1.) Einleitung
Von Wright erläutert in Kapitel IV "Erklärung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften", das erstmals in dem Werk „Explanation and Understanding“ von 19711 erschien, dass geschichtliche und soziale Zusammenhänge hauptsächlich teleologisch erklärt und verstanden werden müssen. Damit widerspricht er vor allem dem in der naturwissenschaftlich orientierten Psychologie vorherrschenden Prinzip der kausalen Erklärung. Nach von Wright kann diese für einen humanen bzw. sozialen Forschungsgegenstand keine Gültigkeit haben, da es an eine deduktiv-nomologische Strategie gebunden ist und das Menschenbild in unzulässigerweise mechanisiert. Nur in eng begrenzten Zusammenhängen könnten kausale bzw. quasi-kausale Erklärungen indirekt relevant für die Geschichtswissenschaft sein.
Ein Mensch handelt von Wright zufolge aufgrund einer Intention (Ziel) und den kognitiven Einstellungen folgend. So dieser Mensch in einer bestimmten Situation rational handelt, kann man seine Handlung verstehen und erklären. Denn die Handlung ist determiniert durch die rationalen Überlegungen, die als (nachvollziehbare) Grundlage das Ziel und die kognitive Einstellung des Handelnden haben. Dieses Prinzip nennt von Wright „Relativistischer Rationalismus“.
Was dieses Prinzip im einzelnen besagt und wie von Wright es begründet werde ich im folgenden erläutern. Dabei werde ich auch auf die Anmerkungen von Georg Meggle zu der Theorie von von Wright zugreifen. Beginnen werde ich jedoch mit einer kurzen allgemeinen Einführung über Handlungstheorien.
2.) Handlungstheorien
Der Begriff „Handlung“ dient in aller Regel zur Beschreibung des Verhaltens von Personen. Eine Handlung findet dann statt, wenn eine Person etwas bewußt tut. Dadurch unterscheidet sie sich von dem, was mit einer Person bloß geschieht, z.B. ist ein Reflex demnach keine Handlung.
Bei den Handlungstheorien handelt es sich um Versuche, das menschliche Handeln auf eine bestimmte Art zu erklären. Diesen Theorien kommt in den Geschichts- und Sozialwissenschaften eine besondere Bedeutung zu, da das soziale Leben in jeder Gesellschaft auf Handlungen beruht. Menschen interagieren, Handeln untereinander.
Als Handlungstheorie läßt sich eine „Gruppe soziologischer Theorien bezeichnen, die ihr gemeinsames Merkmal darin finden, daß sie gesellschaftliche Systeme auf soziales Handeln in sozialen Situationen zurückführen und dabei Organisationen, Institutionen und soziale Strukturen aus der Perspektive sozialer Akteure zu erschließen versuchen“2
2.1.) Die Geschichte von Teleologie und Handlungstheorien
Die Geschichte der Handlungstheorien geht zurück bis in die Antike, genauer bis zu Platon, Sokrates und Aristoteles. Platon definierte zunächst eine Handlung, griechisch: „poiesis“, wie folgt: „Was nun für irgendetwas Ursache wird, aus dem Nichtsein in das Sein zu treten, ist insgesamt Poiesis.“3 Sokrates verfeinerte diese Definition und unterschied zwischen „poiesis“ und „praxis“. Auch Aristoteles griff diese Unterscheidung auf, um das Handeln nach seiner Zielgerichtetheit zu klassifizieren. Er erläuterte zudem, dass eine Person eine Wahlfreiheit über die Entscheidung von Zwecken und Mitteln einer Handlung besitze und somit auch für seine Handlungen verantwortlich sei.
