Mehrheit ist der Unsinn


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 2+


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. EINLEITUNG

2. DIE FIGUR DES SAPIEHA UND DIE PERSPEKTIVIK DER THESE

3. DIE POLEN UND DER REICHSTAG ZU KRAKAU
3.1 DIE RHETORIK DER ÜBERZEUGUNG
3.2 DIE VERFASSUNG DES REICHTAGES UND DIE MACHT DES POLNISCHEN VOLKES

4. DAS RUSSISCHE VOLK
4.1 DAS EINFACHE VOLK
4.2 DIE BOJAREN

5. AUFKLÄRUNG UND ÖKONOMISCHE AUTONOMIE - EINE BILANZ

6. DER REZIPIENT ALS AUFGEKLÄRTE MEHRHEIT?

7. LITERATUR

1. Einleitung

„Mehrheit ist der Unsinn“1, heißt es gleich im ersten Aufzug während der Reichstagssitzung zu Krakau in Friedrich Schillers Fragment gebliebenen letzten Drama Demetrius oder die Bluthochzeit zu Moskau, womit uns eine These angeboten sowie eine Perspektive der Wahrnehmung vorgegeben wird, unter der eine Figur in den Blick gerät, die zwar nicht als individuierte in Erscheinung tritt, der jedoch eine tragende Funktion für die gesamte tragische Struktur zugesprochen werden kann: Die Figur des Volkes. In diesem Drama, „bei dem die Realität sich in Sein und Schein spaltet“2, ist die Hauptfigur des Demetrius, des „betrogenen Betrügers“, der sich als rechtmäßiger Anwärter des russischen Zarenthrones wähnt, in dem Gelingen seiner Unternehmung vollständig anhängig von der Akzeptanz beziehungsweise Ablehnung des Volkes.

Dabei spaltet sich das Volk in zumindest drei Gruppen auf: Da ist zum einem das polnische Volk, oder genauer die Vertretung des ersten und zweiten Standes im polnischen Reichstag. „Die Gerechtigkeit hab ich, ihr habt die Macht ;“3 hält Demetrius fest und stellt damit klar, daß er auf die Gunst des polnischen Volkes zur Durchführung seines Feldzuges angewiesen ist. Zum anderen ist die Annerkennung als Zar in Rußland selbst anhängig von der Gefolgschaft eben des russischen Volkes, daß einerseits von Schiller als Obrigkeitshörig4, anderseits als wankelmütig und unentschlossen charakterisiert wird. Da den Kosaken als eigene Interessengruppe keine wesentliche Bedeutung zukommt, weil ihre Begünstigung des Demetrius der Struktur Abhängigkeit vom Volk keine entscheidenden neue Elemente hinzufügt, werde ich diese Gruppe vernachlässigen. Die Volksgruppe der russischen Armee werde ich nicht gesondert behandeln.

Entscheidend für diese Untersuchung ist der Stellenwert der Eingangs vorgestellten These. Wird die Majorität lediglich aus der begrenzten Figurenperspektive des Leo Sapieha als nicht Urteilsfähig eingestuft, oder zeichnet sich zugleich eine pessimistische Sichtweise Schillers selbst auf die Fähigkeit des gemeinen Volkes zu einer selbstständigen und richtigen Erkenntnis und damit ihrer Möglichkeit aus angemessenen

Motiven gespeist zu handeln ab? Der Umstand, daß das Volk im Demetrius durchgängig zu Fehlurteilen gelangt, sei es nun aus Unwissenheit oder ökonomischer und geistiger Unselbstständigkeit heraus, scheint Sapieha zu bestätigen und so Schillers eigene Einsicht wiederzuspiegeln. An dieser Stelle kommt uns meiner Einsicht nach eine dritte, in Anführungszeichen zu setzende „Volksgruppe“ zu Hilfe. Es sind die Zuschauer beziehungsweise Leser, die eine weitere, entscheidende Majorität bilden. Der Rezipient hat als einziger vollen Zugang zu der Gesamtheit an Informationen, die für das richtige Verständnis der Vorgänge notwendig sind, und soll ihn nach Schillers Verständnis auch ausdrücklich haben. Es zeigt sich hiermit, daß die Mehrheit nicht per se der Unsinn sein muß.

Mit der Offenlegung der Mechanismen der interessensorientierten Manipulation des Volkes und deren Dependenzen in Hinsicht auf den Effekt für die Entwicklung der Demetrius-Figur wird des weiteren die Relativierung der geläufigen Einschätzung des Demetrius als Schicksalsdrama gestützt.5 Zwar mag Aufstieg und Fall aus der Perspektive des Demetrius selbst als Wirken ihm unzugänglicher und unverständlicher höherer Mächte erscheinen, dem Rezipienten jedoch werden die Mechanismen und Quellen des vermeintlich schicksalhaften, das Volk kontrollierenden, politischen Prozesses durch und durch offengelegt.

Schließlich bleibt noch darauf zu verweisen, daß, da der Demetrius ein Fragment darstellt, eine Interpretation dieses Dramas immer einen vorläufigen Charakter haben wird und hier nicht der Versuch unternommen werden soll den Eindruck zu erwecken, es könnte eine real beabsichtigte Intention von Schiller hier zu Ende gedacht werden. Gleichwohl gilt, daß das Stück „infolge seiner bloß äußerlichen Bedingung der Unvollständigkeit qualitativ und funktional den abgeschlossenen Werken zugerechnet werden muß.“6

2. Die Figur des Sapieha und die Perspektivik der These

Die Figur des Leo Sapieha nimmt als unterlegener Gegenspieler sowohl von Demetrius und seinen Beförderern als auch der Majorität des polnischen Volkes in der dramatischen Struktur der Reichstagszene eine nicht zu unterschätzende Funktion ein. Er ist es, der dem „Volkwahn“7, der Bereitschaft des Reichtages Demetrius nur allzu gerne Glauben zu schenken, einen Spiegel vorhält und man kann festhalten, daß er ein klares Wissen von den politischen Kräften und ihren Machtinstrumenten hat, die im Hintergrund des Demetrius wirken.8 So ist seine Kritik an der blinden Mehrheit in erster Linie von zwei Argumenten geprägt:

1. einem Konzept der Gesellschaft, das zwischen einer zur Einsicht fähigen Elite und der vom „Unverstand“ getriebenen Masse unterscheidet.
2. der Stützung dieses Gesellschaftsverständnisses durch den Verweis auf die ökonomische Abhängigkeit des Volkes von den Mächtigen.

