"Romulus der Große" als Parodie der Tragödie


Seminararbeit, 2001

12 Seiten, Note: Sehr Gut (


Leseprobe


„ROMULUS DER GROßE“ ALS PARODIIE DER TRAGÖDIIE

1. Einleitung

„Uns kommt nur noch die Komödie bei“1, mit diesem Satz verweist Friedrich Dürrenmatt auf den Vorrang der Komödie, die nach seinem Verständnis die traditionsreiche Tragödie längst verdrängt hat. Nach Dürrenmatt setzt die Tragödie „Schuld, Not, Maß, Übersicht und Verantwortung voraus“2. In unserem unübersichtlichen Jahrhundert gibt es keine Schuldigen und Verantwortlichen mehr. Aus diesem Grund sieht Dürrenmatt die Komödie als die dramatische Form an, die die Tragödie ablöst.

In Dürrenmatts Frühwerk „Romulus der Große“, kommt seine Tragödienkritik zum Ausdruck. Die Form seines Dramas ist natürlich die Komödie, die nach ihm schwer ist, „weil sie scheinbar leicht ist.“3

Dürrenmatt überspitzt komische Nachahmung, verkehrt das Genre Tragödie regelrecht. Er parodiert die Tragödie.

Diese Arbeit wird diese Parodie der Tragödie aufzeigen und in den Zusammenhang mit Dürrenmatts Tragödien- und Komödienverständnis in den 50er Jahren stellen.

2. Allgemeine Merkmale der Tragödie:

Tragödie kommt von dem griechischen Wort "tragodia" und bedeutet soviel wie Bocksgesang. Der Begriff ist wesentlich gleichbedeutend mit Trauerspiel4. Neben der Komödie ist sie die zweite Hauptgattung des Dramas und wurde als Kunstform von den Griechen erschaffen. Die Haupttragiker der antiken Tragödie waren Aischlos, Sophokles und Euripides. Im Mittelpunkt einer Tragödie steht die „Darstellung eines ungelöst bleibenden tragischen Konflikts mit der sittlichen Weltordnung, mit einem von aussen herantretenden Schicksal“5. Die Tragödie stellt Fragen des Seins der Menschheit, der Freiheit des Menschen, des Schicksals, der Schuld und Sühne, des Menschen und Gott.

Für die Weltliteratur wird schließlich Shakespeare ein bedeutender Tragiker, der für die Grenzen des menschlichen Daseins die Leidenschaft des Menschen verantwortlich macht.

Im grotesken und absurden Drama der Moderne werden Tragödie und Komödie zur Tragikomödie gegeneinander aufgehoben.

Die deutsche Tragödie wird mit Lessing bedeutsam, der auch den Blankvers als Maß der deutschen klassischen Tragödie einführt.

3. Zum Tragödien- und Komödienverständnis Dürrenmatts:

Tragödie und Komödie sind für Dürrenmatt „Formbegriffe, dramaturgische Verhaltensweisen, fingierte Figuren der Ästhetik, die Gleiches zu umschreiben vermögen.“6 Der Unterschied liegt nur in den Entstehungsbedingungen, die nur zum kleinen Teil in der Kunst liegen.

Stücke sind für Dürrenmatt wie ein rollender Ball: Die eine Hälfte bezeichnet die Ästhetik als Tragödie, die andere als Komödie. Da bei einem rollenden Ball nicht auszumachen ist, welche Hälfte oben und welche unten ist, nennt Dürrenmatt seine Stücke eben Komödien.

3.1 Über das Tragödienverständnis Dürrenmatts

Dürrenmatt definiert die Tragödie als „(antike) Form der dramatischen Kunst, die voraussetzt, dass die Gemeinschaft ein Recht habe, in einem feierlichen Chor auszubrechen. Die Gemeinschaft wird idealisiert.“7

Dürrenmatt bestimmt die Tragödie mit dem Blick auf die Mitwelt des Helden, auf die Gesellschaft. Diese muss das Ethos erkennen, das sie dem im Finale geopferten Helden rühmen lässt, der ihre zukünftigen Handlungsmaxime beeinflusst.