Dieser Verantwortungszuschreibung stand die Teleologie, die Lehre von der Zielgerichtetheit, im klassischen Sinne gegenüber. In der ionischen Philosophie des 5. Jahrhunderts v. Chr. entstand die Überzeugung, dass der Aufbau des gesamten Kosmos einer bestimmten Planung folgt, der Kosmos als ganzer, also auch Handlungen von Menschen, im Sinne einer Ziel- und Zweckgerichtetheit zu interpretieren sei. Die Welt wäre demnach wie sie ist, weil es so am besten ist. Diese Denkweise ließ sich folglich gut mit der Theologie verbinden. Sie stützte die Auffassung, dass es einen Gott gibt, der die Welt in seinem Sinne geschaffen hat und erhält.
Die klassische teleologische Betrachtungsweise verschwand jedoch nach und nach vollständig aus den verschiedenen Wissenschaften. In der Biologie wurde sie z.B. von der Lehre Darwins verdrängt. In den Gesellschaftswissenschaften ersetzte der historische Materialismus die Teleologie und damit die Vorstellung, dass Handlungen mit kausalen Zusammenhängen erklärt werden können.
Machiavelli, der als Begründer der modernen Handlungstheorien gilt, erklärte, dass (politische) Handlungen von unterschiedlichen, aber vor allem religiösen Motiven geleitet werden. Er schrieb also dem Menschen eine Verantwortung für sein Handeln zu.
Aktuelle Handlungstheorien, auf die ich jetzt aber nicht näher eingehen werde, stammen z.B. von Max Weber, Herbert Mead, Talcott Parsons und Alfred Schütz. Von Wright gilt als Begründer der intentionalistischen Handlungstheorie.
2.2.) Intentionalistische Handlungstheorie
Die intentionalistische Handlungstheorie stellt das Ziel des Handelnden in den Mittelpunkt, wohingegen bei kausalen Handlungserklärungen die Ursachen, also die vorhergehenden Ereignisse oder Zustände, entscheidend sind.
Hauptkritikpunkt intentionalistischer Handlungstheoretiker an kausalen Erklärungsversuchen von menschlichen Handlungen, ist, dass dabei die menschliche Handlungsfreiheit negiert wird. Laut dem Kausalitätsprinzip muss in einer bestimmten Situation eine bestimmte Handlung zwangsläufig folgen. Der Mensch hätte demnach keine Wahlmöglichkeit. Sein gesamtes Tun und Lassen wäre durch eine äußere Kraft determiniert.
Folglich kritisieren die intentionalistischen Handlungstheoretiker, dass eine Erklärung einer Handlung damit unmöglich werde. Denn alle Handlungen würden schlicht bestimmten Regeln, Naturgesetzen gleich, folgen, die aber für die Menschen selbst nicht ersichtlich sind.
Zudem sehen von Wright und andere intentionalistische Handlungstheoretiker bei menschlichen Handlungen keine Möglichkeit einer strikten Trennung zwischen Ursache und Wirkung. Diese wird jedoch bei kausalen Erklärungsmustern vorausgesetzt (wegen a entsteht oder passiert b, wobei a ≠ b).
3.) Die Teleologie als Erklärung für Handlungen
Die intentionalistische Handlungstheorie behauptet also, dass Intention und Verhalten bei der Beschreibung einer Handlung formal nicht trennbar sind. Sie arbeitet dabei mit teleologischen Erklärungsmustern. Die Zielgerichtetheit bezieht hier jedoch nicht auf ein Gesamtziel, das von einer externen „Kraft“ in irgendeiner Weise angesteuert wird, sondern auf die subjektive Absicht des Handelnden.
Auch von Wright geht zunächst davon aus, dass hinter menschlichem Handeln stets eine Intention bzw. ein Ziel steht. So möchte er herausfinden, warum eine Person so und nicht anders gehandelt hat. Er bestreitet also, dass eine externe Ursache allein zwangsläufig eine bestimmte Handlung zur Folge. Neben der Intention muss aber auch die kognitive Einstellung des Handelnden analysiert werden, um die Handlung verstehen zu können.
