn Thuring oder ein Theotbald, dessen Herkunft und Abgang ungeklärt bleiben (vielleicht ein weiterer Sohn oder sein Schwager, Bruder seiner Frau Theo- drada), als Nachfolger fungiert haben, ist bis heute unklar. Im Jahre 741/42 gründete Boni- fatius (673-754) für Würzburg ein Bistum, das die Grundlage für die spätere fürstbischöfische Residenz bildete und gleichzeitig das Ende des ostfränkischen Herzogtums auf dem Gebiet des ehemaligen Thüringer Königreiches bedeutete.

Bonifatius wurde 673 als Winfrid (Wynfred), Sohn eines angelsächsischen Adligen, in Credi- ton in der Grafschaft Devonshire im Königreich Wessex geboren. Er wurde im Kloster Exeter erzogen und empfing die Priesterweihe in Nursling. Später missionierte er zusammen mit Willibrord in Friesland und kam, nach einem kürzeren Aufenthalt im Jahr 716, ab 724 für längere Zeit nach Thüringen. Im Jahr 718 wurde er von Papst Gregor II. mit Empfehlungs- schreiben an Karl Martell und ostfränkische Adlige ausgestattet, und er erhielt den Auftrag, die arianischen und iroschottischen christlichen Traditionen durch die römisch-katholische Kirche zu ordnen und den germanischen Götterglauben endgültig zu beseitigen. Nachdem er 723 in Hohengeismar eine dem Gott Thor geweihte Eiche fällte und damit den Grundstein für das Bistum Büraburg legte, gründete Bonifatius im Jahre 725 in Ohrdruf ein Kloster, wohin er seinen Landsmann Wigbert, der aus Glastonbury stammte und ab 732 Abt des Klosters Fritz- lar war, berief. In Ohrdruf gründete Wigbert eine Schule für Glaubensboten, in die auch der in Oberöstereich geborene Sturmius (710-779), der spätere Abt des Klosters Fulda, ging.

Wigbert wirkte sehr erfolgreich in Thüringen, was einige nach ihm benannte Kirchen noch heute beweisen (Sülzenbrücken). Am Ende seines Lebens kehrte er zurück nach Fritzlar, wo er nach langer Krankheit 746 verstarb. Weitere für Thüringen bestimmende Mitarbeiter des Bonifatius waren die ebenfalls aus Wessex (Königreich der westlichen Angeln und Sachsen in Britannien) stammenden Benediktinermönche Witta (angelsächsisch Hwita = der Weise), erster und einziger Bischof (+ um 760) von Büraburg bei Fritzlar und Lullus aus Malmsbury. Lullus lernte 737 bei einer Wallfahrt in Rom Bonifatius kennen und zog mit ihm nach Thür- ingen. Von Bonifatius zum Priester geweiht, machte dieser 752 Lullus auch zu seinem Koad- jutor und Nachfolger als Bischof von Mainz. Er gliederte seiner Diözese die verwaisten Bistümer Erfurt und Büraburg (Fritzlar) ein. 781 wurde er vom Papst zum ersten Erzbischof von Mainz ernannt. Bonifatius hatte eine Schwester, Wunna, die mit dem angelsächsischen König Richard verheiratet war. Diese hatten drei Kinder: Willibald (700-787), Wunnibald (701-761) und Walburga (710-779). Richard war wahrscheinlich nur König eines Teilkönig- reiches in Wessex. Offiziell regierte König Ine, Sohn des Caedwalla, von 688 bis 726.

In dieser Zeit kam es zu heftigen Kämpfen zwischen verschiedenen Adelsgeschlechtern um die Krone, die auch zur Absetzung Ines führten. Er starb 728 in Rom. Auf Grund dieser Aus- einandersetzungen unternahm König Richard im Jahre 720 mit seinen zwei Söhnen eine Pil- gerfahrt nach Rom. Richard starb noch auf dem Heimweg 722 in Lucca, während seine Söhne ins Heilige Land weiterzogen. Wunibald ging als Mönch ins Kloster Montecassino (Stamm- kloster des Benediktinerordens) und wurde 738 von seinem Onkel Bonifatius nach Thüringen gerufen, wo er zunächst in Sülzenbrücken Priester wurde. 747 kam er nach Mainz und grün- dete 751 das Kloster Heidenheim in der Diözese Eichstätt. Sein Bruder Willibald kehrte über Konstantinopel ebenfalls nach Montecassino (730) zurück. Er kam 739 nach Thüringen und wurde von Bonifatius 741 oder 742 in Sülzenbrücken zum Bischof von Erfurt sowie Witta zum Bischof von Büraburg und ein Burkard zum Bischof von Würzburg geweiht.

