Analyse und Vergleich des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald mit dem Triptychon Grossstadtleben von Otto Dix


Facharbeit (Schule), 2000

20 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsübersicht

Einleitung

1. Analyse der Triptychen
1.01 Die erste Schauseite des Isenheimer Altars
1.02 Die Mitteltafel „Kreuzigung Christi“ des Isenheimer Altars
1.03 Der linke Flügel des Isenheimer Altars
1.04 Der rechte Flügel des Isenheimer Altars
1.05 Die Predella
1.06 Das „Grossstadt-Triptychon“
1.07 Die Mitteltafel des „Grossstadt-Triptychons“
1.08 Der rechte Flügel des „Grossstadt-Triptychons“
1.09 Der linke Flügel des „Grossstadt-Triptychons“
1.10 Vergleich der Triptychen

2. Entstehung der Triptychen
2.01 Der Isenheimer Altar
2.02 Das Grossstadtbild

3. Menschendarstellung und Menschenbild
3.01 Der Isenheimer Altar
3.02 Das Grossstadtbild

4. Ergänzung: Kurzbiographien von Grünewald und Dix

5. Erläuterungen zu den Skizzen

6. Reflexion

Quellen

Einleitung

Im Rahmen der freien Problemerörterung der Aufgabenstellung meiner Facharbeit werde ich folgende Triptychen betrachten: die Alltagsseite „Kreuzigung Christi“ des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald und das „Grossstadt-Triptychon“ von Otto Dix. Meine Wahl fiel auf diese beiden Werke triptichonaler Konzeption, da sie aus völlig verschiedenen Epochen der Kunstgeschichte stammen und somit eine Fülle von Unterschieden in Inhalt, Gestaltung und Wirkung aufweisen müssten.

Um chronologisch vorzugehen, werde ich zunächst das ältere Triptychon vorstellen.

1.01 Die erste Schauseite des Isenheimer Altars

Das Hauptwerk des Matthias Grünewald ( ca. 1475-1.9.1528), der Altar in der Isenheimer Klosterkirche (entstanden zwischen 1512 und 1516), zeigt auf der Mitteltafel seiner ersten Schauseite (oder auch Alltagsseite) die Kreuzigung Christi (Abmessung: 269 x 307 cm, Mischtechnik auf Holz). Im Zentrum, aber nicht im geometrischen Mittelpunkt der Tafel steht das riesige Kreuz mit dem toten Christus. Links davon die trauernde Personengruppe, bestehend aus Maria, die von dem Jünger Johannes gestützt wird und der knienden Maria Magdalena. Rechts vom Kruzifix sind Johannes der Täufer und ein blutendes Lamm dargestellt. Der linke Flügel zeigt den heiligen Antonius, den Schutzpatron des Isenheimer Antonier Klosters (232 x 75 cm, Mischtechnik auf Holz). Auf dem rechten Flügel ist der heilige Sebastian, der Beschützer der Kranken dargestellt (232 x 76,5 cm, Mischtechnik auf Holz). Die Predella1 „Beweinung Christi“ (67 x 341 cm, Mischtechnik auf Holz) zeigt die Grablegung Christi und wiederum die Trauernden Maria Magdalena, Maria und den Jünger Johannes. Da die Predella aus der triptychonalen Konzeption herausfällt, werde ich sie nicht so ausführlich betrachten wie die beiden Flügel und die Mitteltafel und nicht in den Vergleich aufnehmen.

1.02 Die Mitteltafel „Kreuzigung Christi“ des Isenheimer Altars

Bei der Betrachtung der Mitteltafel wirkt als sehr auffälliges gestalterisches Mittel die Farbgebung. Die Augenführung des Betrachters wird stark durch die Farbakzente bestimmt. Zuerst wird Aufmerksamkeit des Betrachters dem starken Kontrast zwischen Marias weissem und Johannes rotem Gewand in der linken Bildhälfte gelten. Der Jünger Johannes stützt die mit betenden Händen zurücksinkende Maria. Seine Augen sind halb niedergeschlagen, er weint mit offenem Mund. Sein Gesicht ist von Gram erfüllt, aber er neigt sich fürsorglich der Maria zu. Diese scheint kaum einen Ausdruck für ihre Trauer zu finden, sie hat ihre Augen geschlossen und streckt ihre Hände zum Gebet gefaltet in die Höhe. Sie trägt einen bis zum Boden reichenden, weissen Umhang, den sie um ihren Kopf gelegt hat und der ihr Haar vollständig verdeckt. Ihr Gesicht ist sehr bleich und wirkt fast so weiss wie ihre Kopfbedeckung. Nur Augen, Mund und Nase sind stark in einem dunklen Braunton kontrastiert. Sie wirkt durch die Farbgebung kühl und fast leblos. Dann wird der Betrachter weitergeführt zu der knienden Maria Magdalena. Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird durch ihr bodenlanges, in einem warmen Rotton gehaltenes Kleid erregt. Das schafft die Farbverbindung von Johannes (der ebenfalls ein rotes Gewand trägt) zu ihr. Maria Magdalena hat ihre Hände betend zum Kreuz erhoben und ihren Kopf weinend zurückgelegt. Sie trägt ein zartes, halb durchsichtiges Kopftuch, unter dem ihre langen blonden Haare hervorschauen. Maria Magdalena wirkt durch ihre Haarpracht und ihre farbige Kleidung sehr viel herausgeputzter als Maria.

Die Bewegung, die diese Personen als zusammengehörige Gruppe kennzeichnet, lässt sich von Maria Magdalena ausgehend besonders deutlich erkennen. Zunächst fällt auf, dass beide Frauen ihre Hände in die gleiche Richtung strecken. Dann erkennt man, dass sie sogar ihre Körper im gleichen Winkel geneigt haben, ja nicht nur sie, der Jünger Johannes ebenfalls! Maria Magdalenas Silhouette beschreibt einen Bogen, der gleichfalls von der Gruppe aufgenommen wird. Er wiederholt sich in den Falten ihres Kleides, in ihrem wallenden goldblonden Haar, im Saum und in den zarten Nähten von Marias weissem Gewand und in der Lage der Finger der Hand des Johannes, die sie stützt. Der Bogen wird von Gewand,Schulter- und Kopfpartie Johannes abgeschlossen.

