Politisches Lernen - Zivilcourage als Lernziel der politischen Bildung


Seminararbeit, 2001

25 Seiten, Note: sehr gut


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Zivilcourage - ein Begriff in aller Munde, aber was steckt dahinter?
2.1 Arbeitsdefinition
2.2 Abgrenzung von anderen Konzepten des sozialen Verhaltens

3. Bedingungen für Zivilcourage - Was fördert und was verhindert sie?
3.1 Formen des (Nicht-) Handelns
3.2 Beweggründe für das Handeln mit Zivilcourage
3.2.1 Moralische Überzeugungen
3.2.2 Soziale und emotionale Nähe zur Person oder zum Problem
3.2.3 Soziale Kompetenzen, Angst und Selbstsicherheit
3.2.4 Spezieller Handlungskontext
3.2.5 Die soziale Position
3.2.6 Vor- und Nachteile
3.2.7 Konformität
3.2.8 Gesamtgesellschaftlich vermittelte Einflussfaktoren

4. Zivilcourage lernen? Chancen und Grenzen der Schulpädagogik

5. Fazit

6. Literatur

Politisches Lernen - Zivilcourage als Lernziel der politischen Bildung

Mein größ ter Wunsch auf Erden, dass alle Menschen Freunde werden.

Nicht großer Hass, weil ein anderer Stempel im Pass.

Warum immer Hass und Streit, ist es mit der Menschheit wirklich schon so weit?

Zählt wirklich nur noch Macht? Zählt nicht mehr, dass man auch noch lacht?

Ist es vorbei mit dem Zusammenhalt? Sind wir wirklich schon so kalt?

Gibt es kein liebes Wort? Gibt es wirklich nur noch Mord?

Wird eine Lüge der Wahrheit vorgezogen? Wird wirklich nur noch gelogen?

Das alles kann doch gar nicht sein, bald sind wir alle dann allein.

Wir dürfen nicht immer weiter gehen, wir müssen auch die Anderen sehen.

Alleine kann der Mensch nicht existieren, sonst wird er den Kampf des Lebens verlieren.

Darum ein guter Rat von mir, das schönste ist ein Lachen von Dir.

Deine Wärme gebe weiter, dann steigst Du auf der Lebensleiter.

Wenn wir uns alle ein bisschen lieben, dann gibt es nur noch Frieden.

Verfasser unbekannt 1

Verfasser: Stefanie Weber

Seminar: Politisches Lernen - Politische Sozialisation

Seminarleiter: Prof. Dr. K.-P. Fritzsche

Semester: SS 2001

1. Einleitung:

„ Die Zivilcourage ist immer gleich zeitgem äß und unzeitgem äß , viel gelobt und wenig geliebt; leicht gesagt, schwer getan; oft genannt, kaum bekannt - im Deutschen bis heute ein Fremdwort. “ 2

Zivilcourage - ein Begriff, der relativ geläufig ist. Jedoch scheint es für den Einzelnen im ersten Moment recht schwierig, diesen Terminus zu definieren. Zu Beginn meiner Literatursuche für die vorliegende Arbeit habe ich versucht, mich dem Begriff definitorisch zu nähern. Wenn ich nur das Wort „Zivilcourage“ in die Suchoption einer Metasuchmaschine3 im Internet eingebe, dann erhalte ich über 33.200 verschiedene Links zum Thema. Das Internet ist voll von Informationen über verschiedene Kampagnen der Polizei, von Schulen, von Privatpersonen, Vereinen, Initiativen usw., die zu mehr Zivilcourage aufrufen. Jedoch begegnen uns die Aufrufe im Grunde täglich - und zwar nicht nur im Internet: Plakate appellieren; Prominente werben im Fernsehen gegen Gewalt und für mehr Zivilcourage; es laufen regelmäßig Radio- und Kinospots; Politiker, Journalisten, Polizei usw. rufen zu Hinschauen auf; Mitarbeiter von Werbe- respektive PR-Agenturen zerbrechen sich die Köpfe über neue, wirksame Konzepte, die Zivilcourage fördern und zum Nachdenken anregen; Lehrer beziehen das Thema in den Unterricht ein, um Schülern diese soziale Kompetenz zu vermitteln; auch Hochschulen beschäftigen sich in Seminaren oder auch in öffentlichen Projekten mit der Thematik. Das Wort Zivilcourage scheint also in aller Munde. Jedoch was es konkret bedeutet, zivilcouragiert zu handeln, scheinen gerade die Deutschen nicht definitiv sagen zu können. Wissen die Deutschen vielleicht doch zu wenig über die Zivilcourage, weil diese Tugend in den letzten Jahren im Allgemeinen ins Hintertreffen geraten ist? Ist es wirklich so, dass wir in einer Ellenbogengesellschaft leben, die es einfach nicht zulässt, dass wir Rücksicht auf andere nehmen und mit offenen Augen durch die Welt gehen? Stimmt es auch, dass wir lieber eine öffentlich Konfliktsituation zwischen anderen (bekannten oder auch fremden) Personen beobachten, als helfend einzuschreiten? Was macht die Menschen in diesen Fällen so passiv, was macht sie zum „bystander4 “ - zum Zuschauer? Diese Entwicklung zur Zuschauermentalität wirkt dem Grundverständnis von Demokratie entgegen, somit kann sie nicht akzeptiert werden. Zivilcourage muss deshalb als politische Tugend wieder belebt werden!

Vor diesem Hintergrund, möchte ich mich in meiner Arbeit - neben dem Versuch, den Begriff Zivilcourage definitorisch zu fassen - darauf konzentrieren folgende Fragestellungen zu klären: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit jemand zivilcouragiert handelt? Welche Beweggründe fördern, und welche verhindern Zivilcourage? Welche Möglichkeiten hat die politische Bildung, um das Lernziel Zivilcourage umsetzen zu können?

2. Zivilcourage - ein Begriff in aller Munde, aber was steckt dahinter?

„Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“5

Simplifizierend wird der Begriff Zivilcourage oftmals mit dem Wort Bürgermut gleichgesetzt oder auch als „Mut, die eigene Überzeugung zu vertreten, auch wenn sich negative Folgen für die eigene Person daraus ergeben können“6, bestimmt. Geht man der Geschichte des Begriffs nach, so findet man, dass das Wort erstaunlicherweise von Bismarck geprägt wurde. Er schrieb an einen Freund: "Mut auf dem Schlachtfelde ist bei uns Gemeingut, aber wir werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Zivilcourage fehlt."7 Bismarck sah in der Zivilcourage das bürgerliche Pendant zu der militärischen Tugend der Tapferkeit. Er war offensichtlich der Meinung, dass ein Zivilist Zivilcourage beweisen müsse, genauso, wie ein Soldat tapfer sein musste. Sein Zitat kehrt den Satz von Franca Magnani8., die davon ausgeht, dass Zivilcourage in einem Land die militärische Tapferkeit unnötig mache, um Nach Änne Ostermann liegt das Wesentliche der Zivilcourage darin, „vor den Mächtigen nicht zu kuschen, sondern an der eigenen Meinung festzuhalten, auch wenn es inopportun ist und Nachteile bringt. Zivilcourage ist in diesem Sinn eine genuin demokratische Verhaltensweise: ohne Amt und ohne öffentlichen Auftrag, allein im Namen der Vernunft und der Sittlichkeit gegen die Lüge und das Unrecht einzutreten.“9 Somit unterstützt Ostermann die Argumentation Kurt Singers, der 1997 schreibt: „ Bürgermut bringt mehr Demokratie in die Gesellschaft; er setzt Verantwortungsbereitschaft an die Stelle bloßer Pflichterfüllung. Mit zivilem Mut verteidigen Bürgerinnen und Bürger das Grundrecht: ‚Die Würde des Menschen ist unantastbar.‘ “10 Irving Fetscher schließt sich an, indem er sagt, dass Zivilcourage „innerhalb der demokratischen Ordnung, dessen Souverän [...] das ‚Volk‘ ist, auch die Fähigkeit beweisen kann, Vorurteile, die in der Bevölkerung weit verbreitet sind, in Frage zu stellen; gegen den Strom der ‚öffentlichen Meinung‘ zu schwimmen, Verwaltungs- oder Ministerentscheidungen zu kritisieren oder innerhalb einer eher konformen Gruppe seine eigene Meinung zu vertreten.“11 Folglich kann dieser Sekundärtugend eine vorbildhafte, aufweckende und ermutigende Funktion innerhalb einer Demokratie zugeschrieben werden. Zivilcourage ist nicht nur im politischen Bereich vonnöten, sondern ebenso und vielleicht noch häufiger im Alltag, etwa, wenn in der U-Bahn oder auf der Straße fremd aussehende Menschen oder Schwache belästigt oder niedergeschlagen werden. Zivilcourage verlangt kein Märtyrertum, etwa, wenn es sich bei den Gewalttätern um eine mit Baseballschlägern bewaffnete Gruppe von Jugendlichen handelt, gegen die ein einzelner nichts ausrichten kann, ohne selber Opfer zu werden. Aber Zivilcourage ist ohne Mut und die Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, nicht zu haben.