Beide Argumente finden ihre Ausformulierung in dem zentralen Redebeitrag des Sapieha:

Was ist die Mehrheit? Mehrheit ist der Unsinn,

Verstand ist stets bei wen ’ gen nur gewesen.

Bekümmert sich ums Ganze, wer nichts hat?

Hat der Bettler eine Freiheit, eine Wahl?

Er mußden Mächtigen, der ihn bezahlt,

Um Brot und Stiefel seine Stimm verkaufen.

Man soll die Stimmen wägen und nicht zählen;

Der Staat mußuntergehen, früh oder spät,

Wo Mehrheit siegt und Unverstand entscheidet.9

Ist Sapieha also der realistischer Mahner, welcher aufrichtig das Wohl der Allgemeinheit zu befördern sucht? Einige Hinweise aus Schillers Aufzeichnungen trüben dieses klare Bild. Schiller schreibt über das Verhältnis des Königs zum Fürsten: „Auf der anderen Seite aber beschützt er [der König] den Sapieha (ja, es darf scheinen, als handele dieser auf seine Instigation).“10 Sapieha ist damit im gleichen Maße als Vertreter und Statthalter eines partikularen Interesses charakterisiert wie etwa Odowalsky. Nicht nur aus diesem Grund ist er nicht ausschließlich als Wahrer eines allgemeinen Interesses zu begreifen. Da er den gültigen Friedensvertrag mit Rußland ausgehandelt hat, will „Sapieha [...] sein eigenes Werk behauptet wissen“.11 Auch kann man den moralischen Gestus anzweifeln, den es heißt weiter: „In seinem Zorn läßt er sich seine Verachtung der Landboten und seinen Senatorenstolz nur zu deutlich merken.“12

Trotz dieses widersprüchlichen Bildes, daß sich Sapiehas Handeln aus einer vergleichbaren Motivation (der Verfolgung partikularer Interessen) speist, die er gerade so heftig kritisiert, bleibt jedoch festzuhalten, daß seine Haltung den Blick des Rezipienten verstärkt für die Manipulation und die blinde Gefolgschaft des Volkes zu schärfen vermag. Dies gilt im übrigen nicht nur für das polnische Volk der Reichstagszene, sondern im gleichen Maße für die Haltung des russischen Volkes, in der man eine Variation des Themas zu erkennen vermag.

3. Die Polen und der Reichstag zu Krakau

3.1 Die Rhetorik der Überzeugung

Wenn an dieser Stelle von einer Rhetorik der Überzeugung die Rede sein wird, so ist damit ein zweifaches bezeichnet: Zum einen gilt es die Argumente und sprachlichen Mittel darzulegen, mit denen Demetrius, beziehungsweise seine Gönner bereits im Vorfeld der Reichstagszene, die Mehrheit des polnischen Reichtages in so überwältigender Weise für sich einnehmen, zum anderen ist damit aber bereits auch schon ein wesentlicher Aspekt genannt, durch den Demetrius die Majorität für sich gewinnen kann. Der extrem hohe Grad an Glaubwürdigkeit scheint dem Demetrius gerade deshalb zuzukommen, weil er selbst von seiner Abstammung völlig überzeugt ist. Wir haben es hier also zudem mit der Rhetorik eines Überzeugten zu tun.13 Diese Überzeugung des Demetrius gewinnt in seiner Rede sprachlich dadurch an Kraft, daß er sich zunächst als ursprünglich mit seiner Abstammung nicht vertraut vorstellt und des weiteren die Perspektive eines von intuitiver Ungläubigkeit gekennzeichneten virtuellen Hörers der Geschichte der Abstammung einnimmt:

Verwundert, mit nachdenklichem Erstaunen,

Erblick ich mich, des Zaren Iwans Sohn,

[...]14

Gestärkt wird diese Überzeugungskraft durch die geschickte Anlage der Rede, die nicht nur die Beweise seiner Abstammung, die physische Ähnlichkeit, das Kleinod, den Psalter, aufzählt, sondern vielmehr auch den Ablauf der Entdeckung durch andere (der Grad der Glaubwürdigkeit wird hierdurch nochmals erhöht) nacherzählt. Der Ablauf der Entdeckung ist in sich gekennzeichnet von einer mit einem Spannungsbogen ausgestatteten dramatischen Struktur und gliedert sich in eine Vorgeschichte, die Vita des jungen Grischka, einen problematischen Vorfall (die Tötung des Palatins in Notwehr) und läuft schließlich auf einen Höhepunkt (die Hinrichtung) zu, deren drohender tragischer Ausgang just in dem Moment höchster Spannung seine schicksalhaft-glückliche Wendung, eben der Entdeckung seiner Herkunft, findet.