Warum Willibald jedoch nach Eichstätt ging und dort als Bischof wirkte, ist nicht ganz sicher (vielleicht, um seinen Bruder Wunibald zu unterstützen). Auch Walburga kam 748 nach Thür- ingen, zunächst nach Arnstadt (Walpurgiskloster) oder nach Apfelstädt (Walpurgiskirche).

Im Jahre 761 wurde sie Äbtissin des Frauenklosters in Heidenheim, wo wieder alle drei königlichen Geschwister vereint waren. Am Ende seines Lebens machte Bonifatius sich 753 noch einmal mit einigen Gefährten, darunter Adalar, Eoban, Hildebrand, Ferdinand und fünfzig weitere zur Friesenmission auf. Als er bei Dokkum in Westfriesland am Pfingstfest 754 ein Tauffest abhalten wollte, wurden er und seine Gefährten von den an ihren alten Glauben festhaltenden Friesen, ehemaligen Gefolgsleuten des heidnischen Herzogs Radbod (664-719), überfallen und erschlagen.

Im Ausgang des 6. Jahrhunderts wird das Frankenreich nur dem Namen nach von Königen regiert. In Wirklichkeit wird es tyrannisiert von zwei miteinander verfeindeten Königinnen, im Westen Fredegunde, Witwe Chilperichs und Mutter Chlothar II., im Osten Brunhilde, Witwe Sigiberts, die erst für ihren Sohn Childebert II., dann für ihre Enkel und schließlich noch für ihre Urenkel die Herrschaft ausübt. Fredegunde starb allerdings schon 597. Aber erst im Jahre 613 machte Chlothar II. dem Ringen um die Vormacht ein Ende. Unter Mithilfe des ostfränkischen Adels überwand er das Ostreich Brunhilds und auch unter seinem Sohn Dago- bert blieben bis zu dessen Tod 639 beide Reichsteile vereinigt. Doch schon bald nach dem Tod König Dagoberts I. hatte der Machtverfall der Merowingerkönige eingesetzt und der Aufstieg der ostfränkischen Hausmeier (lat. „major domus“ = königliches Oberhofamt) aus dem Geschlecht der Karolinger begonnen.

Unter König Dagobert I., der in Paris residierte, bekleideten Pippin der Ältere und Arnulf von Metz das Amt der Hausmeier. Beide stammten aus dem austrischen Reichsteil (dem Gebiet um Metz, Ingelheim und Aachen), im Gegensatz zu Neustrien (Nordfrankreich einschließlich Soissons und Paris). Bereits Dagobert I. fing an, sein Reich zu teilen. So machte er beispiels- weise seinen dreijährigen Sohn Sigibert III. zum Unterkönig in Austrien. Im Jahre 643 folgte Grimoald, ein Sohn Pippin des Älteren, im Amt des Hausmeiers. In dieser Zeit waren die Merowingerkönige völlig machtlos und der Hausmeier hatte nahezu alle königliche Macht inne. Als im Jahre 656 Sigibert III. starb, ließ Grimoald seinen Sohn Childebert durch die Merowinger adoptieren und setzte ihn als Childebert adoptivus auf den fränkischen Thron, während er den eigentlichen Thronerben Dagobert II. auf Pilgerfahrt nach Irland schickte. Daraufhin kam es zu einer heftigen Adelsopposition, die darin gipfelte, daß Grimoald 662 getötet wurde. Begga, eine Tochter Grimoalds, heiratete Ansgisel, den Sohn des Bischofs Arnulf von Metz. Aus dieser Ehe entsprang Pippin der Mittlere, dem es als Pippin II. be- schieden war, den Weg seines Geschlechtes zur Königswürde zu ebnen. Im Jahre 687 hatte Pippin II. bei Tetry gegen den neustrischen Hausmeier Ebroin den ersten und sein Sohn Karl Martell bei Vincy 717 gegen Raganfrid den zweiten entscheidenden Sieg über die westfränk- ischen Hausmeier errungen, womit die Herrschaft der Karolinger besiegelt war.

Nach dem Tod Theodorich IV. im Jahre 737 übernahm Karl Martell die Macht im Franken- reich und führte in Thüringen gewaltsam die königliche Macht der Hausmeier ein („Martell“ = Schmiedehammer). Als mit der Hedensippe das fränkische Herzogtum auf Thüringer Boden zwischen 717 und 741 erlosch, setzte er, als erster König, absetzbare Beamte aus fränkischen Adelsgeschlechtern ein, um den Thüringer Adel zu kontrollieren. Dieses königliche Amt der sogenannten Gravos (Grafen) entwickelte sich mit der Zeit zu einem erblichen Adelstitel, mit dem die innehabenden Familien, im Namen des Königs, richterliche Gewalt ausüben konnten und mit gewissen Einschränkungen auch die Führer des Heerbanners stellten. Die Grafen, welche nach wenigen Jahren heimisch wurden, benutzten auf ihren Siegeln den Löwen, als Symbol königlicher Macht, woraus sich allmählich, um die einzelnen Familien zu unter- scheiden, bis zum 12. Jahrhundert, die jeweiligen Wappen herausbildeten.

