Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Erkenntnisse anhand ihrer literarischen Themen
1.1 Fremdheit und Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern
1.2 Träume
1.3 Todesängste-Todesarten
1.4. Feuer und Zerstreutheit
2. Erkenntnisse durch andere
2.1 Wer kritisiert was und wie: Männerstimmen-Frauenstimmen
2.2 Die Beziehungen
2.2.1 Hans Weigel
2.2.2 Paul Celan
2.2.3 Max Frisch
3. Weiterführende Fragen
3.1 War Ingeborg Bachmann politisch aktiv?
3.2 Ihre Einstellung zum Feminismus: War sie eine „Vorreiterin“?
Schluß
Literaturverzeichnis
Einleitung
Wie das Referat, das ich am 17. Januar dieses Jahres gehalten habe, handelt diese Arbeit von der Dichterin und Autorin Ingeborg Bachmann. Das übergeordnete Thema lautet „Der Aufstieg der Autorin im 20. Jahrhundert. Ich habe deshalb keinen biographischen Abriß geschrieben, oder die Stationen ihres Lebens chronologisch nachgezeichnet, sondern ich habe versucht einige Aspekte ihres Schaffens und ihres Lebens herauszugreifen und anhand derer die Person Ingeborg Bachmann zu verstehen. Ich habe meine ganze Arbeit im wesentlichen unter die Frage gestellt, ob sie überhaupt repräsentativ als „aufsteigende Autorin“ zu bezeichnen ist. Meine Schwerpunkte habe ich auf ihre literarischen Themen und auf die Aussagen von Freunden und Feinden gelegt. Die Themen mit denen Ingeborg Bachmann sich auseinandersetzte sind meiner Meinung nach symptomatisch für die Zeit in der sie lebte und auch für die sich anschließende Frauenbewegung der 70er Jahre. Es ist gar nicht möglich, ihre Bücher gertennt von ihrer Person und ihrer Zeit zu sehen. Von daher ist sie auf alle Fälle wichtig in Bezug auf die „Frauenfrage“ in der Buchkultur des 20. Jahrhunderts. Mit Aussagen von Freunden und Feinden habe ich mich auseinandergesetzt, weil es meiner Ansicht nach unerläßlich ist, zu wissen, wer sie auf welche Weise kritisierte, wenn man mehr Aufschluß über ihre Person bekommen möchte. Zudem ist es in diesem Zusammenhang nicht zu vermeiden, sich mit den Männern im Leben von Ingeborg Bachmann zu beschäftigen.
Als ich angefangen habe, mich auf das Referat und dann auch auf die Hausarbeit vorzubereiten, fiel mir auf, daß in vielen der vorhanden Biographien darauf aufmerksam gemacht wurde, wie unproportional ihr Einfluß, Ansehen und ihre Bekanntheit bezogen auf ihr Werk seien1. In der Tat ist es quantitativ recht mager: jeweils zwei Gedicht- und Erzählbände („Die gestundete Zeit“ und „Anrufung des großen Bären“, „Das dreißigste Jahr“ und „Simultan“), zwei vollendete Romane („Stadt ohne Namen“ und „Malina“) und zwei Romanfragmente („Der Fall Franza“ und „Requiem für Fanny Goldmann“, die zusammen mit „Malina“ das „Todesarten-Projekt“ bilden sollten), sowie drei Hörspiele („Ein Geschäft mit den Träumen“, „Die Zikaden“ und „Der gute Gott von Manhattan“) und einige Libretti zu Opern.
Zu ihrer Zeit war sie jedoch so gut wie in allen vorhandenen Medien präsent. So hat sie für diverse überregionale Zeitungen gearbeitet, war als Dramaturgin beim Bayerischen Rundfunk beschäftigt und bei verschiedenen Hörfunksendern als redaktionelle Mitarbeiterin und Auslandskorrespondentin in Italien (Rom) tätig.
Die Entstehung der Kultfigur Ingeborg Bachmann und die Legendenbildung um ihre Person hatte auch noch andere Gründe2 als bloß die Form und die Inhalte ihrer Gedichte, Erzählungen und Romane. Zum einen trug die einseitige Öffentlichmachung ihres Privatlebens durch Zeitungsberichte dazu bei und zum anderen ihre eigene Zerrissenheit, wie sie mit dem Publikum und der Öffentlichkeit umgegangen ist.
Wenn man etwas über Ingeborg Bachmann erfahren möchte, das tiefer geht als die teils fragwürdige Berichterstattung einiger Zeitschriften und Magazine, dann bleibt es nicht aus, sich den Inhalten und Motiven zuzuwenden, sie sie in ihrem Werk thematisierte. Ihre Romane und Erzählungen sind stark autobiographisch geprägt, und das bestatigt auch ihr eigener Anspruch nach Einheit von Leben und Werk.3
Deshalb habe ich den ersten Teil meiner Arbeit auch unter das Motto „Erkenntnisse anhand ihrer literarischen Themen“ gestellt.
Danach gehe ich im zweiten Teil, wie oben schon erwähnt, darauf ein, wie andere sie einschätzten und welche Erkenntnisse sich daraus ableiten lassen.
Am Ende habe ich versucht, sie noch mal unter einem ganz anderen Vorzeichen zu betrachten und bin der Frage nachgegeangen, wie Ingeborg Bachmann im Hinblick auf den Feminismus der späten 70er Jahre zu sehen ist, und ob sie als „politisch aktiv“ zu bezeichnen ist.
1. Erkenntnisse anhand ihrer literarischen Themen
Ich habe in der Einleitung schon erwähnt, daß Ingeborg Bachmann in einer außerordentlichen Bandbreite von Medien aktiv war. Ich habe mich allerdings hier nur mit fiktionalen Texten beschäftigt und die Lyrik nur am Rande betrachtet. Das mag zunächst merkwürdig erscheinen, ist Ingeborg Bachmann doch lange Zeit nur als Dichterin bekannt gewesen und ist es vielleicht immer noch. Ich habe mich jedoch vorwiegend für die Prosatexte entschieden, weil diese mir erstens leichter zugänglich waren und ich anhand dieser meine Argumentationslinie gut anlegen konnte und zweitens wäre diese Arbeit quantitativ etwas aus dem Rahmen gefallen, hätte ich auch die Themen und Motive der Dichtung berücksichtigt.
1.1. Fremdheit und Sprachlosigkeit zwischen den Geschlechtern
Eines der wichtigsten Themen in Ingeborg Bachmanns Prosa, ist das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in bezug auf die patriarchalisch geprägte Gesellschaft, in der sie zusammen leben. Es ist sicherlich zum einen auf sich selbst und ihre eigenen Beziehungen bezogen, aber andererseits steckt sehr viel Symbolisches in dieser Thematik. So kann man in fast allen Fällen den Mann/das Männliche mit dem Täter und die Frau/das Weibliche mit dem Opfer assozieren.
In Erzählungen oder Passagen in den Romanen in denen sie sich mit der NS-Zeit auseinandersetzt, steht der Mann (sei es der Ehemann, der Geliebte oder der Vater) für das Naziregime oder ganz allgemein für den Faschismus und für die Unterdrückung.
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau beschrieb sie als ein „Dilemma“, eine hoffnungslose Situation, daß sie gerade in solch einem System existieren müssen, das ihnen eingeschränkte Rollen zuweist.4 Sie sind beide gefangen in diesen Rollen und es ist fast nicht möglich diesem System zu entkommen. Freiheit ist nur möglich, wenn man sich an nichts und niemanden bindet, wenn man völlig heimatlos durch die Welt geht und sich nirgends niederläßt. Diese Situation entwarf Ingeborg Bachmann zum Beispiel in der Erzählung „Undine geht“. Undine steht für die Frau im allgemeinen, die an ihr Element Wasser gebunden ist. Das steht stellvertretend für Heimatlosigkeit und setzt für die Freiheit die Trennung vom Mann voraus. Es kommt einem Selbstmord gleich, sollte die Frau versuchen, die ihr vorgeschriebenen Rollen zu durchbrechen. Interessant ist, daß Ingeborg Bachmann die Trennung vom Mann nicht als gewollt ansah, sondern als Zwang, als Schicksal.5
Die Sprachlosigkeit und Fremdheit zwischen Mann und Frau ist nur ein Beispiel des Zugrundegehens und der Hoffnungslosigkeit in dieser Gesellschaft, das Ingeborg Bachmann als Themen gewählt hat. In den nächsten Kapiteln werde ich noch auf andere Formen des Todes eingehen.