Demetrius richtet sich bei seiner Rede vor dem Reichstag mit einem Appell, ihm bei der vermeintlich rechtmäßigen Inthronisierung zum Zaren durch einen Feldzug zu unterstützen, an seine Hörer. Sprachlich greift er dabei, wie im übrigen auch beim Vortrag der Entdeckung seiner Herkunft, auf eine Reihe emphatischer Mittel zurück.15 Seine Motive für diese Inthronisierung sind jedoch scheinbar nicht eigene Machtinteressen, sondern in der praktischen Umsetzung der höheren Ideale von Recht, Gerechtigkeit und Freiheit zu suchen. Es gilt ein „heilig Recht“16 zu seiner Durchsetzung zu verhelfen oder anders gesagt, meint Demetrius von sich: „Die Gerechtigkeit hab ich [...]“.17 Einmal zu seinem Recht verholfen, läge ihm insbesondere das Schicksal des russischen Volkes am Herzen:

Die schöne Freiheit, die ich - - -

Will ich verpflanzen - - -

Ich will aus Sklaven - - Menschen machen,

Ich will nicht herrschenüber Sklavenseelen.18

Um die Polen für sein Ansinnen zu gewinnen, greift er auf deutlich erkennbare religiös-biblische Motive zurück:

Denn da, wo die Gerechtigkeit regiert,

Da freut sich jeder sicher seines Erbs,

Undüber jedem Hause, jedem Thron

Schwebt der Vertrag wie eine Cherubswache.

Doch wo - - - - - - - -

Sich straflos festgesetzt in dem fremden Erbe,

Da wankt der Staaten fester Felsengrund.19

Mit einer derart gestalteten Argumentation bekommt das Unternehmen des Demetrius geradezu messianische Züge.20 Gleichzeitig bezieht er damit den polnischen Staat und sein Volk in seine Argumentation um die Ideale von Freiheit und Gerechtigkeit mit ein, „denn da wo die Gerechtigkeit regiert“ meint eben kein anderes Territorium als das polnische. Obwohl historisch betrachtet Polen im Gegensatz zu Rußland von Leibeigenschaft geprägt ist21, erscheinen die Polen aus der Perspektive des Demetrius als Volk,

Das frei in höchster Machtvollkommenheit

Nur sich allein braucht Rechenschaft zu geben,

Und unbeschränkt von - - - - -

Der schönen Menschlichkeit gehorchen kann?22

Doch ungeachtet des Umstandes, daß Demetrius bis zu diesem Punkt eine naiv- idealistische Position vertritt, die er mit Vehemenz zu vertreten weiß, ist er realistisch genug politisch-ökonomische Interessen zu bedienen, um die Kriegslust der Polen zu wecken.

Euchöffnen sich des Glückes goldene Tore Mit euch will ich den Raub des Feindes teilen Moskau ist reich an Gütern, unermeßlich An Gold und edeln Steinen ist der Schatz23

Doch es ist nicht es nur die rhetorische Leistung des Demetrius, welche überzeugt und die Polen für ihn einnimmt. Von vielleicht entscheidenderer Bedeutung sind die hinter Demetrius stehenden Kräfte, das heißt im wesentlichen Marina als Quelle der Intrige, die im ersten Akt zum tragen kommen. Gleich wie Demetrius, mit der Verheißung reicher Kriegsbeute, jedoch ohne auf höhere Ziele zu verweisen, nimmt sie die Edelleute und Landboten für sich und ihre Sache ein.

Verkauft, verpfändet eure Bauernhöfe,

Versilbert alles, steckts in Pferd und Rüstung.

Der beste Landwirt ist der Krieg; er macht

Aus Eisen Gold. - Was ihr in Polen jetzt verliert,

Wird sich in Moskau zehnfach wiederfinden.24

Ihr Einfluß reicht bis in die eigentliche Sitzung des Reichtages, da dort Odowalsky und wohl auch Korela („Das schlug uns [hervorgehoben durch mich] fehl - - - - - - “25 ) scheinbar als verdeckte Agitatoren aus den Reihen der Edelleute selbst das Ansinnen des Demetrius unterstützen,26 denn die Begegnung von Marina und Odowalsky im Anschluß an die Reichstagsszene wird mit folgenden Worten eingeleitet:

Nun Fräulein, hab ich meinen Auftrag wohl

Erfüllt, und wirst Du meinen Eifer loben?27

Als Ausschlaggebend für die Zustimmung zum russischen Feldzug erweist sich jedoch der Umstand, daß Marina durch Bestechung die Stimmen des niederen Adels auf ihre Seite zieht.28 Nicht nur Odowlsky, Korela und ihr Vater Mischnek stehen zu ihren Diensten, sondern auch die Mehrheit der Landboten, die im Anschluß an die Reichtagssitzung Marina die Gunst bezeugen:

Haben wir uns hören lassen, Patronin?

Haben wirs recht gemacht? Wen sollen wir totschlagen?

[...]

Du hast uns neu gestiefelt und gekleidet,

Wir dienen Dir mit unserem Herzensblut.29

3.2 Die Verfassung des Reichtages und die Macht des polnischen Volkes

Es ist Axel Gellhaus sicherlich zuzustimmen wen er schreibt: „In den letzten drei Dramen Schillers [...] gewinnt das Volk größere Bedeutung für den Fortgang der Handlung.“30 Versucht man nun diese Erkenntnis für die Entwicklung im Demetrius zu spezifizieren, indem man sich zunächst auf die Wirkungsmacht des polnischen Volkes konzentriert, ist es hilfreich zunächst einen Blick auf Zusammensetzung und Entscheidungsprozesse des polnischen Reichtags zu werfen.

