Adultismus. Mögliche Auswirkungen auf 3-6-Jährige in der Kita und die Relevanz für pädagogische Fachkräfte


Seminararbeit, 2021

36 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Definitionen
2.1 Diskriminierung
2.2 Adultismus

3. Die Entdeckung des„Ich“
3.2 Das Selbstwertgefühl von Kindern

4 Adultismus als Diskriminierungsform
4.1 Der sprachliche Ausdruck von Adultismus
4.2 Allgemeine Auswirkungen von Adultismus

5 Adultismus in der KiTa?
5.1 Diverse adultistische Handlungssituationen
5.2 Konsequenzen versus Strafen?
5.3 Die Macht der Erwachsenen
5.4 Mögliche Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl der Kinder
5.5 Relevanz für pädagogische Fachkräfte
5.6 Grenzen und Regeln

6. Zusammenfassung

7. Literaturverzeichnis

Anhang

Machtgeschichte von Anne Sophie Winkelmann

Protokoll Machtgeschichten Kita (August 2020)

1. Einleitung

„Bevor Olaf Grunnholm die Brücke über den hellgrünen, reißenden Fluss Tra-Um vollenden kann, wird er verschleppt. Als er nach langer Zeit zu seiner Arbeit zurückkehren darf,hat er das Geheimnis vergessen die Brücke wird nie mehr zu Ende gebaut. Olaf ist drei Jahre alt. Man hat ihn von seinen Bausteinen zum Spinatessen geholt. Es stehen viele halbfertige Brücken am hellgrünen, reißenden Fluss Tra-Um (vgl. Reding, 2017).

Wie vielen Kindern geht es täglich in Kindertageseinrichtungen so wie Olaf? Wie geht es den Kindern dabei, wenn Erwachsene stetig wiederkehrend für sie Entscheidungen treffen?

Mein erstes Praktikum in der Erzieherausbildung trug dazu bei, dass ich die Diskriminierungsform Adultismus kennenlernte und mich damit auseinandersetzte. Ich erlebte viele Situationen, die sich für mich falsch anfühlten. Eine konkrete Handlung lief wie folgt ab. Fünf Kinder aus der Krippengruppe halfen in der Küche Pizza zu backen. Dreizehn weitere Kinder der Gruppe hielten sich währenddessen im Sportraum auf. Gemeinsam kehrten alle zurück ins Gruppenzimmer. Die Erzieherin wies sie an aufzuräumen. Der strukturierte Tagesablauf sah das Mittagessen vor. Es handelte sich um eine heterogene Gruppe, von eins bis drei Jahren. Einige Kinder verfielen beim Aufräumen ins Spielen. Als schließlich alle am Tisch saßen, wurde die selbstgebackene Pizza auf die Teller ausgeteilt. Fünf Kinder erhielten jedoch nichts. Ihnen wurde durch ihre Erzieherin mitgeteilt, sie sollten doch beim nächsten Mal sofort aufräumen, dann bekämen sie auch eine Mahlzeit. Fünf Kleinkinder saßen vor leeren Tellern. Ihnen wurde Essensentzug angedroht. In meinen Augen schienen sie gar nicht zu begreifen, warum sie nichts zu essen hatten. Nach diesen Worten saßen sie ruhig da. Dann erhielten sie aber jeder ein Stück Pizza. Doch wie erging es den Kindern in dieser Situation? Was macht dieses Verhalten der Erzieher mit ihnen?

In der gleichen Einrichtung las ich im August 2020 zwölf Kindern einer Vorschulgruppe die Geschichte „Fisch und Aufräumen“ (Anne Sophie Winkelmann, 2019, S. 91) vor. Die Kinder äußerten auf die Frage, wie die Erzieherin aus der Geschichte wohl in der beschriebenen Situation reagieren werde, teilweise konkrete Vorstellungen. Es folgte u.a. „Schimpfen“ als Antwort. Eine weitere Frage nach Maßnahmen, um eine Lösung zu finden wenn Kinder nicht aufräumen wollen, beantworteten die Kinder mit den Aussagen, sie seien dann faul oder sie müssten mit Süßigkeiten angelockt werden oder mit Obst und Gemüse.

