Wer sich mit der Herkunft der alten Thüringer beschäftigt, stellt sehr schnell fest, daß er sich mit der germanischen Besiedlung ganz Mitteldeutschlands auseinandersetzen muß. Da aber Vorgänge siedlungsgeschichtlicher Art in schriftlichen Quellen im allgemeinen nur einen schwachen Niederschlag gefunden haben, ist der Forscher daher in besonders starkem Maße auf die Heranziehung von Bodenfunden, auf die Untersuchung von Orts- und Gewässernamen sowie auf die Analyse von Orts- und Flurformen angewiesen. Die siedlungsgeschichtliche Forschung hat die Bedeutung dieser Quellengattungen seit langem erkannt, und es haben sich im Laufe der Zeit methodische Grundsätze für ihre Verwendung und Aussagekraft entwickelt. Seit Wilhelm Arnold, der 1875 sein grundlegendes Werk über die „Ansiedlungen und Wanderungen deutscher Stämme, zumeist nach hessischen Ortsnamen“ veröffentlichte, weiß man um den Aussagewert, aber auch um die Problematik der Ortsnamenkunde und ihre Verwendung für die Erhellung siedlungsgeschichtlicher Prozesse. An die Arbeit von Arnold anknüpfend veröffentlichte A. Werneburg 1884 sein Buch „Die Namen der Ortschaften und Wüstungen Thüringens“, in dem er besonders die Ortsnamen mit Endungen auf -leben und -stedt zu erklären versucht. Insbesondere ist es aber auch die mythologische Religion unserer Vorfahren, die uns in schriftlicher Form in der älteren Edda erhalten ist und ebenfalls Aufschlüsse über frühes Siedlungsverhalten und die Entstehung mancher Ortsnamen geben kann.
Alle germanischen Stämme besaßen, trotz mancher geographischer Isoliertheit, ein „metaphysisches“ Urbewußtsein. Man verehrte, mehr oder weniger, die selben Götter und erzählte sich die selben Geschichten über die Entstehung der Welt und den Kampf der Götter diese im Gleichgewicht zu halten und berichtete von einem gemeinsamen Ursprung.
Die moderne Forschung geht heute davon aus, daß die Germanen ein Teilvolk der großen indogermanischen Völkerfamilie sind, die aus Zentralasien kommend, nach Europa einwanderte und durch die ethnische Vermischung mit der ansäßigen Bevölkerung, die antiken Völker (Perser, Hethiter, Griechen, Illyrer, Kelten, Romanen und Germanen) gebildet hat. Siedlungsarchäologisch sollen bereits die Bandkeramiker, die im 4. Jahrtausend in Mitteleuropa im Donauraum lebten, Indogermanen gewesen sein, ebenso die Trichterbecherleute, die im 3. Jahrtausend vor Christus im nördlichen Mitteleuropa siedelten und an die uns heute ihre Megalith- oder Hünengräber erinnern. Fest steht aber, daß die in der späten Jungsteinzeit ab etwa 2300 vor Christus in ganz Mitteleuropa lebenden Schnurkeramiker oder Streitaxtleute Indogermanen gewesen sind. Sie kamen über die Donau und den thüringischen Raum (!) nach Nordeuropa und mit ihnen die schnurverzierten Töpfe, die steinernen, feingeschliffenen Streitäxte und die Einzelgräber, so daß ihr Weg der Elbe und Oder abwärts archäologisch leicht zu verfolgen ist. In Küstennähe trafen sie auf die Megalithleute, die Erbauer der Hünengräber, jenes Bauernvolk, das aus westlichen Bereichen kommend, die bereits ansäßige Jäger- und Fischerbevölkerung unterworfen und an die Ackerarbeit gewöhnt hatte. Die Streitaxtleute setzten sich neben diesen Megalithbauern fest und langsam setzte auch hier die gegenseitige Durchdringung ein (in der germanischen Mythologie begegnet uns dieses Ereignis als Kampf der Asen- und Wanengötter, die sich schließlich gemeinsam die Götterwelt teilten). Aus der Vermischung dieser beiden Völker gingen die Germanen hervor. Sie waren also genau wie die Kelten und Illyrer das Produkt einer umfangreichen Rassenmischung.
Wann dieser um 2000 vor Christus beginnende Vorgang beendet war, ist schwer zu sagen. Das steingefaßte Einzelgrab hat das Hünengrab um 1700 vor Christus verdrängt, so daß man ab hier vorsichtig von den Urgermanen sprechen kann, die in Südskandinavien und auf den dänischen Inseln heimisch wurden. Bis 1000 vor Christus schoben sie ihre Grenzen langsam im Osten bis Stettin, im Westen bis zur Wesermündung und im Süden bis zu einer Linie vor, die etwa vom Elbknie bei Magdeburg bis zum Oderknie bei Angermünde verlief. Einvierteljahrtausend später hatten sie auf der Verlängerung dieser Linie im Osten die Weichsel, im Westen die Ems erreicht. Aus dieser Position drangen sie im Verlauf der nächsten 250 Jahre bis Schlesien und über den Niederrhein bis nach Belgien vor. Da die im 6. Jahrhundert vor Christus in der norddeutschen Tiefebene existierende Jarstorfkultur eindeutig germanisch ist, kann man ab 550 vor Christus von den Germanen als sprachlich und kulturell eigenständige Bevölkerungsgruppe sprechen. Um 300 vor Christus überschritten sie in breiter Front den Oberlauf der Weichsel, während sie sich im Westen der Mosel näherten, wo sie die Römer zum Halt zwingen. Je weiter sie sich von ihrem Ausgangspunkt entfernten, um so mehr gliederten sie sich in einzelne Stämme auf und wie im Westen und Süden der keltische Einfluß, so hinterließ im Osten der illyrische Einfluß seine Spuren. Diese, fast 1000 Jahre dauernde, Ausweitung des germanischen Siedlungsraumes ist weder genau zu datieren noch zu benennen. Die erste von den Historikern zu verzeichnende Wanderung verbindet sich mit den Namen der Kimbern, Teutonen und Ambronen, die 115 vor Christus von ihren Wohnsitzen an der Nordseeküste aufbrachen. Sie zogen zunächst der Elbe aufwärts, durch das Land der Sueben, wandten sich, als sie in Böhmen auf den Widerstand der Kelten stießen, zur Donau und drangen über die Steiermark nach Kärnten ein, das damals von den keltischen Tauriskern besiedelt war und zur römischen Provinz Noricum gehörte. Sie zogen weiter nach Südfrankreich, wo die Römer unter Konsul Junius Silanus 105 vor Christus bei Aurasio eine schwere Niederlage hinnehmen mußten. Der Heerführer Gajus Marius besiegte schließlich bei Aquae Sextiae die gefürchteten Speerkrieger (Ger-manen) des Kimbernfürsten Bojorix.
Die Römer bezeichneten die Rheingermanen (Germani cisrhenani) anfänglich als Tungrer, während der Name „Germanen“ als Gesamtbezeichnung aller Stämme etwa 80 vor Christus durch den griechischen Philosophen und Historiker Poseidonius gebraucht wurde.
Die Stammesverbände der Germanen bildeten im wesentlichen drei große Kulturgruppen.
Alle germanischen Stämme feiern in alten Liedern den der Erde entsprossenen Gott Tuisto und seinen Sohn Mannus als Stammväter ihres Volkes. Mannus soll drei Söhne gehabt haben, nach deren Namen die östlichen Stämme in Ingävonen (Ingo), die in der Mitte in Hermione (Irmio) und die westlichen Stämme in Istävonen (Isto) benannt wurden. Die elbgermanische (hermionische) Kultur reichte vom heutigen Brandenburg bis in die westliche Slowakei.
Den Hauptanteil an den Thüringern tragen wohl die Hermunduren (deren Stammesbezeichnung soviel wie „die großen Dauerbewohner“ bedeutet), welche ab dem ersten Jahrhundert vor Christus zusammen mit den Langobarden, Semnonen, Juthungen, Markomannen und Quaden Träger der elbgermanischen Kultur waren und von Tacitus zu dem großen Stammesverband der Sueben (Sueven, Sweben = Schwaben) gerechnet wurden.
Fast 400 Jahre lang sind die „Hermunduri“ als suebisch-elbgermanischer Stamm bezeugt und in Thüringen belegen archäologische Funde von Fibeln, eisernen Waffen, Terrinen, Schalenurnen und rädchenverzierten Keramikteilen in Oberdorla, Nordhausen, Gera-Tinz (Rennöfen zur Eisenverhüttung), Schlotheim, Großromstedt, Dienstedt, Flurstedt, Haina und Haarhausen ihre dauernde Anwesenheit. Zentrale Kultplätze, Brandbestattungen und Fürstengräber weisen auf die Entstehung einer Klassengesellschaft sowie eines mächtigen Gentiladels hin. Es wurde unterschieden zwischen: Nobiles (Adlige), Ingenui (Freie), Liberti (Freigelassene) und Servi (Sklaven). In Oberdorla entstand im ersten Jahrhundert vor Christus eines der wichtigsten hermundurischen Heiligtümer, das noch bis ins sechste Jahrhundert nach Christus von den Thüringern benutzt wurde. Die Verehrung der gallo-römischen Göttin Diana bestätigt die engen Kontakte zwischen Römern und Hermunduren. Aus dem Dianakult wurde unter den Thüringern später der Jechakult. Jecha, von der sich das hochdeutsche „jagen“ ableitet, war die germanische Göttin der Jagd, aber auch der Poesie und wurde besonders in Thüringen verehrt (Jechaburg).
Unter Kaiser Augustus (27 v.Chr. bis 14 n.Chr.) versuchten die Feldherren Drusus (9 bis 12 v.Chr.) und Tiberius (4 bis 6 n.Chr.) das römische Imperium bis zur Elbe auszudehnen, was ihnen aber letztendlich nicht gelang. Denn besonders nach der Varusschlacht bei Kalkries, am Nordrand des Teutoburger Waldes, wo die Legionen des römischen Oberbefehlshabers und Statthalters von Germanien Quintilius Varus im Jahre 9 gegen den Cheruskerfürsten Armin eine entscheidende und am Ende traumatische Niederlage hinnehmen mußten, wurden die Römer wieder in ihre alten Grenzen zurückgewiesen. Die Hermunduren schlossen sich nach diesem triumphalen Sieg zusammen mit den Langobarden dem Cheruskerbund an und kämpften im Jahre 17 in einer verlustreichen Schlacht (in der Leipziger Tieflandsbucht), in der es keinen eindeutigen Sieger gab, gegen den Markomannenbund König Marbods.
Zu Lebzeiten des griechischen Geographen Strabon ( 63 v.Chr. bis 20 n.Chr.), der Schüler des Poseidonius (135 bis 51 v.Chr.) war, siedeln die Hermunduren zusammen mit den Langobarden beiderseits der Elbe. Dies bestätigt auch der Stiefsohn von Kaiser Augustus, Tiberius, der im Jahre 5 nach Christus in der Altmark auf der rechten Flußseite auf Semnonen und Hermunduren, auf der linken auf Langobarden stößt. Bereits im Jahre 3 hatte der römische Feldherr Lucius Domitius Ahenobarbus, Großvater Kaiser Nero`s (37-68), heimatlosen Hermunduren in der Gegend der Markomannen (zwischen Ingolstadt und Linz) Wohnsitze zugewiesen.
Im Bündnis mit diesen Hermunduren stürzen die Römer im Jahre 19 unter Drusus den Markomannenkönig Marbod und gründen die Provinz Rätien mit der Koloniestadt der Hermunduren Augusta Vindelicorum, dem heutigen Augsburg, als Hauptstadt. Als ersten Stammesfürsten der Hermunduren (noch nicht der Thüringer) nennt Tacitus König Vibilius (Weibel), als er 51 nach Christus den Nachfolger des Markomannenkönigs Marbod, den Goten Catualdo besiegt. Danach verleibt er sich das böhmische Markomannenreich sowie, als er auch König Wannius mit Hilfe dessen Neffen Vangio und Sigo vertreibt, Teile des mährischen Quadenreiches ein. Weibel muß auch maßgeblich an den Kämpfen gegen die Chatten (Hessen) im Jahre 58 beteiligt gewesen sein, um die als heilig angesehenen Salzquellen an den Flüssen Werra und Fulda sowie der Weser aufwärts bis ins Emmerthal beim heutigen Bad Pyrmont in Besitz zu nehmen, wobei die besiegten Chatten alle dem höchsten Gott Wodan geopfert wurden.