Der polnische Reichtag stellt nicht nur eine Vertretung des Hochadels und des Klerus dar, sondern ist in seiner Majorität aus Vertretern des niederen Adels, den gewählten Landboten, zusammengesetzt.31 Diese Mehrheit aus dem niederen Adel gewinnt vor allem dadurch an Bedeutung, daß eine „Absolute Gleichheit aller polnischen Edelleute“ 32 zu einer Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen höherem und niederem Adel beziehungsweise Klerus führt. Neben dem repräsentativen Element der Landboten finden sich Hinweise, welche die Macht der Masse dokumentieren und die Vorherrschaft von Individuen in Führungspositionen zurückdrängt. König Sigismund, der Herrscher aller Polen, zeichnet sich während der Reichtagssitzung durch eine auffällige Zurückhaltung aus. Schiller schreibt über ihn in seinen Aufzeichnungen: „Bei versammelten Reichstag spricht er selbst nie.“33 Lediglich durch seinen Krongroßkanzler greift er indirekt, und das versöhnlich-diplomatisch, in das geschehen ein. Gestützt wird dieser Eindruck der Machtbeschränkung im Reichstag durch die distanzierte Positionierung des Thrones im Raum.34 Andererseits relativiert der Modus des Wahlentscheides zum Feldzug diese Macht der Masse jedoch wieder. Die Wahl scheint auf einem Einstimmigkeitsprinzip zu beruhen, was zum einem die Position des politisch handelnden Individuums, in diesem Fall Sapieha mit seinem Veto, gegenüber der Majorität stärkt, zum anderen aber auch das Prinzip veranschaulicht, daß jeder Stimme das gleiche Gewicht zukommt.35

Doch der Triumph des Einzelnen ist nur von kurzer Dauer, da im direkten Anschluß an die Sitzung sich, motiviert durch die oben vorgestellten Gründe, eine außerparlamentarische Mehrheit für den Feldzug findet. Damit wird nicht nur das Veto des Sapieha umgangen, sondern vielmehr noch erweist sich diese Mehrheit jenseits der staatlichen Institution als ein Zusammenschluß von Privatinteressen, der Polen als einheitliche Nation unterläuft und abwertet. Wir haben es hier also in widersprüchlicher Weise zwar mit einer Mehrheit zu tun, die aber, wenn man den Reichsstag mit seiner repräsentativ-demokratische Struktur als rechtmäßige Vertretung des Volkswillens ernst nimmt, zumindest formal nicht den Willen der Allgemeinheit wiederspiegelt. Der Unsinn der Mehrheit könnte damit gerade darin resultieren, daß der Prozeß der Willensbildung jenseits der dafür prädestinierten Instanz abläuft und damit für diese nicht der formal optimale Ablauf gewährleistet ist.. An dem Hinwegsetzen über den Reichtagsbeschluß erweist sich jedoch erneut auch die Macht des polnischen Volkes, denn gerade an Marinas erfolgreichem Bestreben die Edelleute für ihren Feldzug zu gewinnen zeigt sich, daß nicht mehr das Individuum in der Ausübung seiner direkten Macht in den Verlauf der Geschichte eingreift, sondern vielmehr im Gelingen eines solchen Versuches vollständig von der Gunst der Masse abhängig ist.

Die Macht des niederen polnischen Adels besteht jedoch mitnichten in der Freiheit selbst politisch aktiv zu werden, da ihm die Rolle eines passiven Erfüllungsgehilfen zugewiesen ist. Vor allem sind die Landboten insofern nicht als substantiell frei handelnde Gruppe zu begreifen, weil ihre ökonomische Heteronomie, wie sich in der oben erläuterten Überzeugungsstrategie zeigt, verhindert, daß eine selbstständige, an moralischen Überlegungen zum Allgemeinwohl orientierte Urteilsfindung ermöglicht wird. Hinzu tritt eine nicht reflektierte traditionelle Einschätzung des Verhältnisses zwischen dem russischen und dem polnischen Volk. An Plausibilität gewinnt das Interesse der Polen an dem Kriegszug durch die von Schiller vermerkte historische Nationalfeindschaft zwischen diesen und den Russen.36

4. Das russische Volk

In Schillers Konzeption des Demetrius findet sich die Überlegung einen Gegensatz zwischen dem polnischen und dem russischen Volk herzustellen. Er schreibt: „Ungeheurer Abstand der Polen und Russen ist darzustellen; jene frei unabhängig, diese knechtisch, unterwürfig.“37 Es wird im folgenden die Aufgabe sein, diese Differenz herauszuarbeiten und ihre Funktion zu bestimmen. Nichts desto trotz führen die Schlußfolgerungen, die sich aus der Konzeption des russischen Volkes ableiten lassen, zu ähnlichen Ergebnissen, in dem Sinne, daß mit beiden Völkern die Macht und Ohnmacht der Mehrheit dokumentiert wird und das aufgrund der prinzipiell gleichen, ihr externen Mechanismen das Volk zu unsinnigen Urteilen und Handlungen getrieben wird beziehungsweise sich von diesen nicht befreien kann.

Dem russischen Volk kommt eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für die Gesamtkonzeption des Drama zu. Im gleichen Maße wie die Polen stellen sie einen entscheiden Machtfaktor dar, der über das Gelingen der Übernahme des Thrones entscheidet. Trotz oder gerade aufgrund der Unterwürfigkeit gegenüber „zarischen Vatergewalt“38, kommt dem russischen Volk diese Macht zu, den in dem Moment in dem sich die Meinung des Volkes umwendet, erweist sich, „daß sie das Schicksal des Zars [Boris] in ihrer Gewalt hat.“39 Gleiches gilt für Demetrius, und es bestätigt sich die Analyse der Situation durch den polnischen König, der die Grenzen polnischen Macht andeutet:

Die besten Waffen wird dir Rußland geben,

Dein bester Schirm ist deines Volkes Herz.

Rußland wird nur durch Rußlandüberwunden.

So wie du heute vor dem Reichstag sprachst,

So rede dort in Moskau zu den Bürgern;

Ihr Herz erobre dir, und du wirst herrschen.