Die Erhebung Pippin III. (714-768) zum König über das Frankenreich im Jahre 751 in Soissons vollendete den Aufstieg, nachdem der letzte Merowingerkönig Childerich III. in ein Kloster eingewiesen wurde. Als der Sohn Pippin III., Karl der Große (742-814) im Jahre 768 zum Teilkönig gekrönt wurde, sicherte er das Reich nach außen durch die Gründung von Marken und erließ im Jahr 782 in Thüringen eine Grafschaftsverfassung. Durch diese Ver- ordnung über die Rechte und Pflichten von Grafen sowie durch die weitere Errichtung von Pfalzen und Königsgütern stabilisierte er auch seine innere Macht. Daraufhin formierte sich um einen Grafen Hardrad 785/86 ein Aufstand, an dem sich die ältesten Thüringer Adels- sippen beteiligten (wie z.B. die, der Ansgoz`s, Balgo`s, Chindo`s, Gebo´s, Kuzo´s u.a.).

Der König sollte gefangen genommen und ermordet werden und Thüringen von der fränk- ischen Herrschaft befreit werden. Als Karl der Große davon erfuhr, vollzog er ein schweres Strafgericht: die Hauptanführer wurden getötet, einige geblendet oder verbrannt und andere mit der Einbeziehung ihrer Güter bestraft. Auf dem Höhepunkt seiner Macht ließ sich König Karl im Jahre 800 vom Papst zum weströmischen Kaiser krönen (der Titel Kaiser geht auf den römischen Namen Caesar [griech. Kaisar] zurück, den alle römischen Imperatoren als Beinamen führten). Nach Karls Tod regierte dessen Sohn Ludwig der Fromme (778-840). Nach dessen Tod kam es zu Erbstreitigkeiten und das fränkische Großreich wurde 843 im Vertrag von Verdun unter den Söhnen Ludwigs aufgeteilt. Lothar I. bekam Italien, Karl der Kahle bekam das westfränkische Reich und Ludwig ganz Ostfranken mit Thüringen.

Unter Ludwig (805-876), der nach der Teilung Ludwig der Deutsche genannt wurde, wurde Thüringen zum Markherzogtum („ducatus Thoringiae cum marchis suis“). Als erster Markherzog wird Thakulf („dux Thuringorum“) 849 genannt, der um 820 geboren wurde, während seiner Amtszeit mit den Sorben in Böhmen verhandelte, die Christianisierung weiter vorantrieb und am 1. September 873 verstarb.

Aus Thakulfs Gefolge erstarkte ein kleines fränkisches Grafengeschlecht, das Besitzungen im Saalgau und Grabfeld hatte und sich später zu den einflußreichsten Adelsgeschlechtern im fränkisch-bayrischen Raum entwickelte. Namengebend wurde die Burg Babenberg (Bam- berg), die erstmals Mitte des 11. Jahrhunderts bei Hermann von Reichenau erwähnt wird. Bezeichnender ist aber der Name „Popponen“ (nach den Leitnamen des Geschlechtes).

Aus diesem Geschlecht stammt der Nachfolger Thakulfs, Radulf (Ratolf), Sohn des Heimarih, Graf im Saalgau (+836), der 874 zusammen mit dem Mainzer Erzbischof Luitbert gegen die abgefallenen Sorben und Siusler zog. Zwischen 876 und 880 wurde Ratolf von seinem Ver- wandten (Vetter?) Graf Poppo II. („comes et dux Sorabicus limitis“) verdrängt. Vielleicht hat sich Ratolf mehr der Kirche zugewandt und es ist in ihm jener Kleriker zu sehen, der ab 876 in Fuldaer Urkunden erscheint. Graf Poppo II. wird ab 880 als Markherzog genannt. Sein Bruder Heinrich (+886) zeichnete sich als Heerführer („princeps militae“) Ludwigs des Deut- schen und Karls III. (839-888), besonders gegen die Normannen aus.