Im Jahre 98/99 veröffentlicht der römische Gelehrte, Praeconsul von Belgien und Schwiegersohn des Agricola (Statthalter von Britannien) Publius Cornelius Tacitus (56-118) sein Werk „Berichte über Germanen und Germanien“, in dem er die Hermunduren öfters nennt, sie als „römerfreundlich“ bezeichnet und anmerkt, daß die Elbe im Land dieses suebischen Stammes entspringt (Riesengebirge). Etwa sechzig Jahre später erwähnt der griechische Geograph Klaudios Ptolemaios in seiner „Cosmographica“ einen nördlich der Sudeten wohnenden Volksstamm, den er auf griechisch „Teuriochaimai“ (Teurisker) nennt. Hierbei handelt es sich entweder um, die in Noricum und Böhmen wohnenden, keltischen Taurisker oder um frühe Westgoten (wisi-goths), die sich anfänglich als Thevinger, Thervinger oder Turlicinger bezeichneten und nichts mit den späteren „Toringi“ zu tun haben. Zwischen 166 und 180 nach Christus gelten die Südhermunduren als Feinde Roms. Offenbar besteht jetzt eine Waffenbrüderschaft mit den Markomannen, mit denen sie zusammen über die Donau setzen und Beutezüge durch die römische Provinz Rätien unternehmen. Dieser „Markomannenkrieg“ gegen Rom, in dem die Hermunduren als Verbündete der Markomannen („Grenzlandleute“) auftreten, scheitert jedoch und nur der plötzliche Tod von Kaiser Marc Aurel (121-180) verhindert, daß Böhmen römische Provinz wird. In dieser Zeit beginnen die ingwäonischen Stämme der Angeln und Warnen, durch Klimaverschlechterungen gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Die Angeln stammen vorzugsweise aus Schleswig und Jütland, während die Warnen aus Holstein und Mecklenburg nach Süden zogen. Die Besiedlung des Thüringer Raumes erfolgte sowohl zeitlich als auch räumlich in unterschiedlicher Weise. Es ist nicht bekannt, ob diese nordisch geprägten Stämme sich durch kriegerische Handlungen ihr Siedlungsrecht erkämpften. Vielmehr wurden sie von den Hermunduren toleriert, ja sogar verehrt. Dies könnte damit erklärt werden, daß die Angeln und Warnen alten Traditionen aus der germanischen Urheimat Skandinavien anhingen, die bei den südlicheren Stämmen größtenteils in Vergessenheit geraten waren. Bei der Entstehung des neuen Stammes der Thüringer (Toringi = „Thor`s Leute“?) war dies eine entscheidende Komponente und bei der ethnischen Vermischung aller hier lebenden Volksgruppen (alteinheimische Megalithbevölkerung, indogermanische Illyrer und Kelten, den hermionisch-suebischen Stämmen der Semnonen, Hermunduren, Markomannen, Langobarden sowie den ingwäonischen Stämmen der Wandalen und Burgunder) bildete sich eine anglo-warnische Adelsschicht mit einem erblichen Königtum heraus. Der König (aus kuenec, althochdeutsch = Kuning) war allen germanischen Stämmen heilig. Er war unantastbar, oberster Priester, Richter und Stammesfürst. Mit dem Heil der Königssippe war das Geschick des ganzen Stammes verbunden, was für den König und seine Familie nicht immer von Vorteil war, denn wenn das Heil ausblieb, konnte er auch Wodan (Odin) geopfert werden. Eine endgültige Erklärung, wie es zu der Namensänderung Hermunduren-Toringi-Thüringer gekommen ist, gibt es leider nicht. Vielleicht ist es auch eine zur Zeit nicht lösbare ethnische Definitionsfrage, die Duler, Dulinger, Duren, Duringer, Turlinger, Tungri, Toringi, Turonen, Thervinger, Turcilinger, Teuriochaimai (Teurisker) den östlichen Thüringer Volksgruppen (t) oder aber mehr einer mittelwestlichen Bevölkerung (d) zuzuordnen. Eine Lautverschiebung d-th (Duringer-Thüringer) wäre am ehesten erklärbar, wenn sie vor der Zeitenwende im Rahmen der germanischen Lautverschiebung (Vernersches Gesetz) stattgefunden hätte.
Theoretisch wären danach die Thuringi die Abkömmlinge der Duri. Hierfür gibt es aber keine Beweise, denn bis ins dritte Jahrhundert hält sich der Name Hermunduren. Diese Stammesbezeichnung enthält die Sprachwurzeln ermena = groß oder Irmin = der Gewaltige, Große und duren = fest, andauernd oder dur = wertvoll, lieb. Die Bezeichnung Hermunduren könnte von Hermondoroi bzw. ermunduroz ableitbar sein und wäre im Urstamm (I(E)rmin, Irminsul) der Sueben/Sweben (aller Hermione) zu suchen. Der Name Toringi könnte aber auch im harten Lautkern von turon/turoz (germanisch = kühn, althochdeutsch = tiuri) oder von den gotischen Thervingern abgeleitet worden sein. Nicht außer acht lassen sollte man auch einen von den Angeln und Warnen übernommenen Namen der Hauptgötter Tyr und Thor (Ziu und Donar). Das Wort „Tü(h)r“ bedeutet das „sich in den Angeln (!) drehende“. Somit würden die Thüringer oder Toringi sowohl die Leute des Tyr oder Thor oder auch „die Tanzenden, sich Drehenden, dem Gott zu Ehren“, bedeuten. Der urgermanische Name des altnordischen Gottes Tyr lautete Tiwaz, althochdeutsch Ziu, altenglisch Tiw, der in ältester Zeit der höchste Gott war. Sein Name ist verwandt mit dem griechischen Zeus und dem indischen Dyaus, auch Dyaus pitar (Vater) genannt, was zum römischen Jupiter überleitet. Das allen diesen Götternamen zugrundeliegende indogermanische Wort „dieus“ bedeutet sowohl „Tag“ als auch „Himmel“ und „Gott des strahlenden Himmels“. Im Laufe der Jahrhunderte verlor Tyr seine überragende Bedeutung. Er wurde zum Kriegsgott, um schließlich in der Spätzeit der germanischen Religion nur noch Gott des Things, also eine Art Rechtsgott, zu sein. Da aber in einem organisierten Königreich die Rechtsprechung oberste Bedeutung hatte, wird auch dieser Gott, der zwar immer noch hinter Wodan (Odin) und Donar (Thor) stand, wieder mehr ins Bewußtsein der Thüringer gerückt sein.
Mit dem Thüringer Königreich entstand am Ende des dritten, Anfang des vierten Jahrhunderts das erste stabile politische Staatsgebilde östlich des Rheins und nördlich der Donau. Wann jedoch ein erster Thüringer König definitiv regiert haben könnte, ist schwer zu beantworten. In einigen Chroniken vergangener Jahrhunderte werden in geschichtlich unkorrekter Weise angebliche Königsnamen genannt, die auf Grund von Unwissenheit mit dem Königshaus in Verbindung gebracht wurden. Bis heute werden diese Namen auch in modernen Abhandlungen genannt, was zeigt, wie schwierig es ist, ein objektives Bild über diese Zeit zu erhalten.
Manche Königsnamen sind von anderen geschichtlichen Persönlichkeiten abgeleitet, die in die turbulente Zeit der Völkerwanderung fallen. Ein angeblicher König Titus ist aller Wahrscheinlichkeit nach abgeleitet vom römischen Kaiser Titus Flavius (39-81) oder von dem Geschichtsschreiber Tacitus (56-118). Ein König Otterich wäre gleichzusetzen mit dem gotischen König Attanarich (+381). In griechischen Chroniken wird dieser auch als arianischer Richter eines Teilstammes der Klein- oder Moesogoten, der sogenannten Theu- oder Thervinger, bezeichnet, deren Namensähnlichkeit zu dieser Verwechslung geführt haben könnte. Mit König Gunther ist eindeutig der Burgunderkönig gleichen Namens gemeint, der sich im Jahre 435 in Thüringen aufhielt. In allen Chroniken tauchen weitere Namen wie Hoger und Erpes auf, die mehr glaubwürdiger erscheinen. Bei Hoger oder Hoierlin (Hoger, Hoyer = „Edler, von edlen Geblüt“) handelt es sich wahrscheinlich um einen anglo-warnischen Adligen, der im Jahre 319 die Mühlburg erbaut haben soll. Sein Geburtsjahr kann man genealogisch um das Jahr 280 festlegen. Sein Sohn, Erpes oder Erphes („der Braune“), errichtete nach dem Tod seines Vaters, um 325, seinen Hof in der Nähe einer Furt durch die Gera (Erfurt). Es ist anzunehmen, daß die Sippe des Hoger (*~280) und Erpes (*304) die späteren Könige der Thüringer stellte.
Als erster König der Thüringer könnte Merwig I. (Moebis) gelten, der um 329 geboren wurde. Dies steht auch in keinem Widerspruch zum letztmaligen Erwähnen der Hermunduren in der Gotengeschichte des Jordanes 335 und der angeblich erstmaligen schriftlichen Erwähnung des Stammes der Thüringer (Toringi) in einem Lehrbuch über Pferdeheilkunde („Mulomedicinae sive artis Veterinariae“) des in Konstantinopel lebenden Schriftstellers Vegetius Renatus im Jahre 380. Zur damaligen Zeit brauchte es manchmal mehrere Jahrzehnte oder noch länger bis eine Nachricht über die Gründung eines Königreiches aus dem fernen Germanien bis nach Rom oder Byzanz gelangte. Hinzu kamen die Wirren der Völkerwanderung, die vom Umherziehen, Zusammenschließen, Aufstieg und Zerfall germanischer Stämme gekennzeichnet war. Für römische Chronisten war es einfach uninteressant, über die Entstehung eines germanischen Königreiches zu berichten, wenn die Interessen des Reiches nicht gefährdet waren, und deshalb war es auch reiner Zufall, daß die Thüringer in Byzanz im Jahr 380 sowie durch den Bischof zu Hippo Regius (Annaba in Algerien), Augustinus Aurelius (354-430), zwischen 413 und 430 genannt wurden (Belagerung von Hippo Regius durch die Wandalen 429/30).
Der Name Merwig (auch Marwech, Merovech, Moebis oder Meginwardis) hat auch eine doppelte Schlüsselfunktion, wenn man davon ausgeht, daß die Adelsschicht der Thüringer aus den im zweiten und dritten Jahrhundert eingewanderten Angeln, besonders aber aus den Warnen bestand. So kann der Name Merowech „vom Meere weg“, also „von einem Meer weg gezogen“, und die Warnen zogen ja von der Ostsee nach Südwesten, aber auch „berühmter Kämpfer“ (marwig) bedeuten, was die Warnen auf jeden Fall auch waren, denn sonst hätten sie sich nicht als Adelsschicht durchsetzen können. Die Franken hatten über den Ursprung des Geschlechtes der Merowinger eine alte Sage, nach der der erste König Merowech von einem Seeungeheuer geboren wurde. Diese Sage bekommt eine logische Erklärung, wenn man erfährt, daß eine Thüringer Prinzessin, nämlich die Tochter König Merwig I., eine Merowna (367-407), die Mutter des Stammvaters des Hauses Merovech, Clodion Merowech (395-445) und somit der Merowinger ist. Die verwandtschaftliche Bande zu den salischen Franken scheint schon sehr früh entstanden zu sein und es wäre zu überlegen, ob nicht hier der Grund für die späteren Zwistigkeiten zwischen beiden Königshäusern zu suchen ist. Für diese frühe Verwandtschaft sprechen u.a. auch mehrere Funde merowingischer Fibeln, besonders aber von rheinländischen Glas aus dieser Zeit (4./5. Jahrhundert). Der Sohn König Merwig I. ist Wedelphus, der um 360 geboren wurde. Der Name Wedelphus deutet auf den Stammesfürst Vibilius (Weibel) hin, der 300 Jahre zuvor großen Einfluß bei den Hermunduren hatte.
Seine Kinder sind Basina, Banin (irrtümlich auch als Chlodwig I. bezeichnet) und Merwig II..