Obwohl Maria und Maria Magdalena schon eindeutig auf das Bildzentrum hinweisen, wird der Betrachter doch zunächst zu der Figur Johannes des Täufers geleitet. Dies wird durch sein ebenfalls rotes, leuchtendes Gewand hervorgerufen. Eine weitere Verbindung wird durch das weisse Buch in seiner linken Hand und durch das weisse Lamm zu seinen Füssen geschaffen. Johannes der Täufer trauert nicht. Sein bärtiges Gesicht ist ganz ruhig, seine Augen schauen auf das Kreuz. Dorthin weist auch der überstreckte Zeigefinger seiner rechten Hand. Zwischen Hand und Kopf ist ein auf Latein verfasster Ausspruch des Johannes geschrieben: „ILLUM OPPORTET CRESCERE ME AUTEM MINUI“. Die Übersetzung lautet: „Jener muss wachsen, ich aber muss abnehmen. (Johannes 3,30)“

Er steht sehr aufrecht, was durch die annähernd vertikalen Falten in seiner Kleidung noch betont wird. Johannes der Täufer ist mit einer Art Lederkittel bekleidet, der notdürftig mit einem graubraunem Tuch, das um seine Hüften geknotet ist, zusammengehalten wird. Über seine linke Schulter fällt ein roter Umhang. Seine Bekleidung reicht allerdings nur knapp über seine Knie, darunter werden die blossen Beine und die nackten Füsse sichtbar. Neben ihm steht ein weisses Lamm mit einem kleinen Kreuz, dass sein Blut aus dem Hals in einen goldenen Kelch fliessen lässt. Es steht völlig ruhig und weist nur mit seinem Köpfchen zum Bildzentrum. Diese Wiederholung der Geste des zum Kreuz hin ausgestreckten Zeigefingers Johannes des Täufers lenkt die Blicke eindeutig zum Bildzentrum.

Der Christus überragt alle anderen Figuren, er ist an ein überdimensionales Kreuz genagelt. Sein Körper ist grausam zerschunden, überall sind Wunden und Geschwüre. Sogar das Lendentuch ist zerfetzt und löchrig und hängt schlaff herab. Er ist ausgezehrt, die Rippen und der gesamte Oberkörper stechen hervor. Der Kopf des Christus Hängt kraftlos wie das Lendentuch herab, das Blut läuft ihm ins Gesicht, die Dornenkrone sitzt wie ein undurchdringliches Gestrüpp auf seinem Haupt. Der Mund steht halboffen, wie beim letzten Röcheln erstarrt. Die Augen sind zwar geschlossen, aber doch leidend verzogen. Durch die kalte, grünlich gelbe Farbgebung wirkt der ganze Körper fahl und wächsern, einfach leblos. Sogar das Blut scheint einen grünlichen Farbstich zu haben. Über seinem Haupt hängt, an dem Balken befestigt, ein Holzschild mit den auf strahlend weissem Untergrund gemalten Buchstaben: I.N.R.I. (Jesus von Nazareth, König der Juden)2.

Seine Arme wirken ausgerenkt und langgezogen, als ob sie das Gewicht des Körpers kaum halten können. Die am noch hellem, frischgeschlagenen Querbalken festgenagelten Hände sind verdreht und jeder einzelne helle Finger streckt sich wie eine Kralle in den dunklen Himmel.

Der gesamte Hintergrund ist in sehr dunklen, gebrochenen Farbtönen gehalten, vor dem sich die in Rottönen gehaltenen Gewänder besonders abheben. Aber auch der fahle Körper Christi, das weisse Gewand Marias und das Lamm bilden einen scharfen Kontrast zum Hintergrund. Der Himmel ist fast komplett blauschwarz, nur am Horizont schimmert ein trüber, grünlicher Streifen, der eine karge, dunkle Bergkette erkennen lässt. Im Verhältnis zu einer gedachten waagerechten Mittellinie liegt dieser Horizont sehr tief, was dem Betrachter suggeriert, dass sich die Szene im Vordergrund ebenfalls auf einem Berg, dem Kalvarienberg, abspielt.

Obwohl das Kreuz nicht im geometrischen Mittelpunkt der Tafel steht, ist die Raumstrukturierung ausgeglichen und harmonisch. Das etwas nach rechts versetzte Kreuz teilt die Tafel in zwei verschieden grosse Flächen, wobei sie jedoch im Gleichgewicht stehen und der Schwerpunkt das Kreuz bleibt. Diese Ausgewogenheit kommt durch die Anordnung der Personen in den Bildhälften zustande. Auf der grösseren linken Hälfte ist die Personengruppe, auf der rechten kleineren Hälfte eine Einzelperson dargestellt. Auch auf Grund dieser Raumaufteilung erhält das Gemälde seine Stabilität.

Dennoch ist das Gemälde nicht ruhig, seine Dynamik zieht den Betrachter mit in seinen Bann. Alle Bewegungen laufen im Gekreuzigten zusammen, sie bündeln sich in ihm, stellen ihn ins Zentrum. Das Gemälde wirkt dadurch beunruhigend und aufwühlend.

Die „Kreuzigung Christi“ aus dem Isenheimer Altar zeigt die Kreuzigung in all ihrer Grausamkeit, in all ihrem Leid. Einsam ragt das Kreuz mit dem Christus in den dunklen Himmel, die wenigen Trauernden bleiben allein zurück. Die Szene scheint „gottverlassen“. Aber auch Hoffnung vermittelt sie, denn wie wäre sonst die Anwesenheit Johannes des Täufers zu erklären? Er wurde schon lange vor Christus hingerichtet, er ist also nur symbolisch anwesend. Fraenger drückt dies folgendermassen aus: „Er (Johannes) ist gleichsam zum Tode Christi wieder auferstanden. Durch seine Wiederfleischwerdung versinnbildlicht er im Voraus den Triumph der Auferstehung. Wie er vor Christi Geburt dessen Erscheinen prophezeite, so kündigt er in dessen Todesstunde das Osterfest an.“3.

1.03 Der linke Flügel des Isenheimer Altars

Auf dem linken Flügel ist der heilige Antonius, der Schutzpatron des Isenheimer Antonierklosters dargestellt. Er steht wie eine überlebensgrosse Statue (er ist deutlich grösser als die Personen der Mitteltafel) auf einem Sockel. Er trägt ein dunkelblaues Gewand und einen roten Umhang, der in vielen Falten über seine linke Schulter fällt. In der linken Hand hält er einen Kreuzstab, die rechte hält den Umhang. Sein rechter Fuss und seine rechte Schulter sind leicht vorgesetzt, das heisst dem Betrachter zugewandt. Sein Kopf ist leicht schräg nach links gekippt, was gut an der roten Mütze erkennbar ist. Sein Gesichtsausdruck ist mild und gütig. Ein langer, fast weisser Bart fällt auf seine Brust.

Der sehr dunkle Hintergrund lässt vage die Stuckreliefs einer Wand erkennen. Die rechte obere Ecke jedoch zeigt den Ausschnitt eines bleigefassten Fensters, das von einem Teufel zertrümmert wird4. Obwohl das Fenster hell ist, ist es nicht die Lichtquelle, von der Antonius angestrahlt wird. Das Licht kommt von rechts, also theoretisch von der Mitteltafel. Dieser Lichteinfall und die Körperhaltung des Antonius (leicht nach rechts gewendet) schaffen die Verbindung zur Mitteltafel.