Interessant ist dabei die Betrachtung des Werkes „Der Besuch der Alten Dame“, die den Untertitel „Tragische Komödie“ hat. In dem Stück, das als Gegenentwurf zur klassischen Tragödie verstanden werden kann, muss „der tragische Tod des Helden eine bloße Enklave bleiben.“8 Nach Dürrenmatt hat das Stück tragische Elemente, kann sich aber nicht zur Tragödie runden, denn Thema des Stückes ist „in der Gegenwart“9.

Die Tragödie im Sinne Schillers setze eine überschaubare Welt voraus, die im Atomzeitalter nicht mehr gegeben sei.

Die Tragik ist für Dürrenmatt immer noch möglich, „auch wenn die reine Tragödie nicht mehr möglich ist.“10

Die Schuld der echten Tragödie gibt es heute nicht mehr. „Schuld gibt es nur noch als persönliche Leistung, als religiöse Tat.“11 Deshalb lehnt Dürrenmatt die Tragödie als aktuelles literarisches Genre ab. Tragödien vergegenwärtigen eine Vergangenheit. Durch die Überwindung der Distanz schaffen sie Erschütterung.

Dürrenmatts Tragödienverständnis muss man aus seiner Situation heraus betrachten. Die Nachkriegszeit, in der „Es steht geschrieben“, „Romulus der Große“, „Der Besuch der alten Dame“ entstehen, nimmt auch Einfluss auf Dürrenmatts Tragödienverständnis. Eine Verarbeitung des zweiten Weltkrieges in Form einer Tragödie lehnt Dürrenmatt total ab, da die nötige Distanz zu einer objektiven Darstellung für ihn noch nicht gegeben ist. „Ich könnte mir daher wohl eine schauerliche Groteske des zweiten Weltkriegs denken“12.

Die wichtigsten Probleme unserer Zeit aus Dürrenmatts Sicht betreffen Macht und die Atombombe, Politik und Korruption, Unverantwortlichkeit und Anonymität. Obwohl Dürrenmatts Werke immer wieder Erscheinungen unserer Zivilisationsgesellschaft aufgreifen, obwohl er selbst immer wieder Art und Stil seiner Dramen nicht nur zu unserer Zeit in Beziehung setzt, sondern sogar theoretisch aus ihr ableitet, sind sie im wesentlichen nicht Auseinandersetzung oder gar Antworten auf diese Zeit. Sie stellen im Kostüm unserer Welt Ursituationen dar, tragen unter den Bedingungen unserer Zeit Urkonflikte aus. Es geht in Ihnen nicht um den Wohlfahrtsstaat, das kapitalistische System oder den Atomkrieg, sondern um Verrat, Schuld, Sühne, Treue, Freiheit und Gerechtigkeit und schließlich um Moral.

3.2 Über das Komödienverständnis Dürrenmatts

Komödie definiert Dürrenmatt als „(moderne) Form der dramatischen Kunst, die voraussetzt, dass die Gemeinschaft kein Recht habe, in einem feierlichen Chor auszubrechen. Die Gemeinschaft wird kritisch betrachtet.“13 Die Tragödienschreiber der Antike haben nach Dürrenmatt keine echten Einfälle gehabt. Auch heute sieht er das Problem noch. Eine Tragödie hat keine Einfälle nötig, da sie sich auf Mythen, Gegebenheiten beziehen. Ausnahme bildet Aristophanes, dessen Tragödien in der Gegenwart spielen und somit zu Komödien werden. Darin liegt für Dürrenmatt die Aktualität Aristophanes, der durch seine Kömodienart Distanz schafft. Er stellt die Vergangenheit nicht als gegenwärtig vor, wie es die Tragödien tun, sondern setzt seine Gegenwart in bezug auf die Vergangenheit.14 Die Aktualität Aristophanes für Dürrenmatt ist deshalb gegeben, weil sie Dürrenmatts Auffassung von Komödien sehr ähnelt.

Dürrenmatt verteidigt seine Komödienauffassung auch gegenüber seiner Gegenwart, die dazu neigt, die Komödie und das Komödiantische als zweitrangig zu betrachten. Die Vorwürfe gegenüber der Komödie sind, dass das Komödiantische notgedrungen als suspekt erscheint, der Situation nicht gewachsen ist. Für Dürrenmatt liegt in dieser Auffassung eine Täuschung: „Nur das Komödiantische ist möglicherweise heute noch der Situation gewachsen. Wer verzweifelt, verliert den Kopf; wer Komödien schreibt, braucht ihn.“15

Die Komödie will nicht mitteilen, wie die Tragödie, sie will darstellen.