Im dritten Jahrhundert (um 290) zog der Stamm der Burgunder von der Oder kommend durch Thüringen und bildete nach der Verdrängung der Alemannen zwischen Taunus, Rhein und Neckar ein Königreich. Im Jahre 406 räumten die Römer die Rheingrenze und die Burgunder ließen sich mit den Wandalen als Bundesgenossen der Römer zwischen Mainz, Alzey und Worms nieder. Im Jahre 411 wurde Gunther (Gundikar, Gundahar), aus dem Geschlecht der Gibikungen, König der Burgunder. Das Gebiet links des Rheins wurde König Gunther 413 vom weströmischen Kaiser Honorius vertraglich zugesichert. Im Jahre 435 fiel er aber in die römische Provinz Belgica ein, was einen Vertragsbruch bedeutete. Im gleichen Jahr hielt sich König Gunther deshalb zusammen mit König Merwig II. und König Attila (auch König Etzel, gotisch = „Väterchen“), der 433 zusammen mit seinem Bruder Bleda den hunnischen Thron bestiegen hatte und Verbündeter der Thüringer und Ostgoten war, zu Friedensverhandlungen in Thüringen (in Eisenach oder Günthersleben?) auf. Nach den Scheitern der Verhandlungen wurden die Burgunder von dem Römer Aetius (Feldherr Kaiser Valentianus III.) und Attila 436 geschlagen, ihr Königssitz Worms zerstört (Nibelungensage) und 443 in die römische Provinz Sapaudia (Savoyen) umgesiedelt. Nachdem er seinen Bruder Bleda 445 ermorden ließ, änderte sich jedoch die Bündnispolitik Attilas und er fiel zusammen mit den Wandalen unter König Geiserich, den Thüringern und einigen Ostgoten in die römische Provinz Gallien ein. Er traf dort im Jahr 451 auf Aetius, der neben den Franken und Westgoten unter König Theoderich I. auch die Burgunder auf seiner Seite hatte. Auf den Katalaunischen Feldern (heute Chalons-sur-Marne/Champagne) in der Nähe von Troyes wurde das Heer Attilas (406-453) jedoch vernichtend geschlagen. Eindrucksvoll wird dieses Ereignis im Jahre 456 vom Bischof von Clermont, Sidonius Apollinarius (430-487) in seinem Heldenepos geschildert, in dem er auch die Thoringi als Verbündete der Hunnen nennt („Apollinaris Sidoni Opera“). Nachdem König Merwig II. gefallen war, siedelte sich der Rest des Thüringer Heeres zwischen Maas und Schelde im heutigen Belgien an und bildete hier einen linksrheinisch-thüringischen Lebensraum, was in Thüringen zu einem erheblichen Bevölkerungsrückgang führte. Warum sie dies taten, ist bis heute unklar. Vielleicht waren sie durch den Tod ihres Königs so unmotiviert, daß sie den weiten Heimweg nicht mehr antreten wollten oder dieser wurde ihnen durch die Franken versperrt. Bezeugt werden diese „Westthüringer“ durch einen Brief Theoderich des Großen aus dem Jahre 491, der die Könige der Heruler, Warnen und Thüringer um Unterstützung gegen den Frankenkönig Clodwig bittet („et ideo vos, quos conscia virtus erigit et consideratio detestabilis“).
Ebenfalls im dritten und vierten Jahrhundert brachen die Semnonen, bedrängt durch die Burgunder, vom Havelland aus auf und zogen Richtung Südwesten, wo ihre Vorfahren schon im zweiten Jahrhundert zusammen mit den Juthungen und Resten der Chatten und Markomannen den Stamm der Alemannen gebildet hatten. In Thüringen verblieb ein Teil der Semnonen, die hier als Nordsweben bezeichnet wurden. Auf sie gehen u.a. auch Ortsgründungen mit Endungen auf -ingen und -ungen sowie Semmenstedt und Sömmerda (Semeringen) zurück.
Die Hauptkönigshöfe Merwig II. (wahrscheinlich auch schon die seines Großvaters) könnten Möbisburg (Merwigsburg) südwestlich von Erfurt aber auch der Rote Berg bei Gispersleben (hermundurisches Fürstinnengrab von Haßleben vom Ende des dritten sowie altthüringisches Wagengrab vom Kleinen Roten Berg [Gattin Berthachars?] vom Anfang des sechsten Jahrhundert) gewesen sein, wobei der Petersberg, welcher genau die Mitte dieser beiden Orte bildet, die Funktion des zentralen Thingplatzes erfüllt hätte. Die neuere Forschung nimmt an, daß auf dem Petersberg eine Kultstätte von überörtlicher Bedeutung lag. Auf dem Berg legten die Franken unter König Dagobert I. (611-639) später eine Königspfalz an, die sich zum zentralen Verwaltungssitz entwickelte und noch bevor Bonifatius im Jahre 724 das erste Mal nach Erfurt kam, gründeten Benediktinermönche hier schon eine kirchliche Niederlassung.
Die für das Jahr 706 angenommene Stiftung des Petersklosters ist allerdings nachweislich eine Fälschung. Da die Benediktiner aber schon zu Lebzeiten Herzog Radulfs (590-641) erste Missionsbemühungen in Thüringen unternahmen, ist es durchaus möglich, daß das Jahr 706 als Gründungsjahr zutreffend ist. Vielleicht war das Original der Urkunde verloren gegangen und man fertigte deshalb später eine Kopie davon an.
Für Möbisburg spricht, wie im Fall von Herbsleben als Sitz König Herminafrids, alles für Merwig. Erstens ist der Ortsname Möbisburg einzigartig, zweitens seine zentrale Lage und drittens befinden sich östlich des Ortes tatsächlich Anlagen einer alten Wallburg. Dieser Ort und auch der Rote Berg (heutiges Zooparkgelände) wurden schon seit der Steinzeit besiedelt, was Funde von Schnurkeramik belegen. Die Franken errichteten auf dem Gelände der Möbisburg (heute Friedhof) im 9. Jahrhundert eine Wehrkirche, die auf den wichtigen Stellenwert dieser Anlage verweist. Das Kirchenpatrozinium des altfränkischen Heiligen Dionysius läßt vermuten, daß hier seit der frühen Merowingerzeit eine Kirche stand. Dionysius wurde vom römischen Bischof Fabianus als Missionar um 250 nach Gallien geschickt und war vermutlich der erste Bischof von Paris, dem damals römischen Lutetia. Er wurde von den Römern enthauptet und soll mit seinem Kopf in den Händen noch ein Stück gelaufen sein, bis er zusammenbrach. An jener Stelle, wo Dionysius sich niedergelegt haben soll, errichtete König Dagobert I. 626 die nach Dionysius benannte Abtei mit der Kathedrale Saint-Denis, die dann auch den französischen Königen als Grablege diente. Nicolaus von Siegen aus dem Erfurter Peterskloster schreibt in seinem „Chronicum Ecclesiasticum“ über Möbisburg: „Auch wohnte dieser Merwig in Thüringen in seiner Burg Merwigsburg, die jetzt allgemein Merwisburg heißt, von Erfurt eine knappe Meile entfernt, wo bis zum heutigen Tag die der Verehrung des heiligen Bischofs Dionys geweihte Pfarrkirche steht.“ Von der Möbisburg blickt man auf das Tal der Gera, die sich in Erfurt (Erpesfurth) in mehrere flache Arme verzweigt und dann bei Gebesee in die Unstrut fließt. Sie führte die Leute aus den südlichen Mittelthüringen zur zentralen Versammlungsstätte der Thüringer, zur Tretenburg. Da die Gera von Erfurt aus wie eine Lanzenspitze auf die Altthüringer Thingstätte zeigt, könnte man den Namen dieses Flusses, der soviel wie „Speerwasser“ (Ger-aha) bedeutet, hiermit erklären.
Auch in der näheren Umgebung von Möbisburg (Hochheim, Melchendorf, Rhoda, Rockhausen und Molsdorf) sind von den Franken Siedlungen angelegt wurden, die ebenfalls auf ein System von Wachstationen schließen lassen. Das gleiche gilt für die Umgebung des Roten Berges und Gispersleben (Stotternheim, Mittelhausen, Kühnhausen, Tiefthal und Marbach). Ortschaften wie Bischleben oder Bösleben könnten Hinweise auf den Sohn König Merwigs II., Bisin I. (auch Besino oder Basinus) enthalten. Oberhalb von Bischleben, im nahen Steigerwald, befindet sich ebenfalls eine vorgeschichtliche Wallburg und ein Stück weiter östlich davon ein Hügelgrab (vielleicht aus der La-Tene-Kultur). Auch würde die Nähe zur Königssippe die Existenz der „Leben-Orte“ östlich von Arnstadt erklären, in deren Zentrum Bösleben liegt. Ein weiterer Thingplatz könnte hier der Ort Thörey („Thor‘s Eiche“) zwischen Rudisleben und Ingersleben gewesen sein, der direkt auf den Hauptgott der Angeln und Warnen Thor verweist, wobei die Orte Ichtershausen, Marlishausen, Riechheim, Dornheim, Dannheim und Osthausen wiederum als fränkische Wachstationen gelten könnten. Auch die „Leben-Orte“ zwischen Eisenach und Erfurt, die sich in den Tälern von Apfelstädt, Nesse, Hörsel und Tonna wie Perlen an einer Schnur aufreihen, orientieren sich an alten heiligen Plätzen z.B. Alach, Friemar, Wechmar (großes bandkeramisches Gräberfeld bei Wandersleben ca. 4000 Jahre vor Christus), Gotha, Erffa (Friedrichswerth) und Aschara.
Die Hermunduren glaubten, daß in den Hörselbergen bei Eisenach der Sitz des „Wilden Heeres“ sei. Vondort aus stürmten in rauhen Nächten neben Donar (Thor) auch Gott Wodan und seine Gattin Hulda, welche die in Walhalla lebenden Heerscharen anführten, durch das Hörselloch in Richtung Thüringer Wald zur „Wilden Jagd“. Voran ging ihnen der getreue Eckhard mit seinem weißen Stab, der die Menschen vor dem „Wilden Heer“ warnte.
Den Hörsel- und Nessetalbewohnern hatte es besonders Hulda angetan, denn ihr begegnet man hier auf Schritt und Tritt. Aus der Frau Hulda, der Göttin der Fruchtbarkeit, Beschützerin der Quellen, Saaten und des ungeborenen Lebens wurde später Frau Holle. Die christlichen Missionare machten aus der alten Hulda-Holle eine heidnische Hexe (Venus), welche ehrbare christliche Ritter mit ihren Reizen verführte und sie somit in die tiefste Verdammnis stürzte. Richard Wagner nahm später diesen Stoff auf und schuf auf der Grundlage dieser uralten Sage seine Oper „Tannhäuser“, die ebenfalls an den Hörselbergen spielt.
Zwischen 390 und 406 zogen die Hasdinger, ein Teilstamm der Wandalen, durch Thüringen und verbündeten sich mit den Burgundern. In diese Zeit fallen Ortsgründungen, die auf den Stamm der Hasdinger verweisen: Ingersleben (Ingo/Freyr = ostgermanischer Stammesgott), Wandersleben, Haßleben (Hastingesleybin), Alleringersleben, Ostingersleben und Ingeleben, während Orte wie Günthersleben bei Gotha, Gundersleben bei Mühlhausen und Güntersleben bei Würzburg vielleicht auf die Burgunder zurückzuführen sind.
