Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definition von Grundbegriffen
2.1 Gerechtigkeit
2.2 Soziale Gerechtigkeit
2.3 Soziale Ungleichheit
3. Merkmale sozialer Ungleichheit
3.1 Beruf
3.2 Geschlecht
3.3 Alter
3.4 Wohnregion
3.5 Lebensform
3.6 Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund.
3.7 Weitere Faktoren.
4. Gründe für die Verstärkung von Ungerechtigkeit.
4.1 Die Auswirkungen auf die Gesellschaft
4.2 Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
4.3 Geschlechtsspezifische Auswirkunge
4.4 Auswirkungen auf die Wohlfahrtsentwicklung
5. Inwieweit verschärft die COVID-19-Pandemie die.soziale Ungerechtigkeit.
Literatuverzeichnis.
1. Einleitung
Ist das Zusammenleben in unserer Gesellschaft noch gerecht? Hat oder bekommt jeder dieselben Chancen und Möglichkeiten sein Leben nach seinen Vorstellungen zu gestalten? Die Fragen zur sozialen Ungerechtigkeit sind in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung getreten. Die ständig wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die vielen offenen Fragen in Bezug auf Arbeit, Ausbildung, Alter und Gesundheit, die Integration der aufgenommenen Flüchtlinge, aber auch die Auswirkungen der Globalisierung und die rasant fortschreitende technische und digitale Entwicklung machen deutlich, dass Politik aber auch die Gesellschaft aktiv werden müssen, um die soziale Gerechtigkeit zu gewährleisten
Die vorliegende Arbeit befasst sich zunächst mit der Begrifflichkeit der sozialen Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit, um dann mögliche Risiken zu erforschen, die diese Ungerechtigkeiten noch verstärken. Des Weiteren wird auf die aktuelle Corona-Pandemie und ihren Folgen auf die soziale Gerechtigkeitsstruktur in der Gesellschaft eingegangen
2. Definition von Grundbegriffen
2.1 Gerechtigkeit
Unter Gerechtigkeit werden moralisch begründete, akzeptierte und wirksame Verhaltens- und Verteilungsregeln verstanden, die Konflikte vermeiden, welche ohne die Anwendung von Gerechtigkeitsregeln bei der Verteilung begehrter Güter oder ungeliebter Lasten auftreten würden. Wie alle moralischen Regeln, so setzen auch Normen sozialer Gerechtigkeit voraus, dass Menschen ihr Verhalten und Verteilungsprozesse gestalten können. Gerechtigkeitsforderungen angesichts von Sachzwängen sind sinnlos1. Dabei lassen sich grundsätzlich zwei Interpretationen von Gerechtigkeit bestimmen. Sie realisieren sich zum einen in der Freiheit als Entfaltung des Einzelnen in allen Möglichkeiten des Verdienstes und Besitzes und zum anderen in der Solidarität der Menschen untereinander2.
2.2. Soziale Gerechtigkeit
Die Vorstellung, dass soziale Gerechtigkeit im Kern auf der Gleichheit aller Menschen beruht und dass die Menschenrechte jedem als Individuum zukommen, hat sich seit der Aufklärung in den westlichen Gesellschaften verbreitet und gehört heute zu den allgemein akzeptierten Wertegrundlagen.
Als kleinster gemeinsamer Nenner kann zunächst einmal festgehalten werden, dass Staat und Gesellschaft in irgendeiner Weise für den Schutz der Schwachen und für einen gewissen Ausgleich der sozialen Gegensätze verantwortlich sind3.
In diesem Sinne kann soziale Gerechtigkeit als angemessene Verteilung von Gütern und Lasten definiert werden. Zu diesen Gütern und Lasten zählen auch Rechte und Pflichten, Chancen und Freiheitsspielräume, Macht und Einfluss auf Personen oder Personengruppen4. Soziale Gerechtigkeit findet sich auf mehreren Ebenen: Erstens ist sie gewissermaßen "eingebaut" in viele gesellschaftliche Einrichtungen (z. B. in die höheren Steuerklassen für Ledige oder in die gesetzliche Krankenversicherung, in der Familienmitglieder unter Umständen kostenlos mitversichert sind). Zweitens ist soziale Gerechtigkeit in den Einstellungen der Menschen enthalten. Und drittens wird sie deutlich in deren Verhalten, z. B. in der politischen Partizipation. Konzentriert man sich auf die Einstellungen der Menschen, so finden sich in ihren Köpfen – oft gleichzeitig, häufig vage und nicht selten vermischt – meist mehrere unterschiedliche Gerechtigkeitsvorstellungen. Wenn von "sozialer Gerechtigkeit" die Rede ist, dann bleibt also festzustellen, um welche Gerechtigkeit es sich im Einzelfall handelt5.