Im Jahr 880 erscheint Poppo in den „Annales Fuldenses“ anläßlich einer siegreichen Schlacht gegen die Sorben. Er kämpfte mit dem Konradiner Graf Egino I., der eine Grafschaft im Badanachgau hatte, um die Vorherrschaft in Thüringen. Da Poppo trotz der Niederlage, die er gegen Egino erlitt, seine Stellung in Thüringen nicht verlor, kann man vermuten, daß sich König Karl III. für ihn eingesetzt hat. Beim Tod des Mainzer Erzbischofs Luitbert 889 konnte er seinen Einfluß geltend machen und den Erzstuhl mit seinem Kanditaten, dem Fuldaer Abt Sunzo, besetzen. Im Jahre 892 wurde Poppo II. wegen allzu großer Selbstherrlichkeit von Kaiser Arnulf von Kärnten (850-899) abgesetzt und dem Konradiner Konrad dem Älteren (855-906), Graf im Lahngau, die Markherzogswürde verliehen (bis 897). Nach einem soge- nannten Infidelitätsprozeß (Hochverrat) konnte er 899, nach der Rückgabe seiner konfiszier- ten Güter, seine Stellung als „dux Thoringorum“ (Herzog der Thüringer) wieder behaupten. Während der Babenberger Fehde, einem Streit zwischen den Grafen von Babenberg aus dem Geschlecht der Popponen und den mächtig gewordnen Konradinern unter Rudolf, Bischof von Würzburg, mußte Poppo II. 903 erneut aus Thüringen fliehen. Er trat die Nachfolge seiner enthaupteten Neffen Heinrich und Adalhard an und wurde Graf im bayrischen Nord- gau. Die Markherzogswürde von Thüringen erhielt einer seiner Kontrahenden der Konra- diner Burchard II. (840-908), Sohn Burchards I. (782-859), seit 837 Graf im Grabfeld und der Frewirata. Er wurde bereits 892 mit der Verwaltung der Sorbischen Mark betraut und wird von vielen Genealogen als Stammvater des Hauses Wettin angesehen, denn es ist durchaus möglich, daß die Burchardinger durch die Verbindung zu den Harzgaugrafen diese Linie, die sich nach der Burg Wettin an der Saale nannte und später die sächsische Herzogswürde ver- liehen bekam, begründet haben.

Markherzog Burchard II. hatte bedeutenden Einfluß und übte sein Amt auch in Reichsange- legenheiten (Teilnahme am Reichstag zu Forchheim) offensichtlich wirksam aus. König Lud- wig das Kind (893-911) nennt ihn „egregius dux, venerabilis comes“. Unter seiner Herrschaft tritt eine Beruhigung des Nachbarschaftsverhältnisses zu den Slawen ein. Eine Ruheperiode wird dies jedoch nicht, denn nun (ab 906) beginnen die Einfälle der Ungarn. Am 3. August 908 fiel Burchard II. zusammen mit seinen Verwandten, dem Bischof Rudolf von Würzburg und Graf Egino II. in einer blutigen Schlacht gegen diese neuen Eindringlinge.

Markherzog Burchard II. hinterließ zwei Söhne: Bardo (+979) , Graf im Gau Husitin und Burchard V. (+936), Schwager von König Konrad I.. Im Tauziehen um die Markherzogs- würde konnten sich diese aber nicht durchsetzen und es erhielten vorübergehend Konrad I. (der spätere König) und nach ihm sein Bruder Eberhard das Markherzogtum Thüringen.

Da aber Burchard und Bardo immer noch hofften, durch den König wieder in die Stellung ihres Vaters gebracht zu werden, trugen sie mehr und mehr zu den Spannungen zwischen ihnen und den sächsischen Liudolfingern bei. Graf Konrad I. (881-918), Sohn Konrads des Älteren von Fritzlar und der Glismut (eine Tochter von Kaiser Arnulf von Kärnten) wurde nach dem Tod seines Onkels Gebhard das Haupt des aus Austrien stammenden Geschlechtes der Koradiner, die von ihren Eigengut im Lahngebiet aus, eine führende Stellung in Hessen und am Mittelrhein und, nach der Zurückdrängung der Babenberger in langen Kämpfen (897- 906), auch in Mainfranken aufrichten konnten und deren Einfluß bis nach Thüringen und Lothringen reichte. Nach dem Tode des letzten karolingischen Königs Ludwig das Kind wurde er zwischen dem 7. und 10. November 911 in Forchheim zum ostfränkischen König gewählt und war somit erster Deutscher Wahlkönig. Unter seiner Herrschaft erstarkten die Stammesherzogtümer in Alemannien (Erchanger und Berthold), Bayern (Arnulf) und Sachsen (Heinrich), während Lothringen 913 ganz dem westfränkischen Reich zufiel.

Im Jahre 912 wurde Heinrich (876-936) aus dem Hause der Liudolfinger zum Herzog der Sachsen gewählt. 913 wandte er sich von Kassel aus mit seinem Gefolge nach Osten, samm- elte ein Heer und bemächtigte sich aller Besitzungen Bischof Hattos in ganz Sachsen und Thüringen. Danach bedrängte er die thüringischen Grafen Burchard und Bardo, die nicht die volle Unterstützung des thüringischen Adels hatten, mit außerordentlicher Entschlossenheit und besiegte sie schließlich nach wiederholten Kämpfen. Herzog Heinrich verteilte ihre Allodien (gräfliches Eigentum) an seine Kampfgefährten, um ihre Rückkehr unmöglich zu machen. Als König Konrad I. im Dezember 918 im Sterben lag, bestimmte er in weiser Voraussicht seinen Gegner, den Sachsen Heinrich I., zum König der Deutschen, indem er ihn durch seinen Bruder Markherzog Eberhard die Insignien der Königswürde zusandte.