Wenn von Sprachlosigkeit die Rede ist dann ist klar, daß sich für Ingeborg Bachmann eine Menge über die Sprache zeigte. Dieses „Dilemma“ zwischen Mann und Frau, die Fremdheit läßt sich von daher über die verschiedenen Sprachen erkennen. Der Umstand der Trennung führte für Ingeborg Bachmann unweigerlich dazu, daß sich Männer und Frauen nicht mehr verstehen, daß eine Sprachlosigkeit zwischen ihnen herrscht, und sie sich immer fremder werden.6
Ingeborg Bachmann war mit ihrem Schreiben auf der Suche nach einer „neuen“ Sprache.7 Sie hat, ebenfalls in der Erzählung „Undine geht“, versucht durch die Figur der Undine eine Frauensprache zu entwerfen und zu verteidigen. Sie sollte nichts mit der Männersprache zu tun haben, die geprägt ist von einem Mangel, keinen Einblick in das Wesen der Dinge zu bieten und dadurch von einer „tödlichen Ausdruckslosigkeit“ beherrscht wird.8 „In der Frauensprache vollzieht sich Erhellung, durch die Männersprache wird jegliche Einsicht verwehrt.“9
In der Erzählung „Alles“ besteht die Frauensprache aus „Schattensprache“, „Wassersprache“, „Steinsprache“ und „Blättersprache“.10 An anderer Stelle wird die Frauensprache auch als Liebessprache bezeichnet, und dort, wo sich Mann und Frau vorübergehend auf dieser Ebene der Sprache treffen, indem sie sich lieben, dort entsteht eine „Lichtung“. Hier finden sie zu einer neuen, geteilten Sprache in beiderseitigem Einverständnis. Diese „Lichtungen“ sind aber wie gesagt nicht von Dauer, und am Ende heißt es bei „Undine geht“: „Keine Lichtung wird sein.“11
Ihr war bewußt, daß es lange dauern würde, bis die neue Sprache von allen dauerhaft gefunden wurde. Das Erstellen einer neuen Sprache ist das Verkünden eines „Reiches“12, das kommen würde: Ingeborg Bachmann war der Ansicht, daß es eine Zeit gab, in der das Individuum total war und eine Einheit bildete.13 Jede Frau und jeder Mann tragen zu gleichen Teilen beide Geschlechter in sich: das feminin-emotionale und das maskulin-rationale. Ihre Hoffnung bestand also nicht darin, eine matriarchale Gesellschaft mit Hilfe einer neuen Sprache aufzubauen. Eine reine Frauensprache ist ebenso wenig ihr Ziel, wie die Entmannung und Verweiblichung des Mannes. Sie ist vielmehr auf der Suche nach einer Sprache, die Einheit und Ausgewogenheit aufweist: weder von Frauen, noch von Männern dominiert:14 „Glaubst du, daß die Menschen einmal eine einzige Sprache sprechen werden?“15 Ich sollte hier noch einmal auf den Aspekt der Liebe eingehen und anführen, welche Möglichkeiten sie in diesem Zusammenhang bietet. Ingeborg Bachmann zeichnete in zahlreichen ihrer Erzählungen und Hörspielen das Bild der Liebe als einen antigesellschaftlichen Akt.16. Sie ist anarchisch, ungeordnet und zerstörerisch aus dem Grund, weil sie durch ihre Absolutheit die rational-patriarchale Gesellschaft in Gefahr bringt. Die totale Liebe ist deshalb für viele Männer nicht vereinbar mit dem alltäglichen Leben, da sie genau ihrer Rolle in der Gesellschaft widerspricht.17
Die „Lichtung“, von der ich weiter oben geschrieben habe, ist im Grunde nichts anderes als die Liebe zwischen Mann und Frau. Mit ihr wäre es möglich, die vorhandenen tödlichen Strukturen zu durchbrechen und ein neues Leben zu beginnen.
Trotzdem sie die Sprache der Männer als kalt, tot und emotionslos betrachtete, die die Dinge verschleiert, so gibt sie doch zu, daß auch dort Elemente zu finden sind, die erhaltenswürdig für die neue Sprache sind. So läßt sie Undine sagen: „Nie war soviel Zauber über den Gegenständen, wie wenn du geredet hast, und nie waren Worte so überlegen.“ Es scheint als wollte sie, wie auch später in dem Roman Malina doch andeuten, daß ein intimes Verständnis zwischen den Geschlechtern irgendwann möglich sein wird.
1.2. Träume
Die Darstellung von Träumen ihrer Protagonisten, bzw. Protagonistinnen, denn meistens sind es ja Frauen, ist ein weiteres wichtiges Motiv. Am entscheidensten scheint mir hier das Traumkapitel in ihrem Roman Malina zu sein. Es besteht aus drei Kapiteln, und das zweite mit dem Namen „Der dritte Mann“ besteht aus nichts anderem als den Alpträumen der Ich- Erzählerin. Die Traumdarstellungen in diesem Roman erschienen mir als exemplarisch für sämtliche Traummotive bei Ingeborg Bachmann. Deshalb habe ich mich fast ausschließlich mit ihnen beschäftigt.
Allgemein gesagt sind es hauptsächlich Angst- oder Alpträume, unter denen die Figuren leiden. Bereits in dem Hörspiel „Ein Geschäft mit Träumen“ von 1952 tritt dieses Motiv auf. Hier ist es allerdings der männliche Ich-Erzähler, der seine Träume mit dem Leben bezahlen muß.18
Auch Ingeborg Bachmann wurde geplagt von kaum zu ertragenden Angstzuständen, die es ihr teilweise unmöglich machten, am alltäglichen Leben teilzunehmen.19 Ich werde auf diesen autobiographischen Aspekt im nächsten Teil näher eingehen.
Träume sind für Ingeborg Bachmann der Realität ebenbürtig. Sie bilden im Grunde bloß eine andere Ebene der Realität.20 In den Träumen beginnen die Figuren zu begreifen, was in der „Wirklichkeit“ geschieht. Hier werden die chaotischen Zusammenhänge geordnet und die „Tagrätsel erhellt“.21 Die Traumform in der Ingeborg Bachmann schrieb, führt zu einer anderen Sicht der Dinge und hier werden „Dramen des Weiblichen inszeniert“22: die Frauen werden gedemütigt, verstümmelt, zum Schweigen gebracht, gefoltert und kontrolliert. In den Träumen wird die ganze schreckliche Gewaltherrschaft der Männer, die in der Realität stattfindet, aber nicht in ihrem vollen Ausmaß begriffen wird, wiedererlebt.23 In den Träumen wird ein kollektives Schicksal erkannt, daß im realen Leben übernommen wird. Das Ich kann die Zusammenhänge seines Leidens zwar erahnen, es kann jedoch nicht seinem Schicksal entgehen.
Wie schon weiter oben erwähnt, ist die wohl entscheidendste Traumsequenz im Werk von Ingeborg Bachmann das zweite Kapitel in „Malina“. Es ist der Mittelpunkt des Buches, ohne das die anderen beiden Kapitel nicht zu verstehen seien.24 Die Ich- Erzählerin macht sich auf in die „Unterwelt“, ins Unbewußte. Begleitet wird sie dabei von ihrem männlichen Ich Malina. Hier in ihren Träumen begegnet sie ihrem übermächtigen Vater, der ihr alle möglichen Formen der Gewalt antut. Sie begreift hier den patriachalen Zusammenschluß ihres Vaters, ihres Ehemannes und ihres männlichen alter egos. Am Ende erweist sich der Vater als ihr eigener Mörder: „Es ist nicht mein Vater. Es ist mein Mörder.“25
Die Figur des Vaters im Traum ist eine symbolische Figur, die für alles Männliche, für die patriarchal angelegte Gesellschaft steht, die die Frau auf eine subtile Weise tötet. Der Vater ist der Repräsentant einer kriegerischen Gesellschaft, dessen Schreckensherrschaft sich durch das ganze Leben der Frau zieht.26 Der Vater ist die erste männliche Person im Leben einer Frau, die sie mit der patriarchalen Ordnung „vertraut“ macht und die Gewalttätigkeit wird ihr in der Kindheit indoktriniert.27 Hier taucht auch wieder das Motiv des Faschismus auf, denn der Vater steht auch für die nationalsozialistische Gesellschaft im Dritten Reich. Im letzten Teil wies ich ja schon darauf hin, daß damit immer etwas Männliches assoziiert wird. An dieser Stelle ist es der Vater, der nicht nur allgemein für die Gesellschaft steht, sondern er steht auch ganz konkret für das faschistische System der NS- Zeit.