Die Ziele, zu deren Durchsetzung Zivilcourage aufgerufen ist, sind keine privaten, sondern sie orientieren sich am Gemeinwohl, am Recht und an der Moral. Zivilcourage dient nicht dazu, eigene Interessen durchzusetzen. In einem demokratischen Rechtsstaat ist Zivilcourage in der Regel nicht gefordert, um unrechtmäßiges staatliches Handeln abzuwehren12, sondern sehr viel häufiger dann, wenn die staatliche Macht nicht imstande ist, Schwache vor Gewalt und Aggression zu schützen. Wenn auf der Straße Ausländer zusammengeschlagen werden oder eine Frau vergewaltigt wird, ist der Verweis, dass es Aufgabe der Polizei sei, diese Straftaten zu verhindern, eine eher schwache Ausrede, die jedoch häufig der Grund von Passivität in solchen Situationen ist.

Wer Zivilcourage zeigt, fühlt sich nicht nur in seinem Wert- oder Gerechtigkeitsempfinden verletzt, sondern übernimmt durch sein Einschreiten aktiv, freiwillig und eigenständig Verantwortung für andere und sich selbst. Dabei kann das zivilcouragierte Handeln spontan oder überlegt, rational oder eher intuitiv respektive emotional bestimmt sein. In recht vielen Situationen, in denen Zivilcourage gefragt ist, sind zuvor Angst oder andere innere Schwellen zu überwinden. Dies führt dazu, dass die„Ich-Stärke“13 der einschreitenden Person bewiesen werden muss. Jedoch bedeutet Zivilcourage lange nicht, tollkühn zu handeln oder sich für andere aufzuopfern. Wer „sozialen Mut“14 beweist, der ist im Moment des Handelns entschieden und nach eigenem Empfinden sicher, das Richtige zu tun.

Was passiert jedoch, wenn sich die Zivilcourage in Deutschland nicht als „Zielcourage“15 etabliert, wenn die Kultur des Hinsehens einfach immer mehr ausstirbt? Irving Fetscher stellt fest, dass es ohne Zivilcourage keine Freiheit in einem Staat geben kann.16 In einer Gesellschaft ohne Zivilcourage sei alles gleichgültig, alles erlaubt. Die Mächtigen wähnen sich sicher. Sie kümmern sich nicht mehr um Meinungen und Einsichten. Freiheit würde zur absoluten Beliebigkeit - Toleranz zur totalen Gleichgültigkeit. Fetscher spricht dabei auf die von Marcuse beschriebene „repressive Toleranz“ an. Diesem Phänomen solle, so Fetscher, die heutige Konsumgesellschaft bedenklich nahe kommen. Er geht davon aus, dass das Leben jedes einzelnen - in Gesellschaften, in denen keine Zivilcourage existiert - vollständig den Sitten und Normen des Ganzen unterworfen wird. Das Ausbrechen aus diesen Sitten und Normen würde dabei in der Regel mit dem Ausschluss aus dieser Gesellschaft geahndet.

Sicherlich birgt diese repressive Toleranz eine Gefahr für eine demokratische Gesellschaft. Gleichwohl bin ich der Meinung, dass dieser Fall, also der Wandel zu einer repressiven Toleranz, in einer modernen funktionierenden Demokratie nicht eintreten wird. Daher bleibt also zu überlegen, ob Fetscher mit seiner Aussage im Recht ist.

2.1 Arbeitsdefinition

Für die vorliegende Arbeit habe ich mich entschlossen eine eigene Definition für den Terminus „Zivilcourage“ zu erstellen. Hierbei möchte ich die Punkte aus der Literatur herausarbeiten, die ich als zentrale Faktoren ansehe. Um dies so übersichtlich wie möglich zu gestalten, werde ich meine Definition in Form von Thesen, die an dieser Stelle nicht noch einmal näher erklärt werden sollen, festhalten. Die Auflistung der folgenden Thesen soll eine kurze Zusammenfassung der genannten Fakten darstellen.

1. Zivilcourage findet aufgrund einer Wertüberzeugung17 des Handelnden statt. Dabei wird die eigene Meinung ausgedrückt - auch gegenüber Obrigkeiten und Vorgesetzten.
2. Zivilcouragiertem Handeln geht ein Geschehen (Konflikt), das das subjektive Wert- und Gerechtigkeitsempfinden einer Person verletzt, voraus.
3. Zivilcourage ist ein öffentliches, aktives und mutiges Eingreifen, meist gewaltfreier und argumentativer Art.
4. Der zivilcouragiert Handelnde riskiert ganz bewusst mögliche Nachteile und nimmt Konsequenzen in Kauf.
5. Zivilcourage hat eine vorbildhafte Funktion: sie stellt in Frage und kann andere - möglicherweise „bystanders“ - aufwecken und zur Hilfe ermutigen.
6. Um zivilcouragiert handeln zu können, sind Kritikfähigkeit, eigenständiges Handeln, „ICH-Stärke“18 und Übernahme von Verantwortung vonnöten.
7. Zivilcourage fördert das demokratische Zusammenleben in einer Gesellschaft.

2.2 Abgrenzung von anderen Konzepten des sozialen Verhaltens

Aufgrund der Verwandtschaft zu benachbarten, meist auch nicht eindeutig definierten, Konzepten, ist es oft schwierig den Begriff „Zivilcourage“ ohne Überschneidungen von anderen abzugrenzen.

a) Zivilcourage und Altruismus (Selbstlosigkeit/Menschenliebe)

Der von A. Comte geprägte Begriff Altruismus richtet sich vorrangig an die „Wohlfahrt und das Glück anderer und stellt die Befriedigung der eigenen Wünsche und Bedürfnisse zugunsten dieses Ziels zurück.“19 Ein altruistisch handelnder Mensch agiert aus einem hohen moralischen Bewusstsein und aus überdurchschnittlicher Empathie heraus.

Unterschied zur Zivilcourage:

Zivilcouragiertes Handeln resultiert auch aus eigenem Interesse (moralischer Art), diese sind jedoch nicht primär handlungsleitend.

b) Zivilcourage und prosoziales Verhalten

Ein prosozial handelnder Mensch lässt anderen Hilfe, Unterstützung oder eine Wohltat zukommen, ohne dass er aus beruflichen Gründen dazu verpflichtet wäre. In dem Sinne kann Zivilcourage als prosoziales Verhalten aufgefasst werden. Jedoch weist prosoziales Verhalten, im Unterschied zur Zivilcourage kein Risiko oder ein Machtungleichgewicht auf und ist zudem nicht unbedingt immer eine öffentliche Handlung.

c) Zivilcourage und ziviler Ungehorsam

Ziviler Ungehorsam ist eine Bezeichnung für eine Form des politischen Widerstandes, der auf das Erreichen kollektiver Ziele ausgerichtet ist. Dabei geht es hauptsächlich um eine „massenhafte Missachtung und Verweigerung von Verordnungen und Gesetzen.“20 Unterschied zur Zivilcourage:

Ziviler Ungehorsam wird maßgeblich von gewaltfreien Verletzungen der Regeln charakterisiert. Dies erfolgt bewusst, um auf ein bestimmtes Problem oder eine Gefahr aufmerksam zu machen. Ziel des zivilen Ungehorsams ist es, Druck auf Entscheider auszuüben und korrigierend zu wirken. Zivilcourage geht einen Schritt weiter, indem nicht nur Verweigerung, sondern aktives Handeln im Mittelpunkt steht.

d) Zivilcourage und Non-Konformität

Ein nonkonform handelnder versucht (auch öffentlich) Regeln zu ändern, indem er sie verletzt. Es besteht die Bereitschaft aus einer Gruppe herauszutreten und eine eigene Meinung, wenn auch eine innerhalb dieser Gruppe „unpopuläre“, zu vertreten. Non- Konformisten sind der festen Überzeugung, dass es legitim ist, gegen Unrecht vorzugehen. Jedoch wollen sie - im Unterschied zur Zivilcourage Anerkennung für ihr Verhalten erreichen. Weiterhin handelt ein zivilcouragierter Mensch immer im Sinne des (Grund-) Gesetzes und verletzt dabei keine Regeln.

3. Bedingungen für Zivilcourage - Was fördert und was verhindert sie?

„Die Fähigkeit, sich sachkundig zu beteiligen verhindert die Angst vor der Einmischung.“21

Die Hemmnisse, die Menschen daran hindern, Zivilcourage zu praktizieren, sind zahlreich.

Die Notwendigkeit, eingreifen zu müssen, wird oft gespürt, aber die Widerstände einzugreifen sind in den Menschen zu stark. Häufig ist es die Angst, die daran hindert, aktiv zu werden. Man kann von niemandem fordern, dass er in einer Situation eingreift, die er nicht verändern kann, ohne selbst zum Opfer zu werden. Aber es gibt viele Möglichkeiten des Eingreifens bzw. des Handelns. In solchen Situationen ist Phantasie gefordert.