In der Gegend um den Roten Berg, nördlich des Erfurter Stadtzentrums, kamen auch einige archäologische Schätze zu Tage. Neben dem 1913 in Haßleben entdeckten, reich ausgestatteten hermundurischen Fürstinnengrab aus der zweiten Hälfte des dritten Jahrhunderts [vermutlich eine Verwandte von Prinzessin Biogonna (*212), welche mit dem Herulerkönig Tenerich (200-237) vermählt wurde und die Mutter König Alberichs (235-292) war] mit zahlreichen hermundurischen Goldschmuckstücken und einer Münze mit dem Bildnis des Kaisers Gallienus (259-268), machte man 1978 auf dem Kleinen Roten Berg bei Erfurt-Gispersleben eine außergewöhnliche Entdeckung. Die Archäologen stießen auf einen ehemals vorhandenen Grabhügel mit einem Holzkammergrab indem sich ein zusammengebrochener Wagen befand. Auf den Wagenresten lag das Skelett einer 20-25jährigen Frau mit Resten eines goldfadendurchwebten Kleidungsbesatzes. Man fand eine goldene Haarnadel, Reste eines Trinkhorns, einen silbernen Löffel mit Schale und verschiedene Alltagsgegenstände. Weiterhin entdeckte man, daß das Grab von Grabräubern geplündert worden war, als es noch begehbar gewesen ist. Der Ort Gispersleben (Gisbodisleybin) könnte also durchaus einen Königshof beherbergt haben, denn auch der germanische Name Gisbot setzt sich aus den Wörtern „edel“ und „gebieten“ zusammen. Bestätigt wird diese Vermutung zusätzlich durch die Nähe zu den alten hermundurischen Heiligtümern (Alach) und zu so manchen anglo-warnischen „Leben-Ort“ wie z.B. Bindersleben (Bilterisleybin), das Erbe eines Bilderich (Schwertreich).
Bemerkenswert ist, daß bis jetzt nur Frauengräber von fürstlichem Rang gefunden wurden. Vielleicht wurden die Könige auch nicht bestattet, sondern, um mit den Göttern vereint zu sein, verbrannt und die Asche in heilige Gewässer gestreut. Das königliche Grab von Gispersleben wurde an den Anfang des sechsten Jahrhunderts datiert und es ist zu vermuten, daß es sich bei der Frau um die Gattin König Berthachars (Mutter von Radegunde) oder um eine Tochter König Bisin II. handelte.
Die Tatsache, daß es zwei Bisinos gegeben hat (nämlich Vater und Sohn) bestätigt sich auch in den fränkischen Berichten, daß einmal eine Basena und das andere mal eine Menia als Gattin Bisins genannt wird. Auch die Häufigkeit und die unterschiedliche Verteilung der Orte, die auf König Bisin verweisen (z.B.: Beesenstedt, Bösenburg, Bösenrode, Biesenrode, Nieder- und Oberbösa, Beesewege, Bisdorf, Bösewig, Bösleben, Bischleben, Beesen, Beesenlaublingen sowie der Fluß Biese), kann viel besser mit dem Auftreten von zwei Personen gleichen Names erklärt werden. Bereits Bisin I. verlegte seine Hauptresidenz aus dem Gebiet um Erfurt in die Nähe von Eisleben. Zwischen den geschichtsreichen Dörfern Hedersleben, Polleben, Friedeburg und Fienstedt liegt der Ort Beesenstedt, das alte Bisinstede (1144 Bisenstide). Lage und Entstehung dieses Ortes sind durch zwei sich hier kreuzende uralte Straßen bedingt: der sogenannte Königsstieg (!), der aus dem südlichen Nordthüringen kommend zu den altthüringischen Königsgütern im Fleischbachtal, und zwar nach Königswiek führt, stößt hier auf den Landweg Eisleben-Hedersleben-Wettin. In Lehnsbriefen wird auch von einer Mark Beesenstedt als eine besondere Dorfstätte berichtet. Beesenstedt ist demnach die Stätte eines Bisin, der auch in der Nähe eine nach ihm benannte Burg (Bösenburg) hatte. Die Armut an archäologischen Funden ist kein „Armutszeugnis“, sondern ein Beweis für ein stetiges, volkreiches Bewohnen, das nicht durch Zeiten der Verödung unterbrochen war (nur bei Großörner ist das Grab eines Jungen gefunden worden, das eine goldene Pferdetrense hunnischen Stils enthielt und somit auf königliche Herkunft schließen könnte).
Der Name Bisin oder Besino leitet sich vom altgermanischen (nordischen) „bisa“ ab und bedeutet soviel wie „wild, alle Kräfte aufbietend, losstürmen“. Es liegt also in dem Eigennamen der Begriff „Kraftmensch, Draufgänger, Stürmer“ - eine Eigenschaft, die germanische Väter in ihren Söhnen gewiß gerne sahen und sie ihnen durch die Namensgebung anwünschten. Auch der Name Basina war nicht einzigartig und kam unter thüringischen Prinzessinnen nicht selten vor, von denen so manche auch nach Franken einheiratete.
Zwischen 1886 und 1957 wurden im Stadtgebiet von Weimar mehr als 100 Reihengräber entdeckt, die zu einem Adelsfriedhof vom 5. bis 7. Jahrhundert gehörten. In einem relativ einfachen Frauengrab (Nr. 52) wurde ein silberner Löffel mit der Aufschrift „BASENAE“ auf dem Löffelgriff gefunden. Leider ist dieses Fundstück später dem Museum für Ur- und Frühgeschichte verloren gegangen. Sein Aussehen ist noch in einer Zeichnung enthalten, die im Werk von Prof. Behm-Blancke „Gesellschaft und Kunst der Germanen“ zu sehen ist.
Der Löffel zeigt auf der Oberseite des Griffs den Namenszug und auf den Seiten des Verbindungsstückes zwischen Griff und Löffelschale ein Christuskreuz (Christogramm) und ein Weinblatt. Das Wort Basenae ist die lateinische Mehrzahl von Basina und erst ein Blick auf den Stammbaum verdeutlicht, wieviele Basenae es gegeben hat. Es ist allerdings eine erfundene Geschichte, daß die Frau Bisin I., Basena (eine Tochter des Ostgotenkönigs Theudimir) mit Childerich I. nach Franken gegangen sein soll. König Childerich mag sich sehr wohl im Jahre 458 in Thüringen aufgehalten haben, aber nicht um Königin Basena zu verführen, sondern um seine Braut, die Cousine König Bisin I., Basina Andovera zu umwerben. Aus dieser Verbindung entstammt u.a. Andelfrieda, die den Ostgotenkönig Theoderich den Großen heiratete und Clovius (Chlodwig der Große), der Vater von Chlothar I. und Theuderich, die später den Untergang des Thüringer Königreiches herbeiführten.
Der Sohn Bisin I., Bisin II. heiratete Menia, während seine jüngere Schwester Radegunde 503 mit dem späteren Langobardenkönig Wacho (482-540) verheiratet wurde. Es wird vermutet, daß auch Menia eine langobardische Prinzessin war, die nach dem Tod Bisins II. auch wieder mit einem langobardischen Adligen verheiratet wurde. Die Langobarden, die um 400 die Elbe aufwärts zogen, 465 links der mittleren Donau siedelten (Pannonien) und ab 488 unter die Abhängigkeit der Heruler gerieten, besiegten 508 den Herulerkönig Rodulf und dehnten so ihre Herrschaft bis nach Noricum (Österreich) aus. Ähnlich erging es den Ostgoten, die ab 454 auf der Balkanhalbinsel siedelten. Ihr Oberhaupt, Theoderich Strabo, war nicht nur König der Ostgoten (ab 473), sondern auch „magister militum“ des oströmischen Kaiserreiches.
Nachdem dieser 480 bei einem Reitunfall ums Leben kam, erlangte Theoderich aus dem Geschlecht der Amaler die Herrschaft unter den Ostgoten und rebellierte 485/86 mehrfach gegen Ostrom. Er verständigte sich mit Kaiser Zenon (436-491) darüber, dem germanischen Statthalter Italiens, Odoaker, die Herrschaft zu entreißen, und setzte sich im Herbst 488, durch die Reste der Rugier, deren König Friedrich zu ihm geflüchtet war, unterstützt, mit seinem Volk in Bewegung. An der Save schlug Theoderich die Gepiden, überschritt im Sommer 489 die Ostgrenze Italiens und besiegte Odoaker schließlich nach langen Kampf im März 493 in Ravenna (Odoaker, Heerführer Westroms, wurde, nachdem er Kaiser Orestes besiegte, im August 476 König der Heruler, Skiren und Turcilinger sowie Statthalter Ostroms in Italien).
König Theoderich war bemüht, das gute Verhältnis zu Ostrom aufrechtzuerhalten und spielte gleichzeitig eine Vermittlerrolle zwischen den germanischen Königreichen, wozu besonders Bündnisheiraten von Nutzen waren. Der König gab eine seiner Schwestern dem Wandalenkönig Thrasamund zur Frau, er selbst ging die Ehe mit einer Schwester des Frankenkönigs Chlodwig ein. Eine seiner Töchter vermählte er mit Sigismund, dem Sohn des Burgunderkönigs Gundobad, eine zweite mit dem Westgotenkönig Alarich.
Mit den Thüringern und Wandalen verband die Ostgoten eine alte Freundschaft, die auch nach Attilas Tod andauerte. Um 480 war der Thüringer König Bisin II. auf dem Höhepunkt seiner Macht (berichtet durch den Presbyter Eugippius, Biograph des Mönches Severin).
Hochangesehen und mit den einflußreichsten Königshäusern (Franken, Langobarden und Ostgoten) verwandt, regierte er eines der größten Königreiche (größte Nord-Süd Ausdehnung ca. 430 km, größte Ost-West Ausdehnung ca. 220 km, ungefähre Fläche ca. 60.000 qkm).
Siedlungsgeschichtlich sind die Ortsnamen auf -leben ein besonders aussagefähiger Typ, da deren Verbreitung sich mit dem Umfang des Thüringer Königreiches zu decken scheint.
Die meisten Orte mit Endungen auf -leben (anglo-warnisch „leiba[n]“ = „das Erbe des“ oder „der Besitz von...“), auf -ungen und -ingen (suebisch = „die Leute von...“), sowie auf -stedt oder -städt (althochdeutsch „stadi“ = Ort, Stätte) nördlich, östlich und südlich des Harzes sind reine thüringische Gründungen des dritten und vierten Jahrhunderts. Auch in Jütland, dem Stammland der Angeln (heutiges Dänemark), findet man heute noch viele Orte mit Endungen auf -lev, die einigen Orten mit Endungen auf -leben sehr ähnlich sind (z.B.: Gjerlev = Gerleben, Haderslev = Hadersleben, Orslev = Orsleben, Alslev = Alsleben, Tinglev =Thingleben, Undelev = Undeleben, Gorlev = Gorleben, Haslev = Haßleben u.a.). Im Gegensatz hierzu stehen die Ortschaften mit Endungen auf -aha, -mar, -loh, -er, -ari und -ede, die als Gründungen der Hermunduren aus dem ersten und zweiten Jahrhundert angesehen werden können. Auch das keltische Wort für Salz „hal“ ist in hermundurische Ortsgründungen mit eingefloßen (z.B.: Halberstadt, Halle und Hallungen). Es gibt aber auch Ortschaften, die durch ihren Wortstamm auf eine reine warnische oder anglische Gründung verweisen (Gründungen der Warnen: Wahrenberg, Wahrenbrück, Wahrenholz, Warnstedt, Werna, Wernberg, Werneck, Wernigerode und Wernstedt; Gründungen der Angeln: Angelroda, Angstedt, Angelhausen, Egeln, Westeregeln sowie die Dörfer im Gau Engelin wie Westerengel, Kirchengel, Holzengel und Feldengel). Ortsgründungen der fränkischen Eroberer, die allerdings alle nach 531 stattfanden, haben meistens Endungen auf -hausen, -heim, -dorf, -bach, -feld oder -thal, aber auch direkte Hinweise auf den Stamm der Franken finden sich in den Ortsnamen von Frankendorf, Frankenhain, Frankenhausen, Frankenheim und Frankenroda. Mit allen „Leben-Orten“ aus dem heutigen Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Bayern kommt man auf eine Zahl von rund 250 Ortschaften, wobei einer von jeweils zwei gleichlautenden Orten mit den Vorsilben Groß- und Klein- oder Ober- und Nieder- von slawischen Siedlern im 6. und 7. Jahrhundert gegründet wurde.
Auch über den gesamten altmärkischen Raum verbreitet finden sich Orte dieses Typs in lockerer Streuung. Bereits nördlich der Ohre liegen Hillersleben und Farsleben, am Südrand der Letzlinger Heide die Wüstungen Groß- und Kleinhermsleben, in der östlichen Hälfte der Altmark Grobleben, Erxleben und Walsleben, weiter im Westen Gardelegen (ursprünglich Garleiba, Gardeleben), Altmersleben, Jeggeleben, Trippigleben, Rittleben, Hohen- und Siedendolsleben, Ritzleben, Rathsleben, die Wüstung Bissleben und das ursprünglich gleichfalls auf -leben endende Thielbeer (1375 Tilebe). Ortsnamen auf -leben reichen auch ins Hannoversche Wendland hinüber, wo die Dörfer Bockleben, Marleben, Malsleben, Gorleben, Brandleben und Zargleben anzutreffen sind. Altmark und Wendland erweisen sich als die nördlichsten Teile des großen mitteldeutschen Verbreitungsgebietes der Ortsnamen dieses Typs.