Komödien sind „Gleichnisse der menschlichen Situation, [...] Ausdruck einer letzten geistigen Freiheit, gerade weil sie nicht Tragödien sind.“16 Dürrenmatt schreibt nicht Komödien der Gesellschaft, sondern Komödien in der Gesellschaft, nicht politisch, sondern unpolitisch.

4. Parodie der Tragödie in „Romulus der Große“:

Das Werk „Romulus der Große“ stellt in seiner Gesamtheit eine Parodie der Tragödie dar. Bei der Betrachtung der Kulissenanweisungen, Personen und einzelner Szenen lässt sich auch Dürrenmatts Ablehnung der Tragödie der Komödie nachweisen.

4.1 Kulissen und Kulissenanweisungen

Gleich am Anfang des Stückes fällt die komische Kulissenbeschreibung Dürrenmatts auf. Die Büsten der Staatsmänner im Arbeitszimmer des Kaisers sollen „alle mit etwas übertrieben ernsten Gesichtern“17 dargestellt sein. Die Beschreibung „übertrieben ernst“ zeigt gleich, dass die vorher erzeugte düstere Stimmung eigentlich nicht so ernst zu nehmen ist. Ein tragisches Element wird gleich komisch.

Auch in der Kulissenbeschreibung für den zweiten Akt fällt die Komik Dürrenmatts auf. Der heruntergewirtschaftete Park, auf dessen Mauern Parolen, wie „Es lebe die Leibeigenschaft! Es lebe die Freiheit!“18 geschmiert sind, gleicht einem Hühnerhof. Die Parolen heben sich in ihrer Aussage gegenseitig auf. Das zunächst tragische Bild des Parks wird durch den Vergleich mit dem Hühnerhof parodiert. Die Zusammenfassung der Anweisungen „brütende Verzweiflung, Weltuntergangszauber, aprés nous le déluge“19 bieten in sich komische Wortbildungen. „Brütend“ erinnert an ausbrüten der Hühner, „Weltuntergangszauber“ wird durch das Wort „Zauber“ positiv. „Weltuntergangszauber“ stellt zudem noch eine Anspielung auf die Atmosphäre der während des Dritten Reiches populären germanisch- mythischen Opern Richard Wagners dar. Am Schluss benutzt Dürrenmatt Französisch, die Sprache, mit der man in feinen Gesellschaften etwas edles, gehobenes ausdrückt. „Aprés nous le déluge“ soll zudem auch angebliche der Ausspruch der Marquise von Pompadour gewesen sein, als Ludwig XV. über die Niederlage bei Roßbach, gegen Friedrich des Großen, bestürzt war. Die tragischen Stimmungen, die das Bühnenbild hervorrufen soll, werden komisch.

4.2 Regieanweisungen

Auch in den Regieanweisungen zeigen sich zahlreiche bewusst untragische Elemente.

Als Beispiel führe ich eine Anweisung aus dem zweiten Akt an. Die Szene vom Auftritt Ämilians wird immer dann durch Hühnergegacker durchbrochen, wenn sie beginnt tragisch zu werden. „Gewaltiges Gegacker. Von links hinkt langsam die zerlumpte Gestalt Ämilians herein, hager und bleich, mit einer schwarzen Kappe, schaut sich um.“20 Der Auftritt der tragischen Person Ämilian wird durch das Gegacker gleich komisch gemacht.

4.3 Personal

Die Personen an sich sind bis auf Ämilian untragisch. Es gibt keine echten Heldenfiguren.

4.3.1 Julia

Dürrenmatt nennt die Gattin von Romulus Julia, um eine homophone Parallele zu „Romeo und Julia“21 zu bilden. Die Beziehung von Romulus und Julia erinnert nicht im geringsten an das klassische Liebespaar. Ihre Beziehung ist von Anfang an kalt und untragisch. Sie haben sich nie geliebt und nur aus Kalkül geheiratet. Romulus heiratete Julia nur, um Kaiser zu werden, sie ihn, um legitim Kaiserin zu werden, da sie die Tochter des Kaisers Valentinianus und einer Sklavin ist. Romulus gibt dies auch offen zu: „Ich habe dich legitimiert, und du mich gekrönt.“22 Julia, die regelrechte Tragödien aufführt, wird von Romulus als machtgierige, ehrgeizige Frau enttarnt.

Und auch die Trennung des Paares verläuft untragisch und unspektakulär. Romulus fordert sie auf, nach Sizilien zu gehen, da er ihr nichts mehr zu sagen hat, und sie geht daraufhin. Die Beziehung ist also nicht mit der tragischen Beziehung von Romeo und Julia vereinbar. Während Romeo und Julia im tragischen Ende ihr Glück finden, scheitert die Beziehung von Romulus und Julia an der komischen Gegenwart ihrer Zeit.

4.3.2 Ämilian

Nur Ämilian ist eine echte tragische Figur. Er hat unmenschliche Qualen erlitten und ist unter Entbehrung geflüchtet, nur um Rom dienen zu können. Für ihn war besonders schlimm, unter einem blutverschmierten Joch durchzukriechen. Er verlor so seine Ehre. Ihm ist nur Rea geblieben, aber er will sogar noch auf sie verzichten, um das Römische Reich zu retten. Aber selbst dieses Glück bleibt ihm verwehrt.

Er ist eigentlich der echte Gegenspieler von Romulus. Er stellt den inneren und den äußeren Verfall des Reiches fest und will die Ehre Roms retten. Ämilian muss aber schließlich an der eigenen Tragik scheitern. Er will Romulus töten, um das Römische Reich zu retten, doch selbst das gelingt ihm nicht. Sein Lebensinn, Rom bis aufs letzte zu dienen, wird vom Kaiser lächerlich gemacht. „Rom ist schwach geworden, eine taumelnde Greisin, doch seine Schuld ist nicht abgetragen, und seine Verbrechen sind nicht getilgt.“23

Die Person, die tragische Momente hat, muss bitter scheitern.

4.3.3 Spurius Titus Mamma

Die Figur des „Sportlers“ Spurius Titus Mamma besitzt eine „scharfe, formelhafte Komik“24. Der Kaiser befiehlt ihm erstmal auszuschlafen. Die tragische Nachricht, die der Sportler überbringen will, interessiert Romulus nicht, er ist mehr um das Wohlergehen von Spurius und um seine morgendlichen Rituale besorgt. Er serviert Spurius Titus Mamma regelrecht ab: „Geh schlafen, Präfekt, die heutige Zeit hat dein Heldentum in eine Pose verwandelt!“25 Die Komik besiegt auch hier die Tragik.

4.3.4 Cäsar Rupf

Als eiskalter Kapitalist erscheint Cäsar Rupf. Romulus ist sogar bereit, auf ihn einzugehen und ihm das Römische Imperium zu verkaufen. Aber den tragischen Verkauf seiner Tochter verwehrt Romulus ihm. Er stellt die Liebe seiner Tochter über den Kapitalismus.

Cäsar Rupf scheitert zwar nicht, da er noch die Tochter Odoakers heiraten kann, aber seine Devise „Alle sind heute käuflich, Majestät.“26, trifft nicht zu, da Romulus seine Moral über die Politik und das Kapital stellt und nicht bereit ist seine Tochter zum Wohle des Reiches zu verschachern. Cäsar Rupf darf also auch nicht zum Held werden, sondern muss der reiche Hosenfabrikant bleiben.

4.3.5 Odoaker

Die Komik des Ausgangs von Odoaker liegt darin, dass er regieren muss. Gerade das wollte Odoaker verhindern. „Vergiß nicht, daß auch ich vor dem Entsetzlichsten stehe.“27 Sein Ende nimmt genau die Wendung, die er verhindern wollte. Die Tragik liegt in seinem Sieg. Er muss mit der Gewissheit leben, dass ihn sein Neffe irgendwann umbringen wird. Die für den Zuschauer unerwartete Tatsache, dass die schlimmstmögliche Wendung für Odoaker darin liegt, dass er gewinnt, gibt der Komik den Vorrang gegenüber der Tragik.

4.4 Parodie von „Antigone“ in „Romulus der Große“

Im zweiten Akt parodiert Dürrenmatt „Antigone“28. Rea, die Tochter des Kaisers probt mit dem Schauspiellehrer Phylax das Klagelied aus dem 3. Akt in der zweiten Szene, das Antigone singt, bevor sie in den Tod geht. Dem göttlichen Gesetz folgend versucht Antigone trotz eines strikten Verbots Kreons, ihren Bruder Polyneikes zu bestatten. Sie wird entdeckt und verhaftet. Antigone erhängt sich im unterirdischen Gefängnis und hält den Klageliedmonolog, den Dürrenmatt in „Romulus der Große“ leicht abgewandelt aufnimmt.

Romulus hält nicht viel von Reas Engagement für diese alte Tragödie: „Studiere nicht diesen alten, traurigen Text, übe dich in der Komödie, das steht uns viel besser.“29 Die Reaktionen von Romulus und Spurius Titus Mamma: „Ich kann keine Klassiker hören, sonst schlafe ich auf der Stelle ein!“30 nehmen auch dieser Szene sofort den ernsten Gehalt. Rea ist nicht fähig, die Sterbeszene richtig zu spielen, da sie in ihrer Zeit das Gefühl für den klassischen Todesgott Acheron nicht mehr nachempfinden kann. Dürrenmatt zeigt hier unmissverständlich, wie seltsam eine Tragödie wirkt, da die Zuschauer den ernsten Gehalt einer solchen tragischen Szene heute auch nicht mehr nachvollziehen können.

Nach der Probe der Tragödie trifft Rea die tragische Gestalt Ämilians. Im weiteren Verlauf des zweiten Aktes muss Rea weiter in der Rolle der Antigone bleiben. Sie soll sich für das Vaterland opfern, indem sie den reichen Cäsar Rupf heiratet. Alle sind mit dieser Liaison einverstanden, sogar auch der eigentliche Bräutigam Ämilian. Aber das tragische Ende wird durch Romulus verhindert: „Der Kaiser erteilt die Bewilligung zu dieser Ehe nicht.“31 Somit stellt der gesamte zweite Akt eine Abrechnung mit der unmöglich gewordenen Tragödie dar.

4.5 Parodie von Shakespeare

Auch die Tragödie „Julius Cäsar“32 wird in „Romulus der Große“ parodiert. Dürrenmatts Drama spielt ebenfalls an den Iden des März. Doch Kaiser Romulus hält dieses Datum für unbedeutend: „Ein historisches Datum. Nach dem Gesetz sind an diesem Tage die Beamten und Angestellten [...] zu besolden. Ein alter Aberglaube. Um die Ermordung der Kaiser zu verhindern.“33 Besonders interessant ist der Vergleich der „Verschwörerszene“34 im dritten Akt mit der „Cäsarenmörderszene“ aus dem 3. Aufzug von „Julius Cäsar“. Während Cäsar einen tragischen Tod erleiden muss, weil er von Casca und „von verschiedenen andern Verschworenen und zuletzt von Marcus Brutus durchbohrt“35 wird, kommt Kaiser Romulus davon, als die Verschwörer von Panik erfasst davonstürzen. Bestürzt ist Romulus allerdings über die Beteiligung seines Koches: „Koch, auch du?“36. Hier ist die Parodie von Dürrenmatt zu dem berühmten Cäsarzitat: „Brutus, auch du?“37, besonders deutlich. „Die Szene ist von unübertrefflicher Theaterspannung, Angst löst sich darin in Lachen, die Komik hat Größe, die innere Fraglichkeit wird vollständig äußere Erscheinung.“38

4.6 „Heldenfigur“ Romulus

Romulus hat schon vor ein Held zu sein. Sein Vorhaben, Rom den verdienten Untergang zu bringen dürfte Romulus selbst schon als heldenhaft ansehen: Ich opfere Rom, indem ich mich selber opfere.“39 Romulus erwartet seinen Tod durch die Germanen, die er für grausam hält. „Die Germanen werden mich töten. Ich habe immer mit dem Tode gerechnet.“40 Tatsächlich stirbt Romulus nicht heroisch, sondern muss auch noch feststellen, das Odoaker, der Anführer der Germanen sich ihm mit seinem ganzen Volk unterwerfen will. Romulus wird dann schließlich sehr unheldisch pensioniert und kann nicht den Heldentod sterben und kann aber somit auch nicht die römischen Verbrechen sühnen. Stattdessen muss er, genauso wie Odoaker seine traurige Pflicht erfüllen: „Spielen wir noch einmal, zum letzten Mal, Komödie.“41 Komödie ist hier die verhinderte Tragödie.