1.04 Der rechte Flügel des Isemheimer Altars

Der rechte Flügel zeigt den heiligen Sebastian, den Schutzpatron der Kranken. Er steht wie sein Gegenüber, der heilige Antonius auf einem Sockel und ist sehr viel grösser als die Personen der Mitteltafel dargestellt. Sein muskulöser, fast weisser Körper ist von Pfeilen durchbohrt. Er steht leicht schräg, mit seiner linken Schulter nach vorn. Über seine rechte Schulter und Arm fällt ein orangeroter Umhang bis zu seinen blossen Füssen. Er hat beide Hände zum Gebet erhoben; sie weisen zur Mitteltafel. Diese Bewegung wird durch die Falten des Umhanges verstärkt, der Umhang scheint mit den Armen emporzurauschen. Das Gesicht ist entgegen dem Körper nach rechts gedreht. Sankt Sebastian ist als junger Mann mit dunkelbraunem Haar dargestellt. Sein Gesicht zeigt keinen Schmerz. Er steht vor einer grauen Säule, an der die vorbeigegangenen Pfeile abgeprallt sind und nun zu ihrem Sockel liegen. Der Hintergrund ist in sehr dunklen Farben gehalten vor dem sich Sebastians heller Körper und der leuchtende Umhang kontrastiert abheben. Die einzige Unterbrechung ist der Ausschnitt eines unverglasten Fensters (vgl. linker Flügel). Aus diesem Fenster schaut man auf eine saftiggrüne Landschaft mit Wiesen und einzelnen Bäumen. Am hellblauen Himmel sind mehrere Engel erkennbar, die einen goldenen Reif über das Haupt des Sebastian halten. Aber wie auch beim linken Flügel ist nicht das Fenster die Lichtquelle. Die Lichtquelle die den Sebastian anstrahlt, müsste von der Mitteltafel kommen, was auch diesen rechten Flügel mit der Mitteltafel verbindet.

Beide Flügel sind sehr ähnlich aufgebaut, sind fast wie Spiegelbilder. Man vergleiche die Körperhaltung der Heiligen, sie sind beide der Mitteltafel zugewandt, sie stehen beide auf einem Sockel und im Hintergrund ist jeweils ein Fenster auf der Seite, die an die Mitteltafel anschliesst. Als auffälligste Gestalterische Mittel jedoch wirken die Bewegungen zur Mitteltafel hin, die ähnliche Farbpalette und der Lichteinfall.

1.05 Die Predella

Die Predella zeigt in ihrem langgestreckten Format die „Beweinung Christi“. Es sind wiederum Maria, Maria Magdalena, der Jünger Johannes und Christus dargestellt. Der liegende Christus soll ins Grab gelegt werden, er wird von Johannes gestützt. Bei ihm knien die trauernden Frauen Maria und Maria Magdalena.

Die Silhouette des liegenden Christus wird in der Bergkante und dem Flusslauf im Hintergrund wiederholt. Die Farbgebung ist weniger kontrastiert, statt den dramatischen Farbgegensätzten der „Kreuzigung Christi“ sind hier alle Farben gedämpft. Auch ist im Hintergrund der „Beweinung Christi“ kein drohendes Gebirge dargestellt, sondern eine weite Landschaft mit einem gemächlichen Fluss. Insgesamt wirkt die Szene viel ruhiger und friedlicher als die „Kreuzigung“.

1.06 Das „Grossstadt-Triptychon“

Eins der bekanntesten Werke von Otto Dix (2. 12. 1891 - 19. 7. 1969) ist das „Grossstadt- Triptychon“ (entstanden 1927/28). Es zeigt auf seiner Mitteltafel (Abmessung: 181 x 200 cm, Mischtechnik auf Holz) eine feine Gesellschaft in einem Jazzclub. Der rechte Flügel (181 x 101 cm, Mischtechnik auf Holz) eine Reihe auf - und abspazierende Edelprostituierte, die achtlos an einem Kriegskrüppel vorbeigehen. Auf dem linken Flügel (181 x 101 cm, Mischtechnik auf Holz), ist die Strassenprostitution dargestellt. Die Dirnen werden von zwei Kriegskrüppeln angestarrt.

1.07 Die Mitteltafel des Grosssadt-Triptychons

Die Mitteltafel zeigt eine illustre, pompös herausgeputzte Gesellschaft in einem Jazzclub. Zunächst wird der Betrachter schier von den knallig-bunten Farben überwältigt sein, die Szene präsentiert sich im ersten Augenblick als buntes Chaos. Aber bei etwas eingehender Betrachtung wird doch eine klare Kompositionslinie erkennbar.

Die Aufmerksamkeit des Betrachters wird zuerst auf die Jazzkapelle am linken Bildrand fallen, da die Musiker mit ihren schwarzen Anzügen und dem schwarzen Flügel im Hintergrund wie ein schwarzer Block wirken, sie bilden eine annähernd gleichfarbige Fläche in dem bunten Durcheinander. Um so kontrastreicher hebt sich dadurch das goldene Saxophon vor dem dunklen Hintergrund ab. Seine Schallöffnung weist genau auf das zweite Saxophon, das von einem Glatzköpfigen mit weissem Hemd, schwarzer Fliege und schwarzem Anzug gespielt wird. Der Musiker geht mit seinem ganzen Körper mit, sein Saxophon ist schräg nach vorn gekippt. Diese Schräge wiederholt sich in der Körperhaltung des schwarzen Schlagzeugers. Auch die Sticks und der nach oben weisende Arm folgen der Schräge. Der Schlagzeuger soll wohl lachen, denn sein Mund und seine Augen sind weit aufgerissen, aber es wirkt eher wie ein Schrei. Dieser Eindruck wird durch die hell hervorstechenden Zähne und durch den nach oben gerichteten Blick hervorgerufen.

Die gleiche schräge Bewegung findet sich in der Arm - und Körperhaltung des Tanzpaares. Der Betrachter wird weitergeführt. Der Herr ist ähnlich wie die Musiker mit weissem Hemd, schwarzer Fliege und schwarzem Anzug bekleidet. So wird auch eine Verbindung durch die Farbkontraste schwarz-weiss geschaffen. Die tanzende Dame wendet dem Betrachter ihren Rücken zu. Sie trägt ein raffiniertes, reich verziertes kurzes grün-goldenes Kleid. Sie ist von wallenden Stoffbahnen umgeben, in deren Falten sich ebenfalls die besagte Schräge wiederfindet. Knapp über ihren Knien sind die rosa Strumpfbänder ihrer Strümpfe zu sehen. Die Beine der Dame sind sowieso sehr auffällig: sie scheinen extrem verdreht zu sein. Durch die türkisen Stöckelschuhe, die sich besonders gut vor dem Parkett abheben, wird dieser Eindruck noch verstärkt. Der pompöse Schmuck an Arm und Hand der Dame kommt vor dem schwarzen Anzug ihres Tanzpartners besonders gut zur Geltung. Ihre rotorange, voluminöse Kurzhaarfrisur kommt vor dem rötlichen Hintergrund fast nicht zur Geltung, auch ihr Gesicht, das dem Betrachter im Profil gezeigt wird, ist seltsam konturlos. Ebenso unbeteiligt erscheint das Gesicht des Tänzers, er schaut an seiner Dame vorbei in die Leere. Seine Beine vollführen die gleichen Verrenkungen wie die seiner Partnerin, vermutlich tanzen sie Charleston.