In einem Zitat aus dem Jahre 920 heißt es: „Heinricus dux consensu Francorum, Allemano- rum, Bavarorum, Thuringorum et Saxonum rex eligitur“ (Herzog Heinrich ist mit Zustimm- ung der Franken, Alemannen, Baiern, Thüringer und Saxen zum König gewählt).

Zwischen 908 und 915 fielen die Ungarn wieder mehrfach in Thüringen ein. König Heinrich verschaffte sich durch einen befristeten Frieden und Tributzahlung Zeit zur Aufrüstung.

Nach mehr als 15 Jahren, im Jahre 933, verweigerte er den Tribut. Als die Ungarn daraufhin erneut angriffen, besiegte er sie bei Kalbsrieth (Riade, Riada, Rytha Rita = Niederung, Ried) mit seinen gepanzerten Reitern (955 schlug sie sein Sohn Otto der Große [912-973] auf dem Lechfeld bei Augsburg endgültig).

Im Jahre 928 überschritt König Heinrich I. mit einem gewaltigen Heer die Elbe, schlug den slawischen Stamm der Heveller und eroberte im Winter deren Hauptort Brennaburk (Bran- denburg). In den folgenden Jahren wurden die Daleminzer, Redarier, Milzener und Obotriten unterworfen. Ausgehend vom späteren Erzbistum Magdeburg eroberte Markgraf Gero von 937 bis 940 die slawischen Gebiete von der Saale-Elbe-Linie bis zur Oder. Die hierdurch zur Thüringer Mark vergrößerte Sorbenmark wurde 965 in die Zeitzer, Merseburger und Meißner Mark geteilt. Als Markgrafen von Merseburg gelten die Ekkehardiner, die seit dem Tod eines Eccard 871 bezeugt sind. Ein Günther wird 968 als Markgraf von Merseburg bezeichnet. Er war Kaiser Otto I. verbunden, gehörte aber 976 zu den Verschwörern um Heinrich von Bay- ern und scheint deshalb seine Mark zeitweise verloren zu haben. Er erhielt sie aber 979 zu- rück und fiel im Jahre 982 bei Capo Colonna. Seine Söhne Ekkehard und Gunzelin folgten nicht unmittelbar als Markgrafen, sondern zunächst Ricdag (979-985). Nach dessen Tod er- langte Ekkehard I. nicht nur die Mark Merseburg, sondern (nachdem Ricdag 982 alle drei Marken zu einer vereinigte) die gesamte Mark Meißen. Ekkehards Besitzungen liegen zwi- schen Saale und Unstrut, aber auch im Inneren Thüringens und im Meißnischen, das Stamm- gut befindet sich in Groß- oder Kleinjena (Gene). Als die Meißner Mark 984 von Böhmen besetzt wurde, eroberte sie Ekkehard zurück und wurde ein Jahr danach ihr Markgraf. Aus der Ehe mit der Schwester Herzog Bernhards von Sachsen, Schwanhild, gingen 7 Kinder hervor, darunter seine Söhne Hermann und Ekkehard II.. Markgraf Ekkehard I. ließ sich gegen den Rat des Königs um das Jahr 1000 zum Herzog der Thüringer ausrufen. Als er nach dem plötz- lichen Tod Kaiser Otto III. (980-1002) um das Jahr 1002 die Krone anstrebte, wählte ihn der Adel weder in Frose bei Magdeburg, noch in Werla bei Hildesheim. Graf Siegfried von Nort- heim blieb es vorbehalten, Herzog Ekkehard I. am 30. April 1004 in Pöhlde zu überfallen und samt seinen Gefolge zu ermorden. Nach seinem Tod gab es kein Herzogtum der Thüringer wieder. Um 1010 siedelten seine Söhne Ekkehard II. und Hermann von Großjena nordwest- lich von Naumburg auf die „neue Burg“ (Naumburg) über, den späteren Sitz der Bischöfe und Dompröpste. Sein Bruder Gunzelin folgte 1004 als Markgraf von Meißen, wurde aber schon 1009 durch König Heinrich II., wegen Vernachlässigung der Reichsinteressen, wieder dieses Amtes enthoben. Danach ging die Markgrafschaft Meißen an Hermann, den ältesten Sohn Ekkehards I. über. Ekkehards jüngster Sohn, Gunter, war 16 Jahre lang , von 1008 bis 1024, Kanzler des Reiches. Markgraf Hermann war mit Reglindis, der Tochter des polnischen Königs Boleslaw Chobry, verheiratet. Die Burg Meißen war inzwischen zum Hauptherr- schaftssitz der Ekkehardiner geworden. Nach dem Tode Hermanns 1032 trat sein jüngerer Bruder Ekkehard II. die Nachfolge an. Seine Ehe mit Uta von Ballenstedt aus dem Hause der Askanier und sein energisches Wirken führten zu einer noch tieferen Verankerung der Ekkehardiner in die Ost-, Böhmen- und Ungarnpolitik des Reiches. Im Jahre 1035 ist Mark- graf Ekkehard II. in der Umgebung Kaiser Konrads II. in Bamberg nachweisbar. Kaiser Hein- rich III. bezeichnet ihn als „den Getreuesten seiner Getreuen“ und gab ihn nach seinem Tod 1046 in Naumburg das letzte Geleit. Die Ekkehardiner gelten als eigentliche Stifter des Bis- tums Naumburg /Zeitz. Besonders die letzten Ekkehardiner, Hermann mit Reglindis und Ekkehard II. mit Uta, fanden als sogenannte Stifterfiguren des Naumburger Doms in dessen Westchor ihre künstlerische Darstellung.