Anders liegt der Fall, wenn Zivilcourage gefordert wird, um Zumutungen abzuweisen, die einen selber zum Täter machen würden. Empirische Untersuchungen haben gezeigt, dass ausländerfeindliche Aktionen vor allem aus Gruppen heraus geschehen. Dort befinden sich oft junge Menschen, die das Tun der Gruppe nicht billigen, sich aber dem Druck beugen - aus Solidarität, um nicht als Feigling zu erscheinen oder um nicht selber in die Rolle des Außenseiters zu geraten. Dies ist im Grunde eine ähnliche psychische Situation wie in totalitären Staaten, etwa dem Naziregime. Die Menschen sahen, dass das Unrechtssystem Schandtaten verübte und sie sozusagen zu Helfern machte, aber viele fanden nicht die Kraft einzugreifen. Die Erklärung, dass dies die Folge eines spezifisch deutschen Sozialcharakters sei, greift, wie schon angedeutet, zu kurz - obwohl die deutsche Geschichte diese Charakterstrukturen sicherlich begünstigt hat. Auch Stalin hat seine willigen Helfer gefunden, als er zwölf Millionen Bauern ("Kulaken") ermorden ließ oder in den Schauprozessen der dreißiger Jahre nahezu die gesamte alte Garde der Kommunistischen Partei liquidierte. Die Berichte über die Moskauer Prozesse zeigen, dass Stalin Untersuchungsbeamte, Staatsanwälte, Richter und Henker fand, die aufgrund der lächerlichsten Vorwürfe die Opfer quälten, folterten, anklagten, verurteilten und hinrichteten. Dies soll nicht den Mord an sechs Millionen Juden in Deutschland relativieren oder aufrechnen, sondern zeigen, dass es sich beim Autoritätsgehorsam um kein spezifisch deutsches Problem handelt. Wäre es nur ein deutsches Problem, dann könnte man vergleichsweise leichter damit umgehen. Aber es handelt sich offensichtlich um eine generelle menschliche Problemstellung. Als anderes Beispiel lässt sich an dieser Stelle auch das viel beschriebene Milgram-Experiment22 anbringen. Daran kann deutlich gemacht werden, dass mangelnde Zivilcourage nicht ausschließlich das Problem der Deutschen ist. Im Rahmen dieses Experimentes war die überwiegende Mehrheit von Probanden in einer Laborsituation eines vermeintlichen Lernexperimentes bereit, auf Anordnung eines angeblichen Versuchsleiters ihren „ zu bestrafenden Schülern“ Elektroschocks zu verabreichen, die Stromstärken von bis zu 450 Volt betrugen. Knapp 62% der Probanden gehorchten dem Versuchsleiter im Standardexperiment bis zu einer Voltzahl von 450, obwohl die „zu bestrafenden Schüler“ laut schrieen und um Gnade baten. In der sogenannten „Protestvariante“23 des Versuchs, brachen etwa 40% das Experiment ab. Somit lässt sich folgendes deutlich erkennen: Wenn Menschen in einer solchen Konfliktsituation - damit meine ich den Konflikt mit sich selbst (Zivilcourage zeigen oder nicht) - eine andere Möglichkeit des Handelns vorgegeben wird, dann nehmen sie diese eher wahr.24

3.1 Formen des (Nicht-) Handelns

Zum besseren Verständnis sollte erst einmal geklärt werden, welche Formen des (Nicht-) Handelns mit Zivilcourage unterschieden werden müssen. Gerd Meyer und Angela Hermann sprechen hierbei von drei verschiedenen Arten:

- Eingreifen vs. Nicht-Eingreifen
- Sich-Einsetzen vs. Sich-nicht-Einsetzen
- Sich-wehren vs. Sich-nicht-Wehren

Im ersten Fall (Eingreifen vs. Nicht-Eingreifen) handelt es sich um aktives Handeln zugunsten anderer. Diese Handlungen finden „meist in unvorhersehbaren Situationen (statt), in die man hineingerät und in denen man meist schnell entscheiden muss, was man tut“25.

Im zweiten Fall geht es um allgemeine Werte. Hier herrscht meist kein akuter Handlungsdruck. Der Einsatz gilt hierbei allgemeinen Werten, dem Recht oder den legitimen Interessen anderer - vor allem in organisierten Kontexten oder Institutionen. Häufig gilt das Engagement auch einer größeren Zahl von beispielsweise Kollegen.

Bei der dritten Form des (Nicht-) Handelns geht es meist um die Verbindung des Eintretens für allgemeine Werte oder die berechtigten Belange anderer mit dem eigenen legitimen Interessen und den eigenen Werten der Handelnden. Meist steht im Mittelpunkt sich couragiert gegen akute Zumutungen und Angriffe, besonders auch gewaltsamer Art, zu wehren.

3.2 Beweggründe für das Handeln mit Zivilcourage

Zivilcourage ist nicht immer die leichteste Art des Handelns. Es sind mehrere Faktoren, die Einfluss auf ein derartiges Verhalten haben. Bürgermut kann durch die verschiedensten Umstände begünstigt, ausgelöst, erschwert oder gar verhindert werden. In ihrer bereits genannten Studie haben Meyer/Hermann eben diese Einwirkungen auf zivilcouragiertes (Nicht-) Handeln untersucht und umfassend dargestellt. Die wesentlichen Faktoren, die im späteren weiter ausdifferenziert werden, seien zunächst an dieser Stelle genannt26:

Zivilcouragiertes Verhalten wird nach Gerd Meyer stets von drei verschiedenen FaktorenGruppen beeinflusst:

- soziale Faktoren
- personale Faktoren
- biografische Faktoren

Zu den sozialen Faktoren lassen sich beispielsweise soziale Orte, die Akteure, die Situation, die eigene Position und die gesamtgesellschaftlich vermittelten Faktoren, die jeweils subjektiv unterschiedlich wahrgenommen werden, zählen. Die personalen Faktoren werden hierbei charakterisiert durch moralischen Überzeugungen, eine eventuelle emotionale oder auch soziale Nähe zur Person und zum Problem, die Fürsorge und Verantwortung gegenüber Opfern, soziale Kompetenzen, Selbstsicherheit und natürlich auch durch Angst. Schlussendlich wird entsprechendes Handeln beispielsweise auch von eigenen Erfahrungen und von der Sozialisation in der Familie - als biografische Faktoren - beeinflusst.

Wenn diese drei Oberbegriffe auf verschiedene Einzelsituationen herunter gebrochen werden, so erhalten wir eine Vielzahl konkreter Beweggründe bzw. Einflussfaktoren für ein zivilcouragiertes Handeln27:

3.2.1 Moralische Überzeugungen:

Zivilcouragiertes Handeln wird meist durch ein moralisches Problem in einer bestimmten Situation geprägt. Mit moralischem Problem sind etwa Verletzungen des Wert- und/oder Gerechtigkeitsempfindens des Handelnden gemeint. In diesen Situationen geht es häufig um unfaires Verhalten dem jeweiligen Opfer gegenüber, unangemessene (im Sinne der persönlichen Werte) Reaktionen, Diskriminierungen, Schuldzuweisungen oder ähnliche Handlungen. In sehr vielen Konstellationen wird das Gerechtigkeitsempfinden der Handelnden durch das vorhandene Machtgefälle, die Verletzung von Rechtsnormen (wie etwa Beschädigungen) oder auch grundlegende Normen des sozialen Verhaltens angeregt. Oft spielen auch Emotionen wie etwa Wut, Mitgefühl oder auch Fürsorge für das jeweilige Opfer eine bedeutende Rolle. Es ist zu bemerken, dass die Wahrnehmung der Lage mit persönlichen Emotionen in der entsprechenden Situation eng miteinander verknüpft sind und sich gegenseitig beeinflussen. Für (Un-) Gerechtigkeit als moralisches Problem sein exemplarisch genannt28:

a) Unfaires Verhalten bzw. unfaire Verhältnisse:

Hierbei wird ein Machtungleichgewicht zwischen Täter und Opfer wahr genommen. Das Opfer ist z.B. kleiner, jünger, schwächer oder die Täter sind in der Überzahl.

b) Unangemessene Reaktionen im Konflikt:

In dem Fall hat das Opfer zwar aus Sicht des Täters eine Strafe oder eine Rüge „verdient“, jedoch ist die Art bzw. Dauer und Härte der Sanktion von übertriebenem Ausmaß.

c) Diskriminierung:

Die Benachteilung ist meist unbegründet und bezieht sich oft auf Ausländer, Homosexuelle, Behinderte, alte Menschen oder Randgruppen.

d) Schuldzuweisungen:

Eine entscheidende Rolle spielen wahrgenommene oder zugeschriebene Schuld bzw. Unschuld der zu unterstützenden Personen. Wird das Opfer aus dem Handlungskontext heraus für unschuldig befunden, so wird ein Außenstehender eher bereit sein einzugreifen, als wenn das Opfer offensichtlich durch Selbstverschulden in diesen Konflikt geraten ist.