Durch fremde Waffen gründet sich kein Thron;

Noch keinem Volk das sich zu ehren wußte,

Drang man den Herrscher wider Willen auf.40

Diese Macht der Russen wird damit gleichzeitig zum Garanten sowohl des Aufstieges des Demetrius, als auch seines Falls oder anders gesagt, wie Schiller in seinen Aufzeichnungen mit einem russischen Sprichwort festhält: „Gewinn und Verlust wohnen in einem Hause.“41 Von daher wird die These von Szondi gestärkt, der in der Identität des Ursprungs von Glück und Unglück den tragischen Kern des Schicksals des Demetrius ausmacht.42

4.1 Das einfache Volk

Seine zentrale Charakterisierung findet das einfache Volk in einer im Fragment bereits teilweise ausgearbeiteten Szene des zweiten Aktes. Diese „Dorfszene“ bietet eine Fülle von Hinweisen zur kulturellen und gesellschaftlichen Situation des russischen Volkes.

Die Situation der beiden Dorfgemeinschaften, die in einem dritten Dorf entgegengesetzt flüchtend aufeinandertreffen, veranschaulicht die geistige Unselbständigkeit in der sich das russische Volk befindet. Zunächst unfähig, eine Entscheidung zu treffen, werden höhere Autoritäten angerufen:

Das ist ein böser Handel, Nachbarn und Ratsgenossen. Gott helf uns aus der Verworrenheit! Gott erleucht uns!43

Der Prozeß der Urteilfindung wird, wie Schiller schreibt, „durch die gröbsten Mittel “44 Beeinflußt, und so verwundert es auch nicht, daß die Dorfbewohner ohne jegliches Bewußtsein ihrer Macht zu der Einsicht in eine mögliche Intrige nicht im Ansatz fähig sind:

Wie könnt er [Demetrius] so was heucheln, lügnerisch erfinden!

Wenn ers nicht wäre, würd ers sagen und behaupten?45

Wiederum verstellen ökonomische Aspekte die Möglichkeit mit einem Unverstellten blick die Situation zu beurteilen. Zu der Wirkung des abenteuerlich-unwahrscheinlichen der Geschichte des Demetrius gesellt sich die Unzufriedenheit mit den Verhältnissen unter der Regentschaft des Zaren Boris. In Schillers Konzeption steht die Hoffnung auf einer Verbesserung der Verhältnisse angesichts einer vorangegangenen Hungersnot mit im Mittelpunkt der Motivation der Russen die Sache des Demetrius zu unterstützen.46

4.2 Die Bojaren

Die Deutung der Volksgruppe des russischen Adels kann nur unter Vorbehalt erfolgen, da eine solche sich lediglich ausschließlich auf die Aufzeichnungen stützen muß und damit nicht als Interpretation einer ausgearbeiteten Figur gelten kann.

Ähnlich wie die Polen, mit ihrer Vertretung im Reichstag, scheint der Adel zunächst frei zu agieren und urteilen zu können. Dabei scheinen die Bojaren zum einen auf ihre eigene Machtposition bedacht zu sein. Zunächst unterstützen sie die Sache des Demetrius und entziehen Boris das Vertrauen47, um in einer Übergangszeit bis zum Einzug von Demetrius in Moskau mit einem Reichsrat selbst die Regierungsgewalt auszuüben.48 Doch mit der Herrschaft des Demetrius als Zar und der ins Bewußtsein tretenden Usurpation durch die Polen wenden sich die Bojaren schnell von ihm ab, „Er kann sich auf die Russen ganz und gar nicht verlassen“49. Auch die Bojaren offenbaren hiermit ihr anscheinend ambivalentes Verhältnis zum: Einerseits führt ihre Obrigkeitshörigkeit zu einem Bedürfnis nach einer Führungsfigur und mindert damit ihre Unabhängigkeit, anderseits ist ihnen diese Figur zugleich verhaßt.50

Neben dem Verhältnis der Bojaren zu der Vaterfigur des Zaren tritt ein weiteres Denken, welches die freie Urteilsfähigkeit einschränkt. Anders als bei den polnischen Betteladel ist es nicht eine ökonomische Heteronomie, die das selbstständige Urteil behindert, sondern vielmehr die Bestimmtheit durch tradierte, nicht in Frage gestellte kulturspezifische Werte und Normen. „Die Stockrussen ärgern sich an dem liberaleren Betragen des Demetrius und an seinen ausländischen Sitten.“51 So ist es den auch mitnichten die Kenntnis um die falsche Abstammung des Demetrius die zu seinem Sturz durch den verschworenen Adel führt, sondern die für Außenstehende völlig unerheblich erscheinende Geltung von Gebräuchen52 und deren Instrumentalisierung durch einzelne (Zusky!). Zwar „schleichen Zweifel umher an der Person des Demetrius“ doch diese gründen „sich aber auf lächerliche Dinge“53 und sind somit eher als Betonung der behinderten Urteilsfähigkeit der Russen anzusehen.

Wenn wir uns abschließend erneut der Differenz zwischen Polen und Russen zuwenden, so läßt sich festhalten , daß wie mit zwei politischen Systemen konfrontiert werden, die trotz ihrer Unterschiede beide nicht ihr Volk in die Lage versetzen, zu einem autonomen Urteil zu gelangen. Die Polen verfehlen dieses Ziel aufgrund der Einrichtung einer bloß formalen Freiheit, die gerade dazu führt das nicht das Allgemeinwohl sondern partikulare Interessen befördert werden. Die absolutistische Monarchie Rußlands hingegen stützt sich gerade auf die reflexionsarme, befangene Meinung der Masse.

5. Aufklärung und ökonomische Autonomie - eine Bilanz

Sowohl bezüglich des russischen als auch des polnischen Volk stellt sich die Situation nach den vorangegangenen Analysen wie folgt dar: Unabhängig vom Zustand seiner politischen Handlungsfreiheit, die bei den Polen vorangeschritten, bei den Russen durch ihren Stand der gesellschaftlich-sozialen Entwicklung und die Usurpation sowohl durch Boris aber in auch gleichem Maße durch Demetrius sowie mit dem Kosaken als zweiten Demetrius möglicherweise auch in einer über das Drama hinausgehenden Zukunft gehemmt ist, tritt die Mehrheit als Unsinn in Erscheinung.