Wie es auch schon bei der Sprachlosigkeit deutlich wird, sah Ingeborg Bachmann bei beiden Geschlechtern einen Teil der Verantwortung. Sie hatte mit beiden Mitleid, da sie beide in der herrschenden Gesellschaftsordnung gefangen sind. Hier wird aber unmißverständlich deutlich, daß so sehr sie den Mann auch bedauert hat, doch eindeutig die Frau als das Opfer und die Leidtragende ist, die der männlichen Gewalt ausgesetzt ist.
1.3. Todesängste-Todesarten
Von Todesängsten wurde Ingeborg Bachmann Zeit ihres Lebens geplagt und sie versuchte sie mit Medikamenten und Alkohol unter Kontrolle zu bekommen. In den letzten Jahren ihres Lebens lebte sie in Rom und wurde „immer abhängiger von Schlaftabletten und Sedativa, von Mogadon und Medomian“28. Trotz mehrerer Versuche, durch eine Therapie und mit der Unterstützung von Freunden, die Abhängigkeit zu bekämpfen, schaffte sie es nicht, davon loszukommen.29 Sie macht diese Tablettensucht allerdings zum Thema in dem Roman „Malina“ und auch in dem Romanfragment „Der Fall Franza“. In „Malina“ versucht das männliche Ich den Tablettenkonsum des weiblichen Ichs zu kontrollieren und auch in „Der Fall Franza“ ist die Protagonistin tablettensüchtig30.
Doch zurück zu dem eigentlichen Thema dieses Abschnitts, den Todesängsten und Todesarten. Ingeborg Bachmann bezeichnete den Zeitpunkt ihrer ersten Todesangst als Hitlers Truppen in Klagenfurt einmarschierten.31 „Es hat einen bestimmten Moment gegeben, der hat meine Kindheit zertrümmert. Der Einmarsch von Hitlers Truppen in Klagenfurt... Diese ungeheuerliche Brutalität, die spürbar war, dieses Brüllen und Singen und Marschieren- das Aufkommen meiner ersten Todesangst.“32 Im weiteren Verlauf ihres Lebens schien sie von ihren Ängsten geradezu besessen zu sein. Sie versuchte durch die bewußt gesuchte Nähe zu anderen, auf Parties und in der sogenannten „Öffentlichkeit“ diesen zumindest zeitweilig zu entfliehen.33 Im Teil 1.4. werde ich noch etwas genauer auf ihre eigenen Ängste und die daraus resultierende Hilflosigkeit eingehen.
Ich denke, gerade weil sie selbst unter Angstzuständen gelitten hat, war es ihr besonders wichtig über Angst zu schreiben und auch über mögliche Todesarten. In diesem Zusammenhang ist natürlich der Romanzyklus „Todesarten“ auschlaggebend. Er umfaßt den Roman „Malina“ und die beiden Romanfragmente „Der Fall Franza“ und „Requiem für Fanny Goldmann“. Ingeborg Bachmann wollte in diesen drei Romanen alle Todesarten beschreiben, die von der Gesellschaft, von Männern an Frauen verübt werden. Es geht um Todesarten, die wir gar nicht als Morde identifizieren würden, weil sie viel zu subtil sind und wir sie nicht als Morde wahrnehmen. Doch für Ingeborg Bachmann sind es gerade deshalb Morde, weil sie im Verborgenen geschehen.
Sie sind fast ausschließlich unblutig, und wie schon gesagt ganz subtil. Es wird nicht explizit zum Revolver, Messer oder sonst einem Instrument gegriffen, sondern es sind vielmehr Worte, Verhaltensweisen, unterlassene Hilfeleistungen, die jemanden sterben lassen. Sie werden von den gewalttätigen Männern begangen, die in der kriegerischen Gesellschaft aufgewachsen sind, die männlichen Rollenmuster ohne zu hinterfragen übernommen haben und die vorhandenen Strukturen aufrechterhalten. Krieg ist für Ingeborg Bachmann bloß die letzte offene Konsequenz aus diesen unblutigen Verbrechen.34
Opfer der Morde sind ausschließlich Frauen. Sie werden zum Experimentiertobjekt reduziert und verdinglicht, wie im Fall Franza, oder das männliche Ich der Frau wird so lange von den Männern ignoriert, bis es die weibliche Seite tötet.
Vielleicht kann gerade dieser letzte Punkt auf Ingeborg Bachmanns eigenes Leben übertragen werden. Ihre eigenen Beziehungen scheiterten auch daran, weil sie sich nicht auf ihre weibliche Seite reduzieren ließ, und sich nicht räumlich an die Liebe eines Mannes band.35 Sie hat sich sicher auch aus dem Grund mit dem Thema beschäftigt, weil es sie selber betroffen hat und sie das Problem so vielleicht besser greifen und einordnen konnte. Sie hat es jedoch nicht lösen können und fand keinen Weg aus ihrem Schicksal, genausowenig wie die Personen in ihren Büchern.
1.4 Feuer und Zerstreutheit
In diesem Abschnitt habe ich mich mit einer ganz speziellen Todesart beschäftigt, die auch eine große Rolle bei Ingeborg Bachmann spielt, und die vor allem bezogen auf ihren eigenen Tod von besonderer Bedeutung ist: der Tod durch Zerstreutheit und damit durch das Feuer. Ingeborg Bachmann erliegt am 17. Oktober 1973 den Verletzungen eines Brandunfalls, der unter ungeklärten Umständen in der Nacht vom 25. auf den 26. September 1973 passierte.36 Obwohl es oberflächlich betrachtet naheliegt, die Bedeutung des Feuers in ihren Erzählungen als Vorzeichen auf ihren eigenen Tod zu deuten, sollte man diesen Umstand nicht überbewerten. Ich denke es haben sich schon genug andere Gedanken darüber gemacht, inwieweit sie ihren eigenen Tod vorausgesagt hat.
Eng verbunden mit dem Motiv des Feuers ist die Zerstreutheit der Personen in Ingeborg Bachmanns Erzählungen. In dem Erzählband „Simultan“ beispielsweise leiden die Protagonistinnen „an Angst-und Ohnmachtsanfällen, sie laufen in Glastüren hinein, brechen in Schluchzen aus und lassen brennende Zigaretten herumliegen.“37 Und auch dies ist ein stark autobiographisches Thema das hier verwendet wurde. Auch Ingeborg Bachmann litt nicht nur unter starken Angstzuständen, sondern dazu kam, daß sie unkonzentriert und zerstreut war und sich in praktischen Dingen teilweise fast hilflos angestellt hat. Es schien eine ihrer auffälligsten Charaktereigenschaften zu sein, wenn man den zahlreichen Aussagen ihrer Freunde und Bekannte glaubt. Der frühere Förderer Ingeborg Bachmanns, Hans Weigel sagte im Gespräch mit Irene Kabanyi:
„Sie hat nichts wie Schwierigkeiten gehabt mit ihrem ganzen Leben.(...)Sie hat geweint, sie hat auf jeden Fall geweint. Wenn man ihr gesagt hat: Bitte füll da den Meldezettel aus, hat sie geweint. Wenn sie nur irgendwas schreiben sollte hat sie geweint. Furchtbar!“38.
Erich Fried, ein Freund, bemerkte dazu:
„Ihre Hilflosigkeit und pechvogelhafte Anfälligkeit für allerlei kleines Mißgeschick und unwahrscheinliche Unfälle beruhten vielleicht unmittelbar auf der Ratlosigkeit gegenüber den Grundfragen, an denen sie dennoch festhielt.“39
An diesen Beispielen sieht man meines Erachtens sehr gut, was ihre Hilflosigkeit in ihrem alltäglichen Leben für eine Rolle spielte,und wie unterschiedlich es wahrgenommen und bewertet wurde. Der eine hattnicht mehr als überhebliche Ablehnung für ihr Problem übrig, der andere versucht zu verstehen und Mitleid zu zeigen.
Ich komme auf diesen Persönlichkeitsaspekt aber noch einmal im Kapitel über ihre Beziehungen zurück. Hier geht es jetzt erst einmal um die Verarbeitung diese Themas in ihrem Werk.