Eine andere Idee war, man könne direkt danach einen Film anschauen. Mio (der Junge aus der Geschichte) würde sicher dann aufräumen, wenn er Lust darauf hätte. Als Lösungsvorschlag wurde ebenfalls genannt, dass Mio im Keller eingesperrt werden könne. Diese Antworten zeigen mir deutlich, dass Belohnungen und Bestrafungen durch Erwachsene als Maßnahmen für sie etwas Alltägliches zu sein scheinen. Was ist der Grund dafür? Liegt es ausschließlich daran, dass sie jünger sind? Laut Sandra Richter werden Kinder offensichtlich wirklich wegen ihres Alters und der Tatsache geschuldet, dass sie Kinder sind, von älteren Kindern und von Erwachsenen diskriminiert. Adultismus findet laut ihr beinahe täglich statt. (vgl. 2013, S. 3) Für die meisten Menschen ist dieser Begriff und was damit einhergeht, nach meiner Erfahrung unbekannt.

In dieser Facharbeit gehe ich daher der Frage nach, wie präsent diese altersspezifische Diskriminierung in Kindertageseinrichtungen ist und wie sich dieses Machtsystem auf die Entwicklung von Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren auswirken kann. Gleichzeitig möchte ich aufzeigen, was das für pädagogische Fachkräfte bedeutet. Mein Fokus liegt darauf, Adultismus in seiner gesamten Form darzustellen. Neben Fachliteratur werde ich auch Elternratgeber, Zeitschriften und Internetquellen nutzen, da es zu dieser Thematik insgesamt sehr wenig fachspezifische Literatur gibt. Alle anderen Quellen werden dennoch zum Diskurs beitragen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werde ich in dieser Arbeit vorwiegend die maskuline Form verwenden. Diese bezieht sich auf Personen beiderlei Geschlechts.

Im ersten Abschnitt meiner Facharbeit definiere ich die Begriffe „Diskriminierung“ und „Adultismus“. Diese beiden Begriffe werde ich weiterführend zusammen fügen, indem ich Adultismus als Diskriminierungsform anhand von Theorien belege. Ich gehe auf Adultismus in der Sprache ein und stelle die allgemeinen Auswirkungen adultistischer Verhaltensweisen auf Kinder dar. Im weiteren Verlauf möchte ich die möglichen Auswirkungen von Adultismus auf das Selbstwertgefühl von Kindern verdeutlichen, indem ich die „Kompetenzen der Persönlichkeit“ und die Eigenschaften des Selbstwertgefühls erläutere.

Zur Überprüfung der aktuellen Präsenz von Adultismus in der Praxis führe ich eine Online-Umfrage in einem sozialen Netzwerk mit Fachkräften in konkreten Gruppen anonym durch. Um sicherzustellen, dass diese mit der Diskriminierungsform vertraut sind, beschreibe ich im Fragebogen vorab in einer Definition was Adultismus bedeutet und erfrage an einem Beispiel, ob das für sie altersspezifische Diskriminierung darstellt. Fachkräfte, die diese kennen, beschreiben daraufhin primär zwei erlebte Handlungssituationen und werden sekundär eine aus ihrer Sicht optimale Handlungsalternative benennen. Deren erlebte adultistische Handlungen werde ich nutzen, um aufzeigen wie präsent die Diskriminierung von Kindern in der KiTa im Alltag ist. Dies soll zudem die Relevanz dieser Thematik für pädagogische Fachkräfte in der Praxis noch einmal verdeutlichen.

Ziel dieser Facharbeit ist es, dem Leser das Thema Adultismus näher zu bringen. Ich möchte damit darauf aufmerksam machen, dass adultistische Verhaltensweisen vor allem unbewusst stattfinden, im Alltag präsent sind und ich möchte aufzeigen wie sich diese auf Kinder auswirken können. Diese Informationen sind eine Einladung an den Leser zur Selbstreflexion über das eigene pädagogische Handeln, ohne zu appellieren.

2. Definitionen

2.1 Diskriminierung

Hormel und Scherr (vgl. 2010, S. 150) beschreiben Diskriminierung als aus gewöhnlichen Handlungen und Äußerungen bestehend, welche sich in herabsetzender und benachteiligender Absicht gegen Mitglieder einer sozialen Gruppe richten. Diese Personengruppe wird durch ein unveränderliches Merkmal mit Vorurteilen und Zuschreibungen etikettiert. Diskriminierung lässt sich also als Resultat von Vorurteilen gegenüber Einzelnen oder einer Gruppe, die sich gut eingrenzen lässt, festlegen (vgl. 2019, S. 150).