Der letzte ottonische König, Heinrich II. (973-1024), setzte die gemäßigte Ostpolitik seines Vorgängers fort. Durch die Christianisierung der Sorben verschmolzen sie allmählich mit den Einheimischen. Heinrich erließ nach 475 Jahren den Thüringern den bis dahin immer noch bestehenden Schweinetribut. Nach König Heinrichs Tod, im Jahre 1024, hört mit dem Ende der Liudolfinger-Ottonenzeit Thüringen endgültig auf, als Herzogtum zu gelten. De facto war es ein solches nie, dennoch geben sich die Liudolfinger als Thüringer Herzöge aus, wobei aber strittig ist, ob ganz Thüringen darunter zu verstehen ist. Angesichts der freien Thüringer Grafen, die nur dem König verpflichtet sind (Weimar-Orlamünde, Gleichen-Tonna, Kefern- burg-Schwarzburg, Kirchberg, Plauen-Weida [Reußen], Henneberg, Ilfeld-Honstein), ist es denkbar, daß die sächsischen Herzöge eventuell nur den nordthüringischen Gürtel (Stolberg, Mansfeld, Ballenstedt [Askanier], Wettin, Haldensleben, Northeim, Braunschweig) als Ziel ihres Herzogtums verstehen. Es findet sich kein Beleg dafür, daß aus der Reihe der Thüringer Grafen, die sich offenbar politisch die Waage halten einer als Herzog fungiert (außer für kurze Zeit Ekkehard I.), was durchaus auch im Interesse der Kaiser lag, die kein weiteres Stammes- herzogtum in Thüringen dulden wollten.

Markgraf Ekkehard II. starb kinderlos. Nach seinem Tode übertrug der König dessen hinter- lassene Reichslehen insbesondere an die Wettiner und die Grafen von Weimar-Orlamünde. Die Eckhartsburg fiel zunächst an das Reich zurück und ging später in den Besitz der Ludo- winger über (1121-1247). Nach dem Tod Ekkehards II. 1046 erbte zunächst der Wettiner Dedo II. (gest. 1075) vorübergehend die Markgafschaft Meißen. Seine Mutter, Mathilde, war die Schwester Ekkehards II.. Dedos erste Gemahlin Oda, die Mutter der österreichischen Markgräfin Adelheid, war in erster Ehe mit dem Grafen Wilhelm III. von Weimar verheiratet. Die Söhne aus dieser Ehe, Graf Wilhelm IV. und sein Bruder Otto, wurden die Nachfolger Dedos als Markgrafen von Meißen.