Die kognitive Einstellung bedeutet hier vor allem das individuelle Vorwissen im humeschen Sinne. Wenn eine Person die Erfahrung gemacht hat, dass sie mit einer Handlung ein konkretes Ziel erreichen kann, wird sie diese Handlung in einer gleichen oder ähnlichen Situation erneut vollziehen, um zum gleichen oder ähnlichen Ziel zu gelangen. Ein Beispiel: Wenn ich gelernt habe, dass ich auf den Knopf am Fahrstuhl drücken muss, damit der Fahrstuhl in meine Etage fährt, werde ich beim nächsten Mal, wenn ich mit diesem oder einem anderen Fahrstuhl fahren möchte, erneut einen Knopf suchen und drücken.
Die kognitive Einstellung bezieht sich aber auch auf Regeln und Werte, nach denen eine handelnde Person sich richtet.
In Kapitel IV seines Werkes „Erklären und Verstehen“ erläutert von Wright nun, wie teleologische Erklärungen in den Geschichts- und Sozialwissenschaften angewandt werden können.
Zunächst zeigt er, dass es hierbei nicht alleine reicht, die Handlungen einzelner Personen teleologisch zu erklären. Als Beispiel dazu führt er Menschenmengen an, die „in derselben Richtung durch die Straßen ziehen, im Chor irgend etwas schreien, einige schwenken Fahnen, etc.“ (S. 122). Was dies nun ist, eine Demonstration, eine Prozession, ein Volksfest oder irgendetwas anderes, läßt sich von Wright nicht dadurch erklären, dass man die Intentionen der Individuen versucht zu analysieren. Warum die einzelnen Menschen in dieser Menge dabei sind, kann sich stark unterscheiden. Während der eine sich lediglich amüsieren möchte, verfolgen andere eventuell ideologische Ziele oder sind einfach nur neugierig und laufen deshalb mit.
Die Handlungen der Menschen müssen also weitergehend interpretiert werden. Eine Antwort auf die Frage „Was ist dies?“ muss gefunden werden. Diesen Akt bezeichnet von Wright als „Verstehen“. Davon unterscheidet er den Akt des „Erklärens“, der eine Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“ sucht (vgl. S. 123). Dies ist also die Suche nach eventuellen Ursachen.
Ein Beobachter sieht zunächst die einzelnen Personen, die irgendetwas tun. Daraufhin versucht er ihr Handeln zu verstehen, in einen Kontext einzuordnen, also zu interpretieren (es handelt sich z.B. um eine Demonstration). Anschließend wird nach einer Erklärung gesucht, warum diese Menschen diese Handlung durchführen (sie demonstrieren, weil sie mit der Regierung unzufrieden sind). Dabei kann es natürlich auch mehrere Ursachen oder weiter zurückliegenden Gründe geben (sie sind mit der Regierung unzufrieden, weil es zu hohe Steuern gibt, weil das Land in einen Krieg verwickelt ist, weil ...).
Einen Gegenstand, den es zu erklären gilt, nennt von Wright „Explanandum“ (S. 124). Bevor man jedoch diesen Gegenstand erklären kann, muss zunächst begriffen werden, um was genau es sich handelt. „Verstehen“ ist also „eine Vorbedingung für jede Erklärung“ (S. 124). Von Wright unterscheidet dabei jedoch „Verstehen“ im kausalen Sinn, das nach der Beschaffenheit des Gegenstands fragt („von welcher Art ist es?“) und „Verstehen“ im teleologischen Sinn, das nach der Bedeutung fragt („was bedeutet es?“).
Im folgenden erklärt von Wright, dass es in den Geschichts- und Sozialwissenschaft auch kausale Erklärungen gibt. Wenn ein Forscher herausfindet, dass eine Stadt zerstört wurde, ist die Erklärung dieser Zerstörung eine kausale. Es gibt eine klare, von der Wirkung unabhängige Ursache, wie z.B. eine Überflutung. Von Wright zeigt, dass aber auch eine durch Menschen herbeigeführte Zerstörung, also eine auf Handlung beruhende Ursache, in das kausale Erklärungsmuster passt. Denn in diesem Fall der Geschichtswissenschaft sei lediglich die Ursache von Bedeutung, „unabhängig davon, ob sie die Resultate von Handlungen waren oder nicht“ (S.125). Die Erklärung liefert eine Antwort auf die Frage „ Warum notwendig? “, erläutert also hinreichende Bedingungen.