Bei fast allen Diskriminierungsformen herrschen laut Richter (vgl. 2013, S. 7) besondere Regeln, die ausschließlich für die jeweilige Personengruppe gelten. Dadurch entsteht ein Machtgefälle. Es besteht die Gefahr, dass die jeweils „unterlegene“ Person, der (vermeintlich) über ihm stehenden, versuchen wird, deren Erwartungshaltung zu entsprechen (vgl. Ritz, S. 3, 2013). Das führt dazu, dass die machtvollere Person von nun an bei der anderen ein Verhalten wahrnimmt, welches darauf abzielt, den auferlegten Erwartungen gerecht zu werden. Resultierend daraus schließt die mächtigere Person, mit ihren Vorurteilen Recht gehabt zu haben. Somit entstehen aus Vorurteilen Urteile (vgl. Ritz, 2013, S. 3).

Die meisten Diskriminierungsformen beinhalten eine immer wiederkehrende Struktur. Diese Struktur enthält folgende Aspekte: die Festschreibung gesellschaftlich anerkannter Normen und Werte, das Kreieren eines Menschenbildes, welches von Vorurteilen und Zuschreibungen geprägt ist, die soziale Bedeutung auf Grund öffentlicher Präsenz, als auch das Manifestieren spezifischer Regeln und Gesetze sowie die Verinnerlichung (vgl. Ritz, S. 53, 2015).

Auf die oben genannten Aspekte in Bezug auf Adultismus wird in Kapitel 4., in der Auseinandersetzung mit Adultismus als Diskriminierungsform, näher eingegangen.

Was aber ist Adultismus?

2.2 Adultismus

Der Begriff „Adultismus“ lässt sich aus dem Wort „adultus“ welches aus dem Lateinischen stammt (vgl. Britt, 2017), als auch aus dem englischen Wort „adult“ für Erwachsener herleiten. Die Endung „–ismus“ weist oftmals auf gesellschaftlich vorhandene Machtstrukturen hin wie sie beispielsweise bei Rassismus und Sexismus vorkommen (vgl. Steinke, 2020).

Laut LeFrancois „wird Adultismus als die Unterdrückung verstanden, die Kinder und Jugendliche durch Erwachsene und durch von Erwachsenen produzierte/ auf Erwachsene zugeschnittene Systeme erfahren. Sie bezieht sich auf die sozio-politischen Statusunterschiede und Machtverhältnisse, die in den Erwachsenen-Kind-Beziehungen endemisch sind. Adultismus kann sowohl Erfahrungen von individuellen Vorurteilen, Diskriminierung, Gewalt und Missbrauch als auch von systemischer Unterdrückung beinhalten“ (2013, S. 1, Übersetzung der Verfasserin).

Britt wiederum beschreibt Adultismus als die unbekannteste Diskriminierungsform unserer Zeit (vgl. Britt, 2017). Sie steht für ein Machtungleichgewicht und dem Umgang mit diesem zwischen Kindern und Jugendlichen auf der einen und Erwachsenen auf der anderen Seite (vgl. Ritz, 2008, S. 1). „Junge Menschen werden oft von Erwachsenen missachtet, einfach weil sie jung sind. Verhaltensweisen und Einstellungen Erwachsener, die davon ausgehen, dass sie besser sind als diese jüngeren Menschen und sie somit berechtigen, über diese ohne deren Einverständnis zu bestimmen, bezeichnen Adultismus“ (vgl. Bell, 2011, Übersetzung der Verfasserin). Für Stegemann (vgl. 2015) ist Adultismus als Diskriminierungsform die allererste Unterdrückungserfahrung, die jeder Mensch in seinen ersten Lebensjahren erfährt. Diese besondere Machtlosigkeit aus der Perspektive eines Kindes ist demzufolge allen Menschen bekannt (vgl. Stegemann, 2015).

Adultismus bezeichnet die Bevormundung von Kindern durch Erwachsene, welche sich selbst für reifer, intelligenter und verantwortungsbewusster begreifen (vgl. NCBI, 2004, S. 10).