Bezeugt ist ein Graf Wilhelm I. „in pago Thuringensi“ seit 949, mit Grafenrechten im Altgau und im Gau Husitin. Im Jahre 963 wird Graf Wilhelm II. bezeugt und als erster mit Weimar in Verbindung gebracht. Bischof Thietmar von Merseburg bezeichnet ihn als mächtigsten Thür- inger. Er gilt als Erbauer der Burg Hornstein in Weimar und der Burg Gleichen im Altgau und steht im Gegensatz zu Ekkehard I.. Er tritt als „comes de Thuringia“ König Heinrich II. freun- dlich gegenüber. Sein Sohn Graf Wilhelm III. wird zwischen1009 und 1039 als „Thoringorum putor“ (Vorsteher Thüringens) genannt. Dessen Sohn, Graf Wilhelm IV., wurde nach dem Erreichen seiner Volljährigkeit um 1050 Markgraf von Meißen. Er stand bei Hofe in hohem Ansehen und wurde in den Kämpfen des Jahres 1060 von den Ungarn gefangen genommen. Als er 1062 stirbt, folgt ihm sein Bruder Otto als Markgraf von Meißen. Nach der Erbschaft der Grafschaft Orlamünde, 1062, und Verleihung der Pfalzgrafschaft Sachsen im Jahre 1063, besaß dieser nun, bis zu seinem Tod im Jahre 1067, ein Territorium, das von Naumburg über Weimar bis Rudolstadt reichte. Die Witwe Markgraf Ottos, Adela, wurde bald darauf die zweite Gemahlin Dedos von Wettin, der sich dadurch die Ansprüche auf die Mark Meißen sichern wollte, denn Otto hatte keine männlichen Nachkommen hinterlassen. Sein Bruder, Markgraf Poppo von Krain, hatte einen Sohn, Markgraf Ulrich I. von Krain, Istrien und Kärnten, der mit der Tochter des ungarischen Königs Bela vermählt war. Nach seinem Tod im Jahre 1070 versuchte sein Sohn Ulrich II. eine Neugründung des Grafenhauses Weimar. Die Markgrafschaft Meißen bekam er jedoch nicht zurück, da diese schon fast in der Hand Dedos von Wettin war. Mit Graf Ullrich II. von Weimar-Orlamünde, der zeitweilig auch mit einer Tochter Ludwig des Springers verheiratet war, sich von dieser jedoch wieder getrennt hatte, erlosch das Geschlecht 1112 im Mannesstamm.

Nach dem Tod Markgraf Ottos verlieh König Heinrich VI. (1050-1106) die Mark Meißen an seinen Vetter Graf Ekbert II. von Braunschweig, der nach dem Tod seines Vaters, Ekbert I. (Sohn Luidolfs von Braunschweig, Halbbruder Kaiser Heinrich III.), 1068 bis zu seiner Voll- jährigkeit 1069, unter der Regentschaft seiner Mutter, Irmingard von Turin, und des Mark- grafen Dedo von Wettin stand. Markgraf Ekbert II., der auch Graf in Friesland und Edelvogt von Gandersheim war, mußte die Mark Zeitz an die Wettiner Nordmark abtreten.

Ob er deshalb bereits seit 1073 in den sächsischen Aufstand gegen König Heinrich VI. ver- wickelt war, lassen die Quellen nicht zweifelsfrei erkennen. Er war bis 1075 eigentlich eine Stütze des Kaisers, um dann zusammen mit Herzog Otto von Northeim die Seele des sächs- ischen Widerstandes zu werden. Er wurde erstmals 1075 in Meißen für abgesetzt erklärt, das 1076 Böhmen unter Herzog Vratislav zugesprochen bekam, der sich aber nicht auf Dauer gegen Ekbert halten konnte. Nach seiner ersten Verurteilung 1077 wurde er ein Anhänger des Gegenkönigs Rudolf von Schwaben, ließ ihn aber im Jahr 1080, wie andere sächsische Fürsten auch, im Stich (ohne wirklich die Seite zu wechseln). Nach dem Tod Ottos von Northeim, im Jahre 1083, entwickelte sich Ekbert II. zum bedeutendsten, wenn auch nicht konsequentesten Gegner Heinrichs VI. unter den weltlichen Fürsten Sachsens. 1085 kam es nach kurzer Ver- söhnung wieder zum Bruch. Der Wechsel Erzbischofs Hartwig von Magdeburg auf die Seite des Kaisers isolierte ihn völlig. Er wurde 1088 durch ein Fürstengericht in Quedlinburg und 1089 in Wechmar geächtet und der Mark Meißen sowie aller Grafschaften für verlustig er- klärt. Markgraf Ekbert II., aus dem Geschlecht der Brunonen, wurde ein Jahr später von Dienstleuten seines Schwagers Heinrich I. von Wettin auf der Flucht erschlagen, wodurch Heinrich I., bereits Markgraf der Ostmark, durch Erbschaft nun auch die Mark Meißen erhielt. Nachdem Aussterben der Billunger wurde Graf Lothar von Suplinburg 1106 durch Kaiser Heinrich V. (1081-1125) zum Herzog der Sachsen erhoben. 1112 wurde er jedoch von Heinrich durch Otto von Ballenstedt als Herzog ersetzt. Seitdem stand er an der Spitze der sächsischen Fürstenopposition gegen den Salier Heinrich V.. Im selben Jahr will der Kaiser nach dem Tod des Grafen Ullrich von Weimar dessen Güter einziehen, weswegen sich die Thüringer Grafen widersetzen und sich 1113 der Opposition anschließen. Im Jahre 1115 be- siegt Herzog Lothar III. von Sachsen den Kaiser in der Schlacht am Welfesholz bei Hettstedt, in der auch Graf Hoyer von Mansfeld gefallen ist. 1118 gelingt es den sächsischen Verbün- deten die Burg Kiffhausen zu erobern, die von Pfalzgraf Friedrich von Putelendorf verteidigt wird. Herzog Lothar III. gelingt es sein Herzogtum weitgehend dem Einfluß des Kaisers zu entziehen. Im Frieden zu Würzburg, 1121, gewährt Kaiser Heinrich V. den Sachsen und Thür- ingern zahlreiche Vergünstigungen. Nach dem Tod des Kaisers im Jahre 1125 wird Herzog Lothar zum Deutschen König gewählt (seit 1133 auch Römischer Kaiser). Nach siegreichen Kämpfen unterwerfen sich auch die Staufer unter Herzog Friedrich von Schwaben (1134) und dessen Bruder Konrad (1135), der seit 1127 als Gegenkönig regierte.