Was ich im letzten Kapitel schon angesprochen habe, ihre Angstzustände, die sie lähmen und lebensunfähig machten, die bekommen hier in bezug zu ihren Werken und literarischen Themen noch eine andere Brisanz. Der Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus und die Verarbeitung in ihren Schriften einerseits und andererseits der Schritt zu den wirklichen Todesarten, den Ursachen des Sterbens. Es sind Morde, die von der Gesellschaft verübt werden; Tode an die wir „gewöhnt“ sind und bei denen man Schwierigkeiten hat, sie als Morde im eigentlichen Sinne zu bezeichnen. Der geplante Romanzyklus „Todesarten“, bestehend aus „Malina“, „Der Fall Franza“ und „Requiem für Fanny Goldmann“, weist demnach unmißverständlich auf die Wichtigkeit hin, die dieses Thema im Leben von Ingeborg Bachmann hatte.
2. Erkenntnisse durch andere
Habe ich mich im ersten Teil fast ausschließlich mit ihrem Werk beschäftigt, und versucht, aus ihren literarischen Themen Schlüsse auf ihr eigenes Leben zu ziehen, so habe ich mich im zweiten Teil auf Menschen bezogen, die sie kannten, liebten und haßten. Zunächst habe ich zu Beginn allgemein analysiert, ob und wie sich Männer und Frauen in ihrer Auseinandersetzung mit Ingeborg Bachmann als Mensch und als Dichterin/Autorin unterscheiden.
Danach habe ich die drei wichtigsten Männer, Hans Weigel, Paul Celan und Max Frisch, im Leben von Ingeborg Bachmann zu Wort kommen lassen. Ich habe hier versucht zu zeigen, wie sie sich gegenseitig beeinflußt haben.
2.1 Wer kritisiert was und wie: Männerstimmen -Frauenstimmen
Ich habe jetzt schon oft darauf hingewiesen, daß Ingeborg Bachmann sich sehr mit dem Verhältnis zwischen Männer und Frauen beschäftigte. Deshalb habe ich bei meinen Recherchen auch darauf geachtet, in welcher Weise sie von Frauen und wie von Männern rezensiert und kritisiert wurde.
Bei beiden Geschlechtern gibt es zunächst eine eindeutige Tendenz dahin, daß ihr Wechsel von Lyrik zu Prosatexten mißbilligt wurde. So wurde schon zu Lebzeiten die Meinung vertreten, „Ingeborg Bachmann sei eine Lyrikerin, die fragwürdige Prosatexte verfasse.“40 Eine Kritikerin der FAZ schrieb über Malina:
„Obwohl das Romanthema die Selbstaufgabe ist, kennt das Ich nur einen Faszinationspunkt: den eigenen Nabel.“41
Ihre Lyrik, die eher mit den Attributen distanziert und verschlossen belegt ist und die mit dem reinen Verstand nicht zu fassen ist, wurde von allen Seiten gelobt. So erhält sie für das Gedicht „Die gestundete Zeit“ den Preis der Gruppe 47.
Doch die Prosa, in der sie die „Verschanzung“ aufgibt und sich „wehrlos-menschlich“ gibt, wird ihr als „Ich-Monstrosität“ und „peinlicher Exhibitionismus ausgelegt“.42 Ihre Prosa wird deshalb auch durchweg mit der Lyrik verglichen und es wird versucht es auf einen Nenner zu bringen. Das „Bild der Dichterin“ bleibt bestehen wird und es ist die rede von der „lyrischen Prosa“ und vom „lyrischen Pathos der Sprache“.43 Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki „höhnte“:
„Eine einst bedeutende Lyrikerin auf Abwegen.“44 Er warf ihr „backfischartige Überspannung“ vor, und ihre Prosatexte seien „ein trübes Gewässer“.45
Doch die gleiche Kritik machte sich die Aura der Schriftstellerin zunutze und rief nach ihrem Tod den Ingeborg-Bachmann-Preis ins Leben, der seit 1977 vergeben wird.46 Marcel Reich- Ranicki wurde selbst der Vorsitzende der Jury, die den Preis verleiht. Mir fiel schnell auf, daß es vornehmlich Männer waren, die ihre Prosa ablehnten und sich unverhältnismäßig scharf und subjektiv dazu äußersten. Es scheint so, als fühlten sie sich persönlich angegriffen durch die schonungslose Bestandsaufnahme der tödlichen Männergesellschaft.
Besonders das „Todesarten-Projekt“ wurde sehr irritiert aufgenommen. Allen voran wurde „Malina“ in der Luft zerrissen.. Das Buch wird als “Innerlichkeitsprosa“ und als „sentimentale Liebesliteratur“ abgetan.47
Günter Blöcker beispielsweise empfand „Malina“ als „Banalität“48. Die Überschrift seiner Abhandlung heißt „Auf der Suche nach dem Vater“. Zum Traumkapitel bemerkt er: „Hinzu kommt als besondere Fatalität der bereits erwähnte Mittelteil mit seiner(...)Traumsymbolik.(...)Romanprosa kann solche Prozesse nicht manifest machen, sondern bestenfalls beschreiben; und das ist wie uns hier peinlich demonstriert wird allemal ein ermüdendes Geschäft.“49
Irene Kabanyi schrieb dazu, daß sich„hinter dem ablehnenden Gestus vermeintlich distanzierter Kritik(...)die Abwehr“ verberge.
Dieser Meinung bin ich auch, denn die Schreibweise von Ingeborg Bachmann entzieht sich ganz eindeutig dem rationalen Zugriff, der mit „manifesten Prozessen“ argumentiert. Hier beweist der Kritiker Günter Blöcker meines Erachtens nichts als seine eigene Ignoranz und Intoleranz.
In eine ähnliche Richtung geht auch die Kritik von Peter Neumann. Er sieht sich in der Erzählung „Undine geht“ durch „voll zum Ausdruck kommenden `Männerhaß`“ angegriffen und es scheint ihm nicht möglich ein objektives Urteil zu fällen, das nicht bestimmt ist durch verletzte Eitelkeit. Und diese „rein emotionale Reaktion“ ist genau das, was er Ingeborg Bachmann vorwirft.50
Gegenüber der männlichen Kritik steht die der Frauen. Hier tritt verstärkt eine Identifikation zutage. Irene Kabanyi hat in ihrem Aufsatz „der exemplarische Tod“ die Identifikationsmöglichkeit erläutert: die Angst vor einem ähnliche Schicksal. So schreibt Kabanyi:
„Als ich zum ersten Mal dein Gesicht sah, wußte ich, daß wir mehr als Blutsverwandte sind. Wußte ich, daß Du (was viel, viel schlimmer ist) Teil von mir bist.(...)Meine Sterbensangst ist dein Tod. “51
Und: „Was mich dazu veranlaßt hat, mich mit der Bachmann zu beschäftigen, was mich gezwungen hat, ihr für eine lange Zeit mein leben zur Verfügung zu stellen, war ihr Tod und meine Angst vor ihm.“52
Diese Art und Weise sich mit Ingeborg Bachmann auseinanderzusetzen wurde sicherlich von vielen Männern ebenso abschätzig beurteilt wie Ingeborg Bachmann selbst. Der Versuch sich mit ihr zu vergleichen sei abwegig, zu emotional, einseitig subjektiv und vor allem irrelevant. Meiner Meinung nach liegt diese Rezeption für eine Frau und Autorin, wie Irene Kabanyi es ist, doch nahe: Ingeborg Bachmann als negative „Vorbildfunktion“, als Beweis, daß viele Dinge im Argen liegen, daß gekämpft werden muß und daß Frau auf sich aufpassen muß, wenn sie nicht so enden will wie Ingeborg Bachmann.
2.2 Die Beziehungen
Ich habe im folgenden die Beziehungen zu Hans Weigel, Paul Celan und Max Frisch beschrieben und versucht, sie in Bezug zu ihrem Werk zu setzen. Das größte Problem, was sich bei der Bearbeitung dieses Themas gestellt hat, war, daß es so gut wie keine privaten Aufzeichnungen wie Tagebücher, Briefe oder andere Dokumente von Ingeborg Bachmann dazu gibt. So ist zum Beispiel der Briefwechsel zwischen ihr und Paul Celan bis weit in die 2000er zur öffentlichen Einsicht gesperrt und auch die Tagebücher werden von den Erben des Nachlasses unter Verschluß gehalten.
Deshalb blieb mir nichts anderes übrig, als mit Sekundärtexten und einzelnen Interviews zu arbeiten.