Von Wright stellt heraus, dass es echte kausale Erklärungen in der Geschichtswissenschaft gibt, wenn eine gesetzmäßige Verknüpfung zwischen „Explanantia und Explananda“ vorhanden ist. Dies bedeutet, dass ein bestimmter Zustand oder ein bestimmtes Ereignis, das es zu erklären gilt (Explanandum), nur dadurch auftreten konnte, dass zuvor andere Zustände vorhanden waren oder andere Ereignisse stattgefunden hatten, „die für die Existenz oder Entstehung der ersteren kausal notwendig sind“ (S. 127) (Explanantia). Dies sind Erklärungen auf die Frage „ Wie m ö glich? “, erläutern also notwendige Bedingungen.
Kausale Erklärungen sind laut von Wright in der Geschichts- und Sozialwissenschaft jedoch nicht direkt relevant. Bei den Erklärungen des „Warum möglich?“-Typs seien z.B. die Tatsache, dass die Stadt zerstört wurde und die daraus resultierenden Wirkungen, interessanter für den Forscher. Die Ursachen seien nur dann von Interesse, wenn sie den Wissenschaftler dazu bringen, über die Gründe einer z.B. stattgefundenen Aggression weiter zu forschen. Die kausale Erklärung dient lediglich dazu, die Ursachen und die Wirkungen eines Ereignisses miteinander in Verbindung zu bringen.
Im folgenden erläutert von Wright die Beschaffenheit von den von ihm so genannten „ quasi- kausalen “ Erklärungen. Dabei gebe es wie bei der kausalen Erklärung logisch voneinander unabhängige Explananda und Explanantia, jedoch keine direkte Verbindung zwischen ihnen. Sie seien mittels einer „Menge singulärer Aussagen, die die Prämissen praktischer Schlüsse bilden“ (S. 129) verknüpft. „Die Conclusio, die aus dem in diesen Prämissen gegebenen Motivationshintergrund gezogen wird, ist oft nicht das Explanandum selbst, sondern irgendein anderes, dazwischenliegendes Ereignis bzw. irgendeine andere, dazwischenliegende Handlung [...] - das bzw. die in den Motivationshintergrund eines wieder anderen praktischen Schlusses mit einer anderen Zwischen-Conclusio [...] eingeht und so fort durch eine Anzahl von Schritten, bis wir schließlich zum Explanandum selbst kommen.“ (S. 130)
Im den folgenden Abschnitten befasst sich von Wright mit der Frage, „warum etwas getan wurde“ (S.133). Er erläutert zunächst, dass sich bei den Motivationshintergründen einer Tat zwei Typen unterscheiden lassen: „äußere Veränderungen“ und „innere Umstände“ (S. 132), die einen Menschen dazu veranlassen, etwas zu tun. „Äußere Veränderungen“ sind dabei z.B. klimatische oder technologische Veränderungen. Bisweilen können nach Ansicht von von Wright solche Veränderungen als kausale Erklärungen dienen. Die „inneren Umstände“ beziehen sich auf die kognitiven Einstellungen der Menschen. Von Wright erörtert, dass die beiden Typen von Motivationshintergründen voneinander abhängen, und dass es unmöglich zu bewiesen ist, ob in der Regel eine äußere Veränderung einem Wandel der inneren Umstände vorhergeht oder umgekehrt.