Diese Erwachsenen waren selbst einmal Kinder, deren Persönlichkeit sich in der Kindheit entwickelte. Wie jedoch entsteht eine eigene Persönlichkeit?

3 Die Entdeckung des„Ich“

3.1 Die Kompetenzen der Persönlichkeit

Der Begriff „Persönlichkeit“ steht für charakteristische Merkmale eines jeden Einzelnen. Auf welche Art und Weise jemand denkt, etwas erlebt oder sich verhält, ist individuell. Die Stabilität dieser Reaktionen stammt aus eigenen Einstellungen, Werten und Erlebnissen. Eine stetige Veränderung findet dennoch statt, da Menschen fortlaufend neue Dinge erleben, die sie prägen und die auf sie einwirken. Somit entwickeln sich Individuen stetig weiter (vgl. Textor, 1991). Zentrale Merkmale der Persönlichkeit sind die emotionalen, personalen und sozialen Kompetenzen. Diese sind miteinander verbunden und beziehen sich auf die eigene Person (vgl. Frank/ Martschinke, 2014, S. 9).

Die emotionalen Kompetenzen beschreiben die eigene Emotionsregulierung sowie die Wahrnehmung von Gefühlen und der Ausdruck dieser durch Mimik und Sprache (vgl. Frank/ Martschinke, 2014, S. 11).

Der konstruktive Umgang mit eigenen Gefühlen und denen von anderen Menschen, entwickelt sich aus den emotionalen Kompetenzen und den sozialen. Diese bauen aufeinander auf (vgl. Mock-Eibeck, 2020, S. 6). Aus den sozial-emotionalen Kompetenzen heraus entsteht ein Bewusstsein für Gerechtigkeit und Empathie. Diese Kompetenzen helfen zudem beim Erwerb verschiedener Strategien, die es benötigt um mit Frustration und Misserfolgen umzugehen. Ein angemessenes und auch empathisches Verhalten im Umgang mit anderen, beispielsweise bei Konflikten, um sich in andere hineinversetzen zu können, umfassen die sozial-emotionalen Fähigkeiten (vgl. Mock-Eibeck, 2020, S. 8). Der Kern der Persönlichkeit wird durch die personalen Kompetenzen gebildet, welche neben dem Selbstwertgefühl das Selbstkonzept und die Selbstwirksamkeit beinhalten. Der kognitive, selbstbezogene Bestandteil, der die Identität bezeichnet, ist das Selbstkonzept. Für die ganzheitliche Entwicklung stellt ein positives Selbstbild und die Wertschätzung der eigenen Person mit seinen Wesensmerkmalen eine große Bedeutung dar (vgl. Frank/ Martschinke, 2014, S. 12).

Das Selbstwertgefühl als solches ist eine Kernkompetenz. Im folgenden Abschnitt wird diese detailliert betrachtet.

3.2 Das Selbstwertgefühl von Kindern

Das Wissen über die eigene Person ist laut Perras-Emmer (vgl. 2001) der Inhalt des Selbstbildes. Die Wahrnehmung von Merkmalen und die daraus resultierende Zufriedenheit wird durch das Selbstwertgefühl vorgegeben. Dieses entsteht zum einen durch Eigeninterpretationen sowie durch Reaktionen des Umfeldes (vgl. Perras-Emmer, 2001). Das Selbstwertgefühl bezeichnet die Bewertung eines Kindes hinsichtlich eigener Eigenschaften und Fähigkeiten. Eine Stärkung dessen ist durch bedingungslose Wertschätzung seitens Erwachsener und auch durch Kinder möglich (vgl. Minsel, 2014, S. 244).

Wie entsteht nun ein positiver Selbstwert bei Kindern? Dafür setzt Prändel (vgl. 2011) eine gelungene Bewältigung von Entwicklungsaufgaben voraus, damit sich ein intaktes Selbstvertrauen und ein resilientes Selbstwertgefühl bilden können. Sie beschreibt differente Erfahrungen, die Kinder benötigen, um diese Entwicklung erfolgreich zu durchlaufen. Liebe und Wertschätzung gelten als essentiell, damit sich Kinder als eigenständige Personen, mit allen zugehörigen Eigenschaften bedingungslos angenommen fühlen. Dadurch erfahren sie Anerkennung mit all ihren individuellen Wünschen und Bedürfnissen.