Um einen Gegenpol für die erstarkenden Grafen von Gleichen zu schaffen, gründete Kaiser Lothar von Supplinburg (1075-1137) zwischen 1125 und 1129 die Landgrafschaft Thüringen. Er setzte den mächtigen Hermann II. von Winzenburg (1101-1152), der seit 1123 auch Mark- graf von Meißen war und zum Gefolge des Erzbischofs Adalbert I. von Mainz zählte, als Landgraf oder zumindest als „Principales comes“ in Thüringen ein. Hermann hatte seinen Stammsitz zwischen Hameln, Hildesheim und Wolfenbüttel und hatte wahrscheinlich auch nur im nördlichen Thüringen politischen Einfluß. Als er 1130 den Grafen Burchard von Locc- hum-Friesland, einen engen Vertrauten Kaiser Lothars, erschlagen läßt, werden ihm im glei- chen Jahr alle seine Würden und Lehen entzogen. Der König vergibt die Mark Meißen 1130 an Konrad von Wettin, der nach dem Aussterben der Linie Groitzsch 1136 auch die Lausitz erhält, während der Askanier Albrecht der Bär 1134 mit der Altmark belehnt wird.

Im Jahre 1130/31 wird Graf Ludwig III. von Schauenburg, aus dem fränkischen Geschlecht der Ludowinger, erster Landgraf von Thüringen. Die wesentliche Befugnis eines Landgrafen liegt in der Gerichtsbarkeit über ein Gebiet, das räumlich über das einzelner Grafschaften hin- ausreicht. Ein Landgraf ist nur vom König unmittelbar abhängig und besitzt reichsfürstliche Autorität. In Thüringen stellte das in Mittelhausen tagende Landding den eigentlichen Inhalt des Landgrafenamtes der Ludowinger dar und setzte offenbar die Tradition des auf dem Hü- gel der Tretenburg stattgefundenen Things der alten Thüringer fort.

Quellenangaben:

das Internet (www): ancestry.com, mathematical.com, bautz.de, genealogie-mittelalter.de, heiligenlexikon.de, family-of-man.com u.a.

Gerhard Löwe, Heinrich Alexander Stoll / Verlag Koehler&Amelang

Die Antike in Stichworten

Alexander Heine / Phaidon Verlag

Caesar - Tacitus Berichte über Germanen und Germanien

Prokopius von Caesarea / Phaidon Verlag

Der Gotenkrieg, Der Vandalenkrieg

Klaus Beemann / Phaidon Verlag

Die Religion der Germanen

Jürgen John, Reinhard Jonscher, Axel Stelzner / Verlag Koehler&Amelang

Geschichte in Daten - Thüringen

Gerlinde Schlenker, Gerd Lehmann, Artur Schellbach / Verlag Koehler&Amelang

Geschichte in Daten - Sachsen-Anhalt

Erich Neuß / Verlag Nachf. Jaeger&Co

Wanderungen durch die Grafschaft Mansfeld

Hans K. Schulze / Mitteldeutsche Forschungen 74/1

Die Besiedlung der Altmark

Wilhelm Arnold / Mitteldeutsche Forschungen 4

Ansiedlungen und Wanderungen deutscher Stämme

A. Werneburg / Mitteldeutsche Forschungen 2

Die Namen der Ortschaften und Wüstungen Thüringens

Gerhard Wagner / Escher Verlag

Verwehte Spuren - Die Anfänge der Thüringer Landesgeschichte

Werner Mägdefrau / Verlag Rockstuhl

Mittelalterliches Thüringen

Reinhold Andert / Dingsda-Verlag

Der Thüringer Königshort

Sigrid Dusek / Theiss Verlag

Ur- und Frühgeschichte Thüringens.

Ergebnisse archäologischer Forschungen in Text und Bild

Luigi Salvatorelli / Junker & Dünnhaupt Verlag

Geschichte Italiens

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Das Thüringer Königreich
Autor
Jahr
2001
Seiten
35
Katalognummer
V105174
ISBN (eBook)
9783640034710
Dateigröße
512 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Thüringer, Königreich
Arbeit zitieren
Rüdiger Gebser (Autor:in), 2001, Das Thüringer Königreich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105174

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Das Thüringer Königreich



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden