Reformbedarf und Reformoptionen der gesetzlichen Krankenversicherung


Hausarbeit, 2001

18 Seiten, Note: 2


Leseprobe


Evolutionäre Fortentwicklung des bestehenden Systems

1 Verbesserung der Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen

Nachdem zu Beginn der Reformbedarf bei der gesetzlichen Krankenversicherung erläu- tert und herausgearbeitet wurde, wo und in welchem Ausmaße Fehlanreize und Organi- sationsmängel bestehen, ging es im zweiten Teil der Arbeit um Reformoptionen, die mit einem Systemwechsel verbunden sind. Im Folgenden werden Reformoptionen darge- stellt, die eine evolutorische Weiterentwicklung des bestehenden Systems verkörpern, wobei gerade einzelne Elemente des vorher erläuterten „managed care“-Konzeptes auch in der Systemevolution inbegriffen sind, jedoch an dieser Stelle im Rahmen des derzeit bestehenden Gesundheitssystems.

1.1 Ausbau der integrierten Versorgung

Es besteht ein unausgeschöpftes Einsparpotential, das sich aus der Konsequenz insuffizienter Kooperation und Integration der medizinischen Versorgungsbereiche ergeben hat. Aufgrund neuer Bestimmungen des §140a ff. SGB V (2000) wurden den Kassen verbesserte Möglichkeiten eröffnet „die Fehlanreize der sektoralen Bugetierung durch integrierte Versorgungssysteme zu überwinden“ (SVR 2000/01: 406). Diese Neuregelungen sind insofern erforderlich, da dadurch versucht wird zu kostengünstigeren wie medizinisch effizienteren integrierten Versorgungsnetzen zu gelangen.

Diese Neuregelungen genügen aber nicht, solange von den Krankenkassen für ihre Ver- sicherten keine ökonomischen Anreize gesetzt werden, beispielsweise über Hausarzt- oder Netzarzttarife. Hierbei müsste der Anreiz sein, dass die Versicherten sich mittels einem „Lotsenarzt“ durch die sektoralen Budgets übergreifende Behandlungskette füh- ren lassen. Gemäß §140g SGB V (2000) kann den Versicherten ein Bonus gewährt werden, wenn sie die Teilnahmebedingungen mindestens ein Jahr eingehalten haben und die Versorgungsform zu Einsparungen geführt hat. Jedoch ist es unerlässlich den in den integrierten Versorgungsnetzen tätigen Leistungserbringern einen Teil der erzielten Effizienzgewinne zukommen zu lassen. Da integrierte Versorgungsformen das Ergebnis frei ausgehandelter Verträge zwischen Leistungserbringern und Krankenkassen sind, und die möglichen Inhalte der Integrationsversorgung in einer Rahmenvereinbarung zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung und den Spitzenverbänden der Kranken- kassen im Grundsatz festgelegt werden, muss deshalb auch der Auftrag der Kassenärztlichen Vereinigungen, ambulante Versorgung sicherzustellen, voll erhalten bleiben (Bundesministerium für Gesundheit 1999).

In Deutschland herrscht unzureichende Zusammenarbeit gerade auch zwischen dem ambulanten und stationären Sektor. Man muss das System so umgestalten, dass sich Kooperation für die Beteiligten mehr lohnt als gegenseitige Abschottung und Konkur- renz (Bundesministerium für Gesundheit 1999). Zur besseren Verknüpfung von ambu- lanter und stationärer Versorgung und um Lücken in der ambulanten Versorgung zu schließen, werden darüber hinaus die Möglichkeiten für Krankenhäuser, an der fachärzt- lichen Versorgung teilzunehmen, erweitert. Die Notfallversorgung könnte auch im Krankenhaus durch Vertragsärzte erfolgen. Mit dem Instrument der Verträge zur integ- rierten Versorgung erhalten die Krankenkassen die Möglichkeit, ihren Versicherten eine abgestimmte Versorgung anzubieten, bei der Haus- und Fachärzte, ärztliche und nicht- ärztliche Leistungserbringer, ambulanter und stationärer Bereich koordiniert zusam- menwirken. Bereits vorhandene Kapazitäten würden durch eine besser organisierte Zu- sammenarbeit optimiert werden. Daher würde die integrierte Versorgung zu relativen Einsparungen führen, zumal z.B. unnötige Mehrfachuntersuchungen und Kranken- hauseinweisungen unterbleiben würden. Vor allem für Menschen mit chronischen Erkrankungen oder mit mehreren Krankheiten ist die bessere Zusammenarbeit der ver- schiedenen Gesundheitsberufe und des ambulanten und stationären Bereichs wichtig. Noch zu erwähnen sei, dass jeder Versicherte an der integrierten Versorgung teilnehmen kann, die Teilnahme ist jedoch freiwillig (Bundesministerium für Gesundheit 1999).

1.2 Stärkung der hausärztlichen Versorgung

Der Hausarzt soll als Lotse gesehen werden und z.B. Doppeluntersuchungen und über- flüssige Behandlungen vermeiden, so dass zusätzliche Kosten umgangen werden und die zielgerichtete Weiterleitung des Patienten ohne Umwege direkt an den entsprechen- den Spezialisten gehen kann, wenn dies notwendig erscheint. Daher ist es wichtig, dass die Kommunikation zwischen ihm und den an der Behandlung beteiligten Fachärzten, Krankenhäusern und weiteren Einrichtungen der medizinischen Versorgung gefördert, gestärkt und verbessert wird. Ein ebenso bedeutender Ansatz dazu ist, die Hausärzte in kooperative Praxisformen zu integrieren, wie z.B. Praxisnetze, so dass den Patienten die Sicherheit gewährleistet wird, dass durch Zusammenarbeit zwischen Haus- und Fach- ärzten eine schnelle und effiziente Behandlung stattfindet.

Ebenso erfordert die Zunahme ambulanter Operationen in Krankenhäusern oder Praxen eine qualifizierte Nachsorge, in die in der Regel auch der Hausarzt einbezogen werden sollte. Das Vordringen vernetzter und integrierter Versorgungskonzepte erfordert eine stärkere behandlungszentrierte Kooperation von Versorgungsinstitutionen (SVR 2001b). Wie im vorherigen Abschnitt erläutert, ist eine gute Kooperation zwischen allen Versorgungsstufen der ärztlichen Versorgung unerlässlich und dafür ist eine wichtige Voraussetzung die Stärkung des Hausarztes. Die Beteiligung an einem Hausarztsystem muss jedoch freiwillig angelegt sein, so dass der Patient den Arzt wechseln kann, wenn er mit diesem unzufrieden ist. Seine Aufgaben, die der vertraglichen Regelung bedür- fen, sollten den Hausarzt als Koordinator und Kommunikator kennzeichnen und nicht als „gatekeeper“ wie beim bereits erklärten Konzept des „managed care“. Die an- spruchsvolle hausärztliche Tätigkeit muss durch eine entsprechende Qualifikation der Hausärzte gestützt sein, entweder durch eine verbesserte Ausbildung, die weniger spezi- alisiert sein sollte, als auch durch Weiterbildung, die auch durch Forschungsschwer- punkte gestützt sein sollte. Zudem ist für eine Stärkung der hausärztlichen Tätigkeit eine leistungsgerechte Vergütung notwendig, die auch Pauschalbestandteile enthalten sollte, damit der Gefahr einer unnötigen Mengenausweitung vorgebeugt werden kann (SVR 1995).

1.3 Stärkere Orientierung auf Prävention

Der Sachverständigenrat (SVR 2001a) schlägt vor, dass Tätigkeiten mit präventiver Zielrichtung in der ambulanten Praxis wie auch in anderen Versorgungsbereichen eine größere Rolle einnehmen sollten. Gerade die Prävention in der Hausarztpraxis bietet günstige Chancen, denn hier besteht die Möglichkeit Erstmanifestationen von Gesund- heitsproblemen zu erfassen. In diesem Bereich lässt sich eine präventive Orientierung der Gesamtversorgung vornehmen bzw. steuern, indem eine langfristige und kontinuier- liche Betreuung übernommen wird. Die Förderung einer verstärkten Prävention muss aber schon beim Patienten selbst ansetzen, d.h. es muss ihm nahegebracht werden, dass eine Vielzahl von Ansatzpunkten zur Verbesserung der Gesundheitsförderung und Prä- vention im eigenen Verhalten begründet sind. Dazu muss der Bevölkerung klar gemacht werden, dass Gesundheitsförderung und Prävention besser kooperativ mit ihnen selbst erfolgen und nicht nur für sie getan werden muss (SVR 1995). Als besonders verbesse- rungsfähig muss darüber hinaus die Gesundheitsberatung über präventive Möglichkei- ten, pharmakologische Präventionsmethoden und Lebensstilveränderungen angesehen werden. Laut dem Rat (SVR 2001a) gibt es viele Hinweise darauf, dass die Kompetenz von Ärzten in der Gesundheitsberatung mit präventiver und gesundheitsfördernder In- tention verbesserungsbedürftig ist. Gründe seien, das Fehlen sowohl geeigneter Ange- bote der Fort-, Weiter- und Ausbildung als auch der Forschungs- und Entwicklungsar- beiten, die auf eine hilfreiche Beratungs- bzw. Gesprächsform des Hausarztes abzielen, und die beim jeweiligen Patienten ansetzen und vor allem partizipative Elemente enthal- ten sollten. Im Sondergutachten 1995 (SVR 1995) wird besonders darauf hingewiesen, dass Maßnahmen in den Bereichen der primären (Leistungen zur Krankheitsverhütung und Gesundheitsvorsorge), sekundären (Früherkennungsuntersuchungen z.B. Krebsvor- sorge) und tertiären Prävention (Interventionen zur Verhinderung bleibender Funktions- einbußen bei manifesten Erkrankungen) ergriffen und weiter ausgebaut werden müss- ten. Gerade im Bereich der primären Prävention sollten gemeindenahe Initiativen und Veranstaltungen der Ärzteschaft, der Krankenkassen und der Bildungseinrichtungen vielfältige Gelegenheiten zur Information, zum Gruppentraining und zur individuellen Gestaltung einer gesundheitsbewussten Lebensweise bieten oder verstärkter als momen- tan anbieten (SVR 2001a). Jedoch fehlt weiterhin im Leistungsangebot der GKV eine umfassende Gesundheitsberatung, die auf eine individuelle Anamnese gegründet sein und Anlagen, Familie, persönliche Gewohnheiten und das Arbeitsumfeld berücksichti- gen sollte. Der Rat empfiehlt solche Gesundheitsberatungen in den Leistungskatalog der GKV aufzunehmen und ihren Inhalt vertraglich zu regeln. Sollen Gesundheitsförderung und primäre Prävention im Leistungsgeschehen der GKV einen höheren Stellenwert erhalten, so müssen diesem Bereich mehr Mittel zugewiesen werden. Vorstellbar sind unterschiedliche Finanzierungsoptionen (SVR 1995), die leider über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen würden.

Zur Zeit gibt es nur Anreize der Krankenkassen zur Förderung eines gesundheitsgemäßen Verhaltens als Bonus auf Zahnersatz für den regelmäßigen Zahnarztbesuch. Dies müsste auch auf andere Bereiche übertragen werden (SVR 1995).

Zur Vollständigkeit des Themas Prävention sind noch die Sekundär- und die Tertiärprä- vention anzuführen. Besonders in diesen Bereichen fällt auf, dass eine Vernetzung sol- cher Präventionsmaßnahmen noch an vielen Stellen fehlt und auch ein Überblick über die Präventionsangebote einer Region oft nicht vorhanden ist. Die Vernetzung müsste weiter ausgebaut werden, insbesondere auf kommunaler Ebene zwischen Ärzten, Klini- ken, öffentlichen Gesundheitsdienst, Krankenkassen, Verbraucherberatungsstellen und Selbsthilfeeinrichtungen (SVR 2001a).

1.4 Verringerung der nicht präventiven Arztbesuche

Ein großes Problem im deutschen Gesundheitssystem sind sehr hohe Kontaktquoten zwischen Patienten und Ambulanzärzten (SVR 2000/01). Der Rat betont, dass bei einer bereits im Jahre 1989 durchgeführten Studie 18% der ambulanten Patienten, die einen Arzt wegen ihren Befindlichkeitsstörungen kontaktierten, diese selbst als leicht einstuf- ten, während die behandelnden Ärzte sogar fast 30% davon als unbeträchtlich ansahen. Dies lässt vermuten, dass das Nachfrageverhalten der Patienten kostensteigernd und medizinsch wenig begründet ist. Daher sollte gerade in diesem Bereich die Eigenver- antwortlichkeit der Patienten stärker entfaltet werden, so dass die Kosten, die durch solch einen Arztbesuch erzeugt werden, bekämpft werden. Hier stehen zur Diskussion bestimmte Maßnahmen, beispielsweise Selbstbehalte oder eine Beitragsrückgewähr, wobei Studien zeigten, dass Selbstbeteiligungen eher zu einem zusätzlichen Finanzie- rungsinstrument wurden und weniger die Wirkung als Steuerungsinstrument zeigten. Das Nachfrageverhalten wurde ebenso nicht durch Beitragsrückgewähr in dem Maße abgeschwächt wie man sich erhofft hatte, lediglich die Kassen nutzten dieses Instrument um für „gute Risiken“ zu werben.

Der Sachverständigenrat empfiehlt jedoch das Kostenbewusstsein der Versicherten zu erhöhen, indem ökonomische Anreize eingeführt werden sollten, z.B. über Erhebung einer Praxisgebühr, die bei jedem Erstbesuch aufgrund einer Erkrankung eingefordert werden müsste, um dadurch auch den angebotsseitigen Nachfrageausweitungen entge- genzuwirken. Dabei sollten chronisch Kranke, Verunfallte und Kinder von solch einer Gebühr ausgeschlossen werden, genauso wie die vorherige besprochene Reformoption der präventiven Untersuchungsangebote. Diese Gebühr würde nur den Krankenkassen zufließen, nicht aber den Ärzten.

1.5 Erweiterung von Patientenrechten und Patientenschutz

Die ehemalige Gesundheitsministerin Fischer nennt in einem Informationspapier zur Gesundheitsreform 2000 (Bundesministerium für Gesundheit 1999), dass das deutsche Gesundheitswesen bisher überwiegend auf Leistungserbringer und Kostenträger ausge- richtet ist. Patienten würden meist als Objekte der Fürsorge auftauchen, daher fordert sie eine stärkere Umorientierung auf die Versicherten und Patienten. So könnte man auch erreichen, dass diese mehr Selbstverantwortung für Gesundheit und Krankheit über- nehmen. Denn nur gut informierte und aufgeklärte Versicherte und Patienten sind in der Lage ihre Gesundheit zu fördern und die Einrichtungen des Gesundheitssystems sinn- voll zu gebrauchen und dadurch auch mit zum Erfolg einer Behandlung beizutragen.

Der Sachverständigenrat hat bereits in seinem Jahresgutachten 1992 gefordert, dass die bereits bestehenden Rechte der Patienten in einer Patientenrechts-Charta, die dem Ver- sicherten und Patienten zugänglich sein muss, sichergestellt werden. Diese Charta soll eine Art Wegweiser für den Patienten zur verantwortlichen Wahrnehmung seiner Rech- te und Möglichkeiten werden (SVR 2001a). Bisher sind die wichtigsten Patientenrechte durch die Rechtssprechung zur Haftung des Arztes bei Behandlungsfehlern entwickelt worden. Nun muss man umfassend die Rechte sichern, wie dies richtungsweisend mit der Patienten-Charta geschehen soll. Ob dazu ein eigenes Patientenschutzgesetz erfor- derlich ist oder ergänzend zu bestehenden Gesetzen erfolgen soll oder auf anderem We- ge, ist noch nicht sicher. Künftig sollen auch die Möglichkeiten der Krankenkassen zur Unterstützung entsprechender Beratungs- und Informationsstellen, wie z.B. Einrichtun- gen der Verbraucher- und Patientenberatung, erweitert und modellhaft gefördert wer- den. Intensiviert werden soll auch die Beratung von Versicherten durch den Medizini- schen Dienst der Krankenkassen und die Versicherten sollen aktiver durch die Kran- kenkassen unterstützt werden, wenn es um die Verfolgung von Schadenersatzansprü- chen aus Behandlungsfehlern geht (Bundesministerium für Gesundheit 1999). Der Sachverständigenrat empfiehlt (SVR 2001a), dass die bislang in verschiedenen Geset- zestexten verstreuten Patientenrechte in einem Patientenrechte-Gesetz zusammenzufas- sen sind. Dabei sollte die Rechtsangleichung an europäisches Recht berücksichtigt wer- den.

1.6 Abbau der ambulanten Überversorgung / Bedarfsplanung

Das deutsche Gesundheitssystem ist gekennzeichnet durch eine deutliche Überverso- rung im ambulanten Bereich, d.h. durch viel zu viele ambulant praktizierende Ärzte. Durch zu viele Ärzte wird die medizinische Versorgung nicht besser, sie wird aber ko- stenspieliger. Man hat bisher versucht dem entgegenzuwirken, indem die Zulassung von Vertragsärzten begrenzt wurde, jedoch hat diese Maßnahme nicht zu einer am Bedarf orientierten Zahl von Vertragsärzten geführt. Daher wird diese Regelung ab 2003, von der derzeitig amtierenden Regierung beschlossen, durch eine Bedarfszulassung zur ver- tragsärztlichen Versorgung abgelöst. Dabei soll versucht werden, eine gleichmäßige hausärztliche und fachärztliche Versorgung sicherzustellen. Dies soll durch die Grund- lage von gesetzlich zu regelnden Verhältniszahlen geschehen. Bis die Bedarfszulassung in Kraft tritt, werden die gegenwärtigen Überversorgungsgrenzen festgeschrieben. Hierbei sollen Krankenkassen und Kassenärztliche Vereinigungen die Möglichkeit erhalten, Vertragsarztpraxen in überversorgten Regionen zur Schließung zu bewegen, indem sie eine am Verkehrswert bemessene Entschädigung erhalten, und Facharztsitze in solche für Hausärzte umzuwandeln (Bundesministerium für Gesundheit 1999).

1.7 Kopf- und Fallpauschalen statt Einzelleistungsvergütungen

Mit dem am 1. Januar 2000 in Kraft getretenen Reformgesetz bestimmt der Gesetzgeber die Einführung eines durchgängigen, leistungsorientierten und pauschalierenden Ent- geltsystems ab dem 1. Januar 2003. Dieses Entgeltsystem wird das in der Bundespflege- satzverordnung verankerte, seit Januar 1995 geltende Vergütungssystem von Fallpau- schalen und Sonderentgelten sowie von krankenhausindividuell vereinbarten tagesglei- chen Pflegesätzen ablösen. Jedoch besitzen unterschiedliche Vergütungssysteme unter- schiedliche Anreizwirkungen. Einerseits kann die Maximierung des Einkommens in einem System tagesgleicher Pflegesätze über die Ausdehnung von Verweildauern erfol- gen. Andererseits setzen Fallpauschalen den ökonomischen Anreiz zu einer Ausdeh- nung von Fallzahlen, zu einer Verkürzung der Verweildauer, unter Umständen zu quali- tätsmindernden Reduktionen des Ressourceneinsatzes pro Fall, sowie zu einer Einstu- fung von Patientenfällen in eine möglichst hoch vergütete Fallgruppe. Dagegen besteht in einem System der Einzelleistungsvergütungen der ökonomische Anreiz zu einer Ausdehnung von Einzelleistungen. Das Ziel der Einführung des neuen Vergütungssys- tems - das so von der Regierung begründet wird - besteht in der angestrebten Reduzie- rung von Krankenhausbetten infolge verkürzter Verweildauern, die als eine Vorausset- zung zur Erreichung stabiler Beitragssätze in der GKV betrachtet wird. Der Sachver- ständigenrat ist jedoch der Auffassung, dass diese Neuregelung zu kurz greift und den Interessen der Versicherten und der Patienten an einer qualitätsorientierten und wirt- schaftlichen Gesundheitsversorgung nicht angemessen nachkommt. Das Ziel einer Um- stellung der Vergütung stationärer Leistungen auf Fallpauschalen kann nur in einer effi- zienteren Versorgung gesehen werden, nicht aber an einem zu engem Festhalten am Prinzip der Beitragssatzstabilität. Nach dem Rat ist eine Voraussetzung für eine effiziente Leistungserbringung eine leistungsgerechte Vergütung. Diese setzt jedoch voraus, dass die der Vergütung zugrundeliegenden Leistungseinheiten kontrollierbar und vergleichbar sein müssen, um beim Anbieter den Anreiz zu setzen, diese effizient zu erbringen. Erwähnt wurde bereits, dass die Fallpauschalen auch erbringen. Erwähnt wurde bereits, dass die Fallpauschalen auch Qualitätsverschlechte- rungsgefahren bewirken könnten. Um diesen entgegenzuwirken schlägt der Rat vor, gleichzeitig zur Einführung der Fallpauschalen auch Maßnahmen der Qualitätssicherung und des Qualitätsmanagements zu ergreifen. Zu berücksichtigen sind auch die Qualitätsindikatoren bei der Leistungsvergütung. Bedeutend ist ebenso eine Flexibilisierung der Vertragsbeziehungen zwischen Kassen und Krankenhäusern mit dem Zweck die Qualität der stationären Versorgung zum zentralen Parameter von Verträgen und damit zum Wettbewerbsparameter der Krankenkassen zu machen (SVR 2001b).

Die derzeit amtierende Regierung schlägt zur weiteren Reform auch vor, diese Vergü- tungsform im ambulanten Bereich mit einzubeziehen, da im ambulanten Bereich die Vergütung derzeit noch unverändert auf der Einzelleistungshonorierung basiert. Gerade in diesem Bereich besteht durch dieses Honorierungssystem die Gefahr einer Einkom- mensteigerung der Praxisinhaber durch Ausweitung der Leistungen und dies wirkt dem Ziel einer wirksamen kostenminimierenden Behandlung der Patienten entgegen. Hier schlägt die Regierung vor - analog zum Krankenhausbereich - eine Regelung auszu- formen, die Anreize zu einer schnellen kostengünstigen Therapierung schafft und nicht eine Maximierung medizinisch nicht notwendiger Einzelleistungen erzeugt. Angeführt wird von der Regierung das Beispiel der Vereinigten Staaten, wo Hausärzte bereits auf Basis von Kopfpauschalen honoriert werden, die durch einen geringen Anteil an Einzel- leistungshonorierung ergänzt werden und zwar für Leistungen im Übergangsbereich zur fachärztlichen Versorgung. Fachärzte werden dort auf der Basis von Fallpauschalen honoriert, mit einem geringen Ergänzungsanteil an Einzelleistungenhonorierung für besonderen Aufwand (Bundesministerium für Gesundheit 1999).

1.8 Ausweitung und Stabilisierung der Beitragsgrundlagen

Ein gravierendes Dilemma bei den Krankenkassenbeiträgen besteht bei freiwillig versi- cherten Rentnern. Diese müssen teilweise viel höhere Beiträge leisten als alle anderen, da bei ihnen sowohl das Renteneinkommen mit Krankenkassenbeiträgen belastet wird, als auch ihre Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, sowie aus Kapitalvermögen. Nach dem Bundesverfassungsgericht stellt dies eine verfassungswidrige Ungleichbe- handlung dar. Der Sachverständigenrat empfiehlt den Ansatz die Beitragsgrundlage auszuweiten. Entweder könnte die Ungleichbehandlung damit angegangen werden, die freiwillig Versicherten wie Pflichtversicherte zu behandeln, so dass nur das Rentenein- kommen von den Beiträgen belastet würde. Eine andere Alternative wäre, bei allen Rentnern Beiträge von der umfassenden Bemessungsgrundlage der freiwillig versicher- ten Rentner zu erheben. Das Bundesverfassungsgericht würde auch darauf Einspruch erheben, weil dann noch Arbeitnehmer und Rentner ungleich behandelt werden würden. Daher wäre es dann konsequent für alle Versicherten die Beitragsbasis um die Vermö- genseinkommen zu erweitern, so wie es bereits bei den freiwillig versicherten Rentnern erfolgt. Das Problem dabei wäre, dass die Beiträge auf Vermögenseinkommen nicht wie lohnabhängige Beiträge durch den Arbeitgeber einbehalten und überwiesen werden könnten. Da es sich um Nichtlohneinkommen handelt, wäre eine Selbstdeklaration not- wendig, die aber jährlich über Stichproben kontrolliert werden müsste. Weiterhin be- steht noch der Vorschlag, sowohl bei einer erweiterten Bemessungsgrundlage für die Pflichtversicherten, als auch bei einem ausgeweiteten Versichertenkreis, die bislang zu erbringenden Arbeitgeberanteile in Barlöhne umzuwandeln. Werden die Barlöhne als unterschlagene Barlohnbestandteile angesehen, wäre konsequentermaßen abzuleiten, dass bei einer Ausweitung der Versichertenkreise von den neu dazugekommenen Mit- gliedern, die nicht abhängig beschäftigt sind, einen vollen Beitrag und nicht nur den Arbeitnehmeranteil zu erheben (SVR 2000/01).

2 Mehr Wettbewerb in der Krankenversicherung

Der zunehmende Wettbewerb um Versicherte wird zu einer stärkeren Aufmerksamkeit der Kassen auf die Bedürfnisse der Versicherten führen müssen. Dies ist ein wün- schenswerter Prozess, da er die zu versorgende Bevölkerung in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stellt. Daher wird im Folgenden erläutert, wie es durch die Weiterent- wicklung des Risikostrukturausgleichs und der Kassenwahlfreiheit zu mehr Wettbewerb in der GKV kommen kann.

2.1 Weiterentwicklung des Risikostrukturausgleichs

Der Risikostrukturausgleich wurde 1994 erstmals eingeführt. Der Risikostrukturaus- gleich ist notwendig, um eine solidarische Wettbewerbsordnung in der GKV aufrecht- zuerhalten und erfordert eine Orientierung an der Morbidität. Obwohl es den Risiko- strukturausgleich gibt, haben die Kassen viel mehr Interesse an Personen, die durch gute Risiken charakterisiert sind. Die Ursache dafür ist, dass der Beitragsbedarf einer Kasse an den tatsächlichen Durchschnittskosten ermittelt wird und nicht an den tatsächlichen Morbiditätsrisiken. Der Sachverständigenrat rät daher den Ausgleich so anzulegen, dass er auf den direkten Morbiditätsrisiken basiert und nicht auf einer indirekten Morbidi- tätsmessung anhand der ungenauen Merkmale Invalidität, Geschlecht und Alter. Dazu sollte ein verpflichtender, von den Kassen zu finanzierender „Hochrisikopool“ aufge- baut werden, in dem man die besonders kostspieligen Fälle aller beteiligten Kassen zu- sammenfasst. Dadurch würden die Anreize zu einer auf Risikoselektion ausgerichteten Politik der Kassen deutlich vermindert werden, jedoch sollte dabei das Ausgleichsvo- lumen nicht hinaufgesetzt werden. Ein kostensenkender effizienter Kassenwettbewerb kommt erst zustande, umso weniger attraktiv eine Risikoselektion hinsichtlich mögli- cher damit verbundener Beitragssenkungen ist (SVR 2000/01). Der Rat fordert auch, dass besondere Risikogruppen im Risikostrukturausgleich zu berücksichtigen sind. Gel- ten soll dies, wenn diese Gruppen, nach Bereinigung um die schon im Ausgleich be- rücksichtigten Faktoren, nachweisbar höhere Ausgaben verursachen und ein bedeutsa- mer Anteil von Versicherten betroffen ist. Ebenso wenn der Anteil dieser Gruppen bei den Kassen deutlich unterschiedlich ist (SVR 1995).

Die AOK hat zur Weiterentwicklung des RSA einen dreistufigen Stufenplan vorge- schlagen. In der ersten Stufe wird ab 2002 ein „Risikopool“ eingeführt. Da der bisherige RSA den Finanzbedarf für kranke Versicherte nicht und erst recht nicht für chronisch Kranke und Schwerkranke berücksichtigt, sollte in einer zweiten Stufe versucht werden einen „Chronikerpool“ einzurichten, so dass der „Hochrisikopool“ durch die weitere Komponente für chronisch kranke Versicherte erweitert wird. Dadurch könnten solida- risch zwischen allen Krankenkassen besondere Belastungen von Krankenkassen, die durch eine verbesserte Qualität der Versorgung von chronisch kranken Versicherten entstehen, verteilt werden. In einer dritten Stufe sollte der RSA mittelfristig direkt an der Morbidität ausgerichtet werden. So sollten zu den bisherigen Ausgleichsfaktoren, wie Alter, Geschlecht etc., die die Morbiditätsunterschiede nicht genau abbilden, künf- tig auch Diagnose-/ Kostengruppen berücksichtigt werden. Damit könnten Risikobelas- tungsunterschiede zwischen den Krankenkassen besser als bisher ausgeglichen und das Interesse der Kasse an Risikoselektion am wirksamsten neutralisiert werden (Schwarz 2001). Lauterbach und Wille (2001) schlagen in ihrem Sofortprogramm „Wechsler- komponente und solidarische Rückversicherung“ unter Berücksichtigung der Morbidität zusätzlich die Einbeziehung des Kriteriums „Kassenwechsel“ vor. Laut ihnen hat sich empirisch gezeigt, dass das Kriterium „Kassenwechsel“ ein sehr gutes Merkmal ist, um die Höhe der Leistungsausgaben für einen Versicherten abschätzen zu können. Versi- cherte, die ihre Krankenkasse wechseln, weisen eine geringere Morbidität auf als Nicht- Wechsler, daher sollte man diese Komponente zusätzlich im RSA einfügen. Der Grund hierfür ist, dass erkrankte Versicherte nur wenig die Krankenkasse wechseln. Somit befinden sich die gesunden Versicherten in beitragsgünstigen Krankenkassen, die dann dadurch die Beitragssätze abermals senken können. Im Gegensatz sind Krankenkassen mit hohen Morbiditätsrisiken unter ihren Versicherten angehalten, wegen der Abwande- rung die Beitragssätze zu erhöhen. Dieses Selektionsproblem sollte also durch eine Ein- führung einer Wechslerkomponente aufgehoben werden. Jedoch geben Lauterbach und Wille (2001) einen zweiten Lösungsschritt für den RSA an, eine solidarische Rückver- sicherung zur Verbesserung der Versorgungsqualität bei chronischen Erkrankungen. Der RSA sollte für ausgewählte chronische Erkrankungen die Mehrkosten erstatten, damit auch für diese Versichertengruppen eine optimale Versorgung zur Verfügung gestellt werden kann. Dabei müssten die durchschnittlichen Kosten dieser Versicherten durch eine solidarische Rückversicherung angerechnet werden, aber nur wenn diese sich in qualitätsgesicherte „Disease Management Programme“ eingetragen haben, was frei- willig sein würde. Die Rückversicherung führt nach Lauterbach und Wille (2001) zu einem Anreiz zur Verbesserung der Versorgungsqualität und Steigerung der Effizienz, wenn eine Krankenkasse durch optimales Versorgungsmanagement die Behandlungs- kosten ihrer chronisch kranken Versicherten gering hält. Dadurch würde der Kranken- kasse ein Gewinn gegenüber dem Durchschnitt aller anderen Krankenkassen verbleiben.

2.2 Kassenwahlfreiheit

Die GKV erstreckt sich auf verschiedene Kassenarten, die allen Mitgliedern der GKV offen stehen. Ausgenommen sind die Bundesknappenschaft, die landwirtschaftlichen Krankenkassen sowie die Seekrankenkasse, diese sind nämlich ausschließlich für versi- cherungspflichtige Bergleute, Landwirte und Seeleute zuständig. Betriebs- und In- nungskrankenkassen stehen allen Versicherten dann offen, wenn sich die Kassen durch Satzungsbeschluss dazu ausgesprochen haben. Damit ist ein erster Schritt in Richtung Gleichstellung aller Krankenkassen im Wettbewerb getan. Gilt der Kontrahierungs- zwang für alle Krankenkassen einheitlich, würde das die Wahlmöglichkeiten der Versi- cherten erweitern und die Wettbewerbsbedingungen für die Kassen angleichen. Daher riet der Rat (SVR 1995) an eine grundsätzliche Öffnung von Betriebs- und Innungs- krankenkassen für berechtigte Mitglieder und Rentner anzustreben. Bei einer generellen Öffnung sind aber Nachteile darin zu sehen, dass eine mögliche Identifikation von Ar- beitgebern und Versicherten mit ihrer Kasse und daraus ableitbares wirtschaftliches Verhalten verloren geht. Letzteres gilt aber mehr oder weniger für alle Kassen (SVR 1995).

3 Leistungs- und Versicherungsumfang der Krankenversicherung

Im Folgenden sollen Möglichkeiten zur evolutorischen Weiterentwicklung des Leistungs- und Versicherungsumfanges der GKV aufgezeigt werden.

3.1 Begrenzung des Leistungskatalogs

Da bei einer starren Beibehaltung der derzeitigen Ausgaben- und Einnahmengebarung im Rahmen der GKV schon in absehbarer Zeit entweder steigende Ausgaben und Bei- tragssätze oder eine deutliche Verschärfung der Rationierung erfolgen werden, muss sich laut dem Sachverständigenrat der solidarisch finanzierte Schutz auf solche Erkran- kungen konzentrieren, deren aussichtsreiche Behandlung den Versicherten unzumutbar ökonomisch belastet. Ansonsten müssen die Krankheiten, die mit geringem Einkom- mensrisiko oder gesundheitlich nicht gravierenden Folgen verbunden sind, dem Versi- cherten zur Eigenvorsorge überlassen werden. Auch medizinische Leistungen mit Kon- sumcharakter muss der Versicherte selber tragen. Derzeit ist der Leistungskatalog ziem- lich offen, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, wie z.B. im Bereich der Repro- duktionsmedizin. Oft wird gefordert diesen offenen Leistungskatalog in solidarisch ab- gesicherte „Grundleistungen“ und möglicherweise privat abzusichernde „Wahlleistun- gen“ aufzuspalten. Der Rat argumentiert jedoch, dass es schwierig sei, einen Grund- leistungkatalog so zu erstellen, dass die Morbiditätsrisiken nicht erhöht werden würden. Erfolgversprechender wäre, bei dem Prinzip des offenen Leistungskataloges zu bleiben, aber über eine Negativliste die ausgeschlossenen Leistungen auszudehnen, etwa kosme- tische Eingriffe, bestimmte Psychotherapieformen oder auch Zahnersatz - um nur eini- ge wenige zu nennen. Gleichfalls sollte der Katalog mit bereits aufgeführten Trivialer- krankungen durch weitere ergänzt werden. Weniger kostenreicher wäre eine Auflistung von Diagnose- und Therapieformen wie auch der verordneten Medikamente. Jede der aufgenommenen Diagnose- und Therapiearten muss eine medizinische Unerlässlichkeit darstellen, die sich auf wissenschaftliche Untersuchungen stützen und dabei bei der spe- zifischen Indikation ihre Effektivität bewiesen sein muss. So könnte verstärkt die Kon- zentration auf notwendige Behandlungen erfolgen, wobei noch zusätzlich ein Behand- lungscontrolling durch die Kassen durchgeführt werden müsste (SVR 2000/01).

Durch eine Negativliste sind bereits schon bestimmte Arzneimittel von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgenommen. Mit einer Negativliste werden Medikamente, deren therapeutischer Nutzen nicht nachgewiesen ist oder deren Wirkung aufgrund der Vielzahl ihrer Wirkstoffe nicht sicher beurteilt werden kann, von der Erstattung ausge- schlossen. Die Negativliste soll im Jahr 2002 durch die mit der Gesundheitsreform 2000 beschlossene Positivliste abgelöst werden. Die Positivliste soll alle Medikamente ent- halten, die bei behandlungspflichtigen Gesundheitsstörungen und Krankheiten wirksam und zweckmäßig einsetzbar sind (Bundesministerium für Gesundheit 2001). Dabei soll die Positivliste auch eine Zweitzulassung eines Präparats als erstattungsfähiges Medi- kament enthalten, was nicht zu einer Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit füh- ren dürfte und ferner den Leistungswettbewerb auf dem Arzneimittelmarkt intensivieren könnte. Zudem wird die Positivliste von einer Kommision unabhängiger Wissenschaft- ler erarbeitet, bei der auch Vertreter der alternativen Medizin vertreten sind, so dass auch Arzneimittel der besonderen Therapierichtungen geprüft und in die Liste aufge- nommen werden (Bundesministerium für Gesundheit 1999). Die Regierung betont, dass mit der Positivliste nicht in erster Linie gespart werden soll, denn das Hauptziel sei die Verbesserung der Arzneimitteltherapie und dies solle dadurch erreicht werden, dass nur zweckmäßige Arzneimittel mit nachgewiesenem therapeutischen Nutzen künftig von den Krankenkassen bezahlt werden dürfen. Zusätzlich wird durch diese Liste der Arz- neimittelmarkt in der GKV überschaubarer.

3.2 Wahlmöglichkeiten der Versicherten beim Leistungsumfang

Der Sachverständigenrat (SVR 1995) ist der Meinung, dass bei einer wettbewerblichen Weiterentwicklung des Krankenversicherungssystems für die Krankenkassen zwingend wird, die Präferenzen der Versicherten stärker in den Vordergrund zu stellen. Heute sind die Wahlmöglichkeiten der Versicherten in der GKV noch sehr gering. Dies kann nur dann gerechtfertigt werden, wenn davon auszugehen ist, dass alle Versicherten den glei- chen Versicherungsumfang wünschen. Jedoch ist bekannt, dass die Bereitschaft der Versicherten sich zu versichern - in allen Lebensbereichen - unterschiedlich ausgeprägt ist. Um die Wahlmöglichkeiten bestimmen zu können, ist es notwendig, eine Bezugs- grundlage zu definieren die für alle Versicherten gemeinsam und einheitlich gelten muss. Derjenige Versicherte, der keine Wahlmöglichkeit wahrnimmt, für den gilt dann das gemeinsame und einheitliche Pflichtleistungsangebot aller Krankenkassen. Der Rat legt nahe, den derzeit geltenden Leistungsumfang - bereinigt um etliche krankenversi- cherungsfremde Leistungen - als Bezugsgrundlage anzusetzen, von dem aus Zu- und Abwahl von Leistungen getätigt werden können. Denkbar sind verschiedene Arten der wahlweisen Erweiterung des Krankenversicherungsschutzes. Zum einen, dass alle Ver- sicherten einer Krankenkasse solidarisch finanzierte Leistungen per Satzung erhalten. Zum anderen, dass Teilgruppen von Versicherten einer Krankenkasse einen in der Teil- gruppe solidarisch finanzierten erweiterten Leistungsanspruch erhalten, soweit sie sich an dessen Finanzierung beteiligen. Ansonsten könnten einzelne Versicherte ihren Kran- kenversicherungsschutz individuell erweitern, wenn sie bereit wären, für die Finanzie- rung risikoäquivalent aufzukommen. Satzungsleistungen bei gesetzlichen Krankenkas- sen und Zusatzversicherungen bei privaten Krankenversicherungen sind heute in vielen Bereichen schon möglich. Solidarisch finanzierte Zuwahlleistungen für Teilgruppen - dies wäre neu - gehen davon aus, dass es unter Wettbewerbsgesichtspunkten wün- schenswert sein könnte, Versichertengruppen die Möglichkeit zu geben, bestimmte Lei- stungen zu wählen, die nicht von allen Versicherten der Kasse solidarisch finanziert werden, sondern nur von der Gruppe der Anspruchsberechtigten. Die Beiträge würden nach dem Prinzip der Teilgruppenäquivalenz kalkuliert. Privatfinanzierte Zuwahl- möglichkeiten sind bisher bereits auf dem Weg der privaten Zusatzversicherung mög- lich. Eine Öffnung der GKV in Richtung dieser nach dem Äquivalenzprinzip kalkulier- ter Zuwahltarife hält der Rat ohne weitere Annäherung der GKV und der PKV für nicht empfehlenswert.

Das derzeitige gesetzliche Krankenversicherungssystem sieht bisher eine Abwahl von Leistungen nicht vor. Versicherte, die bereit sind, einen Teil des Krankheitsrisikos selbst zu übernehmen, indem sie auf einen Teil des Leistungsanspruchs gegen ihre Krankenkasse verzichten, sollen in Höhe der eigenverantwortlichen Risikoübernahme eine Beitragssenkung erhalten. Um zu verhindern, dass Versicherte mehr Leistungen abwählen, als dann auch selbst finanziell übernommen werden können, ist eine Begren- zung der Abwahlmöglichkeiten vorzusehen. Der Rat schlägt hierzu vor, dass Versicher- te eine jährliche direkte Kostenübernahme von maximal der Höhe eines vollen Monats- beitrages wählen können (SVR 1995).

3.3 Ausgliederung beeinflussbarer Risiken

Risiken, die von den Versicherten individuell beeinflussbar sind, sollten nicht weiter versicherbar bleiben. Dieser Leistungsausschluss wird durch eine Stärkung des Solidar- prinzips begründet, so dass die Kosten von individuell in Kauf genommenen Unfallrisi- ken, bei deren Ausschluss das Solidarprinzip nicht gefährden. Weiter wird vom Rat be- gründet, dass man dann auch eine fiskalische Entlastung der GKV erreichen könnte. Beispielsweise würden medizinische Leistungen, die bei Verletzungen durch Motorrad- oder Auto-Unfälle erforderlich wären, dem Patienten individuell zugerechnet werden. Jedoch wäre eine Absicherung des Krankheitsrisikos durch eine private Pflichtversiche- rung vorgeschrieben. Somit sollten, wegen der individuellen Beeinflussbarkeit, Krank- heitsfolgen nach Auto- und Motorradunfällen nicht der Solidargemeinschaft der GKV übertragen werden. Ebenso wird im Bereich der zahnärztlichen Leistungen eine Verla- gerung aus dem gesetzlichen Krankenversicherungskatalog, bei individuell beeinfluss- baren Zahnerkrankungen, für möglich betrachtet. Auf Basis von Gutachten hat der Rat auf Leistungen verwiesen, die für eine Ausgliederung aus der Leistungspflicht der GKV nach dem Kriterium der Beeinflussbarkeit am ehesten in Frage kommen könnten. Vor- aussetzung dafür ist jedoch, dass solch eine Leistungsausgliederung nur mit einer stark verbesserten, staatlich finanzierten Gesundheitserziehung einher gehen kann (SVR 1995).

3.4 Ausgrenzung von krankenversicherungsfremden Leistungen

Es wird oft diskutiert sogenannte krankenversicherungsfremde Leistungen aus den Leis- tungen der GKV auszugrenzen. Leistungen, die sich nicht unmittelbar auf Krankheiten und ihre Folgen beziehen und in der Vergangenheit in die Verantwortung der Kranken- kassen gefallen sind, sollten aus dem Katalog der GKV ausgelagert und von anderen Trägern übernommen werden. Solche Leistungen wären z.B. die Versorgung der Versi- cherten bis zum vollendeten 20. Lebensjahr mit empfängnisverhütenden Mitteln, das Mutterschaftsgeld, das Entbindungsgeld, das Krankengeld bei Erkrankung des Kindes, etc. Wenn zur Diskussion steht diese Leistungen woandershin zu verlagern, muss ge- prüft werden, wer dann die Finanzierung übernehmen sollte. Grundsätzlich möglich ist natürlich eine Absicherung der ausgegliederten Leistungen durch private Krankenversi- cherungen oder Zusatztarife in der GKV (SVR 1995).

Die derzeitige Regierung jedoch argumentiert, dass es keine allgemein gültige Definition oder eine Übereinkunft darüber gibt, was versicherungsfremde Leistungen überhaupt sind. Darunter wird zwar das Mutterschaftsgeld verstanden bis hin zu Leistungen der Fortpflanzungsmedizin oder sogar die beitragsfreie Versicherung von nichterwerbstätigen Familienangehörigen - was im Folgenden besprochen wird - aber es besteht keine gesicherte Definition (Bundesministerium für Gesundheit 1999).

3.5 Neuregelung der Familienbelastung

Laut Sachverständigenrat stellt sich bei der Einbeziehung mitversicherter Familienan- gehöriger in die GKV weniger die Frage nach der gesundheitlichen Bedrohung, sondern nach der Art der Finanzierung. Wenn man den Familienlastenausgleich versicherungs- ökonomisch betrachtet, stellt er kein Gegenstand des Krankenversicherungsschutzes dar. Der Rat schlägt vor, dass der Familienlastenausgleich, der derzeit nur für Mitversi- cherte von gesetzlich krankenversicherten Mitgliedern gilt, über allgemeine Deckungs- mittel für die gesamte Bevölkerung zur Verfügung gestellt werden müsste. Die Bei- tragssätze in der GKV würden um zwei bis drei Beitragspunkte sinken (SVR 1995) und die Finanzierung über den Bundeshaushalt durch Ausgabenkürzungen und/oder Steuer- erhöhungen erfolgen. Dem Rat erscheint diese Vorstellung aber wenig realistisch. Er hält diesen Weg zur Stärkung des Versicherungsgedankens und des Äquivalenzprinzips für nicht empfehlenswert, da er die Mitversicherung von Familienangehörigen als Teil des die GKV bestimmenden Solidarausgleichs ansieht und daher sollte diese bei der GKV bleiben und nicht in die Verantwortung von Bund, Ländern und Gemeinden wechseln. Jedoch schlägt er vor, wie man zukünftig die Beitragsbemessung und die Be- lastung von Familienangehörigen gestalten sollte. Bei den Reformoptionen werden drei relevante Varianten einer Beitragsbemessung von Familienangehörigen vorgeschlagen, wobei im Hinblick auf familienpolitische Zielsetzungen eine beitragsfreie Mitversiche- rung von Kindern und von Ehepartnern, die im Haushalt Kinder betreuen oder Pflege- dienste leisten, weiterhin bestehen sollte. Bei der im Sachstandbericht 1994 (SVR 1995) skizzierten Variante unterliegt die Summe der beitragspflichtigen Haushalts- bzw. Fa- milieneinkünfte einem Splitting und der entsprechende Betrag für beide Ehepartner der Beitragsbemessung. Eine zweite Variante wäre, dass nach Aufwendung des Splittings für den nicht-berufstätigen Ehepartner der halbe Beitragssatz gelten sollte oder eine Begrenzung seiner Abgabe auf 50% des jeweiligen Höchstbeitrages erfolgen sollte. Bei der dritten vorgeschlagenen Variante geht es darum, dass der nicht berufstätige Ehe- partner anstelle des Splittings einem dynamischen Pauschbetrag zustimmen kann, der in etwa bei dem derzeitigen Mindestbeitrag liegt. Das vorgeschlagene Splitting und die damit verbundene teilweise Abschaffung der Beitragsfreiheit von Ehepartnern, die keine Kinder betreuen oder Pflegedienste leisten, zielt besonders darauf ab, die im geltenden System vorhandene Diskriminierung von Zweiverdiener-Familien zu beseitigen, zu- mindest aber abzuschwächen. Das Splitting für die GKV könnte Mehreinnahmen erbringen und könnte damit bei gegebenem Ausgabenniveau Beitragssatzsenkungen ermöglichen. Dagegen betont die Regierung, dass ein entscheidendes Gestaltungs- merkmal der GKV die Solidarität zwischen Gesunden und Kranken, gut Verdienenden und weniger gut Verdienenden, Jungen und Alten, Alleinstehenden und Familien ist. Daher spricht sich die Regierung auch nicht dafür aus die beitragsfreie Familienversi- cherung von nichterwerbstätigen Ehegatten und Kindern auszugliedern, denn dies wür- de die Solidarität der GKV entscheidend beeinträchtigen (Bundesministerium für Ge- sundheit 1999).

Literaturliste

Bundesministerium für Gesundheit (1999): Entwurf eines Gesetzes zur Reform der gesetzlichen Krankenversicherung ab dem Jahre 2000 (GKV-Gesundheitsreform 2000) vom 23. Juni 2001. Bonn.

Bundesministerium für Gesundheit (2001): Druckschrift: „Die Gesetzliche Krankenversicherung - Solidarität stärken“. Bonn.

Jacobs, Dr. Klaus et. al. (2001): Zur Wirkung des Risikostrukturausgleichs in der gesetzlichen Krankenversicherung - Eine Untersuchung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit (Konsenspapier).

Lauterbach, Prof. Dr. Dr. Karl & Prof. Dr. Eberhard Wille (2001): Modell eines fairen Wettbewerbs durch den Risikostrukturausgleich: Sofortprogramm „Wechsler- komponente und solidarische Rückversicherung“ unter Berücksichtigung der Morbidität (Zusammenfassung). Gutachten im Auftrag des VdAK/ AEK, AOK-BV und IKK-BV.

SVR (1995): Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen 1995: Sondergutachten 1995 - Gesundheitsversorgung und Krankenversicherung 2000, Baden- Baden 1995.

SVR (2001a): Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Gutachten 2000/01: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit - Band I: Qualitätsentwicklung in Medizin und Pflege. Drucksache Nr. 14/5661 vom 21.03.2001.

SVR (2001b): Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen: Gutachten 2000/01: Bedarfsgerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit - Band II: Zielbildung, Prävention, Nutzenorientierung und Partizipation. Drucksache Nr. 14/5660 vom 21.03.2001.

SVR (2000/01): Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung 2000/01: Gesundheitspolitik: Nach der Reform ist vor der Reform, Rand- Nr. 467-489.

Sozialgesetzbuch (2000): München. Deutscher Taschenbuch Verlag.

Schwarz, Walter (2001): „Hersbrucker Gespräche 2001“ - Der Risikostrukturausgleich - Möglichkeiten und Grenzen. AOK-Bayern - Die Gesundheitskasse (Hg).

Ende der Leseprobe aus 18 Seiten

Details

Titel
Reformbedarf und Reformoptionen der gesetzlichen Krankenversicherung
Note
2
Autor
Jahr
2001
Seiten
18
Katalognummer
V105523
ISBN (eBook)
9783640038152
Dateigröße
490 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Wir waren 3 Bearbeiter des Themas, aber ich kann nur meinen Teil zur Verfügung stellen. Dieser bezieht sich auf die Reformoption: Evolutionäre Fortentwicklung des bestehenden Systems der GKV.
Schlagworte
Reformbedarf, Reformoptionen, Krankenversicherung
Arbeit zitieren
Carmen Bauer (Autor:in), 2001, Reformbedarf und Reformoptionen der gesetzlichen Krankenversicherung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105523

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