2.2.1 Hans Weigel
Hans Weigel war einer der Menschen, der aufgrund seiner Position in der Literaturszene der Nachkriegszeit in Wien, Ingeborg Bachmann dabei behilflich zu sein, auf den Weg nach oben zu gelangen.53 Er, Theaterkritiker, Essayist, Kabarettist, Romancier, war eine „Instanz“ zu dieser Zeit.54
Ingeborg Bachmann setzte ihr Philosophiestudium 1946 in Wien fort55 und ging hier gezielt ins „Café Raimund“, in dem sich die Literaten und ihre Kritiker trafen.56 Sie suchte bewußt den Kontakt zu Hans Weigel, stellte sich ihm vor, und er wurde zu einem ihrer ersten Förderer. So erscheinen mit Hilfe seines Einflusses noch während sie studierte ihre ersten Publikationen.
Es begann am 31. Juli 1946 mit der Erzählung „Die Fähre“, die von der „Kärntner Illustrierten“ veröffentlicht wurde.57
Wenig später wird er zu einem ihrer schärfsten Kritiker. Doch darauf komme ich an anderer Stelle zurück.
Wie sah die Beziehung der beiden nun konkret aus?
Ich habe dieses Kapitel zwar „Die Beziehungen“ betitelt, aber das Verhältnis zwischen Hans Weigel und Ingeborg Bachmann war, zunächst jedenfalls, freundschaftlicher Natur. Wichtig im Zusammenhang des gegenseitigen Einflusses der beiden ist die Verarbeitung der NS-Zeit und des Krieges. Für Weigel spielte dieses Thema eine große Rolle, da er mit seinem Eltern ins Schweizer Exil geflüchtet war und 1945 ins Nachkriegs-Wien zurückkehrte.58 Hier baute er einen Literatenzirkel unter dem Motto des „Weggewesenen und immer Dagewesenen“ auf. Dieser Versuch die Treffen, das Beisammensein zu beschönigen, wurde von Ingeborg Bachmann in der Erzählung „Unter Mördern und Irren“ aufs genaueste analysiert.59 Sie zeigt auf, wie heuchlerisch die Zusammenkünfte der Intellekuellen., unter ihnen heimgekehrte Emigranten, ehemalige Mitläufer, Soldaten und Nazis, sind da sie sich nicht nach dem Grund ihres Treffens fragen und kein Wort über die Vergangenheit verlieren.60
Von Belang scheint einzig die „Sehnsucht(...)nach einem jüdisch-österreichischen Miteinander“61 und das „Glück im Gesicht, wieder da zu sein.“ So Hans Weigel in seinem 1951 erschienenen Roman „Unvollendete Symphonie“.62 Er thematisiert die Rückkehr eines Emigranten, er selbst, der ein junges Mädchen aus der Provinz, (Ingeborg Bachmann) trifft, „die ihm bei seiner zweiten Menschwerdung hilft.“63
Ingeborg Bachmann wurde für ihn zum Beweis, daß er noch „dazugehört“. Sie war seine Verbindung nach Österreich.
Für Ingeborg Bachmann war dies eine erste Erfahrung, zum Objekt des Mannes gemacht zu werden. Sie war literarisches Thema für den Autor Hans Weigel, für seine „männliche Erzählkonstruktion.“64
Die Freundschaft der beiden, die sich nicht zuletzt darin äußerte, daß sie jeweils bezug nahmen auf die Texte des anderen („Malina“ ist auch Reaktion auf „Unvollendete Symphonie“), findet bald ein Ende. Wie oben angesprochen wurde Weigel zu einem ihrer Verurteiler und Ankläger.
Am Ende leugnete er gar die literarische Ebene auf der ihre Beziehung beruhte.65
Im Gespräch mit Irene Kabanyi äußert er sich ziemlich unsachlich und unfair. Es wirkt so, als fühlte auch er sich persönlich angegriffen durch Ingeborg Bachmanns und wolle sich an ihr rächen, indem er bei anderen über sie herzieht.
„Ich hätte es mit ihr ausgehalten. Ich bin in dieser Hinsicht , egal wie ich wirke, ein guter Aushalter. Ein geduldiger, freundlicher, gütiger Aushalter.(...)Vielleicht hab ich ihr zu wenig Anlaß zum Jammern gegeben oder ich hätt sie mehr prügeln müssen.“ „Sie meinen, es ist ihr fad geworden?“ „ Kann sein, ja.“66
Als sie sich gegen eine Verjährung der Naziverbrechen äußerte, kritisierte er sie gleich mehrfach: „ihre Kompetenzen“ habe sie „als Lyrikerin und Österreicherin übertreten.“67
2.2.2 Paul Celan
Die Beziehung zu Paul Celan kann man wohl als die innigste und „gesündeste“ bezeichnen, die Ingeborg Bachmann in ihrem Leben hatte. Er war in literarischer und persönlicher Hinsicht entscheidend für ihr Leben. Sie hielten über ihre Gedichte ein literarisches Zwiegespräch, das wohl einmalig in der Literaturgeschichte ist.68
Sie lernten sich am 16. Mai 1948 kennen und ihr letztes Treffen fand Ende Mai 1960 statt. Obwohl ihre Beziehung sehr eng war und sie sich so sehr geliebt haben, daß Ingeborg Bachmann nach seinem Tod schrieb:
„(...)er war mein Leben. Ich habe ihn mehr geliebt als meine Leben.“69 scheiterte der Versuch, zusammen in Paris zu leben.
Durch ihn hat sie jedoch zu ihrer ganz persönlichen Sprache gefunden, denn in ihrem Gedichtgespräch entwickelten sie eine ganz spezielle geheime Sprachsymbolik. Damit ist nicht gemeint, daß sie sich etwas abschaute, oder gar von ihm abschrieb, das tat sie ebensowenig wie er, sondern sie wurde von seinen Metaphern und seiner Sprachmelodie inspirierte verarbeitete seine Bilder in ihren Gedichten und antwortete so darauf.70 Diese Beziehung kann ohne Zweifel gleichberechtigt genannt werden, es fand ein intellektuell- künstlerischer Austausch statt, der nicht einseitig nur dem einen zunutze war. Bevor er sich 1948 in Paris niederließ, lebte er für ein halbes Jahr in Wien und er nahm ganz bewußt nicht an den Treffen des Literatenzirkels um Hans Weigel teil, denn die waren für ihn „Geschwätz und Diskussionen, die mich nicht interessierten, sonst nichts“.71 Die Tagung der Gruppe 47 im Jahr 1951 waren ein wichtiges Ereignis für Ingeborg Bachmann. Über Ilse Aichinger traf sie mit Hans Werner Henze, dem Kopf der Gruppe, zusammen, der über die Begegnung sagte:
„Ich beachtete sie kaum, sie sass auf einem Sofa in Ilse Aichingers Wohnung in Wien und hörte uns zu.(...)Auf die Idee, daß sie Gedichte schrieb und vielleicht darauf wartete, ebenfalls zu der Tagung eingeladen zu werden, kam ich nicht. Erst einige Tage später wußte ich, und heute ist es mir voll bewußt, daß ihre ganze Energie auf diesen einen Punkt gerichtet war.“ Paul Celan reizte die Tagungen nicht sehr. Nur weil Ingeborg Bachmann Henze auf den Dichter aufmerksam macht, der „sehr arm sei, unbekannt wie sie selbst, aber sehr gute Gedichte, viel bessere als sie selber schreibe“, wurde Celan ebenfalls zu der Tagung nach Niendorf an der Ostsee eingeladen.72 Sein vorgetragenes Gedicht, die „Todesfuge“ wurde jedoch sehr verhalten gelobt. Mehr Anerkennung erhielt Ingeborg Bachmann für ihre Gedichte und im Jahr darauf verlieh man ihr für das Gedicht „Große Landschaft bei Wien“ den Preis der Gruppe.
Celan jedoch nahmh diesem einen Ml nicht mehr an den Treffen teil. Er schien diese Art der Öffentlichkeit zu meiden, die Gruppendiskussionen behagten ihm nicht sehr. Wie die Freundschaft der beiden weiter verlaufen ist, muß bis auf weiteres im Dunkeln bleiben, denn wie ich schon sagte, wird der Briefwechsel der beiden noch lange Zeit nicht einsehbar sein.
Das letzte persönliche Treffen, von dem etwas bekannt ist, ereignete sich am 25. Mai 1960 in Meersburg am Bodensee aufgrund einer Preisverleihung für Nelly Sachs. Danach hatten sie nur noch schriftlichen Kontakt.
Im April 1970 beging Paul Celan Selbstmord.73
2.3 Max Frisch
Ganz anders war die Beziehung zu Max Frisch. Obwohl gemeinhin als wichtigste angesehen, war sie, ganz im Gegensatz zum Verhältnis zu Paul Celan, geprägt durch viele Krisen und gekennzeichnet durch ein enormes Ungleichgewicht. Ingeborg Bachmann durchlitt durch Max Frisch viele schmerzhafte Episoden und noch lange nach der Trennung hatte sie unter ihm zu leiden, da sie sich in seinem Roman „Mein Name sei Gantenbein“ verunglimpft sah und hier zum zweiten mal durch einen männlichen Autor auf ein literarisches Objekt reduziert wurde.74
Nachdem sie schon einige Zeit in Briefkontakt standen, trafen sie sich 1958 bei einer Aufführung des Frisch-Dramas „Biedermann und die Brandstifter“ in Paris zum ersten Mal. Es entwickelte sich eine Liebesbeziehung, die, wie schon gesagt, als krisenreich gelten kann.75
Sie lebten einige Zeit zusammen in Zürich, danach in Rom, pendelten dann bis zur Trennung 1963 zwischen den Orten hin und her. Dieser Umstand des Herumziehens, an keinem Ort richtig zu Hause zu sein, ist meiner Auffassung nach eine der wesentlichen Merkmale der Beziehung.
Fünf Jahre waren sie mehr oder weniger zusammen, und diese Zeit ist durchzogen von immer neuen Versuchen gemeinsam zu leben, von Trennungen, Neuanfängen. Für Max Frisch war schon nach dem ersten Versuch 1958, in Zürich eine Wohnung zu teilen, klar, „daß diese Beziehung `nicht länger als vier Wochen lebbar` sei“.76
Sie trennten sich, aber kurz darauf entschied er sich wieder für ein Leben mit ihr. Sie schafften es, sieben Monate in Zürich zusammen zu leben, er schickte sie aber wieder weg, als er an Hepatitis erkrankte. In dieser Zeit hielt sich Ingeborg Bachmann in Rom auf, bis Frisch sie nach seiner Genesung zu sich nach Zürich zurückholte. Im gleichen Jahr noch, 1959, machte er ihr einen Heiratsantrag, auf den sie allerdings nicht einging.77 Wie man vielleicht schon an diesem kurzen Abriß ihrer gemeinsamen Zeit sehen kann, scheinen beide nicht sehr glücklich gewesen zu sein.
Er öffnete Briefe von ihr, nicht an ihn gerichtet, und sprach von Erfahrungen wie „Hörigkeit“ und „Eifersucht“, die „der Preis für den Glanz ihrer Freiheit“ seien.78
Sie fand sein Tagebuch, „hat es gelesen und verbrannt.“79
Obwohl beide literarisch tätig waren, fand zwischen ihnen kein künstlerischer Austausch statt und es ist auch nicht bekannt, daß sie sich gegenseitig positiv beeinflußten. Erst nach dem endgültigen Ende ihrer Beziehung, zum Jahreswechsel 1962/63, fand eine Art „Gespräch“ über ihre Texte statt.
Frisch verfaßte mit „Mein Name sei Gantenbein“ eine mehr oder weniger offene Abrechnung und auch die Erzählung „Montauk“, die szenischen Bilder „Triptychon mit Dame“ und die Kriminalerzählung „Blaubart“ setzen sich mit der fünfjährigen Beziehung zu Ingeborg Bachmann auseinander.
Er sagte selbst, daß sie daß „Ende nicht gut bestanden“ hätten, sie „beide nicht“.80 Ingeborg Bachmann verarbeitete die Zeit in „Malina“, aber sie wollte das Buch schon lange vor der Beziehung mit Max Frisch schreiben. Die Deutung, es als Antwort („Mein Name?/Malina“) zu seinem „Mein Name sie Gantenbein“ zu sehen, ist daher nur eine von vielen „Spuren“,81 die zu erkennen sind.
Sie fühlte sich so unsäglich verletzt durch dieses Buch, veröffentlicht und der Lächerlichkeit preisgegeben. Diese Erfahrung war eine der von ihr so empfundene „Todesarten“. Literarisch verarbeitet hat sie die Demütigung in „Der Fall Franza“, wo eine Frau von ihrem Mann, er ist Arzt, als Experimentierobjekt mißbraucht wird und sie daran stirbt.
Die beiden sahen sich ein letztes Mal 1963 in einem Café in Rom und sie verbleiben nicht in Freundschaft.
Nach der Trennung von Max Frisch zog Ingeborg Bachmann nach Berlin. Dies ist auch die Zeit, in der die Krankheitssymptome, unter denen sie schon immer zu leiden hatte, immer stärker werden.
Sie versuchte mehr als einmal, ihre selbstzerstörerischen Tendenzen, die Zusammenbrüche, Angst- und Ohnmachtsanfälle, ihre Medikamenten- und Alkoholabhängigkeit mit Hilfe von Therapien zu heilen. Doch alle Krankenhausaufenthalte und Kuren blieben ohne Erfolg. Sie nahm daraufhin ihre Krankheit als Antrieb zum Schreiben, und verfaßte Texte über das Leiden und Elend durch Krankheit. Teilweise ganz wörtlich, aber meist schrieb sie in einem symbolischen und metaphorischen Sinn.82
Diese zerstörerische Liebe blieb die letzte im Leben von Ingeborg Bachmann. Von ihrer Krankheit erholte sie sich bis zu ihrem Tod 1974 nicht mehr und auch an der Nachwirkungen der Beziehung hatte sie bis zum Ende zu arbeiten.
Alles in allem gesehen waren ihre Beziehungen zu Männern immer mit einen eigenartigen Fatalismus versehen. Auch wenn sie Paul Celan „mehr geliebt“ hat „als ihr Leben“, so waren sie nicht fähig miteinander zu leben, sondern ertrugen sich nur auf weite Entfernung. Etwas Schwerwiegendes hat zwischen ihnen gestanden, das ihnen „aus unbekannten, dämonischen Gründen(...)die Luft zum Atmen wegnahm“.83
Und wie eben beschrieben haftete dem Verhältnis zu Max Frisch in einer ähnlichen Weise das von vornherein zum Scheitern Verurteilte an.
Wenn man nun all die Fälle nimmt, in denen ihre Protagonistinnen ähnliche Schicksale durchleben und Erfahrungen machen, wird einem ohne weiteres deutlich, daß Ingeborg Bachmann zum einem Großteil autobiographisch geschrieben hat und man Parallelen zu ihrem eigenen Leben ziehen kann.
3. Weitergehende Fragen
Habe ich im letzten Teil die Aspekte aufgegriffen, die hinsichtlich ihrer Themen am naheliegendsten schienen, und die ganz eng mit der Person Ingeborg Bachmann zu tun hatten, so habe ich mich jetzt auf etwas allgemeineres Terrain begeben. Zum einen zeige ich, wie sie in Hinblick auf den radikalen Feminismus der 70er Jahre zu bewerten ist, und wie die feministische Rezeption ihrer Texte ausgesehen hat. Zum anderen habe ich mich gefragt, ob Ingeborg Bachmann eigentlich „politisch“ war, oder ob sie „nur“ privat und auf dasSubjekt bezogen gelebt hat, wie es ihre Prosa glauben machen kann.
3.2 War Ingeborg Bachmann politisch aktiv?
Bevor ich zum Kern dieser Fragestellung komme, möchte ich zunächst meine Definition von „politisch sein“ erläutern. Meiner Auffassung gibt es zwei Arten, wie politische Engagement aussehen kann.
Zum einen die, sich aktiv allein oder in einer Gruppe zu betätigen, und sich zur aktuellen Politik, zu welchem Thema auch immer, zu äußern, Aktionen zu organisieren und durchzuführen, Schreiben für oder gegen etwas zu verfassen und auf der ganzen Linie kritisch zu sein und Dinge,die in der Öffentlichkeit ablaufen,zu hinterfragen und genauestens zu verfolgen.
Auf der anderen Seite gab es gerade kurz nach der Zeit Ingeborg Bachmanns die Tendenz der Frauenbewegung gerade das Private, das Unöffentliche, das ganz Prsönliche als politisch zu betrachten. Das Schlagwort lautete: „Das Private ist politisch.“
Auf Ingeborg Bachmann treffen beide Arten ,politisch zu sein,zu.