Der Blick des Betrachters fällt nun auf eine Dame, die weiter im Vordergrund steht, denn ihr Oberkörper ist im gleichen Winkel gebeugt wie der des Tanzpaares. Aber auch hier wird auch die Farbgebung als verbindendes Mittel eingesetzt. Ihr Kleid hat im oberen Bereich eine warme, goldgelbe Färbung, ähnlich der des Kleides der Tänzerin. Allerdings geht dieser Goldton über ein gedämpftes Orange in ein Dunkelbraun hinein. Um den Ausschnitt herum ist das Kleid mit reichlich Perlen besetzt und auf der Körpermitte prangt eine riesige Schmetterlingsbrosche. Diese aus funkelnden Steinen und Perlen bestehende Brosche hält eine Art bodenlange, zweigeteilte Schleppe zusammen. Der lachsfarbene Stoff ist plissiert, fällt aber nicht natürlich, sondern wie steifes Papier geknickt zu Boden. Zwischen Schleppe und Kleid wird der Blick auf ein Bein frei. Es wirkt unnatürlich, es ist durchgedrückt und überzeichnet. Sogar der rot und goldene Stöckelschuh scheint verzerrt, denn der Absatz sitzt viel zu weit innen, sieht aus wie eingedrückt.

Auch diese Dame ist fast überladen mit Schmuck. An jedem Finger ihrer Hand prangt ein grosser Ring. Um den Hals trägt sie eine dreifache Perlenkette, um das rechte Handgelenk einen Armreif aus Perlen. Ein riesiger roter Ohrring hängt ihr fast bis auf die Schultern herab. In ihrer rechten Hand befindet sich ein monströser rosa Federfächer (seine obere Kante nimmt die schräge Bewegung wieder auf), vor dem sich ihre dunklen Haare gut abheben. Sie hat eine jungenhafte, straff zurückgekämmte Kurzhaarfrisur. Ihr Profil lässt sie trotz der vielen Schminke nicht besonders schön wirken; sie hat eine leicht gebogene, spitze Nase und ein sehr kräftiges Kinn. Ihr Auge wirkt für diese Ansicht viel zu gross, fast wie aus einer Frontalansicht herausgelöst und in die Profilansicht hineingesetzt.

Eingerahmt wird die Szene von dem Saxophon auf der linken Seite und von dem Sessel einer Sitzgruppe auf der rechten Seite. Auf dem Sessel sitzt, halb abgewandt auf einen Tisch gestützt, eine ziemlich dicke Frau in einem gelben Kleid, das mit grünen Steinen und reichlich Perlen besetzt ist. Die Bewegung setzt sich in der Haltung ihres linken Arms fort. Über ihrer rechten Schulter liegt ein weisser Pelz. Ihr zurückgekämmtes Haar ist fast so gelb wie ihr Kleid. Sie schaut auf die Tanzfläche, doch sie scheint eher gelangweilt als interessiert. Ihr gegenüber am Tisch sitzt ein Herr in einem schwarzen Anzug in dessen Ausschnitt, unter dem des weisse Hemd zu sehen ist, sich die Schrägbewegung fortsetzt. Er trägt ein Monokel und schaut in die gleiche Richtung wie seine Partnerin, ist aber keinesfalls amüsiert; sein Mund ist zu einem Strich zusammengekniffen. Die Dame in blau hinter dem Paar am Tisch scheint eine Unterhaltung zu führen, macht aber nicht den Eindruck, als ob sie das Gespräch mitreissen würde. Ihr Gesprächspartner ist fast gänzlich von dem rosa Federfächer verdeckt. Die übrigen Gäste im Hintergrund sind nur sehr verschwommen dargestellt, sie treten hinter der grellen Farbigkeit der Gestalten im Vordergrund zurück. Insgesamt stehen die detailliert dargestellten Personen in einem Halbkreis der sich zum Betrachter hin öffnet. Der Parkettboden (er nimmt die Bewegung durch die deutlich sichtbaren Fugen auf) im Vordergrund weisst die für Holz typische Maserung auf, ein weiteres liebevolles Detail. Die angenehme Holzfarbe geht im Hintergrund in das dunkle Orangerot der Wände über. Diese Farbe wird in ihrer Intensität durch vorsichtig aufgesetztes Schwarz oder Grün gemindert. So entsteht auch der Eindruck von weniger gut ausgeleuchteten Stellen im Raum (z.B. links, wo die Kapelle spielt und rechts, wo die Dame in blau ihre Unterhaltung führt) und hell beleuchteten Bereichen (z.B. die gesamte Tanzfläche und der dahinterliegende Raum). Diese Rottöne haben sehr unterschiedliche Auswirkungen auf die Farben im Vordergrund. Ähnliche Farbtöne werden fast verschluckt, wie die roten Haare der Tänzerin, dafür werden andere Gegenstände, wie der rosa Fächer, besonders grell und kontrastreich abgehoben.

Die Mitteltafel präsentiert sich in einer Vielfalt von Farben. Dennoch überwiegen die warmen Gelb-, Orange-, Rot- und Brauntöne. Frische Grün- und Blautöne sind nur sehr spärlich vorhanden. Auch bietet die Mitteltafel eine Fülle von Details: man beachte die Musterung der Stoffe, die einzelne Ausarbeitung jedes Schmuckstücks, ja jeder Perle.

Der Schwerpunkt liegt eindeutig bei dem tanzenden Paar und der Dame mit dem Fächer, denn sie werden von Kapelle und Sitzgruppe eingerahmt. Zusätzlich schauen auch alle Personen zur Mitte.

Die Räumlichkeit wird durch die Darstellung eines Raumes mit Zentralperspektive erreicht. Zusätzlich sind auch die Personen, die weiter hinten im Raum stehen sollen, kleiner als die Personen im Vordergrund dargestellt. Der Halbkreis, in dem die Personen im Vordergrund ungefähr angeordnet sind, gibt dem Gemälde Stabilität, aber auch Spannung. Trotz der klaren Dynamik, die in Form einer Schräge das ganze Bild durchzieht, wirkt die Gesellschaft unbewegt und starr. Dieser Effekt wird durch die Gesichter der Personen, die einfach nicht in so eine vom Luxus und von Überfluss gekennzeichnete Szene passen. Warum amüsieren sie sich nicht? Weil sie nicht fröhlich sind, sie haben nichts, worüber sie lachen können. Sie versuchen es, aber die gesamte Situation wirkt inszeniert und erzwungen. Es ist alles etwas zu pompös und etwas zu grell. Der Betrachter ist abgeschreckt.