3.2.2 Soziale und emotionale Nähe zur Person oder zum Problem:

Förderlich für zivilcouragiertes Handeln kann sich die emotionale bzw. soziale Nähe zur betroffenen Person erweisen. Nähe zur Person bedeutet, dass der Handelnde durch eine enge soziale oder auch persönliche Beziehung mit dem Opfer verbunden ist. Unterstützung für einen Freund, eine Freundin oder ein Familienmitglied erweisen sich immer als selbstverständlich und verpflichten zum Eingreifen. In diesem Fall spielen allerdings moralische Überzeugungen eine eher untergeordnete Rolle. Die Studie von Meyer/Hermann konnte jedoch deutlich machen, dass es hierbei einige interessante geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Männer verweisen zwar zumeist auf moralische Werte, gleichwohl führt dies nicht unbedingt immer zum Eingreifen. Im Gegensatz dazu erklären Frauen ihr Handeln meist erst im Nachhinein mit moralischen Überzeugungen. Sie setzen sich weniger „abstrakt“ für einen Wert ein, sondern verbinden ihre Einstellungen - im Unterschied zu Männern - mit der konkreten Person. Zivilcouragiertes Handeln wird insbesondere bei jungen Männern dadurch verhindert, dass die Stellung in der Clique in Gefahr ist bzw. dass berufliche oder materielle Nachteile daraus entstehen könnten. Dies scheinen Männer im Gegensatz zu Frauen als schwerwiegender zu empfinden.

Die Nähe zum Problem ist dadurch gekennzeichnet, dass die eingreifende Person die entsprechende Situation oder ein ähnliches Problem zu ihren eigenen Erfahrungen zählt und dies auch schon reflektiert hat. Durch die Reflexion ist sie auch eher dazu bereit in einen Konflikt einzugreifen. Die subjektive Nähe zum Problem begünstigt also die Bereitschaft Verantwortung für das Opfer zu übernehmen. Zumeist wird eine Verbindung zwischen dem eigenen Erlebnis, also einem vergleichbaren Konflikt, und der aktuellen Situation hergestellt. Es entstehen Emotionen, die zum Handeln bringen, ohne großartig nachzudenken Im Gegensatz dazu hat es eine hemmende Wirkung auf die Handlungsbereitschaft, wenn das Erlebte eben noch nicht reflektiert worden ist oder wenn derjenige nicht mehr mit dem Erlebten in Verbindung gebracht werden möchte. Weiterhin könnte es für den Einsatz einen hinderlichen Effekt haben, wenn die jeweilige Person in der eigenen Notsituation auch keine Hilfe bekommen und der Situation trotzdem stand gehalten hat. Somit fühlt er sich in seinem Handeln bestärkt und wird davon ausgehen, dass die Opfer-Person dies auch allein bewältigen kann.

Abschließend zu dieser Thematik lässt sich allerdings auch sagen, dass zivilcouragiertes Handeln sehr häufig durch die Fähigkeit zur Empathie und durch die Bereitschaft zur Perspektivenübernahme beeinflusst wird.

3.2.3 Soziale Kompetenzen, Angst und Selbstsicherheit:

Diverse individuellen Fähigkeiten können sich sehr positiv auf die menschliche Bereitschaft zu zivilcouragiertem Handeln auswirken. Diese Fähigkeiten sind auch als „soziale Kompetenzen“ bekannt.:

a) Selbstsicherheit im Auftreten gegenüber Anderen, Handlungsfähigkeit sowie Entscheidungssicherheit. Selbstsicherheit lässt sich in zwei verschiedene Formen differenzieren: Zum einen können wir von der Selbstsicherheit ‘nach innen‘ sprechen. Dies impliziert Entscheidungssicherheit, sich seiner selbst sicher zu sein, in entsprechender Situation kaum Angst zu haben oder auch überzeugt davon sein, das Richtige zu tun. Zum anderen sprechen wir von einer Selbstsicherheit ‘nach außen‘. Dies meint beispielsweise ein sicheres Auftreten anderen gegenüber. Dazu zählen auch schnelle und klare Reaktionen und Aktionen in bedrohlichen Situationen.
b) Empathie. Dabei geht es um Einfühlungsvermögen und Mitgefühl dem Opfer gegenüber. Außerdem ist die Fähigkeit des Perspektivwechsels, also die Begabung, sich in die Lage eines anderen zu versetzen, ein fördernder Aspekt für zivilcouragiertes Handeln.
c) Fähigkeit zur Reflexion. Das heißt vor allem über die Situation und über sich selbst nachzudenken. Das impliziert natürlich auch mit der eigenen Angst - sei es vor körperlicher Gewalt, vor Verlust der Selbstkontrolle oder vor Konflikteskalation - umzugehen und sie auch bewusst zuzulassen. Angst könnte zwar zivilcouragiertes Handeln behindern, jedoch verhindert sie es aber auch nicht zwingend.
d) Fähigkeit bei Konflikten angemessen und flexibel zu reagieren. Hierbei geht es darum, Vernunft zu zeigen, die Situation differenziert wahrzunehmen, ggf. zu besänftigen oder zu schlichten, vermittelnd zu wirken oder auch zu integrieren.
e) Fähigkeit zur Argumentation und Artikulation. Das Geschick zu argumentieren sollte in einem Konflikt möglichst Vorrang haben. Die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Problem und entsprechende Artikulation kann bewirken, dass eine eventuelle körperliche Gewalt vermieden werden kann.
f) Sachkompetenz. Das Auftreten und auch die Argumentation in einer Konfliktsituation
wird sicherer, wenn der Eingreifende über Wissen und Kenntnisse von Rechten, Pflichten, Regeln oder auch bestimmte Verfahrensweisen verfügt.
g) Einschätzung eigener körperlicher Fähigkeiten. Dies bezieht sich vordergründig auf die körperliche Stärke und Geschicklichkeit des Eingreifenden. Das Gegenüber wird vorerst - insbesondere in Gewaltsituationen - nach körperlicher Stärke und Geschicklichkeit abschätzend beurteilt.
h) Positive Selbsteinschätzung. Eine Selbstkritik im positiven Sinne führt dazu, dass eine subjektive Selbstsicherheit vermittelt wird. Die zeigt sich vor allem darin, dass die eigene Überzeugung anderen gegenüber auch aus der Position einer Minderheit heraus vertreten werden kann. Die Handlungen der Personen mit einem bejahenden Selbstbild sind auch - im Gegensatz zu Menschen mit einem negativen Selbstbild - eher spontan.

Alle im Vorfeld beschriebenen sozialen Kompetenzen im umgekehrten Sinne, sprich in der entgegengesetzten, negativen Form, führen in aller Regel dazu, dass die jeweilige Person nicht eingreift. Das weiter oben definierte persönliche Potential der sozialen Kompetenzen, egal ob im positiven oder im negativen Sinne, ist das Ergebnis von Erziehung. Meiner Meinung nach ist genau das die Schnittstelle, an der die Erziehung zur Zivilcourage beispielsweise ansetzen könnte, indem eben die genannten Kompetenzen trainiert respektive ausgebaut werden können. Weiterhin sind die beschriebenen Fähigkeiten aber auch Resultate aus der Orientierung an Vorbildern. Als Beispiel sollte hier das zivilcouragierte Verhalten von Nichtjuden genannt werden, die im Zweiten Weltkrieg erfolgreich Juden verstecken konnten und ihnen somit das Leben retteten.

3.2.4 Spezieller Handlungskontext:

Um zivilcouragiertes Handeln zu verstehen, sind zwei Aspekte des Handlungskontextes zu berücksichtigen: vorstrukturiert wird das (Nicht-) Handeln einerseits durch die Art des sozialen Ortes und die jeweilige Öffentlichkeit. Auf der anderen Seite wird die Situation durch die jeweiligen Akteure und deren Interaktionen geprägt. Handlungsbestimmend sind in jedem Fall die subjektive Wahrnehmung des sozialen Kontextes sowie die Interaktionen der Beteiligten. Die sozialen Orte, an denen Handeln statt findet sind in verschiedene Bereiche zu differenzieren:

- öffentlicher Raum
- Schule/ Arbeitsplatz
- privater Raum

Der ö ffentliche Raum ist nicht unbedingt durch Normen, formelle und informelle Machtstrukturen, Rollen und Positionen vorstrukturiert. Eher ist die soziale Beziehung mit ihren austauschbaren, weil wechselnden Akteuren, durch die Situation geprägt. Der öffentliche Raum birgt aber in Bezug auf das (Nicht-) Eingreifen zwei konträre Tendenzen. Auf der einen Seite wird das Geschehen von vielen Menschen beobachtet, demnach kann mit vielen potentiellen Unterstützenden gerechnet werden. Auf der anderen Seite ist eben auch die Anonymität in der Öffentlichkeit eine Möglichkeit dafür, sich gleichgültig, passiv und distanziert vom Geschehen zurück zu halten - frei nach dem Motto: „Die anderen werden schon helfen.“. Somit kann der öffentliche Raum - je nach sozialen Kompetenzen und Ich- Stärke des Beobachters - entweder ein Hindernis darstellen oder auch von fördernder Bedeutung sein.