Ganz seiner Linie des untragischen bleibt sich Dürrenmatt auch in seiner Titelrolle Romulus treu. Der Held des Dramas kann am Ende kein Held sein und muss sogar damit leben, daß er seine Tochter und viele unglückliche auf dem Gewissen hat. Odoaker, der kein Held sein will, ist am Ende der Held. Das Tragische wird untragisch, also komisch. Romulus und Odoaker müssen mit der für sie schlimmstmöglichen Wendung leben.

Dürrenmatt schreibt selber über seine Figur Romulus: ,,Hält im dritten Akt Romulus Gericht über die Welt, hält im vierten Akt die Welt Gericht über Romulus.“42 Dürrenmatt fordert den Zuschauer und Leser auf, Romulus genau zu betrachten. Er habe eine witzige, gelöste, humane, gewisse Rolle, doch im letzten doch einen Menschen gezeichnet. „Menschlichkeit ist vom Schauspieler hinter jeder meiner Gestalten zu entdecken, sonst lasse ich sie gar nicht spielen. Dies gilt für alle meine Stücke.“43 Romulus ist nach Dürrenmatts Auffassung ein Mensch, der mit äußerster Härte und Rücksichtslosigkeit vorgeht und nicht davor zurückschreckt, auch von anderen Absolutheit zu verlangen. Er ist ein gefährlicher Bursche, der sich auf den Tod hin angelegt hat. Darin liegt das Schreckliche dieses kaiserlichen Hühnerzüchters, dieses als Narren verkleideten Weltrichters, dessen Tragik genau in der Komödie seines Endes, in der Pensionierung liegt, der dann aber die Einsicht und Weisheit hat, auch sie zu akzeptieren. In dieser Tatsache sieht Dürrenmatt Romulus‘ alleinige Größe.

Ähnlich konstruiert ist auch die Rolle des Wolfgang Schwitters in „Der Meteor“ von Dürrenmatt. Schwitter ist auch kein sterben vergönnt und muss mit einigen Toten auf dem Gewissen weiterleben.

4.7 Das Drama „Romulus der Große“ in seiner Gesamtheit als Parodie

„Romulus der Große“ hat als Untertitel „Ungeschichtliche historische Komödie“. Dürrenmatt greift die historische Person Romulus auf, dehnt seine Regierungszeit auf 20 Jahre aus und gibt ihm den Beinahmen „der Große“. Zudem macht er aus Romulus den Sohn eines bankrotten Patriziers44. Auch anderen Personen des Dramas entstammen der Geschichte.45 Dürrenmatt gibt ihnen neue Rollen und parodiert so die historischen Gegebenheiten.

Darin liegt schon die Konstruktion einer Komödie. Das ganze Drama ist von Anfang bis zum Ende so aufgebaut, dass der Zuschauer andauernd komische Wandlungen verarbeiten muss. Dürrenmatt lockte es, „einmal einen Helden nicht an der Zeit, sondern eine Zeit an einem Helden zugrunde gehen zu lassen.“46

Formal gesehen, erscheint das Drama im Aufbau geradezu, wie eine klassische Tragödie. Das Stück ist in vier Akte eingeteilt und spielt in einem typisch kurzen Zeitraum47. Dennoch wird der klassische Aufbau durch die Einfügung Dürrenmatts von epischen Elementen gesprengt. Seine äußerst genau formulierten Bühnen- und Regieanweisungen sind eher epischen Charakters: „Der Präfekt packt den Kammerdiener Achilles und rüttelt ihn wie eine morsche Säule.“48

Was formal zunächst klassisch erscheint wird bei genaueren Hinsehen geradezu eine Parodie der klassizistischen Tragödie.

5. Rückschau, Fazit:

Der vermeintliche hühnerzüchtende Romulus, verkleidet als Weltenrichter, wird in Dürrenmatts Stück über falsches Heldentum zum humanen Politiker, ein ironischer Held, der sich kraft seiner Erkenntnis dem Lauf der Welt unheroisch entgegenzustellen versuchte.