Die Mehrheit ist der Unsinn, weil das Volk sich zum einen sich in materieller Abhängigkeit befindet, oder stärker, im Fall der Polen, nur ihren eigenen materiellen Vorteil sucht.

Die zweite entscheidende Ursache, welche die Leitthese zu bestätigen scheint, liegt in dem Mangel an Einblick in die Sachlage durch den Polen und Russen sich auszeichnen. Beide Völker wissen nicht um Demetrius als Betrüger, beide Völker haben nur partiellen Einblick in das Spiel der politischen Kräfte, die ihre Wirkungsmacht auf das Geschehen ausüben. Und beide Völker erweisen sich als unfähig, die ihnen zukommenden Informationen angemessen zu bewerten. Die Polen moralischen Sinne, weil sie unter der ihnen zukommenden Freiheit ihr Wissen für rein egoistische Ziele nutzbar machen möchten. Hier kann man die Vermutung äußern, das Schiller den Versuch unternommen hat eine ein analoges Bild zur Jakobinerherrschaft während der französischen Revolution aufzubauen.54 Die Russen gar haben Schwierigkeiten überhaupt ein Votum zu fällen, wie in der Dorfszene angedeutet wird und erweisen sich in aufkommenden anarchischen Situation des Umbruchs als unfähig jenseits von Vorurteilen und tradierten Meinungen einen objektiven Blick das geschehen zu werfen, das heißt sie sind zu ungebildet und von tradierten Werten und Normen bestimmt, um zu einer vernünftigen Einsicht zu gelangen. Man kann die unter dieser zweiten Ursache aufgeführten Aspekte mit einem für das schillersche Gesamtwerk evidenten, nicht zu hoch einschätzenden Begriff in Verbindung bringen und damit das Gesamtphänomen erfassen: Das Volk leidet unter einem Mangel an Aufklärung. Es scheint für Schiller dieser Grad der Aufklärung zu sein, der entscheidet, ob ein Volk in der Lage ist zu einem rationalen Urteil zu kommen und damit in der Konsequenz die legitimierende Basis für Herrschaft zu sein.

Doch die Vorstellung, das Ideal eines materiell Emanzipierten und aufgeklärten, sowohl sittlich als auch politisch selbstständigen Menschen, deren Realisierung sich in der Schlußfolgerung für das funktionieren eines auf Freiheit basierenden politischen Systems als unabdingbar erweist, findet seine Bestätigung nur ex negativo.55 Keine in dem Drama in Erscheinung tretende Gruppe kommt der Verwirklichung dieses Ideals nahe und auch Demetrius Versuch, die Russen von ihrer Sklavennatur zu befreien, ist bekanntlich von einem Scheitern gekennzeichnet. Das Ideal tritt bloß in ihrer gesellschaftlich-historischen Distanz als Utopie in Erscheinung. Doch damit ist letztlich noch nicht die Frage gelöst, ob Schiller tatsächlich eine „pessimistische Wende“56 vollzieht und der Utopie angesichts der gegeben sozialen und politischen Verhältnisse keine Aussicht auf eine Realisierung gibt oder im Gegenteil mit dem Demetrius an Möglichkeit einer Umsetzung der Ideale der Aufklärung festhält. Ich werde im folgenden einen Weg vorschlagen, wie diese Frage möglicherweise zu lösen ist.

6. Der Rezipient als aufgeklärte Mehrheit?

In den Regieanweisungen zur Reichtagssitzung im ersten Aufzug findet sich eine unscheinbare Bemerkung, die bei näherer Betrachtung von einem recht modern anmutenden dramaturgischen Verständnis zeugt und trotz ihrer kürze weitreichende Implikationen nach sich zieht. Schiller notiert zur räumlichen Positionierung des Demetrius während seiner Rede vor dem Reichstag:

Alsdann stellt er sich so, daßer einem großen Teil der Versammlung und des Publikums, von welchem angenommen wird, daßes im Reichstag mitsitze, im Auge behält [...]57

Es scheint, als solle der gedachte Zuschauer hier von Demetrius direkt angesprochen und damit in die Szenerie mit einbezogen werden,58 um in gleicher Weise wie der Reichstag selbst zu einem Urteil aufgefordert zu sein. Eine vergleichbare Situation für den Zuschauer war von Schiller in einer weitern Szene, dem triumphalen Einzug des siegreichen Demetrius in Moskau, geplant. Erneut stellen die Regieanweisungen einen Bezug zum Zuschauer her, und zwar sowohl der realen als auch zu einem fiktiven, in Form der Moskauer Bevölkerung.

Näher und in den Kulissenstücken unterscheidet man Zuschauer aus Fenstern und Dächern und Gerüsten. [...] da die Zuschauer in dieser Szene eine Rolle mitspielen, kann ihnen auch mehr Raum gegeben werden.59

In beiden vorgestellten Massenszenen findet sich der gedachte Besucher des Schauspiels gespiegelt in der auf der Bühne in Erscheinung tretenden Masse und damit in gleicher Weise mit aufgefordert ein Urteil über die Herkunft und den Triumph des Demetrius zu fällen. So ergibt sich nicht nur aus der allgemeinen Struktur eines zur Aufführung bestimmten Dramas, sondern auch aus der expliziten Einbeziehung des Zuschauers eine dritte, über die Ebene der Figuren hinausgehende Majorität.