1.08 Der rechte Flügel des „Grossstadt-Triptychons“

Der rechte Flügel zeigt eine Reihe leichtbekleideter Frauen, die wie auf einer Treppe auf den Betrachter zuschreiten bzw. sich von ihm entfernen. Annähernd die gesamte rechte Bildhälfte wird von einer reichverzierten, mit Mamorsäulen bestückten Mauer eingenommen.

Besonders auffällig ist die Bekleidung der vordersten Frau. Ausser einer extravaganten Kappe und einer Perlenkette trägt sie einen braunroten Kurzmantel und einen braunen Pelz, die den weiblichen Geschlechtsteilen nachempfunden zu sein scheinen. Die Blondine hinter ihr zeigt eine unverhüllte Brust, deren Wölbung sich in dem gelben Ärmel wiederholt. Ihr folgen weitere grell bekleidete Damen.

Zu Füssen der Blondine sitzt ein bettelnder Kriegskrüppel5, der seine Beinstümpfe zur Schau stellt. Sein vernarbtes Gesicht ist zum Boden gesenkt, ihm fehlt die Nase. Die Prostituierten beachten ihn nicht, ihre Gesichter sind starr. Seine zerrissene Uniform hat die Farben der Mauer, grün und braun. Auf den ersten Blick scheint er sogar selbst ein Teil der Mauer zu sein, so sehr verschmelzen die Farben miteinander. Bei der Betrachtung des Krüppels wird eine der beiden Bewegungen deutlich. Kopf und Schulter des Krüppels bilden eine Linie, die sich in dem roten Umhang auf der linken Schulter der Blondine, in den schwarzbehandschuhten Armen und dem rosa Federputz des Hutes der folgenden Frau wiederholt. Die zweite Bewegung resultiert aus der Reihe in der die Frauen gehen; sie verläuft schräg nach vorn.

Das Licht strahlt die Verzierungen der Wand von unten an, die Szene bekommt eine unheimliche Atmosphäre und wirkt deutlich kühler. Die Wand rahmt und begrenzt den Seitenflügel, denn durch die bunten Kleider der Frauen scheint es, als ob der Prunk der Mitteltafel auch noch auf den Seitenflügel übergreift. Die Farbigkeit schafft aber auch zugleich die Verbindung zur Mitteltafel.

Der rechte Flügel zeigt bereits nur noch einen Abklatsch (er wirkt viel blasser als die Mitteltafel) des Prunks der Mitteltafel, die Halbwelt mit ihren Edelprostituierten ist dargestellt. Hier treten die Folgen des Krieges (dargestellt durch die Krüppel) schon deutlicher zu Tage, Probleme werden aufgezeigt.

1.09 Der linke Flügel des „Grossstadt-Triptychons“

Der linke Flügel zeigt eine Szene aus der Strassenprostitution. Ein Krüppel mit Holzbeinen starrt gierig nach den Dirnen, ein zweiter liegt auf dem Pflaster und schaut ihnen unter die Röcke. Ein Strassenköter kläfft die beiden an. Die Prostituierten der Strasse sind längst nicht mehr so luxuriös bekleidet, sie tragen nur noch zusammengestückelte Stofffetzen. Die vorderste Dirne steht eigentlich mit dem Rücken zum Betrachter, hat aber ihren Arm so verdreht, dass ihre Hand wie eine Kralle auf ihrem Po liegt. Ihr Gesicht ist blass und schmutzig und ihre Augen scheinen auf den ersten Blick nur aus weiss zu bestehen.

Links begrenzt ein Brückenpfeiler aus Backsteinen den Flügel, er geht in ein Stahlgerüst über. Der Bogen dieser Begrenzung wird von der Gruppe der Prostituierten aufgenommen. Im Hintergrund ist eine Häuserzeile zuerkennen, aus einem Eingang schimmert rotes Licht. Der linke Flügel wirkt durch seine Farbzusammensetzung, bei der die dunklen, verwaschenen Farben überwiegen sehr viel düsterer und schmutziger als Mitteltafel und rechter Flügel. (Es findet also eine Steigerung der Farbintensität vom linken über rechten Flügel zur Mitteltafel hin statt.) Die farbenfrohe Gruppe der Dirnen drängt sich ganz am rechten Bildrand zusammen und stellt somit eine Verbindung zur Mitteltafel her.

An diesem Flügel lässt sich die aufgezeigte Problematik wohl am ehesten erkennen. Die Gesellschaft der Grossstadt muss sich mit den Folgen des Krieges (die hier besonders zu spüren sind), repräsentiert durch die Krüppel, auseinandersetzten. Sie meidet allerdings die Konfrontation und flieht in die Welt des käuflichen Vergnügens, dargestellt durch die Dirnen, die Edelprostituierten und den Pomp. Dieses Bestreben zieht sich durch alle Schichten der Gesellschaft. Die weniger Betuchten suchen das Vergessen bei den Dirnen auf der Strasse, die Bessergestellten wenden sich an die Edelprostituierten und die Oberschicht inszeniert pompöse Tanzabende um vor den Problemen zu fliehen. Diese Darstellung wirft kein gutes Licht auf die Gesellschaft dieser Zeit.

1.10 Der Vergleich der Triptychen

Ausser der Tatsache, dass beide Gemälde von triptychonaler Konzeption sind, ergeben sich überraschender Weise auch noch andere Gemeinsamkeiten, verständlicher Weise aber auch augenfällige Unterschiede.

Da wäre schon die erste Übereinstimmung in dem verwendeten Material: sowohl Grünewald als auch Dix verwendete Mischtechnik auf Holz. Unter Mischtechnik fällt auch die häufig verwendete Tempera, ein Gemisch aus Ölfarbe und Ei. Diese Farben sind nicht unproblematisch in ihrer Verarbeitung, werden aber wegen ihrer lasierenden Effekte von Malern aller Epochen sehr geschätzt.

Bei beiden Werken ist die Farbe als wichtiges bildnerisches Mittel eingegangen, wenn sie auch ganz unterschiedliche Aufgaben erfüllt. Bei der „Kreuzigung“ dominieren einige wenige Farben (rot, weiss, schwarz; vgl. auch „Die Kreuzigung Christi“, „linker Flügel“ und „rechter Flügel“) und bestimmen die Augenführung des Betrachters. Ausserdem wirkt das Gemälde durch diese Farbzusammensetzung irreal, ja apokalyptisch. Beim „Grossstadtbild“ hat die grelle, intensive Farbenvielfalt eine ganz andere Funktion. Sie verstärkt den Eindruck des Betrachters vom puren Überfluss und lässt die Szene disharmonisch und schrill wirken. Auch die Steigerung in der Farbintensität vom linken über den rechten Flügel zur Mitteltafel hin erfüllt eine Funktion. Sie zeigt dem Betrachter den Grad der Bemühungen, die traurige Realität zu verdrängen.

Beide Gemälde verwenden Bewegungen, um die Aussage und die Wirkung auf den Betrachter zu unterstützen. Bei der „Kreuzigung“ weisen die Bewegungen auf das Kreuz, sie würden sich, wenn man sie verlängerte, alle im Christus „treffen“. Dies verdeutlicht noch zusätzlich zu der unterschiedlichen Grösse und Anordnung der Personen die zentrale Rolle des Christus. Das „Grossstadtbild“ hingegen wird von einer die gesamte Mitteltafel erfassenden Schräge, nach der viele Gegenstände ausgerichtet sind, beherrscht. Sie verstärkt das unterschwellige Gefühl des Betrachters, dass diese Gesellschaft keinen konkreten, „zentralen“ Anlass zum Feiern hat, sondern sich nur ablenken will.

2. Die Entstehungsgeschichte der Triptychen

2.01 Der Isenheimer Altar

Der Isenheimer Altar war eine Auftragsarbeit für den Abt Guido Guersi des Antonier Klosters. Der Hospitalorden der Antonier betreute in Isenheim die Opfer von verschiedenen Seuchen wie Syphilis, aber auch die an dem „Antoniusfeuer“6 Erkrankten. Der heilige Antonius wurde als Helfer gegen das „Antoniusfeuer“ angesehen und war zudem der Schutzpatron des Ordens. Seine Darstellung auf dem Altar ist also sehr leicht nachzuvollziehen. Ähnlich verhält es sich mit dem heiligen Sebastian. Er wurde als Helfer gegen die Pest verehrt. Von dem Altar wurden aber nicht nur liturgische Wirkung erwartet, sondern auch die praktische Heilung der Kranken.

Schwerpunkt des Altars sind jedoch nicht die beiden Heiligen, sondern die Kreuzigung Christi. Obwohl Grünewald die Kreuzigung auf so grausame Weise dargestellt hat, ist das Leiden nicht die einzige Botschaft. Wir müssen uns immer wieder vor Augen führen, welchen Menschen dieser Altar zugänglich war, welche Menschen ihn jeden Tag sahen. Das waren nämlich die unheilbar Kranken, die in dem Isenheimer Kloster von den Mönchen betreut wurden. Diese Menschen sollten Hoffnung aus dem Leiden schöpfen, ihnen sollte die Erlösung anschaulich gemacht werden. Grünewald gelang dies mit der Darstellung Johannes des Täufers als Anwesenden bei der Kreuzigung. Der Täufer ist, so wie das unschuldige Lamm von tiefer symbolischer Bedeutung für den Isenheimer Altar. (vgl. „Die Mitteltafel des Isenheimer Altars“)

2.02 Das Grossstadt-Triptychon

Das Grossstadtbild entstand in der Zeit zwischen den Weltkriegen. Dieser Zeitabschnitt war durch Wiederaufbau und (noch) vom Wirtschaftswachstum gekennzeichnet. Entscheidende Neuerungen veränderten die Gesellschaft. Nicht nur jede Menge neuer Erfindungen (Automobil, elektrische Glühlampen usw.) wurden durch Fliessbandproduktion erschwinglicher, es änderte sich auch das Bewusstsein der Gesellschaft. Die Emanzipation der Frauen griff mehr und mehr um sich, einige, auch im Grossstadtbild verarbeitete Merkmale waren kurze Kleider und Kurzhaarfrisuren. Nicht um sonst aber werden die 20er Jahre dieses Jahrhunderts auch als „roaring twenties“ (engl.: „brüllende 20er“) bezeichnet. Verbreitete Lebenseinstellung war, das Leben so intensiv zu geniessen, wie es möglich war. Die Oberschicht errichtete einen exzessiven Lebensstil, der aus endlosen Parties und Jazzabenden bestand. Es wurde der Wohlstand gefeiert und zur Schau gestellt. Genau hier hakt Dix mit seinem Grossstadtbild ein. Er kritisiert die Vergnügungssucht aller Schichten. Dabei zielt er jedoch nicht auf das Vergnügen an sich, sondern auf das erzwungene Vergnügen ab, das inszeniert wird, um eine unangenehme Tatsache zu verdrängen. Diese unangenehme „Realität“ ist ganz konkret dargestellt - durch die Kriegskrüppel, die einfach übergangen werden.

Dix kritisiert die Gesellschaft, die sich nicht mit den Folgen des mitgetragenen Krieges auseinandersetzten will, aufs schärfste.

3. Menschendarstellung und Menschenbild

3.01 Der Isenheimer Altar

Trotz der beginnenden Renaissance nördlich der Alpen, der „Zeitenwende“ vom Mittelalter zur Neuzeit, ist der Isenheimer Altar eindeutig vom mittelalterlichen Weltbild geprägt. Die Menschen auf dem Isenheimer Altar ergeben sich in ihr von Gott bestimmtes Schicksal, sie rebellieren nicht dagegen, akzeptieren es voll und ganz in der Hoffnung auf Erlösung. Dies wird sehr deutlich durch die Grössenverhältnisse auf der Mitteltafel. Der Christus überragt alle anderen Figuren, sie müssen zu ihm aufschauen und sie verehren ihn als Höchstes. Sie passen sich ihm aber auch an, ihr Lebensinhalt ist er. Dies wird durch die Bewegungen, die sich alle im Christus „bündeln“ veranschaulicht.

Die „Jenseitsoriehtiertheit“, die dem mittelalterlichen Weltbild so zu eigen war, findet im Isenheimer Altar einen späten Höhepunkt. Der Mensch war nur ein Werkzeug Gottes, Sein Leiden und Leben auf der Erde nicht von Bedeutung, denn im Jenseits wartete die Erlösung.

3.02 Das Grossstadt-Triptychon

Die Personen, die auf dem Grossstadtbild dargestellt sind, stehen im scharfen Gegensatz zueinander. Da wären zum einen die vom Krieg gezeichneten Krüppel. Sie liegen, sitzen oder stehen auf der Strasse und werden von den Prostituierten überragt. Ihre Kleidung ist unauffällig, sie scheinen fast mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Zum andern stehen die hochgewachsenen Prostituierten mit ihren schrillen Kleidchen aufrecht und vielleicht sogar etwas überheblich über den Krüppeln. Dix stellt auf seinem Grossstadtbild zwei verschiedene Menschentypen dar: die hilflosen Schlucker und die im Überfluss schwelgende restliche Gesellschaft. Die pompöse Tanzgesellschaft der Mitteltafel wirkt durch die starren Gesichter unglaubwürdig in ihrer Fröhlichkeit, die Fröhlichkeit wird nur vorgetäuscht. Die detaillierte Darstellung der Verletzungen der Krüppel macht sie allerdings auch nicht besonders anziehend. Beide Typen sind überzeichnet in ihren Eigenschaften dargestellt, sie wirken dadurch abstossend auf den Betrachter.