Das Erleben von Struktur ist eine weitere Erfahrung, die Kindern das Gefühl vermittelt, geborgen und geschützt zu sein. Eindeutige Grenzen zu erfahren ist hierzu notwendig. Erfolgserlebnisse, die Kinder erleben, zeigen ihnen auf, dass sie in der Lage sind, etwas selbst bewirken zu können. Ihr Selbstwertgefühl wird auf diese Weise positiv gesteigert und sie erfahren Selbstwirksamkeit. Für die Entwicklung eines gesunden Selbstbewusstseins und Vertrauen in sich selbst, sind zudem Vorbilder für die Kinder zur Nachahmung obligat. Eltern und weitere Bindungspersonen sind daher relevant, damit Lernen gelingt (vgl. Prändel, 2011). Erwachsene sind in Kinderaugen, auf Grund ihrer Abhängigkeit von ihnen in jeglicher Beziehung, unabdingbare Autoritäten (vgl. Heister, 2021).

Hier zeigt sich deutlich, wie viel Einfluss Erwachsene auf das Selbstwertgefühl von Kindern haben. Ihr Verhalten beeinflusst dieses. Der Selbstwert von Kindern wird sowohl negativ als auch positiv durch sie geprägt.

Wie viel adultistischen Einfluss hat nun die Gesellschaft als solches auf junge Menschen? Darauf wird im folgenden Kapitel eingegangen.

4 Adultismus als Diskriminierungsform

Für die Auseinandersetzung mit Adultismus in unserem gesellschaftlichen Zusammenleben, ist es laut Dolderer (vgl. 2010, S. 13) erforderlich, die Gesellschaft in ihre generationale Ordnung aufzuteilen. Zwischen zwei komplementären sozialen Rollen ist zu differenzieren, konkret zwischen dem Erwachsenen und dem Kind. Hierbei steht der Erwachsene für den würdigen Bürger, der als vernünftig, mündig und als verantwortlich bezeichnet wird, sowie selbstbestimmt eigene Entscheidungen trifft. Das Kind wiederum steht in diesem Kontext als unfertig, spontan und abhängig, im völligen Gegensatz dazu. Kinder sollen mit Hilfe von Erziehung gesellschaftsfähig geformt werden. Ziel ist hierbei, Kinder dem rationalen Handeln und der Vernunft zuzuführen. Diese generationale Unterscheidung ist scheinbar Grund für die Legitimierung der Diskriminierung von Kindern durch Erwachsene (vgl. Dolderer, 2010, S. 13).

Laut Friesinger (vgl. 2010) agieren Erwachsene entsprechend einer traditionellen gesellschaftlichen „Rangordnung“ nach so als seien sie kompetenter als Kinder und Jugendliche. Adultismus wird als gesellschaftliche Diskriminierungsstruktur verstanden. Diese erfährt durch zwischenmenschliche Beziehungen, traditionell sowie gesetzlich mit Hilfe sozialer Institutionen, Förderung und Intensivierung (vgl. Friesinger, 2010).

Das Machtsystem Adultismus ist in der Fachliteratur allerdings mindestens genauso wenig bekannt wie in der pädagogischen Praxis.

Die Unbekanntheit dieser Diskriminierungsform zeigt sich insbesondere in der sprachlichen Diskriminierung von Kindern durch Erwachsene.

Es wird wenig bis gar nicht darüber im gesellschaftlichen oder familiären Kontext diskutiert (vgl. Ritz, 2010, S. 128/ S. 131). Erwachsene geben ungefragt Kindern einen Tagesablauf vor. Dieser ist durchzogen von Aufgaben, Befehlen und Anweisungen. Für Kinder ist Spielen Arbeit, was Erwachsenen oftmals nicht bewusst ist (vgl. Ritz, 2010, S. 132).