Die Bedingungen an Schule und Arbeitsplatz ähneln sich. In erster Linie sind feste, durch eine Hierarchie verbundene Akteure beteiligt. Die Handlungsspielräume sind in beiden Bereichen aufgrund der gegebenen Hierarchien, Kompetenzen, Normen und Rollenverteilungen in bestimmtem Maße eingeschränkt. In beiden Fällen können wir aber davon ausgehen, dass ein Eingreifen (seitens eines Schülers gegenüber einem Lehrer bzw. eines Arbeitnehmers gegenüber einem Arbeitgeber) meist nur dann erfolgt, wenn ein größerer Teil der anderen Schüler bzw. Arbeitskollegen unterstützend wirkt. Die Angst vor eventuellen einer Benachteilung durch den Lehrer oder z.B. den Geschäftsleiter ist für Schüler, wie auch für Arbeitnehmer zu groß.

Zivilcouragiertes Eingreifen im Rahmen der Privatsphäre gestaltet sich recht schwierig und zeigt immer wieder eine Gratwanderung zwischen dem Recht sich einzumischen und der Grenze des Privaten. Geschehen im Elternhaus, in der eigenen privaten Wohnung und in familiäre und freundschaftliche Beziehungen werden grundsätzlich als private, und somit geschützte Lebenswelten definiert. Es gibt Situationen, in denen potentiellen Eingreifenden die Hände förmlich „gebunden“ sind. Vielleicht sollte ich dies zum besseren Verständnis anhand eines Beispiels erklären. Obwohl in diese Thematik sicherlich Beispiele von Gewalt in der Ehe, Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch oder ähnliches einfließen, möchte ich an dieser Stelle nur ein noch recht „banales“ Exempel geben: Eine junge Mutter hat ein 2- jähriges Kind. Sie ist mit dem kleinen Jungen sichtlich überfordert und schreit ihn bei jedem auch noch so kleinen Fehlverhalten an oder gibt ihm auch schon einmal einen etwas kräftigeren Klaps auf den Po. Mit diesem Verhalten ist die Tante der jungen Frau absolut nicht einverstanden. Sie traut sich aber nicht in das Geschehen einzugreifen, da sie der Meinung ist, dass sie sich in die Privatsphäre der Nichte nicht einzumischen hat.

3.2.5 Die soziale Position:

Von tragender Rolle für das (Nicht-) Eingreifen in einem Konfliktfall ist die soziale Position und der damit verbundene Status, in der sich die jeweilige Person befindet. Die Bewertung der eigenen Position hat Einfluss darauf, ob, wie und in welchem Maße sich diese Person zur Wehr bzw. einsetzt. Fühlt sich der Außenstehende sowohl dem Täter als auch dem Opfer beispielsweise nach Kräften, Größe, Argumentationsfähigkeit o.ä. überlegen, so wird er eher in die Situation eingreifen. Weiterhin wird sich jemand, der innerhalb einer Gruppe sowieso schon eine formelle Rolle29 inne hat, ganz sicher einmischen, da er es für seine Pflicht hält. Hinderlich erweist es sich allerdings, wenn die eigene Position als unsicher wahrgenommen wird. Dies bedeutet, dass die soziale Stellung in der beteiligten Gruppe möglicherweise nicht sehr hoch ist. Diese von der Gruppe weniger legitimierte Person würde in dem Fall nicht eingreifen, da sie Angst hätte von der Gruppe ausgelacht oder ausgeschlossen zu werden.

2.2.6 Vor- und Nachteile:

Zivilcourage wird natürlich von der Befürchtung vor möglichen Nachteilen sowohl auf kurz- wie auch auf langfristiger Ebene beeinflusst. Dies gestaltet sich als wichtiges Hemmnis im Hinblick auf das Handeln. Die Bereitschaft zum Eingreifen ist jedoch größer, wenn kaum oder nur kleinere Verluste zu befürchten sind. Hierbei geht es speziell um materielle und immaterielle Nachteile, Imageverluste in der Gruppe/ Familie oder im Kollegium, aber auch um die eigene körperliche Unversehrtheit. Für die jeweilige Person spielen aber auch langfristigere Wirkungen, die die private/schulische30 oder auch berufliche Zukunft beeinflussen könnten, eine große Rolle.

Der Vorteil, der aus zivilcouragiertem Handeln gezogen werden könnte ist, dass das Selbstbewusstsein des Eingreifenden gestärkt wird und das Selbstbild noch positiver erscheint.

2.2.7 Konformität:

Konformität bedeutet, dass Personen ihre Verhaltensweisen, ihre Einstellungen und Meinungen an den Standards der Gruppe orientieren. Sie zeigt sich darin, dass sich die jeweilige Person anpasst und nach eben diesen Normen handelt, dies aber auch von anderen Gruppenmitgliedern erwartet. Menschen, die zur Konformität neigen, möchten in der Regel nicht durch irgendwelche eigenständigen Aktionen aus der Gruppe heraustreten. Dieses Aufsehen möchten sie vermeiden, da ein eventueller Statusverlust innerhalb der Gruppe oder gar ein Ausschluss drohen könnte. Die Hauptmotive eines „Mitläufers“ sind Zugehörigkeit und Anerkennung innerhalb der Gruppe. Somit wird der gruppenkonforme Mensch also keineswegs allein und von sich aus in ein Geschehen eingreifen. Er wird nur dann unterstützend wirken, wenn „die anderen“ sich schon eingemischt haben. Personen, die dagegen keinen so großen Wert auf Statusverlust o.ä. legen, zeigen eine hohe Einsatzbereitschaft auf. Diese nonkonform Handelnden zeichnen sich beispielsweise durch ein sehr hohes Selbstbewusstsein, durch eine geschätzte Position in der Gruppe oder auch durch ein positives Selbstbild aus.

2.2.8 Gesamtgesellschaftlich vermittelte Einflussfaktoren:

Abschließend lässt sich sagen, dass Zivilcourage nicht nur durch die genannten Faktoren beeinflusst wird. Ferner spielen gesamtgesellschaftliche Aspekte wie etwa ökonomische, politische, soziale und kulturelle Strukturen sowie Verhaltensanforderungen eine tragende Rolle. Diese Faktoren zeigen sich in gesellschaftlichen Gerüsten, in Interaktionen oder auch in der Alltagskommunikation - ganz gleich an welchem sozialen Ort oder in welcher Art von Öffentlichkeit. Werte und Handlungsorientierungen werde nicht nur in Sozialisationsprozessen vermittelt, sondern u.a. auch durch Medien und gesellschaftliche Vorbilder. Als gesamtgesellschaftliche Einflussfaktoren gelten nach Meyer/Hermann31:

- Moralische Überzeugungen und Wertorientierungen;
- Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit;
- Konformitätsdruck und Autoritätsbeziehungen;
- gesellschaftlich definierte Grenze zwischen Privatem und der Öffentlichkeit;
- Macht von Gruppenbindungen und Sozialisationsinstanzen u.s.w.

4. Zivilcourage lernen? Chancen und Grenzen der Schulpädagogik:

„ Ich höre, und ich vergesse. Ich sehe, und ich

merke es mir. Ich tue, und ich verstehe. “ 32

Zunächst sollte klar gestellt werden, dass Zivilcourage grundsätzlich erlernbar ist. Meiner Meinung nach, ist die Schule die Hauptinstitution des sozialen Lernens und somit fällt ihr der größte Teil des Lehrauftrages für die Bildung von Zivilcourage zu. Es gibt bisher jedoch keine konkreten Lehr- oder Lernkonzepte, bzw. keine festen Bestandteile im Lehrplan, die auf eine Förderung oder auch „Erlernung“ von Zivilcourage abzielen. Wir können uns somit nur auf verschiedene Vorschläge von Pädagogen oder Wissenschaftlern berufen. Um Zivilcourage zu erlernen, müssen z.B. nach Meyer/Hermann33 einige Bedingungen erfüllt werden. In erster Linie sei es wichtig, dass die Lernenden bereit sind, sich die eventuell (noch) nicht vorhandenen Zivilcourage anzueignen. Diese Bedingung wird aber auch von einer äußeren Voraussetzung gefördert: Es ist verpflichtend, dass in der Schule ein nötiges Klima zum Erlernen eben dieser Tugend geschaffen wird. Hierbei ist es wichtig, dass eine Streitkultur gefördert wird und dass keine Diskriminierung oder Bestrafung des Einzelnen für ein unangepasstes Verhalten erfolgt. Hermann/Meyer gehen davon aus, dass weiterhin mehr Transparenz über Organisationsstrukturen, Sanktionen für Täter, eigene Handlungsmöglichkeiten, sowie Unterstützungsformen durch Machtinhaber benötigt werden. Mit Transparenz der Organisationsstrukturen bzw. der Autoritätspersonen (Lehrer) sind beispielsweise Machtbefugnisse, Verfahren, Rechte oder Normen gemeint. Wissen über und Durchschaubarkeit von Strukturen, Machtbeziehungen und Partizipationschancen vermitteln Sicherheit und helfen Vermutungen und Spekulationen einzudämmen, die sonst mutiges Handeln hindern. Hermann/Meyer fordern also ein demokratisches Verhaltensmuster. Dabei sollen die Autoritätspersonen, also die Lehrer, stückweise eigene Macht abgeben, um eine Partizipation „von unten“ zu erreichen. Somit sind die Schüler handlungsleitend und der Lehrer wirkt nur noch führend und unterstützend. Weiterhin weisen Hermann/Meyer darauf hin, dass der Unterricht zur Aneignung von Handlungskompetenzen, wie sie im Kapitel 3.2.3 aufgeführt worden sind, dienen soll. Dabei eignen sich ganz besonders Rollen- und Planspiele als Teil des einübenden Lernens34.