Zunächst fällt einem natürlich die private, ganz persönliche und auf sich selbst bezogene „Politik“ ein. Die verschiedenen Frauengestalten in ihren Büchern, die alle an dem Gesellschaftssystem unserer Zeit scheitern. Ich bin im ersten Kapitel aber schon zur genüge darauf zu sprechen gekommen, deshalb möchte ich jetzt weitergehen, und aufzeigen, daß Ingeborg Bachmann trotz der vielen Probleme, die sie mit sich selbst hatte, und die sie zeitweilig nur um sie selber drehen ließen, ein politisch interessierter, „weltzugewandter“ Mensch im ursprünglichen Sinne war.84
Zum einen gehörte sie, wie ich schon an mehreren Stellen erwähnte, zur Gruppe 47, die alles andere als unpolitisch war. Mit Hilfe der prominenten Mitglieder war diese Gruppe eine Art politisch-moralische Instanz, die sich vor allem zu Themen äußerten, die die NS-Zeit betrafen. Im Jahre 1958 ging aus dieser Gruppe das „Komitee gegen die Atomrüstung“ hervor, und sie protestierten öffentlich gegen die Atombewaffnung in der BRD.85 Dafür wurde sie von Hans Weigel heftigst kritisiert, denn er sprach ihr die Kompetenz ab, sich zu solchen Themen äußern zu können.86
Ingeborg Bachmann ließ sich jedoch von niemandem den Mund verbieten und bezog auch weiterhin Stellung zu aktuellen politischen Entwicklungen, mit denen sie nicht einverstanden war. 1965 unterzeichnete sie zusammen mit anderen bekannten Personen „die Erklärung gegen den Vietnamkrieg“ und sprach sich gegen eine Verjährungsfrist von Nazi-Vebrechen aus.87
Den Kampf gegen die fortwirkenden nationalsozialistischen Einflüsse führte sie auf mehreren Ebenen. So kündigte sie im Jahre 1967 den Vertrag mit ihrem Stammverlag Piper aus München, weil dieser eine Ausgabe des „Requiem“ der polnischen Dichterin Anna Achamatowa herausgab, die der frühere NS-Dichter Hans Baumann übersetzt hatte.88 Als sie diese Ausgabe das erste Mal in die Hände bekam, setzte sie sich sofort mit ihrem Verleger Klaus Piper in Verbindung. Der reagierte aber ausweichend, und für Ingeborg Bachmann war „etwas nicht wieder Gutzumachendes“ geschehen. Sie schrieb an den Verlag: „Ich ziehe die Konsequenzen aus den Briefen und dem, was im Verlag, in Zusammenhang mit der Achamatowa Übersetzung, vorgefallen ist. Ich gehe weg.“89
Sie wechselte daraufhin zum Suhrkamp Verlag in Frankfurt/Main, und hier erschien der Roman „Malina“. Der nächste Erzählband wurde allerdings wieder vom Piper Verlag herausgegeben.
Zum zweiten muß ich in diesem Zusammenhang aber doch einmal auf ihre Lyrik eingehen, denn auch hier setzt sie sich ganz intensiv mit dem Krieg und dem faschistischen Deutschland auseinander. Sie verarbeitete in ihnen die eigene Erfahrung mit der schrecklichen Zeit, in der sie ihre eigene erste Todesangst erlebte und die Gedichte sind durchzogen von den Bildern des Todes der Kriegszeit. Sie sah sich selbst verwurzelt in der „geschichtlichen Katastrophe“90 und in ihrem lyrischen Werken kommt immer wieder die Hoffnung zum Ausdruck, daß dieses Schicksal eines Tages überwunden sein wird.91 In einem Fernsehinterview gibt sie diese Hoffnung auch als eigentliche Triebkraft ihres Schreibens an:
„Ich glaube wirklich an etwas, und das nenne ich <ein Tag wird kommen>. Und eines Tages wird es kommen. Ja wahrscheinlich wird es nicht kommen, denn man hat es uns ja immer zerstört, seit so viel tausend Jahren hat man es uns immer zerstört. Es wird nicht kommen, und trotzdem glaube ich daran. Denn wenn ich nicht mehr daran glauben kann, kann ich auch nicht mehr schreiben.“
3.1. Ihre Einstellung zum Feminismus: War sie eine „Vorreiterin“?
Ich denke, man kann Ingeborg Bachmann uneingeschränkt als emanzipierte Frau bezeichnen, die sich bewußt mit frauenspezifischen Themen auseinandersetzte. Sie selbst zählte sich zu den „heftigen Menschenfrauen“ und wußte, „daß sie für ihre Heftigkeit zu zahlen haben würde.“92
Allerdings ist sie nicht zum kämpferischen Feminismus zu zählen und man sollte nicht den Fehler begehen, sich auf eine einseitige Lesart ihrer Themen beschränken, sondern versuchen, ein differenziertes Bild ihrer Auffassung von Mann und Frau zu erlangen. Zwar sind die Frauengestalten ausnahmslos die Opfer in ihren Erzählungen, alle sind auf irgendeine Weise in einer tödlichen Weise mit dem patriarchalen System verbunden, doch bieten diese Frauen keinerlei Identifikationsmöglichkeiten für die Leserinnen.93 Ingeborg Bachmann verbreitet keine Hoffnung und sie kann auch keine Lösungen für das „Dilemma“ bieten. Hans-Jürgen Fröhlich meinte dazu:
„Ingeborg Bachmann hat für sich selbst keinen Rat gewußt und kein Rezept gehabt. Sie hat geschrieben und schreibend versucht, das Chaos nicht zu ordnen, sondern zu formulieren.“94 So sind ihre Frauen fast noch mehr zu verachten als die Männer, denn sie hat die Unterdrückung durch den Mann soweit verinnerlicht, daß sie sich schon von ganz allein unterwirft.95
Und die Sprache der Frauen ist in dieser Unterwürfigkeit „noch schlimmer, unwürdiger.“96 Für sie sind beide Schuld an dem Zustand in dem sie leben, und die Männer werden bei ihr nicht ausnahmslos verdammt.97
Und das ist genau der Punkt in dem sich Ingeborg Bachmann von der radikalen Frauenbewegung der 70er Jahre unterscheidet. Zwar gibt es die Übereinstimmung hinsichtlich der „Unzufriedenheit über das Zusammenleben der Geschlechter in einer von der männlichen Ratio bestimmten Leistungs- und Konsumgesellschaft“, aber im Grunde hat sie nur Mitleid mit den Männern und verurteilt sie nicht ausschließlich.98
Ich denke aus diesem Grund, sollte man Ingeborg Bachmann nicht allzu voreilig mit der feministischen Literatur der Frauenbewegung gleichsetzen, denn hier wird der Mann für alles Übel verantwortlich gemacht, was hier zählt ist ein vereinfachtes „für die Frau-gegen den Mann“-Schema, währenddessen bei Ingeborg Bachmann ein komplexerer Entwurf zu erkennen ist. Sie hoffte darauf, daß eines Tages beide Geschlechter in gleichberechtigter Weise miteinander leben.99
Ich denke deshalb auch nicht, daß Ingeborg Bachmann sich als „Vorreiterin“ der Frauenbewegung gesehen hat, denn die kollektive Verdammung des Mannes und „diese empörenden Geschichten, die viele Frauen bereitwillig und anklagen ausbreiten“ waren nicht ihre Sache.100
Schluß
Ist Ingeborg Bachmann nun eine „aufsteigende Autorin des 20. Jahrhunderts“?
Ich denke, in diesem Aufsatz ist in groben Zügen deutlich geworden, was für eine ambivalente Person Ingeborg Bachmann gewesen ist und in welch hohem Maße es ihr gelungen ist, ihren eigenen Anspruch zu erfüllen, und ihr eigenes Leben mit ihrem Werk zu verknüpfen.
Natürlich ist sie als einzelne nicht repräsentativ für ein ganzes Jahrhundert, ja noch nicht einmal für ein Jahrzehnt. Aber es ist ohne weiteres möglich zu behaupten, daß sie zumindest die Literaturszene bereichert hat, neue Impulse gegeben hat und nicht zuletzt durch ihren Versuch eine neue Sprache zu entwerfen, großen Einfluß auf die nachfolgenden Schriftstellergenerationen hatte und immer noch hat.