Anschließend beschäftigt sich von Wright mit den Möglichkeiten, „wie man jemanden dazu bringen kann, etwas zu tun“ (S. 133). Er geht dabei zunächst auf die Anwendung physischer Gewalt ein und stellt fest, dass "physischer Zwang Handlungen kausal unmöglich, aber nicht kausal notwendig machen kann" (S. 133). Dies bedeutet, dass ein Handelnder, wenn er auf eine Gewaltanwendung reagiert, stets ein teleologisches Motiv mit seiner Handlung verbindet, z.B., den Schmerz zu verhindern. Da diese Reaktion im Zweifel nahezu "mechanisch" abläuft, weist nach Ansicht von von Wright diese Form der Handlung eine Ähnlichkeit mit Reflexhandlungen auf.
Dies gilt auch für Handlungen, die unter "normativem Druck" durchgeführt werden. Hier versucht der Handelnde im Zweifel, Sanktionen zu vermeiden. Dies aber nur, wenn der Handelnde selbst nicht von dem Ziel, das die Norm vorgibt, überzeugt ist. In diesem Fall braucht er nicht durch die Androhung von Sanktionen "überzeugt" werden.
Von Wright kommt also zu dem Schluss, dass der von ihm so genannte "Jemanden-dazu- bringen-etwas-zu-tun"-Mechanismus immer einen teleologischen Hintergrund aufweist, wodurch er sich durch einen kausalen Mechanismus, einem Reflex, unterscheidet (S.136). Wenn eine Reaktion tatsächlich keine teleologische Motivation aufweist, es sich also tatsächlich um einen (konditionierten) Reflex handelt, kann man von einer kausalen Verknüpfung sprechen. Doch dann "verliert die Reaktion den Charakter einer Handlung" (S.137).
Im folgenden Abschnitt zeigt von Wright den Unterschied zwischen von ihm so genannten "primären" und "sekundären" Regeln bzw. Normen auf. Die ersten regulieren Verhalten, die zweiten definieren soziale Praktiken und Institutionen (vgl. S. 137f.). Zum Erklären von Verhalten können nach seiner Ansicht nur die primären Regeln heran gezogen werden. Zum Verstehen des Verhaltens haben jedoch die sekündären Regeln eine "fundamentale Bedeutung" (S. 137).
Anschließend argumentiert von Wright dafür, dass quasi-teleologische Erklärungen in den Geschichts- und Sozialwissenschaften keine Relevanz haben. Quasi-Teleologie kommt zumeist in biologischen Kontexten vor und besagt, nach von Wright, auf die Sozial- und Geschichtswissenschaften übertragen, dass Individuen und Gruppen ein Verhalten zeigen, das einen Zweck erfüllt, ohne dazu intendiert zu sein (vgl. S. 139).
Dies würde folglich bedeuten, dass "zwischen den Ereignissen eine gesetzmäßige Verknüpfung der Form , daß das eine eine notwendige Bedingung für das andere darstellt, besteht" (S.140). Von Wright hatte schon zuvor gezeigt, dass dies nicht der Fall sein kann, sondern, dass stets eine Reihe praktischer Schlüsse zwischen den Ereignisse liegt.
Im folgenden führt er den Begriff des "Feedbacks" ein. Beim Feedback gibt es eine Verkettung zweier Systeme, ein primäres und ein sekundäres. Eine Information aus dem ersten System fließt in das zweite und sorgt dort unter Umständen für eine Änderung des Ursache-Faktors. Wenn die Information tatsächlich den Ursache-Faktor beeinflusst, ändern sich die Prämissen, also der Motivationshintergrund, fr das sekundäre System. Dies wiederum hat eine Wirkung zu Folge, die den Ursache-Faktor des primären Systems beeinflusst. Der Informationsfluss erfolgt dabei via Kommunikation, also einer intendierten Handlung. (vgl. S.141ff.) Der Feedback-Prozess stellt also keinen Humeschen Kausalvorgang dar, "sondern eine motivationale, durch praktische Schlüsse herbeigeführte Zwangsläufigkeit" (S.143). Von Wright fügt an dieser Stelle noch einen Exkurs zum Begriff der "doppelten Negation" in der Hegelschen Logik bzw. dem orthodoxen Marxismus ein. Dieser besagt, dass eine Negation einer Negation zu etwas anderem führt als dem Ausgangspunkt (vgl. S.144).