2.3 Soziale Ungleichheit
Historisch betrachtet existierte und existiert soziale Ungleichheit in allen bekannten Gesellschaftsformen. Dabei wurde sie oft abgeleitet als natur- oder gottgegeben (Sklavengesellschaften, NS-Regime)6. Zur Einordnung sozialer Ungleichheit in verschiedenen Gesellschaftsformationen lassen sich drei einfache Modelle anführen:
a) Die Zuweisung unterschiedlicher sozialer Positionen wird als naturgegeben oder gottgewollt angesehen; ihre Feststellung führt zu keinen Veränderungen (das gilt in einem gewissen Ausmaß für die antike Sklavenhaltergesellschaft bzw. die mittelalterliche Ständegesellschaft).
b) Soziale Differenzierung wird als soziale Ungleichheit erkannt und solange akzeptiert, wie bestimmte Grenzen nicht überschritten werden bzw. bestehende Ausprägungen durch Chancengleichheit als Möglichkeit des individuellen sozialen Aufstiegs angesehen werden. (In diesem Modell befindet sich Deutschland)
c) Die soziale Differenzierung wird als eine unerträgliche Form der sozialen Ungleichheit und Ungerechtigkeit angesehen, als Ausbeutung und Unterdrückung, die durch revolutionäre Veränderungen der gesellschaftlichen Basisstrukturen zu beseitigen ist7.
Im Allgemeinen lässt sich sagen, dass soziale Ungleichheiten dann vorliegen, wenn die in der Gesellschaftsstruktur verankerten Lebenslagen von Menschen nach der aktuellen Bewertung entweder bessere oder schlechtere Lebenschancen bedeuten. Soziale Ungleichheit setzt ungleiche Verteilung knapper, gesellschaftlich begehrter Güter wie Wohlstand und Ansehen voraus. Soziale Ungleichheiten wären demnach zu definieren als gesellschaftlich hervorgebrachte Handlungsbedingungen, die es bestimmten Gesellschaftsmitgliedern besser als andern erlauben, so zu handeln, dass öffentlich artikulierte und allgemein akzeptierte Lebensziele für sie in Erfüllung gehen8.
Der ungleiche Zugang zu gesellschaftlichen Bereichen wie: Wohnen, Bildung, Einkommen/Arbeit, Gesundheit sowie Kommunikationen und Netzwerke schafft strukturelle Rahmenbedingungen für die ungleiche Realisierung von Chancen und Interessen, die Menschen brauchen, um ein aus ihrer Sicht gutes Leben führen zu können9. Soziale Ungleichheit entspringt aus dem menschlichen Zusammenleben und beschreibt eine Besser- oder Schlechterstellung, zufällige Merkmale wie Behinderung oder Schicksal werden ausgenommen. Nur Ungleichheiten, die als ungerecht empfunden werden und die veränderbar sind, werden berücksichtigt10. Die breit gefächerten Erscheinungsformen sozialer Ungleichheit werden in Kategorien gebündelt und als Dimensionen zusammengefasst. In der vorliegenden Arbeit wird einer Gliederung in vier Gruppen gefolgt:
Ökonomische Dimensionen beinhalten Ausbildung und Wissen, Einkommen, Vermögen und materiellen Besitz.
Wohlfahrtsstaatliche Dimensionen sprechen von sozialer Absicherung, Erwerbschancen, Gesundheitsrisiken, Arbeitsbedingungen, Freizeitbedingungen und Wohnverhältnissen.
Soziale Dimensionen meinen sozialen Beziehungen, Machtstatus und sozialer Einfluss, Diskriminierungen und soziale Privilegien.
Zuletzt folgen noch emanzipatorische Dimensionen, die soziale Rollen, Selbstbestimmungschancen und Gesellschaftliche Partizipation beinhalten11.
3. Merkmale sozialer Ungleichheit
Persönliche Merkmale, die auf vielfältige Weise einen theoretisch begründeten Einfluss auf Dimensionen sozialer Ungleichheit haben sind: Beruf, Geschlecht, Alter, Wohnregion Lebensform, Staatangehörigkeit und Migrationshintergrund, der Einfluss der Institutionen des Wohlfahrtsstaates sowie die fortschreitende Globalisierung12.