Leider werden Hermann/Meyer in ihrem genannten Aufsatz nicht konkreter. Sie geben keine fassbaren Beispiele, wie ein Lehrer beispielsweise den Stoff aus dem Lehrplan mit dem Lernziel der Zivilcourage verquicken könnten. Und genau an dieser Stelle liegt meiner Meinung nach auch der Knackpunkt des Problems. Es genügt meiner Ansicht nach nämlich absolut nicht, wenn ein demokratisches Verhaltensmuster zwischen Lehrern und Schülern geschaffen wird. Ich denke, dass Schüler ein faires Verhalten des Lehrers voraussetzen und dies als etwas ganz normales ansehen. Möglicherweise ist das nicht die alleinige und effektivste Handhabe Zivilcourage zu lehren. Schüler müssen die Möglichkeit haben selbst in Aktion zu treten, frei nach dem chinesischen Sprichwort: „Ich höre, und ich vergesse. Ich sehe, und ich merke es mir. Ich tue, und ich verstehe.“ Ich bin davon überzeugt, dass gerade hinsichtlich der Vermittlung von sozialen Kompetenzen, Tugenden und Werten ein schulischer Wandel stattfinden muss. Es genügt nicht, dass die Schule derzeit nur eine Institution ist, die den Stoff aus dem Lehrplan vermittelt. Es scheint mir, als würden soziale Kompetenzen, zwischenmenschliche Werte und Tugenden zum größten Teil auf der Strecke bleiben. Deshalb sollte diesbezüglich reformiert werden. Aus eigenen Erfahrungen bin ich überzeugt davon, dass es in den Lehrplänen sicherlich Spielräume gibt. Ganz sicher ist es möglich bestimmte Stoffsequenzen zu kürzen, um an anderer Stelle neue Lehrbereiche, wie eben Erziehung zu Toleranz oder Zivilcourage, einzuführen. Die Vermittlung von (Sekundär-) Tugenden sollte einfach als fester Bestandteil in das schulische Zusammenleben integriert werden. Dabei sollte dies aber keineswegs durch einen „Frontalunterricht“, in dem wiederum nur Fakten vermittelt werden, geschehen. Vielmehr müsste die Vermittlung fächerübergreifend, spielerisch und interessant gestaltet erfolgen.

Im Rahmen meiner Recherchen zum Thema „Zivilcourage lernen? Chancen und Grenzen der Schulpädagogik“ hatte ich ein recht interessantes Gespräch mit einer sehr gut befreundeten Lehrerin35, welches meine - zu Beginn eher optimistische - Sichtweise grundlegend beeinflusst hat. Sie ist grundsätzlich der Meinung, dass Zivilcourage, Toleranz, Solidarität und andere Tugenden in Deutschland und auf der ganzen Welt gefördert und etabliert werden muss. Jedoch hat sie Bedenken, wenn es darum gehen soll, dass die Schule als Institution einen Großteil des Lehrauftrages übernehmen soll: „Schulen in Deutschland sind unter den momentanen Gegebenheiten absolut nicht in der Lage Zivilcourage zu vermitteln. Die schulischen Strukturen sind dazu einfach viel zu eingefahren.“36 Sie ist der Ansicht, dass die Masse der deutschen Lehrer einfach zu alt sei, „um die Welt noch umzuschubsen“37. Ein weiteres Problem stellen natürlich auch die straffen Lehrpläne dar, die es zumeist nicht mehr zulassen ein paar andere Themen zu besprechen. Es fehlt einfach die Zeit und der Bildungsaufwand wäre auch zu groß. Denn wenn man wirklich etwas erreichen wolle, dann müsse man sich auch angemessen viel Zeit dafür nehmen können. Ferner ist es ja auch so, dass neben dem Unterricht auch keine weiteren Betätigungsfelder, in denen man sich möglicherweise auf soziale Werte und dergleichen konzentrieren könnte, existieren. Sybille Günther bemängelt weiterhin, dass die Schule zur Zeit scheinbar „zu einer Institution mutiert, die nur ein Ziel hat: möglichst viel Stoff vermitteln. Dabei werden eben nahezu keine Gedanken daran verschwendet, die Schüler auf das Leben vor zu bereiten.“38 Jedoch sieht sie in der Vermittlung von Freiheiten und Werten eine gewisse Gefahr. Die Anweisungen sich zu wehren, einzuschreiten bzw. von seinen Freiheiten Gebrauch zu machen, könnte auch „nach hinten los gehen“. In ihren Ausführungen dazu hat sie mir sozusagen eine eher umstrittene These aus einer älteren Ausgabe des Spiegels39 weitgehend bestätigt. Dort schrieb der Autor sinngemäß, dass neue pädagogische Konzepte die Ursache für zunehmende Gewaltbereitschaft seien. Es sei falsch gewesen, mehr Freiheit und Verantwortung auf den Einzelnen zu übertragen, da das „Böse im Menschen“ so nicht gebannt würde. Die Ausschreitungen jugendlicher Gewalt seien das Ergebnis dieser verfehlten Erziehung. Ich persönlich bin in diesem Fall allerdings der Auffassung, dass diese These so nicht stehen gelassen werden sollte. Sicherlich bezog sich die Argumentation auf die Lage der Jugendlichen in Ostdeutschland. Jedoch möchte ich dazu sagen, dass es 1993 noch eine gewisse Orientierungslosigkeit in den neuen Ländern gab. Die Menschen mussten ihre neue Freiheit erst finden und lernen, damit umzugehen. Ich bin relativ sicher, dass sich die Auswirkungen der Freiheitssuche noch bis in die heutige Zeit verfolgen lassen. Denn gerade erwachsene Menschen haben es nach dem Mauerfall nicht sonderlich leicht gehabt sich zu orientieren. In den Köpfen steckten noch immer beide Formen der ostdeutschen politischen Kultur und dies musste erst einmal mit der neuen, westdeutschen verbunden bzw.

„ausgetauscht“ werden. An dieser Stelle lässt sich der Bogen zu den heutigen Lehrern schlagen. Die älteren ostdeutschen Lehrer tun sich schwer die neuen Werte zu vermitteln, da sie für sich selbst noch nicht die richtigen Werte gefunden haben. Sie sind einfach anders erzogen worden und haben als Lehrer in der ehemaligen DDR ganz andere Tugenden vermittelt. Durch die Unsicherheit der Lehrer kommt es nun natürlich auch dazu, dass es den Schülern recht schwer fällt sich zu orientieren. Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: es ist ja nicht gesagt, dass die Werterziehung der Schule mit der der Eltern übereinstimmt. Es ist durchaus möglich, dass die Eltern, aufgrund ihrer eigenen Erziehung ganz andere Maßstäbe setzen, als die Lehrer es vorgeben. Somit entstehen weitere persönliche Konflikte der Kinder und dies könnte sich natürlich in Gewaltbereitschaft äußern.

Ein weiterer interessanter Aspekt, den Sybille Günther nannte, drückt sich in der folgenden These aus: „Die Kinder sollen doch nur so erzogen werden, wie wir Erwachsenen gerne wären.“40 Diese Aussage macht eigentlich deutlich, dass sie davon überzeugt ist, dass es den Erwachsenen auch an Zivilcourage fehlt. Somit schließe ich mich der Meinung von Sybille Günther an, wenn sie sagt, dass insbesondere Lehrer hinsichtlich der Wertevermittlung nicht ins kalte Wasser geworfen werden dürfen. Vielmehr sollte es im Rahmen der Lehrerfortbildung Pflichtveranstaltungen geben, die sich mit diesem Thema beschäftigen. Gehen wir nun also davon aus, dass die Lehrer hinsichtlich der Erziehung zur Zivilcourage kompetent sind. Wie soll die Thematik jetzt aber aufgrund des straffen Lehrplanes in den Unterricht eingefügt werden? Meine Idee dazu ist, dass die Vermittlung der Sekundärtugend nicht gesondert behandelt werden darf. Würde sich beispielsweise nur das Fach Sozialkunde auf das Thema beziehen, so würden die Schüler den Unterricht zwar möglicherweise aufmerksam verfolgen - die Thematik ist dann jedoch „abgehakt“. Vielmehr sollte die Erziehung zur Zivilcourage fächerübergreifend erfolgen. Dies kommt auch dem straffen Lehrplan zugute, da so effektiv gearbeitet werden kann, aber keine Stunden verloren gehen.