In den letzten beiden Abschnitten des Kapitels geht von Wright auf den das "Problem des Determinismus in der Geschichte und in der gesellschaftlichen Entwicklung" (S.145) ein. Zunächst unterscheidet er zwei Typen des Determinismus: denjenigen, der sich mit der Voraussagbarkeit der historischen und sozialen Prozesse beschäftigt und denjenigen, der im Zusammenhang mit der Verständlichkeit der Prozesse steht.
Zudem differenziert er zwischen der Mikro- und der Makroebene. Die Mikroebene bezieht sich auf das Individuum, die Makroebene auf eine große Anzahl von Elementen. Im Makrobereich werden die Handlungen von möglichst unendlich Individuen analysiert. Damit gilt das statistische Gesetz der großen Zahlen. Die Wahrscheinlichkeiten, die vergangene Handlungen verständlich machen oder zukünftige vorhersagbar erhöhen sich. Der Zuverlässigkeitsgrad ist also höher. Deswegen wird der Mikrobereich in historischen und sozialwissenschaftlichen Untersuchungen vernachlässigt.
Nach Ansicht von Philosophen positivistischer Richtung geht die Analyse in der Makroebene über die deskriptive Stufe hinaus (vgl. 147). Von Wright führt jedoch zwei Vorbehalte an. Zum einen zeige diese Art der Erklärung immer nur einen Aspekt dessen, was tatsächlich vor sich geht. Zum anderen gebe es einen entscheidenden Unterschied zwischen den experimentellen Wissenschaften und der Sozial- und Geschichtswissenschaft: Ein naturwissenschaftlicher Experimentator kann das System von außen beeinflussen, ein handelndes Individuum ist in der Regel im System und kann nicht daraus heraus treten.
Der Determinismus in den Sozial- und Geschichtswissenschaften macht also folgende Aussage: Ein Individuum hat ein Ziel. Um dieses Ziel zu erreichen, wird es eine bestimmte Handlung durchführen. Die Handlung ist dabei durch rationale Überlegungen, die als Grundlage das Ziel und die kognitive Einstellung des Handelnden haben determiniert (vgl. S.148f.). Dies bezeichnet von Wright als relativistischen Rationalismus. Damit setzt er ihn ab vom absoluten Rationalismus, "der der Geschichte oder sozialen Prozeß als Ganzem ein Ziel zuschreibt" (S. 149).
Das Verstehen einer Handlung in der Sozial- und Geschichtswissenschaft kann also nach von Wright wie folgt beschrieben werden:
Y versteht die Handlung, wenn Y weiss, dass und aus welchen Gründen es für X rational war, das zu tun, was er getan hat.
4.) Schlußfolgerung
Von Wright berücksichtigt bei seinem Ansatz, dass es bei der Erklärung einer individuellen Handlung nicht so sehr darauf ankommt, dafür eine externe Ursache im Sinne eines allgemein gültigen Gesetzes zu finden, sondern vielmehr aufzuklären, warum eine Person so und nicht anders handelt. Es müssen daher in diesem Fall die Ziele und Intentionen des Handelnden berücksichtigt werden, also nicht bloß in der Vergangenheit liegende Bedingungen.
Das entscheidende Moment ist dabei die Rationalität. Es geht darum, zu begründen, warum eine Handlung unter den gegebenen Umständen vernünftig, wertvoll oder normgerecht war
[...]
1 die vorliegende Ausgabe: Wright, G.H. von (1984): Erkl ä ren und Verstehen, 2. Aufl., Königstein. Kapitel IV: S. 122-150)
2 Fachlexikon der sozialen Arbeit: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hrsg.), 2. Auflage, Eigenverlag, Frankfurt a.M. 1986
3 Platon, Symposium 205 b
- Arbeit zitieren
- Christian Baars (Autor:in), 2002, Georg Henrik von Wright: Erklärung in den Geschichts- und Sozialwissenschaften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105531
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