Dix Menschenbild scheint nicht sehr positiv gewesen zu sein, denn nach dieser Darstellung gibt es nur zwei Menschentypen: die armen Kriegsveteranen und die oberflächliche, vergnügungssüchtige Gesellschaft.

4. Ergänzung: Kurzbiographien

Grünewald

Matthias Grünewald, vermutlich eigentlich Mathis Gothart Nithart oder Neithart, *Würzburg um 1470-80, +Halle/Saale vor dem 1.9.1528, deutscher Maler und Baumeister. Identität und Lebenslauf konnten bis heute nicht vollständig rekonstruiert werden. Grünewald liess sich 1503/04 in Aschaffenburg nieder (dort 1511 am Umbau des Schlosses beteiligt); ab 1516 stand er im Dienst des Kardinals Albrecht von Brandenburg und lebte ab 1527 als Wasserkunstmacher (Bau von Wassermühlen etc., Anm. v. J.J.) in Halle/Saale. Sein Hauptwerk, der Isenheimer Altar (Colmar, Musee d’Unterlinden) für das Antonierkloster in Isenheim im Elsass, entstand zwischen 1512 und 1516. Zum Spätwerk zählt unter anderem die Tafel vom Tauberbischhofsheimer Altar (Vorderseite: „Kreuzigung Christi“, Rückseite: „Kreuztragung“, um 1523-24 oder nach anderer Auffassung um 1529-32; Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle).

Weitere Werke:

Christus am Kreuz (1502-05; Basel, Kunstmuseum), Verspottung Christi (um 1504; München, alte Pinakothek), Die Begegnung der Heiligen Erasmus und Mauritius (1520-24; ebd.).

Dix

Otto Dix, *Untermhaus (= Gera) 2.12.1891, +Singen (Hohentwiel) 25.7.1969, deutscher Maler und Grafiker. Bedeutender Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“; ab 1934 Ausstellungsverbot; unter anderem „Grossstadt“ (1927-28, Essen, Museum Folkwang), „Der Krieg“ (1929-32, Dresden, Staatliche Kunstsammlungen).

aus: Meyers Lexikon in drei Bänden: Bibliographisches Institut, Mannheim 1995

5. Erläuterungen zu den Skizzen

6. Reflexion

Obwohl ich natürlich nicht t dafür bin, die folgenden Schülergenerationen mit einer Facharbeit zu belasten, habe ich diese intensive Auseinandersetzung mit einem bestimmten Thema interessant gefunden. Zunächst war ich natürlich unheimlich faul. Trotz dem eigens für die Facharbeit mit in die Osterferien genommenen Laptops, trotz all der schon beschafften Materialien konnte ich mich nicht aufraffen anzufangen. Das mag einerseits an dem herrlichen Wetter gelegen haben, das mich davon abhielt, mich an den Schreibtisch zu setzen und anzufangen zu tippen, andererseits an meiner Erholungsbedürftigkeit und meinem Verlangen, endlich mal nicht an Schule denken zu müssen. Die Facharbeit rief in der ersten Woche der Osterferien noch Schuldgefühle hervor, kurz, ich dachte dauernd daran, dass ich doch mal anfangen müsste, und so verfolgte mich der Schulalltag bis in die Ferien. Derartige Gedanken wurden jedoch bald erfolgreich verdrängt. Ich genoss die Ferien.

Die grosse Panik brach bei mir aus, als ich bemerkte, dass ich nur noch vier Wochen Zeit hatte. Nicht unerheblich trugen Fragen der Mitschüler wie „Hast du schon mit deiner Facharbeit angefangen“ oder „Wie weit bist du denn mit deiner Facharbeit?“ dazu bei, wenn ich gestehen musste, dass ich noch nicht einmal angefangen hatte. Ich studierte meinen Terminkalender und fragte mich, wie ich das den neben Reiten, Tanzen, Fahrstunde und den übrigen Hausaufgaben schaffen sollte. Ich nahm mir vor, von nun ab die Facharbeit in den Vordergrund zu stellen und wenn nötig, die übrigen Verpflichtungen hintenan zu stellen.

Am nächsten Wochen ende raffte ich mich auf. Ich erledigte schon am Samstagmorgen alle meine Hauaufgaben (die werden tendenziell öfter gegen Sonntag Nachmittag gemacht), räumte mein Zimmer auf und putzte meine Fische. Dann kam der Punkt, wo ich feststellte, dass ich alles getan hatte und mit einiger Überwindung stellte ich meinen Computer an. Eigentlich mag ich PCs nicht besonders gerne. Erstens: sie nehmen so viel Zeit in Anspruch, wenn etwas nicht klappt. Ich erinnere mich daran, dass es mehrere Wochenenden gedauert hat, um ein Spiel so zu installieren, dass es auch spielbar war. Zweitens: Ich benutzten so gut wie nie die Schreibprogramme und kenne mich folglich nicht besonders gut mit ihnen aus. Und Drittens: Ich versuchte mich zwar am Zehnfingersystem, aber es ging alles sehr, sehr langsam (ich habe Fortschritte gemacht).Aber das war ja Bedingung, ich meine die maschienenschriftliche Anfertigung. Also hatte ich auch beschlossen, keine handschriftliche Ausarbeitung zu machen und alles dann abzutippen, wenn es fertig war, das wäre ja doppelt viel Arbeit gewesen.

Nun gings los. Zuerst tippte ich die Aufgabenstellung ab, weil ich auch in Klausuren festgestellt habe, dass ich mir die Aufgaben Stellung genauer anschaue, wenn ich sie noch mal eigenhändig geschrieben habe. Dann stand fest: zuerst die Bildanalyse. Aber wie sollte ich anfangen? Ich beschloss, dass es ja eigentlich egal war, womit ich anfing, denn auf dem Computer konnte ich ja alles nach Belieben noch umstellen. Ich fing beim Isenheimer Altar an, und zwar mit dem Hintergrund, weil mir dazu erstmal am meisten auffiel. Nach und nach , bei m weiteren Schreiben wurde mir natürlich klar, dass es wenig Sinn macht eine Analyse mit den Eigenschaften des Hintergrundes zu beginnen. Je weiter ich kam, desto klarer wurde auch meine Vorstellung davon, wie ich meine gesamte Facharbeit gestalten wollte, und es wurde immer einfacher. Ich denke ich habe mich recht intensiv mit meinen Themen beschäftigt, denn sogar beim Einschlafen dachte ich an die Facharbeit. Fiel mir dann im Bett noch etwas ein, bin ich noch mal aufgestanden und habe es auf einen Zettel geschrieben, damit ich es am nächsten Tag verwerten konnte.