Während das Volk auf der Bühne in seiner Urteilsfähigkeit maßgeblich eingeschränkt ist, finden die Rezipienten als Mehrheit ungleich günstigere Bedingungen vor, um zu einer selbständigen und angemessen Im Gegensatz zu den Figuren des Dramas, mit Ausnahme vielleicht des fabricator doli, haben die Zuschauer und Leser mit der Gesamtschau des Dramas vollen Zugang zu allen notwendigen Informationen, die für eine abschließende Beurteilung des Geschehens unverzichtbar sind.60 In Schillers Aufzeichnungen finden sich deutliche Hinweise, daß er in der Konzeption des Dramas großen Wert auf die Durchsichtigkeit der Prozesse, die Stringenz der Handlung und die Möglichkeit der Einsicht in die Umstände legt. So schreibt er zu dem aufgegebenen ersten Akt zu Sambor, daß

[...] das Fremdartige, Seltsame und Abenteuerlich Unwahrscheinliche des Stoffes objective möglichst zuüberwinden [ist]

[...]

Jenes wird bewerkstelligt durch Bestimmtheit, Klarheit und Konsequenz und vollständige Angabe aller Daten, wodurch die Handlung begründet wird, durch eine anschauliche Darstellung des Lokals, der Umstände, der Zustände, innerhalb deren eine solche Handlung vorgehen kann, damit sie dadurch vor dem Verstande gerechtfertigt werde.61

Vergleichbare Überlegungen finden sich zur Motivation und Konstruktion des Betrugs durch den fabricator doli.62 Die zentrale Differenz zwischen dem polnischen und russischen Volk und dem Publikum besteht nicht zuletzt darin, daß wir um den Betrug wissen, jene nicht.

Das Publikum zeichnet sich neben dieser Einsicht in den Sachverhalt, des weiteren durch eine Distanz zum Geschehen aus, die dem Volk fehlt. Während das Volk in einer bestimmten historischen Situation eine Entscheidung zu treffen hat, die für ihr eigenes unmittelbares Schicksal weitreichende Konsequenzen nach sich zieht, befindet sich der Rezipient in der komfortablen Situation, frei etwa von ökonomischen Zwängen, einen Vorgang zu beurteilen, der für ihn keinen unmittelbaren lebensweltlichen Bezug hat. „Günstig ist auch das fremde des Stoffes und das abgeschlossene Ausländische Terrain [...]“63, heißt es und man kann annehmen, daß damit auch die Distanz zwischen dem Stoff und den Rezipienten als günstig eingestuft wird. Allerdings offenbart sich mit der historischen Nähe des realen Ereignisses für den Zeitgenossen Schillers hier unter Umständen eine Schwäche in der Konzeption des Dramas, wie Kraft zurecht beobachtet hat.64 Trotz dieser im Vergleich zu Schillers vorangehenden, vollendeten Dramen gegebenen zeitlichen Nähe wird damit aber der Gedanke der Distanz zum konkreten Geschehen wohl nicht prinzipiell aufgegeben, zumal die tatsächliche Ausgestaltung des Fragments, gerade bezüglich der einen direkten Bezug zur historischen Gegenwart herstellenden Romanow-Figur, im dunkeln bleibt. Diese Distanz erweist sich auch in sofern als unverzichtbar, weil „Der Zuschauer [...] in dem historisch-personalen Fall den generellen Fall erkennen [sollte], in dem das geistige der Geschichte, erfaßt in der epochalen Problemsituation von Herrschafts- und Staatskrise, von Rechts- und Gesellschaftskrise, selbst anschaubar wird.“65

Abschließend läßt sich festhalten, daß mit dem Demetrius-Fragment Schiller seine Versuche fortführt, „dem bestimmenden Vermögen die höchste Unabhängigkeit von dem empfangenden [Vermögen] zu erwerben, und auf der Seite der Vernunft die Aktivität aufs höchste zu treiben.“66 Solange nämlich die Konstruktion eines Dramas bewußt auf die Verständlichkeit für den Rezipienten zielt und damit auf seine Urteilsfähigkeit vertraut, solange gibt es bei Schiller keinen Anlaß davon auszugehen, daß er die grundsätzliche Möglichkeit einer politisch qualifizierten Mehrheit anzweifelt, da es diese Form der Kunst ist, die dem einzelnen Charakter zur „Veredelung“ verhelfen soll und damit eine vernünftige Mehrheit möglich macht.67 Eine pessimistische Wende wäre durch Schiller mit dem Demetrius erst dann konsequent vollzogen, wenn der Anspruch dem Rezipienten zu einem autonomen Urteil zu verhelfen aufgegeben worden wäre. Der Unsinn liegt nicht in der Natur der Mehrheit, sondern in der Unterdrückung ihrer Möglichkeit zur autonomen Urteilsfindung durch andere.

7. Literatur

- Gellhaus, Axel: Geschichte und Intrige. Schillers „Demetrius“-Projekt. Marbach 1991.
- Hucke, Karl-Heinz, und Olaf Kutzmutz: Demetrius. In: Koopmann, Helmut (Hg.): Schiller- Handbuch. Hamburg 1998.
- Kraft, Herbert: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978.
- Martini, Fritz: Demetrius. In: Hinderer, Walter (Hg.): Schillers Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1979. S. 316..
- Schäfer, Kurt: „Demetrius“ - pessimistische, ironische Wende bei Schiller? In: GRM 34/1984. S. 84.
- Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Schiller, Friedrich: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 20. Weimar 1962.
- Schiller, Friedrich: Aus Schillers Aufzeichnungen zum „Demetrius“. In: Schiller, Friedrich: Demetrius. Stuttgart 1963. [zitiert: Aufzeichnungen]
- Schiller, Friedrich: Demetrius. Stuttgart 1963. [zitiert: Demetrius]
- Sharpe, Lesley: Friedrich Schiller. Drama, Thought and Politics. Camebridge 1991.
- Szondi, Peter: Der tragische Weg von Schillers Demetrius. In: Berghahn, Klaus L., und Reinhold Grimm (Hg.): Schiller. Zur Theorie und Praxis der Dramen. Darmstadt 1972.

[...]