Mit dem Ende von Romulus wird veranschaulicht, was Regierende in der Welt vermachen. Ein Verspötter, Zyniker, jemand, der nichts ernst nimmt, ist der Liquidator des Römischen Reiches. „Romulus der Große“ ist eine menschliche Komödie, die entlarvt, dass der Mensch immer wieder versucht, pathetisch zu sein und große Ideen zu verwirklichen.

In jeder Person des Dramas erscheint die Möglichkeit zur Tragödie. Die Tragödie erscheint immer da, wo sich Menschen nur noch von der Idee leiten lassen. Hier wird Dürrenmatts Tragödien- und Weltverständnis am deutlichsten: Machtpolitik ist immer gegen den Menschen gerichtet. Ein auf Machtpolitik begründetes Heldentum wirkt komisch und muß tragisch scheitern. Der mächtigste Mann kann die Weltgeschichte nicht beeinflussen. Die Weltgeschichte ist nicht mehr das Produkt eines Einzelnen. Dieses Anliegen Dürrenmatts wird durch alle komischen, parodistischen und farcenhaften Züge des Stücks deutlich und ist so ernst wie die konsequenteste Tragödie.

[...]


1 Dürrenmatt. Theaterprobleme, 122.

2 Dürrenmatt. Theaterprobleme, 122.

3 Romulus, 119.

4 Der Ausdruck wird seit dem 17. Jahrhundert benutzt, meist in gleicher Bedeutung wie Tragödie.

5 Wilpert. Sachwörterbuch, 843.

6 Dürrenmatt, Theaterprobleme, 122.

7 Dürrenmatt: Besuch der alten Dame, 140.

8 Profitlich: Tragödientheorie, 305.

9 Dürrenmatt: Besuch der alten Dame, 143.

10 Dürrenmatt: Theaterprobleme, 122.

11 Dürrenmatt: Theaterprobleme, 122.

12 Dürrenmatt: Anmerkungen zur Komödie, 136.

13 Dürrenmatt: Besuch der alten Dame, 139.

14 Aristophanes´ Komödie Die Vögel, auf die sich Dürrenmatt hier bezieht, wurde 414 v. Chr. aufgeführt. Im Stück finden sich einige politische Anspielungen auf eine Streitmacht Athens, die im 415 v. Chr. in See stach und 413 v. Chr. mit einer völligen Niederlage endete.

15 Dürrenmatt: Der Rest ist Dank, 72.

16 Dürrenmatt: Anmerkungen zur Komödie, 135.

17 Romulus, 13.

18 Romulus, 47.

19 Romulus, 47.

20 Romulus 53.

21 Stück Shakespeares, indem es erstmals Liebe als tragisches Thema gewählt wurde.

22 Romulus, 74.

23 Romulus, 92.

24 Brock-Sulzer, 49.

25 Romulus, 46.

26 Romulus, 42.

27 Romulus, 111.

28 Tragödie, geschrieben von Sophokles 441 v. Chr..

29 Romulus, 25.

30 Romulus, 56.

31 Romulus, 68.

32 Geschrieben von William Shakespeare. Uraufgeführt am 21. September 1599 in London.

33 Romulus, 16.

34 Romulus, 84-94.

35 Cäsar, 39.

36 Romulus, 88.

37 Cäsar, 39.

38 Brock-Sulzer, 51.

39 Romulus, 82.

40 Romulus, 82.

41 Romulus, 113.

42 Romulus, 120.

43 Romulus, 120.

44 Romulus Augustus war eigentlich der Sohn des Heerführers Orestes.

45 Zeno der Isaurier, Odoaker, Theoderich

46 Romulus, 121.

47 Zeit: Vom Morgen des 15. bis zum Morgen des 16. März.

48 Romulus, 14.

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
"Romulus der Große" als Parodie der Tragödie
Hochschule
Universität des Saarlandes
Veranstaltung
Proseminar Literaturwissenschaft: Die Dramatik Dürrenmatts
Note
Sehr Gut (
Autor
Jahr
2001
Seiten
12
Katalognummer
V105804
ISBN (eBook)
9783640040858
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Romulus, Große, Parodie, Tragödie, Proseminar, Literaturwissenschaft, Dramatik, Dürrenmatts
Arbeit zitieren
Dennis Kranz (Autor:in), 2001, "Romulus der Große" als Parodie der Tragödie, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105804

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