Ich denke, die Wichtigkeit ihrer Person und ihres Werk hinsichtlich der deutschsprachigen Literatur wird heute noch durch die jährliche Verleihung des Bachmann-Preises kenntlich gemacht.
Sie kann deshalb auch als gutes Beispiel einer schreibenden Frau gelten, die zumindest materiell nicht von Männern abhängig war und die doch im großen und ganzen ein freies emanzipiertes Leben führte. Sie kann deshalb durchaus zur neuen Frauengeneration der Nachkriegszeit gezählt werden, für die eine regressive Rollenfestlegung der Frau nicht mehr in Frage kommt.
Ich konnte hier natürlich einige wenige Aspekte ihres Schaffens und Wirkens berücksichtigen, und auch nur beispielhaft auf die Personen eingehen, die in ihrem Leben eine Rolle spielten und für die sie wichtig war, doch ich hoffe, es wurde trotzdem deutlich, auf welche Argumente sich meine Annahmen stützten.
Literaturverzeichnis
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Dies., Malina, Frankfurt/Main. 1997.
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Dies., Die Hörspiele. München 1983.
Bartsch, Kurt, „Schichtwechsel?“. In: Manfred Jurgensen (Hg.), Frauenliteratur. Autorinnen, Perspektiven, Konzepte. Bern 1983.
Caduff, Corina, Chronik von Leben und Werk. In: du. Die Zeitschrift für Kultur, Zürich 1994, Heft 9, S. 76-87.
Höller, Hans, Ingeborg Bachmann. Reinbek 1999.
Jurgensen, Manfred, Ingeborg Bachmann. Die Romane. Die Erzählungen. In: ders., Deutsche Frauenautoren der Gegenwart. Bern 1983, S.23-52.
Kabanyi, Irene, Der exemplarische Tod. Nekrolog für eine Nekrologin. In: Elfriede Gerstl (Hg.), eine frau ist eine frau ist eine frau... Autorinnen über Autorinnen. Wien 1985, S.144-173.
Schnedl-Bubenicek, Hanna, Die andere Wirklichkeit. In: Elfriede Gerstl (Hg.), eine frau ist eine frau ist eine frau...Autorinnen über Autorinnen. Wien 1975, S. 124-143.
Serke, Jürgen, Ingeborg Bachmann. „Haltet Abstand von mir, oder ich sterbe, oder ich morde mich selbst“: In: ders., Frauen schreiben. Ein neues Kapitel deutschsprachiger Literatur. Frankfurt/Main 1982, S. 145-159.
[...]
1 Jurgensen, Manfred, Ingeborg Bachmann, in: ders., Frauenautoren der Gegenwart, Bern 1983, S. 25
2 Serke, Jürgen, Ingeborg Bachmann. „Haltet Abstand von mir, oder ich sterbe, oder ich morde mich selbst“, in: ders., Frauen schreiben. Ein neues Kapitel deutschsprachiger Literatur, Frankfurt/Main 1982, S.147.
3 Kabanyi, Irene, Der exemplarische Tod. Nekrolog für eine Nekrologin, in: Elfriede Gerstl (Hg.), eine frau ist eine frau ist eine frau... Autorinnen über Autorinnen, Wien 1985, S.168.
4 Bartsch, Kurt; „Schichtwechsel?“, in: Manfred Jurgensen (Hg.), Frauenliteratur. Autorinnen, Perspektiven, Konzepte, Bern 1983, S. 91.
5 Jurgensen,Manfred, Frauenautoren der Gegenwart, Bern 1983, S. 26.
6 Jurgensen (Hg.), Bern 1983, S.91.
7 Jurgensen, Bern 1983, S. 26 ff.
8 Ebd., S.26.
9 Ebd., S.28.
10 Ebd., S. 29.
11 Ebd., S.27.
12 Ebd., S. 32.
13 Serke, Jürgen, Frauen schreiben, Frankfurt/Main 1982, S.145.
14 Jurgensen, Bern 1983, S.32.
15 Vgl. Bachmann, Ingeborg, Simultan, in: dies., Sämtliche Erzählungen, München 1985, S.291.
16 Serke, 1982, S.152.
17 Vgl. Bachmann, Ingeborg, Der gute Gott von Manhattan, in: dies., Die Hörspiele, München 1983.
18 Vgl. Ingeborg Bachmann, Ein Geschäft mit den Träumen, München 1980.
19 Gerstl (Hg.), Wien 1985, S.166ff.
20 Ebd, S. 130.
21 Ebd.
22 Ebd., S.125.
23 Ebd., S.126.
24 Höller, Hans, Ingeborg Bachmann, Reinbek 1999, S.142.
25 Vgl. Bachmann, Ingeborg, Malina, Frankfurt/Main, 1997.
26 Jurgensen, Bern 1983, S.40ff.
27 Ebd., S.42.
28 Höller, Reinbek 1999, S.138f.
29 Ebd., S.139.
30 Ebd.
31 Serke, Frankfurt/Main, 1982, S.158.
32 Ebd.
33 Ebd., S.153f.
34 Ebd.
35 Jurgensen, Bern 1983, S.26.
36 Höller, Reinbek 1999, S.155.
37 Caduff, Corina, Chronik von Leben und Werk. In: du. Die Zeitschrift für Kultur, Zürich 1994, Heft 9, S.87.
38 Gerstl (Hg.), Wien 1985, S.165f.
39 Ebd., S.167.
40 Jurgensen, Bern 1983, S.25.
41 Serke, Frankfurt/Main 1982, S.153.
42 Ebd., S.148.
43 Caduff, Zürich 1994, S.83.
44 Gerstl (Hg.), Wien 1980, S.170.
45 Serke, Frankfurt/Main 1982, S.153.
46 Ebd., S.148.
47 Caduff, Zürich 1994, S.86.
48 Gerstl, Wien 1980, S.128.
49 Ebd., S.129.
50 Jurgensen (Hg.), Bern 1983, S.85f.
51 Gerstl (Hg.), Wien 1980, S.150.
52 Ebd., S.145.
53 Vgl. Caduff, Zürich 1994, S.82.
54 Höller, Reinbek 1999, S.50.
55 Sie studierte zuvor ein Semester in Innsbruck und eines in Graz.
56 Höller, Reinbek 1999, S.50. Caduff, Zürich 1994, S.77.
57 Ebd.
58 Vgl. Höller, Reinbek 1999, S.50.
59 Ebd., S.51. Vgl. Bachmann, Unter Mördern und Irren. In: dies., Sämtliche Erzählungen, München 1985.
60 Ebd.
61 Höller, Reinbek 1999, S.53.
62 Ebd., S.52.
63 Ebd.
64 Ebd.
65 Ebd., S.55.
66 Gerstl (Hg.), Wien 1980, S.162.
67 Caduff, Zürich 1994, S.82.
68 Ebd., S.77.
69 Höller, Reinbek 1999, S.59.
70 Ebd.
71 Ebd., S.51.
72 Caduff, Zürich 1994, S.78.
73 Ebd., S.85.
74 Ebd., S.82.
75 Ebd.
76 Höller, Reinbek 1999, S.119.
77 Ebd.
78 Ebd.
79 Ebd., S.120.
80 Ebd.
81 Ebd., S.123.
82 Ebd., S.125ff.
83 Ebd., S.64.
84 Gerstl (Hg.), Wien 1980, S.165.
85 Caduff, Zürich 1994, S.82.
86 Caduff, Zürich 1994, S.82.
87 Ebd., S.85.
88 Höller, Reinbek 1999, S.141. Caduff, Zürich 1994, S.85.
89 Vgl. Höller, Reinbek 1999, S.141.
90 Caduff, Zürich 1994, S.84.
91 Ebd.
92 Serke(Hg.), Frankfurt/Main 1982, S.145.
93 Caduff, Zürich 1994, S.86.
94 Serke(Hg.), Frankfurt/Main, S.151.
95 Jurgensen(Hg.), Bern 1983, S.88.
96 Vgl. Ingeborg Bachmann, Ein Schritt nach Gomorrha. In: dies., Sämtliche Erzählungen, München 1985.
97 Jurgensen(Hg.), Bern 1983, S.94.
98 Ebd.
99 Caduff, Zürich 1994, S.86.
100 Ebd.
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- Lina Dinkla (Autor:in), 1999, Ingeborg Bachman -Der Aufstieg der Autorin im 20. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105752