Strukturelle Aspekte, die Diskriminierungsformen typischerweise aufweisen, sind die Inhalte des Machtsystems Adultismus. Bei näherer Betrachtung der Festschreibung gesellschaftlich anerkannter Normen und Werte, ist festzustellen, dass die Norm beschreibt, was von der Mehrheit als „normal“ angesehen wird. „Groß“ zu sein ist diese Norm in unserer Gesellschaft. In der Folge wird Sämtliches gemessen und angepasst (vgl. Ritz, 2010, S. 129). Hervorzuheben ist, dass ein von Vorurteilen und Zuschreibungen erschaffenes und geprägtes Menschenbild zur Einteilung von Menschen in Gruppen beiträgt. Konkret wird unterschieden zwischen Gruppen, die die Normierungen erfüllen und jenen, die davon abweichen. Festgelegt werden diese Abweichungen von denen, die die Definitionsmacht innehaben (vgl. Ritz, 2010, S.130-131). Über diese Macht verfügen in Verbindung mit Adultismus die sogenannten Erwachsenen. Jene verknüpfen eine bestimmte Erwartungshaltung an Kinder. Ihnen haftet diesbezüglich ein sogenanntes ,Bild vom Kind` an (vgl. Ritz, 2010, S. 131) So erfolgt die Manifestierung von spezifischen Regeln und Gesetzen, welche sich ausschließlich auf eine einzelne Personengruppe beziehen. Für diese werden eigens bestimmte Regeln und Gesetze eingebracht. Diese sind einer Menge von Ritualen, Traditionen, einschließlich Überlieferungen inklusive Unbedachtsamkeiten ausgesetzt (vgl. Ritz, 2010, S. 133).

Wird dies im Kontext zu Adultismus näher betrachtet, ist zu bemerken wie sehr das Leben von Kindern in allen möglichen Aspekten durch Erwachsene vorgeschrieben und geregelt ist. Beispielsweise gibt es festgeschriebene Richtlinien, in welchem Alter ein Kind bestimmte Entwicklungsschritte vollzogen haben sollte. Weiterhin wird den Kindern ein konkreter Tagesablauf von Erwachsenen vorgegeben (vgl. Wagner, S. 132). Bell (2003, Übersetzung der Verfasserin) schreibt dazu: „Wenn wir darüber nachdenken, werden wir feststellen, dass außer Gefängnisinsassen und einigen anderen institutionalisierten Gruppen, junge Menschen die am meisten kontrollierte Gruppe der Gesellschaft sind. Als Kinder wird den meisten jungen Menschen gesagt was sie zu essen haben, welche Kleidung sie tragen sollen, wann sie zu Bett gehen, wann sie sie sprechen dürfen, dass sie zur Schule müssen, welche Freunde für sie okay sind und wann sie daheim sein müssen. Auch wenn sie älter werden, wird ihre Meinung nicht wertgeschätzt; Sie werden nach dem Willen oder den Launen der Erwachsenen bestraft; ihre Emotionen werden als ‚unreif‘ betrachtet. Zudem behalten sich die Erwachsenen das Recht vor, zu bestrafen, zu bedrohen, zu schlagen, ‚Privilegien‘ zu entziehen und junge Menschen auszugrenzen, wenn solche Handlungen als Mittel zur Kontrolle oder Disziplinierung der jungen Menschen angesehen werden“ (Bell, 2003, Übersetzung der Verfasserin).

Liebl (2020, S. 29) unterteilt die altersspezifische Diskriminierung von Kindern in vier Kategorien:

-„Maßnahmen und Strafen gegen unerwünschte Verhaltensweisen von Kindern, die bei Erwachsenen geduldet werden oder als normal gelten;
- Maßnahmen, die mit der besonderen Schutzbedürftigkeit von Kindern begründet werden, aber letztlich zu einer zusätzlichen Benachteiligung der Kinder führen, sei es dass es ihre Handlungsoptionen eingrenzt, sei es das sie aus dem gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt werden;
- Der im Vergleich zu Erwachsenen beschränkte Zugang zu Rechten, Gütern, Einrichtungen und Dienstleistungen;
- Nicht-Beachtung der Altersgruppe der Kinder bei politischen Entscheidungen, die im späteren Leben der Kinder oder für nachfolgende Generationen lebenswichtige Auswirkungen haben“ (Liebl, 2020, S. 29).