Die Orte im Süden der Altmark sind von der Bildungsweise her dem thüringischen Gebiet zuzuweisen. Herrnsleben, Hillersleben, Walsleben und Farsleben sind echte Vertreter des mit einem Personennamen gebildeten -leben Typs. Bei den übrigen Orten muß der slawische Einfluß durch gegenseitige Ortsnamenangleichung berücksichtigt werden. Rathsleben und Altmersleben können vielleicht auf slawische Personennamen wie Radoslav und Meroslav zurückgeführt werden. Der heutige Ort Schölau erscheint 1375 als Smolove und 1423 als Smoleve, hat sich jedoch nicht zu einem „Leben-Ort“ entwickelt, sondern eine slawische Form erhalten. Dagegen ist aus einem älteren Troploge der Ortsname Trippigleben geworden.
An den gegenseitigen Ortsnamenangleichungen erkennt man, daß Slawen und Thüringer in der Altmark schon sehr früh friedlich aufeinander trafen, was allerdings weniger für die Gebiete östlich von Elbe und Saale zutrifft. Hier gibt es nur einen Ort, Blattersleben (1277 Bratersleuen), der sich östlich der Elbe bei Riesa befindet und auf den slawischen Personennamen Bratoslav zurückgeht.
Wenn man die Verbreitung aller Orte betrachtet, so bekommt man einen ungefähren Überblick, wie groß dieses Königreich gewesen sein muß. Im Norden bildete die Elbe die Grenze. Die Orte Brandleben und Gorleben waren sicherlich die nördlichsten Ansiedlungen. Landschaftsbezeichnungen wie Wendland („Land der Fremden“) oder Altmark („altes Grenzland“) bedürfen eigentlich keiner Übersetzung. Im Nordwesten siedelten zuerst die Langobarden (Bardengau) später die Sachsen. Hier verlief die Grenze zwischen Uelzen und Salzwedel über Wittingen Richtung Süden. Orte wie Wahrenholz und Fallersleben bei Wolfsburg sind thüringisch, die Landschaftsbezeichnung Sassenburg (Sachsenburg) und der Ort Gifhorn sächsisch (vielleicht hat man hier auch Friedensverhandlungen geführt, wo man sich gegenseitig das Trinkhorn reichte oder es war einfach eine Art „Grenzübergangsstelle“).
Weitere thüringische Orte sind Grasleben, Emmerstedt, Helmstedt, Langeleben, Schöppenstedt, Dorstadt und Jerstedt. Weiter ging es dann zwischen Salzgitter und Goslar wieder in Richtung Westen über Salzdetfurth und Duingen bis ins Tal der Emmer. Zwischen Weser und Harz deuten Orte wie Moringen, Uslar, Adelebsen, Göttingen und Duderstadt auf thüringisches Gebiet. Der Harz mit dem Brocken (Melibocus mons) wurde von den Thüringern als heilig angesehen. Hier konnte man den Göttern in Asgard näher sein als irgendwo sonst und hier fuhr auch der Lieblingsgott Thor mit seinem Himmelswagen, der von den Ziegenböcken „Zähneknisterer“ und „Zähneknirscher“ gezogen wurde, öfters vorbei und schlug mit seinem Hammer Mjölnir (Zermalmer) krachend und blitzend in die sturmgepeitschten Baumwipfel. Von hier aus wird sich der Grenzstreifen der Weser aufwärts über die Fulda mit den Grenzorten Melsungen, Bebra und Fulda bis zur Rhön gezogen haben. Der Solling, das Weserbergland, das Wildunger und Hessische Bergland zusammen mit Knüllgebirge, Spessart, Rhön und Vogelsberg hießen im frühen Mittelalter „Buchonia“ und waren, wie der Name schon sagt, von dichten Wäldern bewachsen (zu Zeiten des Tacitus hießen alle deutschen Mittelgebirge „Herzynischer Wald“ [lat. = Hercynia silva, griech. = Arkynia], woraus im altdeutschen „Harz“ wurde). Hier gab es zwischen den Thüringern und den Nachbarstämmen der Sachsen, Hessen, Alemannen, Schwaben und Baiern teilweise unbewohntes Niemandsland. Auch darf man sich die Grenzen nicht als starre Linien vorstellen, sondern als breite Grenzstreifen, in denen sich manchmal auch die Siedlungsgaue überlappten.
Von den Wäldern der Rhön verlief die Grenze weiter im Tal des Sinn bis zum Ufer des Main. Hier zeigen noch Orte wie Güntersleben und Eßleben bei Würzburg an, daß der Main wirklich die Südgrenze des Königreiches war. Die Thüringer betrachteten jedoch das römisch geprägte Land zwischen Main und Donau (Raetia), daß dünn von Alemannen und Baiowaren (Baiern) besiedelt war als ihr Interessengebiet, was das Thüringer Reihengräberfeld von Bittenbrunn, nördlich von Neuburg an der Donau, aus der Mitte des 5. Jahrhunderts sowie die Plünderung Passaus an der Mündung von Donau, Inn und Ilz im Jahre 470 belegen. Auf den vermuteten südthüringischen Königshof an den Ufern der Wern („Fluß der Warnen“) bei Werneck zwischen Schweinfurt und Würzburg wird später noch näher eingegangen.
Fränkische Ortsnamen wie Ochsenfurt, Schweinfurt und Haßfurt deuten darauf hin, wo die wichtigsten Übergangsstellen des Main gelegen haben könnten.
Der Thüringer Wald, von den Thüringern „Louvia“ oder „Loiba“ genannt, durchschnitt das Königreich wie eine natürliche Barriere. Südlich des Waldes, im Werratal, deuten gleich mehrere Burgberge auf Grund ihrer Lage darauf hin, daß sie auch schon zu Zeiten des Königreiches Kontrollburgen beherbergt haben könnten. Als vorgeschichtliche Wallburg, die bis in keltische Zeit reicht, ist die Steinsburg auf dem Kleinen Gleichberg zu nennen. Weitere Burgen der Thüringer könnten auf den Bergen der Heldburg bei Bad Colberg und der Festung Coburg („Idisburg“) gestanden haben. Die Itz („Idisaha“) , an der Coburg liegt, soll nach einer Idis benannt sein. Der Name Idis oder Itis, nordisch Disa (Dea), ist die Bezeichnung für germanische Frauen und Jungfrauen, die höher als irdische, geringer als Göttinnen angesehen wurden. Auf der Coburg könnte also eine heilige Priesterin (Seherin) ihren Sitz gehabt haben. Nördlich des Thüringer Waldes sind vorgeschichtliche Wallburgen auf den Burgbergen des Schlosses Tenneberg bei Waltershausen (ganz in der Nähe beim Ort Hörselgau befinden sich in einem Waldstück drei Hügelgräber), auf der Mühlburg (Schloßleite), der Alteburg bei Arnstadt, dem Singer Berg im Ilmtal, der Jechaburg bei Sondershausen und der Hasenburg im Eichsfeld nachgewiesen. Höchstwahrscheinlich wurden von allen Thüringer Königen die Burgen auf den heutigen Anlagen der Runneburg („Runibergun“) bei Weißensee, der Seeburg („Seoburc“) am Süßen See bei Eisleben und der Burg Scheidungen („Scindingi“) an der Unstrut als Pfalzen und Fluchtburgen benutzt (letztere wurde bereits im Jahre 515 erwähnt und hier soll sogar die vernichtende Entscheidungsschlacht des Jahres 531 stattgefunden haben). Von den rauhen Bergen des Fichtelgebirges und den von slawischen Stämmen besiedelten Hügeln des südlichen Vogtlandes verlief die Grenze ungefähr den Lauf der Weißen Elster (oder der Mulde) folgend bis zur Mündung in die Saale und dann bis zu deren Mündung in die Elbe. Orte wie Isaar, Tanna, Pausa, Leiningen, Auma, Hohenleuben, Weida, Gera, Aga, Deuben und Nessa könnten vielleicht auf eine hermundurische Entstehung verweisen.
Hier müßte man allerdings hinzufügen, daß es nicht ganz klar ist, wie weit sich die Thüringer Südostgrenze eigentlich nach Osten erstreckte, da die später hier angesiedelten Slawen eigene Ortsnamen benutzten. Zwischen Saale und Weißer Elster, in der Nähe von Stössen südöstlich von Naumburg, fand man in einem Grab eines jungen Mannes u.a. einen vergoldeten Spangenhelm aus einer ostgotischen Werkstatt des frühen 6. Jahrhunderts (Ravenna). Auf dem mit vergoldeten Blech besetzten Helmreif sind Vögel dargestellt, die an Weintrauben picken. Dieser wertvolle Helm könnte durchaus einem Thüringer König gehört haben. Wer aber dieser junge Mann war, konnte man nicht herausfinden (vielleicht ein weiterer Sohn Bisin II. oder ein ostgotischer Abgesandter). Das Grab einer ostgotischen Prinzessin, das man 1965 in Oßmannstedt bei Weimar freilegte, und das zwischen 454 und 489 datiert wurde, enthielt auch byzantinischen und hunnischen Schmuck, u.a. eine goldene mit roten Almandinen besetzte Adlerfibel, deren Stil auf skytho-sarmatische Kunst im pontischen Gebiet am Schwarzen Meer verweist (vielleicht für Bisin II. bestimmte Braut, die kurz nach ihrer Ankunft verstarb). Weitere archäologischen Funde der Thüringer wurden in Großbodungen im Eichsfeld (römische Münzen und Teile einer Silberplatte mit dem Bildnis des Kaisers Magnus Maximus (383-388), die vielleicht einem thüringischen Söldner im Dienste Roms gehörten), Mühlhausen, Urleben, Merxleben, Belleben, Gispersleben, Niederhone bei Eschwege, Zeuzleben bei Würzburg, Dienstedt und Weimar gemacht. Weit verbreitet waren sogenannte Reihengräberfriedhöfe, in denen die Verstorbenen in Holzsärgen mit dem Kopf im Westen und dem Blick nach Osten bestattet wurden. Den Männern gab man ihre Waffen, bestehend aus dem zweischneidigen Langschwert (Spatha), das meist damasziert war, dem einschneidigen Kurzschwert (Sax), Lanzen, Pfeile und unterschiedlich geformte Äxte mit ins Grab. Von den Holzschilden sind eiserne Schildbuckel mit bronze- und silberplattierten Nietköpfen erhalten. Frauen bestattete man mit ihren Gold- und Silberschmuck (Ringen, Gürtelschnallen, Glasperlenketten und Fibeln), Gebrauchs- und Alltagsgegenständen (Keramik, Knochenkämme, Webutensilien u.a.) sowie Bronzeschlüsseln, die die führende Stellung der Frau im häuslichen Bereich erkennen lassen. Neben Reihengräbern kommen seltener Grabhügel und Brandbestattungen vor, wie sie in Gispersleben und Urleben nachgewiesen sind.
Die nordöstlichste Ausdehnung des Thüringer Königreiches war vermutlich das sogenannte Warnenfeld (Werinofeld), das zwischen Weißer Elster, Saale, Elbe und Mulde vermutet wird. Ortschaften wie Trotha, Seeben, Teicha, Brachstedt, Deutleben, Kleinwirschleben, Groß- und Kleinpaschleben, Zehringen, Drosa und nicht zuletzt Rodleben nördlich der Elbe mit dem nahen Schloßberg, der vielleicht die letzte Zufluchtstätte König Herminafrids gewesen sein könnte, erinnern an das letzte Refugium der Thüringer. Von hier aus könnte auch Königin Amalaberga mit ihren Kindern und einem kleinen Gefolge der Mulde entlang über Böhmen („geheime Wege“) zu ihrem Bruder Theodahad ins Königreich der Ostgoten geflüchtet sein. Ein Hinweis auf das Warnenfeld gibt König Theoderich der Große in einem Dankesschreiben an den Warnenkönig (Thüringer König), in dem er sich nicht nur für die Schwerter, sondern auch für die hellhäutigen Knaben, die ihm „cum piceis timbrius“ übersandt worden sind, bedankt. Der Hallenser Prähistoriker Prof. Dr. Walther Schulz erkannte als erster, daß es sich hier um Bau- oder Möbelholz handeln müsse. In einem Artikel der Jahrbücher für Mitteldeutsche Vorgeschichte schrieb er: „Für die Worte cum piceis timbrius, unter den Geschenken des Warnenkönigs an erster Stelle im Brief des Theoderich genannt, glaube ich eine Erklärung gefunden zu haben, die für das Warnengebiet um die Mulde und ihre Mündung in die Elbe besonders zutrifft. Es ist das pechschwarze Holz, das hier aus vergangenen Wäldern des Auegebietes abgelagert und in den Flußkies gelangt ist. Es handelt sich um die gewaltigen Stämme der Stieleiche, die für die Auewaldungen der Mulde bezeichnend sind...“
Auch in der Urheimat der Warnen, in Mecklenburg und Ostholstein, finden sich vereinzelt „Leben-Orte“, die wahrscheinlich Einzelhöfe Thüringer Adliger waren und gleichzeitig als Handelsstationen für den Ostseeraum genutzt wurden. In Schwanbeck bei Altentreptow wurde eine thüringische (warnische) Siedlung aus dem 6. Jahrhundert entdeckt, einer Zeit, in der nach herkömmlicher Meinung dieser Landstrich schon weitgehend von der germanischen Bevölkerung geräumt worden war. In einem mit Steinen abgedeckten thüringischen Holzkammergrab fand man einen Bestatteten, der zweifellos der Oberschicht angehörte. Neben zwei qualitätsvoll gearbeiteten Gefäßen und einem Messer waren auch die zum Gewand gehörenden Metallteile erhalten geblieben. Wohl am Gewandkragen waren vergoldete Perlen, die mit winzigen Glaskügelchen und Einpunzungen verziert waren, befestigt. Zusammengehalten wurde das Gewand von einer ebenfalls vergoldeten und mit blauen Glaseinlagen verzierten Zangenfibel. Perlen der beschriebenen Art kamen in Mecklenburg bislang nicht vor und dürften auch im deutschsprachigen Raum ihresgleichen suchen. Die Fibel ist ein Thüringer Fabrikat und braucht einen Vergleich mit denjenigen aus Adelsgräbern Mitteldeutschlands nicht zu scheuen. Das Dorf, in dem der Bestattete wohnte, lag nur 100m von seinem Grab entfernt. Genau dieses Siedlungsareal wurde einige Jahrzehnte später von den einwandernden Slawen genutzt, muß also noch offen oder sogar bewohnt gewesen sein und wird der seit kurzem in Fachkreisen diskutierten Frage nach einer möglichen Begegnung von Germanen und Slawen wieder neuen Auftrieb bringen.
Erstaunlicherweise sind Schmuckstücke aus Thüringen nur in Ostmecklenburg und Vorpommern entdeckt worden, obwohl westmecklenburgische und ostholsteinische Trachtenbestandteile in Thüringen gefunden wurden. Somit liegt die Annahme nahe, daß das Thüringer Königreich seine Handelsbeziehungen im Norden mehr in östliche Richtung ausdehnte und wahrscheinlich mit den im Ostseeraum ansässigen Venetern und Balten Handel betrieb.
König Bisin II. regierte dieses riesige Reich wahrscheinlich nicht nur von einem zentralen Ort aus (dem Königshof mit den Königsleutedörfern in der näheren Umgebung), sondern er wird, wie seine Vorgänger sicherlich auch, Königspfalzen angelegt haben, auf denen er sich mit seinem Hofstaat ein paar Wochen im Jahr aufhielt, um Zeremonien abzuhalten sowie über Recht und Unrecht zu entscheiden (Hinweise hierauf geben vielleicht Ortsnamen wie Königstedt, Königshorst, Königsmark, Königswiek sowie Landschaftsbezeichnungen wie Königsberg, Königsstuhl, Königsstieg und Königsmark).
Als Menia König Bisin II. zwischen 480 und 490 hintereinander drei Söhne gebährt, konnte er noch nicht ahnen, daß dies der Anfang vom Ende seines Reiches war. Im Jahre 505 verstarb König Bisin II. und wahrscheinlich regierte sein ältester Sohn Baderich einige Jahre das Königreich allein bis seine Brüder alt genug waren (21 Jahre), den Schwertgürtel zu tragen.
Ab 509 werden alle drei Brüder gemeinsam die Regentschaft übernommen haben, wobei Baderich den Süden (zwischen Main und Thüringer Wald, der damals „Louvia“ oder „Loiba“ = Waldlaube oder -straße genannt wurde), Herminafrid die Mitte (zwischen Loiba und Südharz mit Herbsleben als Königshof) und Berthachar den Norden (mit dem alten Siedlungsland zwischen Nordharz und der Altmark) bekam. Letzteres würde auch erklären, warum man später bei Helfta eine Radegundiskapelle errichtete, und daß die „Quedlinburger Annalen“ von einem Heerzug der Franken an der Oker bei Ohrum im Gau Maerstrem berichteten.
Im Jahre 519 stirbt Baderich plötzlich. Gerüchte, seine jüngeren Brüder Herminafrid und Berthachar hätten ihn ermorden lassen, könnten durchaus der Wahrheit entsprechen. König Baderich hatte vier Töchter, die alle mit fränkischen Prinzen oder Adligen verheiratet waren, u.a. auch eine Haregunde (510-573) mit Chlothar I. (499-561); Tochter Ingeltrude war sogar Äbtissin von Tours. Dies hätte den Anfang einer Familienfehde bedeutet, deren Ausmaß nach germanischen Recht (Blutrache) verheerend gewesen wäre (was am Ende ja auch zutraf).
Im Frankenreich hatte nach dem Tode Childerichs 482 Chlodwig der Große die Macht übernommen und beseitigte in vielen Kämpfen die Teilreiche seiner Sippenangehörigen. Im Jahre 486 wurde der römische Statthalter Syagrius in Soissons überwunden. Dann folgte die große Schlacht gegen die Alemannen, die bei Zülpich (Culpiacum) um 496 stattfand und schließlich wurde 507 bei Vouille der Westgotenkönig Alarich geschlagen. Um 500 nimmt Chlodwig den christlichen (römisch-katholischen) Glauben an. Aus der Verbindung mit Chlothilde von Burgund waren drei Söhne hervorgegangen, Chlodomer, Childebert und Chlothar. Zusammen mit dem aus einer außerehelichen Verbindung stammenden Theuderich teilten sich diese nach Chlodwigs Tod 511 das Frankenreich, setzten aber auch die Eroberungszüge im wechselnden Bündnis fort.
Im Jahre 509/10 heiratete Herminafrid Amalaberga, die Tochter des Vandalenkönigs Thrasamund und der Ostgotin Amalafrida (eine Schwester der Gattin König Bisin I., Basena und des Ostgotenkönigs Theoderich des Großen). Bereits im Jahre 501 wurde sie mit einem großen Gefolge an den Thüringer Königshof Bisin II. gesandt. Im Begleitschreiben an Herminafrid schwärmt König Theoderich von ihren guten Sitten und ihrer hervorragenden Bildung.
In vielen Chroniken wird Amalaberga als eingebildet und rachsüchtig beschrieben, was man vielleicht damit erklären könnte, daß sie als Ostgotin und somit auch arianische Christin ihre Sitten und Lehren auch unter den Thüringern einführen wollte, was bei dem heidnischen und vom germanischen Götterglauben geprägten Volk nicht auf Zustimmung gestoßen sein kann.
Im Bericht Gregor von Tours steht, daß sie sogar ihren Gatten, König Herminafrid, zum Mord an seinem Bruder Berthachar angestiftet haben soll. Eigentümlich ist aber, daß die einzige Augenzeugin Prinzessin Radegunde, Tochter König Berthachars, nach dem Tod ihres Vaters von eben dieser Amalaberga und Herminafrid aufgenommen wurde, und daß sie auch später bei Fortunatus kein Wort über einen angeblichen Mord an ihren Vater verloren hat.
Wie könnten sich nun die Ereignisse nach dem Tod König Bisin II. abgespielt haben?
Als das Königreich um das Jahr 509 geteilt wurde, erhielt der ältere Bruder Baderich den dünnbesiedelten Süden, womit er sich vielleicht, da er vorher das ganze Reich regierte, nicht abfinden wollte. Da Baderich auf Grund seines Alters wahrscheinlich auch die größte Schar an Getreuen aufbringen konnte, wäre es sicherlich für Berthachar und Herminafrid nicht von Vorteil gewesen einen offenen Kampf um das Königreich zu wagen. Deshalb ist es auch nicht ungewöhnlich (in späteren Jahrhunderten durchaus üblich), wenn man sich einer anderen Art bedient hätte, den lästigen Bruder loszuwerden. Als man im fernen Frankenreich von einem hinterlistigen Mord an den beliebten Schwiegervater Baderich hörte, sandte man natürlich sofort auf Rache. Solange aber Theoderich der Große als Verbündeter der beiden Thüringer Könige auftrat, wäre ein sofortiger Angriff ein gewagtes Spiel gewesen. Als aber der Ostgotenkönig Theoderich am 26. August 526 in Ravenna starb, war dies das Startzeichen für die Franken, einen Heerzug vorzubereiten. Im Reich der Ostgoten herrschte Streit um die Nachfolge und so konnten Berthachar und Herminafrid nicht mehr auf die volle Unterstützung aus Ravenna hoffen. Sie verstanden es aber, ihre Gefolgsleute aus Mittel- und Nordthüringen so zu einen, daß ein schlagkräftiges Heer entstand. Der erste Angriff der Franken unter Führung von König Theuderich erfolgte wohl im Jahre 529. Man konzentrierte sich bei diesen Heerzug auf das alte Siedlungsland der Angeln und Warnen in Nordthüringen, wo sich wahrscheinlich auch der Sitz König Berthachars befand. Die Franken nutzten die alten Heerstraßen der Römer und zogen von Aachen oder Zülpich aus über Köln (Colonia Agrippina) und Hagen durch das Sachsenland um Gütersloh, Richtung Emmer, bis sie dann zwischen dem alten Thüringer Heiligtum Dorstadt und dem Dorf Ohrum an der Oker auf das Heer der Thüringer trafen.
Dieser Angriff konnte von den Thüringern entscheidend abgewehrt werden, in einem der Kämpfe fiel jedoch König Berthachar. Die Franken mußten sich geschwächt zurückziehen, aber auch viele alte Thüringer Krieger sahen im Tod ihres Königs ein schlechtes Zeichen und ahnten wohl auch, was noch kommen würde.
Die Kinder von Berthachar, ein Sohn, dessen Name nicht überliefert ist und Prinzessin Radegunde (518-587) wurden von ihrem Onkel, König Herminafrid, der seinen Königshof in Herbsleben (Herveri‘s leiban = „das Erbe des Herminafrid“) errichten ließ, aufgenommen. Hier an der Unstrut, umgeben von den Königsleutedörfern und der zentralen Versammlungs- und Thingstätte der Mittelthüringer, der Tretenburg (driht, drauht = Gemeinschaft), wurden die Kinder von Amalaberga in lateinischer Schrift und christlicher Religion unterrichtet.
Die arianische Lehre war unter den Ostgoten besonders einflußreich, eine Lehre, die von dem Presbyter Arius ausging. Er stammte aus Antiochia, lehrte in Alexandria und vertrat die dort gelehrte kritische Theologie, wonach Christus nicht Gott, sondern ein mit göttlichen Kräften ausgestattetes „erstes Geschöpf“ sei. Der hierüber entbrannte Streit führte 325 zum ersten christlichen Konzil in Nikäa. Die arianische Lehre ist von den Goten sehr früh angenommen worden, später auch von den Vandalen, Gepiden, Rugiern, Burgundern, Markomannen und Langobarden.