Sicherlich kann sich ein Unterrichtsfach wie Mathematik recht wenig mit der Vermittlung von Zivilcourage beschäftigen. Es gibt aber eine Reihe von anderen Fächern, in denen die Werterziehung in die jeweiligen Themen des Unterrichts einbezogen werden können. Dafür bedarf es nicht einmal eines Zeitverlustes und es dürfte auch nicht die Gefahr bestehen, dass der Lehrstoff zum Ende des Schuljahres nicht geschafft worden ist. Im folgenden möchte ich nur einige konkrete Beispiele, die sicherlich noch beliebig ausgebaut und erweitert werden können, nennen:

Geschichtsunterricht/ Sozialkunde: Im Rahmen der Unterrichtsstunden über das Dritte Reich und den Holocaust lässt sich ein sehr gutes Beispiel für zivilcouragiertes Handeln einbauen: Deutsche, die mutig waren und aufgrund ihres Gewissens Juden davor bewahrt haben, verfolgt und vernichtet zu werden. Weitere Themen könnten auch allgemeine Grund- und Menschenrechte oder Menschenbilder sein.

Fremdsprachen: In diesen Fächern könnten beispielsweise Bücher, Gedichte oder Songtexte besprochen werden, die sich um eventuelle Helden aus dem Alltag drehen. Sicherlich könnte man auch im weitesten Sinne auf das Thema Zivilcourage abzielen, wenn man über die politische Kultur in den einzelnen Ländern spricht.

Musik: Selbst im Musikunterricht lässt sich die Thematik behandeln, indem man auf moderne Songtexte, z.B. von PUR, Udo Lindenberg oder auch BAP, zurück greift und die Hintergründe der Texte bespricht.

Kunsterziehung: Kunst ist ein Terrain, welches Menschen befähigt ohne viele Worte ihre Gefühle auszudrücken. Gerade durch künstlerische Bearbeitungen können Schüler ihren Ängsten und Empfindungen freien Lauf lassen. Beispielsweise könnte die Aufgabenstellung etwa wie folgt lauten: Stellt euch eine brenzlige Konfliktsituation zwischen zwei Personen vor und versucht die Gefühle von Täter und/oder Opfer künstlerisch darzustellen. Sicherlich sollte die besagte Konfliktsituation zuvor genauer besprochen worden sein.

Deutsch: An dieser Stelle könnte beispielsweise der „Andorranische Jude“ von Max Frisch behandelt werden. Dies könnte dazu beitragen, dass eine Reihe von Vorurteilen der Schüler überdacht werden.

Ethik: Dieses ist für mich das einzige Fach, welches Zivilcourage am ehesten als Begriff thematisieren kann. Ethik ist für mich der Inbegriff von Werterziehung. Daher könnte an dieser Stelle beispielsweise in die Tiefe gegangen werden und man könnte auch konkret über verschiedenen soziale Kompetenzen sprechen.

Wie aber Eingangs bereits erwähnt sind das nur einige Beispiele, die dazu beitragen, dass Schüler lernen, Zivilcourage zu zeigen. Eine wichtige Bedingung für einen fächerübergreifenden Unterricht ist in meinen Augen, dass sich die Lehrer untereinander absprechen und dass man sich auf die jeweiligen fachspezifischen Schwerpunkte beschränkt. Redundanzen würden einen Schüler dann im Allgemeinen wenig herausfordern. Die im letzten Absatz ein wenig ins Hintertreffen geratenen weiteren Bedingungen für das Lernen von Zivilcourage sind die sozialen Kompetenzen, die ich schon mehrfach thematisierte. Eben diese Kompetenzen sind nicht nur für zivilcouragiertes Handeln notwendig, sondern werden im ganzen Leben gebraucht. Daher sollten die Schulen einen Beitrag dazu leisten, dass den Schülern diese, meiner Meinung nach „lebenswichtigen“ Kompetenzen, vermittelt werden.

5. Fazit:

Zu Beginn meiner Arbeit ging ich davon aus, dass es sich sicherlich nicht besonders schwierig gestalten wird über das Thema Zivilcourage und dessen Umsetzung in die Praxis zu berichten. Ich war davon überzeugt, dass ich einen Weg finden würde, wie man mit Hilfe von pädagogischen Konzepten, Zivilcourage lehren könnte. Doch durch näheres Betrachten und genaueres Hinterfragen, aber auch aufgrund des Gespräches mit Sybille Günther fiel mir ein Entwurf für mögliche pädagogische Methoden recht schwer.

Ich konnte feststellen, dass zivilcouragiertes Handeln verschiedenen Faktoren und Bedingungen unterliegen - sowohl objektiver als auch subjektiver Art. Dementsprechend kann auch nicht eindeutig festgelegt werden, wie hoch das Potential des wirklichen Eingreifens ist. Dies kann jedoch verändert beziehungsweise stetig erhöht werden, indem Bildung und Erziehung einen hohen Beitrag leisten. Es ist klar, dass Zivilcourage erlernbar ist. Genau dies sollte Pädagogen und auch Politikern immer wieder klar gemacht werden. Denn was nützt es uns, wenn der Kanzler nach mehr Zivilcourage verlangt, aber die Bildungsministerien diesbezüglich recht wenig handeln. Wie schon mehrmals erwähnt, bin ich der Meinung, dass ein größerer Wandel in den Schulen stattfinden muss. Die Pädagogik sollte sich von den eingefahrenen Konzepten des Frontalunterrichts, von bloßer Stoffvermittlung und anderen Atavismen trennen. Ich bin davon überzeugt, dass mehr Kreativität in Verbindung mit immer wieder einfließender Werterziehung auch dazu beitragen würde, dass Schüler wieder gern lernen - dass Schule einfach Spaß macht. Schule sollte nicht einfach nur eine Institution der Lernstoffvermittlung sein. Man müsste langsam wieder viel mehr Wert auf Sozialisation im Sinne von Menschenrechtserziehung und Werteerziehung legen. Wenn dazu die richtigen Methoden gefunden werden, dann bin ich auch sicher, dass die Gewalt an Schulen drastisch reduziert werden könnte. Ein Erziehung zu zivilcouragiertem Handeln ist sicherlich Sache der kleinen Schritte - jedoch höhlt steter Tropfen auch den Stein. Wichtig ist nur, dass auch wir Erwachsenen mit gutem Beispiel voran gehen und endlich aus unserer Passivität ausbrechen. Dies ist wahrscheinlich nur zu erreichen, wenn wir aufhören davon zu reden. Denn wer redet, der handelt nicht gerne. Wir müssen uns einfach abgewöhnen, darauf zu warten, dass andere den ersten Schritt machen und eingreifen. Wir müssen nur einen Moment lang Mut beweisen und nicht lange über eventuelle missmutige Blicke nachdenken. Wir sollten uns auch nicht mehr darauf verlassen, dass schon irgendjemand anderes die Polizei oder den Rettungsdienst alarmiert hat. Es ist Zeit, dass wir selbst Stärke zeigen, in dem wir den Schwächeren zur Seite stehen!!

6. Literatur:

Bastian, Till: Zivilcourage. Von der Banalität des Guten; Hamburg; 1996

Beer, Ulrich: Demokratie - von Autorität bis Zivilcourage; Düsseldorf; 1979

Bundeszentrale für Politische Bildung (Hrsg.): Zivilcourage: Eingreifen statt zuschauen; Staat. Gesellschaft. Wirtschaft. Internationales. Ethik; Themenblätter im Unterricht; Nr.8; 2001

Frank, Andrea: Die Grenzen der eigenen Handlungsbereitschaft; in: Diskussion Deutsch; 25.Jg.; Nr. 138; 1994

Fetscher, Irving: Ermutigung zur Zivilcourage; in: Wickert, Ulrich (Hrsg.): Das Buch der Tugenden; Hamburg; 1996

Fuchs-Heinrich, Werner u.a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie; Opladen; 1994

Hermann Angela/Meyer, Gerd: Zivilcourage in der Institution Schule.; in: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Werte in der politischen Bildung; Bonn; 2000

Hohmann, Conny und John, Jeanniene.: Thesenpapier: Zivilcourage als Lernperspektive; Magdeburg; 1/6/2001

Jaschke, Gabriele/Purohit, Preeti: Was fördert oder verhindert Zivilcourage? Hypothesengenerierung über ein Konzept; Diplomarbeit; Heidelberg; 1996

Jaskolski, Helmut: Zivilcourage - was ist das? Quellen und Motive einer seltenen Tugend. Vortrag an der VHS Erftstadt; 10.11.1999

Krahulec, Peter: Zivilcourage als „ansteckende Gesundheit“. Bausteine für eine eingreifende pädagogische Praxis; in: Butterwegge, Christoph und Lohmann Georg (Hrsg.): Jugend Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente; Opladen; 2000

Lünse, Dieter/ Rohwedder, Jörg/ Baisch, Volker: Zivilcourage. Anleitung zum Kreativen Umgang mit Konflikten und Gewalt; Münster; 1995

Meyer, Gerd/ Hermann Angela: „... normalerweise hätt‘ da schon jemand eingreifen müssen“. Zivilcourage im Alltag von BerufsschülerInnen. Eine Pilotstudie; Schwalbach; 1999

Meyer, Gerd/ Hermann, Angela: Zivilcourage im Alltag. Ergebnisse einer empirischen Studie; Aus Politik und Zeitgeschichte; B7-8/2000; 11.Februar 2000

Milgram, Stanley: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität; Reinbek; 1982

Neupert, Volker: Zivilcourage: Definitionen, Thesen, Ansichten: www.polizei.nrw.de/duesseldorf/zivilcourage/definition.htm; 29.05.2001

Ostermann, Änne: Zivilcourage - Eine demokratische Tugend: Test für die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft: www.hsfk.de/deu/pub/stpkt/sp0198.htm; 21.07.2001

Singer, Kurt: Zivilcourage wagen; München; 1997

Weidner, Jens: Zivilcourage kann man lernen: http://www-wisy.aww.uni-hamburg.de/themen/Art0698.html; 12.10.2001

www.kessie.de/zivil2.htm; 26.06.2001

[...]


1 Vgl.: www.kessie.de/zivil2.htm, 26.06.2001

2 Beer, Ulrich: Demokratie - von Autorität bis Zivilcourage, Düsseldorf, 1979, S.155

3 Suchmaschine: Google, am 22.06.01

4 vgl.: Bastian, Till: Zivilcourage. Von der Banalität des Guten, Hamburg, 1996, S. 19

5 Wittgenstein, L.: Philosophische Untersuchungen, Frankfurt am Main, 1984, S. 262, in: Jaschke, Gabriele/Purohit, Preeti: Was fördert oder verhindert Zivilcourage? Hypothesengenerierung über ein Konzept, Diplomarbeit, Heidelberg, 1996, S. 9

6 Brockhausdefinition

7 vgl.: Ostermann, Änne: Zivilcourage - Eine demokratische Tugend: Test für die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft: www.hsfk.de/deu/pub/stpkt/sp0198.htm, 21.07.2001

8 vgl.: Neupert, Volker: Zivilcourage: Definitionen, Thesen, Ansichten: www.polizei.nrw.de/duesseldorf/zivilcourage/definition.htm, 29.05.2001

9 Ostermann, Änne: Zivilcourage - Eine demokratische Tugend: Test für die Demokratiefähigkeit einer Gesellschaft: www.hsfk.de/deu/pub/stpkt/sp0198.htm, 21.07.2001

10 Singer, Kurt: Zivilcourage wagen, München, 1997, S. 5ff

11 Fetscher, Irving: Ermutigung zur Zivilcourage, in: Wickert, Ulrich (Hrsg.): Das Buch der Tugenden, Hamburg, 1996, S. 568

12 Hierbei sollte auf Unrechtsstaaten, wie das Nazi-Regime verwiesen werden, wo Zivilcourage gefordert war, um staatliches Unrecht zu verhindern, wie beispielsweise , wenn es galt Juden vor der Gestapo zu verstecken.

13 „Zivilcourage ist im psychoanalytischen Sinne der Beweis von ‚Ich-Stärke‘ „ Fetscher, Irving: Ermutigung zur Zivilcourage, in: Wickert, Ulrich (Hrsg.): Das Buch der Tugenden, Hamburg, 1996, S. 569

14 Gerd Meyer und Angela Hermann setzen den Begriff „Zivilcourage“ mit „sozialem Mut“ gleich. Vgl.: Meyer, Gerd/ Hermann, Angela: Zivilcourage im Alltag. Ergebnisse einer empirischen Studie, Aus Politik und Zeitgeschichte, B7-8/2000, 11.Februar 2000, S.4

15 Vgl.: Beer, Ulrich: Demokratie - Von Autorität bis Zivilcourage, Düsseldorf, 1979, S.156

16 Vgl.: Fetscher, Irving: Ermutigung zur Zivilcourage, in: Wickert, Ulrich (Hrsg.): Das Buch der Tugenden, Hamburg, 1996, S. 569

17 Hierbei handelt es sich um Werte im Sinne der Menschenrechte.

18 Vgl. Fetscher, Irving: a.a.O. S.569

19 Vgl. Fuchs-Heinrich, Werner u.a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie, Opladen, 1994, S.34

20 ebd. S. 697

21 Singer, Kurt: Zivilcourage wagen, München, 1997, S. 5ff.

22 Vgl.: Milgram, Stanley: Das Milgram-Experiment. Zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität; Reinbek, 1982

23 Protestvariante bedeutet, dass den Probanden eine von anderen vermeintlichenVerweigerung vorgespielt wurde.

24 Vgl.: Krahulec, Peter: Zivilcourage als „ansteckende Gesundheit“. Bausteine für eine eingreifende pädagogische Praxis, in: Butterwegge, Christoph und Lohmann Georg (Hrsg.): Jugend Rechtsextremismus und Gewalt. Analysen und Argumente, Opladen, 2000, S.228

25 Meyer, Gerd und Hermann Angela: Zivilcourage im Alltag. Ergebnisse einer empirischen Studie; Aus Politik und Zeitgeschichte, B7-8/2000, 11.Februar 2000, S. 5

26 vgl: Hohmann, C. und John, J.: Thesenpapier: Zivilcourage als Lernperspektive, Magdeburg, 1/6/2001, S. 4

27 Die folgenden Punkte lehnen sich an die Ausführungen Gerd Meyers und Angela Hermanns an.

28 vgl.: Meyer, Gerd/Hermann, Angela: Zivilcourage im Alltag. Ergebnisse einer empirischen Studie; Aus Politik und Zeitgeschichte, B7-8/2000, 11.Februar 2000, S. 5f

29 beispielsweise ein Klassensprecher, ein Mitglied des Betriebsrates o.ä. 16

30 zum Beispiel eine schlechte Schulnote als Bestrafung

31 vgl.: Meyer, Gerd/Hermann, Angela: Zivilcourage im Alltag. Ergebnisse einer empirischen Studie; Aus Politik und Zeitgeschichte, B7-8/2000, 11.Februar 2000, S. 11

32 Chinesisches Sprichwort

33 vgl.: Hermann Angela/Meyer, Gerd: Zivilcourage in der Institution Schule.; in: Breit, Gotthard/Schiele, Siegfried (Hrsg.): Werte in der politischen Bildung; Bonn; 2000; S. 444ff

34 ebd.; vgl. auch: Lünse, Dieter/ Rohwedder, Jörg/ Baisch, Volker: Zivilcourage. Anleitung zum Kreativen Umgang mit Konflikten und Gewalt; Münster; 1995

35 Sybille Günther, 47 Jahre, Gymnasiallehrerin für Mathematik, Englisch, Kunsterziehung am „Ascaneum“ in Ascherleben

36 Zitat: Günther, Sybille: 14.10.2000

37 ebd.

38 Ebd.

39 Spiegel, Nr.9, März 1993; in: Lünse, Dieter/ Rohwedder, Jörg/ Baisch, Volker: Zivilcourage. Anleitung zum kreativen Umgang mit Konflikten und Gewalt; Münster; 1995; S.126

40 Zitat: Günther, Sybille: 14.10.2000

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Politisches Lernen - Zivilcourage als Lernziel der politischen Bildung
Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Veranstaltung
Politisches Lernen - Politische Sozialisation
Note
sehr gut
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V105528
ISBN (eBook)
9783640038206
Dateigröße
496 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich habe mich in meiner Arbeit - neben dem Versuch, den Begriff Zivilcourage definitorisch zu fassen - darauf konzentriert, folgende Fragestellungen zu klären: Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit jemand zivilcouragiert handelt? Welche Beweggründe fördern, und welche verhindern Zivilco! urage? Welche Möglichkeiten hat die politische Bildung, um das Lernziel Zivilcourage umsetzen zu können?
Schlagworte
Politisches, Lernen, Zivilcourage, Lernziel, Bildung, Politisches, Lernen, Politische, Sozialisation
Arbeit zitieren
Stefanie Weber (Autor:in), 2001, Politisches Lernen - Zivilcourage als Lernziel der politischen Bildung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105528

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