1 Schiller, Friedrich: Demetrius. Stuttgart 1963. V. 470. [künftig zitiert: Demetrius.]

2 Szondi, Peter: Der tragische Weg von Schillers Demetrius. In: Berghahn, Klaus L., und Reinhold Grimm (Hg.): Schiller. Zur Theorie und Praxis der Dramen. Darmstadt 1972. S. 468.

3 Demetrius. V. 327.

4 Vergl.: Schiller, Friedrich: Aus Schillers Aufzeichnungen zum „Demetrius“. In: ders.: Demetrius. Stuttgart 1963. 1. S.43. [künftig zitiert: Aufzeichnungen]

5 Vergl: Hucke, Karl-Heinz, und Olaf Kutzmutz: Demetrius. In: Koopmann, Helmut (Hg.): SchillerHandbuch. Hamburg 1998. S. 517ff.

6 Kraft, Herbert: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978.

7 Aufzeichnungen. 28. S. 27.

8 Vergl.: Demtrius. V. 416ff.

9 Demetrius. V. 470ff

10 Aufzeichnungen. 89. S. 85

11 Aufzeichnungen. 93. S. 86.

12 Aufzeichnungen. 93. S. 86.

13 Aufzeichnungen. 41. S. 55.

14 Demetrius. V. 52f.

15 Vergl etwa: Demetrius. V. 172, 318, 343.

16 Demetrius. V. 67.

17 Demetrius. V. 327.

18 Demetrius. V. 594ff.

19 Demetrius. V. 331ff.

20 Vergl.: Hucke, Karl-Heinz, und Olaf Kutzmutz: Demetrius. In: Koopmann, Helmut (Hg.): SchillerHandbuch. Hamburg 1998. S. 517f.

21 Aufzeichnungen. 3., 4. S.43.

22 Demetrius. V. 70.

23 Demetrius. V.366.

24 Demetrius. V. 738ff.

25 Demetrius. V. 485.

26 Vergl.: Sharpe, Lesley: Friedrich Schiller. Drama, Thought and Politics. Camebridge 1991. S. 311.

27 Demetrius. V. 646f.

28 Vergl. Aufzeichnungen. 72. S. 73.

29 Demetrius. V. 719f, 744f.

30 Gellhaus, Axel: Geschichte und Intrige. Schillers „Demetrius“-Projekt. Marbach 1991. S.15.

31 Vergl. Aufzeichnungen. 6., 17., 72. S. 43, 44, 72.

32 Aufzeichnungen. 17. S. 44.

33 Aufzeichnungen. 89. S. 84.

34 Demetrius. S. 3.

35 Vergl.: Demetrius. V. 465.

36 Vergl. Aufzeichnungen. 41. S. 56.

37 Aufzeichnungen. 1. S.34.

38 Aufzeichnungen. 118. S. 99.

39 Auifzeichnungen 115. S. 97.

40 Demetrius. V. 516ff.

41 Aufzeichnungen. 113. S. 95.

42 Szondi, Peter: Der tragische Weg von Schillers Demetrius. In: Berghahn, Klaus L., und Reinhold Grimm (Hg.): Schiller. Zur Theorie und Praxis der Dramen. Darmstadt 1972. S. 466ff.

43 Demetrius. V. 1294f.

44 Aufzeichnungen. 114. S. 95.

45 Demetrius. S. 42.

46 Aufzeichnungen. 114. S. 96.

47 Vgl. Aufzeichnungen. 118 S. 99f.

48 Vgl. Aufzeichnungen. 119. S. 103.

49 Aufzeichnungen. 134. S. 114.

50 Für eine genauere Interpretation dieser Struktur (Vater - Sohn) würde sich im hervorragendem Maße ein psychoanalytisch gestützter Ansatz anbieten.

51 Aufzeichnungen. 135. S. 114.

52 Vgl. Aufzeichnungen. 135. S. 115.

53 Aufzeichnungen 135. S. 115.

54 Vgl.: Martini, Fritz: Demetrius. In: Hinderer, Walter (Hg.): Schillers Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1979. S. 341.

55 Vgl.: Martini, Fritz: Demetrius. In: Hinderer, Walter (Hg.): Schillers Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1979. S. 339.

56 Vgl. Schäfer, Kurt: „Demetrius“ - pessimistische, ironische Wende bei Schiller? In: GRM 34/1984. S. 84.

57 Demetrius. S. 4.

58 Vgl. Martini, Fritz: Demetrius. In: Hinderer, Walter (Hg.): Schillers Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1979. S. 317.

59 Aufzeichnungen. 130. S. 111.

60 Selbst Demetrius, der ja schließlich von seiner falschen Abstammung erfährt kann diese Einsicht nicht zugesprochen werden, da er etwa mangelnde Einsicht in den Prozeß der Intrige und die russische Kultur zeigt.

61 Aufzeichnungen. 44. S. 38.

62 Aufzeichnungen. 34. S. 47.

63 Aufzeichnungen. 41. S. 55.

64 Vgl. Kraft, Herbert: Um Schiller betrogen. Pfullingen 1978. S. 277.

65 Martini, Fritz: Demetrius. In: Hinderer, Walter (Hg.): Schillers Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1979. S. 339.

66 Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Schiller, Friedrich: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 20. Weimar 1962.

67 Vgl. Schiller, Friedrich: Ueber die ästhetische Erziehung des Menschen des Menschen in einer Reihe von Briefen. In: Schiller, Friedrich: Schillers Werke. Nationalausgabe. Bd. 20. Weimar 1962. S. 332f.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Mehrheit ist der Unsinn
Hochschule
Universität Münster
Note
2+
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V106016
ISBN (eBook)
9783640042951
Dateigröße
463 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mehrheit, Unsinn
Arbeit zitieren
Marco Söte (Autor:in), 2002, Mehrheit ist der Unsinn, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106016

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