Bereits als junger Mann, als er die ersten Thingveranstaltungen auf der Tretenburg besuchte, gefiel Herminafrid ein Platz in der Nähe, der für einen Königshof wie geschaffen war. Hier errichtete er, umgeben von den fruchtbaren Feldern des Unstruttales, auf einem kleinen Hügel seine Burg. Seine Gefolgsleute ließen sich an Stätten ganz in der Nähe nieder, die schon seit uralten Zeiten besiedelt waren. Diese sogenannten Königsleutedörfer hatten alle eine unterschiedliche Funktion inne. Der Ortsname Gebesee (775 Gebise) bedeutet soviel wie „Haus/Hof eines Gebo oder Geberich“ und ist von der germanischen Gebo-Rune (Gabe oder Austausch) abgeleitet. Hier könnte auch das altnordische „gefan“ verborgen sein („geben“- man gibt sich hier etwas, man handelt). Es ist überliefert, daß in der Nähe eines jeden Thingplatzes der Handel blühte, daß man die Gelegenheit eines Things zum Anlaß nahm, alles mögliche zu tauschen und einzukaufen. Gebesee könnte durchaus die Funktion eines zentralen Marktes der alten Thüringer erfüllt haben. Zwei Kilometer nördlich der Tretenburg liegt das Dorf Schwerstedt. Dieser Ort wurde „Suegerstede“ geschrieben. Das Wort „Sveger“ kann Schwiegervater oder Schwager bedeuten. „Swaiga“ kann aber im althochdeutschen auch Weide heißen, der „Swaigar“ war ein Hirte, ein Rinderhirt. In Swaigar-stede wohnten demnach die Hirten der königlichen Rinder- und Pferdeherden. Nördlich von Herbsleben liegt Tennstedt (775 Danistath). In diesem Ortsname steckt das norddeutsche „denne“, was Lagerstätte, Niederung oder Waldtal bedeutet. Der Name kann aber auch vom althochdeutschen „tenni“, Tenne kommen, einen Platz, wo man früher Getreide aufbewahrte. Tennstedt könnte also die königliche Kornkammer gewesen sein (Grabfunde aus dem 5. Jahrhundert Schmalsax und Tongefäße).
Südlich von Herbsleben befindet sich der Ort Döllstädt (779 Tullenstat). Das altnordische Wort Dulle, althochdeutsch tulli oder duli, bedeutet Röhre, Vertiefung auch Rinne. Tulli kann aber auch Pfeil heißen oder Huf, die Hornsohle eines Pferdes. Bei der Bedeutung, die sowohl die Pferdezucht als auch der Gebrauch von Pfeil und Bogen im Thüringer Reich hatten, sind „Huf-“ oder „Pfeilstätte“ durchaus sinnvolle Erklärungen für Döllstädt, als einen Ort in der Nähe des Königshofes. Südöstlich grenzt die Herbsleber Flur an die des Ortes Dachwig (876 Thachabechiu). Darin steckt zweifellos das althochdeutsche daha, was Ton, Lehm bedeutet. Dachwig war also die königliche Tonmanufaktur. Jüngst entdeckte Gräber aus dem 6. und 7. Jahrhundert enthielten viele Waffen und fränkische Tonware. Dachwig müßte demnach (nach dem Untergang des Thüringer Reiches) ein südlicher Sperriegel für die Tretenburg gewesen sein. Der Ort Gierstädt, am Fuße der Fahnerschen Höhe, wird 1288 Gerstete genannt. „Ger“ heißt im althochdeutschen Speer, Waffe. Man kennt es von dem Wort Germanen = Speermänner. Gierstädt könnte also (ähnlich wie Gerbrunn, Giersleben und Gerlebogk) die Waffenschmiede Herbslebens gewesen sein. Namengebend für den Höhenzug im Süden Herbslebens (Fahnersche Höhe) war der Ort Fahner (876 Uuanari, später Fanre ähnlich Farnstädt bei Querfurt). Das Wort Fanare heißt der Tuchwirker, der Weber. Fahner war also die königliche Textilmanufaktur (Reihengräberfunde aus dem 5. Jahrhundert u.a. mit Webschwert und Knochennadel). Der Ort Vargula, westlich von Herbsleben, heißt im Jahre 785 Fargala, später Fargenloh. Das Wort Forg bedeutet Schwein und loh ist der Wald. Vargula könnte also soviel wie der „Schweinewald“ heißen, der königliche allerdings.
Weitere erwähnenswerte Kultstätten der Thüringer waren, neben der Tretenburg an der Unstrut, der Jechaburg bei Sondershausen und dem Seeheiligtum bei Oberdorla (Thor-aha) auch die Hasenburg im Eichsfeld, deren Siedlungsgeschichte bis in die Bronzezeit reicht (der Name Hasenburg bedeutet eigentlich „Asenburg“ = „Burg der Asengötter“). Auch der jungsteinzeitliche Menhir bei Buttelstädt, der zwischen 2300 und 1700 v.Chr. errichtet wurde, ist bereits von den Hermunduren verehrt worden. Die Thüringer sahen in ihm den zu Stein gewordenen Zeigefinger des Rechtsgottes Tyr (Ziu), dessen rechte Hand vom bösen Fenriswolf aus Utgard abgebissen wurde, was diesen Monolith als Gerichtsstätte geradezu auszeichnet.
Der letzte Thüringer König, Herminafrid, regierte also vom Tal der mittleren Unstrut aus, wo man, begünstigt durch das milde Klima, Obst und Wein anbaute, was seine Gemahlin Amalaberga sicherlich an ihre südliche Heimat erinnerte. Der König wußte aber auch, daß es die Franken nicht bei einem sieglosen Heerzug belassen würden und bereitete sich auf einen noch folgenden Angriff vor, der wohl gegen seinen Königshof in Herbsleben gerichtet sein würde. Der salische Frankenkönig Theuderich von Austrien (auch als Dietrich bezeichnet), wütend über die erlittene Niederlage, setzte allerlei Gerüchte in die Welt, um ein weiteres mal gegen die Thüringer vorzugehen. Hierbei suchte er Unterstützung bei seinem Sohn Theudebert und seinem Halbbruder, dem ripuarischen Frankenkönig Chlothar I. von Soissons.
Das Gerücht wurde verbreitet, daß es sich bei dem ersten Heerzug um eine Hilfeleistung der Franken für König Herminafrid gehandelt habe, der sich auch noch seines zweiten Bruders entledigen wollte. Die Franken sollten hierfür ein Stück des nördlichen Landes bekommen, das Herminafrid aber nicht hergab. Nun hatte man, nach der Rächung von Brudermord, auch Wortbruch auf seiner Seite, der (nach dem germanischen Ehrenkodex) ebenfalls bestraft werden mußte und einen zweiten Angriff völlig rechtfertigte. Für einen zweiten Heerzug brauchte man ein noch größeres Heer und mehr Vorräte, um durch die dicht bewaldete „Buchonia“ zu gelangen. Im Sommer des Jahres 531 brachen die Franken von Metz aus auf. Über die alte römische Heerstraße marschierten sie nach Mainz (Mogonciacum), wo man auf den Rest des Heeres traf und gemeinsam den Rhein überschritt. Im Gebiet der besiegten Alemannen und Chatten gelangte man über die südlichen Ausläufer von Taunus und Vogelsberg über Fulda bis nach Thüringen. Bei dem damaligen Straßenzustand (aus der Römerzeit meist noch gut erhalten) brauchte das fränkischen Heer, bestehend aus einer Vorhut von berittenen Kriegern, dem Haupttross aus Fußsoldaten und Reitern begleitet von Ochsenkarren, die die Vorräte und das Zeltlager zogen sowie einer kleineren Nachhut, die zum Schutz vor räuberischen Überfällen gebraucht wurde, mehrere Tage, vielleicht sogar ein bis zwei Wochen. König Herminafrid wird durch seine Boten erfahren haben, daß sich die Franken auf den Weg nach Thüringen befanden und wird ihnen durch Abgesandte mitgeteilt haben, wo er sie erwartet (Gregor von Tours: „...auf dem Feld, wo gekämpft werden sollte“). Die Sitte den Ort eines Schlachtfeldes vorher zu bestimmen, wurde übrigens von den Griechen übernommen und war bis in unsere Zeit üblich. Die wichtigste Quelle über diesen Feldzug von 531 und über das frühe Merowingerreich ist die „Historia Francorum“ des fränkischen Geschichtsschreibers Gregor von Tours. Er wurde am 30. November 538 in Averna, dem heutigen Clermont-Ferrand geboren und starb am 17. November 594 in Tours. Gregor entstammte einem gallorömischen Senatorengeschlecht und wurde nach dem Tod seines Vaters von seinem Onkel Gallus, Bischof von Clermont in christlicher Frömmigkeit erzogen. Nach seiner Diakonatsweihe unternahm er um 563 während einer Krankheit eine Wallfahrt nach Tours und fand dort am Grab des heiligen Martin die erhoffte Genesung. Gregor wurde 573 Bischof von Tours und wirkte als einer der kirchlich und politisch einflußreichsten Männer des Merowingerreiches. In seinem Hauptwerk ist dieser Heerzug der Franken so genau beschrieben, daß er auf jeden Fall zu seiner Zeit (um 560) noch lebende Augenzeugen befragt haben muß.
Da König Herminafrid nicht mehr die Gefolgsleute seines Vaters besaß, weil die Krieger- und Adelsschicht in Nordthüringen nach den letzten Kämpfen, die auch den Tod seines Bruders zur Folge hatten, deutlich dezimiert war, mußte er eine List erfinden, um Zeit zu gewinnen. Er wußte wohl von Anfang an, daß ein endgültiger Sieg nicht zu erwarten war und mußte in erster Linie an seine eigene Sicherheit und die seiner Familie denken. Dies geschah nicht aus egoistischen Gründen, sondern mit dem Überleben des letzten Königs war auch das Bestehen des Königreiches sowie das Wohl und Heil des ganzen Stammes verbunden. Als die Franken von Isenaha (Eisenach) über Lupentia (Lupnitz) und Behringen auf den Weg Richtung Unstrut waren, tappten sie in die Falle der Thüringer. Zwischen Weberstedt und Tüngeda hatte man am Ostrand des Hainich alte Erdfälle und tiefe Gräben als Fallgruben getarnt, die die Franken aber sehr bald durchschauten und nicht lange aufhielten. Sie zogen weiter über Salzaha (Langensalza), der Unstrut entlang, Richtung Herbsleben, wo sich ein kleiner wehrhafter Haufen der Thüringer auf dem Königshof und der Tretenburg verschanzt hatte, während der größte Teil des Heeres zusammen mit dem König und der Königssippe in Richtung der gut befestigten Burg Scindingi (Scheidungen) aufgebrochen war. Als nächstes Hindernis hinterließ man eine starke Besatzung auf der Runneburg und zog über Collide (Kölleda) und Bibra wieder Richtung Unstrut. Die Franken hatten mit den Kriegern dieser Burgen sicherlich kein leichtes Spiel, doch sie hatten einen weiteren Trumpf im Ärmel. Um eine weitere Niederlage zu vermeiden, riefen sie durch Boten die bereits unterrichteten Sachsen zu Hilfe. Diese waren zwar nicht gerade Freunde der Franken, aber angelockt von möglicher reicher Kriegsbeute oder einen Teil des gemeinsam eroberten Landes traten sie nun als ihre Verbündeten auf. Die Thüringer hatten jetzt auf Grund der zahlenmäßigen Unterlegenheit erst recht keine Chance. Der Königshof und die Fluchtburgen wurden verwüstet und man nahm die weitere Verfolgung auf, um den König endlich zu stellen. Dieser hatte sich mit den Rest seines Gefolges aus Mittelthüringen wie Swelmena (Mühlhausen), Aratora (Artern), Curnfurt (Querfurt), Gisleuban (Eisleben), Arnestedi (Arnstadt), Rudolfestat (Rudolstadt), Vimari (Weimar) usw. sowie den Getreuen aus dem Nordthüringengau wie aus Garleve (Gardelegen), Hahaldeslevo (Haldensleben), Halverstidi (Halberstadt), Oscheslevo (Oschersleben), Ascegeresleba (Aschersleben) auf Scindingi (skit-ingen = „die Leute von der hölzernen Burg“) versammelt, wo man die Götter in heimlichen Zeremonien um Beistand bat und sicherlich auch das eine oder andere Opfer darbrachte.