Bezug nehmend darauf, wird nun der letzte Aspekt des strukturellen Aufbaus einer Diskriminierungsform benannt. Es handelt sich um die Verinnerlichung seitens der Erwachsenen und genauso bei Kindern. Liebe, Fürsorge und Unterstützung benötigen Kinder in besonderem Maß von ihren Bezugspersonen. Sie sammeln wiederholt jedoch die Erfahrung, dass diese Menschen sie reglementieren und über sie und ihr Leben entscheiden. Gelegentlich steht dies im Kontrast zu ihrem individuellen Empfinden, ihren Wünschen, ihren Interessen und ihrer eigenen Sichtweise (vgl. Ritz, 2010, S. 134-S. 135). Laut Ritz (2010, S. 7) ist die tatsächliche Abhängigkeit der Kinder von Erwachsenen umso größer, umso jünger sie sind. Das ist ideal zur Machtausübung, simpel in der Durchführung, lässt sich gut begründen, aufrechterhalten und durchführen. Wie es sich anfühlt, wenn jemand über einen selbst bestimmt, sich gar über jemanden stellt und Macht ausübt, hat jeder Mensch selbst in jungen Jahren erlebt und erlernt. Das so Erlernte wird oft unbewusst von Generation zu Generation wiederholt, weitergetragen und als ‚normal‘ betrachtet (vgl. Ritz, 2010, S. 7).

Wie äußert sich diese Macht im Bereich Sprache?

4.1 Der sprachliche Ausdruck von Adultismus

Bei Betrachtung des sprachlichen Bereichs im Kontext von Adultismus fällt auf wie negativ Wörter wie „kindisch“ oder „kindlich“ behaftet sind. Sie beziehen sich auf das Verhalten eines Kindes, welches nicht normal ist. Dem Kind wird damit eine deutliche Abwertung vermittelt (vgl. Rempel, 2011, S. 38). Die Aussage „Mach kein Theater“ vermittelt dem Kind, dass die eigenen Gefühle und Wünsche nicht legitim sind, während die der „Erwachsenen“ höherwertig zu sein scheinen (vgl. Rempel, 2011, S. 36). „Dafür bist Du noch zu klein“ wiederum ist eine gezielte Ausgrenzung. Ohne sich bewusst dafür entscheiden zu können, sind Kinder einer Gruppe zugehörig, die „minderwertig“ ist und weniger Entscheidungsfreiheit besitzt. Die Erwachsenen besitzen eine sogenannte „Deutungshoheit“, da sie voraussetzen, was für Kinder wann das „Richtige“ oder „Falsche“ ist (vgl. Rempel, 2011, S. 38).

Adultismus beinhaltet zusätzlich ungerechtfertigte vielzählige Herabsetzungen der Freiheits- und Selbstbestimmungsrechte der Kinder (vgl. Richter, 2018, S. 7). Laut Richter (vgl. 2018, S. 6) gibt es diverse Momente, in denen sich adultistische Verhaltensweisen zeigen. Wird einem Kind von einem Erwachsenen unaufgefordert über das Haar gestrichen oder es wird einfach angefasst, obgleich es anzeigt, dass es dies offenkundig nicht mag, so ist das Adultismus. Zucken Kinder aufgrund der unerwünschten Berührung zurück oder rechtfertigen sich für ihr Unbehagen, werden sie oft als schüchtern oder abweisend bezeichnet. „Jetzt stell` dich doch nicht so an“, wird gern als Kommentar durch Erwachsene erwidert (vgl. Richter, 2018, S. 6).

Weiterhin ist in der Umgangssprache der Ausdruck „eine Horde Kinder“ für eine Kindergruppe zu finden. Das Wort „Horde“ wird mit Bezeichnungen wie „Wildheit“ oder mit etwas „Natürlichem“ gleichgesetzt. Die hierarchische Etablierung der sozialen Rollen zwischen Kindern und Erwachsenen dient laut Rempel der generationalen Ordnung (vgl. 2011, S. 37).