3.1 Beruf
Der Beruf setzt eine Ausbildung voraus und ermöglicht dem Individuum durch ein gutes Einkommen wirtschaftliche Unabhängigkeit und gesicherte Strukturen. Die Qualität des Berufs hat massiven Einfluss auf wohlfahrtsstaatliche Dimensionen (z.B. Erwerbschancen, Arbeitsbedingungen, Arbeitsplatzsicherung), auf soziale Dimensionen (soziale Beziehungen, persönliche Macht, sozialer Einfluss) und emanzipatorische Dimensionen sozialer Ungleichheit. Der Beruf und damit das zur Verfügung stehende Einkommen ist die wichtigste Determinante sozialer Ungleichheit und ein wesentlicher Bestandteil vieler Aspekte des Menschen13.
3.2 Geschlecht
Soziale Ungleichheit zwischen den Geschlechtern ist zu einem zentralen Ziel in der Gesellschaft geworden. Die Gleichstellung von Mann und Frau ist zwar im Grundgesetz verankert aber eine Umsetzung in der Gesellschaft ist noch lange nicht abgeschlossen. Frauen haben immer noch schlechtere Verdienstmöglichkeiten, da in von Frauen dominierten Berufszweigen generell weniger verdient wird. Des Weiteren bestehen schlechtere Aufstiegschancen, schlechtere Möglichkeiten auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt und zum großen Teil wird auf eine Vollzeittätigkeit verzichtet, da in der Regel Kinderbetreuung noch immer Frauen obliegt14.
3.3 Alter
Mit zunehmendem Alter verändert sich die Lebenslage der Menschen und mit dem Eintritt in die Rente nimmt das Einkommen ab. Das durchschnittliche Nettoeinkommen im Rentenalter liegt bei knapp zwei Drittel des Einkommens in der Erwerbsphase Die Tendenz der Abhängigkeit von wohlfahrtsstaatlichen Sicherungssystemen nimmt zu, gleichzeitig nehmen die gesundheitlichen Risiken zu. Die Dimensionen von sozialer Ungleichheit sind sehr breit gefächert und hängen vom bisherigen Lebenslauf des Individuums ab. Die Risiken der Langzeitarbeitslosigkeit steigen mit dem Alter stark an.
3.4 Wohnregion
Soziale Unterschiede treten besonders verschärft nach der Wiedervereinigung auf. Neben den Ost-West- Unterschieden findet sich soziale Ungleichheit auch zwischen Stadt- und Landbevölkerung, sowie im Vergleich der Bundesländer und im internationalen Vergleich. Besondere Standort Vor- oder Nachteile wirken sich besonders auf einer unterschiedlichen Infrastruktur im Bildungs-, Erwerbs- und Freizeitbereich oder in unterschiedlich vorteilhaften Lebensbedingungen für Familien mit Kindern aus15.
3.5 Lebensform
Partnerschaft bietet besonderen Raum für Intimität und emotionale Befriedigung, bringt aber auch soziale Kontrolle bzw. Hindernisse für eine autonome Lebensgestaltung mit sich. Familie bietet sozialen Zusammenhalt und persönliche emotionale Zuwendung, aber auch hohe zeitliche und psychische Anforderungen. Familien mit vielen Kindern oder Alleinerziehende, hier insbesondere Frauen, unterliegen einem im Vergleich hohem Armutsrisiko16.
3.6 Staatangehörigkeit und Migrationshintergrund
Staatsangehörigkeit und Migrationshintergrund sind wichtige Faktoren für die Lebenslage von Individuen in Deutschland. Grundsätzlich findet eine Unterscheidung zwischen eigentliche Zuwanderer und deren Kinder und Kindeskinder statt. Die Zugehörigkeit zu der Gruppe der Zugewanderten oder der Personen mit Migrationshintergrund hat Effekte auf alle Dimensionen sozialer Ungleichheit. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Herkunftsland der Zugewanderten bzw. woher die Eltern der zweiten Generation stammen. Besonders betroffen sind Schutz- und Asylsuchende, denn die fehlenden Sprachkenntnisse und fehlenden finanziellen Ressourcen führen zu Benachteiligungen. Kinder von Migranten haben zumeist nur einen niedrigen Schulabschluss, was zur Folge hat, dass sie häufiger nicht erwerbstätig oder von Arbeitslosigkeit betroffen sind17.
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1 Stefan Hradil, Soziale Gerechtigkeit
2 Thiersch, 98
3 Ebert, 15
4 Ebert, 38
5 Stefan Hradil, Soziale Gerechtigkeit
6 Bronner/Paulus, 16
7 Schäfers, 230
8 Biermann/Rosenthal, 205 f.
9 Baum, 146 f.
10 Biermann/Rosenthal, 205
11 Huinink/ Schröder, 111
12 Huinink/ Schröder, 152
13 Huinink/ Schröder, 153
14 Huinink/ Schröder, 154 f.
15 Huinink/ Schröder, 160
16 Huinink/ Schröder, 161
17 Huinink/ Schröder, 162f.