Als die Franken zusammen mit den Sachsen im Anmarsch waren und ihr Zeltlager aufbauten, wußte jeder, daß es diesmal ein langer, harter und vielleicht aussichtsloser Kampf werden würde. Wahrscheinlich heimlich in der Nacht vor dem Kampf (es war der 30. September 531) flüchtete König Herminafrid zusammen mit seiner Frau Amalaberga und den beiden Kindern Rodelinde und Amalafrid in Begleitung weniger Leibwächter aus der Burg. Ihr Ziel war der östlichste Zipfel seines Reiches, das Warnenfeld. Warum die Kinder seines Bruders nicht dabei waren, ist schwer zu sagen. Entweder ging alles sehr plötzlich und es war zu wenig Zeit, um Radegunde und ihren kleinen Bruder zu holen oder sie wurden absichtlich zurückgelassen, im Glauben, die Franken würden sich mit ihnen zufrieden geben.
Das Warnenfeld war dünn besiedelt und von dichten Auewäldern bedeckt. Hier wuchsen mächtige Eichen, die alle Thor geweiht waren und hier lebten die edelsten Königsleute, welche die Priesterschicht und die Leibgarde des Königs bildeten. Noch im Morgengrauen setzte man über die Elbe und endlich kam man an den Hof des Verwandten Rodefrid (Rodleben), nach welchem die Tochter des Königs benannt war, und der auch der Hüter der letzten geheimen Fluchtburg der Thüringer war.
Am Morgen des ersten Oktober 531 formierte man sich, wahrscheinlich nach Absprache, zu einer Kampfaufstellung und dann stürmte alles, was vier und zwei Beine hatte, aufeinander los. Die Luft war erfüllt vom Kampfgeschrei der Krieger, von denen die Sachsen mit ihren langen geflochtenen Haaren, ihren bemalten Gesichtern und ihren langen einschneidigen Schwertern, nach denen sie auch benannt waren (Sax), am fürchterlichsten aussahen.
Die Thüringer wurden von ihren gewählten Herzögen in den Kampf geführt und jeder hoffte, daß der König bereits in Sicherheit war. Das Gemetzel wird wohl bis in den späten Nachmittag gedauert haben, wobei man sich immer wieder zurückzog und verschiedene Angriffswellen startete. In den Reihen der Thüringer fielen mit Sicherheit einige tausend Krieger (Gregor von Tours: „der Fluß war so von Leichen bedeckt, daß wir trockenen Fußes das andere Ufer erreichten.“), ein Zeichen, daß man durch die Flucht des Königs nicht eingeschüchtert war (sonst wären vielleicht mehr davon gelaufen). Zum Schluß mußte von den Franken nur noch die Burg erstürmt werden, in der der König vermutet wurde, was sicherlich nur eine Frage der Zeit war, und vielleicht am darauffolgenden Tag erfolgte. Hier berichtet der Sachse Widukind von Corvey von König Herminafrids Waffenträger Iring, der bei Theuderich um Frieden bittet und dazu ein Bündnis anbietet, wodurch sich Theuderich umstimmen läßt. Als aber danach ein sächsischer Krieger den Jagdfalken eines Thüringer Edlen fängt, verrät der Thüringer, um seinen Falken wiederzubekommen, dem Sachsen die geheime Absprache zwischen Iring und König Theuderich. Daraufhin stürmten die Sachsen voller Wut die Burg und metzelten alles nieder, was sich ihnen in den Weg stellte. Als die Könige Theuderich und Chlothar danach die Burg betraten, waren sie sicherlich erstaunt und wütend, daß sich König Herminafrid nicht auf der Burg befand und auch der erwartete Goldschatz, den germanische Könige um sich horteten, war nirgendwo zu finden. Niemand wußte, wohin der König geflüchtet war und als einziges Zeichen des Sieges konnte man nur die beiden Kinder des gefallenen Königs Berthachar vorzeigen. In der Nacht wurde ein rauschendes Fest gefeiert. Überall brannten die Lagerfeuer und die Gesänge der Krieger und die Schreie geopferter Kriegsgefangener schallten durch die kühle Herbstnacht. Theuderich und Chlothar erklärten den sächsischen Herzögen unter Führung eines Hadugoto, daß sie das Siedlungsrecht im gesamten Nordthüringen bekämen, wenn sie die fränkische Oberhoheit anerkennen würden. Im Siegestaumel erklärten diese sich bereit und es wurde eine Grenzlinie zwischen der unteren Unstrut und der Helme, entlang den späteren Orten Sangerhausen, Nordhausen und Northeim vereinbart. Weiterhin erklärten die Frankenkönige Mittel- und Südthüringen als Teil des fränkischen Reiches und setzten einen Herzog in der Nähe des Königssitzes ihres ermordeten Schwiegervaters Baderich (Würzburg) ein. Es wurde ein Appell an den anglischen und warnischen Adel sowie an alle freien Bauern verfaßt, in dem es hieß: „Wer kooperiert, hat nichts zu befürchten!“ So wollte man auch den inneren Widerstand brechen. In den kommenden Jahren holte man fränkische Siedler ins Land, die zwischen den thüringischen Orten angesiedelt wurden und auch die fränkische Armee richtete in der Nähe wichtiger Straßen, Handelsplätzen, Heiligtümern und ehemaligen Königssitzen ein System von Wachstationen ein. Das ein Teil des altthüringischen Adels mit den Franken kooperierte, um persönliche Vorteile zu gewinnen und seinen weiteren Fortbestand zu sichern, erkennt man u.a. auch daran, daß Karl der Große noch 270 Jahre später das Recht der Thüringer als Recht der Angeln und Warnen bezeichnet („lex Thuringorum hoc est lex Angliorum et Werinorum“).
Archäologisch bezeugen Einzelgräber, aber auch ganze Gräberfelder die fränkischen Siedlungen und Wachstationen (z.B. in Alach, Schlotheim, Mittelhausen, Stotternheim, Mittelsömmern, Ammern, Bilzingsleben, Kaltenwestheim, Griefstedt und Sachsenburg), die für ein gewisses Mißtrauen der Franken gegenüber der thüringischen Bevölkerung sprechen.
Thüringen verbleibt zwar über Jahrhunderte im fränkischen Großreich, wird aber von dessen Königen immer separat behandelt, was letztendlich doch auf eine Sonderstellung schließen läßt. Kurz nach den Siegesfeiern ließen die Franken durch Boten eine Nachricht an den geflüchteten König Herminafrid zukommen, daß man ihn und seine Familie verschonen werde und sogar die Aussicht bestände, fränkischer Vizekönig in dem Teilreich Thüringen zu werden, wenn er sich ergeben würde.
Theuderich und Chlothar gingen daraufhin zurück nach Franken, wo man die beiden Königskinder vorerst standesgemäß behandelte. Unter den Königen brach aber bald ein Streit aus, wer von beiden später die Thüringer Königstochter Radegunde zur Frau bekommen sollte. Als die Nachricht zu Herminafrid durchsickerte, dachte er sofort an eine Falle und zögerte. Letztendlich unterlag er jedoch der Verlockung, vielleicht auch durch seine Gemahlin beeinflußt, sodaß er eine Zusage nach Franken sandte. König Theuderich lud ihn nach Zülpich ein und sicherte auch freies Geleit zu. Im Jahre 534 trat König Herminafrid seine letzte Reise an. Alles schien äußerst perfekt zu klappen, man wurde nirgends festgehalten und auch freundlich in Zülpich (Culpiacum) willkommen geheißen. Theuderich begrüßte Herminafrid und man führte Gespräche über die Zukunft Thüringens. Wenige Tage nach seiner Ankunft unternahmen die beiden Könige auf der Stadtmauer einen Spaziergang. Plötzlich stürzte Herminafrid von der hohen Mauer zu Tode. Was war passiert? War es ein Unfall oder wurde er vielleicht von Theuderich gestoßen? Als Todesjahr von König Theuderich wird auch das Jahr 534 angegeben, kein Datum, kein Ort. Vielleicht nutzte ja Chlothar diese Chance? Er wird durch Spione von diesem passenden Moment erfahren haben und so konnte er durch willige Vollstrecker zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen.
Als Königin Amalaberga die Nachricht vom Tod ihres Gatten erhielt, wollte sie nicht länger in ihrem geheimen Versteck bleiben und flüchtete mit ihren Kindern wahrscheinlich den Lauf der Mulde folgend über Bohemia und Noricum, das damals zum Königreich der Langobarden gehörte, bis nach Ravenna, wo ihr Bruder Theodahad 534 die umstrittene Nachfolge ihres Onkels Theoderich angetreten hatte. Nach dessen Tod 526 wurde anfänglich sein achtjähriger Enkelsohn Atalarich unter der Vormundschaft seiner Mutter Amalasuntha zum Nachfolger ernannt. Als Atalarich 534 starb, wollte seine Mutter das Ostgotenreich unter die Herrschaft Kaiser Justinians von Byzanz stellen, der 527 den oströmischen Thron bestiegen hatte. Diesen Verrat wollten die ostgotischen Herzöge nicht hinnehmen. Amalasuntha wurde gefangen genommen und Theodahad (Theodat), bereits Herzog von Tuscien, bestieg den ostgotischen Thron. Nach der Ermordung Amalasunthas kam es zum Streit zwischen Ostgoten und Byzantinern, der schließlich 536 in einem Eroberungsfeldzug des byzantinischen Feldherren Belisar (er zerschlug 534 das Wandalenreich) endete. Theodahad wurde von seinen eigenen Leuten ermordet (Optaris) und ein Witichis zum König ernannt, der aber letztendlich auch nichts der Übermacht Ostroms und Belisars entgegen zu setzen hatte (nach Prokopius von Caeserea). Amalaberga geriet mit Tochter Rodelinde und Sohn Amalafrid in byzantinische Gefangenschaft. In Konstantinopolis wurden sie allerdings königlich behandelt, Rodelinde heiratete 546 den Langobardenkönig Audoin und wurde die Mutter des späteren Königs Arian Alboin (548-572), während ihr Bruder Amalafrid die Nachfolge des großen Heerführers Belisarios (505-565) antrat, nachdem dieser beim Kaiser in Ungnade gefallen war und während seiner letzten Lebensjahre blind und bettelnd durch Konstantinopel geirrt sein soll.
Anders erging es den beiden anderen Thüringer Königskindern, die als Kriegsbeute nach Franken verschleppt wurden. Nachdem Chlothar durch die Ermordung seines Bruders Theuderich den Anspruch auf die Thüringer Königstochter Radegunde durchgesetzt hatte, wurden mit ihrem 21. Lebensjahr 539 die Hochzeitsvorbereitungen in Vitry-en-Artois getroffen. Von dort aus flieht sie, wird aber gefaßt und nach Poirtiers gebracht. Die Hochzeit mit König Chlothar findet im Jahre 540 statt und 541 wird die gemeinsame Tochter Bertha geboren. Als Chlothar 550 ihren Bruder ermorden läßt, wendet sie sich endgültig von ihm ab und geht ins Kloster. Sie empfängt die Weihen zur Nonne in Nayon und gründet später in Poitiers ein eigenes Kloster. Im Jahre 567 gelangt der römische Dichter und Biograph Venantius Honorius Fortunatus (534-609) nach Poitiers. Er wurde 534 in der Nähe von Treviso geboren und studierte später in Ravenna Grammatik, Rhetorik und Poetik. Ab 565 ist er als Dichter im Donaudelta nachweisbar, ein Jahr später in Mainz, Köln und Trier.
In Venantius findet Radegunde einen Freund, dem sie ihre Trauer um das untergegangene Königreich der Thüringer und ihre gesamte Lebensgeschichte anvertraut. Diese „Vita Radegundis“ wird das berühmteste Werk des Dichters, der im Jahr 599 selbst zum Bischof von Poirtiers geweiht wurde. Durch ihn erfuhr sie auch, daß sich ihr geliebter Vetter Amalafrid in Konstantinopel aufhielt. Als sie um das Jahr 570 mit ihm Kontakt aufnehmen wollte, wurde ihr mitgeteilt, daß dieser in einem seiner letzten Feldzüge gefallen sei. Mit Amalafrid starb zwischen 565 und 570 auch der letzte männliche Thronerbe der Thüringer.
Am 13. August 587 starb Radegunde in Poitiers. Seit dieser Zeit werden bis in unser Jahrhundert in Poitiers Wunder mit der ersten Thüringer Heiligen in Verbindung gebracht (blühende Lorbeerbäume u.a.), eine ferne Erinnerung an das alte Thüringer Königreich.