Simple Beleidigungen Kindern gegenüber sind in Aussagen wie „Schäm Dich“ oder „Das verstehst Du noch nicht“ zu erkennen. Hierbei wird die Kompetenz der Kinder angezweifelt, während die Erwachsenen allerdings so kompetent sind, dass sie allein benennen können, wofür sich jemand zu schämen hat. Eine Erklärung dafür gibt es meist keine. „Keine Widerrede“ ist zudem eine klare deutliche Ansage, die ein Nachfragen der Kinder oder sogar eine Diskussion mit ihnen erst gar nicht zulassen. Auf diese Weise wird eine Rechtfertigung für das diskriminierende Verhalten seitens der Erwachsenen verhindert (vgl. Rempel, 2011, S. 39). In der Kommunikation bemühen sich laut Malte Mienert, Erwachsene täglich, in jedem Moment, in aller Deutlichkeit ihre eigenen Forderungen und Ansprüche Kindern gegenüber durchzusetzen und ihre erwachsene Überlegenheit zu demonstrieren (vgl. 2017, S. 155).

Setzen Erwachsene ihre Macht den Kindern gegenüber also durch verbale Ausdrucksweisen ein, stellt sich die Frage, wie sich das auf diese auswirken kann?

4.2 Allgemeine Auswirkungen von Adultismus

„Adultistische Ausdrucksformen sind fordernd, befehlshaberisch, diskriminierend, bewertend und verurteilend“, so Friesinger (2018, S. 73.) Aufgrund dessen wird die ganzheitliche Entwicklung von Kindern gehemmt. Die im vorigen Kapitel beschriebenen Aussagen vermitteln Kindern, dass ihre Stimme nichts zählt und ihre Meinung im Vergleich zu der von Erwachsenen weniger wert sei. Macht, so erkennen es schon die Jüngsten, darüber verfügen ausschließlich die Erwachsenen (vgl. Richter, 2013, S. 8).

Schrittweise fühlen sie sich dadurch weniger wertvoll und empfinden sich als weniger vertrauenswürdig. Ein gering ausgeprägtes Selbstwertgefühl, mangelndes Selbstvertrauen und wenig Gespür für sich selbst, können das Resultat sein (vgl. Winkelmann, 2019, S. 37). Dieses Gefühl der Machtlosigkeit führt bei einigen zu Resignation, während sich andere eher passiv verhalten. Aggressionen, Launenhaftigkeit, beleidigendes und rebellisches Verhalten drücken aus, wie sehr sie tatsächlich unter diesem Ohnmachtsgefühl leiden (vgl. Richter, 2013, S. 8). Dieses schmerzende, prägende Gefühl wird besonders unter Kindern weitergegeben. Ältere Kinder beginnen über jüngere zu bestimmen und treten diesen gegenüber adultistisch auf. Bei ihnen erfolgte eine Verinnerlichung des für sie erlebten „normalen Verhaltenskodex“. Wird Macht, Machtlosigkeit und Machtmissbrauch bereits in jungen Jahren erlebt, kann daraus folgen, dass Machtverhältnisse und Abwertungen anderer Personengruppen als normal betrachtet und akzeptiert werden. Anderen Diskriminierungsformen wie beispielsweise Rassismus wird auf diese Weise bereits in jungem Alter der Weg geebnet. Ritz (vgl. 2015, S. 6) beschreibt, dass dadurch bei Kindern eine Konditionierung erfolgt, die diesen vermittelt, „dass es ‚normal‘ ist, dass es ein ‚Oben‘ und ein ‚Unten‘ gibt und dass es erstrebenswert ist, ‚oben‘ zu sein“ (vgl. 2015, S. 6).

Ob altersspezifische Diskriminierung auch in Kindertagesstätten vorkommt, soll im folgenden Kapitel erörtert werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Adultismus. Mögliche Auswirkungen auf 3-6-Jährige in der Kita und die Relevanz für pädagogische Fachkräfte
Note
1,0
Jahr
2021
Seiten
36
Katalognummer
V1059845
ISBN (eBook)
9783346475237
ISBN (Buch)
9783346475244
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Adultismus, Selbstbild, Auswirkungen, Bedeutung für Fachkräfte, Kita, Haltung, Macht, Diskriminierung, Selbstreflexion, Prägung, Erziehung, Begleitung, Augenhöhe, Bedürfnisorientiert, Beziehung, Erwachsene, Probierhappen, Kleidung, Essenszwang, Schlafzwang
Arbeit zitieren
Anonym, 2021, Adultismus. Mögliche Auswirkungen auf 3-6-Jährige in der Kita und die Relevanz für pädagogische Fachkräfte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1059845

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