Natürlich musste ich auch feststellen, das man nicht jeden Tag in der Lage ist, effektiv zu arbeiten. Zum Beispiel Dienstag nachmittags nach dem Schwimmunterricht war ich körperlich so gut ausgearbeitet, dass ich mich schlich nicht konzentrieren konnte. An diesen Tagen beschäftigte ich mich hauptsächlich mit der äusseren Form der Facharbeit wie Rechtschreibung, Absätze, Vervollständigen der Fussnoten und zusammentragen der Quellen. Einmal angefangen, war es nicht mehr so schwer auch konsequent weiterzuarbeiten. Der Einstieg hat die allererste Überwindung gekostet. Aber das sichtbare Gedeihen der Facharbeit hat einen ermuntert, weiter zu machen.

An den Wochenenden wurde aber weiterhin auf viel verzichtet, und die Nachmittage waren für die Facharbeit reserviert. Jetzt bald glücklicherweise nicht mehr.

Nun muss ich sagen, dass ich doch wohl ein ganz angenehmes Thema in einem angenehmen Fach erwischt habe. Die Materialauswahl war nicht all zu schwer, denn nach einem Blick in unseren Kunstband „Die berühmtesten Gemälde der Welt“ standen die Triptychen, die ich unter die Lupe nehmen wollte, relativ fest. Bei der Analyse stellte ich fest, dass ich für die weiteren Aufgaben nicht sehr viel Sekundär Material brauchen würde, was ich als sehr angenehm empfand.

Die Bearbeitung des Grossstadtbildes empfand ich als sehr viel schwieriger, denn ich erkannte zunächst einfach keine Aussage. Bei dem Altarbild erging es mir ganz anders, ich hatte schon von Anfang an eine ungefähre Idee über die Aussage, weil ich mich auch schon mit der Literatur des ausgehenden Mittelalters beschäftigt habe. Anders aber bei Dix Gemälde. Weil ich also überhaupt keine Ahnung hatte, liess ich mich dazu hinreissen, eine Interpretation zu lesen. Das ging leider völlig daneben. Ich verstand nicht im geringsten, wie der Verfasser der Interpretation auf diese Aussage des Triptychons gekommen sein konnte.

Auch jetzt kann ich sie nicht nachvollziehen. Auf meine persönliche Interpretation des Gemäldes bin ich erst nachdem ich Geschichtsbücher und Lexika zu rate gezogen hatte langsam gekommen. Geholfen hat mir auch die Tatsache, dass das Grossstadtbild von den Nazis als „entartete Kunst“ verurteilt wurde.

Weiterhin hat die Facharbeit bewirkt, dass ich ein neues Verhältnis zu Bildern aller Art bekommen habe. Ein Beispiel: Ich sitze im Wartezimmer. Mir gegenüber hängt ein Gemälde an der Wand. Ich betrachte es und merke plötzlich, dass ich angefangen habe, es zu analysieren. Ich war sehr erstaunt, aber se hat mir gezeigt, dass mir die Facharbeit doch noch mehr vermittelt hat als schnelles tippen im Zehnfingersystem.

Quellen:

Eva Kracher: Otto Dix 1891-1969, „Entweder werde ich berühmt - oder berüchtigt“, Köln: Benedikt Taschen Verlag 1992

Sergiusz Michalski: Neue Sachlichkeit, Malerei, Graphik und Photographie in Deutschland 1919-1933, Köln: Benedikt Taschen Verlag 1992

Wilhelm Fraenger: Matthias Grünewald, Dresden: Verlag der Kunst 1995

Die berühmtesten Gemälde der Welt, Bergisch-Gladbach: Imprimatur 1976

Das grosse Duden Lexikon in acht Bänden, Mannheim: Bibliographisches Institut 1967

Heinrich Pleticha (Hrsg.): Weltgeschichte in 12 Bänden, Gütersloh: Bertelsmann 1996

Malerei des Abendlandes, Eine Bildersammlung von der frühchristlichen zur zeitgenössischen Malerei, Berlin: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung 1955

Meyers Lexikon in drei Bänden, Mannheim: Bibliographisches Institut 1995

[...]


1 Predella: Staffel eines spätgotischen Altars mit gemaltem oder geschnitztem Bildwerk; auch zur Aufbewahrung von Reliquien aus: Das grosse Duden-Lexikon in acht Bänden, Sechster Band, Mannheim: Bibliographisches Institut, 1966

2 I.N.R.I.: Jesus Nazarenus Rex Judaeorum (= Jesus von Nazareth, König der Juden); lateinische Form der nach Johannes 19,19 von Pilatius gesetzten Inschrift am Kreuz Christi aus: Das grosse Duden-Lexikon in acht Bänden, Vierter Band, Mannheim: Bibliographisches Institut, 1966

3 Wilhelm Fraenger: Matthias Grünewald, Dresden: Verlag der Kunst 1995 Fraenger bezieht sich auf die Ankündigung Johannes: „Tut Busse, denn das Himmelreich ist nahe gekommen. (Matthäus 3,2)“

4 Anspielung auf die Versuchungen des Antonius durch Dämonen

5 Beachtet man den Modestil und die Entstehungszeit des Werkes (1927/28), sind wohl die Veteranen des 1.Weltkrieges dargestellt

6 Eine Bluterkrankung, die einzelne Glieder zum Absterben bringt

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Analyse und Vergleich des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald mit dem Triptychon Grossstadtleben von Otto Dix
Note
1
Autor
Jahr
2000
Seiten
20
Katalognummer
V105670
ISBN (eBook)
9783640039562
Dateigröße
436 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analyse, Vergleich, Isenheimer, Altars, Matthias, Grünewald, Triptychon, Grossstadtleben, Otto
Arbeit zitieren
Janine Jähnig (Autor:in), 2000, Analyse und Vergleich des Isenheimer Altars von Matthias Grünewald mit dem Triptychon Grossstadtleben von Otto Dix, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105670

Kommentare

  • Gast am 15.3.2003

    Meine Güte!.

    schlechte Arbeit,
    nicht differenziert.

  • Gast am 22.7.2002

    Super Arbeit!.

    Ich kenne das Problem mit dem Nicht-Anfangen-Können!Man muß nur diesen gewissen Punkt überschreiten und dann geht´s los...
    Deine Arbeit in den Ferien hat sich wirklich gelohnt, die Belegarbeit ist sehr ausführlich und gut verständlich!
    Und die Fachliteratur scheint auch sehr gut zu sein.Eine Arbeit, die einem weiterhilft.
    Super!

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